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Damit Software rund läuft

Zoll-IT

Damit Software rund läuft

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Für die Export- und Importabwicklung im IT-Verfahren ATLAS nutzen zahlreiche Unternehmen Software spezialisierter Anbieter, die eigens vom Zoll zertifiziert wird. Wie läuft diese Zertifizierung ab? Und warum ist sie so wichtig?

Ob in der Generalzolldirektion in Bonn im Sommer 2018 die Sektkorken geknallt haben, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ist aber, dass der damals veröffentlichte Logistics Performance Index den deutschen Zöllnern ein breites Lächeln ins Gesicht gezaubert hat. Denn Deutschland verfügt weltweit über die effizienteste Zollabwicklung, ist quasi „Zollweltmeister“, so die Analyse der Weltbank. Diese vergleicht alle zwei Jahre die Logistikstrukturen in 160 Staaten in einer großangelegten Untersuchung.

ATLAS als Erfolgsfaktor

Aus dem Bericht geht hervor, dass Deutschland bei der Geschwindigkeit der Abfertigungsprozesse im internationalen Vergleich zu den schnellsten Zollverwaltungen zählt. Eine wesentliche Grundlage für diesen Erfolg ist sicherlich das IT-Verfahren ATLAS (Automatisiertes Tarif- und Lokales Zollabwicklungssystem). Mit diesem hat der deutsche Zoll eine weitgehend automatisierte Abfertigung und Überwachung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs geschaffen.

„Das IT-Verfahren ATLAS ist für eine effiziente Zollabwicklung von zentraler Bedeutung. Das in Deutschland anliegende Abfertigungsvolumen bei beständig steigendem Anteil zeitkritischer Logistikabläufe könnte ohne ein abgestimmtes Ineinandergreifen der IT-Systeme von Zoll und Wirtschaft nicht bewältigt werden“, teilte die Zolldirektion auf Anfrage von AnachB mit. „Dies stellt im internationalen Vergleich hohe Anforderungen an beide Seiten.“

Software auf dem Prüfstand

Damit ATLAS im Zusammenspiel aller beteiligten Akteure reibungslos funktioniert, ist die Verwendung einer durch die Zollverwaltung geprüften („zertifizierten“) Teilnehmersoftware erforderlich. Im Rahmen der Zertifizierung wird bei neuen Softwareprodukten vor dem ersten Einsatz im Produktivbetrieb eine umfassende Prüfung der wesentlichen in einem Verfahrensbereich geforderten Funktionalitäten durchgeführt.

Bei bereits im Produktivbetrieb eingesetzter Software werden die nach einem Releasewechsel neuen oder geänderten Funktionalitäten geprüft. „Es wird damit gewährleistet, dass jede für den elektronischen Nachrichtenaustausch verwendete Teilnehmersoftware einen ausgereiften Entwicklungsstand hat und alle notwendigen Funktionalitäten fehlerfrei abgewickelt werden können“, erläutert der Zoll. „Die Fehlerhäufigkeit im Echtbetrieb wird so signifikant reduziert.“

Durch die Zertifizierung soll sichergestellt werden, dass der Nachrichtenaustausch zwischen ATLAS und den meldenden Unternehmen fehlerfrei funktioniert.

Reibungsloser Nachrichtenverkehr

Durch die Zertifizierung soll insbesondere sichergestellt werden, dass der Nachrichtenaustausch – also das Senden, Empfangen und Verarbeiten von Nachrichten – zwischen ATLAS und den meldenden Unternehmen fehlerfrei funktioniert.

Die Zertifizierung muss dabei immer für das jeweilige aktuelle ATLAS-Release vorgenommen werden. Denn der Zoll arbeitet kontinuierlich daran, die Verfahrensbereiche zu optimieren und Stabilität und Performance zu verbessern.

