Aus der Flache in den Raum

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14 ANNELIES UND FRED STELZIG Inken Gaukel und Sandy Richter

24 DIE STELZIGS PRIVAT Sabine Gärttling

30 DAS WOHN- UND ATELIERHAUS NECKARBLICK 24 Sandy Richter

36 INTERVIEW MIT SIMONE WESTERWINTER Sandy Richter KUNST AM BAU GR UNDLAGEN

40 KUNST AM BAU Martha Pflug-Grunenberg

50 FREIE UND ANGEWANDTE KUNST Inken Gaukel

KUNST AM BAU DIE ARBEITEN VON ANNELIES UND FRED STELZIG

56 DIE WERKBEREICHE Inken Gaukel

62

100 SILBERSTREIFEN, BLÜHEN, WACHSEN, HOFFNUNG

4
6 GRUSSWORT 8 DANK 10 EINFÜHRUNG BIOGRAFISCHE AS PEKTE
INHALT
Inken Gaukel
Dieter Büchner 122 WANDTEPPICHE Inken Gaukel 128 ZEICHEN, ORANGE Inken Gaukel 130 ARKADIENS BLÜHEN Inken Gaukel 132 BAHNEN, GELEISE, RÄDER Inken Gaukel 134 RUND IN ROT-KARMIN Inken Gaukel 136 MITTSOMMERNACHT Inken Gaukel 138 HORIZONT I–IV Inken Gaukel 142 TRIUMVIRAT Inken Gaukel BESONDERE AU FTRÄGE 146 PRIVATAUFTRÄGE Inken Gaukel
Sandy Richter
104 FRED STELZIG –DIE ARBEITEN IN HOLZ
152 DAS AGENTUR GEBÄUD E VON HANS WÜNDRICH-MEISSEN
Sandy Richter
60 INTERVIEW MIT SIEGLINDE BEUTTENMÜLLER
Sandy Richter
INTERVIEW MIT RUTH KÖRBER
Sandy Richter
64 INTERVIEW MIT CHRISTINA FREY
ALFRED
Sandy Richter
INTERVIEW MIT PETER
TREECK Sandy Richter und Andreas Janssen 70 KERAMISCHE WANDGESTALTUNGEN Inken Gaukel 80 WASSERMANN MIT RAD DAMPFER UND MEER ESTIEREN Inken Gaukel 84 GEFÜGE Inken Gaukel 88 SYMBOLE DES HEILENS Sandy Richter 92 WANDSCHEIBE Sandy Richter 96 WASSERMANN Sandy Richter
66 INTERVIEW MIT
KIESS
68
VAN

