Wie Armee und Zivilschutz zu ihrem Personal kommen können
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F/A-18 landen und starten erstmals auf der Autobahn
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BÜROKRATIE
Die Milizkader ächzen unter der Last der administrativen Aufgaben
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LUFTWAFFE
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Grosser Auftritt hier, Gewurstel dort
Liebe Leserin, lieber Leser
Auf der einen Seite gibt sich die Schweiz am 15. und 16. Juni mit der hochrangigen Konferenz zum Frieden in der Ukraine auf dem Bürgenstock weltmännisch und beweist, dass sie – auch dank ihrer Armee, die mit 4000 Angehörigen im Einsatz stand – durchaus in der Lage ist, einen solchen Anlass zu stemmen.
Auf der anderen Seite aber wird in Bundesbern fast im Tagesrhythmus mangelnde Weitsicht demonstriert und gewurstelt, was das Zeug hält. Das zeigt sich in der Sommersession nicht nur im Entscheid des Nationalrates, der die Möglichkeiten der Kooperation mit der NATO stark einschränken will und der eigenen Armee damit das Erlernen von Fähigkeiten verweigern würde, die im Kriegsfall essenziell wären (siehe Seite 22). Noch viel stärker zeigt sich das, wenn es um die finanzielle Alimentierung ebendieser Armee geht: Nachdem einigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern nach ihrem Fehlentscheid im vergangenen Dezember gedämmert hat, dass es in der aktuellen sicherheitspolitischen Grosswetterlage doch – vielleicht – angebracht wäre, die Armee zügig wieder zu dem zu befähigen, wozu sie im Kern da ist, nämlich die Schweiz zu verteidigen, tun sie sich weiterhin schwer damit, einen mehrheitsfähigen Finanzierungsmodus zu finden. Ideen aus den unterschiedlichsten Lagern und Allianzen poppen auf und platzen bald danach wie Seifenblasen. Stand heute gibt es noch immer keinen Plan, der der Armee rasch die dringend benötigten Finanzmittel gewährleistet.
Doch Bundesbern bastelt auch seit Jahren daran, wie der Armee die andere zentrale Ressource, das nötige Personal, gesichert werden kann. Diese Nummer ist schwergewichtig diesem Thema (Seiten 5 bis 14) gewidmet. Der einst für Leute, die aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten wollen, als Schlupfloch konzipierte Zivildienst hat sich längst zu einer weit offenen Tür entwickelt. Jährlich passiert eine «Truppe» in Brigadenstärke diese leicht zu durchschreitende Pforte und verabschiedet sich vorzeitig von der Armee. Ende Jahr will der Bundesrat seine Evaluation möglicher Dienstpflichtmodelle abschliessen. Mit der Sicherheitsdienstpflicht, die eine Zusammenlegung von Zivilschutz und Zivildienst zu einem Katastrophenschutz beinhaltet, könnten diese Wechselgelüste sicher stark reduziert werden.
Christian Brändli, Chefredaktor christian.braendli@asmz.ch
Doch bis dahin wird es noch ein weiter Weg sein. Darum ist es wichtig, in die Tür zum Zivildienst wenigstens ein paar Hürden einzubauen. Solche sollen im Rahmen der Revision des Zivildienstgesetzes aufgestellt werden. Im Sinne einer Sofortmassnahme unterstützt die SOG die Absicht des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, mit dieser Gesetzesänderung den «Zulassungsgesuchen aus zweckfremden Motiven» entgegenwirken zu wollen. Doch die SOG will sich damit nicht begnügen. Deshalb hat sie im Vernehmlassungsverfahren zwei Anträge formuliert. Einerseits sollen Militärdienstpflichtige im Falle eines Aufgebots zu Assistenz- oder Aktivdienst explizit kein Gesuch um Zulassung zum Zivildienst einreichen können. Andererseits soll der Zivildienst 1,8-mal so lange wie die insgesamt noch zu leistenden Tage Ausbildungsdienst nach Militärgesetz dauern. Aktuell gilt der Faktor 1,5. Darüber hinaus verlangt die SOG unter anderem, dass die Zuständigkeit für den Zivildienst ins VBS wechseln soll. Zudem soll ein Zivildiensteinsatz nicht der Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung dienen oder als Studiumspraktikum angerechnet werden dürfen. Auch Auslandeinsätze dürften grundsätzlich nicht möglich sein. Schliesslich sollen in den Zivildienst wechselnde Spezialisten, die in der Armee besondere Fähigkeitszeugnisse erlangt haben, die im Zivilen von Nutzen sind, dafür eine Ausgleichszahlung leisten. Kein Gewurstel und kein Gebastel, sondern saubere Planung und präzise Durchführung hat die Luftwaffe bei ALPHA UNO (Seiten 23 bis 26) gezeigt. Sie ist gerade auch logistisch wieder in der Lage, Ausweichpisten zu betreiben, auch wenn es sich dabei um Autobahnen handelt.
EDITORIAL
3
Christian Brändli
SICHERHEITSPOLITIK
Fritz Kälin
5 Wie die Dienstpflicht in Zukunft gestaltet werden könnte
Christian Brändli
12 Die Personalprobleme der Armee sind jene von Brigadier Markus Rihs
Dieter Kläy
15 Der Politikberater Remo Reginold sieht eine Schweiz, die Mühe hat mit neuen Entwicklungen und Strategien
Pascal Kohler
17 Nach den Raketenattacken: Israel und der Iran sind gewillt, weiterhin zu zündeln
SOG
Dominik Knill
22 Kooperation mit der NATO: Schwierige Allianzen im Nationalrat
EINSATZ UND AUSBILDUNG
Hans Tschirren
23 Die Luftwaffe kann es noch: Landungen und Starts auf Autobahnen sind machbar
Peter Müller, Benjamin Lüthi
27 Die Bürokratie für die Milizkader muss und kann abgebaut werden
Der Armee fehlt zunehmend das Personal für geschlossene Reihen
Der Abrams: Erfolge im Irak, Mühen in der Ukraine
Russen üben mit einem Raketensystem Iskander-M den Atomkrieg
AKTUELL
Thomas Bachmann
31 US-Technologie auf Basis der späten 1970er-Jahre ist in der Ukraine heiss begehrt
Hans Peter Gubler
36 Russland lässt an seiner Westgrenze Nuklearstreitkräfte im grossen Stil üben
WIRTSCHAFT UND RÜSTUNG
Peter Müller
38 Die Schweizerische Gesellschaft Technik und Armee lernte die zivile Nutzung des Militärflugplatzes Payerne kennen
GESCHICHTE
Christian Brändli
40 190 Jahre ASMZ im Zeitraffer –inklusive Höhen und Tiefen
RUBRIKEN
Fritz Kälin
21 Aus dem Bundeshaus
Thomas Süssli
30 Verteidigungsfähigkeit erklärt
Marc Ruef
35 Cyber Observer
Pascal Kohler
45 Internationale Nachrichten
Christian Brändli
48 Echo aus der Leserschaft
Christian Brändli
49 Vermischtes
Bruno Russi
53 Bücher
Die neuen Dienstpflichtmodelle im Vergleich
Ende 2024 wird der Bundesrat seine Evaluation möglicher Dienstpflichtmodelle abschliessen. Mindestens unter Armeebefürwortern ist es unbestritten, dass ohne eine strukturelle Reform weder die heute geltenden, geschweige denn kriegsgenügende Bestände von Armee und Zivilschutz ausreichend alimentiert werden können. Aber es geht um weit mehr.
Fritz Kälin
Seit Wehrpflichtige die Ukraine und Israel gegen barbarische Angreifer verteidigen, sind die Unkenrufe verstummt, welche die Wehrpflicht als «alten Zopf» und die damit alimentierten Armeebestände als «Massenheer» verunglimpften. Viele Staaten reaktivieren den «Bürger in Uniform». Schweden holte 2017 die Wehrpflicht (neu nach norwegischem Vorbild) ähnlich schnell wieder hervor, wie sie 2010 ausgesetzt wurde.
Im Schweizer Wehrwesen dauern Verschlechterungen – und Verbesserungen – länger. Zwar bekannte sich die Stimmbevölkerung 2013 vorausschauend und überdeutlich zur Beibehaltung der Militärdienstpflicht (Art. 59 der Bundesverfassung). Bundesbern benötigte aber ein gutes Jahrzehnt, bis nur schon gegen den untragbaren Aderlass aus dem Militär- in den Zivildienst griffige Gegenmassnahmen beschlossen wurden.1 Ebenso lange werden für eine strukturelle Dienstpflichtreform dieselben Modelle immer wieder aufs Neue minutiös geprüft und evaluiert.
Ein Dienstpflichtmodell dient weit mehr als der Alimentierung der Armeebestände. Es entscheidet noch mehr als die Höhe des Armeebudgets darüber, ob ein Staat eine gesunde Balance zwischen Wohlstand und Wehrfähigkeit findet. Bevor die aktuell evaluierten Dienstpflichtmodelle einander gegenübergestellt werden, ist ein Rückblick sowie ein Exkurs in die zeitlosen armeeplanerischen Grundmechanismen angebracht.
Mühen mit einer Reform der Dienstpflicht
Am 20. August 1996 erschien im Auftrag des Bundesrates der Schlussbericht der «Studienkommission zur Prüfung der Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht» (SKAD). Der Bericht stellte für die nächsten 20 Jahre die gründlichste, aber bei Weitem nicht ein-
zige Überlegung für eine strukturelle Reform der Dienstpflicht dar.
Am 9. April 2014 beauftragte der Bundesrat eine von Nationalrat Arthur Loepfe geleitete Studiengruppe «Dienstpflichtsystem» damit, Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten. Die Gruppe Loepfe präsentierte am 15. März 2016 13 Einzelvorschläge und vier neue Modelle (Tabelle 1), von denen sie das «norwegische» präferierte.
Am 28. Juni 2017 befand der Bundesrat von den Loepfe-Modellen die «Sicherheitsdienstpflicht» für «nicht zweckmässig» und eine «Allgemeine Dienstpflicht» als
«nicht tragfähigen Ansatz». Bis 2020 gab er eine nähere Untersuchung der langfristigen Entwicklung der Alimentierung von Armee und Zivilschutz mit qualifizierten Dienstpflichtigen in Auftrag, basierend auf dem «norwegischen Modell». Zwischenzeitlich sollten aus dem Modell «Status quo plus» einzelne Elemente umgesetzt werden. Acht Jahre später zeichnen sich allmählich solche Massnahmen ab.2
Am 30. Juni 2021 erschien der erste Teil des Berichts «Alimentierung von Armee und Zivilschutz», der eine Analyse und kurzfristige Alimentierungsmassnahmen für den Zivilschutz beinhaltete. Am 4. März 2022 erschien Teil 2 «Möglichkeiten zur langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems». Teil 2 analysierte vier Modelle (Tabelle 2). Das Parlament nahm beide Berichte (21.052 und 22.026) zur Kenntnis.
In der von der ASMZ zu den Wahlen 2023 durchgeführten Umfrage bei den Bundeshausfraktionen verteilten sich die Sympa-
Zivilschutz wird mit nicht mehr Militärdiensttauglichen zusätzlich alimentiert
Zivilschutz und Zivildienst zu Katastrophenschutz zusammenlegen
Auch Schweizerinnen dienstpflichtig, Armee und Zivilschutz rekrutieren nur Alimentierungsbedarf
Auch Schweizerinnen dienstpflichtig; Dienstgefäss (fast) frei wählbar
Armee bei Rekrutierung priorisiert; Zivilschutz kann von niedergelassenen Ausländern freiwillig geleistet werden; in allen Gefässen total rund 250 000 Dienstleistende
Tabelle 1: Die vier Dienstpflichtmodelle, welche die Studiengruppe Loepfe 2016 vorstellte.
Tabelle: Studiengruppe Loepfe/ASMZ
«Status quo plus»
Orientierungstag wird auch für Schweizerinnen obligatorisch «Bedarfsorienterte Dienstpflicht»
Praktisch identisch mit dem 2016 vorgeschlagenen «norwegischen Modell» «Sicherheitsdienstpflicht»
Praktisch identische Grundidee wie 2016 «Bürgerdienstpflicht»
Eine Variante mit und eine ohne Wahlfreiheit
Tabelle 2: Die von 2020 bis 2022 evaluierten Dienstpflichtmodelle und ihre wichtigsten Merkmale.
Tabelle: ASMZ
thien zu den Modellvorschlägen wie folgt (ASMZ 09/2023): – Status quo plus* FDP / Mitte / GLP / SVP – Sicherheitsdienstpflicht* FDP / Mitte / SVP – Bedarfsorientierte Dienstpflicht* von keiner Partei präferiert – Bürgerdienstinitiative GLP / für FDP nur als «2. Prio» – Status quo beibehalten Grüne / SP
* Für diese seither vom Bundesrat weiterverfolgten Modelle besteht ausserhalb des bürgerlichen Lagers noch viel politische Überzeugungsarbeit.
Am 3. April 2022 beauftragte der Bundesrat VBS und das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, bis Ende 2024 die Sicherheits- und bedarfsorientierte Dienstpflicht (noch) vertieft(er) zu prüfen. Zu klären seien unter anderem der tatsächliche Bedarf nach mehr Dienstleistungen im Zivilschutz, die Gewährung der Dienstgerechtigkeit und die Anreizsteuerung im bedarfsorientierten Modell sowie die konkreten Kostenfolgen. Die Ausweitung des Orientierungstag-Obligatoriums auf Schweizerinnen dürfte ohnehin kommen. Während der Bundesrat die ihm unterbreiteten Bürgerdienstmodelle ablehnte, kam im Herbst 2023 eine Volksinitiative zustande, welche einen «Service citoyen» einführen möchte. Der Initiativ-
text ist sehr offen formuliert, was keinen direkten Vergleich mit den vom Bundesrat weiter evaluierten Modellen erlaubt.
Kann eine Armee zu viele Soldaten haben?
Streitkräfteplanung ist die ewige Suche nach Balance zwischen Klasse und Masse. Für den Kleinstaat Schweiz bleibt die Frage der Verteidigungsfähigkeit auch im 21. Jahrhundert nicht eine Frage des «ob», sondern des «wie lange». Klar ist, dass grössere Bestände mehr Ablösungen respektive den Ersatz erlittener Verluste erlauben.
Das Armeeleitbild 95 verglich verschiedene Wehrpflichtmodelle mit demselben Finanzrahmen und einem jährlichem Rekrutierungspotenzial von 25 000 Männern. Daraus konnte entweder eine Milizarmee mit bis zu 400 000 Armeeangehörigen, eine «stehende Armee» mit 30 000 plus 120 000 in vier Reservejahrgängen oder eine reine Berufsarmee mit nur 30 000 Angehörigen alimentiert werden.
Auch das Bedrohungsbild und das angestrebte Ausrüstungsniveau entscheiden darüber, wie viele Soldaten benötigt und finanziert werden.
Wie viele Dienstabwesenheiten verträgt die Volkswirtschaft?
Für die Wirtschaft messen sich die Kosten einer auf Wehrpflicht beruhenden Landesverteidigung weniger in Steuermilliarden,
als in den Abwesenheiten der Milizangehörigen – und das in Friedens- und Aktivdienstzeiten. Während der beiden Weltkriege verlief die Mobilisierung hunderttausender Soldaten reibungslos. Da ein Direktangriff auf die Schweiz ausblieb, aber über Jahre latent möglich blieb, musste der Bundesrat regelmässig zwischen militärischen und volkswirtschaftlichen Interessen abwägen. Als noch heute gültige Faustregel kann gelten: Je grösser der militärische Gesamtbestand, auf desto mehr Schultern kann die volkswirtschaftliche Last andauernder Aufgebote verteilt werden.
Ein neues Dienstpflichtsystem sollte nicht bloss politisch vereinbarte Sollbestände alimentieren, sondern eine kriegsnotwendige Mobilisierung des gesamten Personalpools erlauben. Welch enorme Bedeutung die Frage der Wehrgerechtigkeit im Ernstfall hat, lässt sich aktuell in Israel und in der Ukraine beobachten. Man stelle sich vor, 100 000 Schweizer Armeeangehörige müssten wiederholt monatelange Aktivdienste leisten, verstärkt um mehrere Tausend Wiedereinberufene der älteren «Reserve»-Jahrgänge, derweil über 50 000 in den Zivildienst übergetretene Militärdiensttaugliche ihr ziviles Leben fast unbehelligt fortführen.
Die final evaluierten Dienstpflichtmodelle
Der Bundesrat schliesst im Dezember 2024 die Evaluation folgender drei Modelle ab, die im zweiten Teilbericht «Möglichkeiten zur langfristigen Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems» skizziert worden waren:
– «Status quo plus» (obligatorischer Orientierungstag für Frauen): Diese minime Anpassung an die geltende Dienstpflicht wird in diesem Artikel nicht in den Vergleich miteinbezogen. Sie kann als längst überfällige Massnahme beurteilt werden, die auch als Teil eines anderen Reformmodells realisiert werden kann.
– Die Sicherheitsdienstpflicht (fortan mit SiD abgekürzt) sieht die Fusion des heutigen Zivilschutzes und des Zivildienstes in einer neuen Organisation (Katastrophenschutz) vor – wobei dieses Kernelement auch für das zweite Modell erwogen wird.
– Die bedarfsorientierte Dienstpflicht (fortan mit BeD abgekürzt) sieht eine
Junge St. Galler am Rekrutierungstag. Bild: sg.ch
Ausdehnung der Dienstpflicht auf Frauen vor, bei der aber nur so viele Personen rekrutiert werden, wie wirklich gebraucht werden.
Alle Modelle bedürften einer Volksabstimmung zur Revision der Verfassungsartikel 59 und 61. Sie wurden für die Alimentierung der geltenden Sollbestände berechnet und mit der Vorgabe, dass Mannschaftsgrade spätestens zehn Jahre nach der Rekrutenschule wieder aus dem Dienst entlassen werden. Um das Potenzial beider Modelle wirklich auszuloten, wird letztere Vorgabe beim nachfolgenden Vergleich der Modelle bewusst ignoriert. Wenn schon eine echte Reform gewagt wird, darf sie die Last des Militärdienstes (und erst recht eines allfälligen Aktivdienstes) nicht länger nur dem Bevölkerungsteil im Auszugsalter aufbürden. Bei beiden neuen Modellen besteht keine Wahlfreiheit. Die Armee erhält den primären Zugriff auf die Stellungspflichtigen. Als fast einzige Massnahme, um die Militärdiensttauglichen auch in der Armee zu halten, müssten in beiden Modellen die Zivilschutz- respektive Katastrophenschutzangehörigen neu effektiv gleich viele Diensttage leisten wie im Militär. Bei einem Sollbestand von 72 000 Zivilschützern würde sich die jährlich geleistete Zahl Diensttage bei der BeD auf 1,3 Millionen praktisch vervierfachen – ohne erkennbaren sicherheitspolitischen Bedarf. Ob die Zivildienstbestände sich bei der BeD wie vom Bundesrat erhofft halbieren, ist keineswegs sicher. Der für 2017 angegebene Bestand von 60 000 Zivildienstangehörigen generierte 1,7 Millionen Diensttage. In der SiD würden die 125 000 Angehörigen des zusammengelegten Katastrophenschutzes 2,8 Millionen Diensttage generieren. Man darf gespannt sein, ob dem Bundesrat nicht doch eine sinnvollere Massnahme zur Reduktion der Zivildienstübertritte einfällt, als die effektive Diensttaganzahl im zivilen Gefäss künstlich hochzuschrauben.
Die Sicherheitsdienstplicht
Um den Armeebestand möglichst für Schutz- und Verteidigungsaufgaben verwenden zu können, werden die Fähigkeiten Rettung und Spitalpflege in den Katastrophenschutz ausgelagert, in dem auch alle Aufgaben von Zivilschutz und Zivildienst angesiedelt sind. Dafür wird eine allgemeine Grundausbildung von zwei Wochen ab-
DIE HALTUNG DES ARBEITGEBERVERBANDES
Die ASMZ hat die Haltung des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes (SAV) zu den Dienstleistungsmodellen eingeholt. Der SAV war 2022 von den Sicherheitspolitischen Kommissionen zu den Dienstpflichtmodellen angehört worden. Der stellvertretende Ressortleiter Kommunikation Jonas Lehner hat für den SAV geantwortet.
Weshalb gibt der SAV der Sicherheitsdienstpflicht den Vorzug? Und könnte die Wirtschaft auch mit der bedarfsorientierten Dienstpflicht leben?
SAV: Die Wirtschaft braucht ihre Arbeitskräfte. Für den Schweizerischen Arbeitgeberverband ist daher die Verhältnismässigkeit von sicherheitspolitischen Massnahmen zentral, wenn zusätzliche Arbeitskräfte in den Dienst des Staates gestellt werden sollen. Die Sicherheit der Schweiz ist aber unbestrittenermassen wichtig, weshalb auch die Wirtschaft bereit ist, ihren Beitrag dazu zu leisten. Eine zentrale Voraussetzung für die Betriebe ist die Planungssicherheit. Die Sicherheitsdienstpflicht kann dem Aspekt der Planungssicherheit besser Rechnung tragen als die bedarfsorientierte Dienstpflicht. Die Schweizer Wirtschaft als Gesamtes wird auch mit der bedarfsorientierten Dienstpflicht funktionieren. Je nach Ausgestaltung wird diese aber die Problematik des Arbeitskräftemangels verschärfen.
Erkennen Sie als Arbeitgeber einen Sicherheitsgewinn, wenn Angehörige des Zivilschutzes gleich viele Diensttage wie die Armeeangehörigen leisten? Rechtfertigt das die Millionen von Arbeitstagen, die der Wirtschaft verloren gingen? Die Wirtschaft hat ein vitales Interesse an einer stabilen Sicherheitslage und anerkennt, dass hierfür auch der Einbezug der Erwerbsbevölkerung notwendig ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einem sicherheitspolitisch kritischen Personalmangel der Bestand erhöht werden muss. Wir appellieren aber dafür, dass nur so viel Personal rekrutiert wird, wie es zur Erfüllung der sicherheitspolitischen Vorgaben notwendig ist. Der Schweizerische Arbeitgeberverband gibt hierbei zu bedenken, dass es vor dem Hintergrund des stark akzentuierten Arbeitskräftemangels für die Wirtschaft eine schwierige Gratwanderung ist, da die Betriebe grundsätzlich auf jeden Arbeitnehmenden angewiesen sind.
Beide Modelle rechnen mit den heute geltenden Sollbeständen von Armee und Zivilschutz. Wenn aber die Bedrohungslage es erfordert, gäbe es verschiedene Varianten, wie die Milizbestände aufgestockt werden könnten: a) Die geltende Dienstpflicht wird auf zusätzliche Jahrgänge ausgedehnt und b) Wiedereinführung von Altersklassen, vergleichbar dem früheren Auszug und Landwehr. Die älteren Militärmannschaftsgrade würden ihre WKs nicht jährlich à drei Wochen leisten, sondern kürzere WKs in grösseren Intervallen. Die Gesetzeslage sieht bislang nur die Option a) vor. Option b) würde aber grössere Bestände mit weitaus weniger zusätzlichen Diensttagen erlauben. Sollte eine Dienstpflichtreform aus Ihrer Sicht eine Bestandserhöhung auch über die Option b) ermöglichen? Die Wirtschaft ist äusserst heterogen zusammengesetzt. Gewisse Betriebe können sich gut mit verschiedenen Modellen arrangieren, während andere Betriebe grössere Mühe bekunden; beispielsweise, wenn ein Projekt nicht weiter vorangetrieben werden kann, weil wichtige Projektmitarbeitende mit zentralen Kompetenzen oder Arbeitnehmende in Führungs- oder Leitungsfunktionen aufgrund der Dienstpflicht ausfallen. Für die Beurteilung der Dienstpflichtreform müsste ein konkreter Vorschlag vorliegen.
Gibt es für die Arbeitgeber Schmerzgrenzen bei der Neugestaltung der Dienstpflicht – zum Beispiel die Zahl jährlicher Diensttage oder höhere EO-Abzüge –, bei denen der Status quo das kleinere Übel wäre?
Die Schmerzgrenze ist je nach Betrieb unterschiedlich. Der Schweizerische Arbeitgeberverband spricht sich daher grundsätzlich dagegen aus, dass von den Angehörigen der Armee, die ihre Wehrpflicht leisten, weitere Diensttage eingefordert werden. Die Bestandsprobleme der Armee gilt es am Ursprung zu lösen. Dazu gehört, das Zivildienstgesetz zu verschärfen, damit die Zahl der Zivildienstleistenden deutlich reduziert wird und wieder mehr Wehrpflichtige rekrutiert werden können.
solviert, gefolgt von einer achtwöchigen funktionsbezogenen Ausbildung und einer Woche Verbandsausbildung. Leicht geänderte Ausbildungsblöcke sind für die im Gesundheits- und sozialen Bereich eingesetzten Katastrophenschutzangehörigen vorgesehen. Wiederholungskurse werden nach kantonalem Bedarf in individuellen Einsätzen geleistet. In der Armee bleibt es
Vorteile
Armee gibt gewisse Aufgaben an den Katastrophenschutz ab und kann so mehr AdA für Verteidigungsaufgaben verwenden.
Alimentierungsprobleme des Zivilschutzes würden durch Beizug der Zivildienstler gelöst.
Viele Parteien, die Milizverbände und die Wirtschaft bevorzugen dieses Modell.
bei einer Rekrutenschule und sechs Wiederholungskursen. Wer aus Gewissensgründen in den zusammengelegten Katastrophenschutz übertritt, leistet dort – wie heute im Zivildienst – als Tatbeweis 1,5 Mal mehr Diensttage als in der Armee.
Zu überprüfen ist noch, ob diese grosse Zahl Katastrophenschutz-Dienstleistender mit dem Zwangsarbeitsverbot vereinbar ist.
Sicherheitsdienstpflicht
Vorbehalte/ Optimierungspotenzial
Armeesollbestand wird aufgestockt und/ oder um eine 2. Heeresklasse ergänzt.
Spital- und Rettungsformationen könnten durch die Armee ausgebildet werden und bleiben im Auszugsalter dort eingeteilt. Für die restlichen Diensttage werden sie in den Katastrophenschutz umgeteilt.
Es sollte eine zweite Abstimmungsvariante mit Frauendienstpflicht ausgearbeitet werden.
Vor- und Nachteile der Sicherheitsdienstpflicht und Optimierungspotenzial aus Sicht des Autors.
Vorteile
Verdoppelter Rekrutierungspool auf jährlich rund 70 000 Stellungspflichtige erleichtert die Alimentierung.
Gleichberechtigung der Frauen wird um gleiche Dienstpflicht erweitert.
Bedarfsorientierte Dienstpflicht
Vorbehalte/ Optimierungspotenzial
Armeesollbestand wird aufgestockt und/ oder um eine 2. Heeresklasse ergänzt.
Die Bevölkerung muss von der Notwendigkeit einer Dienstpflicht für Frauen überzeugt werden.
Anrecht auf sichergestellte Kinderbetreuung während Dienstabwesenheit.
Der Zivilschutz muss aufgewertet werden.
Übertritt in den Zivildienst muss deutlich erschwert werden.
Vervielfachte Wehrpflichtersatzeinnahmen müssen der Armee zufliessen, zum Beispiel für die Finanzierung von Kinderbetreuung für Dienstleistende.
Die Kantone müssten für deren Führung, Ausbildung, Ausrüstung sowie die aus der Armee ausgelagerten Funktionen etc. Mehrkosten gewärtigen.
Die bedarfsorientierte Dienstpflicht
Bei der BeD würde nur rund die Hälfte der stellungspflichtigen Frauen und Männer re-
Nachteile
Die Alimentierungsproblematik wird durch eine neue Aufgaben- und Bestandesaufteilung zwischen Armee und Zivilschutz kaum gelöst.
Risiko, dass zusätzliche Katastrophenschutz-Diensttage für nicht sicherheitsrelevante Aufgaben geleistet werden.
Überführung des nationalen Zivildienstes in den kantonalen Katastrophenschutz hat viele «Teufel im Detail».
Das Potenzial der Frauen wird weiterhin kaum ausgeschöpft.
Nachteile
Ein der Schweiz fremdes Staatsverständnis. Denn bisher hat jeder taugliche Bürger das Anrecht, vom Staat für die Verteidigung seines Landes befähigt zu werden. Neu wählt der Staat aus, wer nicht nur tauglich, sondern auch «würdig» ist, Dienst zu leisten.
Das Modell taugt eher für die Alimentierung von Bündnisarmeen als für eine Milizarmee, die für die Verteidigung des Staatsgebiets möglichst alle Diensttauglichen mobilisieren können muss.
Risiko, dass zusätzliche ZivilschutzDiensttage für nicht sicherheitsrelevante Aufgaben geleistet werden.
Tabelle: Fritz Kälin
krutiert. Im Zivilschutz müssen effektiv gleich viele Tage geleistet werden wie in der Armee. Der Bundesrat geht in diesem Modell von einer Halbierung der Zivildienstgesuche aus, weil diese nur von den effektiv zum Militärdienst Herangezogenen gestellt werden können. Rekrutiert würden vorwiegend Taugliche, die sich auch als «willig» outen, Militärdienst zu leisten. Basierend auf den Erfahrungen in Norwegen erwartet der Bundesrat einen kompetitiven Anreizfaktor unter den Stellungspflichtigen, «zu den für den Militärdienst Ausgewählten zu gehören». Als negativer Anreiz sollen (diensttaugliche) Nichtrekrutierte Wehrpflichtersatzabgaben leisten. Es existieren viele Ideen für positive Anreize (höhere EO, steuerliche Erleichterung, Zulagen, Zertifizierungen), die aber nicht alle leicht realisierbar sind.
Die verdoppelte Zahl Stellungspflichtiger und der steigende Frauenanteil wird Mehrkosten bei der Infrastruktur zur Folge haben. Dafür sollten die Zivildienstaufwendungen sinken. Stark steigen würden die Einnahmen des Bundes aus der Wehrpflichtersatzabgabe.
Eine Milizarmee kann nicht zu viele Soldaten haben, weil alle, die gerade nicht gebraucht werden, ihren zivilen Lebensauf-
gaben nachgehen. Darum sagen Bundesverfassung und Militärgesetz unmissverständlich, dass jeder Schweizer militärdienstpflichtig ist. Sollte diese Pflicht auch auf die Schweizerinnen ausgeweitet werden, gilt das Folgende umso mehr: Wer dienstpflichtig ist, hat ein Anrecht darauf, vom Staat zur Erfüllung dieser Pflicht adäquat ausgebildet und ausgerüstet zu werden. Die Erfahrung früherer Aktivdienste hat es klar gezeigt, dass die notwendige Grösse einer Milizarmee sich daran bemessen muss, ausreichend grosse Teilaufgebote einander ablösend aufzubieten.
Mit der BeD würden nur so viele Schweizer und Schweizerinnen eingezogen wie für die Alimentierung des Friedensbestands ge-
rade nötig. Ausserdem würden kaum noch die Männer eingezogen, die der Institution Militär kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Linksgrün wählende Stadtbewohner würden in der Schweizer Armee wohl innert Jahren zu einer verschwindenden Minderheit. Trotz Frauendienstpflicht könnte sich die Milizarmee in ihrer Zusammensetzung stärker als bisher von der Gesamtbevölkerung entfremden, aus der sie sich rekrutiert. Befürworter wie Gegner einer starken Landesverteidigung sollten sich zweimal überlegen, ob sich die Milizarmee mit einer BeD schleichend in eine Freiwilligenarmee verwandeln soll. Ein weiterer Nachteil ist, dass viele Militärdiensttaugliche nie eingezogen werden. In einem existenziellen Ver-
UND DIE FRAUEN?
Bei neun bis zehn Millionen Einwohnern erscheint ein Sollbestand von 72 000 Zivilschutzangehörigen kaum als «kriegsgenügend». Wieso verfolgt der Zivilschutz nicht wie die Armee das Ziel eines Frauenanteils von 10 % bis 2030? Je mehr Männer und Frauen in Armee und Zivilschutz Dienst leisten, desto sicherer ist das Land für alle. Auf je mehr «uniformierte» Schultern die Last verteilt werden kann, desto durchhaltefähiger, gerechter und volkswirtschaftlich verträglicher schützt die Dienstpflicht das Land im Frieden wie im Aktivdienst.
Weibliche Zivilschutzkader – ein noch viel zu wenig ausgeschöpftes Potenzial. Bild: BABS
teidigungskampf könnten sie nicht rechtzeitig nachrekrutiert werden oder müssten – wie in der Ukraine – völlig unzureichend ausgebildet in den Kampf geworfen werden. Eine komplette Rekrutenschule sowie regelmässige WKs und Schiesstrainings sind eben nicht nur eine Last, sondern der Mindeststandard, die der Staat seinen Militärdienstpflichtigen zur Erfüllung ihrer Pflicht bieten muss.
