
6 minute read
Herbstzeit ist Wanderzeit!
from Bergauf #5.2024
Das ist grundsätzlich nichts Neues. In Zeiten der Veränderung verlängert sich die Wandersaison aber inzwischen häufig in den Spätherbst hinein, was nicht nur Vorteile mit sich bringt …
von Gerhard Mössmer
Besonders im Spätherbst (1), wenn nach hektischem Sommertreiben wieder Ruhe eingekehrt ist im Gebirge, hat man die Berge meist für sich ganz allein und man kann sie – bevor der Winter kommt – in ihrer ganzen herbstlichen Pracht noch einmal in vollen Zügen genießen: Die Lärchenwälder leuchten goldgelb, der Morgentau lässt die Wiesen wie ein Kristallfeld funkeln und die bereits angezuckerten, weißen Gipfel strahlen vom ersten Schneefall im Oktober in den glasklaren Himmel.
Bedingt durch die klimatischen Veränderungen hat sich die Wandersaison in den letzten Jahren häufig bis in den November und sogar Dezember hinein verlängert. Neben einzigartigen Naturerlebnissen bietet Bergwandern zu dieser vorgeschrittenen Jahreszeit weitere Vorteile: Das Wetter ist oft über den gesamten Tag sehr stabil, die Gewitterneigung (2) ist gegenüber dem Hochsommer kein großes Thema mehr und die Temperaturen sind besonders um die Mittagszeit geradezu ideal zum Bergwandern. Zudem ist es im „Spät-Spätherbst“ in mittleren Regionen – bedingt durch häufige Inversionswetterlagen (3) – milder als im Tal. Zähe Nebelbänke, die sich in Beckenlagen nur mehr schwer bis gar nicht mehr auflösen, tragen das ihre dazu bei, dass wir gern in höhere Gefilde ausweichen, um der grauen Tristesse im Tal zu entfliehen. Aber dass diese Verlängerung nach hinten nicht nur Vorteile mit sich bringt, ist auch klar:
Die Tage werden kürzer
„Wanderer wurden von Dunkelheit überrascht!“ Diese Schlagzeile liest man immer wieder im Herbst, überraschend kommt die Dunkelheit aber sicher nicht. Bei der Tourenplanung müssen wir darauf achten, dass unser Zeitfenster wesentlich (!) kleiner ist als im Sommer und wir uns keine zu langen Touren mehr vornehmen, da auch die Startzeit entsprechend später sein wird. Deshalb planen wir genug Zeitreserven ein und für Notfälle haben wir eine Stirnlampe mit dabei.
Frostige Nächte, tiefe Temperaturen in der Früh und rasch sinkende Temperaturen am Abend
Im Herbst sinkt das Thermometer im Gebirge über Nacht bereits häufig unter den Gefrierpunkt. Deshalb werden wir später starten und uns vorwiegend kürzere, südexponierte Ziele in mittleren Lagen (zwischen 1.500 m und 2.200 m) aussuchen. Dennoch haben wir warme Kleidung,
Handschuhe und Mütze sowie – für Notfälle – Biwaksack und Alu-Rettungsdecke mit dabei, da es nach Sonnenuntergang sehr rasch abkühlt und schnell empfindlich kalt wird. Bei sinkenden Temperaturen in der Dunkelheit nehmen auch Erschöpfung und Stress zu, was wiederum das Unfallrisiko steigert.

Ausrutsch- und Absturzgefahr durch Nässe, Vereisung und Schnee
In den frühen Morgenstunden sind Gräser und Wiesen noch nass und rutschig, weiter oben können auf Grund der bereits erwähnten tiefen Temperaturen in der Nacht Steige und Steine – insbesondere bei Bachüberquerungen – mit einer dünnen, kaum sichtbaren Eisschicht überzogen sein. Hier besteht akute Ausrutsch- und Absturzgefahr. Abhilfe schaffen achtsames Steigen und Wanderstöcke. Stabile, wasserdichte Wanderschuhe (mind. Kat. B) sind jetzt obligatorisch, für ultraleichte Trailrunning-Schuhe ist die Saison definitiv vorbei. Zudem darf man sich von sonnenbeschienen, herrlich goldgelb verfärbten, südseitigen Hanglagen nicht täuschen lassen, denn nordseitig und in den Hochgebirgslagen liegt oft schon Schnee, der uns vor erhebliche Probleme stellen kann: Unter frischem, lockerem und nur wenige Zentimeter dickem Neuschnee befindet sich oft Eis, das sich im Herbst gebildet hat. Hier können uns Grödel oder Spikes helfen, diese Abschnitte sicher zu bewältigen. Neben der Ausrutsch- und Absturzgefahr kann aber auch die Orientierung ein Problem darstellen, da frisch verschneite Markierungen und Wege zum Teil nicht mehr zu erkennen sind. Im Zweifelsfall „darf“ die Wanderung dann auch guten Gewissens einmal abgebrochen werden.