162 EIN WANDTEPPICH FÜR DIE DEUTSCHE BOTSCHAFT IN WIEN

Christiane Fülscher

170 DIE VILLA WAGNER IN FRIEDRICHSHAFEN

Cornelia Marinowitz

178 DAS OSRAM VERWALTUNGSGEBÄUDE IN MÜNCHEN Christian Behrer

186 FRED STELZIG UND DIE STUTTGARTER STRASSEN BAHNEN AG Inken Gaukel

BESIGHEIMER WERKE

196 TAUFE JESU IM JORDAN Regina Ille-Kopp

198 KREUZ VOR DORNENKRONE

234 WELLEN Regina Ille-Kopp

236 BLÜHENDES

Sandy Richter

238 WOLKENHIMMEL

Sandy Richter

240 FARBKONZEPT FÜR DIE TIEFGARAGE

Inken Gaukel

242 VOGEL, FISCH, WELLEN UND WOLKEN

Regina Ille-Kopp

244 FARBKONZEPT FASSADE Regina Ille-Kopp

246 A B C 1 2 3 Regina Ille-Kopp

248 DIE STELZIGS IN BESIGHEIM Regina Ille-Kopp

ANHANG

258 AUSSTELLUNGEN UND AUSZEICHNUNGEN

Sandy Richter

260 BIBLIOGRAFIE

202 ALPHA UND OMEGA

Sandy Richter

262 AUTORINNEN UND AUTOREN

264 IMPRESSUM

5 Inhalt
Regina
Regina Ille-Kopp
Ille-Kopp 200 KREUZKERAMIKWAND
Regina Ille-Kopp
FORMALE KOMPOSITION Sandy Richter
NECKAR-
Sandy Richter
NECKAR-
Sandy Richter
VERBINDUNG ZWISCHEN
Sandy Richter
BEGEGNUNG Sandy Richter 214 FESTLICHES
Sandy Richter 216 VARIATIONEN
RATS SAALTÜR BEGEGNUNG Sandy Richter 218 STADTHALLE ALTE KELTER BESIGHEIM Andreas Janssen 226 INTERVIEW MIT WERNER GRAU Sandy Richter 228 FESTLICHES MOTIV Inken Gaukel 230 WEIN UND FLUSS Inken Gaukel 232 (ERNTE-)KRONE Regina Ille-Kopp
KREUZ UND AUFERSTEHUNG
204
206
UND ENZLANDSCHAFT
208
UND ENZLANDSCHAFT
210
BESIGHEIM UND OTTMARSHEIM
212
MOTIV
DER

Hochzeitsfoto von Annelies und Fred Stelzig Fotograf: unbekannt, 13. Juni 1946

Sabine Gärttling

14

Das Pflichtjahr wurde 1938 eingeführt. Es galt für Frauen unter 25 Jahren und verpflichtete zu einem Jahr Arbeit in der Land- und Hauswirtschaft.

Annelies Bücking

Fotograf: unbekannt, um 1941

Sabine Gärttling

Bad Teplitz-Schönau

Alfred Stelzig Lithografie, handkoloriert, undatiert (H x B) 29 x 22 cm

Foto: Felix Pilz, Schorndorf, 2022 Stadtarchiv Besigheim, NL Stelzig, S4 ­270.

ANNELIES UND FRED STELZIG

BIOGRAFIEN

Annelies kam am 9. Februar 1923 als zweites Kind des Elektrikers Ferdinand Hartmann Bücking (1888–1960) und der Damenschneiderin Frida Barbara Bücking, geb. Reichle (1894–1952), in der Gartenstraße 20 in Besigheim zur Welt und wuchs in der Froschbergstraße 16 auf. Ihr Taufname war Anneliese, der Rufname Annelies.

Fred wurde am 13. April 1923 im sudetendeutschen Hundorf, dem heutigen Hudcov-Teplice in Tschechien, als Sohn des Glas- und Porzellanmalers Alfred Anton Stelzig (1893–1980) und dessen Ehefrau Franziska, geb. Sturm (1896–1985), geboren. Sein Taufname war Alfred Anton.

Annelies besuchte von 1929 bis 1933 die Grundschule, anschließend die Latein- und Realschule in Besigheim. Auf Drängen ihrer Mutter unterschrieb sie 1938 einen Lehrvertrag und erlernte bis 1941 das Schneiderhandwerk.

Fred besuchte nach der Volksschule in Hundorf für drei Jahre die Staatliche Realschule in Teplitz-Schönau, heute Teplice-Šanov. Dank seiner zeichnerischen Begabung konnte er von 1937 bis 1940 ein Studium in der Abteilung für Zimmerund Dekorationsmaler an der dortigen Deutschen Staatsfachschule für Keramik und verwandte Kunstgewerbe absolvieren. Im Anschluss daran arbeitete er kurze Zeit für das „Graph. Kunstgewerbliche und Reklame-Entwurfs-Atelier“ von Eduard Schreiber in Brüx sowie als Reklamezeichner im Kaufhaus Plomer & Co. (früher VEPA) in Teplitz-Schönau.

Zum 1. August 1941 meldete sich Fred freiwillig zum Militärdienst (Luftwaffe, Bodenpersonal). In der Folgezeit wurde er nach Frankreich versetzt.

Nach der Lehre absolvierte Annelies ihr Pflichtjahr in Eisleben, anschließend leistete sie Reichsarbeitsdienst und Kriegshilfsdienst. Danach wollte sie die Modeschule in München besuchen, was kriegsbedingt jedoch nicht möglich war. Anfang 1943 wurde sie als „Kriegshelferin bei der Luftwaffe“ eingesetzt – zuerst in Posen, wo sie eine Ausbildung zur Funkerin erhielt, später erfolgte die Versetzung nach Frankreich zu einer Nachtjagdeinheit.