Ideale Kombination zu einer Lebensdienstzeit
Im Direktvergleich überwiegen die Vorteile der Sicherheitsdienstpflicht. Sie geniesst grösseren Rückhalt in Politik und Wirtschaft. Beide neuen Modelle haben aber denselben Pferdefuss, dass sie Millionen zusätzlicher Diensttage im Zivil- respektive Katastrophenschutz generieren würden und keine konsequente Wiedereinführung von Altersklassen vorsehen. Statt beim zivilen Gefäss dieselbe Anzahl effektiver Diensttage durchzudrücken, wäre es besser, eine Lebensdienstzeit einzuführen. Rund 250 Diensttage, die innert 20 Jahren zu leisten sind – mit entsprechend gleich lang geltender Ersatzpflicht. Da der Militärdienst zwangsläufig schneller mehr Diensttage generiert, hätten die Stellungspflichtigen einen Anreiz, (zuerst) Militärdienst zu leisten. In späteren Lebensphasen können sie je nach ihrer persönlichen Eignung zur Alimentierung der leichten und Unterstützungstruppen, von Spezialistenfunktionen oder des Katastrophenschutzes weiterverwendet werden.
Der zweite Alimentierungsbericht erwägt, auch beim BeD-Modell Zivilschutz und -dienst zum Katastrophenschutz zusammenzulegen. Dabei hätte eine Modellkombination noch viel mehr Potenzial. Wieso nicht die mittleren und schweren Kräfte, die Luftwaffe und die Spezialistenfunktionen gemäss BeD alimentieren, den Rest via SiD? Teure Ausrüstung für schwere und mittlere Manöververbände will sich die Schweizer Politik auch künftig nur für weniger als die zehn dienstpflichtigen Jahrgänge leisten. Es bestehen aber schon Überlegungen, um die Ausbildungsdauer für weniger anspruchsvolle Funktionen zu senken, respektive diese mit älteren oder eingeschränkt Diensttauglichen zu alimentieren. So ein kombiniertes Modell könnte dafür in zwei Varianten ohne und mit Dienstpflicht für Frauen unterbreitet werden. Bei Frauendienstpflicht wäre anzustreben, die
Anzahl obligatorischer Diensttage pro Kopf zu senken und für (noch) mehr Durchlässigkeit zwischen den Gefässen zu sorgen. Damit würde die wirklich notwendige Reform der Dienstpflicht nicht von der politischen Mehrheitsfähigkeit einer Frauendienstpflicht abhängig. Das gäbe der Stimmbevölkerung die Gelegenheit, diese beiden für die Zukunft des Landes bedeutsamen Richtungsentscheide voneinander getrennt zu fällen.
Zusammengefasst würde ein zeitgemässes Dienstpflichtsystem umfassen: – Grössere Bestände zu volkswirtschaftlich tragbaren Kosten ermöglichen durch Streckung der Dienstpflicht auf mehr Jahrgänge mittels Wiedereinführung von Altersklassen (bis hin zur Schaffung einer Lebensdienstpflicht).
– Je mehr Milizangehörige insgesamt rekrutiert und in den Dienstgefässen System gehalten werden, desto geringer kann und muss die individuelle Dienstbelastung ausfallen.
– Mehr Durchlässigkeit zwischen den Gefässen: Die junge Generation will sich genau wie im Berufsleben auch «im Dienst» ihren Fähigkeiten entsprechend entwickeln können, statt am Rekrutierungstag einen einmaligen Schicksalsentscheid für rund 250 Tage ihres Erwachsenenlebens entgegenzunehmen.
– Ausländern (mit C-Bewilligung) eine freiwillige (natürlich unbewaffnete) Dienstleistung zugunsten der nationa-
–
len Sicherheit anreizbasiert ermöglichen.
Über eine strukturelle Dienstpflichtreform und die Grundsatzfrage einer allfälligen Frauendienstpflicht muss die Stimmbevölkerung getrennt voneinander abstimmen können.
– Tätigkeiten in sicherheitsrelevanten Berufen und Milizfunktionen (zum Beispiel Angehörige von Führungsstäben, (Miliz-)Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienst etc.) könnten als freiwilliger «Bürgerdienst» angerechnet und mit einer reduzierten regulären Dienstleistungspflicht belohnt werden.
1 2023 überwies das Parlament die SVP-Fraktionsmotion 22.3055 an den Bundesrat, welche einen Teil der Massnahmen der 2019 gescheiterten Zivildienstgesetzänderung (19.020) beinhaltet.
2 Am 8. Mai 2024 verabschiedete der Bundesrat eine zweiteilige Teilrevision des Bevölkerungsund Zivilschutzgesetzes zuhanden des Parlaments. Die Schutzdienstpflicht würde darin auf Zivildienst- und (bestimmte) Militärdienstpflichtige ausgeweitet.
Fritz Kälin Redaktor
ASMZ
fritz.kaelin@asmz.ch 8840 Einsiedeln
Nur mit den Jahrgängen des «Auszugs» lässt sich das Land nicht verteidigen: hier im Bild ein Zürcher Entlassungsdetachement. Bild: zh.ch
Di – Sa 13 –17 Uhr, So 10 –17 Uhr
Die Ausstellung wird unterstützt von:
«Das Team Kampf wird deutlich bevorzugt»
Bei den Stellungspflichtigen haben die Kampftruppen den höchsten Beliebtheitsgrad. Doch das Problem der vielen Abgänge von Armeeangehörigen in den Zivildienst ist weiterhin akut, wie Brigadier Markus Rihs, Chef Personelles der Armee, festhält.
Interview Christian Brändli
Seit Jahren plagen die Armee – und den Zivilschutz – Alimentierungsprobleme. Insbesondere die Abgänge in den Zivildienst und solche aus medizinischen Gründen bereiten Sorgen. Brigadier Markus Rihs setzt sich als Chef Personelles der Armee mit diesen Fragen seit Mitte 2018 intensiv auseinander. Regelmässig werden Armeeauszählungen (ARMA) publiziert, in denen die Bestände und deren Entwicklung aufgelistet werden. Die ARMA 2024 ist aktuell noch in Erstellung und die Detailauswertungen am Entstehen. Deshalb wird für das folgende Interview auf der letzten publizierten Arma, jener von 2022, basiert. So viel lässt sich aber bereits sagen: Die Problematik mit den Abgängen hat sich noch etwas zugespitzt. Damals wurde von bis zu 11 000 militärdienstpflichtigen Personen berichtet, die die Armee vor ihrer ordentlichen Entlassung verlassen, vor allem wegen einem Wechsel in den Zivildienst und aus medizinischen Gründen.
Wenn wir die Abgänge in den Zivildienst vor der RS nach Truppengattung anschauen, fällt auf, dass der Prozentsatz besonders hoch ist bei den Führungsunterstützungs-, den Logistik- und den Sanitätstruppen. Wie ist das zu erklären?
Markus Rihs: Stellungspflichtige, die anlässlich der Rekrutierung die Absicht oder Gedanken zum Zivildienst äussern, werden oft in helfende oder unterstützende Funktionen zugeteilt. Dies erlaubt, einige von ihnen von einem Übertritt abzuhalten. Wenn ein Stellungspflichtiger einen möglichen Gewissenskonflikt erwähnt, wird er selten in eine Kampffunktion zugeteilt. Dadurch lässt sich das Bild der Abgänge erklären.
«Wann sich der Effektivbestand wieder dem gesetzlichen Maximum annähert, ist schwierig zu prognostizieren.»
Brigadier Markus Rihs
Der Bundesrat hat im März dieses Jahres eine Vernehmlassung zu sechs Massnahmen eröffnet, mit denen die Abgänge in den Zivildienst reduziert werden sollen. Gerechnet wird, dass mit diesen Massnahmen die Abgänge aus der Armee auf rund 4000 Personen pro Jahr gesenkt werden können. Sofern das tatsächlich eintrifft, bis wann könnte dann der Effektivbestand von 140 000 Armeeangehörigen noch erreicht werden? Jetzt heisst es, dass dieser ab 2030 nicht mehr erreicht würde.
Da möchte ich zuerst etwas ausholen. Heute übertrifft der Effektivbestand die gesetzliche Vorgabe um rund 5 Prozent. Der
Effektivbestand der Armee ist in der Verordnung über die Armeeorganisation geregelt und beträgt höchstens 140 000 in Formationen der Armee eingeteilte Militärdienstpflichtige. Mit der WEA wurde die Militärdienstpflicht abgestuft gesenkt, damit ein Effektivbestand von 140 000 AdA ab dem Start im Jahr 2018 sichergestellt werden konnte. Konkret sind bis 2028 zwei Jahrgänge zusätzlich eingeteilt gegenüber der nun geltenden Vorgabe von einer einheitlichen Dienstdauer von zehn Jahren. Als Folge davon bleibt der prognostizierte Effektivbestand bis und mit 2027 weiterhin über der gesetzlichen Vorgabe. Wenn die zwei zusätzlichen Jahrgänge ausscheiden, wird der Effektivbestand 2028 und 2029 absinken und 140 000 deutlich unterschreiten. Wann sich der Effektivbestand wieder dem gesetzlichen Maximum annähert, ist schwierig zu prognostizieren. Werden stark vereinfachende Erfahrungswerte der letzten Jahre bei den Abgängen, die Beteiligung der Frauen und demografische Szenarien berücksichtigt, dürfte es – unveränderte Rahmenbedingungen vorausgesetzt – ungefähr im Jahr 2040 so weit sein. Wenn die Revision des Zivildienstgesetzes die erwünschte Wirkung zeigt und die Zivildienstübertritte tatsächlich um rund ein Drittel reduziert werden, erreicht der Effektivbestand entsprechend bereits früher wieder die maximale Vorgabe. Ohne den Umsetzungszeitpunkt der Revision zu kennen und ohne eine vertieftere Analyse allfälliger weiterer Effekte ist im Moment keine genauere Vorhersage möglich.
Um den aktuellen Sollbestand von 100 000 AdA zu gewährleisten, wird ein Effektivbestand von 140 000 Personen benötigt. Wie setzt sich rechnerisch dieses Delta zusammen oder anders ausgedrückt: Aus welchen Gründen wird damit gerechnet, dass jeweils wie viele AdA im Mobilmachungsfall nicht zur Verfügung stehen?
Der Faktor 1,4 wurde aufgrund von Annahmen und Erfahrungen zum Einrückungsverhalten festgelegt. Dienstpflichtige können aus verschiedensten Gründen wie medizinischen oder beruflichen dem Aufgebot nicht Folge leisten. Die Assistenzeinsätze im Rahmen der Covid19-Pandemie in den Jahren 2021 und 2022 bieten sich für eine Überprüfung der Annahmen an. Betrachtet man die Diensterfüllungsquoten der drei Einsätze im Rah-
Brigadier Markus Rihs führt das Personelle der Armee. Bild: Nique Nager, VBS
men des Assistenzdienstes während der Covid-19-Pandemie, zeigen sich unterschiedliche Quoten zwischen 51 und 87 Prozent. Umgerechnet resultieren für Aufgebote Faktoren zwischen 1,2 und 2,0, was uns in unseren Annahmen bestärkt.
Wenn der Sollbestand auf 120 000 AdA erhöht würde: Wie gross müsste der Effektivbestand sein, um diesen Sollbestand zu gewährleisten?
Rechnet man weiterhin mit einem Bedarf von 140 Prozent, um den Sollbestand zu erfüllen, müsste die gesetzliche Vorgabe für den Effektivbestand 168 000 betragen.
«Mit der aktuellen Anzahl an Ausbildungsdienstpflichtigen haben die WK einen durchschnittlichen Bestand von unter 80 Prozent, was eine qualitativ hochstehende Ausbildung erschwert.»
Brigadier Markus Rihs
Die Truppe kämpft mit zu tiefen Beständen in den FDT. Würde ein Effektivbestand von 140 000 AdA theoretisch ausreichen, um eine Vollbesetzung in den WKs zu gewährleisten oder wie hoch wäre der rechnerische Prozentsatz des Sollbestandes?
In dieser Fragestellung ist der Effektivbestand nicht die einzig relevante Grösse, sondern die Anzahl AdA mit Ausbildungsdienstpflicht, das heisst mit noch zu leistenden Diensttagen ist entscheidend. Mit der mehrjährigen durchschnittlichen Diensterfüllungsquote von rund 75 Prozent müsste 1,3-mal die Anzahl der benötigten Armeeangehörigen aufgeboten werden können, basierend auf dem Dienstleistungsmodell von sechs WKs in neun Jahren. Theoretisch reicht ein Bestand von 140 000, allerdings müssten praktisch alle diese Armeeangehörigen noch ausbildungsdienstpflichtig sein. Die «Alimentierung 2» ist hier die relevante Kennziffer und bezeichnet das Verhältnis von Sollbestand zu Ausbildungsdienstpflichtigen. Einem Sollbestand von 100 000 stehen aktu-
ell 104 168 Personen mit Ausbildungsdienstpflicht gegenüber. Nochmals, mit der oben erwähnten Diensterfüllungsquote und der aktuellen Anzahl an Ausbildungsdienstpflichtigen haben die Wiederholungskurse einen durchschnittlichen Bestand von unter 80 Prozent, was eine qualitativ hochstehende Ausbildung erschwert.
Was kann dafür unternommen werden, dass die Bestände der FDT in den Formationen der Armee über 80 Prozent zu liegen kommen?
Es gilt die Anzahl der Ausbildungsdienstpflichtigen zu erhöhen, und dies können wir nur mit einer Reduktion der vorzeitigen Abgänge erreichen. Die über 11 000 Angehörigen, die jährlich vorzeitig aus der Militärdienstpflicht ausscheiden, sind beinahe ausnahmslos noch ausbildungsdienstpflichtig. Die Zahl der Militärdiensttauglichen anlässlich der Rekrutierung sowie die Anzahl der Rekruten, die eine Ausbildung in einer der Rekrutenschulen starten, reichen aus. Es muss gelingen, diese Angehörigen der Armee bis zur Erfüllung der gesamten Dienstleistungspflicht im System zu halten.
Hat sich seit der Armeeauszählung 2022 die Zahl Formationen Einsatzverbände mit Kompetenzerhalt Verteidigung vergrössert?
Nein, sie ist im 2023 gleichgeblieben. Für die Revision der Armeeorganisation per 1. Januar 2026 sind Anpassungen bei der Struktur und der Anzahl der Truppenkörper geplant. Dies mit der Zielsetzung, die Verteidigungsfähigkeit zu stärken.
Bei der Alimentierung der Truppenkörper fällt auf, dass es vor allem bei der Fliegerabwehr und der Führungsunterstützung Lücken gibt. Was sind die Gründe dafür?
Die Gründe sind unterschiedlicher Natur. Bei den Flab-Truppen wurden in den letzten Jahren Systeme ausser Dienst gestellt und dadurch auch nicht mehr in den Grundausbildungsdiensten ausgebildet. Mit der Zusammenlegung einzelner Formationen hat sich der Effektivbestand zwar verbessert, der Bestand an Ausbildungsdienstpflichtigen ist jedoch eher tief. Die Formationen der Führungsunterstützung weisen aktuell hohe Abgänge in den Zivildienst aus.
Welche Möglichkeiten hat ein Militärdienstpflichtiger, sich bei der Rekrutierung gegen eine ihm missfallende Zuteilung zu wehren?
Anlässlich des Zuteilungsgesprächs am Ende der Rekrutierung werden dem Stellungspflichtigen seine Resultate präsentiert und mit ihm beurteilt. Mögliche Rekrutierungsfunktionen werden direkt mit ihm besprochen, wobei er sich aktiv miteinbringen kann. Schlussendlich ist der Bedarf der Armee zu priorisieren und somit gibt es keinen Anspruch auf eine vom Stellungspflichtigen gewünschte Zuteilung. Das Kommando Rekrutierung kann eine Neubeurteilung und eine Neuzuteilung in eine andere Rekrutierungsfunktion vornehmen, falls sich während der Grundausbildung herausstellt, dass der betroffene Angehörige der Armee für die zugeteilte Funktion nicht geeignet ist.
Die Kampftruppen zeigen wenig Rekrutierungsprobleme. Bild: VBS
Wie sieht die Beliebtheitsskala bei den Zuteilungswünschen aus?
Die aktuelle Methodik der Rekrutierungsvorbereitung sieht vor, dass die Stellungspflichtigen lediglich mit einem Wunschteam – Hilfe, Unterstützung, Technik und Kampf – und keinen konkreten Wunschfunktionen an die Rekrutierung kommen. Die letzten Ergebnisse haben gezeigt, dass das Team Kampf deutlich bevorzugt wird.
2022 war es besonders schwierig, die Positionen ABC-Offizier, Instandhaltungsoffizier, Arzt und Übermittlungsoffizier in den Stäben der Bataillone und Abteilungen zu besetzen. Wie lassen sich solche Lücken schliessen?
Hier muss besonderes Augenmerk auf eine sorgfältige Kadernachwuchsplanung gelegt werden. Diese Aufgabe obliegt den Grossen Verbänden.
In welchen Positionen kommen die meisten Fachoffiziere zum Einsatz?
Fachoffiziere können auf alle Offiziersfunktionen eingeteilt werden, welche nicht mit einem ausgebildeten Offizier besetzt werden konnten. Sie werden aktuell vor allem als Fachspezialisten, beispielsweise in der Kommunikation, in den Stäben der Grossen Verbände oder der DU CdA eingesetzt.
«Nein, das ‹Weitermachen› wird nicht zu stark forciert.»
Brigadier Markus Rihs
Bei den Unteroffizieren gibt es eine hohe Überalimentierung. Dies wirkt sich auf die Bestände an Soldaten aus, die zu tief sind. Wird das «Weitermachen» zu stark forciert?
Grundsätzlich gewinnen wir die Besten für eine Weiterausbildung zum Unteroffizier. In den letzten Jahren wurde der Mehrwert einer Weiterausbildung mittels Informationen vermehrt aufgezeigt. Die hohe Anzahl an Unteroffiziersvorschlägen, welche auch das Potenzial an zukünftigen höheren Unteroffizieren und Offizieren bilden, ist grundsätzlich ein Erfolg. Gleichzeitig gilt es Vorschläge für die Kaderausbildung bedürfnisorientiert zu erteilen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundausbildungsdienst ebenfalls Kader
für die Ausbildung der jungen Bürgerinnen und Bürger in Uniform benötigt.
Konkret auf die Frage: Nein, das «Weitermachen» wird nicht zu stark forciert. Wir sind jedoch gefordert, die Vorgaben umzusetzen und gleichzeitig eine erfolgreiche Grundausbildung mit genügend Unteroffizieren zu ermöglichen.
Wie erklären Sie sich die tiefen Tauglichkeitsquoten von ländlichen Kantonen wie dem Wallis und Neuenburg? Und weshalb haben Obwalden und Uri so hohe Quoten?
Die Tauglichkeitsentscheide obliegen ausschliesslich der Sanität, welche wiederum durch das «Nosologia Militaris» klare Vorgaben haben. Das Personelle der Armee kann dazu keine Analyse vornehmen.
Hat der Angriff Russlands auf die Ukraine vor gut zwei Jahren irgendeinen Einfluss auf die Entwicklung der Zahl der Armeeangehörigen gehabt?
Die allgemeine sicherheitspolitische Lage wird von den jungen Stellungspflichtigen durchaus wahrgenommen. Bei meinen Gesprächen in den Rekrutierungszentren zeichnet sich ab, dass der Wert der Sicherheit und die Notwendigkeit einer verteidigungsfähigen Armee als wichtig erachtet wird. In den letzten zwei Jahren ist dabei der Krieg im Osten Europas durchaus spürbar. Die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer gut ausgerüsteten und voll alimentierten Armee hat aber nicht zwingend einen direkten Zusammenhang mit der Bereitschaft, einen persönlichen Beitrag zum Gelingen beizutragen.
Der Nachwuchsbedarf der höheren Kader hat sich in den letzten Jahren stetig verbessert. Lässt sich daraus schliessen, dass sich in einer verkleinerten Armee auch die Zahl der Motivierten erhöht hat? Oder anders gesagt: Wer keinen Militärdienst leisten will, kommt besser weg, da er ohnehin nicht so benötigt wird?
Der Nachwuchsbedarf an höheren Kadern leitet sich direkt aus der Armeeorganisation ab. In den Gradgruppen Unteroffizier, höherer Unteroffizier und Subalternoffizier weisen wir Überbestände aus. Es fehlen aber vor allem Stabsoffiziere in den Truppenkörpern. Die Vereinbarkeit von Beruf und Militär wird in diesem Segment zu einer Herausforderung. Die Bereitschaft der Kader, Dienst zu leisten, ist unverändert hoch, das
berufliche und private Umfeld schränkt jedoch ab einer gewissen Funktionsstufe ein.
«Das Ziel, den Anteil der weiblichen AdA auf 10 Prozent zu steigern, wird ohne Einführung eines obligatorischen Orientierungstages nicht
erreichbar sein.»
Brigadier Markus Rihs
Das Ziel wäre es, bis 2030 den Anteil der weiblichen AdA auf 10 Prozent zu steigern. Wie hoch wird der Frauenanteil realistischerweise bis zu jenem Zeitpunkt sein?
In den letzten vier Jahren konnte der Frauenbestand beinahe verdoppelt werden. Dies gelang durch einen besonderen Einsatz bei den Kantonen und der Rekrutierung. Wir stellen fest, dass die vorzeitige Abgangsquote bei den Frauen deutlich tiefer und gleichzeitig der Anteil Frauen mit einer Kaderausbildung höher liegt als bei Männern. Die Tendenz heute zeigt aber, dass die Anzahl Teilnehmerinnen an den Orientierungstagen der Kantone stagniert. Dies wird wohl dazu führen, dass die Anzahl Frauen an der Rekrutierung und in den Rekrutenschulen in den nächsten Jahren nicht weiter steigt.
Das Ziel, den Anteil der weiblichen AdA auf 10 Prozent zu steigern, wird ohne Einführung eines obligatorischen Orientierungstages nicht erreichbar sein. Es wäre wichtig, mehr Frauen für den Militärdienst zu gewinnen. Es geht nicht primär darum, die Alimentierungsprobleme der Armee durch mehr freiwillig Dienst leistende Frauen zu entschärfen oder zu lösen. Ihr freiwilliger Beitrag verbessert einerseits eine angemessenere gesellschaftliche Repräsentation und kommt der Vielfalt generell zugute. Andererseits ist von Bedeutung, dass die Armee aus einem grösseren Pool die geeignetste Person auswählen kann.
Major a D
Christian Brändli Chefredaktor ASMZ christian.braendli@asmz.ch 8607 Seegräben
«Komplexität kriegen wir nicht mit Eindeutigkeit in den Griff»
Das geopolitische und geoökonomische Gravitationszentrum verschiebt sich vom Westen hin zu aufstrebenden Mächten vor allem in Asien. Der Politikberater Remo Reginold sieht eine Schweiz, die Mühe hat mit neuen Entwicklungen und Strategien.
Interview Dieter Kläy
Das Swiss Institute for Global Affairs (Siga) betreibt und fördert interdisziplinäre Forschung zu geo- und sicherheitspolitischen Themen. Die Politikwissenschaftliche Beratung Schweiz GmbH hat deren Geschäftsführung inne. Der Politikberater Remo Reginold ist deren Co-Leiter. Er berät Regierungen und exponierte öffentliche Unternehmen. Inhaltliche Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Geo- und Sicherheitspolitik, Forschungs- und Bildungspolitik sowie Staatspolitik. Reginold studierte Politikwissenschaften, Philosophie und Theologie und forschte in Frankreich, Grossbitannien und den USA. Aktuell ist er Lehrbeauftragter an der Universität Basel.
Die Welt ist im Umbruch. Erleben wir gerade eine Zeitenwende? Remo Reginold: Das kommt auf den Standpunkt der Betrachtung an. Für gewisse war die Welt immer schon im Umbruch und für andere fallen erst jetzt langgehegte Gewissheiten weg. Aber ja, aus einer westlicheuropäischen Perspektive hat sich in den letzten zehn Jahren einiges im politischen und ökonomischen Selbstverständnis verändert, und wird sich wahrscheinlich weiter verändern. Eine zunehmend schnelllebige, komplexe und vor allem mehrdeutige Welt bricht Gewissheiten auf und entsprechende Strukturen stossen an ihre Grenzen. Ich finde die Rede von einem neuen Kalten Krieg verfehlt. Es geht nicht um zwei Weltvorstellungen, die im Wettkampf stehen, sondern um multiple Verflechtungen, wo Lagerbildungen gar nicht möglich sind. Diese Verflechtungen lesen zu können, ist nicht einfach, aber umso wichtiger, wenn man die aktuellen geopolitischen Entwicklungen verstehen und Antworten darauf finden will.
Wohin könnte die Reise gehen?
Eine stetige Verschiebung des geopolitischen und geoökonomischen Gravitations-
zentrums vom sogenannten Westen hin zu neuen aufstrebenden Mächten, vor allem in Asien, ist zu beobachten. Bis 2050 wird China die Weltpolitik massgeblich mitbestimmen wollen, so seine Ambition. Indien fährt ebenfalls eine zivilisatorische Geopolitik. Es geht aber nicht darum, dass Peking oder Neu-Delhi als neue Weltpolizisten auftreten wollen, sondern es geht vielmehr darum, dass sie sich in einem vielfältigen Geflecht von Institutionen und Gruppierungen zusammen mit anderen Nationen in eine vorteilhafte Position bringen und die weltpolitische Konstellation so designen, dass ihre Handlungs- und Gestaltungsfreiheit gesichert ist. Dies könnte man als Ecosphären-Diplomatie bezeichnen. Dies ist eine Form von Strategie, wo es nicht per se klare Spielregeln und Rollen gibt, sondern wo Nationen zeitgleich Partner, Mitbewerber und Gegner sein können. Die BRICS1-Konstellation ist ein solches Setting, wo diese Multioptionalität getestet wird. Diese indirekten und ambigen Dominanzen werden die Welt zukünftig prägen. Da gibt es nicht mehr die klaren Linien, sondern vielmehr Graubereiche, die aber umso strategischer verfolgt werden.
«Dies ist eine Form von Strategie, wo Nationen zeitgleich Partner, Mitbewerber und Gegner sein können.»
Remo Reginold
Derzeit erweitert sich dieses BRICS-Netzwerk. Welche Konsequenzen hat das für die weltpolitische Lage und speziell für Europa?
Für Europa bedeutet dies vor allem verstehen zu lernen, dass es politische, militärische, technologische, wirtschaftliche, aber
auch kulturelle Netzwerkbildungen gibt, die neue Abhängigkeiten schaffen werden. Es braucht in Europa – gerade auch bei den Verwaltungen – interdisziplinäres und interinstitutionelles Denken und Handeln. In diese agile Haltung müssen wir uns einüben, wenn wir mittel- und langfristig in der Weltpolitik als aktiver Akteur mitwirken wollen. Das BRICS-Netzwerk ist ein loses Konstrukt, das aber narrativ schon äusserst wirkungsmächtig agiert und mit kleinen Schritten eine Strategie verfolgt, den Westen herauszufordern. Es schafft beispielsweise den Spagat, einerseits alternative globale Institutionen aufzubauen, andererseits die bestehenden zu beeinflussen. Gerne rufe ich in Erinnerung, dass das BRICS-Netzwerk nach wie vor eine informelle Gruppierung ist. Dies zeigt, dass diese Länder die Agenda setzen und favorable Konstellationen gestalten können, inklusive der Tatsache, dass wir in diesem ASMZ-Interview über diese Gruppierung sprechen.
China führt zunehmend in sogenannten kritischen Technologien. Worum geht es genau und was könnten die Folgen für uns sein?
Zu diesen zähle ich die 5G-Technologie, den Bereich der sogenannten künstlichen Intelligenz, Quantencomputer, Robotik, aber auch die Weltraumforschung. Wenn wir die 5G-Technologie als Beispiel nehmen, dann können Smart-City-Projekte oder Internetof-Things-Anwendungen nur mittels eines 5G-Netzwerkes überhaupt ermöglicht werden. Hier ist China absolut führend. Damit
Remo Reginold ist Co-Direktor des Swiss Institute for Global Affairs. Bild: PD
setzt es die Standards und technische Normen, was wiederum auch Wertvorstellungen projizieren kann. Dadurch schafft China Abhängigkeiten, von denen Anwender und andere Nationen kaum mehr wegkommen –oder nur unter sehr grossen Kosten.
Welche geostrategischen Trends lassen sich sonst noch ablesen?
Der Weltraum wird zunehmend als aktive Interessensphäre wahrgenommen. Es geht um Hoheitsrechte für Satelliten, Rohstoffabbau, Technologieführerschaft und juristische Deutungshoheit. Weiter werden geopolitisch eher unbedeutende Themen wie Sport oder Kultur für Interessenpolitik genutzt. In all diesen Themengebieten geht es darum, Deutungshoheiten aufzubauen und so eine geografische Region – auch im virtuellen Sinn – zu beeinflussen, ohne dass man auf klassische militärische Gewalt zurückgreifen muss.
Was charakterisiert Ihre Methode der strategischen Lagebeurteilung besonders?
Beim Swiss Institute for Global Affairs geht es uns um ganzheitliche Interpretationslinien und Deutungszusammenhänge. Dabei spielen Konzepte und Methoden aus Geistes- und Sozialwissenschaften eine zentrale Rolle. Text erklärende Interpretationen, Explorationen, sozialanthropologische und linguistische Methoden, aber auch semiotische oder Mapping-Techniken helfen, komplexe und interdependente Sachverhalte aufzulösen. Man kann dies vielleicht mit ‹Geopolitik von unten› umschreiben oder auch mit den aus dem angelsächsischen Raum geprägten ‹area studies› vergleichen.
Wie unterscheiden sie sich von den herkömmlichen Lagebeschreibungen?
Gerne werden in den internationalen Beziehungen und in den Politikwissenschaften einseitig rationalistische Deutungsschemen und quantitative Methoden betont. Wir versuchen hier als Gegenpol Mehrebenen- und Kontextanalysen zu liefern. Dazu gehören historische und sprachliche Fähigkeiten, aber auch Akteure in ihren Netzwerken lesen zu können. Gerade in Disziplinen wie Literatur- und Kunstwissenschaften, Urbanistik, Technologiestudien, Theologie, Geografie oder Sozialanthropologie lassen sich Methoden finden und geopolitische Lesarten formieren, die helfen, die losen «dots»
zu verbinden. Eine wichtige Disziplin in der Antizipation – das berühmte Lesen zwischen den Zeilen.
Lassen sich mit Ihren Methoden Aussagen über die Zukunft machen? Antizipation ist keine exakte Wissenschaft. Es sind vielmehr Thesenbildungen, die helfen, komplexe Zusammenhänge zu dechiffrieren und Zukunftsbilder abzuleiten. Komplexität und Mehrdeutigkeit kriegen wir nicht mit Eindeutigkeit in den Griff, sondern mit Szenarien und dem Denken in Multioptionen. Unsere Methode der Antizipation ist deshalb bereits Anwendung und Antwort zugleich. Die Forschung ist bereits Teil der Lösung und nicht ausserhalb. Deshalb funktionieren wir im Thinktank selbst in Ökosystemen und kollaborativen Kulturen.
«Wir müssen schneller und agiler werden.»
Remo Reginold
Sind unsere Gesellschaft und die staatlichen Strukturen bereit für diese zunehmend unsichere und mehrdeutige Welt? Als Gesellschaft sind wir als Ganzes noch nicht wirklich für die mehrdeutige Welt bereit. Gerade in der Schweiz haben wir in den letzten Jahrzehnten eine Mentalität des Besitzstandsverwaltens aufgebaut, die das Administrieren und Managen perfektioniert hat, dafür aber Mühe hat mit neuen Entwicklungen und Strategien. Wir müssen hier schneller und agiler werden, Silos abbauen und mehr in Problemen als in Disziplinen denken und handeln.
Demokratien sind zunehmend im Hintertreffen. Was bedeutet der Aufstieg von Autokratien oder gar Diktaturen für uns?
Diese Länder können rascher Entscheide fällen, übergreifende Initiativen und Programme lancieren und strategisch verfolgen. Demokratien sind für strategische Projekte eher hinderlich. Da ist Top-downFührung viel effizienter. Ob sie effektiver und nachhaltig sind, ist eine andere Frage. Es ist eine Gratwanderung, dass wir nicht selber in Top-down-Muster zurückfallen, weil sie vermeintlich besser geeignet sind. Wir sind der Überzeugung, dass die Vielfalt und Vernetzung, das langfristig-visionäre und das unternehmerische Tun auch bei
uns anknüpfbar wären, wenn wir es denn schaffen würden, aus den verkrusteten Strukturen auszubrechen.
