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Interview: „Eine unsichtbare Behinderung überwinden“

Interview · Prof. Laszig engagiert sich für „Taube Kinder lernen hören“

„Eine unsichtbare Behinderung überwinden“

Foto: Andree Kaiser

Prof. Dr. R. Laszig Der ehemalige Direktor der Freiburger Universitäts-HNOKlinik, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Roland Laszig, ist Mitbegründer des Vereins „Taube Kinder lernen hören“ und der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes ist unter anderem auch Schriftleiter des Fachmagazins EAORL. Mit ihm sprach ÄBW-Chefredakteur Dr. Oliver Erens.

Woher kommt Ihr besonderes Interesse für Cochlea Implantate?

Prof. Laszig: Ich habe mich während meiner Facharztausbildung in Hamburg sehr intensiv mit gehörverbessernden Operationen beschäftigt. Bei Vertretungen in Praxen niedergelassener Kollegen bin ich sehr bald mit Hörstörungen konfrontiert gewesen, die durch keine Operation zu beheben waren. Danach, 1984 in Hannover, hatte ich das Privileg, mich am Cochlear Implant Projekt maßgeblich zu beteiligen. Sehr reizvoll war es, Erfahrungen aus der Mittelohrchirurgie und aus dem Umgang mit Innenohrschwerhörigen durch Hightech-Medizin zu verknüpfen. Patienten mit einem Hörsturz ohne Restitutio ad integrum waren therapeutisch nicht oder sehr unzureichend zu versorgen. Mit dem Cochlear Implant (CI) erschien dies möglich und ist inzwischen auch Realität geworden. Besonders faszinierend ist es, taub geborene Kinder früh zu erkennen und sie mit dieser elektronischen Prothese auch früh zu versorgen. Sie entwickeln sich überwiegend weitgehend normal, haben deutlich erweiterte soziale Perspektiven, können fast alle Berufe erlernen und ausüben und werden so zu fast normal hörenden Mitbürgern. Sie überwinden mit unserer Hilfe eine nicht sichtbare Behinderung.

Sie sind einer der Initiatoren der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft. Wie kam es dazu?

Prof. Laszig: Die Deutsche Cochlear Implant Gesellschaft e. V. ist eine Patientenselbsthilfe-Organisation. Zu Beginn der Versorgung mit einem alltagstauglichen CI im Jahr 1984 wurden in Deutschland ausschließlich ertaubte Erwachsene versorgt, die Hörerfahrung hatten. In dieser Zeit erlebten wir viel Gegenwind aus unterschiedlichen Fachkreisen und auch aus der Öffentlichkeit. Die Patienten waren überzeugt, dass diese „Prothese“ ihr Leben äußerst positiv gewendet hat. Sie konnten nicht nur hören, sondern auch Sprache verstehen. Zwar waren sie noch hörbehindert, aber nicht gehörlos und fühlten sich auch nicht schwerhörig. Unsere Intention und die der Betroffenen war es, eine Interessenvertretung zu schaffen. Ausgesprochen engagierte Patienten haben dann mit uns von fachlicher Seite das Heft in die Hand genommen und einen Verein gegründet, der bis heute in ganz Deutschland verbreitet und auch international vernetzt ist.

Vor mehr als 25 Jahren haben Sie in Freiburg den Verein „Taube Kinder lernen hören“ gegründet. Worum geht es?

Prof. Laszig: Die Aufgabe des Vereins ist es, das Implantcentrum Freiburg (ICF) der Universitäts-HNOKlinik zu unterstützen. Dazu gehört es, Geld zu sammeln, in erster Linie durch die vom Verein organisierten Veranstaltungen, und damit natürlich auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erzeugen. Taubheit und Gehörlosigkeit sind unsichtbare Behinderungen, die sichtbar gemacht werden müssen, um sie wahrzunehmen. Die grundsätzliche Therapie wird von den Sozialversicherungsträgern bezahlt. Was nicht bezahlt wird, ist die Ausstattung des ICF vom Spielzeug bis hin zum Computer als Arbeitsmaterial für die 40 bis 50 Mitarbeiter und für die Patienten.

Das Centrum ist so ausgelegt, dass eine möglichst familiäre Atmosphäre entsteht, in der auch Geschwisterkinder ihre Beachtung finden können. Das Ambiente insgesamt ist so ausgerichtet, dass eine Wohlfühlatmosphäre entsteht. Die Patienten sind auch grundsätzlich ein ganzes Leben an das Centrum gebunden, also muss es auch so eingerichtet sein, dass alle Altersgruppen ab dem ersten Lebensjahr dort sein können.

Unter anderem hat der Verein einen speziellen Audiometrieraum am Implantat Center Freiburg finanziert?

Prof. Laszig: Dieser spezielle Audiometrieraum dürfte in Europa sicher nahezu einmalig sein, zumindest an universitären Einrichtungen. Er ist ausgestattet mit einem sogenannten Wellenfeld-Synthesesystem. Hier können die Therapeuten speziell auf sehr individuelle Hörsituationen von Patienten eingehen und quasi eine personalisierte Einstellung des Computersystems des Patienten vornehmen, unter Berücksichtigung spezifischer Störgeräusche. Das CI ist ein Computer, allerdings sehr klein in der Form eines Hörgerätes. Forschungsbedarf gibt es da noch in vieler Hinsicht und die höchst individuelle Einstellung ist noch nicht Routine.

Wie sieht die Zukunft der Hörimplantate aus?

Prof. Laszig: Die heutigen Systeme sind seit vielen Jahren oder Jahrzehnten bereits alltagstauglich. In den Achtzigerjahren versorgte Patienten tragen zu einem Teil noch heute ihre Erstimplantate. Dennoch gibt es Weiterentwicklungen, die die Software betreffen, um nicht nur Sprache, sondern auch Musik für alle zum angenehmen Höreindruck werden zu lassen. Aber auch die Hardware ist betroffen, beispielsweise wird die Entwicklung der optokinetischen Signalübertragung in der Schnecke in Zukunft möglich sein, ebenso mit Medikamenten beschichtete Elektrodenträger zur Schonung der fragilen Innenohrstrukturen und verbesserten Signalübertragung oder die Implementierung einer simultanen Übersetzungssoftware. Es bleibt spannend, und viele der eben angesprochenen Entwicklungen werden in naher Zukunft realisiert werden können.

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