In Frankreich lernten sich Annelies und Fred kennen, bald darauf (vermutlich Ende 1943) verlobten sich die beiden.

Annelies wurde nach der Auflösung der Nachtjagd ins Ruhrgebiet versetzt. Dort erlebte sie das Kriegsende. Anschließend kehrte sie in ihr Elternhaus nach Besigheim zurück.

15 Annelies
und Fred Stelzig

Familie Stelzig

Sabine Stelzig, Wasserfarben, 1957

Sabine Gärttling

24

DIE STELZIGS PRIVAT

EIN PAAR WORTE VORAB

Was soll ich über meine Eltern schreiben? Das können nur private Geschichten sein – über ihre Arbeiten schreiben andere kompetenter. Mein Erinnerungsvermögen ist allerdings nicht das Beste. Zum Glück sind manche Familienanekdoten hängen geblieben und es gibt viele Briefe meiner Eltern, Fotos und Familienfilme. Eine Quelle sind auch Interviews, die mit meiner Mutter in den letzten Jahren ihres Lebens geführt wurden.

VOR MEINER ZEIT

Kennengelernt haben sich meine Eltern 1943 im Krieg in Frankreich. Fred war beim Bodenpersonal der Nachtflugstaffel. Er hat dann zeit seines Lebens vom Fliegen geträumt, was noch Folgen haben sollte. Annelies war zwar als Funkerin dorthin geschickt worden, wurde dann aber als Heimleiterin für die Luftwaffenhelferinnen eingesetzt. Ziemlich schnell haben sich die beiden verlobt. In einem Briefentwurf vom April 1945 schreibt Fred an seinen künftigen Schwiegervater Ferdinand Bücking: „Ich bin Maler oder will es werden. Dieser Beruf verlangt vollste Hingabe, idealistisches Denken. Und ich bin gewiß, hätte jeder andere Beruf noch so günstige, aussichtsreiche Verhältnisse – ich könnte meine Malerei nicht aufgeben.“

Bei Kriegsende in Berlin kam Fred in russische Gefangenschaft und landete in Küstrin. Annelies schlug sich zu Fuß aus dem Ruhrgebiet nach Besigheim durch – von Freds Verbleib wusste sie nichts.

Am 15. September 1945 stand er dann krank, hungrig und übernächtigt vor dem Haus der Familie

Bücking in der Froschbergstraße. Nachdem ihn Annelies und seine künftige Schwiegermutter Frida aufgepäppelt hatten, war das Erste für ihn, Material für seine Arbeit zu beschaffen – zu dieser Zeit ein fast unmögliches Unterfangen –, aber es gelang dank der Firmen Marabu (Farben) in Tamm und Martz (Künstlerbedarf) in Stuttgart. Und er malte – die Landschaft, die Menschen, die malerischen Winkel von Besigheim, Sonnenblumen, ...

25 Die Stelzigs privat
Abschied von Küstrin Fred Stelzig, kolorierte Tuschezeichnung, 1945, Sabine Gärttling

Dahinter, Landschaft

Fred Stelzig, 1976

Acryl auf Papier (H x B) 100 x 70 cm

Foto: Felix Pilz, Schorndorf, 2022 Stadt Besigheim

56

DIE WERKBEREICHE

EIN ÜBERBLICK NACH MATERIALIEN

Die Materialien, mit denen die künstlerischen Ideen von Fred Stelzig umgesetzt wurden, sind von erstaunlicher Vielfalt und sollen hier näher betrachtet werden. Dabei gilt es, zwei Gruppen zu unterscheiden: einmal die Werkgruppen Keramik und Teppiche, für die Annelies und Fred Stelzig große eigene kunsthandwerkliche Fertigkeiten entwickelten und später wegen der Fülle der Aufträge mit Kollegen kooperierten, zum anderen Holz, Metall, Emaille, Glas sowie Mosaik aus Glas und Naturstein, für die sie auf die Umsetzung durch Spezialisten zurückgriffen.

Die Motive dieser Werke sind vielgestaltig und haben oft ein Pendant in der freien Kunst Fred Stelzigs. Ob die immer wieder vertretene Aussage zutrifft, dass die freien Werke der Malerei und Grafik die Arbeiten der Kunst am Bau inspirieren und diese lediglich den Weg aus der Fläche in den Raum darstellen, 1 ließe sich angesichts der hohen Qualität und der häufig zu beobachtenden Gleichzeitigkeit durchaus diskutieren.