Was sind im Speziellen die Herausforderungen für westliche Demokratien?
Wir brauchen mehr Fähigkeiten in der Antizipation und damit auch Resilienzstrukturen, die helfen, gegenüber der Mehrdeutigkeit «Abwehrmechanismen» aufbauen zu können. Die rein militärische Komponente ist die eine, eine zivilgesellschaftliche Widerstandsfähigkeit ist eine andere. Hier kann unser Milizsystem einen wichtigen Beitrag liefern. Damit meine ich nicht nur den Dienst in Uniform, sondern auch Aktivitäten in Vereinen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen. Damit pflegt man einen Nährboden für Resilienz in einer fragilen und ambigen Welt.
Welche Bedeutung hat der Ausgang der Präsidentenwahl in den USA?
Die Frage ist für wen. Für die Amerikanerinnen und Amerikaner ist es innenpolitisch eine wichtige Weichenstellung. In der Weltpolitik wird es wohl keine grossen Verschiebungen in der Stossrichtung geben. Dass Europa zunehmend selber sicherheitspolitische Sorge und Verantwortung tragen muss oder dass Amerika sich vor allem auf China und den Indopazifik konzentrieren möchte und wird, ist unabhängig vom Ausgang der Wahlen. Mit der Wahl von Trump würde zwar der Unsicherheitsfaktor zunehmen. Das wiederum führte bei Gegnern vielleicht zu einem rationaleren Verhalten. Das heisst, dass autokratische Regime vielleicht nicht mehr so stark Extremsituationen provozieren würden, denn mit einem Donald Trump ist man sich des Ausgangs nicht sicher.
1 BRICS, ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der ersten fünf Mitgliedsstaaten, ist eine Vereinigung von Staaten. Gegründet wurde sie (als BRIC) 2006 durch Brasilien, Russland, Indien und China. 2010 erfolgte eine Erweiterung um Südafrika, zu Jahresbeginn 2024 um Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate. Sie wird nun zuweilen auch als BRICS plus bezeichnet.
Oberst Dieter Kläy Dr. phil. Redaktor ASMZ dieter.klaey@asmz.ch 8400 Winterthur
Kräftemessen im Nahen Osten
Der Konflikt zwischen Israel und Iran schwelt seit Jahrzehnten. Doch er eskaliert im Gefolge des Hamas-Überfalls. Den Höhepunkt hat er mit dem ersten direkten militärischen Schlagabtausch seit 45 Jahren im April gefunden. Beide Seiten sind gewillt, unterhalb der Kriegsschwelle weiter zu zündeln.
Pascal Kohler
Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran hat eine lange Geschichte, die bis zur Islamischen Revolution 1979 zurückreicht. Seitdem betrachtet das iranische Regime Israel als Bedrohung und Feind, unter anderem aufgrund seiner engen Beziehungen zu den USA. In den letzten Jahrzehnten fand der Konflikt meist im Verborgenen statt, geprägt von klandestinen Attentaten, Cyberangriffen und den Bemühungen Israels, das iranische Atomprogramm zu sabotieren. Spätestens der 7. Oktober 2023 markiert nach einer längeren ruhigen, wenngleich volatilen Situation den Wendepunkt. Mit dem koordinierten Angriff der Hamas auf Israel hat sich nicht nur die Palästina-Frage neu gestellt, vielmehr hat die Auslösung des Israel-Hamas-Kriegs auch sämtliche Proxys und die dem Geiste der (palästinensischen) islamischen Widerstandbewegung (Harakat al-muqāwama al-islāmiyya, was gleichzeitig als Akronym für Kampfgeist und Begeisterung gilt) affiliierten Feinde Israels mobilisiert. Dazu gesellen sich die palästinensischen Hamas und Islamischer Dschihad, die libanesische Hisbollah sowie die jemeniti-
schen Huthis. Sie alle wurden über die letzten Jahrzehnte militärisch und nachrichtendienstlich von Teheran aus unterstützt. Allein die in der Westbank regierende Fatah kritisiert den Iran seit Längerem dafür, mit seinem Verhalten der «palästinensischen Sache» zu schaden.
Nachdem Israel als Reaktion auf den Hamas-Überfall mit der Bombardierung des Gazastreifens begonnen hat, verstärkten die vom Iran unterstützten Milizen ihre Angriffe. Auch im Jemen und Irak griffen von Teheran geförderte Gruppen in den Konflikt ein. Die Hisbollah im Libanon, die seit Jahren ohne den Support des Ajatollahs in Teheran nicht existieren könnte, eröffnete am 8. Oktober 2023 eine neue Offensive gegen Israel. Es kommt seither zu intensivem Raketenbeschuss und Artilleriefeuer auf beiden Seiten. Der Norden Israels ist mehr oder weniger evakuiert, tägliche Raketenalarme und Drohnenangriffe führen zu punktuellen Vergeltungsschlägen der israelischen Armee (IDF), die unterdessen auch grössere Flüchtlingswellen im Südlibanon auslösten. Es scheint ein «tit for tat»-Spiel zu sein. Ein
Zerbombte Zentrale der iranischen Revolutionsgarden in Syrien, links davon die intakte Botschaft der Islamischen Republik Iran in Damaskus. Bild: MEHRNews
Krieg könnte an dieser Front bevorstehen. Besonders seit am 1. April 2024 Israel einen Luftangriff auf ein iranisches Konsulatsgebäude (ein Nebengebäude der Botschaft) in Damaskus flog, dieses dem Erdboden gleich machte und dabei zwei hochrangige Generäle der Iranischen Revolutionsgarde tötete. Dies markierte den ersten direkten militärischen Schlagabtausch zwischen Israel und dem Iran seit 45 Jahren. Als Vergeltung startete der Iran am 13. April einen massiven Drohnen- und Raketenangriff auf Israel, der jedoch – unter Mithilfe der USA, Frankreich, Jordanien und möglicherweise sogar SaudiArabiens – weitgehend abgewehrt werden konnte. Israel reagierte am 19. April mit einem Gegenangriff auf eine iranische Luftverteidigungsstellung bei Isfahan.
Militärische Kapazitäten
Diese Spirale der Gewalt wirft deshalb die Frage auf, wie die Streitkräfte beider Länder im direkten Vergleich abschneiden würden. Rein zahlenmässig hat Iran mit 89 Mio. Einwohnern und 610 000 aktiven Soldaten die
Oberhand gegenüber Israels 9 Mio. Einwohnern und 170 000 aktiven Soldaten. Zumal grosse Teile der IDF bereits jetzt unter Verstärkung der Reserve im ganzen Land und in Gaza im Einsatz stehen.
Allerdings gibt Israel mit einem Verteidigungsbudget von 24,4 Milliarden Dollar rund 2,5-mal so viel wie Iran für sein Militär aus. Dies ermöglicht Israel technologisch überlegene Ausrüstung und bessere Einsatzbereitschaft. Auch punkto internationalem Support ist Israel mit seinen westlichen Verbündeten auf der sicheren Seite. Selbst wenn der Iran seit 2023 vollwertiges Mitglied der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) ist, einem Bündnis unter Führung von China und Russland und den weiteren Mitgliedern Indien, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan.
Daneben gilt Israels Luftwaffe (IAF) als eine der schlagkräftigsten weltweit. Sie verfügt über rund 600 moderne Kampfflugzeuge, darunter F-15 und F-16. Erst kürzlich bestellte sie zusätzliche 25 Stück ADIR-F-35 Kampfjets, womit die IAF schrittweise ab 2028 auf insgesamt 75 Generation-5-Jets zählen kann. Irans veraltete Flotte von etwa 550 Flugzeugen, darunter F-4, F-5 und MiG29, kann qualitativ nicht mithalten. Allerdings besitzen die Streitkräfte der islamischen Republik Iran tausende Drohnen, die eine asymmetrische Bedrohung, insbesondere auch gegen die israelische Zivilbevölkerung, darstellen. Denn gerade die Drohnenabwehr ist ressourcen- und damit auch kostenintensiv.
Beide Seiten besitzen beträchtliche Raketenbestände für Angriffe über grosse Distanzen. Iran hat über 2000 ballistische Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten bis 2000 km, die ganz Israel erreichen können. In unmittelbarer Nähe verfügt die Hisbollah über ein umfangreiches Arsenal an Raketen, das zu einem grossen Teil aus dem Iran stammt. Schätzungen gehen davon aus, dass insgesamt rund 150 000 Raketen gelagert sind, was mehr Feuerkraft darstellt als die meisten europäischen Länder zusammen aufbieten können. Dazu zählen Fajr-3 und Fajr-5 mit Reichweiten von bis zu 75 Kilometern und Gefechtsköpfen mit 100 bis 200 kg Sprengstoff. Die Hisbollah gibt an, mit Raketen in ganz Israel wirken zu können. Es wird geschätzt, dass in einem Krieg bis zu 4000 Raketen täglich Richtung Süden gefeuert werden. Der Nachschub an iranischen Raketen ist gesichert und er-
reicht die Hisbollah meist über die syrische Grenze.
Israel besitzt Jericho-Raketen mit noch grösserer Reichweite sowie präzisionsgelenkte Marschflugkörper. Die Jericho ist ein zentraler Bestandteil des israelischen Raketenarsenals und Rückgrat des Atomwaffenprogramms. Die Entwicklung begann in den 1960er-Jahren mit der Jericho 1, die eine Reichweite von 500 km hatte. Die Jericho 2, eingeführt in den 1990er-Jahren, erhöhte die Reichweite auf 1500 km. Die modernste Version, Jericho 3, hat eine Reichweite von bis zu 6500 km und trägt Israels Atomsprengköpfe. Die Raketen sind auf mobilen Startfahrzeugen stationiert und in unterirdischen Bunkern gelagert, was ihre Verlegbarkeit und damit Überlebensfähigkeit erhöht.
Israels mehrstufige Raketenabwehr mit Arrow, David’s Sling, Iron Dome und Patriot (das demnächst ausser Dienst gestellt wird) hat sich nicht zuletzt beim Abfangen des iranischen Angriffs im April bewährt. Die Konsequenz der aktuellen Revolutionierung des Gefechtsfelds mittels Drohnen führte dazu, dass die IDF ihr Laserprogramm beschleunigte. Israel arbeitet seit über einem Jahrzehnt an der Entwicklung von Lasersystemen zur Drohnenabwehr. Bereits seit mindestens 2010 wird «Iron Beam» entwickelt, das ursprünglich als mobiles System geplant war, nun aber stationär im Jahr 2025 in Dienst gestellt werden soll. Im April 2022 gaben das israelische Verteidigungsministe-
rium und das Unternehmen Rafael bekannt, dass Iron Beam in Tests erfolgreich Drohnen, Raketen und andere Ziele abgeschossen hat. Schon 2023 wurde das System vorzeitig zusätzlich zum bereits bestehenden Iron-Dome-System eingesetzt, auch gegen Drohnen. Ein grosser Vorteil von Iron Beam ist, dass eine unbegrenzte Anzahl an Abschüssen möglich ist, ohne nachladen zu müssen. Darüber hinaus stellte Rafael im Mai 2023 den Naval Iron Beam vor, eine Version des Lasersystems, die speziell für die Installation auf Schiffen entwickelt wurde und innerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre einsatzbereit sein soll. Iran verfügt über eines der grössten und vielfältigsten Luftabwehrsysteme im Nahen Osten. Das Land hat seine Fähigkeiten zur Abwehr von Luftangriffen in den letzten Jahren deutlich ausgebaut und modernisiert. Das Arsenal umfasst eine breite Palette von Systemen kurzer bis langer Reich-
Irans Verteidigungsminister referiert im April 2024 vor seinen SCO-Homologen über «Frieden, Stabilität und Sicherheit». Bild: Tehran Times
100 kW Laser-Luftabwehrsystem Iron Beam. Bild: Rafael
weite, darunter das Bavar-373, eine im Iran entwickelte Variante des russischen S-300. Dieses zwar moderne, aber nach Erkenntnissen aus dem Ukraine-Krieg nicht sehr zuverlässige System kann Ziele in Entfernungen von bis zu 200 km erfassen und bekämpfen. Ergänzt wird es durch Mittelstrecken-Systeme wie das Raad und das Sevom-Khordad mit Reichweiten von 50 bis 100 km. Für die Nahbereichsverteidigung setzt der Iran auf Systeme wie das Herz-9 und das Ya Zahra-3, die speziell gegen Tiefflieger, Drohnen und Marschflugkörper optimiert sind. Hinzu kommen tausende Flugabwehrkanonen und Manpads, die eine mehrschichtige Abwehr ermöglichen. Die wachsenden Fähigkeiten der iranischen Luftabwehr stellt deshalb eine zunehmende Bedrohung für einen potenziellen Gegner dar. Sie erschweren Luftoperationen in der Region und schränken damit die Handlungsoptionen stark ein.
Die iranische und die israelische Marine unterscheiden sich erheblich in Kapazitäten und Grösse. Die iranische Marine umfasst etwa 18 000 Mann und ist in fünf Operationszonen gegliedert, drei davon im Persischen Golf. Sie verfügt über sieben Fregatten, drei Korvetten, 19 U-Boote und 21 Patrouillenboote. Die iranische Marine hat in den letzten Jahren Modernisierungen erfahren, darunter die Einführung der Fregatten der Moudsch-Klasse und eines Hubschrauberträgers. Im Gegensatz dazu ist die israelische Marine kleiner, aber technologisch fortschrittlicher. Sie besitzt drei Korvetten der Sa’ar-5-Klasse und plant den Einsatz von vier neuen Korvetten der Sa’ar6-Klasse, die über eine beeindruckende Feuerkraft verfügen. Zudem hat Israel sechs U-Boote der Dolphin-Klasse, die auch als Träger für nukleare Marschflugkörper dienen können. Während die iranische Marine auf asymmetrische Kriegsführung setzt, um strategische Seewege zu kontrollieren, fokussiert sich die israelische Marine auf technologische Überlegenheit und Präzisionsschläge.
Kampfkraft, Strategien und Durchhaltefähigkeit
Die militärische Stärke des Iran basiert auf einer Kombination aus konventionellen Streitkräften und asymmetrischen Kriegsführungsmethoden. Die Revolutionsgarden, eine Eliteeinheit, spielen eine zentrale Rolle. Mit seinen Proxy-Milizen werden Stellver-
treterkriege gegen Israel gekämpft. Israel hingegen verfügt über eine hochmoderne militärische Infrastruktur und besitzt Atomwaffen.
Die strategische Ausrichtung beider Länder ist stark von ihren ideologischen und sicherheitspolitischen Zielen geprägt. Der Iran verfolgt eine Politik der «strategischen Geduld» und setzt auf eine langfristige Schwächung Israels. Gleichzeitig strebt Teheran danach, seine nuklearen Fähigkeiten auszubauen, was von Israel als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wird. Israel verfolgt deshalb eine Politik der präventiven Verteidigung und setzt auf gezielte Militärschläge, um die iranische Bedrohung vorausschauend zu neutralisieren. Die jüngsten Ereignisse zeigen somit, dass beide Länder trotz ihrer militärischen Stärke und strategischen Ausrichtung eine direkte Konfrontation vermeiden wollen. Nach dem iranischen Angriff im April 2024 reagierte Israel mit einem begrenzten Gegenschlag, der keine strategischen Ziele traf und nur minimalen Schaden verursachte. Ob mögliche diplomatische Lösungen ausreichen, um die Spannungen zu deeskalieren, wird sich zeigen. Die Zeichen stehen eher dafür, dass der Iran die Hisbollah vorschickt.
Die logistischen Netzwerke und Reserven sowie die Rolle der internationalen Unterstützung sind entscheidende Faktoren für die Ausdauer Irans und Israels im aktuellen Konflikt. Beide Länder verfügen über komplexe und weitreichende logistische Infrastrukturen, die ihre militärischen Operationen unterstützen. Der Iran hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in der Entwicklung und Produktion von Raketen und Drohnen gemacht, was ihm ermög-
licht, eine Vielzahl von Angriffen durchzuführen.
Die internationale Unterstützung spielt eine wesentliche Rolle in der Durchhaltefähigkeit beider Länder. Der Iran erhält Support von Ländern wie Russland und China, die ihm nicht nur diplomatische Rückendeckung bieten, sondern auch technologische und militärische Hilfe leisten. Diese Unterstützung hat es dem Iran ermöglicht, trotz internationaler Sanktionen und wirtschaftlicher Isolation seine militärischen Fähigkeiten weiter auszubauen. Israel hingegen profitiert von einer starken Unterstützung durch die USA und europäische Länder. Diese Unterstützung umfasst nicht nur finanzielle und militärische Hilfe, sondern auch den Zugang zu fortschrittlicher Technologie und Geheimdienstinformationen. Darüber hinaus hat Israel enge Beziehungen zu arabischen Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain aufgebaut, was seine strategische Position in der Region weiter stärkt.
Die logistischen Netzwerke beider Länder sind darauf ausgelegt, schnelle und effektive militärische Reaktionen zu ermöglichen. Der Iran hat seine militärischen Einrichtungen teilweise unterirdisch verlegt, um sie vor möglichen Angriffen zu schützen. Diese Massnahmen erschweren es Israel, gezielte Schläge gegen iranische Nuklearanlagen durchzuführen. Israel hingegen verfügt über eine hochmoderne Infrastruktur, die es ermöglicht, schnell auf Bedrohungen zu reagieren und militärische Operationen effizient zu koordinieren.
Die Durchhaltefähigkeit beider Länder wird vor allem auch durch deren Fähigkeit bestimmt, Verluste zu kompensieren und
«Iran Park» im südlibanesischen Maroun ar-Ras, im Hintergrund Israel. Bild: Iran Press
militärischen Ressourcen zu erneuern. Der Iran hat gezeigt, dass er in der Lage ist, trotz internationaler Sanktionen und militärischer Rückschläge seine Raketen- und Drohnenproduktion aufrechtzuerhalten. Israel hingegen kann auf eine kontinuierliche Unterstützung durch die USA und andere westliche Länder zählen, die sicherstellen, dass es über die notwendigen Ressourcen verfügt, um seine militärischen Operationen fortzusetzen. Im Lichte des aktuellen Gaza-Krieges sieht sich das Land aber, nicht zuletzt auch wegen Premier Netanyahu, starken Ressentiments und zunehmendem Antisemitismus auch auf dem internationalen politischen Parkett ausgesetzt.
Finanzpolitische und wirtschaftliche Aspekte
Israel erhält erhebliche militärische Unterstützung von den USA, die im Rahmen des Foreign-Military-Financing-Programms jährlich Milliarden von Dollar bereitstellen. Diese Mittel sind an die Bedingung geknüpft, dass Israel ausschliesslich amerikanische Rüstungsgüter erwirbt. Im Jahr 2024 beträgt das israelische Militärbudget etwa 31,3 Milliarden US-Dollar, was 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Die israelische Wirtschaft ist stark diversifiziert und technologisch fortschrittlich, was es dem Land ermöglicht, trotz hoher Militärausgaben wirtschaftlich stabil zu bleiben. Im Gegensatz dazu ist die iranische Wirtschaft stark von internationalen Sanktionen betroffen, die aufgrund des iranischen Atomprogramms verhängt wurden. Diese Sanktionen haben die wirtschaftliche Entwicklung des Landes erheblich behindert. Der Iran ist stark auf Öl- und Gasexporte angewiesen, die jedoch durch die Sanktionen eingeschränkt sind. Die iranische Regierung hat in den letzten Jahren versucht, die Wirtschaft zu diversifizieren und Subventionen zu reformieren, um die Inflation zu kontrollieren und die sozialen Ungleichheiten zu verringern. Trotz dieser Bemühungen bleibt die wirtschaftliche Lage angespannt, und die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter jungen Menschen, ist hoch. Der Support für die Regierung schwindet. Die iranische Wirtschaft wird stark vom Staat kontrolliert. Viele Sektoren sind verstaatlicht oder genossenschaftlich organisiert. Der Konflikt zwischen den Ländern hat unterdessen auch erhebliche Auswirkungen auf die regionale und globale Wirtschaft. Die jüngsten An-
griffe und die Eskalation der Spannungen führten nebst einem Anstieg der Ölpreise auch zu höheren Transportkosten auf dem maritimen Weg durch den Suezkanal.
Wie weiter?
Die zukünftigen Szenarien für den IranIsrael-Konflikt sind komplex, geprägt von einer Kombination aus militärischen Fähigkeiten, innenpolitischen Entwicklungen, internationalen Allianzen und strategischen Zielen. Beide Nationen verfügen über asymmetrische Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, begrenzte Angriffe auf das jeweilige Staatsgebiet durchzuführen. Allerdings ist keine der beiden Seiten in der Lage, längere konventionelle Kampagnen aufrechtzuerhalten, was erhebliche Beschränkungen für die Eskalation des Konflikts mit sich bringt.
Die Innenpolitik spielt dabei eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung eines möglichen Konfliktverlaufs. In Israel stehen politische Führer unter dem Druck von Hardlinern, die aggressive Reaktionen auf iranische Provokationen fordern. So hat der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu Unterstützung für seine massvollen Reaktionen gewonnen, aber es gibt Fraktionen innerhalb seiner Regierung, die entschlossenere Massnahmen gegen den Iran fordern. Ähnlich verhält es sich im Iran, wo Hardliner innerhalb des Regimes möglicherweise aggressivere Haltungen gegenüber Israel einnehmen, insbesondere als Reaktion auf wahrgenommene Bedrohungen oder Angriffe auf iranische Interessen. Der Tod des iranischen Präsidenten Raisi nach einem Helikopterabsturz wird diese Partikularinteressen artikulieren.
Internationale Allianzen und Partnerschaften beeinflussen diese Dynamiken ebenfalls. Die Vereinigten Staaten und europäische Partner haben iranische Angriffe verurteilt und militärische Unterstützung für Israel geleistet. Diese Unterstützung ist für Israel sowohl praktisch als auch symbolisch von Bedeutung, schränkt jedoch auch Israels Fähigkeit ein, zu hart auf iranische Aktionen zu reagieren. Im Gegensatz dazu verschaffen Irans Allianzen mit regionalen Stellvertretern wie der Hisbollah und den Huthis dem Land strategische Tiefe. Aber diese Stellvertreter agieren eben auch als potenzielle Brennpunkte für eine breitere regionale Eskalation. Ressourcenimplikationen und logistische Herausforderungen schränken beide Seiten weiter ein.
Irans militärische Fähigkeiten sind zwar erheblich, reichen jedoch nicht aus, um ohne externe Unterstützung einen umfassenden Krieg gegen Israel zu führen. Die logistischen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung von Nachschublinien und die wirtschaftliche Belastung durch einen längeren Konflikt wirken als Abschreckung gegen einen umfassenden Krieg. Ebenso verdeutlicht Israels Abhängigkeit von seinen Luftverteidigungssystemen und die Notwendigkeit internationaler Unterstützung zur Abwehr iranischer Angriffe die Grenzen seiner militärischen Fähigkeiten in einem längeren Konfliktszenario. Trotz dieser Einschränkungen haben sowohl der Iran als auch Israel Anreize, den Konflikt unterhalb der Kriegsschwelle fortzusetzen. Ein anhaltender «Schattenkrieg» ermöglicht es beiden Nationen, ihre strategischen Ziele zu erreichen, ohne die Grenze zu einem umfassenden Krieg zu überschreiten.
Für Israel bedeutet dies, seine «Kampagne zwischen den Kriegen» fortzusetzen, um das Wachstum des iranischen Einflusses in Syrien und im Libanon zu limitieren. Für den Iran bedeutet dies, seine regionalen Stellvertreter zu unterstützen und seine strategische Abschreckung gegen Israel aufrechtzuerhalten. Diese fragile Balance könnte sich jedoch ändern. Beschliesst Israel beispielsweise, die Fähigkeiten der Hisbollah einschneidend zu reduzieren, würde dies ein erhebliches Dilemma für Teheran darstellen. Der Iran kann es sich nicht leisten, die Hisbollah zu verlieren, einen wesentlichen Bestandteil seiner regionalen Strategie. Aber eine zu aggressive Reaktion könnte Israel zu einer potenziell katastrophalen Eskalation provozieren. Dieses Szenario unterstreicht die prekäre Natur des Konflikts, bei dem Fehleinschätzungen oder unerwartete Ereignisse die Spannungen schnell eskalieren lassen könnten. Das Potenzial dafür bleibt stets präsent, getrieben von strategischen Imperativen und der volatilen Natur der regionalen Dynamik. Beide Nationen dürften deshalb weiterhin durch diese komplexe Landschaft navigieren, um ihre Ziele zu erreichen und gleichzeitig die katastrophalen Folgen eines umfassenden Krieges zu vermeiden.
Oberstlt
Pascal Kohler BA Public Affairs ETH, EMBA hslu Redaktor ASMZ pascal.kohler@asmz.ch
6362 Stansstad
Die Sicherheitspolitik wird zunehmend vom Parlament gesteuert
AUS DEM BUNDESHAUS
Dr. Fritz Kälin
Bundeshausredaktor ASMZ fritz.kaelin@asmz.ch
In der Sommersession kam es im Ständerat zu engagierten Debatten, wie die Nachrüstung der Armee finanziell doch noch beschleunigt werden könnte. Am 3. Juni war zuerst der Vorschlag einer Mitte-Links-Mehrheit der SiK-S traktandiert (24.3467), einen befristeten Fonds zu schaffen, der von 2025 bis 2030 zusätzliche 10 Mrd. CHF für die Armeenachrüstung deckt, sowie 5 Mrd. CHF für den Wiederaufbau und die Infrastrukturinstandsetzung der Ukraine. Einer solchen Aushebelung der Schuldenbremse erteilte die kleine Kammer eine deutliche Absage. Dafür legte der Ständerat bei der Armeebotschaft (24.025) gleich dreifach nach: 1. zusätzliche 660 Millionen für das diesjährige Rüstungsprogramm, 2. vier zusätzliche Mrd. CHF für den vierjährigen Zahlungsrahmen und 3. ein konkreter Finanzierungsvorschlag
(Antrag Mühlemann) innerhalb des regulären Budgets, hauptsächlich zulasten der internationalen Zusammenarbeit. Können sich die beiden Kammern in der Wintersession beim Budget nicht einigen, gilt automatisch der tiefere Ausgabenbetrag. Mit der im Ständerat neu eingereichten Mo. 24.3587 kommt auf der Einnahmenseite neue Dynamik in die politische Debatte.
Die SiK-N-Sitzung vom 13./14. Mai bot ein vielsagendes Stimmungsbild. Die SiK reichte gleich drei Kommissionsmotionen ein, mit denen sie die bundesrätliche Sicherheitspolitik nachjustieren möchte. Für eine engere Zusammenarbeit der Schweiz mit europäischen Partnern in der Luftverteidigung und im Weltraum kamen eher knappe Mehrheiten zusammen. In der Sommersession bekräftigte der Nationalrat die Misstrauensmotion seiner Kommission gegenüber der Übungstätigkeit mit der NATO (24.3012) – wobei gemäss Bundesrätin Viola Amherd inzwischen fast alle NATO-Übungen einen «Artikel 5»-Bezug haben. Mit Ablehnung des Postulats 24.3396 läutete der Nationalrat zudem das Ende der mehrmals verlängerten Ära des F-5-TigerKampfjets ein.
Auf der Website der ASMZ finden Sie laufend aktuell aufbereitete Nachrichten –die ideale Ergänzung zur monatlichen Printausgabe der ASMZ.
Beitritt der Schweiz zur «European Sky Shield Initiative» und daraus Mo. 24.3474n «Beitritt zu European Sky Shield Initiative»
Po. 21.4176n «Cyberrisiken im All» und daraus Mo. 24.3476n «Umfassende Kooperation mit der EU im Weltraumbereich»
Mo. 24.3477n «Die Kontrolle über Beyond Gravity zu behalten ist vom strategischen Interesse».
Konsultativabstimmung mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung für einen Beitritt, aber mit 13 zu 11 Stimmen Mo. 24.3474 eingereicht, dass ESSI-Beitritt dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet werden muss. → NR
Kenntnisnahme des Po-Berichts. Infolge mit 11 zu 10 Stimmen Mo. 24.3476 eingereicht.
Mit 17 zu 1 Stimmen bei 5 Enthaltungen eingereicht. Der BR müsste dem Bund die Kontrolle über Beyond Gravity erhalten. Der BR hatte den Verkauf dieser Ruag-InternationalTochter am 29.11.2023 entschieden.
Ständerat Sommersession 27.5.–14.6.
Mo. 24.3467s «Schaffung eines Bundesgesetzes über einen ausserordentlichen Beitrag für die Sicherheit der Schweiz und den Frieden in Europa angesichts des Krieges gegen die Ukraine»
BR Geschäft 24.025s «Armeebotschaft 2024»
Darin Einzelantrag SR Benjamin Mühlemann (FDP/GL) zur Finanzierung des erhöhten Ausgabenplafonds: die Hälfte der vier Milliarden sind bei der internationalen Zusammenarbeit einzusparen, der Rest in der übrigen Bundesverwaltung inklusive VBS.
Po. 24.3042s «Wehranleihe. Eine alternative Finanzierungsmöglichkeit für die Armee»
Mo. 24.3587s «Massnahmenpaket zur Übergangsfinanzierung von AHV und Armee mittels befristetem ‹Sicherheitsprozent›»
Abgelehnt mit 28 zu 15 Stimmen bei 2 Enthaltungen.
Rüstungsprogramm 2024: Mit 31 zu 14 Stimmen für zusätzlichen Verpflichtungskredit von 660 Mio. CHF für BODLUV. Zahlungsrahmen 2025–2028: Mit 27 zu 17 Stimmen bei 1 Enthaltung für Erhöhung des Ausgabenplafonds von 25,8 auf 29,8 Mrd. CHF (zwecks 1 % BIP bis 2030). Dazu Einzelantrag Mühlemann mit 24 zu 18 Stimmen bei 3 Enthaltungen angenommen. Übrige 3 Bundesbeschlüsse gemäss BR angenommen. → SiK-N
Am 6.6. zurückgezogen.
Am 12.6. eingereicht.
Nationalrat Sommersession 27.5.–14.6.
Mo. 24.3012n «Fokussierung auf die verfassungsmässigen Aufgaben der Armee. Keine Teilnahme an NATO-Bündnisfallübungen!»
Po. 24.3396n «Weiterbetrieb des Tiger F-5»
Abstimmung Annahme mit 188 zu 69 Stimmen bei 3 Enthaltungen. → SiK-S
Ablehnung mit 108 zu 82 Stimmen bei 2 Enthaltungen.
Abkürzungen: BR = Bundesrat; NR = Nationalrat; SR = Ständerat; SiK = Sicherheitspolitische Kommission; Mo.= Motion; Pa.Iv. = Parlamentarische Initiative
Unheilige Allianz gegen NATO-Übungen
Oberst Dominik Knill, Präsident SOG
Der Nationalrat hat am 13. Juni eine Motion der beiden Nationalräte Jean-Luc Addor (SVP) und Fabian Molina (SP) überraschend klar angenommen. Die Allianz will die Möglichkeiten der Kooperation mit der NATO stark einschränken und der Armee per Gesetz verbieten, an NATO-Übungen laut Artikel 5 den Bündnisfall zu trainieren. Aus dem Wortlaut der Motion geht nicht hervor, welche Art von NATO-Übungen für die Schweiz verboten werden sollen. Jenseits von NATO-Übungen beteiligt sich die Schweiz mit der Luftwaffe, mit anderen Teilen der Armee und im Cyberbereich seit Jahren an bilateralen oder multinationalen Übungen im Ausland. Der Wortlaut der Motion kann dahingehend gelesen werden, dass diese nicht gemeint sind.
Selbst die Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität» hält fest: «Die Schweiz tritt keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis bei. Vorbehalten ist eine Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen für den Fall eines direkten militärischen Angriffs auf die Schweiz oder für den Fall von Handlungen zur Vorbereitung eines solchen Angriffs.» Dies würde bei Annahme der Motion nicht mehr möglich sein. Nachfolgend eine Einordnung in die Thematik.
Artikel-5-Übungen und andere Verteidigungsübungen der NATO
Die NATO unterscheidet zwischen Übungen zur Bündnisverteidigung («Collective Defence»), Aufstandsbekämpfung («Counter Insurgency») und Terrorismusbekämpfung («Counter Terrorism»). Von Interesse für die Schweiz sind die Übungen zur Bündnisverteidigung (unten: Verteidigungsübungen).
Die meisten Verteidigungsübungen sind sogenannte Artikel-5-Übungen. Diese enthalten in einer eskalierenden Lage den politischen Entscheid des Nordatlantikrats, ob auf Antrag eines Alliierten die Beistandspflicht eintritt; oder sie beginnen in einem
Szenario, in dem der Bündnisfall bereits eingetroffen ist.
