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Instagram Hype in den Zillertaler Alpen

Bergsteigen für das perfekte Foto

Text: Egon Ostermann Fotos: Egon Ostermann und Dominic Ebenbichler, © Archiv TVB Mayrhofen

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Schlechte Wettervorhersage Die Wettervorhersage ist schlecht, ein Verschieben aufgrund der begrenzten Wochenenden bis zum Ende der Hochtourensaison nicht möglich. Da heißt es ab Richtung Westen, in der Hoffnung auf besseres Wetter im Zillertal. Unser Ziel der Große Möseler und der Olperer.

Nach einer Nacht im Furtschgalhaus brechen wir (Hermann, Christian, Wolfgang & ich) Richtung Möseler auf. Die Sicht oberhalb von 2700 Metern leider nicht vorhanden, an Gipfelfotos nicht zu denken. Dennoch wollen wir ein wenig Gletscher unter den Füßen spüren und so packen wir die Steigeisen aus. An der Moräne angekommen, sehen wir erstmal den katastrophalen Zustand des Gletschers in vollem Umfang: Durchgehendes Blankeis und das schon im Juli, hunderte auf der Moräne liegende Steinblöcke, die da heuer wohl heruntergedonnert sind. Nach einem kurzen Spaziergang am Gletscher, wo das Highlight herumliegende Gletscherutensilien und Bierdosen aus den 70iger Jahren sind, entschließen wir uns umzudrehen und auf besseres Wetter für die morgige Olperer-Besteigung zu hoffen. Instagramable Hotspot statt Gipfel, nächstes Ziel: Olperer Hängebrücke Leider war uns auch der Gipfel am nächsten Tag nicht vergönnt: Auf ca. 3.000 Meter hat es zu regnen / schneien begonnen. Ein weiteres Aufsteigen im Block- bzw. Gratgelände Richtung Olperer ist uns ein zu großes Risiko. Wir drehen um und entscheiden uns am Rückweg noch die Olperer Hängebrücke zu besuchen. Sie zieht Fotograf*innen und Influencer*innen aus der ganzen Welt an. Die Brücke zählt zu den meistfotografierten Social Media Motiven Österreichs. Vor allem das türkisblaue Wasser des Schlegeisspeichersees mit Hintergrund Zillertaler Alpen ist ein besonderer Blickfang für alle Influencer*innen.

Je näher wir zur Brücke kommen, desto mehr Menschen treffen wir trotz des schlechten Wetters an. Mindestens 25 Personen stehen an, um ihr perfektes Foto und dafür hoffentlich viele Likes zu ergattern.

Etwas verwundert über den Andrang betrachten wir das Spektakel einen Augenblick. Der Ablauf meist sehr ähnlich: Eine Person, meist eine Frau, steht alleine auf der Brücke, breitet die Arme aus und blickt in die Ferne. Auf der anderen Seite der Fotograf – meist ein Mann. Hier stehen Handy & Fotokamera im Wettkampf, damit der perfect shot auch sicher gelingt. Als die Frau zurückkehrt frage ich, ob sie nur für das Foto hier oben ist. Sie lacht: „Ja. Wegen der Brücke.“ Wie all die anderen wohl auch. Das Naturerlebnis scheint hier eher zweitrangig zu sein.

*Instagram ist eine kostenlose App zum Teilen, Liken und Kommentieren von Fotos und Videos. Quelle: Wikipedia Rare Bergsteiger*innen auf der Olpererhütte Wir verzichten auf das Anstellen und somit auf das Brücken-Foto. Wir hätten lieber ein Gipfel-Foto am Olperer gemacht, somit kehren wir ganz ohne Fotos in die Olpererhütte ein. Auch in der Hütte wimmelt es nur so von Instagramer*innen. Jetzt wird mir auch klar, warum man als „Normalbergsteiger*in“ keinen Schlafplatz auf dieser Hütte bekommt. Über Monate sind alle Plätze fürs Brückenshooting ausgebucht: Da will niemand auf den Olperer, aber alle zur Brücke.

Im Gastzimmer finden wir einen Platz bei einem jungen Pärchen aus Hamburg. Auch sie bejahten, dass sie doch nur wegen der einen Brücke da wären. Extra ihren Kroatien-Urlaub haben sie vorzeitig abgebrochen, nur um am Heimweg noch einen Zwischenstopp hier einzulegen. An Bergen, Alpinismus seien sie eigentlich überhaupt nicht interessiert, wobei es schon schön hier ist und ja der Kaiserschmarrn schmeckt wirklich lecker, meint das Paar aus der Hansestadt.