Am Beispiel des Motivs des Kreisbogenabschnitts, das sich in vielen Werken Stelzigs findet, wird die Wirkung der Materialien in Ausschnitten gezeigt.

KERAMIK

Durch sein Studium an der Staatlichen Fachschule für Keramik und verwandte Kunstgewerbe 1937 bis 1940 in Teplitz-Schönau liegt die Kompetenz Fred Stelzigs beim Thema Keramik auf der Hand. Für sich wiederentdeckt hatte Stelzig die Keramik während seiner Finnlandreise 1953. Stelzig arbeitete zunächst mit eher flachen Techniken:

Entweder bildete er kleine Stege, um die Glasurfarben voneinander zu trennen, oder er wandte die sogenannte Kratztechnik an, bei der in die Glasur gezeichnet wird.

Später entwickelte er seine Werke immer stärker in die dritte Dimension und bezeichnete diese als Reliefkeramik. Ab Mitte der 1960er Jahre verwendete Stelzig neben den matten und glänzenden Glasuren noch Glasschmelzen und Edelmetalle. Mit dem eingeschmolzenen Glas erreichte er die Wirkung zusätzlicher Tiefe, mit Gold, Silber und Platin erweiterte er seine Möglichkeiten um metallische Spiegelungen.

TEPPICHE

Der Anlass für Stelzigs Beschäftigung mit Teppichen lässt sich nicht genau ausmachen, wahrscheinlich geht die Inspiration dazu ebenfalls auf die Finnlandreise 1953 zurück. Sicher ist dagegen, dass Annelies Stelzig 1957 auf der Familienreise nach Finnland die spezielle Knüpftechnik erlernte. Direkt danach entstanden großformatige langflorige Knüpfteppiche mit abstrakten Mustern, die eindeutig die finnische Technik und Formensprache verwendeten, später wurde die Knüpfung kurzfloriger und dichter. Diese Wandteppiche wurden aus handgefärbter Wolle angefertigt, nur die Kettfäden bestanden aus Hanf. Die Zahl der ausgeführten Bodenteppiche blieb dagegen vergleichsweise klein.

Um 1980 vollzog sich ein Wechsel hin zu gewebten Teppichen, der bald auch zu Mischformen mit geknüpften Bereichen führte. Zur selben Zeit begann

57 Die Werkbereiche

Sieglinde Beuttenmüller (hinten) und Annelies Stelzig am Webstuhl Fotograf: unbekannt, 1976 Stadtarchiv Besigheim, NL Stelzig, 5.2.6 – 49.

60

INTERVIEW MIT SIEGLINDE BEUTTENMÜLLER

Sieglinde Beuttenmüller hat viele Jahre lang als freie Weberin für das Ehepaar Stelzig gearbeitet.

Sandy Richter: 1978 haben Annelies und Fred Stelzig im Rahmen der Landesausstellung „BadenWürttembergisches Kunsthandwerk“ den Staatspreis Baden-Württemberg für ihre textilen Arbeiten erhalten. Sie haben an einem der Ausstellungs stücke mitgearbeitet. Erinnern Sie sich noch daran?

Sieglinde Beuttenm ü ller: Ja, sehr gut sogar. Damals wurden vier Gobelins ausgestellt, die eine neue Stilrichtung im Werk der Stelzigs präsentierten. Während bis dahin vor allem geknüpfte Wandteppiche und auch kombinierte Web- und Knüpfarbeiten als textile Wandgestaltungen dominierten, traten nun feingliedrige Gobelins hinzu. Die vier Arbeiten bestanden aus Wolle, Seide, Sisal, Jute und Leinen und waren an einer freihängenden Hanfkette befestigt. Dargestellt waren abstrakte Formen und so waren auch die Titel der vier Arbeiten: „Oval, braun-karmin“, „Oval, Braun-grau“, „Silber wolk eninsel“ und „Braunviolettes Motiv“. Ich weiß noch, dass ich vom damaligen Preisgeld, das ich anteilmäßig erhalten habe, eine Flugreise nach Israel unternommen habe. Das war toll.