Die Beteiligung an solchen Übungen ist Mitgliedern der NATO vorbehalten, aber der Nordatlantikrat kann die Teilnahme von Partnerstaaten für einzelne Übungen oder Teile davon ermöglichen.
Sicherheitspolitische Interessen der Schweiz
Die Schweiz hat bisher vereinzelt als Beobachterin an Verteidigungsübungen der NATO teilgenommen. Als Teilnehmerin könnte sie die Übung mitgestalten und eigene Anliegen einbringen.
Als Teilnehmerin würde die Schweiz in jedem Fall ihre Rolle so spielen, wie sie diese aufgrund ihrer Neutralität definiert. Somit würde sie kein NATO-Mitglied spielen oder sich an der Bündnisverteidigung, zum Beispiel an der Aussengrenze der NATO, beteiligen. Aus der Übung würde keine Beistandspflicht für die Schweiz erwachsen.
Bei einem direkten Angriff auf die Schweiz würden die Neutralitätspflichten hinfällig und die Schweiz könnte sich zusammen mit Partnern verteidigen. Die Art und Weise dieser Zusammenarbeit würde die Schweiz bestimmen.
Es liegt im Interesse der Schweiz, dass die NATO die reale Rolle der Schweiz in einem Konflikt konkret wahrnimmt, ihre Grenzen für die Zusammenarbeit kennt und Caveats (Vorbehalte) berücksichtigt.
Als Teilnehmerin an solchen Übungen könnte die Armee folgende Interessen verfolgen. Man könnte:
– die traditionelle Rolle der Schweiz als neutraler Staat in die Übung einbringen. Das gäbe die Möglichkeit, Neutralitätsklauseln anzuwenden.
– die Entscheidungsmechanismen der NATO besser verstehen.
– die Absprachen in einem Konfliktfall üben, um beispielsweise Zwischenfälle bei der Luftraumnutzung zu vermeiden.
– von den Erfahrungen, Prozessen und Fähigkeiten anderer Streitkräfte für die eigene Verteidigungsfähigkeit lernen.
– die Rolle der Schweiz üben, wenn das Szenario einen Angriff auf die Schweiz enthalten würde und ihre Neutralitätspflichten hinfällig wären. Die Schweiz würde aber bestimmen, ob ein solches Szenario trainiert wird.
Weitere Erwägungen und Rahmenbedingungen
Eine gesetzliche Einschränkung der Teilnahme an internationalen Übungen würde die Möglichkeiten für die Schweiz, ihre Verteidigungsfähigkeit zu steigern, stark schmälern.
Sie würde eine Abkehr signalisieren von der Absicht des Bundesrats, die sicherheitspolitische Kooperation zu verstärken, und der Glaubwürdigkeit der Schweiz schaden. In einer angespannten und ungewissen Sicherheitslage in Europa wäre ein solches Zeichen bedenklich, zumal die Schweiz im Ernstfall auf die Solidarität ihrer Partner angewiesen wäre.
Mit der Teilnahme an Art.-5-Übungen würden keine Verpflichtungen oder Sachzwänge eingegangen, die mit den Verpflichtungen eines Neutralen unvereinbar wären. Die Befürworter der Motion befürchten, eine Teilnahme an solchen Übungen würde als Beistandserklärung gedeutet. Dabei ist sowohl den NATO-Mitgliedern als auch ausserhalb der NATO völlig klar, dass die Schweiz kein NATO-Mitglied ist und sie damit weder eine Beistandspflicht hat noch diese selbst beanspruchen kann, wenn sie angegriffen wird. Der Art. 5 gilt nur für Alliierte.
Der Bundesrat entscheidet abschliessend über die Teilnahme der Armee an internationalen Übungen. Dabei werden jeweils aussen- und sicherheitspolitische Erwägungen berücksichtigt, inklusive neutralitätspolitische Überlegungen.
Die Sicht der SOG
Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) fordert, dass die Verteidigungsbereitschaft der Armee nicht durch politisch motivierte Manöver eingeschränkt wird. Die Verteidigungsstrategie geht realistischerweise von Bedrohungen aus grösseren Distanzen aus, auch von ausserhalb der Schweizer Grenzen. Daher sind Zusammenarbeit und Übungen mit Partnern unerlässlich. Die SOG erwartet, dass Neutralitätspolitik und Verteidigungsfähigkeit nicht gegeneinander ausgespielt werden, und hofft, dass Ständerat und Parlament die Motion nicht unterstützen. Die SOG ist gegen einen Beitritt zur NATO.
Kampfjets finden Platz auf der Autobahn
Die Luftwaffe kann es noch: Flugbewegungen von Kampfjets ausserhalb von Basen sind machbar. Die Dezentralisierungsübung ALPHA UNO war jedoch geprägt von hohen logistischen Anforderungen.
Hans Tschirren
«In der Realität war es einfacher als im Simulator», meinte der Kommandant der Fliegerstaffel 17, Alain von Büren, genannt «Fondue», nach seiner Landung. Am 5. Juni landeten nach über 30 Jahren wieder Kampfflugzeuge der Schweizer Luftwaffe auf einer Autobahn. Für die Fähigkeitsüberprüfung ALPHA UNO wurde eigens ein Stück der Nationalstrasse A1 in der Nähe des Militärflugplatzes Payerne gesperrt und über Nacht zur improvisierten Piste umfunktioniert. Es handelt sich um die erste Übung dieser Art mit Kampfflugzeugen des Typs F/A-18. Acht Jets der Fliegerstaffel 17 landeten und starteten problemlos bei bestem Wetter. Mit rund 15 Tonnen Landegewicht waren die F/A-18 leicht, was Landung und Start vereinfachte. Im Unterschied zu zivilen Flugzeugen sind die Fahrwerke der Kampfjets auch für harte Landungen ausgelegt,
was ein Aufsetzen auf einer Autobahn überhaupt erst ermöglicht. Für die Piloten waren die Landungen und Starts auf der Autobahn keine besondere Herausforderung. In einem modernen Flugsimulator können sie virtuell auf allen in Frage kommenden Strassenabschnitten Landungen üben. Somit war ALPHA UNO für sie mehr eine spannende Abwechslung. Das entspannte Grinsen des Staffelkommandanten nach der Landung war unübersehbar, gleich wie der eigens für den Anlass angefertigte Vignetten-Badge. Dieser dürfte wohl eines Tages ein gesuchtes Sammelobjekt werden.
Historisch gewachsen
Die Luftwaffe hat seit 1991 erstmals wieder das Worst-Case-Szenario geübt. Wenn zivile und militärische Flugplätze nicht mehr benutzbar sind, muss sie in der Lage sein, dezentrale Standorte zu beziehen. Mögliche Pisten auf Autobahnen sind in der Schweiz in genügender Anzahl vorhanden. Wer hierzulande eine gerade Strecke von gut zwei Kilometern Länge findet, rollt wohl über eine mögliche Ausweichpiste.
In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden mehrfach solche Tests auf Autobahnen durchgeführt. So wurde etwa für STRADA die damalige N1 komplett gesperrt. Flug-
zeugtypen des Typs Venom wurden eingesetzt. Nach dem ersten Test 1970 in Oensingen folgten insgesamt neun weitere Übungen in der ganzen Schweiz. In Münsingen bei Bern landeten 1974 erstmals HunterKampfflugzeuge auf der A6. Letztmals übten vor 33 Jahren Hunter und Tiger auf Schweizer Autobahnen.
Für ALPHA UNO wurde eine Strecke ausgewählt, die zuvor noch nie benutzt worden war. Anfang der 1990er-Jahre entstand diese Autobahnpiste zwischen Payerne und Avenches parallel zum Militärflugplatz Payerne mit dem Bau der A1 in jener Gegend. Von Anfang an wurde hier ein Rollweg ab der Luftwaffenbasis Payerne via Ruag-Gelände direkt auf die Autobahn eingeplant und gebaut.
Mit der Übung sollte geprüft werden, ob die Luftwaffe weiterhin in der Lage ist, zu dezentralisieren. Knackpunkt ist dabei vor allem die Logistik. Wie der stellvertretende Kommandant der Luftwaffe, Brigadier Christian Oppliger, selbst F/A-18-Pilot, und der Projektleiter Oberst i Gst Rolf Imoberdorf ausführten, können Militärflugplätze – aus welchen Gründen auch immer – stark eingeschränkt oder nicht mehr operationell sein. Im Ernstfall müsse davon ausgegangen werden, dass Jetflugplätze Ziel eines Gegners seien. Für solche Fälle gelte es Alterna-
Die F/A-18 wurden auf der Autobahn betankt. Bild: VBS
tiven bereitzuhalten. So muss die Luftwaffe den Aufbau und Betrieb eines dem Gegner noch nicht bekannten Standortes in Friedenszeiten rekognoszieren und dort Vorbereitungen treffen. Damit dies Sinn mache, brauche es viele Ausweichplätze.
Gerade und ohne Hindernisse
Was muss eine Strecke vorweisen, um als Jetflugplatz in Frage zu kommen? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lässt sich sagen, dass dafür eine gerade Strecke von mindestens 2200 Meter Länge benötigt wird. Diese darf im Flugbereich keine Überführungen aufweisen und auch Hochspannungsleitungen über der Landebahn sind tabu. Ausserdem dürfen die Mittelleitplanken nicht fest verbaut sein oder feste Pfosten aufweisen. Zudem darf der Mittelstreifen nicht bepflanzt sein. Ideal ist ein weitläufiges, nicht stark überbautes Gebiet.
Der ganze Bereich muss grossräumig, aber auch im Nahbereich durch Polizei, Militärpolizei, die Flugplatzsicherungskompanie sowie mit Flieger- und Drohnenabwehr gesichert werden können. Von Vorteil wäre ein Tunnel, in welchem die Jets als Shelter untergebracht werden könnten. Schliesslich ist auch ein Lastwagenparkplatz dienlich, der an die Autobahn anschliesst.
Die Breite der Schweizer Autobahnen beträgt 25 Meter. Die F/A-18 hat eine Flügelspannweite von 12,4 Meter. Die Jets müssen auf der Fläche wenden können, was auf der A1 in diesem Falle möglich war. Die F-35 A, die die Schweizer Luftwaffe beschafft, werden mit 10,7 Meter schlanker sein, können langsamer aufsetzen und werden deshalb weniger Pistenlänge beanspruchen. Ein Vorteil für die Zukunft.
Aufwendige Übung
In näherer Zukunft will die Luftwaffe weitere solche Dezentralisierungsübungen durchführen. Mit welchem Aufwand das verbunden ist, zeigte sich bei ALPHA UNO. Über 36 Stunden wurde der A1-Abschnitt zwischen den Zufahrten Avenches und Payerne komplett gesperrt. Der Verkehr wurde durch das Astra und die Kantonspolizei geregelt. An den neuralgischen Kreuzungen und Abzweigungen stand Personal, auch von der Truppe, im Einsatz.
Wie Jérôme Jacky, Bereichsleiter Information des Astra, erklärte, habe die Verkehrsmanagementzentrale eine regionale
Umleitung geschaltet. So wurden Fahrzeuglenker, die auf der A1 verkehrten, gebeten, die A12 oder A5 zu benutzen. Das Verkehrsaufkommen im gesperrten Abschnitt beträgt an Werktagen rund 23 500 Fahrzeuge. Im Vergleich zu anderen Abschnitten der A1 ist es damit eher gering. Der am stärksten befahrene Autobahnabschnitt der Schweiz ist die A1 bei Wallisellen. Dort rollen täglich rund 140 000 Autos.
Solche Übungen sind auch nicht gerade günstig. So rechnet das Astra mit Personalkosten und allfälligen Reparaturkosten von maximal 100 000 Franken. Die Kosten für die Belagsreparaturen können erst nach dem Test ermittelt werden und gehen grundsätzlich zulasten des VBS. Der Zustand der Fahrbahn wurde vor, während und nach der Übung kontrolliert. Die Aufwendungen der Kantonspolizeien Freiburg und Waadt gehen ebenfalls zulasten des VBS. Sämtliche Armeeangehörige, die im Einsatz standen, waren im Wiederholungskurs. Dies betraf insbesondere das Flugplatzkommando 11. Somit fielen keine zusätzlichen Kosten an.
Um die Übung auf die Beine zu stellen, benötigte die Luftwaffe mehrere Monate. Kein einfaches Unterfangen, mussten doch die betroffenen Gemeinden sowie die Kantone Waadt und Freiburg von Anfang mit an Bord sein. Und schliesslich musste das Ganze auch noch durch den Bundesrat abgesegnet werden.
Logistik als echte Herausforderung
Die Knochenarbeit machte die Truppe unter der Leitung von Oberstleutnant Julien Morat, Kommandant der Flpl Abt 11. Er musste seine Leute auf die Aufgabe vorbereiten und ausbilden. Dazu gehörte auch das Demontieren der Leitplanken. Dieses musste sehr zügig ablaufen. Das Problem war, dass man nicht genau wusste, wie gut sich die Metallteile voneinander trennen lassen und wie fest die T-förmigen Träger in der Verankerung stecken.
Damit durch die Truppe keine Verzögerungen durch falsche Manipulationen oder gar Defekte entstanden, wurde für diesen Zweck eigens ein Modell hergestellt, an welchem das Lösen und Demontieren der Leitplanken geübt wurde. Dank der Unterstützung durch das Astra konnte die Equipe in einer Nacht den Streckenabschnitt speditiv und ohne Zwischenfälle von den Leitplanken befreien. Die Elemente wurden auf Lastwagen verladen und gesichert.
Nach 33 Jahren hoben erstmals wieder Kampfjets von einer Schweizer Autobahn ab. Bild: VBS
Der ganze Autobahnabschnitt musste vom Bodenpersonal abgeschritten und allfällige Schmutzteile entfernt werden. Bild: VBS
Der effiziente Abbau der Leitplanken war zuvor geübt worden.
Bild: VBS
Die Köpfe hinter ALPHA UNO: Brigadier Christian Oppliger, selbst F/A-18-Pilot (links), und Projektleiter Oberst i Gst Rolf Imoberdorf. Bild: Hans Tschirren
Das ganze Gelände wurde auch von einem Eurocopter EC635 aus überwacht. Bild: VBS
Verzugslos musste der Landebereich sowohl maschinell und anschliessend von Hand auf der gesamten Strecke von über 2000 Meter von Schmutz und Kleinteilen befreit werden. Jettriebwerke saugen alles auf, was nicht niet- und nagelfest ist. Steine im Triebwerk können zu dessen Ausfall und somit zu sehr teuren Schäden führen. Wo nötig wurden sogar Markierungen entfernt oder brachte man eigens neue Markierungen an. Dazu gehörte etwa eine Marke, welche den Aufsetzpunkt für die Jets kennzeichnet. Ebenso wurden die Parkpositionen und der Bereich, wo sich die Mannschaft während der Vorbereitungen des Ausschaltens oder Startens der Triebwerke aufhalten darf, am Boden aufgetragen.
Die Barriere an der Autobahn
Beim Bau der A1 zwischen Payerne und Avenches, die parallel zur Luftwaffenbasis Payerne verläuft, hat das Astra damals in Zusammenarbeit mit dem VBS eine Barriere zum Rollfeld via dem Ruag-Gelände vorbereitet. Aufmerksame Automobilisten können diese und den Rollweg, welcher von der Basis Payerne direkt auf die Autobahn führt, bestens erkennen. Diese «Einfahrt» konnte die Truppe verwenden. Somit mussten die schweren Fahrzeuge, die Feuerwehr und alle übrigen Fahrzeuge nicht über die offizielle Zufahrt verschoben werden. Wäre das hinzugekommen, wäre der Zeitaufwand deutlich höher ausgefallen.
Zu den Vorbereitungen gehörte die Definition des zwingenden Aufsetzpunktes auf der Landebahn. Auch die Koordination via Funk innerhalb der Bodentruppen musste aufgebaut und getestet werden. Die Koordination des Flugbetriebes wurde einerseits durch den Tower Payerne, andererseits durch einen mobilen Tower vor Ort sichergestellt. Die Bodentruppen waren für die Versorgung der Jets mit Treibstoff besorgt und mussten für Notfallszenarien vorbereitet und eingespielt sein. So wurde im Rahmen der Übung eine Pneupanne simuliert. Die Bodenmannschaft konnte hier ihr Können auf ungewohntem Terrain unter Beweis stellen.
Gesperrte Zone für Zivile
Der Bereich um den Flugplatz Payerne, im Fliegerjargon CTR (controlled region) genannt, war für die Zeitspanne der Übung für den zivilen Verkehr gesperrt. Doch nicht alle zivilen Flugzeuge halten sich an die Vorschriften. Funken sie auf einer falschen Frequenz, können sie leicht ohne Bewilligung in die Kontrollzone einfliegen. Erinnert sei an den damaligen Bundesrat und Hobbypiloten Alain Berset, der in Frankreich von der französischen Luftwaffe abgefangen werden musste, weil er auf einer falschen Funkfrequenz war und in ein Sperrgebiet einflog. Der Tower Payerne funkt sowohl auf den militärischen Frequenzen als auch auf der zivilen Frequenz 128.675 MHZ.
Ein F/A-18-Pilot hört nicht auf beiden Frequenzen gleichzeitig und bekommt so nicht mit, wenn sich eine zivile Maschine in diesem Luftraum bewegt. Der Tower muss zwischen beiden Frequenzen abwechselnd den Flugverkehr koordinieren. Das hat auch schon in Payerne zu gefährlichen Annäherungen zwischen Kampfjets und zivilen Flugzeugen geführt. Unter anderem kreiste aus diesem Grund während der Übung ständig ein Heli der Luftwaffe um die Autobahn. Dabei konnte er die Gegend gegen illegal eindringende Zivilisten schützen, aber auch den Luftraum zusätzlich kontrollieren. Die zweimal vier F/A-18 wurden in einem Warteraum in der Region Schifenen für den Anflug eingewiesen. Von hier aus musste ein An- und Abflugverfahren und auch ein Verfahren eines Go-arround definiert werden.
Oberstlt Hans Tschirren Redaktor ASMZ hans.tschirren@asmz.ch 3006 Bern
Administrative Belastung der Milizkader: Es besteht Handlungsbedarf
Gegen seinen Willen musste der Bundesrat einen Bericht vorlegen, wie die Bürokratie für die Milizkader der Armee abzubauen sei. Die Ergebnisse einer Umfrage zeigen: Der Handlungsbedarf ist ausgewiesen. Wie speziell die Digitalisierung und die Prozesse verbessert werden sollen, bleibt vage.
Peter Müller und Benjamin Lüthi
Am 26. September 2019 reichte Nationalrat Jean-Luc Addor (SVP) ein Postulat ein unter dem Titel «Weniger Bürokratie für die Milizkader unserer Armee». Er bat den Bundesrat, in einem Bericht die administrativen Abläufe darzulegen, «welche für die Milizkader bei der Ausübung ihrer Funktion eine übermässige Belastung darstellen». Die immer schwerer wiegenden administrativen Aufgaben erdrückten namentlich die Kompanie- und Bataillons-Kommandanten. Der ausserdienstliche Zeitaufwand sei erheblich. Darunter litten nach Auffassung von Addor die Führungsaufgaben und die Attraktivität der Kommandofunktion. Er forderte den Bundesrat auf, Massnahmen zum Abbau dieser administrativen Belastung vorzulegen.
Der Bundesrat wurde überstimmt
In seiner Stellungnahme anerkannte der Bundesrat die Notwendigkeit, dass «die administrative Belastung der Milizoffiziere
ausserhalb der Dienstzeit möglichst klein gehalten werden müsse». Damit liesse sich ein Beitrag zur Sicherstellung des Kadernachwuchses leisten. Gleichzeitig verwies er auf bereits eingeleitete Verbesserungen: Zugriff der Kommandanten auf das PersonalInformationssystem der Armee (PISA), Zurverfügungstellen der Software Mil-Office, Lagermodul zur Bewirtschaftung des Materials oder die Digitalisierung des Dienstbüchleins. Damit «komme man dem Begehren des Postulanten bereits nach». Die Erstellung eines neuen Berichts sei nach Auffassung des Bundesrates «nicht zielführend»; er lehnte das Postulat ab.
Der Nationalrat sah dies an seiner Sitzung vom 8. Juni 2021 anders: Mit einer Stimme Differenz (bei einer Enthaltung) stimmte er für die Annahme des Postulats. Damit wurde der Bundesrat beauftragt, den verlangten Bericht zu erstellen; am 8. Dezember 2023 verabschiedete er ihn zuhanden des Parlaments. So viel sei vorweggenommen: Glücklicherweise vertrat der
Nationalrat eine andere Haltung als der Bundesrat: Der Bericht liefert wertvolle neue Informationen. Erschreckend aber auch: Altgediente Kommandanten erleben einen Flashback; die Armee krankt noch immer an uralten administrativen Problemen.
Klare Ergebnisse aus einer Befragung
Anfang 2021 wurde eine Studie der Militärakademie an der ETH Zürich über «Das WKSystem der Schweizer Milizarmee» publiziert. Es zeigte sich, dass satte 74 Prozent der Einheitskommandanten (Stufe Kompanie oder Batterie) den ausserdienstlichen Aufwand für die Vorbereitung eines Wiederholungskurses «als zu gross erachteten». Gar neun von zehn Befragten beurteilten den mit der Führung einer Einheit verbundenen bürokratischen Aufwand als zu umfangreich. Wo genau der Schuh drückt, war aus der Studie nicht ersichtlich: Es fehlt die qualitative Komponente.
Das VBS entschloss sich deshalb im Mai 2022 zu einer breit abgestützten Befragung von Kommandantinnen und Kommandanten der Stufe Einheit und Truppenkörper in allen drei Landessprachen (siehe Infobox). Ziel war, «möglichst praxisnahe Antworten sowie Lösungsvorschläge zu erhalten». Angesichts des beträchtlichen Aufwands für die Stellungnahme wird der Rücklauf von 21 Prozent positiv bewertet.
Quantitativ decken sich die Antworten mit den Ergebnissen der Militärakademie. Ergänzt mit den qualitativen Aussagen zieht die Studie ein prägnantes Fazit: «Es besteht Handlungsbedarf!»
Zeitfresser:
Dienstverschiebungen und Urlaube
Dienstverschiebungen sind nach Auffassung der Befragten «eine permanente Quelle für den administrativen Aufwand». Das in Papierform oder via Mail einzureichende Dienstverschiebungsgesuch wird anschliessend teilautomatisiert (oder auch manuell) weiterbearbeitet. Die Entscheidbehörde nimmt verschiedene Abklärungen vor und eröffnet ihren Beschluss dem Antragsteller per Post oder wiederum per Mail. Der Einheitskommandant erhält automatisch eine Kopie.
Zusätzlicher Aufwand entsteht dann, wenn das Gesuch nicht über den korrekten Dienstweg eingereicht wird, weitere Abklärungen nötig sind oder ein Rechtsmittel
ergriffen wird. Hauptprobleme für die Einheitskommandanten sind: Sie werden bei Schlüsselfunktionen oder kritischen Mindestbeständen häufig nicht kontaktiert und erfahren erst kurz vor Dienstbeginn die definitiven Bestände. Grundsätzlich wird gewünscht, dass der Kommandant, welcher die Verantwortung für die Durchführung eines WK trägt, auch die Kompetenzen im Dienstverschiebungswesen erhält.
Der Prozess im Urlaubswesen ist schlanker und einfacher gehalten. Aber auch hier belastet der administrative Aufwand. Etliche Kommandanten sind mit der neuen Web-Applikation «Urlaubsgsuche.ch» nicht glücklich, insbesondere weil sie nicht an andere Systeme angebunden ist und erst nach Versand der Marschbefehle genutzt werden kann. Altgediente Einheitskommandanten aus der Armee 61 erleben hier insgesamt ein Déjà-vu.
Mögliche Problemlösung: Nichts tun
Unter dem Melde- und Kontrollwesen stöhnen praktisch alle Einheitskommandanten. Das Problem scheint vielschichtig: Unterschiedlichste Dokumentenvorlagen, verschiedenste Übermittlungsarten und variierende Vorschriften zur Aufbewahrung prägen den Alltag. Die Befragten bemängeln die Mehrfachübermittlung der gleichen Informationen, die ungenügende Koordination unter den Meldeempfängern oder den schwer nachvollziehbaren Detaillierungs-
grad. Gewichtig wiegen die Zweifel an «der Sinnhaftigkeit gewisser Dokumente und Meldungen». Checklisten könnten zur Entlastung beitragen, sofern sie vorhanden und auffindbar seien. Das neue Cockpit MILO5 (ein militärisches Softwarepaket) funktioniere nicht immer wunschgemäss und sei noch wenig bekannt.
Die umfangreiche vordienstlich abzuarbeitende «Meldeliste» war schon während der Armee 61 ein konstantes Ärgernis mit fragwürdigem Nutzen. Verbürgt ist: Ein bewährter, truppenverbundener Einheitskommandant ohne Weiterbeförderungsambitionen beschloss vor seinem letzten WK, die Meldeliste konsequent zu ignorieren. Er führte nur das aus, was gemahnt wurde –das sei dann offenbar wichtig. Resultat: Zwei Drittel aller verlangten Meldungen erledigten sich von selbst. Vielleicht sollte man diesen Ansatz mal testweise mit Billigung der Vorgesetzten wiederholen.
Waren das noch Zeiten
Im Logistikbereich wird die Zusammenarbeit mit der LBA als partnerschaftlich mit kontinuierlicher Verbesserung während der letzten zehn Jahre beurteilt. Trotzdem staut sich Handlungsbedarf: Das Formular- und Bestellwesen wird als «zeitintensiv, unstrukturiert, teilweise intransparent, restriktiv und umständlich» gewertet. Häufig komme es zu Diskrepanzen zwischen Bestellungen, den Bestätigungen der LBA und
Die WK-Vorbereitung findet zu Hause statt. Bild: Mediathek VBS
dem tatsächlich gelieferten Material. Problematisch seien auch die unterschiedlichen Fristen zwischen Material- sowie Fahrzeugbestellungen und dem Versand der Marschbefehle. Ferner seien die Grundausrüstungsetats oft unübersichtlich, unvollständig oder nicht aktuell. Teildigitalisierte Bestellprozesse – mit Unterschieden zwischen den einzelnen Armeelogistikzentren – werden als kontraproduktiv beurteilt.
Ein letzter Rückblick auf die Armee 61 zeigt: Zahlreiche Probleme wären obsolet, hätte weiterhin jede Einheit ihr eigenes Material im eigenen Zeughaus. Man wusste, was man herausfassen konnte; was defekt eingelagert wurde, war ein Jahr später halt auch wieder defekt verfügbar. Und zusätzliches Material war in der Regel problemlos erhältlich. So lange Einsatzmaterial unter den Einheiten herumgeschoben werden muss und manchmal gar Ausbildungsmaterial benötigt wird, bleibt das Logistikwesen schwer- und fehleranfällig. Das bleierne Erbe des untauglichen Aufwuchskonzepts wird uns noch lange begleiten.
Administrative Unterstützung
Zum Wissensmanagement äusserten die befragten Kommandanten den Wunsch, «institutionelles Wissen und das institutionelle Gedächtnis zu verbessern», um administrative Problemstellungen zu lösen und auf das Wissen erfahrener Offiziere oder Mitarbeitenden der Verwaltung zurück-
Hat jeder Kanton und jede Verwaltungsstelle
eigene Prozesse und Formulare?
Bild: Mediathek VBS
ERHEBUNG ZUR ADMINISTRATIVEN BELASTUNG
• Rund 650 befragte Kommandantinnen/Kommandanten
• 136 eingereichte und verwertbare Stellungnahmen = 21 % Rücklaufquote
• 90 bis 210 Stunden für WK-Vorbereitung = 4,5 bis 10,5 % der Jahresarbeitszeit
• 300 bis 420 Stunden für WK-Vorbereitung, WK, Kurse und Rapporte = 15 bis 21 % der Jahresarbeitszeit
Quelle: Erhebung vom Mai 2022 zur administrativen Belastung der Kommandanten und Kommandantinnen der Stufe Einheit und Truppenkörper
PROBLEM- UND HANDLUNGSFELDER
• Dienstverschiebungen
• Urlaubswesen
• Personalplanung
• Controlling/Meldungen
• Logistik
• Infrastruktur
• Zusammenarbeit mit vorgesetzter Stelle
Quelle: Bericht des Bundesrates «Weniger Bürokratie für die Milizkader der Armee»
KRITISCHE ERFOLGSFAKTOREN
• Digitalisierung der Verwaltungstätigkeit
• Effiziente Verwaltungsprozesse
• Raum für Innovationen und Ideen
• Wirkungsvolles Wissensmanagement
Quelle: Bericht des Bundesrates «Weniger Bürokratie für die Milizkader der Armee»
greifen zu können. Oftmals ist auch zu beachten, dass gewisse Hilfestellungen (Checklisten, Musterbefehle, Management-Tools) durchaus vorhanden wären, bei den Adressaten jedoch unbekannt sind. Insgesamt fehle es an Kenntnissen zur Bewältigung der administrativen Herausforderungen und zur Bedienung von Systemen.
Der Bericht des Bundesrates anerkennt, dass eine Anpassung der Lehrgänge hilfreich sein könnte. Die Herausforderung bestehe jedoch darin, dass «die Lehrpläne bereits dicht gedrängt sind und Anpassungen nur zu Lasten anderer Themen möglich wären». Man suche nach einer Lösung.
Vielleicht muss man gar nicht so weit evaluieren: Ein Kommandant der ehemaligen Felddivision 3 organisierte sogenannte «Chummerzhilf»-Kurse: Zielpublikum waren (damals) Sekretärinnen, zivile Mitarbeitende, Ehefrauen und Partnerinnen der Kommandanten. Sie erhielten eine mehrtägige praktische und unbesoldete Ausbildung in administrativen Belangen eines
Kommandanten. Das Angebot stiess auf allseits positives Echo. Heute müsste das Zielpublikum wohl diverser definiert werden; aber einfache Success-Storys dürfen durchaus kopiert und adaptiert werden. Allerdings bliebe das übergeordnete Problem damit ungelöst.
Offener Umgang mit Kritik
Im zweiten Teil des Berichts nimmt der Bundesrat zu den Resultaten der Erhebung Stellung. Wer nun eine Abwehr- und Beschönigungsschlacht erwartet, wird positiv überrascht: Von «verständlichen Wünschen», «nachvollziehbarer Kritik», «zutreffender Charakterisierung», «mangelhafter Koordination» und «nicht ausreichenden Ressourcen» ist oft die Rede. Als eine der Hauptkonsequenzen steht im Bericht: «Meldewesen und Prozesse müssen konsequent vereinfacht, automatisiert und mehrfach genutzt werden.» Und regelmässig liest man von der notwendigen digitalen Transformation sowie
vom Handlungsbedarf betreffend Funktionalität, Performance und Benutzerfreundlichkeit von Software und Tools.
Auf eine wesentliche Rahmenbedingung kommt der Bundesrat gleich selbst zu sprechen: Die Forderung nach einer umfassenden Digitalisierung mache nur dann Sinn, wenn vorgängig «die administrativen Verwaltungsprozesse kritisch durchleuchtet und reduziert werden». Nach Auffassung des Bundesrates besteht da momentan ein gewichtiger limitierender Faktor: Die Überarbeitung und Digitalisierung der Prozesse finde aktuell noch im «Silo der eigenen Verwaltungseinheit statt». Diese gelte es aufzubrechen mittels Koordinations- und Steuerverantwortlichen.
Digitalisierung und nochmals Digitalisierung
Die Lageanalyse ist stringent, der Handlungsbedarf ausgewiesen, die Selbstkritik wohltuend und die Dringlichkeit offensichtlich. Und jetzt? Erfreulicherweise macht der Bundesrat im dritten Teil des Berichts auch Vorschläge, wo der Hebel angesetzt werden soll. Wenig überraschend steht die Digitalisierung im Zentrum. Sie wird als erster von vier kritischen Erfolgsfaktoren genannt (siehe Infobox). Als Grundlage dient die «Vision Armee – Die Schweizer Armee im Jahre 2030». So sei die Armeeverwaltung weiterzuentwickeln und «als moderne Dienstleistungsorganisation bis 2030 aufzustellen». Daraus abgeleitet sind die beiden strategischen Initiativen «Digitalisierung der Miliz (DIMILAR)» und «Digitalisierung der Verwaltung».