Unter den ganzen internationalen Nicht-Bergsteiger*innen, die auf der Hütte einkehrten, waren wir vier mit Pickel, Seil und Gletscherausrüstung wirklich die Ausnahme. Dies hat uns auch die Hüttenwirtin bestätigt. Freudig hat sie uns begrüßt und bei uns am Tisch Platz genommen: „Endlich wieder mal richtige Bergsteiger, so schön, dass auch Gleichgesinnte in der Hütte einkehren“, jubelt sie. Am Anfang war es noch ein Geheimtipp, das mit der Brücke, aber jetzt ist es ein nicht enden wollender Massenauflauf, der durch nichts unterbrochen werden kann,

Abstieg in Verwunderung Als wir dann die Hütte wieder verlassen, komme ich beim Abstieg aus dem Staunen nicht mehr heraus: Hunderte – ich hab sie nicht gezählt – aber es sind wirklich hunderte Personen, die uns entgegen kommen: Personen, die ihren Hund in der Hand tragen, Personen, die zentimeterdick Schminke im Gesicht tragen, Personen, die keuchend vor lauter Erschöpfung gegen einen Baum lehnen und sich eine Pause gönnen, Personen, die vieles an haben, nur keine Berg adäquaten Schuhe, Personen mit Kopfhörern oben, die nur ja nichts von der Natur mitbekommen wollen, Personen, die uns fragen: ist es noch weit bis zur Brücke, Personen mit bauchfreien Shirts, knapp vor dem Parkplatz dann Personen die uns voller Vorfreude entgegenkommen,– alle wollen da rauf, wirklich alle – nur keine Bergsteiger*innen, so wie ich sie aus meinen Erlebnissen in den Alpen kenne.

Dieses Wochenende in den Bergen lässt mich nachdenklich wieder retour Richtung Großstadt fahren. Schwindende Gletscher, die uns die Auswirkungen der Klimakrise sehr deutlich vor Augen geführt haben. Influencer*innen, denen für das perfekte Posting kein Weg zu weit scheint, die mit mangelnder Ausrüstung Berge besteigen und dabei völlig übersehen in welch schöner Umgebung sie sich eigentlich befinden.

Müssen wir uns an diese neuen AlpinErfahrungen jetzt gewöhnen? Ich hoffe es ehrlich nicht.

Vielfalt bewegt! Workshop 2022

Familien entdecken gemeinsam Flora und Fauna auf der Schneealpe

Text: Matthias Ihl Fotos: Richard Kapun

Kleiner WürfelDickkopffalter auf Schlangenknöterich. Das Motto: Vielfalt bewegt!

Alpenverein von Jung bis Alt

Der Österreichische Alpenverein hat seit 2013 die Erhaltung der biologischen Vielfalt (Biodiversität) in seinem Grundsatzprogramm verankert.

Das Projekt Vielfalt bewegt! verbindet das Spaßige mit dem Nützlichen: Ziel ist es, in einer Langzeitstudie die biologische

Vielfalt in den Alpen zu erhalten und zu fördern. Im Zuge einer Dauerbeobachtung der biologischen Vielfalt („Biodiversitätsmonitoring“) können Interessierte in ein- bis zweitägigen Einschulungs-Workshops, die für das Monitoring ausgewählten Tier- und Pflanzenarten kennenlernen und in weiterer Folge bereits eigene Beobachtungen durchführen. Hierbei können sogar schon die Kleinen helfen: Bereits im Alter ab sechs Jahren können neugierige Forscher*innen die Tiere und Pflanzen im Alpenraum erkunden. Sie werden von einem tollen Expert*innenteam begleitet, das die ganze Zeit für offene Fragen und Ungewissheiten zur Verfügung steht. Die Bedeutung der Biodiversität soll anhand von konkreten Beispielen vermittelt und verständlich erklärt werden.

Der Workshop auf der Schneealpe Nachdem im zweiten Corona-Jahr 2021 der erste Versuch, den Workshop wieder nach Ostösterreich zu holen, leider nicht verwirklicht werden konnte, haben wir das Vorhaben mit Unterstützung der Alpenverein Akademie heuer umgesetzt. Am 30.7.22 trafen sich Referent*innen und Teilnehmer*innen am Parkplatz Kohlebnerstand. Die Alpenvereinsjugend Wien hatte zuvor kräftig die Werbetrommel gerührt und so noch etliche Teilnehmer*innen von verschiedenen Wiener Sektionen gewinnen können. Nach einem lustigen Kennenlernspiel und Ausgabe der Kursmaterialien ging es auch schon an den Aufstieg Richtung Schneealpe.

