Frauensyntax April 2014 | 58. Ausgabe

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Vorbilder für alle Repräsentieren statt reproduzieren Früher sagte man: „das Private ist politisch“, manche sagen das heute noch. Doch selbst das Private derer, die sich diesem Leitspruch nicht anschließen wollen, bleibt politisch. Und was gibt es privateres als persönliche Beziehungen zu anderen Menschen? Beziehungen sind ein Politikum, mit dem wir Zeichen setzen und Stereotype aufbrechen können. Oder weiter verfestigen. VON MIRA LIEPOLD

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ch steige aus dem Bett, dreh den Swag auf schaue kurz in den Spiegel, sag: „What up?“ und währenddessen läuft das Radio. Eine Stimme preist mir einen Urlaub für mich und meinen „Schatz“ an. Für uns zwei gibt es das perfekte „Er-Sie-Package“, das den Urlaub zum Highlight unserer Beziehung machen soll. Ich drehe das Radio aus, gehe aus dem Haus und steige in den Bus. Das Pärchen mir gegenüber macht mir sehr deutlich klar, dass sie zusammengehören, ohne dass ich danach gefragt hätte. Er legt den Arm besitzergreifend um sie, sie klammert sich hilfesuchend an sein Knie. Zweierkonstellationen wie diese werden mir heute noch öfter begegnen und das nicht nur so offensichtlich auf der Straße, sondern auch auf subtilere Art und Weise. Angefangen bei Werbeplakaten bis hinzu Redewendungen, „gutgemeinten Tipps“, Zweiersitzen im Kino, Pärchenabenden von Freund_innen, Doppel-Dates bei denen klar ist, dass da nur vier Menschen kommen werden und Er-Sie-Angeboten in der Therme, im Zoo, im Hotel, beim Einkaufen oder beim Fortgehen.

Pärchenperformanz überall Die Lassie Singers sangen schon in den 1990er Jahren von der Pärchen-Performanz: „Sie küssen wo sie gehen und stehen und schauen sich nicht um“ und „Pärchen stinken, Pärchen

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bewusste performanz kann zur politischen strategie werden

lügen“. Doch was bedeutet Performanz eigentlich? Das Wort erinnert an „Performance“, an ein Spiel in dem Rollen dargestellt werden, sich reproduzieren und verfestigen, aber auch hinterfragt und lächerlich gemacht werden können, abhängig von der Intention, die hinter der persönlichen Performanz steht. Performanz stellt jegliches Verhalten innerhalb sozialer Interaktionen dar. Bewusste Performanz kann zur politischen Strategie werden, indem das eigene Handeln dazu verwendet wird, gesellschaftliche Zustände sichtbar zu machen. Das gleiche gilt, wenn Dinge nicht dargestellt und somit unsichtbar gemacht oder gehalten werden. Aber auch unbewusst bleibt jede Performanz ein Politikum. Und so fällt mir auf, dass 6

eine gewisse Form von Performanz ein allumfassendes Bild in meinem Alltag zeichnet. Nämlich die Pärchen-Performanz. Auffallend dabei ist, dass mir immer nur ein Bild von Beziehungen vermittelt wird und das ist die heterosexuelle RZB (romantische Zweierbeziehung). Dass es weit mehr als das gibt, hat Kathi in ihrem „Wer mit wem“ auf Seite 8 erläutert. Wir sprechen von Schwulen, Lesben,

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es ist immer eine persönliche entscheidung, ob und wann man wen wo küsst

Transidentitäten, Drags, Asexuellen, Intersexpersonen, Menschen, die in polygamen oder polyamorösen Konstellationen stehen oder die keine Beziehung führen wollen, die der Norm entspricht, sowie vielen anderen. Verunsicherung der einen und Reproduktion des anderen Sich dem heterosexistischen Mainstream in Medien und Werbung zu entziehen, ist schwierig und für Einzelpersonen auch nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Doch man muss nicht zulassen, dass die eigene


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