Aus der Vielzahl an vorgesehenen Massnahmen seien bloss ein paar herausgegriffen: Die Einführung von Microsoft 365 (MS 365) als elektronische Kollaborationslösung für die Milizkader der Stufe Einheit und Truppenkörper wird seit dem vierten Quartal 2023 vorbereitet; es wird aber «noch geprüft, ob und wie schnell eine Einführung möglich sei». Es läuft ein Test bei ausgewählten Armeeangehörigen, das Dienstverschiebungsgesuch elektronisch einzureichen; eine «einheitliche,benutzerfreundliche Plattform bleibe das Ziel». Die App «Urlaubsgesuche.ch» soll von Grund auf neu entwickelt werden; die Befragten kritisierten deren «überstürzte» und überraschende Einführung.
Die PISA-Prozesse werden digitalisiert; bis Ende 2025 soll PISASoft umgesetzt sein.
Hier zeichnet sich eine grössere Baustelle ab: Jüngere Kommandantinnen und Kommandanten bezeichnen das heutige System als «zu kompliziert, wenig intuitiv und extrem langsam». Die langen Wartezeiten machten die WK-Vorbereitung mühsam und ineffizient. Ein Projekt «Digitalisierung des Bestellwesens» befindet sich in Vorbereitung; gleichzeitig wird ein Ausbau des bestehenden Webshops «geprüft». «Hohe Priorität» geniesst das elektronische Dienstbüchlein. Gleiches heisst es zum elektronischen Marschbefehl mit integriertem Billett.
Es lauern Prozesse und Silos
Der Mangel im Bericht des Bundesrates wird mit diesen Beispielen offensichtlich: Zahlreiches ist erst auf Visions- und Strategieebene angedacht. In der konkreten Ausführung bleibt allzu viel vage. So fehlen Prioritäten, Abhängigkeiten, Zeitpläne und Verantwortlichkeiten. Dabei drängt die Zeit, wenn das Ziel 2030 erreicht werden soll. Und irgendwie schwindet der Fokus auf die Kommandanten: Sie geraten zwischen Truppe (stark im Visier) und Verwaltung in den Hintergrund.
Eine Befürchtung lässt sich noch nicht entkräften: Ob aller angedachten Digitalisierung in zahlreichen Handlungsfeldern geraten die Prozesse ins Abseits. Aber genau dort müssten die Massnahmen starten. Sonst digitalisiert man Unsinn und Ineffizienz. Und die Beispiele zeigen, dass wiederum primär in den einzelnen Silos optimiert wird. Die befragten Kommandanten weisen zu Recht darauf hin: «Digitale Lösungsansätze dürfen nicht als Insellösungen und überstürzt lanciert werden.» Das Handlungsfeld ist im Moment riesig. Angedacht ist die Stelle eines Chief Digital Officers für die Digitalisierung der Verwaltung. Das Pflichtenheft müsste ausgedehnt und die Stelle mit den nötigen Ressourcen sowie Kompetenzen zum Aufbrechen der Silos ausgestattet werden.
Maj a D Peter Müller
Dr. rer. pol.
Redaktor ASMZ
peter.mueller@asmz.ch
3672 Oberdiessbach
Oblt Benjamin Lüthi
Kdt Pz Gren Kp 12/4 (ab 1. Januar 2025)
Betriebsökonom
8004 Zürich
VERTEIDIGUNGSFÄHIGKEIT ERKLÄRT
Thomas Süssli, CdA
Gesamtsystem Armee
Um die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz zu stärken, müssen unsere Truppen mit leistungsfähigen und vernetzten Systemen arbeiten. Bislang wurden neue Hauptsysteme im Rahmen eines Rüstungsprogrammes gleichzeitig und flächendeckend beschafft. Mit den Nachteilen von langen Beschaffungszeiten, hohen Investitionen konzentriert auf ein spezifisches Waffensystem und dem Risiko der technologischen Veralterung. Dies wollen wir künftig anders angehen. In Zukunft werden Teile der Armee schrittweise und adaptiv erneuert. Dies geschieht stets in Anbetracht der sich bietenden technologischen Möglichkeiten. Diese Art von Weiterentwicklung drängt sich insbesondere bei den Bodentruppen auf. Künftig soll in einem ersten Schritt jeweils ein Drittel der Truppenkörper mit neuen Systemen ausgerüstet werden. Erst in weiteren Schritten werden die anderen zwei Drittel erneuert. Damit wird sichergestellt, dass bei vollständiger Ausrüstung zumindest ein Teil der Armee immer über das modernste Material verfügt.
Der Ansatz dieser schrittweisen adaptiven Weiterentwicklung ermöglicht es nicht nur, neue Fähigkeiten schneller als bisher aufzubauen. Bestehende Fähigkeiten bleiben ausserdem auf einem technologisch soliden Niveau. Diese Vorgehensweise erlaubt auch, das sogenannte «Gesamtsystem Armee» zu erhalten. Die adaptive Weiterentwicklung stellt die Armee aber auch vor Herausforderungen, namentlich in den Bereichen Beschaffung, Ausbildung, vernetzte Führung und Logistik, die noch nicht abschliessend geklärt sind. In den nächsten Jahren wird es darum gehen, Erfahrungen zu sammeln und Anpassungen in den Abläufen und Prozessen vorzunehmen. Damit wird versucht, die entstehenden Fähigkeitslücken so klein wie möglich zu behalten. Das Resultat ist eine glaubhafte Verteidigung.
«Back to the Eighties»
Westliche und insbesondere US-amerikanische Waffensysteme sind in der Ukraine begehrt. Verblüffend ist die Tatsache, dass es sich dabei oft um Waffentechnologien handelt, die auf eine Initiative der US-Army in den späten 1970er-Jahren zurückreichen.
Thomas Bachmann
Kürzlich sorgte auf den Social-Media-Kanälen ein Drohnenvideo für Aufsehen, dass die Zerstörung einer russischen S-400-Flugabwehrstellung durch ATACMS-Raketen zeigte. Vergeblich versuchten die Russen im letzten Moment durch das Abfeuern von Abfangraketen, den Einschlag dieser ballistischen Kurzstreckenraketen zu verhindern. Das oft so hochgelobte Abfangsystem S-400 «Triumf» scheiterte kläglich.
Bemerkenswert daran ist die Tatsache, dass in den USA teils ausgemusterte ballistische Kurzstreckenraketen aus den 1980erund 1990er-Jahren mühelos die einst so gefürchtete russische Flugabwehr wiederholt durchdrangen und diese neutralisierten. Generell ist auffällig, wie US-amerikanische Waffensysteme – obwohl teils nur in spärlicher Anzahl vorhanden – an einigen Frontabschnitten den Unterschied ausmachen können respektive für hohe Verluste sorgen und so die zahlenmässige Unterlegenheit der ukrainischen Brigaden teilweise wettmachen können.
Die Big Five als Kern der Air-Land-Battle-Doktrin
Nicht selten haben diese Systeme ihre Wurzeln im sogenannten Big-Five-Programm der US-Army, eine Terminologie, die an die dominierenden Tiere des afrikanischen Kontinents erinnert. Das Big-Five-Programm als Kern einer damals neuen Einsatzdoktrin namens Air-Land-Battle definierte ab den späten 1970er-Jahren Kriterien an zukünftige Waffensysteme, Trainings- und Einsatzverfahren. Dies vor dem Hintergrund einer schonungslosen Analyse des Debakels im Vietnamkrieg sowie den neuesten Erkenntnissen aus dem Jom-Kippur-Krieg 1973. Insbesondere die horrenden Verluste israelischer Panzer durch Panzerabwehrlenkwaffen sowjetischer Provenienz, gepaart mit der durch die ägyptischen und syrischen mechanisierten Divisionen angewandte sowje-
tische Einsatzdoktrin, verlangten nach neuen Antworten, um in einem konventionell geführten Krieg in Westeuropa bestehen zu können.
Diese Doktrin, die schliesslich 1986 im Field Manual FM100-5 Operations veröffentlicht wurde, war eine Antwort auf die Erkenntnis, dass herkömmliche Konzepte der konventionellen Kriegsführung nicht mehr ausreichten. Ein Kernelement dieser Doktrin war das nahtlose Ineinandergreifen der Luft- und Landstreitkräfte, um die Vorteile beider zu nutzen und so eine überlegene Schlagkraft zu erzielen. Das aber bedingte, dass diese beiden Teilstreitkräfte ihre traditionellen Rivalitäten ad acta legen mussten. Daneben wurde die Notwendigkeit von Flexibilität und Beweglichkeit betont, die neben der entsprechenden Hardware auf die Verbesserung der Kommunikations- und Führungssysteme abzielte und auch Konzepte der sogenannten Deep-Battle beinhaltete. Letzteres sah Angriffe nicht nur auf die vordersten gegnerischen Truppenteile, sondern auch auf Nachschubwege, Kommunikationslinien und Kommandostrukturen weit hinter den Kontaktlinien vor.
Um diese Anforderungen zu erfüllen, sollten schliesslich fünf zentrale Waffen-
systeme in einem zukünftigen Krieg in Europa aufgrund ihrer qualitativen Vorteile den Ausschlag gegenüber den zahlenmässig überlegenen Armeen des Warschauer Paktes geben, so die Vorgabe. Namentlich wurde die Entwicklung respektive Einführung des Kampfhubschraubers AH-64 Apache, des Transporthubschraubers UH-60 Blackhawk, des Luftabwehrsystems Patriot, des Kampfpanzers M1 Abrams sowie des Schützenpanzers respektive Infantry Fighting Vehicle (IFV) M2 Bradley in die Wege geleitet. Ebenso wie der Löwe, der Schwarzbüffel, der Elefant, der Leopard und das Nashorn den afrikanischen Kontinent, sollten die genannten Waffensysteme das zukünftige Schlachtfeld Europas beherrschen. Nun, diesen Beweis mussten sie glücklicherweise auf dem europäischen Kriegsschauplatz nicht antreten. Dafür zeigten sie 1991 anlässlich der Operation Desert Storm im zweiten Golfkrieg, was sie können. Damals wurden die meist mit Waffentechnik aus der Sowjetunion ausgerüsteten irakischen Truppen nach wochenlangem Bombardement aus der Luft in einer 100 Stunden dauernden Bodenoffensive aufgerieben. Daran hatten die Big Five einen entscheidenden Anteil. Von diesen sind nun, über drei Jahrzehnte nach der Operation Desert Storm, deren drei in der Ukraine im Einsatz: das Luftabwehrraketensystem Patriot, der Kampfpanzer M1 Abrams sowie der Schützenpanzer M2 Bradley.
Patriot setzt neue Standards
Über den Einsatz des Luftverteidigungssystems Patriot wurde schon einiges ge-
Ein Upgrade auf ukrainisch: M1A1 Abrams mit Reaktivpanzerung und «Cope Cage». Bild: twz
schrieben (vgl. hierzu ASMZ 3/24). Es erwies sich bisher als derart effizient, dass die Ukraine händeringend zu den bereits drei vorhandenen um vier zusätzliche Feuereinheiten ersuchte. Bis auf je eine Feuereinheit aus Deutschland und den USA, zusätzliche Abfangraketen PAC-2 aus Spanien sowie finanziellen Zusagen einiger europäischer Nationen blieb das Flehen um zusätzliche Patriots bisher ungehört. Als zu wertvoll und unersetzbar erachten die Betreiberländer mittlerweile diesen Alleskönner, der die ganze Palette an Bedrohungsformen aus der Luft der russischen Föderation zuverlässig abzuschiessen in der Lage ist.
Gemäss der Aussage des Herstellers Raytheon betrage der Zeitraum von der Bestellung bis zur Auslieferung momentan 36 Monate, wobei man über die Produktionskapazitäten von 12 Feuereinheiten pro Jahr verfüge. Deutschland bestellte jüngst vier Patriot-Systeme in der Konfiguration C3+, um die an die Ukraine abgegebenen Systeme zu ersetzen und die eigenen Bestände wieder aufzustocken. Die Schweiz sollte das Patriot-System frühestens ab dem Jahr 2026 erhalten, wobei von deutscher Seite schon Avancen gemacht wurden, diesen Auslieferungstermin zugunsten der deutschen Bestellungen nach hinten zu verschieben –Ausdruck einer neuen Dringlichkeit in der Bedrohungswahrnehmung der NATO-Länder, zumal deren Kapazität an bodengestützten Luftabwehrsystemen quantitativ überschaubar ist und den neuen Realitäten mitnichten genügt. Mit Hochdruck versuchen nun diverse westliche Staaten, diese Fähigkeitslücke zu schliessen. Gepaart mit einer neuen Radarentwicklung, dem «Lower Tier Air and Missile Defense Sensor», der eine 360-Grad-Abdeckung ermöglicht, sowie einer neuen innovativen SoftwareLösung im Bereich Command and Control (C2) wird das Patriot-Luftverteidigungssystem das Mass aller Dinge vieler NATO- und westlichen Nationen bleiben und noch jahrzehntelang das Rückgrat der Luftverteidigung grosser Reichweite bilden.
Abrams-Kampfpanzer mit Problemen in der Ukraine
Gross war der Wunsch der Ukraine nach modernen westlichen Kampfpanzern, um einer geplanten Offensive im Sommer 2023 die nötige Durchschlagskraft zu verleihen. Erst als sich Washington durchrang, der Ukraine 31 ältere M1A1 Abrams zu überlassen
– gerade genug für ein einziges Panzerbataillon – kamen die westlichen Panzerlieferungen in die Gänge, namentlich verschiedene Varianten des Leopard 2 neben einer geringen Anzahl britischer Challenger 2. Die Entwicklung des Abrams – dessen Namensgeber der frühere Stabschef der US-Army, Creighton Abrams, ist – geht auf die frühen 1970er-Jahre zurück, als ein Nachfolger für den M60-Patton-Panzer gesucht wurde. Es resultierte nach einer langwierigen Entwicklungsphase schliesslich der M1, ursprünglich mit einer 105-mm-Panzerkanone ausgerüstet, der gemäss der Air-LandBattle-Doktrin den sowjetischen T-72- und T-80-Kampfpanzern hätte die Stirn bieten sollen.
Über 9000 dieser – je nach Version – bis zu 70 Tonnen schweren Panzer wurden in verschiedenen Varianten bisher gebaut und
bilden seit bald vier Jahrzehnten die «eiserne Faust» der mechanisierten Divisionen der US-Army. Zu den jüngsten Kunden in Europa zählen auch Polen sowie neu Rumänien. «Legendenstatus» erreichte dieser Kampfpanzer in der Variante M1A1 1991 im zweiten Golfkrieg. In den Weiten des Südwest-Iraks spielte der M1A1 seine Trümpfe wie die hohe Geschwindigkeit, eine überlegene Feuerkraft und Zielgenauigkeit – insbesondere die ErsttrefferWahrscheinlichkeit bei Distanzen von über 1800 m – im Verbund mit den begleitenden Elementen gekonnt aus. Das Gefecht der verbundenen Waffen wurde nach allen Regeln der militärischen Kunst zelebriert, so wie es die eingangs beschriebene Doktrin vorsah. Die von den Irakern verwendeten T-72- und T-62-Panzer waren demzufolge kein ebenbürtiger Gegner. Ganze neun Ab-
Zwei M2A2 Bradley: hochgeschätzter Alleskönner aus Zeiten des Kalten Krieges im Dienste der 47. Mechanisierten Brigade. Bild: Militaryland
Nicht unverwundbar: ein getroffener M1 Abrams aus Sicht des russischen Drohnenoperateurs. Bild: twz
rams sollen im zweiten Golfkrieg verloren gegangen sein, sieben davon durch «friendly fire», während zwei beschädigte und aufgegebene Abrams aus der Luft zerstört wurden, um zu verhindern, dass diese erbeutet wurden. Besatzungsmitglieder sollen keine zu Schaden gekommen sein, was die hervorragende Schutzwirkung dieses Panzers unterstreicht.
Etwas anders präsentiert sich die Situation nun in der Ukraine. Von den ursprünglich 31 gelieferten Abrams wurden gemäss der Datenbank Oryx bereits acht zerstört oder mussten beschädigt aufgegeben werden. Eines dieser Exemplare wurde erbeutet und war ein beliebtes Fotomotiv anlässlich der Militärparade vom 9. Mai auf dem Roten Platz. Der Nimbus der Unverwundbarkeit der westlichen Panzer war endgültig dahin und mittlerweile flachte die Begeisterung etwas ab. Unbestritten ist der hohe Schutzgrad, den westliche Panzer und somit auch der Abrams der jeweiligen Besatzung bieten. Ebenfalls hochgelobt werden die Mobilität, Bewaffnung und Sensorik, die sich gegenüber russischen Modellen als überlegen erwies. Nur werden diese Panzer eben nicht so verwendet, wie es die Air-Land-Battle-Doktrin vorsah. Oft werden die Panzer einzeln im Abwehrkampf eingesetzt, eher in der Rolle von Sturmgeschützen für die Infanterie oder gar als Artillerie im indirekten Feuer. Das Duell Kampfpanzer gegen Kampfpanzer ist eine seltene Ausnahme geworden. Dabei kommen die erwähnten Stärken nicht zum Tragen, der nötige Verbund der begleitenden Waffensysteme fehlt ebenso, was die teils hohen Verluste erklärt, die auf Treffer der Kamikaze-Drohnen oder Lancet-Loitering-Munition zurückzuführen sind. Nicht selten, nachdem die Abrams durch Minentreffer stehenblieben. Nicht verdrängt werden kann auch die Tatsache, dass die oft hastige Ausbildung der ukrainischen Besatzungen nicht dazu ausreichte, die komplexe und anforderungsreiche Mechanik im Kampf der verbundenen Waffen einzuüben. Zudem sei die Gasturbine mit der Filteranlange sehr wartungsintensiv und verlange von den Instandsetzungseinheiten viel Know-how und Fingerspitzengefühl. Anfang April wurde gar gemeldet, dass die 47. Mechanisierte Brigade aufgrund der Verluste ihre restlichen Abrams-Kampfpanzer von der Front abziehen würde. Das wurde mittlerweile aber dementiert. Jüngst tauchten auf den einschlägigen Social-Media-Kanälen näm-
lich Bilder auf, die Exemplare des in der Ukraine verwendeten M1A1SA – der von den USA nicht mit der modernsten Panzerung geliefert wurde – mit Reaktivpanzerung aus Sowjetzeiten und sogenannten «Cope Cages» zeigten, um der offensichtlichen Verwundbarkeit durch FPV-Drohnen vorzubeugen. Es bleibt abzuwarten, ob der M1A1 Abrams so geschützt besser in Aktion treten kann und dann einen wirklichen Mehrwert darstellt. Diesen Beweis blieb dieser Kampfpanzer wie auch die diversen Leopard-2Varianten bisher schuldig.
M2 Bradley: flexibel und unverzichtbar
Als der Kongress in Washington nach monatelangem Tauziehen Anfang April ein 60 Milliarden schweres Hilfsprogramm bewilligte, befanden sich nebst der dringend benötigten Artilleriemunition und ATACMSRaketen zusätzliche Bradley-Schützenpanzer ganz oben auf der Wunschliste der Ukraine. Seit April 2023 wurden rund 200 Fahrzeuge dieses Typs in der Variante M2A2 ODS (Operation Desert Storm) geliefert. Dieser Schützenpanzer hat sich bei der 47. Mechanisierten Brigade ausserordentlich bewährt und kann wohl als die kettenbasierte Mehrzweckwaffe schlechthin bezeichnet werden. Mittlerweile geniesst diese Brigade, die zu grossen Teilen mit US-amerikanischem Gerät ausgerüstet ist, einen ausgezeichneten Ruf und wird vom ukrainischen Generalstab als eigentliche «Front-Feuerwehr» eingesetzt. Ursprünglich als Speerspitze der gescheiterten ukrai-
nischen Gegenoffensive eingesetzt, wurde sie nach einer Reaktivierungsphase nun im Raum Awdijiwka in die Abwehrschlacht geworfen. Dort scheint der M2A2 Bradley im Gegensatz zum M1A1 Abrams vollends zu überzeugen. Zahlreiche Videos bezeugen die Durchschlagskraft des Bradley, der gar russische T-90M oder T-80 im direkten Duell zu zerstören vermochte.
Dies mag nicht überraschen, zerstörte der Bradley – mit dem US-General Omar Bradley als Namensgeber – in der Operation Desert Storm mehr gepanzerte Fahrzeuge und Kampfpanzer als der eigentlich für diese Aufgabe vorgesehene Abrams-Kampfpanzer. Standardmässig ausgerüstet mit einer Bushmaster M242 25-mm-Kanone, einem Maschinengewehr und zwei auch hierzulande bekannten BGM-71 TOWPanzerabwehr-Lenkwaffen ist der Bradley ausreichend bewaffnet, um es notfalls auch mit Kampfpanzern aufnehmen zu können. Neben der Drei-Mann-Besatzung können bis zu sieben vollausgerüstete Infanteristen transportiert werden, was diesen 33 Tonnen schweren Schützenpanzer vielfältig einsetzbar macht: sei es im direkten Kampfeinsatz, bei der bewaffneten Aufklärung oder etwa bei der Bergung gestrandeter Besatzungen. Kurzum, der Bradley ist für die ukrainische 47. Mechanisierte Brigade unverzichtbar geworden und die Besatzungen sind voll des Lobes.
Das im Vergleich zum Abrams deutlich geringere Gewicht, die verhältnismässig hohe Schutzwirkung der Panzerung sowie die hervorragende Mobilität machen diesen
Schützenpanzer, der ursprünglich als Ersatz der M113 gedacht war, zu einer Allzweckwaffe. Im Vergleich zu den russischen Pendants wie die BMP-Reihe zeigt sich der Bradley deutlich robuster und widerstandsfähiger. Es kursieren diverse Videos, die zeigen, dass selbst mehrere Treffer am Bradley nicht zu einem Totalausfall geführt haben. Bis zu 100 weitere Exemplare sollen mittlerweile den Weg in die Ukraine gefunden haben, was die bisherigen Verluste von bis zu 81 M2A2 Bradleys (gemäss Oryx, Stand 1. Juni), davon 37 Totalverluste, mehr als wettmachen sollte.
ATACMS ermöglichen Deep-Strike-Fähigkeiten
Obwohl der Mehrfachraketenwerfer MLRS 240 – der auf dem Fahrgestell des Bradley basiert – offiziell nicht zu den Big Five gehört, bildet dieses Raketenartilleriesystem diejenige Komponente, die der US-Army jene Deep-Strike-Fähigkeiten ermöglichte – abgesehen von den AH64-Apache-Kampfhubschraubern –, die in der Air-Land-BattleDoktrin angestrebt wurde. Mit den schon vielfach zitierten ATACMS-Raketen können je nach Variante Ziele weit im Hinterland getroffen werden.
Das führte beispielsweise im Golfkrieg 1991 nicht selten zu einem Kompetenzgerangel, da sich die US Air Force für solche Missionen zuständig sah. Wie dem auch sei, die nun offensichtlich in grösserer Anzahl vorhandenen ATACMS-Raketen grösserer Reichweite ermöglichen es den ukrainischen Streitkräften, russische Hochwertziele wie Flugplätze, Hafenanlagen oder
Flugabwehrstellungen präzise zu bekämpfen. Das dürfte auf russischer Seite gezwungenermassen zu vermehrter Dezentralisation ihrer Systeme und Logistikhubs führen. Seitdem diese Systeme auch auf Ziele in der russischen Grenzregion eingesetzt werden dürfen, hat beispielsweise der Beschuss der Millionenstadt Charkow nachgelassen. Ebenso ist die Krimhalbinsel nun gänzlich ins Fadenkreuz der ATACMS-Raketen gerückt und stellt keinen sicheren Rückzugsort für die russischen Streitkräfte mehr dar. Hier ist dieses Waffensystem zum «Game Changer» geworden.
Trends: leichter, leiser, unbemannt
Auch wenn die Evaluation eines BradleyNachfolgers mit der Bezeichnung XM30 in den USA in die Gänge kommt, fliessen der US-Army momentan Updates bisheriger Bradleys in der Version M2A4E1 zu, die der zunehmenden Digitalisierung der Gefechtsfeldes Rechnung tragen, bei gleichzeitig gesteigerter Schutzwirkung – auch gegen Drohnen – sowie nochmals verbesserter Mobilität. Damit dürfte das Entwicklungspotenzial dieses 40 Jahre alten Systems jedoch ausgereizt sein.
Bei diversen NATO-Armeen laufen neue Beschaffungsvorhaben von Schützen- und Kampfpanzern auf Hochtouren. Neben einem hohen Schutzgrad fällt auf, dass bei ersteren die Waffentürme zunehmend unbemannt sind. Diese Türme sind vollends digitalisiert und verfügen nebst Maschinenkanonen vom Kaliber 30 mm, die mit der entsprechenden Munition auch gegen kleine Drohnen eingesetzt werden können,
standardmässig über Panzerabwehrlenkwaffen. Dies ist beispielsweise beim deutschen Schützenpanzer Puma der Fall, der nun Stück für Stück den bewährten und altgedienten Marder ablöst.
Der in der Schweiz als Schützenpanzer 2000 bekannte CV90/30, ist in der Ukraine ebenfalls im Einsatz und soll sich ausserordentlich bewährt haben. Schweden lieferte über 50 Stück der Variante CV90/40, die mit einer 40-mm-Kanone bewaffnet sind. Auch diese Fahrzeugfamilie wird laufend modernisiert. Neue Varianten – auch mit Panzerabwehrlenkwaffen bestückt – laufen beispielsweise in der Variante CV90 MK. IV. bald der tschechischen und slowakischen Armee zu. Verlautbarungen des Herstellers BAE Hägglunds zufolge soll dieses Fahrzeug künftig gar in der Ukraine hergestellt werden.
Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie wichtig robuste Schützenpanzer aufgrund ihrer Vielseitigkeit sind, gerade im Verteidigungskampf. Diese bieten nicht nur den nötigen ballistischen Schutz ihrer Insassen, sondern unterstützen diese – sobald abgesessen –auch im Kampf. Hierzulande vom Heer vermisst wird die nie beschaffte zweite Tranche der Spz 2000, der in der Version CV90/30CH und in einer Stückzahl von 186 Fahrzeugen mit dem Rüstungsprogramm 2000 beschafft wurde. So fehlen noch mindestens 24 Stück, um die sechs verbliebenen Panzerbataillone vollständig auszurüsten, die auf dem Papier über je 35 Stück verfügen sollten. Falls die auf dem Papier bestehende Mech Br 4 vollständig ausgerüstet werden sollte, kämen nochmals 105 Schützenpanzer hinzu, um die drei Bataillone entsprechend auszustatten.
Renaissance der leichten Kampfpanzer?
Im Bereich der Kampfpanzer setzen die NATO-Streitkräfte auf Upgrades der bewährten Modelle Leopard 2, Challenger und Abrams. Ersterer wird in der Variante A8 künftig die Panzerverbände Norwegens, Tschechiens, Litauens und womöglich auch der Niederlande und Schwedens ausrüsten. Auch die deutsche Bundeswehr wird ihre an die Ukraine abgegebenen Leo 2A6 durch dieses Modell ersetzen, in welcher Stückzahl, ist noch nicht restlos geklärt. Beim Abrams dominiert momentan die Variante M1A2 SEPv3, wovon Polen beispielsweise 250 Exemplare bestellt hat, um damit mindestens vier Panzerbataillone auszurüsten.
Von diesen schweren Kampfpanzern möchte sich die US-Army spätestens in den 2030er-Jahren verabschieden: Eine erste Projektstudie für einen Abrams-Nachfolger mit dem Namen AbramsX wurde letztes Jahr erstmals von General Dynamics Land System vorgestellt. Der Demonstrator verfügte etwa über einen leisen Hybridantrieb, eine Dreimannbesatzung und eine Ladeautomatik. Er brachte nur noch 49 Tonnen auf die Waage, ein Beweis dafür, dass die Kampfpanzerentwicklung im Westen neue Wege geht: Der Slogan «Big is Beautiful» gilt nicht mehr, eine Renaissance der leichten Kampfpanzer scheint bevorzustehen. Ähnliches war jüngst an der Rüstungsmesse Eurosatory 2024 in Paris zu sehen, wobei Projektstudien mit Geschützen der Kaliber 130 bis 140 mm vorgestellt wurden, in Kombination mit einer 30-mm-Waffe, die auch der Drohnenabwehr dienen soll.
Bis das gemeinsame deutsch-französische Rüstungsprojekt FGCS anrollen wird – bemannt wie unbemannt – werden gemäss diverser Einschätzungen noch mindestens 20 Jahre vergehen. Diese Zeit wird in Europa durch Übergangslösungen überbrückt, die auf bewährten Plattformen aufbauen werden und sowohl passive wie aktive Abwehrsysteme beinhalten. Das macht diese Panzer aber immer schwerer, ein Problem, wie nun der Krieg in der Ukraine gezeigt hat: Viele Brücken können diese über 70 Tonnen schweren Gefährte nicht mehr tragen. Auch die Logistik und Instandsetzung benötigt vom speziellen Bergepanzer bis zum Panzertransporter ebenfalls schweres Gerät.
Hoch im Kurs: PatriotLuftabwehrsystem in Diensten der Ukraine. Bild: nbc
In der US-Army werden zusätzliche neue gepanzerte Plattformen Einzug halten. Momentan wird beabsichtigt, die ganze Palette an gepanzerten Fahrzeugen zu erneuern und auf das digitale Schlachtfeld auszurichten. Mit dem Feuerunterstützungsfahrzeug für die Infanterie, dem M10 Booker, verfügen die Infantry Brigade Combat Teams künftig über Fahrzeuge, die über eine ähnliche Feuerkraft wie Kampfpanzer verfügen, aber mit ihrem deutlich geringeren Gewicht mobiler und vielfältiger einsetzbar sein werden. So können beispielsweise gleich zwei M10 Booker mit einer C-17 «Globemaster III» – dem Rückgrat der Transportflotte der US Air Force – transportiert werden, was auch eine neue strategische Flexibilität darstellt und gerade im Hinblick auf ein mögliches Taiwan-Szenario wichtig ist.
Generell ist die US-Army auf der Suche nach den nächsten Big Five für das 21. Jahrhundert, die in der neuen Multi-DomainDoktrin bestehen müssen, also sowohl zu Lande, in der Luft, auf hoher See, im Weltund Cyberraum. Dabei stehen eher Fähigkeiten im Vordergrund, nicht mehr einzelne Waffensysteme, wie es in den 1970er-Jahren der Fall war, als die Air-Land-Battle-Doktrin formuliert wurde. Bis es aber so weit ist, werden die Big Five aus den 1980er-Jahren weiterhin das Rückgrat der US-Army bilden und teils in der Ukraine ihren Wert unter Kriegsbedingungen unter Beweis stellen.
Oberleutnant a D
Thomas Bachmann
M.Sc., M.A. thomas.bachmann@asmz.ch 8132 Hinteregg
CYBER OBSERVER
Marc Ruef Head of Research scip AG
Wir müssen einmal mehr über künstliche Intelligenz reden. Dass dem einen oder anderen Leser das Thema langsam auf die Nerven geht, kann ich nachvollziehen. Es bleibt aber omnipräsent und hat bis dato weder auf technischer noch gesellschaftlicher Ebene seinen Zenit erreicht.
Eine Sorge, die mir KI bereitet ist, dass diese gegenwärtig in die gänzlich falsche Richtung entwickelt wird. Wenn wir über die jüngsten Errungenschaften sprechen, dann reden wir von Produkten, die Gedichte schreiben, Musik komponieren und Bilder malen können.
Und so beobachten wir ein Aufbäumen der kreativen Schaffenden, die ihr Handwerk und mit ihm ihre Zunft in Gefahr sehen. An allen Fronten wird für eine rechtliche Regulierung gekämpft. Ob diese wirklich gerechtfertigt ist oder sich überhaupt durchsetzen lässt, soll das Thema einer zukünftigen Kolumne bleiben.
«Kreative Demonstrationsbeispiele» durch eine KI vermögen zwar schön zu sein, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber das sollte nicht die erste, einzige und primäre Aufgabe von KI werden. Ich möchte, dass uns Computer die mühsamen und sich wiederholenden Arbeiten abnehmen: Steuererklärungen ausfüllen, Versicherungsanträge stellen, Rechnungen zahlen. All diese Dinge sollten uns entlasten. Und mit dieser Entlastung würden wir Zeit, Energie und Fokus gewinnen, halt selbst Gedichte zu schreiben, Musik zu komponieren und Bilder zu malen.
Zeitgleich ist es auch eine naive Vision meinerseits anzunehmen, dass jeder kreativ sein will und auch sein kann. Als ich zum ersten Mal die in der Psychologie eingesetzte Bloom’s Taxonomy studiert habe, wurde mir nämlich plötzlich bewusst, dass erschaffende Fähigkeiten, so wie es die Spitze der pyramidenhaften Darstellung vermuten lässt, nur einem kleinen Teil der Menschen vorbehalten bleibt.