Neben vielen kleinen, laufenden Verbesserungen, die Anwender und Softwareanbieter in der Regel nicht mitbekommen, gibt es auch in unregelmäßigen Abständen mal mehr, mal weniger große Release-Wechsel mit umfassenderen Änderungen. Diese können Auswirkungen auf den sichtbaren Teil der Software haben, etwa wenn neue Felder hinzukommen. Ob durch den Zoll eine (Neu-) Zertifizierung einer Zollsoftware stattfinden muss, hängt von Art und Umfang der Änderungen ab.

Zertifizierung für Einfuhr und Ausfuhr

Der Zoll unterscheidet bei der Zertifizierung den einfuhrseitigen Verfahrensbereich (Zertifizierung ATLAS) und den der Ausfuhr (Zertifizierung AES). Da sich in der Ausfuhr in den letzten Jahren sowohl rechtlich, formal als auch technisch wenig geändert hat, waren Zertifizierungen in diesem Bereich längere Zeit nicht mehr erforderlich. „Allerdings steht mit dem ATLAS-Release AES 3.0 ein größerer Release-Wechsel an. Laut Zoll ist die Durchführung der Zertifizierungen dafür ab dem vierten Quartal 2021 vorgesehen und soll voraussichtlich im Oktober 2022 enden“, meint Michael Sell, Product Lifecycle Manager im Bereich Customs Management beim IT-Anbieter AEB SE. Bei den einfuhrseitigen Verfahrensbereichen ist eine Zertifizierung seit mehreren Jahren in einem jährlichen Zyklus durchzuführen. „Hier gilt für unser Team das Motto: Nach der Zertifizierung ist vor der Zertifizierung“, sagt Michael Sell. Doch wie läuft diese ab?

Wie läuft die Zertifizierung ab?

„Die Zertifizierung ist Teil eines Prozesses, dem die eigentliche Softwareentwicklung vorausgeht“, erläutert Michael Sell. „Für uns ist daher immer die erste Version des sogenannten Implementierungshandbuches ein großer Meilenstein. Dieses beschreibt konkret ein kommendes Release.“ Die große Aufgabe für einen Softwareanbieter sei es dann, das Handbuch durchzuarbeiten, die Änderungen zu identifizieren und daraus Arbeitspakete für deren Umsetzung zu gliedern – also kleine Projekte, die abgearbeitet werden.

Ist die Software für das neue Release vorbereitet, ist der Startschuss für den eigentlichen Zertifizierungsprozess der Antrag eines Softwareanbieters beim Teilnehmermanagement der Generalzolldirektion (GZD). Diese bestätigt den Eingang und meldet sich wenige Tage vor dem voraussichtlichen Starttermin der Zertifizierung. Die Zertifizierung findet mit „virtuellen Zollstellen“ in einer Testumgebung des Zolls anhand von Testfällen statt, die das Teilnehmermanagement erstellt hat. „Das sind schon sehr gründliche Prüfungen, die der Zoll vornimmt. Die Testfälle umfassen in der Regel dutzende Excel-Sheets, die ausgedruckt einen mehreren hundert Seiten starken Papierstapel ergeben würden“, schildert Sebastian Dietz, Softwareentwickler bei AEB. „Und je mehr Änderungen in einem Release, desto mehr Testfälle gibt es in der Regel.“ Die Testfälle in Tabellenform und das Zertifizierungsszenario – das sogenannte Drehbuch – werden den Softwareanbietern erst unmittelbar vor Beginn der Zertifizierung zur Verfügung gestellt. Von diesen wird natürlich erwartet, dass sie im Rahmen des Verfahrens die Software einsetzen, die sie später ihren Kunden auch tatsächlich zur Verfügung stellen.

Erst selbstständiges …

Das Prüfungsprozedere lässt sich in zwei Teile gliedern. Im ersten Teil, der – soweit technisch möglich – unbetreut durchlaufen wird, sind die Nachrichten aller Testfälle fehlerfrei zu übermitteln. Der Zoll liefert dazu alle vorgesehenen Antwortnachrichten und gibt dem Softwareanbieter die Möglichkeit, die fehlerfreie Einarbeitung der Nachrichten zu überprüfen und sicherzustellen.