S. R.: Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Annelies und Fred Stelzig?

S. B.: Ich habe 13 Jahre lang im Zeichenbüro der Firma Walter Mack in Ötisheim gearbeitet, die sich auf Teppiche und Möbel- und Dekorationsstoffe spezialisiert hatte und auch eine eigene Weberei besaß. Fred Stelzig hatte seit 1961 Kontakt mit der Firma. Er kaufte hier verschiedene Materialien und Wolle ein und ließ auch Wandteppi-

che nach seinen Entwürfen ausführen. Meinen ersten Auftrag habe ich 1966 von ihm erhalten. Damals patronierte ich nach seinen Anweisungen eine Webvorlage für einen Sparkassenwandteppich.

S. R: Was bedeutet Patronieren?

S. B.: Patronieren ist nichts anderes als die Übertragung des zeichnerischen Entwurfs in ein Karosystem, heute würde man wahrscheinlich Millimeterpapier verwenden, in dem die einzelnen Knoten farblich abgebildet sind. Auf der Grundlage dieser Webvorlage wusste die Weberin oder der Weber, an welcher Stelle und in welchen Farben der Knoten zu setzen war.

Diese Arbeit hat mir sehr viel Spaß und Freude bereitet. Ich habe es gerne gemacht. Und auch Fred Stelzig war mit mir zufrieden, denn er fragte mich nach dem ersten Patronieren, ob ich noch weitere Arbeiten für ihn ausführen würde, was ich natürlich sofort bejahte. Wir hatten immer einen sehr freundlichen und ausgesprochen netten Umgang.

S. R.: Gab es ein Lieblingsstück?

S. B.: Ja, ich mochte immer die Arbeiten mit den Silberfäden. Hier vor allem den Gobelin „Rund-in Rot-Karmin“, eine Auflage in drei Stück mit freihängender Kette in Wolle und Lurex. Den habe ich 1980 gemacht. Na ja – und besonders stolz bin ich natürlich auf den Wandteppich in Ihrem Rathaus in Besigheim, der 1977 entstanden ist. Ich werde nie vergessen, wie der Wandteppich nach seiner Fertigstellung in unserem Garten daheim ausgebreitet auf der Wiese lag.

61 Interview mit Sieglinde Beuttenmüller

Entwurfsskizze

Fred Stelzig, Kohle auf Transparentpapier, undatiert

Stadtarchiv Besigheim, NL Stelzig, 2.3.1. – 1.

WASSERMANN MIT RADDAMPFER UND MEERESTIEREN

LEHRSCHWIMMBAD ASPERG

Inken Gaukel

JAHR 1963

AUSFÜHRUNG Keramische Werkstatt Annemarie Ernst, München

MATERIAL glasierte Keramik

MASSE (H X B) ca. 375 x 2100 cm ORT Asperg, Lehrschwimmbad

Wandkeramik direkt nach der Fertigstellung Fotograf: unbekannt, 1963

Stadtarchiv Besigheim, NL Stelzig, 2.3.1 – 1.

Die Gestaltung der Wand an der östlichen Stirnseite des neu errichteten Lehrschwimmbades in Asperg war Fred Stelzigs erster öffentlicher Auftrag für ein Hallenbad. Es folgten viele private und einige öffentliche Aufträge – wobei der griechische Meeresgott Poseidon immer wieder in Erscheinung trat.

Die Motive der großformatigen Wandkeramik wurden in rechtwinklige Plattenformate unterteilt, sodass ein weitgehend durchgängiges Fugenbild entstand. Zur Anwendung kamen matte und glänzende Glasuren. Der einfarbige Hintergrund ist mit einem eigenen Fugenraster verlegt, dem sich die kleinen Einzelmotive mit Fischdarstellungen, gemischt in Hoch- und Querformaten, einfügen. Zwischenzeitlich wurde eine Tür in die Keramikwand eingebaut und die Sockelfliesen erneuert, wodurch Teile der ursprünglichen Gestaltung verloren gingen.