Ein Kampfflugzeug MiG-31K mit einer nuklearfähigen Hyperschalllenkwaffe Kh-47M2 Kinzhal. Bild: Russisches Verteidigungsministerium
Russland trainierte den Einsatz taktischer Atomwaffen
Die russischen Streitkräfte übten Ende Mai im südlichen Militärbezirk entlang der Grenze zur Ukraine den Einsatz nichtstrategischer Nuklearwaffen. Laut Putin wollte Russland damit ein weiteres Mal auf die angebliche militärische Bedrohung durch die NATO reagieren.
Hans Peter Gubler
Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 hatte Russlands Präsident Wladimir Putin wiederholt mit einem Einsatz von Nuklearwaffen gegen die Ukraine und den Westen gedroht. Auf Anordnung der russischen Führung fanden ab Mitte Mai 2024 zum ersten Mal seit Beginn des Krieges Truppenübungen mit taktischen Atomwaffen statt. Das russische Verteidigungsministerium erklärte in einer auf Telegram veröffentlichten Erklärung: «Die Übung ziele darauf ab, die Bereitschaft des Personals und der Ausrüstung von Einheiten für den Kampfeinsatz nichtstrategischer Atomwaffen aufrechtzuerhalten, um auf provokative Äusserungen und Drohungen einzelner westlicher Politiker gegen die Russische Föderation zu reagieren und die territoriale Integrität und Souveränität des russischen Staates bedingungslos zu gewährleisten.»
Verdecktes Vorrücken geübt
Russlands taktische Nuklearwaffen werden von der 12. Hauptdirektion des russischen Verteidigungsministeriums, der 12. GUMO,
kontrolliert. Die an diesen Manövern beteiligten Truppen des Heeres übten gemäss Aussagen russischer Quellen den Transport und die Einsatzbereitschaft von sogenannter «Spezialmunition» – das heisst von Atomsprengköpfen für die Gefechtsfeldraketen Iskander-M und Iskander-K. Geübt wurden der Transport von Atomsprengköpfen zu den Trägerraketen, die Montage der Gefechtsköpfe sowie anschliessend das verdeckte Vorrücken der mobilen Raketensysteme zu den vorgesehenen Abschussstellungen. Die Truppen trainierten in den Formationen der jeweiligen Raketenbrigaden, mit Verschiebungen in die vorbereiteten Standorte der Einsatzbereitschaft sowie mit dem Nachladen von Lenkwaffen verbunden mit simulierten Einsatztests.
Logistische Einheiten der Luftstreitkräfte übten im gleichen Zeitraum den Transport und den Einbau von Nuklearsprengköpfen für die neuen Hyperschalllenkwaffen Kh47M2 Kinzhal und den anschliessenden Flug in die für einen Einsatz vorgesehenen Flugplätze. Die Beteiligung von Kinzhal-Lenkwaffen war gemäss russischen Angaben ein neues Element im Einsatzbereich künftiger taktischer Nuklearwaffen. Geübt wurde gemäss anderen Informationen auch der Ein-
satz von nuklearfähigen Gefechtsköpfen für die neuen luftgestützten Marschflugkörper Kh-32 sowie möglicherweise weiterer Waffen. Mitte Mai wurde auf Telegram ein Video veröffentlicht, das zeigt, wie ein russischer strategischer Bomber Tu-22M3, während eines Luftangriffs in der Ukraine erstmals einen Überschall-Marschflugkörper Kh-32 mit konventionellem Gefechtskopf abgeschossen hat.
Laufende Modernisierung
Die russischen Streitkräfte sind seit einigen Jahren daran, ihr Nuklearpotenzial zu modernisieren. Bei den taktischen Atomwaffen sind diese Bemühungen weniger klar ersichtlich als bei den mit Priorität verlaufenden Bestrebungen zur Modernisierung der strategischen Nuklearstreitkräfte. Mit der laufenden Einführung neuer Waffensysteme bei den Land- und Luftstreitkräften soll gemäss dem russischen Verteidigungsministerium auch eine schrittweise Ausserdienststellung der immer noch vorhandenen veralteten taktischen Atomgefechtsköpfe aus der Sowjetzeit erfolgen.
Gemäss internationaler Einschätzung soll heute der Totalbestand taktischer Atomwaffen in Russland zwischen 1500 bis 2000 Sprengköpfen betragen. Ein wesentlicher Teil davon dürfte aber veraltet sein. Darunter befinden sich vermutlich noch Sprengköpfe veralteter Gefechtsfeldraketen, von früheren Luft-Boden-Lenkwaffen
und auch von nuklearfähigen Bomben und Raketen der Luftwaffe. Mit der Übung von Ende Mai zeichnet sich ab, dass die bodengestützten Lenkwaffensysteme Iskander sowie die neuen luftgestützten Marschflugkörper, allen voran die Kh-47M2, als primäre Trägersysteme für künftig mögliche taktische Atomschläge vorgesehen sind.
Die Iskander-M ist als taktisches Raketensystem für den Einsatz in Konflikten auf Kriegsschauplatzebene konzipiert. Die ballistische Rakete der Iskander-M erreicht eine Höhe von rund 50 km. Mit einem Gewicht von 4600 kg trägt es einen Sprengkopf mit einem Gewicht zwischen 700 und 800 kg und erreicht eine Reichweite von 500 km. Im Falle einer nuklearen Bewaffnung wird die Sprengkraft des Gefechtskopfes auf 5 bis 50 Kilotonnen TNT geschätzt. Die Iskander-K kann zwei Arten von Marschflugkörpern abfeuern. Die Marschflugkörper erreichen eine Reichweite von 400 bis 500 km und sind zur Zerstörung von Landzielen ausgelegt. Die Flugkörper können mit diversen konventionellen, aber auch mit einem nuklearen Gefechtskopf bestückt werden.
Die Kh-47M2 Kinzhal, auch Dagger genannt, ist eine russische atomwaffenfähige
Luft-Boden-Hyperschalllenkwaffe, die von einem Tu-22M3-Bomber oder Kampfflugzeug MiG-31K eingesetzt werden kann. Die Entwicklung der luftgestützten Kinzhal basierte auf der ballistischen Kurzstreckenrakete Iskander-M, die seit Beginn des Krieges regelmässig mit konventionellen Sprengköpfen zum Einsatz gelangt. Mit KinzhalLenkwaffen wurden seit Anfang 2023 von der russischen Luftwaffe auch diverse Angriffe auf Ziele in der Ukraine durchgeführt. Gemäss Herstellerangaben soll die KinzhalCruise-Missile eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu Mach 10 erreichen, die maximale Reichweite soll bei Einsätzen mit dem Kampfflugzeug MiG-31K bei etwa 2000 km liegen. Berichten zufolge soll der nukleare Sprengkopf höchstens 50 Kilotonnen TNT betragen; vermutlich sind die Kinzhal-Nukleargefechtsköpfe identisch mit denen der Iskander-M.
Die Kh-32 ist eine luftgestützte Cruise Missile mit einer Reichweite von 600 bis 1000 km, die vom Lenkwaffenproduzenten MKB Raduga hergestellt wird. Die Lenkwaffen werden meist von strategischen Bombern Tu-22M3M eingesetzt. Über die Sprengkraft des Atomgefechtskopfs sind bisher keine Angaben vorhanden.
Stationierung von taktischen Nuklearwaffen in Weissrussland
Im Frühjahr 2023 begann Russland mit der Lieferung von operativ-taktischen Raketensystemen Iskander an Belarus. Insgesamt wurden vermutlich die Mittel für eine Raketenbrigade, das heisst etwa zehn Abschussfahrzeuge mit den entsprechenden Aufklärungs-, Führungs- und logistischen Fahrzeugen abgegeben. In der zweiten Hälfte 2023 begann Russland mit der Lieferung von taktischen Atomsprengköpfen, die
für die abgegebenen Iskander-Waffensysteme bestimmt sind. Im Spätsommer berichteten diverse Quellen über den Bau neuer Lagerstätten für die Raketenbrigade der weissrussischen Streitkräfte. Berichten zufolge wurden die Raketensysteme Iskander-M und Iskander-K in die belarussischen Streitkräfte integriert und auf der Militärbasis in der Nähe der Stadt Asipovichy, die in der Mitte des Landes gelegen ist, stationiert. Es ist die ständige Stationierungsbasis der 465. Raketenbrigade der belarussischen Streitkräfte.
Vor der Auflösung der Sowjetunion beherbergte Belarus sowohl taktische als auch strategische Atomwaffen. Nach der Erlangung der Unabhängigkeit übergab Belarus sämtliche Atomwaffen an Moskau. Das weissrussische Verteidigungsministerium hatte im letzten Jahr eine neue Militärdoktrin vorgelegt, die im Falle eines bewaffneten Angriffs auf die Republik den Einsatz von Atomwaffen erlaubt. Die Einzelheiten der neuen Einsatzdoktrin, einschliesslich der Anzahl der taktischen Atomwaffen, die Belarus derzeit besitzt, wurden bisher nicht bekannt gegeben.
Weissrussland soll gemäss eigenen Aussagen bisher nicht aktiv an den laufenden russischen Kriegshandlungen gegen die Ukraine teilgenommen haben. Dennoch wurden die russischen Streitkräfte auf verschiedene Weise unterstützt. Vor allem zu Beginn des Angriffskrieges diente das belarussische Territorium unter anderem auch als Einsatzgebiet für die russischen Iskander-Raketensysteme.
Oberstleutnant a D
Hans Peter Gubler 3045 Meikirch
Russland trainierte im Mai den Einsatz taktischer Atomwaffen im südlichen Militärbezirk entlang der Grenze zur Ukraine. Bild: Russisches Verteidigungsministerium
Stationierung von Raketensystemen in Belarus, links eine Iskander-M, rechts eine Iskander-K. Bild: Sputnik
Ein russisches taktisches Raketensystem Iskander-M an der Ausstellung Armija 2020. Bild: Russisches Verteidigungsministerium
Künstliche Intelligenz und weitere Herausforderungen
Drei grundverschiedene Themen standen im Fokus der Generalversammlung der Schweizerischen Gesellschaft Technik und Armee: das Verstehen der künstlichen Intelligenz, die zivile Nutzung des Militärflugplatzes Payerne und die Herausforderungen des neuen Kommandos Cyber.
Peter Müller
Die mittlerweile bereits 69. Generalversammlung der Schweizerischen Gesellschaft Technik und Armee (STA) fand am 22. Mai im zivilen Teil des Militärflugplatzes Payerne statt. Laut Ankündigung sollte die künstliche Intelligenz (KI oder AI, Artificial Intelligence) im Zentrum des Anlasses stehen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen fiel das Hauptreferat des Direktors des AICenters an der ETH Zürich jedoch kurzfristig ersatzlos aus. So prägten plötzlich andere, aber nicht minder spannende Themen den Anlass.
Stolze
Mitgliederzahl und gesunde Finanzen
Der Präsident der STA, Urs Breitmeier, durfte unter den statutarischen Geschäften auf ein «spannendes und gutes Vereinsjahr» zurückblicken. Die Mitgliederzahl stieg bis Ende 2023 auf rekordhohe 397 Personen an; nächstes Ziel sei nun, die Grenze von 400 zu überschreiten. Pro memoria: Die STA kennt keine Firmenmitgliedschaft, um weder mit Interessenvertretung noch mit Lobbying in Verbindung gebracht zu werden. Sie will stattdessen als «unabhängiges Bindeglied zwischen Armee, Beschaffungsbehörden, Wirtschaft und Wissenschaft» verstanden sein.
Der Innovationstag «Create the Future» unter Federführung der STA habe sich nach der dritten Durchführung mittlerweile erfolgreich etabliert. Der vierte Anlass wird am 13. September wiederum auf dem Gurten bei Bern stattfinden. Ziel sei unverändert, Innovationsbedürfnisse der Armee mit neuen Lösungsansätzen der Privatwirtschaft zusammenzuführen.
Unveränderte Dauerthemen
In seinem Jahresbericht strich der Präsident zwei Dauerthemen heraus: die Finanzierung
der Armee und die Sicherstellung der Schweizer Rüstungsindustriebasis. Betreffend Unterfinanzierung der Armee sei die Ausgangslage klar; bei den Konsequenzen herrsche jedoch Stillstand. Er erachte dieses Verhalten als «unredlich». Wenn etwas wachsen müsse, dann hätte bei gleichbleibenden Ressourcen etwas zu schrumpfen. Prioritäten schmerzten immer!
Es gelte die Armee schrittweise an die Kriegstüchtigkeit heranzuführen. Die STA unterstütze auf Wunsch gerne.
Die Schweizer Rüstungsindustrie kämpfe mit den Konsequenzen der Neutralität und der Exportrestriktionen. Diese zwei Rahmenbedingungen stellten die grössten Herausforderungen dar. Breitmeier stuft die Gesamtsituation als «gravierend» ein. Die Rüstungsindustrie müsse exportfähig sein und mit einer tragfähigen Inlandbasis zur Sicherheit der Schweiz beitragen.
Ein spezieller Technologiepark
Wer den Militärflugplatz Payerne kennt, war anfänglich wohl etwas verwirrt, für die Generalversammlung der STA auf das Areal südlich der Piste anreisen zu müssen. Und mit den beiden kurz vorgestellten Firmen Swiss Aeropole sowie Speedwings Business waren wohl die wenigsten bereits vertraut. Entsprechend gross war bei vielen die Überraschung.
«Utiliser le ciel pour faire vivre le sol.»
Massimo Fiorin, Managing Director Swiss Aeropole
Die Entwicklung begann vor rund 40 Jahren mit der Vision des Regierungsrats des Kantons Waadt, den Militärflugplatz Payerne auch für zivile Flüge (Geschäftsreisende) zu nutzen. Gesucht wurden neue Wege der re-
gionalen wirtschaftlichen Entwicklung. Mit der drittlängsten Start- und Landebahn der Schweiz war der Grundstein bereits vorhanden. Schrittweise wurde mit der Standortgemeinde Payerne und der Communauté Régionale de la Broye ein Technologiepark aufgebaut (siehe Infobox). Mit seiner Fokussierung auf die Raum- und Luftfahrt sowie damit verbundene Industriezweige (insbesondere Mobilität und Energie) ist er bis heute in der Schweiz einzigartig. Zur Verfügung steht ein Gelände von rund 40 Hektaren Fläche. Bis heute haben sich 37 Firmen (+7 gegenüber dem Vorjahr) auf dem Areal niedergelassen. Darunter befinden sich Spezialisten für Tests von Wasserstoffantrieben oder die Entwicklung von Drohnen. Die Nachfrage für Letztere aus der Ukraine wäre vorhanden, aber die geltenden Exportregelungen bereiten Probleme. Die Anzahl ziviler Flugbewegungen hat sich innert fünf Jahren verfünffacht. Erfreulich auch: Die Zusammenarbeit zur Nutzung der militärischen Infrastruktur wird als «ausgezeichnet» bewertet.
Elementar: Den Zweck kennen Es war an Dr. Armando Geller, Managing Partner von Scensei Switzerland, etwas Licht ins wohl noch häufige Dunkel der künstlichen Intelligenz zu bringen. Er betonte gleich zu Beginn, KI, Big Data oder der Multi-Agenten-Ansatz seien derart breite Themen, dass er nur Ansatzpunkte liefern könne. Alle wollten eine künstliche Intelligenz, bei der wir wüssten oder verstünden, wie sie funktioniere. Das sei weitgehend Wunschdenken. Elementar sei deren Zweck und weniger die Funktionsweise.
Die Grundfunktionsweise der KI sei statistisches Lernen, um aus einer Vielzahl von Informationen schneller und mit weniger Fehlern Entscheide zu treffen. Daneben bestünden weitere Formen wie Deep Learning, Functional Learning oder Reinforcement Learning. Somit seien verschiedene Techniken zur Problemlösung verfügbar. Der Multi-Agenten-Ansatz mit autonom handelnden Entscheidträgern sei grundsätzlich einfach, aber wirkungsvoll. Denn: Komplexe Probleme könnten nicht zentral gelöst werden.
Entscheidtheorie in anderer Form
Der einzelne Agent geht nach Geller in folgenden Schritten vor: Sammeln von Infor-
mationen, Bewerten, Entscheiden und Handeln. Oder anders ausgedrückt: Lernen, Adaptieren und Applizieren. Man erkennt darin unschwer die schon fast uralte betriebswirtschaftliche Entscheidtheorie –nur mit viel moderneren und schnelleren Werkzeugen – und mit Software anstatt Menschen.
In der Umsetzung dieses Ansatzes lauerten mehrere Gefahren: Eine zentrale Frage sei beispielsweise, wie vertrauensvoll grosse Technologieplattformen wie Microsoft, Google oder Open-AI seien. Zahlreiche Probleme liessen sich nicht vollumfänglich beschreiben. Wolle man mit künstlicher Intelligenz «den Krieg von gestern vorbereiten»? Man müsse auch Lösungen zulassen, über die man noch gar nicht nachgedacht habe. Komplexe Systeme und vertrackte Probleme könnten bloss ansatzweise verstanden werden; entsprechend gehe es darum, diese «optimal» zu managen. Eine alte Weisheit bleibe schliesslich auch mit KI bestehen: «Garbage in – garbage out.»
Vieles ist nicht sichtbar
Den Abschluss des Anlasses bildete gewissermassen ein Werkstattbericht von Divisionär Simon Müller, Chef des auf 1. Januar 2024 neu gebildeten Kommandos Cyber. Sein einleitender Blick auf den UkraineKrieg verhiess wenig Erfreuliches: Russland attackierte und destabilisierte die Ukraine bereits ab 2014 im Cyber-Raum, also acht Jahre vor Kriegsbeginn. Die aktuellen Vor-
kommnisse um Xplain könnten für uns ein Weckruf sein. Wir müssten den Eigenschutz vorantreiben.
Russland gehe selber davon aus, in der Ukraine noch fünf Jahre zu kämpfen. Anschliessend werde sein Hunger kaum gestillt sein. Müller warnte eindringlich, dass vieles für uns heute nicht sichtbar sei, was bereits um uns herum geschehe. So stelle sich zwingend die Frage, bis wann wir (das heisst die Schweiz) bereit sein wollten.
Wegkommen von der Zentralität
Die Gesamtkonzeption Cyber soll bis 2035 umgesetzt sein. Bis dahin gelte es noch eine Reihe von Herausforderungen zu meistern. Der Chef Kommando Cyber nannte Beispiele: Ein Riesenthema sei die Kommunikation. Die heutige Funkgerätegeneration unserer Armee könne bezüglich effizienter Datenübertragung viel weniger als ein Handy. Wir müssten den Verbund der mobi-
len Kommunikation suchen und auch auf zivilen Mitteln zwecks Potenzialausnutzung basieren. Oberstes Ziel müsse sein, die Durchgängigkeit der Daten sicherzustellen. Während die Sensorik einigermassen funktioniere, kämpften wir bei der Effektorik mit Defiziten.
Standardisierung und internationale Kooperationen stellten zwingende Herausforderungen dar. Weitere Hemmnisse seien das verbreitete Silo-Denken und unsere Delegationskultur: Kompetenzen müssten vermehrt delegiert werden, und zwar nicht nur technisch, sondern auch organisatorisch. Einer von Müllers wesentlichen Schlüssen deckt sich folglich mit Gellers Forderung, wir müssten mehr und mehr wegkommen von der Zentralität.
Maj a D Peter Müller Dr. rer. pol. Redaktor ASMZ peter.mueller@asmz.ch 3672 Oberdiessbach
ENTWICKLUNGSSCHRITTE DES FLUGPLATZES PAYERNE
2010: Erster Flug von Solar Impulse (Pionierprojekt von Bertrand Piccard und André Borschberg)
2013: Erstes ziviles Flugplatzreglement erarbeitet (genehmigt durch Bazl zugunsten der Communauté Régionale de la Broye)
2015: Erste Firmenansiedlung der Groupe E mit 40 Arbeitsplätzen (Energieunternehmen mit Spezialisierung in Nachhaltigkeit)
2016: Inbetriebnahme der zivilen Rollwege (gleichzeitig erster ziviler Geschäftsflug)
2017: Erster Flugversuch der Firma Solarstratos (Elektroflugzeug für spätere Stratosphärenflüge)
2017: Ansiedlung der Firma Boschung mit 150 Arbeitsplätzen (Kommunal- und Flughafenfahrzeuge; autonomes Fahren)
2017: Gründung der Firma Swiss Aeropole SA (Gesamtentwicklung Flugplatz und Technologiepark)
2019: Inbetriebnahme des Gebäudes «Payerne Airport» (Terminal für Geschäftsflüge, Besatzungen, Büros, Hangars)
2019: Eröffnung einer Filiale von Speedwings Business SA (FBO; alle technischen Bereiche der zivilen Luftfahrt in Payerne)
2023: Total 1856 zivile Flugbewegungen (+26 % gegenüber 2022)
2023: Total 37 Firmen angesiedelt (+7 gegenüber 2022)
Der zivile Flugplatz und der Technologiepark Payerne. Bild: Swiss Aeropole
190 Jahre ASMZ –über Krisen und Kriege
Die Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift steht im 190. Jahrgang. Die Zeitschrift, die über Kämpfe und Kriege schrieb und schreibt, hat selbst einige Krisen durchgemacht.
Christian Brändli
Die Delegiertenversammlung 2024 der SOG in Lugano hat für einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der ASMZ gesorgt. Sie hat entschieden, dass das Pflichtabonnement für Deutschschweizer Offiziere per Ende 2024 abgeschafft wird. Damit ist die ASMZKommission gefordert, muss sie die Fachzeitschrift doch auf eine neue finanzielle Basis stellen. Sicher ist, dass sie auch ohne Pflichtabo in der bisherigen Qualität erscheinen wird. Und sie bleibt auch weiterhin offizielles Organ der SOG. Die grosse Unbekannte ist aber die Frage, wie viele der heute rund 13 500 Abonnenten dem Blatt die Treue halten werden.
Schwieriger Start
Für die ASMZ ist es nicht das erste Mal, dass sie vor einer ungewissen Zukunft steht. Schon ihre Gründung stellte ein gewisses Wagnis dar. Die erste Fachzeitschrift, das «Neue Militär-Archiv», wurde 1804 von einer Gesellschaft erfahrener deutscher und Schweizer Offiziere herausgegeben. Doch schon mit dem Jahrgang 1806/07 und rund 20 Ausgaben später war wieder Schluss. Erst die Regenerationszeit ab 1830 legte die Basis für eine Militärzeitschrift, der eine lange Geschichte beschieden war. Einerseits sorgte die Erneuerungsbewegung, die einen Grossteil der Schweiz erfasste, dafür, dass Pressebeschränkungen fielen. Andererseits erhielt auch das Militärwesen neue Impulse, nicht zuletzt durch die Offiziere, die sich in Vereinen organisierten. 130 Zürcher, Thurgauer und St. Galler Offiziere waren es
auch, die am 24. November 1833 in Winterthur die «Eidgenössische Militärgesellschaft» gründeten. Aus dieser entwickelte sich die Schweizerische Offiziersgesellschaft, wie sie sich ab 1876 nannte.
Gleichzeitig, aber unabhängig von der Militärgesellschaft, wurde an der ersten Nummer der «Helvetischen Militärzeitschrift» gearbeitet, die am 1. Dezember 1833 erstmals in Burgdorf erschien. Das «Wort zur Einführung in den Kreis der Leser» setzte sich zunächst mit der Nützlichkeit und der Notwendigkeit eines solchen neuen Unternehmens auseinander. «Erkennen wir ihren Grund, ihre Rechtfertigung in den Bedürfnissen des schweizerischen Wehrwesens, so stellt sich der Zweck als ein Beitrag zur Hebung, Befriedigung dieses Bedürfnisses dar. [...] Indem die Absicht seyn muss, für den waffentragenden Schweizer überhaupt die Wege zum denkenden Soldaten zu bezeichnen, der selber ein Glied unterm Gewehr immer der beste seyn wird: so geht hervor, dass die Elemente kriegerischer Bildung, jedoch in wissenschaftlicher Auffassung in das Bereich der militärischen Zeitschrift hereinzuziehen sind.»
Für die Redaktion des vierzehntäglich erscheinenden Blattes zeichnete Oberförster Friedrich Manuel, ein Artillerieoffizier, verantwortlich. Ihm zur Seite standen einige Mitarbeiter mit militärischer Erfahrung. Die Herausgeber der Zeitschrift und die Militärgesellschaft fanden schon bald den Draht zueinander. Schon im Frühling 1834 wurden dort die Statuten und Berichte der Offiziere abgedruckt. Im zweiten Jahrgang wurde die Erscheinungskadenz auf einmal pro Monat hinuntergefahren. Grund
dafür dürfte der Mangel an Zuschriften gewesen sein, aber auch die geringe Abonnentenzahl. Kaum 300 waren es. 1836 erging ein erster Hilferuf, der erhört wurde. Fortan zahlte die Militärgesellschaft regelmässig einen Beitrag ans Blatt. Um das Interesse zu heben, wurden auch militärische Mitteilungen der Behörden abgedruckt. Die Redaktion wollte vor allem einen offenen Gedankenaustausch über die künftige Form des schweizerischen Wehrwesens und dem waffentragenden Schweizer die Wege zum denkenden Soldaten weisen. Auslandchroniken und Notizen über Erfindungen erweiterten schon früh das Spektrum.
Erste Namensänderungen
Die Zeitung fristete in den 1840er-Jahren ein kümmerliches Dasein. Die unruhigen Zeiten und die revolutionären Geburtswehen um die Bundesstaatsgründung von 1848 waren wenig förderlich. Bis 1847 änderte sich die Erscheinungsweise immer wieder – und im gleichen Jahr wechselte der Name in «Schweizerische Militär-Zeitschrift». Probleme blieben aber bestehen, sodass sie 1849 ihr Erscheinen einstellte, wie dem Artikel zum 100-jährigen Bestehen der ASMZ im Jahr 1933 zu entnehmen ist. Interessant sind die im Jahr des Sonderbundkrieges 1847 regelmässig eingerückten Berichte über «Militärische Verhandlungen der Eidgenössischen Tagsatzung von 1847», die das zunehmende Auseinanderdriften der Sonderbundkantone und der liberalen Seite dokumentieren. Die letzten beiden Ausgaben jenes Jahres umfassten auf 31 Seiten «Bestand und Eintheilung der Eidgenössischen Armee zur Zeit ihrer grössten Stärke, am 16. November 1847». Im folgenden Jahr wurden dann die Operationen und Gefechte des kurzen Krieges beschrieben.
Zweimal musste der eidgenössische Oberst Albert Kurz Überlebensaktionen für die junge Zeitschrift starten, 1846 und dann 1850, nachdem die Zeitschrift anderthalb Jahre lang nicht mehr erschienen war. Mit
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Start am 28. August 2024
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Geodaten – Grundlagen für eine sichere Schweiz swisstopo versorgt die Armee mit Geoinformationen
dem Auftreten von Oberleutnant Hans Wieland 1851, später eidgenössischer Oberinstruktor der Infanterie, brach für die «Schweizerische Militär-Zeitschrift» eine neue Epoche an. Mit dem Basler Offizier trat die militärisch wahrscheinlich bedeutendste Persönlichkeit der Zeit an die Spitze des aufstrebenden Unternehmens. Unter ihm wurde das Blatt zum Mittelpunkt der militärischen Bestrebungen. Ohne Beschönigungen deckte er die Mängel des schweizerischen Milizsystems im 19. Jahrhundert auf. 1855 erfolgte eine neuerliche Umbenennung in «Allgemeine Schweizerische Militär-Zeitung» beziehungsweise «Allgemeine Schweizerische Militärzeitung». Ab 1855 führte die Militär-Zeitung im Untertitel die Bezeichnung «Organ der schweizerischen Armee». Damit war sie vergleichbar mit dem damaligen preussischen Militär-Wochenblatt. Auch wenn der Fokus der Redaktion auf dem schweizerischen Militärwesen lag, fanden die Konflikte im Ausland regelmässig Eingang in Form von einfachen Berichten oder aber detaillierten Analysen. Das betrifft insbesondere den Krimkrieg 1853 bis 1856, den amerikanischen Bürgerkrieg in den 1860er-Jahren und natürlich den Deutsch-Französischen Krieg, der die Schweiz mit der Internierung der BourbakiArmee unmittelbar betraf.
Willes schärfste Waffe
Ein zweites Hoch erlebte die Militärzeitung in der 13 Jahre dauernden Phase, in der Oberstdivisionär Ulrich Wille die Leitung innehatte. Wille wollte, wie er in einem Zirkular an die Mitarbeiter schrieb, «durch diese Zeitung für das Wirken, was von Anbeginn meines öffentlichen Auftretens an der alleinige Zweck desselben war: Vermehrung der Kriegstüchtigkeit unserer Armee durch Klärung der Anschauungen darüber, was hierfür erforderlich ist; Bekämpfung jener Übelstände und jenes unrichtigen Handelns, deren alleiniger Grund in falscher Auffassung hierüber erkannt werden darf». Mit der Zeitung besass Wille die
schärfste Waffe im Kampf um die Militärorganisation von 1907 und die Truppenordnung von 1911, aber auch in seinem Kampf gegen Schlendrian, Bürgerwehrmentalität und Ungehorsam. In Willes Zeit fiel auch die Einführung gesonderter Beilagen und eines Literaturblattes. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, die Mobilisation der Armee und seine Wahl zum General – die erste Augustnummer erschien noch unter dem Namen Ulrich Willes – brachten auch einen weiteren Publikationsunterbruch. Erst im Dezember 1914 wurde die Militärzeitung unter der behelfsweisen Leitung des Verlegers Karl Schwabe wieder herausgegeben. Dieses Provisorium dauerte bis in das Jahr 1917 hinein, ehe Oberstkorpskommandant Eduard Wildbolz auf Wunsch des Generals die Redaktionsleitung übernahm.
Frühe Fusionspläne
Seit neben die «Allgemeine Schweizerische Militärzeitung» andere Fachzeitschriften getreten waren, wurde auch der Wunsch geäussert, diese sollten miteinander vereinigt werden. Erstmals wurde diese Frage 1868 auf den Tisch gelegt. Der Antragsteller hatte zunächst nur die Verschmelzung der Militärzeitung und der 1856 erstmals erschienenen «Revue Militaire Suisse» im Auge. Seine Idee: Es sollte nur ein einziges Zentralorgan der Schweizerischen Militärgesellschaft geben, das von ihr auch entsprechend unterstützt werden könnte. Die Versammlung beauftragte das Zentralkomitee, binnen sechs Monaten zu untersuchen, ob es möglich sei, sämtliche damaligen Militärzeitschriften (dazu gehörte auch die seit 1865 existierende «Zeitschrift für die schweizerische Artillerie») zu verschmelzen. Das Vorhaben zerschlug sich primär aus finanziellen Gründen. Auch mehrere Neuanläufe verliefen nicht erfolgreicher, sodass die Idee 1904 begraben wurde.
Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte vom Zentralvorstand ein neuer Vorstoss: «Die Allgemeine Schweizerische Militärzeitung wird als Publikationsorgan der Offiziersgesellschaft ausgebaut. Sie wird gemischtspra-
chig, nimmt die Publikationen des Zentralvorstandes und die Sektionsberichte auf und behandelt die Tagesfragen. Die Monatsschrift für Offiziere aller Waffen wird mit der Zeitschrift für Artillerie und Genie fusioniert; sie erscheint künftig alle drei Monate als wissenschaftliche Beilage der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung. Sie bringt in deutscher Sprache Aufsätze mehr wissenschaftlichen Charakters und Berichte aus dem Auslande. Die Revue Militaire Suisse sollte in gleicher Weise als französisch geschriebene Beilage erscheinen und auch italienische Aufsätze aufnehmen.» Dieses Programm wurde dann aber doch nicht komplett umgesetzt, da die Romands nicht auf ihre Revue verzichten wollten. Immerhin konnte der Zentralvorstand aber auf Anfang 1920 das Recht der Herausgabe der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung, der Monatsschrift für Offiziere aller Waffen, sowie der Zeitschrift für Artillerie und Genie erwerben. Der Schweizerische Verwaltungsoffiziersverein, dessen Blätter für Kriegsverwaltung 1914 eingegangen waren, trat dem Projekt bei. Der Titel der neu gebildeten Zeitschrift lautete nun: Allgemeine Schweizerische Militärzeitung. – Journal Militaire Suisse. – Gazetta Militare Svizzera. Im Untertitel hiess es: Organ der Schweizerischen Offiziersgesellschaft und des Schweizerischen Verwaltungsoffiziersvereins. Als Beilage erschien die «Schweizerische Vierteljahrsschrift für Kriegswissenschaft». Dieses Konstrukt hielt jedoch nur fünf Jahre lang. Die einzelnen Blätter gingen wieder auseinander. Die Aufgabe der ab 1926 monatlich erscheinenden «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung» blieb jedoch die alte: Förderung und Anregung der ausserdienstlichen Weiterbildung des Offizierskorps und des Gedankenaustausches über Fragen unseres Wehrwesens.