Teil 1 endet damit, dass der Softwareanbieter ein sogenanntes Logbuch über den vollständigen Nachrichtenaustausch übermittelt. Dieses überprüft der Zoll. Hat er nichts zu beanstanden, kann Teil 2 des Zertifizierungsverfahrens erfolgen. Für diesen „betreuten Teil“ werden neue Testfälle und ein entsprechendes Szenario zur Verfügung gestellt.

… dann betreutes Testen

Ein Ansprechpartner des Zolls gibt dann im Dialog mit dem Softwareanbieter die Abarbeitung der Testfälle vor, fordert Nachweise wie Screenshots oder Ausdrucke an und stellt möglicherweise Kontrollfragen: „Wie würde sich die Software verhalten, falls …?“ oder „Welches Ergebnis würde die Software liefern, wenn …?“ In Teil 2 wird erwartet, dass alle Testfälle übermittelt werden, ohne technische Fehler zu erzeugen. Im gesamten Zertifizierungsverfahren prüft der Zoll die Teilnehmersoftware einerseits auf die zwingend notwendigen technischen, andererseits auch auf fachliche Plausibilitäten. Im ersten Fall wird beispielsweise untersucht, ob neue Abhängigkeiten abgebildet und die Inhalte von Antwortnachrichten vollständig in die Teilnehmersoftware eingearbeitet wurden. Um zu verhindern, dass isoliert erstellte Nachrichten verwendet werden, müssen abgefangene Fehler anhand von „Bildschirmausdrucken“ (Screenshots) mit entsprechenden Fehlerhinweisen vorgelegt werden.

Bei der fachlichen Plausibilitätsprüfung steht der Aspekt Nutzerführung im Vordergrund. Um etwa falsche Eingaben zu reduzieren, sollte die Software den Anwender möglichst gut durch hilfreiche Erläuterungen, Hilfetexte und intuitive Grafikoberflächen unterstützen. „Hier prüft der Zoll etwa, ob die Software in bestimmten Konstellationen Hinweise gibt und ob diese gut aufbereitet sowie verständlich formuliert sind“, erklärt Michael Sell.

Aufwändig, aber sicher

„Für mich sind Zertifizierungen immer sehr aufregend“, schildert Sebastian Dietz, der im Jahr 2003 seinen ersten Zertifizierungsprozess beim ATLAS Release 6.0 erlebte.

„Schließlich möchte man gegenüber dem Zoll keine Fehler produzieren und die Prüfung möglichst schnell und reibungslos durchlaufen. Zudem ist die Zertifizierung auch sehr aufwändig. Bei AEB sind in der Regel zwei Mitarbeiter drei bis vier Wochen damit beschäftigt.“

Doch der Aufwand lohnt: „Es ist auch für uns eine gute Möglichkeit, die Software zu testen, bevor diese bei tausenden unserer Kunden zum Einsatz kommt“, sagt Dietz. Schließlich mache sich das Zertifizierungsteam in Weiden sehr viele Gedanken, was getestet wird. „Der Kunde hat die Sicherheit, dass die Nachrichtenabläufe auch nach Änderungen seitens des Zolls reibungslos funktionieren.“ Damit dies auch sicher gewährleistet ist, integriert AEB auch zahlreiche Prüfungen in ihre Software, die über die Vorgaben des Implementierungshandbuches hinausgehen. „Wir eliminieren damit viele potenzielle Fehler schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Anmeldeprozess und sorgen zusätzliche durch einen elektronischen Assistenten in der Software für reibungslose Abläufe“, erklärt Michael Sell.

Wir eliminieren viele potenzielle Fehler schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Anmeldeprozess und sorgen zusätzlich durch einen elektronischen Assistenten in der Software für reibungslose Abläufe.