Während es im Tal unten regnet, müssen wir im Spätherbst im Hochgebirge immer wieder mit deutlichen Neuschneemengen rechnen. Besteht dann bereits Lawinengefahr, wird in der Regel in den Blogs der jeweiligen Lawinenwarndienste darauf eingegangen. Der tägliche, amtliche Lawinenlagebericht erscheint erst, wenn es durchgehend winterliche Bedingungen hat. Dies ist aber selten vor Anfang Dezember der Fall.
Geschlossene Infrastruktur und menschenleere Berge
Mit ein Grund, warum wir in die Berge gehen, ist die Ruhe, die wir besonders im Spätherbst vorfinden.
Im Zuge der Tourenplanung checken wir auch Öffnungszeiten von Hütten und Bahnen. Die allermeisten Hütten schließen spätestens mit dem Nationalfeiertag Ende Oktober, nur manche Hütten in tieferen Lagen haben – je nach Wetter – noch im November geöffnet. Achtung: Nicht jede Hütte hat einen Winterraum für Notfälle und für einige Winterräume ist ein Schlüssel erforderlich (4). Die Bergbahnen schließen meist schon deutlich früher, nach Ende der Sommerferien. Ebenfalls achten wir auf die Aktualität der Fahrpläne öffentlicher Verkehrsmittel, da besonders in den Fremdenverkehrsregionen die Busverbindungen in der Off-Season stark eingeschränkt sind. Mit ein Grund, warum wir in die Berge gehen, ist die Ruhe, die wir im Spätherbst vorfinden. Im Notfall kann diese Einsamkeit besonders für Alleingänger zum Problem werden, vor allem wenn man sich in Gebieten ohne Mobilfunknetzabdeckung befindet und Hilfe benötigt. Dessen müssen wir uns bewusst sein, wenn wir allein unterwegs sind. Tipp: Die alpine Parkuhr (oder ein hinterlegter Zettel mit Tourenziel und geplanter Rückkehrzeit) im Auto und/oder die Information einer Vertrauensperson über das Tourenziel kann im Notfall wertvolle Hilfe leisten, um schneller gefunden zu werden.
Auf den Punkt gebracht
Wetterbericht, insbesondere Temperaturen (Tagesminimum und -maximum, Nachttemperatur) und Schneegrenze, sowie allenfalls Blog vom Lawinenwarndienst studieren.
Länge und Schwierigkeit der Tour an die kürzeren Tage anpassen.
Exposition und Höhenlage beachten und bevorzugt südseitige Touren in mittleren Lagen planen.
Öffnungszeiten von Hütten und Bahnen sowie Busverbindungen checken.
Festes, wasserdichtes Schuhwerk sowie warme Kleidung nach dem Zwiebelprinzip (Hardshell, Softshell, Daune oder Primaloft) und Pullover, inklusive Handschuhe und Mütze mitnehmen.
Für Notfälle Stirnlampe, Biwaksack und Alu-Rettungsdecke einpacken.
Fazit
Bergwandern im Spätherbst kann eine eindrucksvolle Erfahrung sein, da sich die Berge von einer ganz besonders reizvollen Seite zeigen. Allerdings bringt diese Jahreszeit auch spezifische Gefahren mit sich, die nicht unterschätzt werden dürfen. Eine gute Vorbereitung in Form einer gründlichen Tourenplanung, das richtige Ziel, das zu Wetter und Verhältnissen passende Equipment und die ständige Achtsamkeit gegenüber den Wetter- und Geländebedingungen auf Tour sind entscheidend für eine sichere und unfallfreie Wanderung. Wer diese Grundsätze beachtet und in Planung sowie Tour aufmerksam und flexibel bleibt, kann die Schönheit und Ruhe der herbstlichen Berge in vollen Zügen genießen.
Autor: Gerhard Mössmer ist Mitarbeiter der Abteilung Bergsport, Berg- und Skiführer sowie Sachverständiger für Alpinistik.
(1) Meteorologisch beginnt der Herbst am 9. und endet am 30.11., astronomisch beginnt er am 22./23.9. und endet am 21.12.
(2) Laut den Daten der GeoSphere Austria gibt es z. B. in Tirol jährlich durchschnittlich etwa 30 bis 40 Gewittertage. Diese Gewitter treten besonders in den Monaten Juli und August häufig in den Nachmittags- und Abendstunden auf, wenn die Temperaturen am höchsten sind.
(3) Eine Inversionswetterlage (Umkehrwetterlage) ist durch eine Umkehr (lat.: inversio) des üblichen vertikalen Temperaturgradienten in der Atmosphäre geprägt: Die oberen Luftschichten sind hierbei wärmer als die unteren. Der Bereich, in dem diese Inversion auftritt, wird als Inversionsschicht bezeichnet. Indem die Lufttemperatur mit der Höhe ansteigt, bildet sich in der Troposphäre eine stabile Schichtung aus, und die natürliche Konvektion kommt zum Erliegen. Inversionswetterlagen treten – bedingt durch die Topografie des Geländes – häufiger im Gebirge als im Flachland auf (Quelle: Wikipedia).
(4) Nähere Infos dazu findet ihr auf der Homepage des Alpenvereins unter Hütten & Wege: www.alpenverein.at/ portal/huetten-wege