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diese beiden die langjährigsten Chefredaktoren. Da war zum einen Divisionär Eugen Bircher, der die ASMZ von 1931 bis 1946 leitete. Er wirkte beruflich als Dozent an der militärwissenschaftlichen Abteilung der ETH Zürich. Bircher galt als führender schweizerischer Militär und Militärschriftsteller. Ihm folgte zum anderen mit Oberstkorpskommandant Ernst Uhlmann ein ebenso markanter Kopf. Sein Amt trat er noch als Milizoffizier an. Als Mitglied des schaffhausischen Kantonsparlamentes, Präsident der kantonalen OG und hauptberuflicher Ausland- und Chefredaktor der «Schaffhauser Nachrichten» verfügte er über eine grosse politische und journalistische Erfahrung. In zahlreichen Leitartikeln behandelte er fast sämtliche anstehenden wehrpolitischen Themen. Mit Sachkenntnis und Verve engagierte er sich in den schwierigen 1940er- und 1950er-Jahren, einer Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit. So ging es darum, die Kriegserfahrungen auszuwerten, die Kampfführung der Armee den Gegebenheiten des Atomkriegszeitalters anzupassen, die Motorisierung voranzutreiben, die Mechanisierung einzuführen und eine neue Konzeption für die militärische Landesverteidigung zu finden.
Uhlmann erkannte früh die Problematik des totalen Krieges und des Rüstungsablaufes. Er forderte deshalb sowohl die Schaffung eines Landesverteidigungsrates für die Bewältigung der Gesamtprobleme der totalen Verteidigung als auch den Ausbau der geistigen Landesverteidigung sowie die Forcierung eines Zivilschutzprogramms und die Bildung eines permanenten militärischen Planungsstabes. Seine Hauptanliegen waren die Verstärkung der Feuerkraft und die Erhöhung der operativen Beweglichkeit der Armee durch massvollen Aufbau einer eigenen Panzerwaffe und den Ausbau der Flugwaffe.
In Uhlmanns Zeit fiel auch die Fusion der ASMZ mit der «Monatsschrift für Offiziere aller Waffen» Anfang 1948. Seither erscheint die einstige Zeitung, die schon längst eine Zeitschrift geworden war, unter dem bis heute gültigen Namen «Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift». Mit der
Übernahme des Kommandos des FAK 2 Ende 1961 schied er aus der Redaktion der Militärzeitschrift aus. Zuvor hatte er dem Blatt aber noch ein neues Gesicht verpasst. Ab 1961 erschien die ASMZ in einem frischen Gewand. Aus technischen Gründen, insbesondere mit besserer Bildqualität, kehrte man vom Format A5 zum Grossformat A4 zurück. Häufigere Fotos im Textteil und der Ausbau des Anhanges mit vermehrten Informationen über Waffen, Fahrzeuge und Geräte ausländischer Armeen kennzeichneten jene Phase, in der die ASMZ eine beglaubigte Auflage von 6230 Exemplaren aufwies.
Zunehmend farbiger
Nach der Zeit von Oberst i Gst Walter Schaufelberger, dem Doyen der Schweizer Militärgeschichte, leiteten nacheinander vier Divisionäre die ASMZ. Ein fünfter, Divisionär Louis Geiger, der im neuen Jahrtausend die Chefredaktion übernahm, verfolgte während seiner achtjährigen Amtszeit schwergewichtig drei Themenbereiche, nämlich die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konvention, die sicherheitspolitische Strategie der Schweiz mit den politischen Leistungsaufträgen an die Armee sowie schliesslich Führung und Kaderschulung. Dabei versuchten er und sein Team, auf der strategischen und operativen Stufe zu bleiben. Mit Leserreisen sollte das strategische Denken gefördert werden. Beschränkten sich die optischen Veränderungen der ASMZ respektive ihrer Vorgängerinnen im 19. Jahrhundert noch vornehmlich auf den Zeitungskopf und die Schriftwahl, nahm die Kadenz der Layoutanpassungen im 20. Jahrhundert zu. Insbesondere die Bedeutung von Illustrationen, Bildern wie Grafiken, nahm fortlaufend zu. Und die Zeitschrift erhielt 1967 auch erstmals Farbe. Zunächst nur auf dem Umschlag mit einer gelben Frontseite. Es folgte dann eine lange rote Phase, die von einer grau-grünen, einer hellgrünen und schliesslich dunkelgrünen abgelöst wurde. Seit September 2021 erscheint sie bis heute in einem weissen Kleid. Ab 1975 fand die Farbe
auch Eingang in den Innenteil, zunächst nur mit der Schmuckfarbe Rot. 1985 erfolgten die ersten noch zaghaften Ansätze zur Vierfarbigkeit. Durchgängig vierfarbig ist die Zeitschritt aber erst seit 2006.
Der Auflagensprung in den 1970ern
Eine ganz entscheidende Änderung für die ASMZ brachte der Entscheid der Delegiertenversammlung vom 16. Juni 1973: Die Zeitschrift wurde für alle deutschsprachigen Offiziere für obligatorisch erklärt. Auf einen Schlag stieg die Auflage von damals 6500 auf rund 27 000 Exemplare. Die Mitglieder erhielten die ASMZ zu einem Vorzugspreis. 1996 fand die Regelung Eingang in die SOG-Statuten. Die höhere Auflage und die damit verbundene bessere finanzielle Basis erlaubten den Ausbau der Redaktion sowie eine moderne Gestaltung und einen breiteren Inhalt. Ein Grund für den damaligen Beschluss war, dass die ASMZ als Organ der Schweizer Offiziere einen wichtigen Beitrag zur sicherheitspolitischen Diskussion leistet. Diese zentrale Rolle könne sie aber nur leisten, wenn sie in Zukunft in hoher Auflage erscheine. Das gewährleiste das Pflichtabonnement. Seither ist die Auflagenzahl der ASMZ infolge der stufenweisen Verkleinerung der Armee und der rückläufigen Zahl der Offiziere auf 25 400 im Jahr 2000, 16 000 im 2010 und heute rund 13 500 zurückgegangen.
Wie eingangs beschrieben, wird sich mit dem Entscheid der diesjährigen Delegiertenversammlung, das Pflichtabo nach 50 Jahren wieder abzuschaffen, weisen müssen, wie viele Abonnenten die ASMZ in ihrem 191. Jahrgang haben wird. Die ASMZKommission der SOG ist jedenfalls zuversichtlich, dass viele die Treue halten werden, und nimmt bereits die ersten Vorarbeiten für Ende 2033 in Angriff, wenn die ASMZ ihr 200-jähriges Bestehen feiern will.
Major a D Christian Brändli Chefredaktor ASMZ christian.braendli@asmz.ch 8607 Seegräben
SCHWEDEN
Drohnen für die Heimatschutztruppe und mysteriöse Überflüge
Schweden, das jüngste NATOMitglied, befindet sich in einem Prozess der militärischen Modernisierung und Anpassung an die damit verbundenen neuen Herausforderungen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Ausstattung der Heimatschutztruppe, der sogenannten Hemvärnet, mit hochmodernen Drohnen des französischen Herstellers Parrot. Deren Modell Anafi USA GOV, in Schweden als UAV 06A (Skatan) bezeichnet, wurde speziell für die Anforderungen der USArmee entwickelt und verfügt über leistungsstarke Kameras für Tag- und Nachteinsätze. Die Auslieferung der Drohnen an die Hemvärnet hat bereits begonnen. Die Ausbildung der zukünftigen Drohnenpiloten
soll im Herbst 2024 starten. Laut Jan-Ake Andersson, Leiter der Unterstützungsabteilung der Hemvärnet, kommen diese Systeme genau zum richtigen Zeitpunkt und erhöhen die Fähigkeit der Einheiten, ihre Aufgaben sowohl bei Tag als auch bei Nacht zu erfüllen. Peter Wilhelmsson, Systemmanager der Hemvärnet bei der schwedischen Beschaffungsbehörde FMV, sieht in der Beschaffung und Auslieferung der UAV 06A einen grossen Schritt für die Fähigkeiten der Heimatschutztruppe, beispielsweise bei Überwachungs- und Schutzaufgaben. Während die Hemvärnet ihre Drohnenflotte ausbaut, sieht sich Schweden mit einer Reihe von mysteriösen Drohnenüberflügen konfrontiert. In diesem Frühjahr eskalierten die schwedischen Behörden eine Untersuchung zu mutmasslichen Drohnenaktivitäten an Kernkraftwerken und mehreren Standorten, darunter dem Flughafen Malmö. Unidentifizierte Drohnen wurden über dem Kernkraftwerk Barsebäck, dem
Flughafen Malmö und anderen Orten in Skane gesichtet, hauptsächlich entlang des Küstenstreifens. Experten sehen einen möglichen Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen und Schwedens NATO-Mitgliedschaft. Magnus Christiansson, Dozent für Militärwissenschaft an der Norwegischen Verteidigungsakademie, vermutet, dass «eine ausländische Macht» verschiedene Ziele verfolgen könnte, wie zum Beispiel Kartierung oder den Versuch der Einschüchterung. Er geht davon aus, dass Schweden in naher Zukunft mit weiteren ähnlichen
Vorfällen rechnen muss, insbesondere von russischer Seite. Die schwedischen Streitkräfte betrachten die Drohnenüberflüge derzeit als polizeiliche Angelegenheit, da bisher keine Drohnen über militärischen Einrichtungen gesichtet wurden. Dennoch ist man sich der potenziellen Bedrohung bewusst und beobachtet die Situation genau. Die Modernisierung der Heimatschutztruppe mit Drohnen kann in diesem Kontext deshalb auch als Massnahme zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten des Landes gesehen werden. pk
ESTLAND
Truppen für die Ukraine?
Estland erwägt die Entsendung von Truppen in die Ukraine, um dort nichtkämpferische Aufgaben zu übernehmen und so ukrainische Soldaten für den Fronteinsatz freizustellen. Dies gab der nationale Sicherheitsberater des estnischen Präsidenten, Madis Roll, Mitte Mai in einem Interview bekannt. Bereits zuvor hatte der Befehlshaber der estnischen Streitkräfte, General Martin Herem, von Gesprächen über eine mögliche Truppenentsendung in die Westukraine berichtet. Roll
betonte, dass die Diskussionen noch andauern und man alle Möglichkeiten in Betracht ziehen müsse. Estland würde eine solche Mission zwar bevorzugt im Rahmen der NATO durchführen, schliesst aber auch eine Koalition mit wenigen Partnern nicht aus. Verteidigungsminister Hanno Pevkur erklärte jedoch, dass die Ideen bisher nicht ausgereift seien und weiterverfolgt würden. Der Vorstoss Estlands folgt auf Äusserungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der sich offen für die Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine gezeigt hatte. Während die USA und mehrere europäische Verbündete Macrons Vorschlag zurückhaltend gegenüberstehen, bekräftigte dieser seine Bereit-
schaft, im Falle eines russischen Durchbruchs oder auf Ersuchen der Ukraine französische Soldaten zu entsenden. Als NATOMitglied teilt Estland eine Grenze mit Russland und verfügt über rund 4200 Berufssoldaten sowie 38 000 Reservisten. Insgesamt haben etwa 230 000 der 1,3 Millionen Esten eine militärische Ausbildung absolviert. Neben den Überlegungen zur Truppenentsendung setzt sich Estland auch auf diplomatischer Ebene für die Unterstützung der Ukraine ein. So haben beide Länder Gespräche über ein Sicherheitsabkommen aufgenommen. Aussenminister Margus Tsahkna betonte, dass ein Scheitern der Ukraine auch für Estland und die gesamte freie Welt eine Niederlage bedeuten
würde. Darüber hinaus hat Estland einen Finanzierungsplan in Höhe von 100 Milliarden Euro für den Wiederaufbau der Ukraine vorgelegt. Das Land selbst ist von den Auswirkungen des Krieges ebenfalls betroffen, insbesondere durch die Ankunft ukrainischer Flüchtlinge und den Arbeitskräftemangel in bestimmten Sektoren. Die Diskussionen in Estland verdeutlichen die komplexe Lage, in der sich die NATO-Staaten angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine befinden. Während das Bündnis eine direkte militärische Konfrontation mit Russland vermeiden möchte, wächst der Druck, die Ukraine stärker zu unterstützen und die eigene Abschreckung zu stärken. pk
Neue Drohnen für die Hemvärnet. Bild: Försvarsmakten
UNGARN
Satellit des Reichs der Mitte
Der Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Ungarn vom 9. bis 11. Mai markiert einen bedeutenden Wendepunkt in den Beziehungen zwischen China und Ungarn. Während viele EU-Länder versuchen, ihre Wirtschaft von chinesischen Investitionen zu distanzieren, begrüsste Ungarn (und kurz davor auch Serbien)
den chinesischen Staatschef und seine Investitionspläne mit offenen Armen. In Budapest unterzeichneten Xi und der ungarische Premierminister Viktor Orban eine Reihe von Abkommen zur Vertiefung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit. Orban lobte die «ununterbrochene Freundschaft» zwischen den beiden Ländern seit seinem Amtsantritt im Jahr 2010 und versprach, dass Ungarn weiterhin faire Bedingungen für chinesische Unternehmen bieten werde, die in Ungarn investieren. China sieht in Ungarn einen wichtigen Brückenkopf innerhalb der Europäischen Union. Im Dezember kündigte Ungarn an, dass einer der weltweit grössten Elektrofahrzeughersteller, das chinesische Unternehmen BYD, seine erste europäische Produktionsstätte im Süden des Landes eröffnen wird – ein Vorstoss, der die Wettbewerbsfähigkeit der europäi-
schen Automobilindustrie auf den Kopf stellen könnte. Xi betonte, dass die Belt-and-RoadInitiative «in hohem Masse mit Ungarns Strategie der Öffnung nach Osten übereinstimmt» und dass China Ungarn dabei unterstütze, eine grössere Rolle innerhalb der EU bei der Förderung der Beziehungen zwischen China und der EU zu spielen. Dieser Schritt signalisiert denn auch eine markante Verschiebung der Torpfosten der europäischen Sicherheitsarchitektur, da Ungarn sich – nebst Lippenbekenntnissen zu Russland – zunehmend an China orientiert. Da Serbien eine ähnliche Strategie wie Ungarn verfolgt und chinesischen Unternehmen breite Möglichkeiten bietet, seine natürlichen Ressourcen zu nutzen und grosse Infrastrukturprojekte durchzuführen, schloss Ungarn bereits im Februar nach Belgrads Vorbild ein Sicherheitsabkommen mit China ab, das eine ver-
stärkte Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen vorsieht. Die USA und andere westliche Verbündete haben entsprechende Bedenken hinsichtlich Chinas wachsendem Einfluss in Europa geäussert. Der US-Sondergesandte für den Westbalkan, Gabriel Escobar, warnte die europäischen Partner davor, sich der Agenda Chinas in Europa bewusst zu sein. Denn Xis Besuch in Ungarn und Serbien verdeutlicht dessen Ambitionen, seine wirtschaftliche und politische Präsenz auf dem alten Kontinent auszubauen. Während die meisten EU-Länder eine vorsichtigere Haltung gegenüber chinesischen Investitionen einnehmen, sehen Ungarn und Serbien in der Unterstützung der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt einen entscheidenden Faktor für den Erfolg Europas. Diese Entwicklungen dürften eine sorgfältige Neubewertung der Beziehungen zwischen der EU und China erfordern. pk
EUROPA
Russischer Sabotagekrieg
In den letzten Wochen häuften sich die Berichte über mutmassliche russische Sabotageakte in Europa. Bereits im Mai warnten Geheimdienste aus drei europäischen Ländern ihre Regierungen, dass russische Agenten Bombenanschläge, Brandstiftungen und Angriffe auf Infrastruktur planen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bestätigte, dass das Bündnis angesichts der Bedrohung seine Wachsamkeit erhöht hat. Sicherheitsexperten sehen in den Vorfällen eine deutliche Zunahme verdeckter russischer Sabotageoperationen. In Deutschland wurden zwei Russlanddeutsche in Bayreuth festgenommen, die
im Verdacht stehen, Militäranlagen ausspioniert und Sabotageanschläge geplant zu haben. In Litauen wird ein Brand in einer Ikea-Filiale als möglicher Sabotageakt vermutet, während in Schweden die Sicherheitsdienste hinter mehreren Eisenbahnentgleisungen ebenfalls Sabotage vermuten. Estland erlebte einen Anschlag auf das Auto des Innenministers und eines Journalisten, und in Grossbritannien gab es einen Brandanschlag auf ein Lagerhaus mit Hilfsgütern für die Ukraine. Ein Brandanschlag, der das grösste Einkaufszentrum in Warschau zerstörte, soll angeblich auch auf das Konto des Kremls gehen. Zudem wurde das Hauptquartier von Novo Nordisk in Dänemark nur wenige Tage, nachdem die alte Börse in Kopenhagen ein Raub der Flammen geworden war, durch einen Brand ebenfalls arg in Mitleidenschaft gezogen.
Die dänische Polizei untersucht die Ursache weiterhin, kommentierte jedoch keine Gerüchte zu möglicher russischer Urheberschaft. Laut Einschätzung von Thomas Haldenwang, Chef des deutschen Verfassungsschutzes, ist das Risiko staatlich kontrollierter Sabotageakte durch Russland signifikant gestiegen. Er warnt vor einem hohen Schadenspotenzial. Als Grund für die Sabotageakte gilt, dass Moskau sich bereits im Krieg mit dem Westen sieht. Präsident Wladimir Putin erklärte im März, dass westliche Militärbasen mit für die Ukraine bereitgestellten F16-Kampfjets als legitime Ziele der russischen Armee gelten. Experten sehen die Anschläge zudem als Vergeltung für die verstärkten ukrainischen Angriffe auf russischem Boden. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski beschuldigte unterdessen einige Staaten, Russland
bei der Sabotage von Friedensgesprächen zu unterstützen. Insbesondere China, das laut Selenski Russland dabei half, den Friedensgipfel auf dem Bürgenstock zu sabotieren. Er sagte, die Ukraine habe Beweise, dass «China Moskaus Kriegsanstrengungen unterstützt, obwohl Präsident Xi versprach», sich nicht einzumischen. Westliche Regierungen suchen unterdessen nach Wegen, um auf die russischen Sabotagepläne zu reagieren. Dies verdeutlicht, dass der UkraineKrieg längst auch auf westeuropäischem Boden ausgetragen wird. Russland scheint denn auch entschlossen, den Konflikt zu eskalieren und den Westen unter Druck zu setzen. Europa wird sich deshalb auf weitere Anschläge einstellen und Gegenmassnahmen ergreifen müssen, um kritische Infrastruktur zu schützen und die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. pk
Macht China den Hof: Victor Orban. Bild: miniszterelnok.hu
GEORGIEN
Kommt der Umbruch?
In der Nacht zum 1. Juni wurde ein Büro der Oppositionspartei «Vereinte Nationale Bewegung» in Tbilisi von bis zu 100 maskierten Männern angegriffen. Die Angreifer waren mit Stöcken, Steinen und Holzspeeren bewaffnet und beschädigten die Fassade des Gebäudes, zerstörten Fenster und Mobiliar. Die «Vereinte Nationale Bewegung», die vom inhaftierten Ex-Präsidenten Micheil Saakaschwili gegründet wurde, ist aktuell die stärkste Oppositionspartei im Parlament und wird bei den Wahlen im Oktober versuchen, die regierende Partei «Georgischer Traum» herauszufordern. Der Angriff erfolgte inmitten erhöhter Spannungen im Land, nachdem die Regierung ein umstrittenes Gesetz über «ausländische Agenten» verabschiedet hatte, das an eine ähnliche Gesetzge-
bung erinnert, die der Kreml zur Unterdrückung von Dissens einsetzt. Hinter dem Gesetz steht Bidzina Ivanishvili, ein georgischer Oligarch und Gründer des Georgischen Traums, eine zentrale Figur in der georgischen Politik. Ivanishvili, der sein Vermögen in Russland während der 1990er-Jahre anhäufte, wird oft als der eigentliche Machthaber in Georgien angesehen, obwohl er offiziell von der politischen Bühne zurückgetreten ist. Seine Verbindungen zu Russland und seine Rolle als Strippenzieher hinter den Kulissen haben ihn jedoch zu einer umstrittenen
Person gemacht. Ein beunruhigender Aspekt der Geschehnisse ist deshalb der Einsatz von sogenannten Titushky, bezahlten Schlägern, die Demonstranten angreifen und einschüchtern oder wie im konkreten Fall eine Parteizentrale angreifen. Diese Praxis erinnert stark an die Methoden, die während der Euromaidan-Proteste in der Ukraine angewendet wurden, und entstammen dem Drehbuch Moskaus. Trotz wochenlanger Massenproteste und Warnungen aus den USA und der EU, dass dieser Schritt den Weg Georgiens in Richtung nordatlantischer Inte-
gration gefährden würde, wurde das Gesetz letztendlich am 3. Juni im georgischen Gesetzblatt veröffentlicht, nachdem es von Parlamentspräsident Shalva Papuashvili unterzeichnet worden war. Die prowestliche Präsidentin Salome Zurabishvili hatte sich zuvor zwar geweigert, das Gesetz zu billigen, nachdem es am 18. Mai an sie zurückverwiesen worden war. Am 28. Mai setzte sich das Parlament jedoch über ihr Veto hinweg. Laut der georgischen Verfassung hat der Parlamentspräsident das Recht, das Gesetz zu verkünden, wenn die Präsidentin es nach einer Aufhebung durch die Abgeordneten nicht billigt. Das Gesetz verpflichtet Organisationen und Einzelpersonen, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland beziehen, sich als «ausländische Agenten» registrieren zu lassen. Andernfalls drohen ihnen Geldstrafen oder bis zu fünf Jahre Gefängnis. pk
BALTIKUM
Russland sorgt mit Grenzverschiebungsplänen für Aufruhr
Im Mai haben die Spannungen zwischen Russland und den baltischen Staaten sowie Finnland deutlich zugenommen. Auslöser ist ein Gesetzentwurf, den Russland bei den Vereinten Nationen eingebracht hat. Dieser sieht vor, die Seegrenzen in der Ostsee einseitig zu verschieben und somit die ausschliesslichen Wirtschaftszonen Litauens und Finnlands zu verkleinern. Die betroffenen Länder reagierten empört auf den Vorstoss und bezeichneten ihn als völkerrechtswidrig. Grenzänderungen maritimer Gebiete sind – gerade auch in dieser Region – zwar
üblich, wie 2017 zwischen Finnland und Russland. Diesmal wirkt es jedoch provokativ: Russland informierte Finnland nicht, wohl um dessen Reaktion zu testen, veröffentlichte zudem keine Karten und entfernte Markierungen. Es war deshalb ein kalkuliertes Manöver, um zu zeigen, dass die neue NATO-Mitgliedschaft keinen Schutz vor willkürlichen Forderungen bietet. Auch die Europäische Union verurteilte das russische Vorhaben scharf. Man werde eine Änderung der Grenzen nicht akzeptieren, so der Aussenbeauftragte Josep Borrell. Die USA sicherten ihren NATO-Verbündeten in der Region ebenfalls Unterstützung zu. Experten sehen in dem Gesetzentwurf vor allem einen Versuch Russlands, die eigene Präsenz in der strategisch wichtigen Ostsee auszubauen. Durch die Verschiebung
Russen entfernen Bojen im Fluss Narva. Bild: Estnisches Polizei- und Grenzschutzamt
der Grenzen könnte Moskau mehr Einfluss auf Schifffahrtsrouten und Rohstoffvorkommen gewinnen. Zudem würde die Sicherheitsarchitektur in der Region nachhaltig verändert. Die Lage eskalierte weiter, als russische Grenzschützer Ende Mai Grenzmarkierungen im Grenzfluss Narva zwischen Estland und Russland entfernten. Die EU bezeichnete dies als «inakzeptabel» und forderte die sofortige Wiederherstellung des
vorherigen Zustands. Estland verstärkte daraufhin die Überwachung der Grenze. Litauen und Finnland betonten derweil, dass man einer einseitigen Grenzverschiebung durch Russland niemals zustimmen werde. Beide Länder setzen auf eine diplomatische Lösung, schliessen aber auch rechtliche Schritte nicht aus. Die Situation bleibt angespannt, zumal Russland bisher keine Bereitschaft zu Verhandlungen gezeigt hat. pk
«Titushky» in Georgien. Bild: Terje Helland
Endstation Sackgasse
Die jüngsten kriegerischen Handlungen im Gazastreifen haben eine komplexe und unsichere Nachkriegslandschaft hinterlassen, die sowohl die Sicherheitsarchitektur Israels als auch die Beziehungen zu den umliegenden arabischen Staaten erheblich beeinflusst. Die israelischen Streitkräfte (IDF) hatten bis Ende Mai ihre Operationen in verschiedenen Teilen des Gazastreifens intensiviert, insbesondere in den südlichen und östlichen Gebieten von Gaza-Stadt und Rafah. Dabei wurden zahlreiche Tunnel und Waffenlager entdeckt, was die anhaltende Bedrohung durch militante Gruppen unterstreicht. Parallel zu den militärischen Operationen hat Israel Vorschläge zur Verwaltung des Gazastreifens nach dem Krieg unterbreitet. Diese Pläne stiessen jedoch auf heftigen Widerstand seitens Ägyptens, Katars und anderer arabischer Länder. Saudisch-affiliierte Beobachter berichteten, dass diese Länder Israels Vorschlag, die zivile Verwaltung im Gazastreifen zu übernehmen, entschieden ablehnten. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate äusserten sich kritisch und betonten, dass Premierminister Benjamin Netanyahu keine rechtliche Befugnis habe, sie zur Teilnahme an der Verwaltung des Gazastreifens einzuladen. Die ägyptische Regierung machte deutlich, dass sie Israel für die Verschlechterung der humanitären Bedingungen im Gazastreifen verantwortlich macht. Die Wiederaufbaukosten für Gaza werden auf 40 Milliarden US-Dollar geschätzt und könnten bis zu 16 Jahre in Anspruch nehmen. Diese Schätzung berücksichtigt die Zerstörung von über 80 000 Wohnungen und die Beschädi-
gung weiterer 370 000. Darüber hinaus könnten laut Berechnungen 44 Jahre Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte in den Bereichen Gesundheit und Bildung durch den Krieg ausgelöscht werden. US-Präsident Joe Biden betonte unterdessen, dass die USA mit arabischen Ländern zusammenarbeiten, die bereit sind, den Gazastreifen nach dem Krieg wieder aufzubauen und die Gründung eines palästinensischen Staates gemäss der Zwei-Staaten-Lösung zu fördern. Die palästinensischen Behörden indes lehnten jegliche Form der Fremdverwaltung «ihres» Territoriums und konkret auch des Rafah-Grenzübergangs ab. Derweil versucht der Chef des palästinensischen Geheimdienstes, General Majed Faraj, Mitglieder seiner Behörde in den Gazastreifen zu bringen, um sich auf die zivile Verwaltung nach dem Krieg vorzubereiten. Diese Entwicklungen haben weitreichende Auswirkungen auf die Sicherheitsarchitektur an der östlichen Mittelmeerküste. Israel muss seine Sicherheitsstrategien anpassen, um den fortwährenden Bedrohungen durch militante Gruppen im Gazastreifen zu begegnen. Gleichzeitig müssen die Beziehungen zu den arabischen Nachbarstaaten neu bewertet werden, da diese Länder zunehmend ihre Unabhängigkeit und ihre eigenen Interessen in der Region betonen. Die Weigerung, an der Verwaltung des Gazastreifens teilzunehmen, zeigt eine klare Distanzierung von Israels Plänen und unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden diplomatischen Lösung, die die Sicherheitsbedenken aller beteiligten Parteien berücksichtigt.
Politikversagen in Bern
Täglich gibt es in der Ukraine und im Gazastreifen neue Tote. In der Frühjahrssession habe ich vergebens gehofft, dass der Bundesrat und die beiden Räte in verschiedenen – unsere nationale Sicherheit betreffenden – Bereichen vorwärtsmachen. Es dient doch einzig Russland, wenn das Parlament unser Kriegsmaterialgesetz nicht auf den Stand von vor 2021 zurück ändert und wenn in der G7-Task-Force zum «Aufspüren» von russischen Oligarchengeldern nur widerwillig mitgearbeitet wird. Die Schweiz stellt sich quer, dass die vor Jahren aus der Schweiz an Deutschland gelieferten 12 000 Geschosse für den Fliegerabwehrpanzer Gepard und die an Dänemark gelieferten 20 Piranha-III-Schützenpanzer an die Ukraine weitergegeben werden können. Diese Schweizer Blockade kommt einer Verweigerung der Nothilfe für die Ukraine gleich. Dem Vernehmen nach werden grosse Mengen russischer Rohstoffe von Firmen gehandelt, welche in der Schweiz ansässig sind. Das hilft Russland, seine Kriegswirtschaft und die «Sonderoperation» in der Ukraine zu finanzieren. Unter dem Vorwand «Wir wollen uns im Palästina-Konflikt den Kontakt mit beiden Seiten nicht verbauen» hat die Schweiz die Terrororganisation Hamas noch immer nicht verboten. Das Sammeln von Geldern und Demonstrationen an den Hochschulen für diese Organisation gehen weiter. Anfang Jahr hat das unschöne Gezerre um die Armeefinanzen endlich den bedenklichen, von der Politik viel zu lange «schöngeredeten» Ist-Zustand der WEA offengelegt. Unsere im Herbst neu gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben in offensichtlicher Unkenntnis der Einsatzbereitschaft der WEA bei der Abstimmung vom 20. Dezember 2023 beschlossen, das Anwachsen der Armeeausgaben auf 1 Prozent des BIP bis 2035 zu erstrecken.
Fazit: Seit den Parlamentsneuwahlen ist viel geredet, aber in den dargestellten Bereichen wenig geliefert worden. Im Hinblick auf die Unsicherheit in der Welt kommt das einem Politikversagen gleich.