Michael Sell, AEB SE

Zertifizierung: Worauf Anwender achten sollten

Derartige Aspekte sind auch wesentliche Qualitätsmerkmale in Sachen ATLAS Teilnehmersoftware. Zwar werden die Softwareanbieter unter Angabe des Namens und der Version der geprüften Lösung auf der Website des Zolls veröffentlicht. „Die Zertifizierung und Listung liefert für Anwender allerdings keine qualitative Unterscheidung“, sagt Michael Sell. Unternehmen sollten daher bei der Suche nach einer Lösung auch auf solche Gesichtspunkte achten – ebenso, ob die Software verwendete Verfahren und Nachrichten unterstützt wie Zolllager oder aktive Veredelung.

Der Autor: Jens Verstaen war überrascht, wie viel Aufwand in die Zertifizierung seitens des Zolls und der Softwareanbieter fließt. Qualität hat anscheinend auch hier seinen Preis.

Andere Länder, andere Zertifizierungen

International agierende Unternehmen kennen die Herausforderung nur zu gut: Jedes Land hat in Sachen Zollanmeldungen seine nationalen Eigenheiten, voneinander abweichende Verfahren und unterschiedliche IT-Systeme. Das gilt selbst in der EU, einer Zollunion mit dem Unionszollkodex (UZK) als gemeinsamen Regelwerk. Jedes Land handhabt auch die Zertifizierung seiner Zoll-ITSysteme anders. „Viele Länder machen das gar nicht. Und gibt es eine Zertifizierung, sehen die Prüfungen meist ganz anders aus“, erklärt Olaf Kittelmann aus dem Team International Customs beim Softwareanbieter AEB, der Zolllösungen in mehr als zehn Ländern anbietet.

„In der Schweiz beispielsweise wird man als Softwareanbieter vom Zoll zum persönlichen Termin eingeladen und schaut mit den Beamten gemeinsam über die Software. Dabei gibt es aber viel weniger Testfälle“, schildert Olaf Kittelmann die Vorgehensweise der Alpenrepublik.

Auch in Schweden, wo AEB ihre Software beim Markteintritt zertifizieren lassen musste, gab es nur einen Bruchteil der Szenarien. „Getestet wurde anders als in Deutschland auch nicht im Randbereich – es gab also keine schwierigen Dateneingaben, um die Robustheit der Software zu testen.

„Lediglich in den USA musste unsere Lösung 17 unterschiedliche Declarations meistern, inklusive Prüfungen in Randbereichen“, so der AEB-Experte. Insgesamt sind die Prüfungen in anderen Ländern meistens weniger umfangreich – und auch nicht fortlaufend. „Das Vorgehen des deutschen Zolls, bei großen ATLAS-Releases immer eine Zertifizierung zu machen, gibt es in keinem anderen Land, in dem wir eine Zollsoftware anbieten“, sagt Olaf Kittelmann. „Viele Länder haben in ihrem IT-System eine viel geringere Dynamik und lösen dann eher ältere Systeme früher komplett ab, etwa wie in Großbritannien beim Wechsel von Chief auf CDS.“

Ein Vergleich der unterschiedlichen internationalen Zertifizierungspraktiken fällt schwer. „Das in Deutschland extrem hohe Nachrichtenaufkommen und der zeitliche Druck bei den Warenabfertigungen fordern von den Wirtschaftsbeteiligten und der Verwaltung einen hohen Automatisierungsgrad und bedingen eine hohe Fehlersensibilität, die in anderen Ländern in dieser Ausprägung möglicherweise nicht vorliegt“, gibt der Zoll auf Anfrage als Einschätzung. Fest steht: Mit dem deutschen Zertifizierungsverfahren sind Anwenderunternehmen auf der sicheren Seite, denn es resultiert in einer sehr niedrigen Fehlerhäufigkeit. Und das vermeidet wiederum, dass automatisierte Abfertigungsprozesse unterbrochen und manuell weiterbearbeitet werden müssen, dass Warensendungen blockiert sind und dass fehlerhafte Zollanmeldungen mehrfach übermittelt werden (trial and error). Zudem müssen keine Fehler im Echtbetrieb aufwändig analysiert und gelöst werden und auch die Offline-Zeiten werden minimiert.

Infos und Demo zur AEB-Zollsoftware www.aeb.com/atlas-ausfuhr