Unser Insektenspezialist mit Schwerpunkt Heuschrecken, Georg Derbuch, konnte sogleich seinen professionellen Riesenkescher zum Einsatz bringen und erste Spinnen, Schrecken und Käfer präsentieren, während unser zweiter Experte Wolfgang Ressi mit spannenden Anekdoten und Zusammenhängen zum Thema Biodiversität unsere Neugierde zu wecken verstand.

Die Kinder (im Alter zwischen 7 und 12 Jahren) waren derweil mit vollem Einsatz und Begeisterung am Wegesrand auf der Jagd nach allem, was kreucht und fleucht. Jeder Fund wurde lautstark verkündet und stolz in der Becherlupe vorgezeigt.

So dauerte es dann etwas länger als die angeschriebenen 90 Minuten, bis wir das Schneealpenhaus auf dem Schauerkogel erreicht hatten.

Auf der Schneealpe Nachdem die Lager und Zimmer bezogen waren, hatten alle die Gelegenheit, sich bei einer Suppe und einem Getränk zu erholen und dabei die wunderschöne Aussicht vom Schneealpenhaus zu genießen. Das Schneealpenhaus ist ein optimales Base Camp für Veranstaltungen mit Familien! Der Gastraum wurde – angesichts des aufziehenden Sturms – ausgiebig zum Spielen und Plauschen genutzt. Nach dem Abendessen gab es noch ein gemeinsames Teamspiel, ein sehr schön gestaltetes Flora-

Alpen-Gebirgsschrecke (Miramella alpina) und Fauna Memory (bei Interesse bitte bei mir melden), bevor sich nach und nach alle auf die Lager zurückzogen.

Am nächsten Morgen starteten wir nach ausgiebigem Frühstück zu einer Erkundungstour des Schneealpen-Plateaus. Unsere beiden Experten, tatkräftig von den Kindern unterstützt, entdeckten immer wieder neue interessante Insekten, Tiere, Vögel und Pflanzen, erzählten dazu spannende Geschichten, erklärten Zusammenhänge und beantworteten unzählige Fragen der Teilnehmer*innen.

Wir hatten das Glück, dass wir heuer mit Richard Kapun einen Hobby-Naturfotografen und Schmetterlings-Kenner als Teilnehmer gewinnen konnten. Er steuerte einige spektakuläre Aufnahmen von Flora und Fauna bei, die diesen Artikel bereichern.

Zur Mittagszeit machten wir uns dann langsam und immer noch im Entdecker*innen-Modus auf den Rückweg zum Parkplatz. Bis zur letzten Minute wurden die Experten mit Fragen gelöchert. Sichtlich zufrieden, den Wissensdurst gestillt und ein bisschen erschöpft kamen alle wieder bei den Autos an. Nach einer herzlichen Verabschiedung trennten sich unsere Wege wieder, verbunden mit der Hoffnung auf Wiederholung im nächsten Jahr.

Es wird voraussichtlich auch nächstes Jahr wieder einen Vielfalt Bewegt Workshop geben: Wir möchten hiermit alle Interessent*innen (von ca. 6–130 Jahren, kleinere Kinder wenn sie selbst betreut werden, sind ebenso willkommen) herzlich einladen, sich den Termin für 2023 vorzumerken (Ende Juli / Anfang August). Er wird im ersten Quartal 2023 genauer festgesetzt und dann auf den üblichen Kanälen bekannt gegeben.

Zur Info: Vielfalt bewegt! hat laut ÖAV die folgenden Ziele: „Dieses Projekt des Österreichischen Alpenvereins – ein Biodiversitätsmonitoring oberhalb der Waldgrenze – steigert unser Wissen über alpine Tier- und Pflanzenarten, deren Lebensräume und über die Zusammenhänge unseres Handelns und den Auswirkungen auf diese sensible Lebenswelt. Die gesammelten Daten über die 20 Tier- und Pflanzenarten leisten einen Beitrag bei wissenschaftlichen Fragestellungen zur biologischen Vielfalt in den Alpen. Konkret geht es darum, in den höchst gelegenen Lebensräumen Österreichs ein Biodiversitätsmonitoring durchzuführen, das vor allem bergaffine Menschen begeistert. Das Monitoring ist eine Möglichkeit zur aktiven Bewusstseinsbildung und schärft den Blick fürs Detail: bewusstes und genaueres Hinsehen ist das Motto!“

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