Fritz Maurer Bassersdorf
Grosse Zerstörung in Gaza. Bild: UNRWA
ECHO AUS DER LESERSCHAFT
Leitfaden zur Einführung obligatorischer Sicherheitsveranstaltungen für Frauen
und Ausländer
Die Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF) hat an ihrer Jahresversammlung die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit diskutiert. Dabei wurde eine «Neue Gesamtverteidigung» diskutiert, die breite Anstrengungen in den Bereichen Militär und Bevölkerungsschutz umfasst. Die bisherigen Erkenntnisse aus dem Ukraine-Krieg bildeten den Hintergrund, vor dem Bundespräsidentin Viola Amherd und die kantonalen Sicherheitsdirektoren – die Mitglieder der RK MZF – die
Notwendigkeit verstärkter Anstrengungen in den Bereichen Militär und Bevölkerungsschutz diskutierten. In diesem Zusammenhang wurde ein Leitfaden zur Einführung obligatorischer Sicherheitsveranstaltungen für Frauen und Ausländer verabschiedet. Ausserdem wurde eine «Interkantonale Kommission Bevölkerungsschutz für Armeeeinsätze» geschaffen, welche die Zusammenarbeit von Kantonen und der Armee bei Katastropheneinsätzen erleichtert. Die Mitglieder der RK MZF bekannten sich zudem zur zeitge-
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Bundesrat eröffnet Vernehmlassung zum Kriegsmaterialgesetz
Der Bundesrat hat am 15. Mai die Vernehmlassung zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes (KMG) eröffnet. Diese Änderung sieht die Einführung einer Abweichungskompetenz für den Bundesrat vor, sodass er im Falle ausserordentlicher Umstände von den Bewilligungskriterien des KMG abweichen kann, wenn die Wahrung der aussen- und sicherheitspolitischen Interessen dies erfordert. Der Bundesrat muss sich jedoch auch weiterhin an die internationalen Verpflichtungen der Schweiz halten, insbesondere an das Neutralitätsrecht. Die Anwendung der Abweichungskompetenz könnte zum Beispiel erforderlich werden, damit
im Rahmen der industriellen Zusammenarbeit zwischen Schweizer Zulieferbetrieben und Rüstungsunternehmen in Partnerstaaten, die plötzlich in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, bestimmte Einzelteile und Baugruppen nach wie vor ausgeführt werden können. Dadurch könnte die Schweiz auch die Rechtssicherheit von Offset-Geschäften im Zusammenhang mit Käufen von Rüstungsgütern für die Landesverteidigung besser gewährleisten. Im Übrigen darf der Bundesrat nur für einen begrenzten Zeitraum von den Bewilligungskriterien abweichen. Die Vernehmlassung dauert bis zum 4. September 2024. WBF
rechten Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Bereich der Schutzbauten. Darüber hinaus informierte der Co-Übungsleiter der im November 2025 schweizweit stattfindenden «Integrierten Übung 25», der Bündner Regierungsrat Martin Bühler, über den Stand der Vorbereitungen. Zudem fand die erste Mitgliederversammlung des Vereins Sicherheitswochen statt. Ab Januar 2025 sollen an den Schulen der Sekundarstufe II sogenannte Sicherheitswochen angeboten werden. Schülerinnen und Schüler sollen dort die
Organisationen des Verbundsystems Bevölkerungsschutz (zum Beispiel Zivilschutz, Feuerwehr, Polizei) und deren Partner (zum Beispiel Armee) kennenlernen. Sie sollen über Karrieremöglichkeiten und berufliche Laufbahnen orientiert werden. Darüber hinaus soll ihnen anhand von Beispielen wie der Strommangellage die Krisenbewältigung nähergebracht werden. Vor allem aber sollen sie für aktuelle sicherheitsrelevante Themen und für Auswirkungen von Krisen auf das gesellschaftliche Leben sensibilisiert werden. MZF
Piranha Heavy Mission Carrier wird
vorgestellt
KNDS Deutschland und General Dynamics European Land Systems (GDELS) stellen auf der diesjährigen Future Artillery Conference in Paris das AGM auf dem Piranha Heavy Mission Carrier (HMC) vor. Die gemeinsam entwickelte Systemlösung vereint das vollautomatisierte, unbemannte 155-mm-Artilleriegeschützmodul AGM von KNDS Deutschland mit dem neuen Piranha HMC der Mowag aus Kreuzlingen. Bei einem zulässigen Gesamtgewicht von 40 Tonnen und einem dank der
Vier-Achs-Lenkung erzielten Wendekreis von weniger als 18 Meter vereint das System hohe Mobilität mit artilleristischer Feuerkraft. Das Geschütz kann mit einer Besatzung von zwei Personen uneingeschränkt betrieben werden. Der Wirkbereich des Artillerie-GeschützModuls beträgt 360 Grad. Dank des 10x10 Multi-Link-Fahrwerks ist eine mechanische Abstützung bei Schussabgabe nicht erforderlich. Es erlaubt das Feuern der Hauptwaffe aus der Bewegung. GDELS
Das AGM auf Piranha hat einen Wirkbereich von 360 Grad. Bild: GDELS
Kantonale Offiziersgesellschaft St. Gallen erprobt neues Format
In Wil versammelten sich am 25. Mai Offiziere der Offiziersgesellschaft des Kantons St.Gallen (KOG SG) zu einem innovativen sicherheitspolitischen Brunch. Die Veranstaltung, die erstmals in einem Workshop-Format stattfand, erwies sich als äusserst erfolgreich. Der Brunch begann mit einem eindrucksvollen Inputreferat von Oberst a D Bruno Russi, dem ehemaligen Verteidigungsattaché in Kiew, Neu-Delhi und Moskau und ASMZ-Redaktor. Thema seines Vortrags war der Krieg in der Ukraine und die Kriegsführung der russischen Angreifer.
Nach dem Referat wurden die Teilnehmer in drei Gruppen aufgeteilt, die sich jeweils mit den Fokusthemen Infanterie, Artillerie und Panzer beschäftigten. Ziel war es, aus den ak-
tuellen Entwicklungen in der Ukraine Konsequenzen für die Schweizer Armee abzuleiten. In den Diskussionen stellte sich heraus, dass dieser Krieg wesentliche Merkmale des Ersten und Zweiten Weltkriegs aufweist, jedoch mit moderner Technologie wie Drohnen oder elektronischer Kriegführung angereichert ist. Die taktischen Grundsätze sind nach wie vor gültig, doch die moderne Technik verändert die Dynamik auf dem Gefechtsfeld rasant. Die Fähigkeit, Drohnen effektiv einzusetzen und sich gegen sie zu schützen, wurde als zwingend notwendig identifiziert. Drohnen machen den Kampf schneller, agiler und dynamischer, was auch die Stabsarbeit beeinflusst. Die Informationsflut muss verarbeitet und die Auftragstaktik
bis auf die unterste Stufe sichergestellt werden, um die Reaktivität der Truppe zu nutzen. Ein weiteres zentrales Thema war die Bedeutung der Tarnung und Täuschung auf dem gläsernen Gefechtsfeld. Fähigkeiten und Mittel hierfür sind für die Schweizer Armee unerlässlich. Zudem wurde die Wichtigkeit des Häuser- und Ortskampfes sowie der Flieger- und Raketenabwehr betont, was eine Dezentralisierung der Truppen notwendig und die Kommunikation auf allen Ebenen wichtiger macht.
Zum Abschluss der Veranstaltung fasste Oberst i Gst Martin Koller, Präsident der KOG SG, die fünf wichtigsten Punkte zusammen: 1. Der Weg der Schweizer Armee stimmt, es sind Konzepte vorhanden. 2. Die Frage
der Finanzierung und damit der schnellen Umsetzung der Konzepte ist entscheidend. 3. Masse ist auch Klasse – Personalbestände sind in allen Armeen ständig ein Thema. Eine Überprüfung des Sollbestandes tut auch in der Schweizer Armee not. 4. Tarnen und Täuschen sind von grosser Bedeutung; damit dies aber gelingen kann, ist eine adäquate Menge an Mitteln dafür einzusetzen und dementsprechend verfügbar zu machen. 5. Informationsoperationen sind in der Schweiz noch kaum entwickelt. Die Kommunikation seitens des Bundes ist schwach und muss zwingend durch die SOG unterstützt werden, um die Bevölkerung, aber auch die Angehörigen der Armee vor Desinformation zu schützen. Samuel Lauermann
Die Armee-Geschichte interessiert – und ihre aktuelle Unterstützung?
Der Verein Militär- und Festungsmuseum Full-Reuenthal betreibt das Festungsmuseum Reuenthal sowie das Schweizerische Militärmuseum Full und er betreut 99 frühere militärische Anlagen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs zwischen Aare und Rhein, im ehemaligen Einsatzgebiet der Grenzdivision 5 und der Grenzbrigade 5. An der jüngsten Generalversammlung wurde ein erfolgreiches Jahr gewürdigt. Nachher kam der gegenwärtige und künftige Zustand der Armee zur Sprache. Das machte weniger Freude. Laut Vereinspräsident Thomas
Hug stieg die Mitgliederzahl auf 1596, die Besucherzahl auf 18 752. Eine weitere Aufwertung steht dem Militärmuseum durch die leihweise Übernahme von 25 ausländischen Panzerfahrzeugen des Panzermuseums Thun bis im Herbst 2025 bevor. Das bedingt eine erneute Erweiterung von «Full». In einer ersten Etappe wurde eine 1500 m2 grosse Depothalle erstellt und Bauland für die 4200 m2 grosse dritte Museumshalle sowie Parkplätze erworben. Die Kosten für das Gesamtprojekt belaufen sich auf 9,5 Millionen. Die erste Etappe ist abgeschlossen und finanziert. Ein Beitrag
von 2,5 Millionen Franken aus dem Aargauer Swisslos-Fonds gab dem Vorhaben Schub. Jetzt läuft die Finanzierungsaktion für die zweite Phase im Umfang von 4,7 Millionen. 2026 soll die dritte Halle eröffnet werden. Im zweiten Teil der Generalversammlung analysierte Brigadier Romeo Fritz, Kommandant der Mechanisierten Brigade 4, in schonungsloser Offenheit den heutigen Zustand der Armee und wie es seit der Armee 61 über die Armee 95 und die Armee XXI bis zur Weiterentwicklung der Armee, WEA, durch den Abbau von Truppen, Material und Kompetenz zur
aktuell ungenügenden Verteidigungsfähigkeit kam. Der primäre Verteidigungsauftrag wurde für Terrorismusbekämpfung und subsidiäre Aufträge zurückgefahren. Dann kam die nicht für möglich gehaltene Zeitenwende: der russische Angriff auf die souveräne Ukraine, begleitet von einer Verschärfung der geopolitischen Lage – und die Erkenntnis, dass die Schweiz gegenwärtig zu keinem nachhaltigen militärischen Widerstand fähig ist. Um die Verteidigungsfähigkeit wiederzuerlangen, seien 50 Milliarden Franken nötig, betonte Fritz. Hans-Peter Widmer
Divisionär Mathias Tüscher verlässt das Berufsmilitärkorps
Divisionär Mathias Tüscher, Kommandant Territorialdivision 1, verlässt die Gruppe Verteidigung per Ende Oktober 2024 auf eigenen Wunsch. Die notwendigen Schritte für den reibungslosen Übergang und die Sicherstellung der Geschäftskontinuität wurden eingeleitet. Die Territorialdivision 1 wird bis zur Regelung der Nachfolge durch den bisherigen stellvertretenden Kommandanten, Brigadier Christian Sieber, geführt. Divisionär Tüscher trat 1992 in das Instruktionskorps der Infanterie ein und hat in der Armee verschiedenste Funktionen bekleidet. So war er ab 2014 unter anderem Kommandant der Infanteriebrigade 2, der Mechanisierten Brigade 1 und seit dem 1. Januar 2022 der Territorialdivision 1. VBS
Allianz fordert rasche Nachrüstung − aber was ist mit der Schuldenbremse?
Am 7. Mai 2024 hielt die Allianz Sicherheit Schweiz ihre Generalversammlung im Berner Hotel National ab. Von den 1300 Einzelmitgliedern und 37 Mitgliederorganisationen dieser sicherheitspolitischen Fachund Kampagnenorganisation fanden sich über 120 Personen ein. Angesichts der geopolitischen Lage musste Allianz-Präsident Thierry Burkart besorgt konstatieren, dass die Schweizer Politik bei der Stärkung der Landesverteidigung noch immer hinterherhinkt. Die Allianz schichtete ihre Ressourcen daher um: weniger Rückstellungen für allfällige Abstimmungskampagnen, mehr Mittel für Inhalte und Kommunikation. Die Vorstandsmitglieder stellten das neue Positionspapier vor, dessen Hauptforderungen umfassen: eigene Verteidigungsfähigkeit inklusive Rüstungsindustrie als Konsequenz der bewaffneten Neutralität; Klärung des Verhältnisses zur NATO; Milizprinzip und Wehrpflicht als bewährte Grundprinzipien; Softpower durch interessenorientierte Aussenpolitik und militärische Friedensför-
derung; innere Sicherheit von Staat und Gesellschaft und - in logischer Zusammenfassung aller Punkte - eine Neuauflage der Gesamtverteidigungskonzeption.
2023 konnte die Allianz sich politisch erfolgreich gegen NGO-Bemühungen durchsetzen, die den Wiederaufbau der Ukraine nicht aus dem Topf der Entwicklungshilfe, sondern aus anderen Töpfen, zum Beispiel der Armee, finanzieren lassen wollten. Das (ungenügende) Geld für die Nachrüstung der Armee blieb die dominante Frage des ganzen Abends. So in der Grussbotschaft von VMGPräsident Stefan Holenstein. Für seinen Verband ist die Schuldenbremse nicht mehr sakrosankt, weil die Kosten einer raschen Nachrüstung das (durchaus vorhandene) Sparpotenzial bei anderen Ausgabenbereichen des Bundes übersteigt. Damit bezog er sich auf eine im April von einer Mitte-Links-Mehrheit in der ständerätlichen Sicherheitskommission eingebrachte Motion. Diese will an der Schuldenbremse vorbei für die Nachrüstung 10 Mrd. Franken und
für die Ukrainehilfe 5 Mrd. über einen Fonds bereitstellen. Nach der Generalversammlung wurde der Publikumskreis erweitert. Alt Bundesrat Kaspar Villiger (FDP) hielt ein Einleitungsreferat. Er warnte vor einer möglichen ukrainischen Niederlage und davor, dass die Schweiz mit einer schlecht bewaffneten Neutralität für Russland lohnenswerte Angriffsziele biete: kritische Infrastrukturen, deren Zerstörung auch den NATO-Bündnisraum in Mitleidenschaft ziehen würde, ohne aber einen Bündnisfall auszulösen. Für den ehemaligen Verteidigungs- und Finanzminister erscheinen nicht Schulden, wohl aber Mehreinnahmen als gerechtfertigtes Mittel zum Zweck der schweizerischen Nachrüstung. Sparanstrengungen und strukturelle Reformen – etwa beim Rentenalter – wären indirekte Massnahmen, um im Bundeshaushalt Mittel für die Landesverteidigung politisch freizukämpfen. An der anschliessenden Podiumsdiskussion kamen alt Bundesrat Samuel Schmid (BDP), Ständerätin Andrea Gmür-Schönen-
berger (Die Mitte), Ständerat Thierry Burkart (FDP) und NZZBundeshausredaktor Georg Häsler zusammen, moderiert von Tages-Anzeiger-Redaktor Markus Häfliger. Gmür sieht die Schweiz noch weit von den Schmerzgrenzen unverantwortlicher Schuldenniveaus entfernt, während Burkart zuerst das Sparpotenzial im Bundeshaushalt zugunsten der Armee ausschöpfen möchte. Häsler erinnerte in Einigkeit mit Villiger daran, dass gesunde Staatsfinanzen für die Handlungsfähigkeit bei künftigen bösen Überraschungen unabdingbar seien. Ex-Verteidigungsminister Schmid betonte, dass jede Finanzierungslösung vor allem rasch greifen müsse. «Die Sache ist dringend», denn die Schweiz habe es seit Russlands Krimbesetzung 2014 versäumt, einen Aufwuchs auszulösen. Umso bedauerlicher ist es, dass es der Allianz nicht gelungen ist, alle politisch Verantwortlichen an einen runden Tisch zu gewinnen, wo die Finanzierungsoptionen für den Aufwuchs einvernehmlich ausgelotet werden könnten. fk
HSG-Offiziere mit Einblick in bedeutendste Übernahme in Schweizer Finanzwelt
Am 22. Mai führten die HSGOffiziere ihre jährliche Hauptversammlung durch. Präsident Hauptmann Dominik Ess erläuterte die Stossrichtungen, die der Verein zukünftig verfolgen soll. Dazu gehören unter anderem der Ausbau des wachsenden Netzwerks der HSG-Offiziere mit mittlerweile über 450 Mitgliedern, die Förderung der sicherheits- und armeepolitischen Diskussion sowie die Nutzung der digitalen Möglichkeiten zur besseren Entfaltung und Wahrnehmung des Vereins. Im zweiten Teil des Abends genossen die rund 90 teilnehmen-
den Offiziere ein hochspannendes Referat zum Thema «From Competitors to Colleagues – the Importance of Leadership» von Oberstleutnant Stefan Seiler. Sie erhielten einen umfassenden Einblick in die aktuellen Herausforderungen rund um die Vereinigung der Kulturen und Menschen der zwei systemrelevanten Banken UBS und Credit Suisse unter einem Dach, und das vom Head Group Human Resources & Group Corporate Services der UBS Group AG höchstpersönlich. Seiler zeigte auf, wie anspruchsvoll sich in diesem Umfeld eine
wirkungsvolle Führung, insbesondere auch der unterstellten Kader, gestaltet. Parallel zum anschliessenden Apéro bot die
Swissint eine spannende Ausstellung zur internationalen Friedensförderung. Dominik Ess
An ihrer Versammlung in Dübendorf konnten die HSG-Offiziere auch eine Ausstellung der Swissint besuchen. Bild: PD
Das Bedrohungsbild der Schweiz nach der «Zeitenwende»
Krieg in Europa, in Nahost und im Cyberraum! Wie reagiert der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) auf dieses sicherheitspolitische Erdbeben, wie passt er sich strukturell und inhaltlich an? Juliette Noto, Vizedirektorin des NDB, tauschte sich an einem öffentlichen Anlass in einem offenen Gespräch mit Vorstandsmitgliedern vom «Chance Schweiz»-Arbeitskreis für Sicherheitsfragen und mit dem Publikum aus. Aufgabenfelder und ihre Abgrenzungen (zentral ist der Gewaltbezug) sowie die rigorose Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit definiert das Bundesgesetz über den Nachrichtendienst. Es trat 2017 in Kraft, mithin fünf Jahre vor der «Zeitenwende». Die Bedrohung «Sicherheitspolitisch bedeutsame Aktivitäten im Cyberraum» nimmt erst die Revision auf, die 2024 ins Parlament
kommen sollte. Die geopolitische Lage, die neuen Technologien erfordern eine Beschleunigung der Verfahren; dem trägt die Reorganisation Rechnung. Die Rechtsetzung hinkt hinterher. Unter den Mitarbeitenden vollzieht sich laut Noto ein Generationenwechsel. Der NDB, der kleinste Dienst in Europa, ist stark vernetzt. Juliette Noto leitet die Hauptabteilung «Partnerships», die Schnittstelle des NDB zu seinen nationalen und internationalen Partnern und Kunden. Integriert ist unter anderem das Bundeslagezentrum. Der NDB beschafft Informationen, analysiert die Lage, hingegen stellt er keine Anträge. Es ist an der Politik, die richtigen Schlüsse aus den Berichten zu ziehen. Das beurteilen Sicherheitspolitik und Diplomatie gelegentlich kontrovers. So werden russische oder chinesische
Botschaftsangehörige trotz erkannter Spionagetätigkeit nicht ausgewiesen.
Ein Krieg bedrohe die Schweiz nicht unmittelbar, wir erlebten momentan die Phase der Beeinflussung, so Noto. Operiert werde mit Cyberinfiltration, Sabotage, Spionage, Desinformation. Putins Vision sei die Auferstehung des ehemaligen Grossrussland, zusammengehalten durch den orthodoxen Glauben. Die Auslöschung der Ukraine gehöre zu diesem Programm. Die NATO könne Putin nicht zerstören, aber er wolle die Bündnispartner und ihre Gesellschaften bewusst entzweien. Spätestens mit der Besetzung der Krim hätte der Westen aufwachen müssen. Der NDB erwartete nach dem Abschluss der Olympischen Spiele einen drohenden russischen Einmarsch. Xi Jinping träume von einem Grosschina, für einen
Krieg gegen Taiwan stimmten zurzeit aber weder die innenpolitischen noch technologischen Voraussetzungen. Sorgen bereiten dem NDB aufwieglerische Aktionen der Jihadisten in der Diaspora. Allfällige Verbindungen von Einzeltätern zum IS sind schwierig erkennbar. Hinter der Hamas steht eine Ideologie, und diese lässt sich nicht auslöschen. Präventive Operationen, zum Beispiel gegen sogenannte Rückkehrer, gehören zum Staatsschutz, stossen aber rasch an die Grenzen der genehmigungspflichtigen Massnahmen. Im Inland beobachtet man die Zunahme des linken und rechten Extremismus, oftmals verbunden mit Hooliganismus. Grossveranstaltungen wie die Fussball-EM und die Olympiade sind Magnete sowohl für Terrorismus wie für gewaltbereite Mitläufer. Irène Thomann
Ein Bataillon wie ein Fels – die 56iger feiern ihr 150-jähriges Bestehen
Im August 1914 wurden im Schachen in Aarau Soldaten für den Aktivdienst im Ersten Weltkrieg mobilisiert. Es war das Füsilierbataillon 56, dessen Angehörige aus dem See-, Wynen- und Ruedertal stammten. 90 Jahre später stehen die Nachfahren des Bataillons wieder auf dem Schachen – und feiern das 150-jährige Bestehen des Bataillons. Dieses entstand 1874 mit der ersten nationalen Armeeorganisation. Damals war es eines von mehreren Aargauer Infanterieeinheiten. Heute ist es nach mehreren Armeereformen das letzte seiner Art. Entsprechend stolz sind die Angehörigen des «Stumpenbataillons». Wegen seiner ursprünglichen Heimat, dem Zentrum der Aargauer Zigarrenindustrie, und dem entsprechend hohen Konsum von Tabakwaren erhielt die Einheit bald schon ihren Spitznamen.
Noch heute tragen die Angehörigen des Bataillons auf ihrem Badge den Stumpen. Mit der Enthüllung eines Gedenksteins ziert das Abzeichen mit dem Stumpen künftig auch den Aargauer Schachen. «Möge, wenn es wiederum an der Grenze donnert, unsere Jungmannschaft zu ihrer Verteidigung ausrücken, besser ausgerüstet und ausgebildet, als wir im Jahre 1914 es gewesen sind, aber vom gleichen Geiste beseelt, wie er in den Augusttagen unser Volk und unser Heer erfüllt hat», zitierte Bataillonskommandant Jürg von Gunten seinen Vorgänger, der die Aargauer Einheit 1914 in den Aktivdienst führte. Für ein Donnern sorgten an der Jubiläumsfeier zum einen drei Kanonenschüsse – jeder Schuss symbolisch für 50 Jahre –, zum anderen vier F/A-18, die direkt aus der Übung ALPHA UNO
heraus das Stumpenbataillon überflogen. In seiner Rede sagte Kommandant Jürg von Gunten: «Ob wir die beste Armee der Welt sind, kann ich nicht beurteilen. Aber wenn es darum geht, vom Zivilleben in die Uniform zu wechseln und miteinander zu trainieren, gehören wir definitiv zur Weltspitze.»
Und für diesen Einsatz danke er allen aufrichtig, so von Gunten.
Dieser werde wieder auf die Verteidigung ausgerichtet. Gewissermassen «back to the roots», denn die Aargauer leisteten Aktivdienste im Ersten Weltkrieg und standen auch im Zweiten Weltkrieg im Einsatz. In den letzten Jahren unterstützte das Infanteriebataillon 56 Grossanlässe wie die Skiweltcups in Adelboden oder St. Moritz.
Dario Muffler
Das Bataillon in voller Pracht und die Fahrzeuge als 150 aufgereiht. Bild: PD
Annie Jacobsen
72 Minuten bis zur Vernichtung: Atomkrieg – ein Szenario
Es gibt Bücher, bei denen die Lektüre schwer, und solche, bei denen sie leicht fällt. Zu welcher Kategorie der Spiegel-Bestseller Annie Jacobsens «72 Minuten bis zur Vernichtung» zu zählen ist, bleibt natürlich der Entscheidung jedes Einzelnen überlassen. Für den Rezensenten gehört das Buch zu den seltenen, auf das beide Kategorien passen.
Leicht fällt die Lektüre nicht zuletzt durch eine gute Übersetzung. Der Text ist durchgehend anspruchsvoll, doch die Lektüre widersetzt sich einer schnellen Einordnung als Thriller ebenso wie alternativ als Dokumentation. Nicht nur die literarischen Einschübe machen das Buch spannend: Der US-Präsident wird zum Beispiel in einer dramatischen Entscheidungssituation, die Beratung und Abwägung erzwingen, durch das verantwortliche Secret-ServicePersonenschutzteam und ohne Rücksicht auf die ihn umgebenden Berater in einen bereitstehenden Hubschrauber gebracht. Dieser soll ihn in die Sicherheit einer entfernt liegenden Kommandozentrale bringen. Das allerdings scheitert durch den Absturz des Hubschraubers. Dieser Teil ist sicherlich der erzählerische Höhepunkt des Buches, denn die Handlung läuft genau in dem Zeitfenster von sechs Minuten ab, das dem US-Präsidenten nach einer Äusserung des ehemaligen Präsidenten Ronald Reagan für eine Entscheidung bleibt. In einem Interview im Magazin Politico schildert Jacobsen übrigens, dass sie keinerlei Indizien finden konnte, dass sich diese Zeitspanne seither verändert habe. Sechs Minuten! Mit dem Absturz wiederum stellt sich die Frage, wer angesichts des vermissten US-Vizepräsidenten die weiteren Entscheidungen überhaupt treffen kann.
Die dokumentarischen Teile des Buches beruhen auf 46 Interviews mit ehemaligen und aktiven hochrangigen politischen und militärischen US-Experten und sie sind mit 621 Anmerkungen einschliesslich der vielfachen Verweise auf ehemalige Verschlusssachen exzellent belegt. Einzelne historische oder technische Aspekte werden in Einschüben erläutert, wie etwa der Inhalt des berühmten schwarzen Koffers (genannt «football») mit den Codes zur Freigabe und Präzisierung eines Nuklearwaffeneinsatzes durch den Präsidenten. Schwer fällt die Lektüre allerdings durch den dramatischen Inhalt, die in einem Abschlusskapitel geschilderte Eskalation und die weltweiten Folgen des nuklearen Schlagabtauschs zwischen Nordkorea sowie der Antwort der USA mit 80 Interkontinentalraketen. Auch diese Zahl 80 ist nicht nur rein fiktiv, sondern basiert auf den schon erwähnten Recherchen und Interviews der Autorin. Die von Russland erkannten 80 Interkontinentalraketen (ICBM) wiederum müssen technisch bedingt das Territorium der Russischen Föderation überfliegen. Aufgrund des Misstrauens des russischen Präsidenten und seiner Berater löst dies den russischen Gegenschlag auf den vermuteten USAngriff aus. Jacobsen schildert dieses Szenario eines willentlich durch einen namentlich nicht genannten Führer Nordkoreas ausgelösten Nuklearkrieges («mad king»-Szenario) in drei Phasen zu jeweils 24 Minuten. In der ersten Phase werden detailreich und plausibel die Entdeckung und Verifizierung einer auf Washington zielenden Nuklearrakete und die folgenden militärischen, zum Teil vergeblichen US-Reaktionen erläutert. Die nächsten 24 Minuten
schildern dann die Aktivitäten der US-amerikanischen und russischen Schlüsselpersonen sowie die Kommunikationsversuche sowohl innerhalb der USA als auch zwischen US-Amerikanern, Russen, Chinesen und (nur am Rande) der NATO. In den letzten 24 Minuten findet schliesslich die Eskalation zum All-Out-War statt, der entsprechend der Logik einer nuklearen Kriegführung (der Mutual Assured Destruction) zur Vernichtung der USA, der Russischen Föderation, Nord- und Südkoreas, Teilen Chinas und Europas führt.
Als schwacher Trost für den Schweizer Leser könnte gewertet werden, dass im Szenario das Land kein Ziel für eine Nuklearwaffe wird. Doch machen die Ausführungen zum nuklearen Fallout und die in Europa ausdrücklich genannten Ziele (unter anderem London, Paris, Berlin, Brüssel, Rom, Zagreb) klar, dass die wenigen Überlebenden die Toten beneiden werden, wie es im Text (angeblichen ein Ausspruch Nikita Chruschtschows) heisst. Auch die gut ausgebaute Zivilschutzinfrastruktur wäre angesichts der geschilderten Zeitabläufe (72 Minuten) und dem einen nuklearen Schlagabtausch folgenden weltweiten, jahrzehntelangen atomaren Winter keine Perspektive.
Man muss das Szenario sicherlich hinterfragen, nicht hinsichtlich der belegten Details der ausserhalb von Expertenkreisen wenig bekannten technischen und menschlichen Risiken, als insgesamt: Ist ein «mad king»-Szenario wirklich realistisch? Doch wer würde dies angesichts der vermutlich wachsenden Zahl der kleineren Nuklearmächte und ihrer politischen Führungen mit Sicherheit ausschliessen wollen?
Eine andere Frage: Würden ein russischer oder amerikanischer Präsident, trotz der erkannten Aufklärung anfliegender Nuklearraketen, aus ethischen Erwägungen oder klugem Kalkül heraus nicht doch zögern, den umfassenden Gegenschlag auszulösen?
Die Botschaft von Annie Jacobsens «72 Minuten» ist eine, die auch schon 1964 der Film «Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben» (Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb) vermittelte: Wettrüsten und nukleare Abschreckung sind angesichts der bekannten Risiken und der potenziellen Folgen eigentlich jenseits aller Vernunft. Aber was wäre angesichts der Existenz der Waffen die realpolitische Alternative zur bisher erfolgreichen nuklearen Abschreckung? Zu nennen wären Diplomatie, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und nukleare Abrüstung. Das alles ist nicht Thema des Buches. Dennoch: Die Lektüre des Buches und das anschliessende Fragen nach Alternativen lohnen sich auf alle Fälle.
Oberst a D (GE) Dipl.-Päd. Reiner Haunreiter
Darmstadt, Verlag Heyne, 2024
Johannes Mühle Un-Friedensstaat DDR
Mobilmachung, Kriegsbereitschaft und Militarisierung zwischen 1970 und 1990
Johannes Mühle wurde mit der hier zu besprechenden Arbeit von der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim promoviert. Sein Buch zeichnet durchgehend eine kühle Sachlichkeit aus, obwohl der Autor an manchen Stellen eine bildreiche Sprache verwendet und hier und da auch einen gewagten Vergleich nicht scheut. So stellt er dem SED-Staat Shakespeares Hamlet gegenüber, indem er ausführt: «Ähnlich Hamlet befanden sich die SED, ihr Staat und dessen Gesellschaft in ständiger Bereitschaft, einen Angriff abzuwehren und den Kampf zu führen, sei es im Krieg, zwischen den Klassen oder um den Volkswirtschaftsplan.»
Zu den Stärken des Buches zählt die Beschreibung des alltäglichen Einflusses des Militärischen auf die Gesellschaft der DDR. Der Autor stellt fest, dass sich diese Militarisierung der DDR dynamisch seit den 1970er-Jahren vollzog. Damals wurden neue Konzepte der Mobilmachung umgesetzt, die Mühle als schneller, gleichzeitig auch flexibler und letztlich effektiver bewertet. Diesem Befund kann man nur cum grano salis zustimmen; denn letztlich könnte dieses Urteil nur bei einer Betrachtung einer tatsächlichen Kriegsmobilisierung gefällt werden, nicht aber aufgrund von Planspielen, wie umfangreich diese auch immer sein mögen.
Dass mit einer Mobilmachung in der DDR gewaltige Veränderungen der Gesellschaft einhergingen, kann nicht verwundern. Gleichwohl gelang es auch der Führung der DDR nicht, ein Problem zu lösen, vor dem Deutschland bereits in den beiden Weltkriegen stand. Einfach formuliert bestand es darin, dass es nicht befriedigend
gelang, genügend Soldaten an die Front zu bringen und gleichzeitig in der Heimat genügend Fachkräfte in der Produktion zu behalten – ein Dilemma, das auch aus dem Krieg in der Ukraine bekannt ist. Zwar wurde jeder Arbeiter seit den 1970er-Jahren akribisch erfasst, aber letztlich konnte keine befriedigende Lösung gefunden werden. Dies zeigt sich beispielsweise auch in dem Plan, Strafgefangene zu entlassen, um sie in der Produktion einzusetzen. Dies stand «eklatant im Widerspruch zum Sicherheitsdenken der DDR».
Das Militärische wurde ganz bewusst weit in die Gesellschaft getragen. So waren mehrere hundert Offiziere der NVA in der Wirtschaft und der zivilen Verwaltung eingesetzt. Ein eindrucksvolles Beispiel ist der Generalmajor der Luftwaffe, Klaus Henke, der 1978 zum Generaldirektor der Interflug ernannt wurde. In dieser Doppelverwendung wurde er 1982 zum Generalleutnant befördert.
Wie die Vorbereitung und Mobilmachung ganz konkret ausgesehen hätte, zeigt Mühle
am Fallbeispiel des Bezirks Frankfurt/Oder. Es lässt sich nachvollziehen, wie die Wirtschaft – im Rahmen des Möglichen – auf eine Kriegswirtschaft umgestellt werden sollte. Zudem belegt der Autor, dass kaum ein Bereich des Lebens von den Massnahmen nicht beeinflusst wurde. Die Planungen brachten auch Licht in Bereiche, die in normalen Zeiten schöngeredet werden konnten. Das galt zum Beispiel für die Versorgung mit Kohle. So musste der VEB Kohlehandel eingestehen: «eine hundertprozentige Gewährleistung der Sach- und Versorgungsleistungen (sei) nicht erfüllt». Zudem scheiterte manche Wunschvorstellung an der Realität: Nur für sieben Prozent der Frankfurter existierten geeignete Schutzräume. Für den Rest der Bevölkerung sollten diese «kurzfristig neu entstehen oder ausgebaut werden».
Für den Autor war die DDR ein Dual-Use-Staat, in dem bei den zivilen Projekten stets auch deren militärischer Nutzen mitgedacht wurde. Dabei fielen Entweder-oder-Entscheidungen zugunsten des Militärs aus. Mühle kommt zu dem Schluss: «Die aus SED-Sicht scheinbar alternativlosen Notwendigkeiten militärischer Sicherheit beschleunigen so zugleich auch den ideologischen, moralischen und ökonomischen Niedergang der DDR.» Ob sich dieser Befund auf andere, noch existierende Dual-Use-Staaten übertragen lässt, beantwortet der Autor nicht.