Note geben; die stilisierte-ornamentale Darstellung ist als Einordnung in die Gesamtarchitektur gedacht.“1

Detail der Wandkeramik

Foto: Dietmar Strauß, Besigheim, 2021

Die Einladung zur Teilnahme am Wettbewerb erhielt Stelzig im November 1962, außer ihm entwickelten noch zwei weitere Künstler ihre Ideen. Thematisch war der Wettbewerb offen, die Kosten für Honorar, Fertigung und Verlegung der Platten dagegen gedeckelt. Mitte Januar 1963 reichte Stelzig seinen Beitrag ein. In der beigefügten Erläuterung beschrieb er seine Idee: „Das Motiv soll vor allem durch die Farbigkeit der Halle eine heitere

2016 beschloss der Asperger Gemeinderat, das Bad wegen Sanierungsstau zu schließen, abzureißen und anschließend das Grundstück zu verkaufen. Daraufhin gründete sich die Bürgerinitiative „Rettet das Bädle“ und sammelte Unterschriften für den Erhalt. Der geforderte Bürgerentscheid wurde im Frühjahr 2017 knapp abgelehnt. Bis heute ist der Abbruch noch nicht umgesetzt worden, aber die Zukunft des Bades ist ungewiss. 2

1 Stadtarchiv Besigheim, NL Stelzig, 2.3.1 – 1.

2 Vgl. Lehrschwimmbad Asperg fällt, https:// www.moderne-regional.de/lehrschwimmbad-aspergfaellt/ (Abrufdatum 15.8.2021).

81 Wassermann mit Raddampfer und Meerestieren Keramische Wandgestaltungen

Einbau der Wandkeramik im Frühjahr 1975, im Vordergrund

Annelies Stelzig Fotograf: unbekannt, 1975 Stadtarchiv Besigheim, NL Stelzig, 2.3.1 – 44.

WANDSCHEIBE

FEDERSEEKLINIK BAD BUCHAU

Sandy Richter

JAHR 1975

AUSFÜHRUNG Keramikwerkstatt Ebinger, Bad Ems TECHNIK glasierte Reliefkeramik mit Platinauflagen und Glaseinschmelzungen

MASSE (H X B) obere Einzelfläche: 300 x 400 cm, untere Einzelfläche: 300 x 400 cm, Treppenseite: 800 x 400 cm

ORT Bad Buchau, Federseeklinik, Kurzentrum, Foyer, Treppenaufgang

1974 erhielt Fred Stelzig von der Moorheilbad GmbH Bad Buchau den Direktauftrag für die künstlerische Ausgestaltung des Kur- und Kulturzentrums Bad Buchau. Als vermittelnder Architekt fungierte Gerhard Walter aus Ludwigsburg-Neckarweihingen. Stelzig entwickelte eine Gesamtkonzeption, zu der neben verschiedenen Holz- und Textilobjekten auch die umlaufende Verkleidung einer zwei Stockwerke verbindenden Wandscheibe mit Reliefkeramik gehörte.

Die rund 60 qm große Keramikfläche besteht aus 640 Platten, die auf der Vorder- und Rückseite jeweils 32,5 x 40 cm messen, an den Seitenstreifen entsprechend schmäler. Jede Platte wiegt ca. 7 Kilogramm.

Über die Wandgestaltung äußerte Fred Stelzig 1975: „Die farbig differenzierte, strukturell und in der Fugenverlegung rustikale Wandkeramik der Treppenhauswandscheibe im Foyer soll einen reizvollen Gegensatz zur präzisen Holz- und Klinkerverkleidung der übrigen Wände bilden. In diese Keramik eingeschmolzene Silberteile- und spuren [sic] steigern und verfremden als kostbare Erhöhung die Rustikalität […].“2

Detail der Wandkeramik

Foto: Felix Pilz, Schorndorf, 2022

Die Hauptfarben bilden Rot und Orange in Kombination mit Brauntönen und blauen Akzenten. Auffallend sind die Glanzeffekte, die durch Platin-Einschmelzungen erreicht wurden. Das Motiv ist in erster Linie formal-abstrakt und soll assoziativ an Themen wie „Abend im Moor“, „Moorirrlichter“, „Versunkenes Geheimnis“ oder „Moorlegende“ erinnern. 1

1 Fred Stelzig: Erläuterungen zur künstlerischen Ausgestaltung des Heilbadzentrums Bad Buchau vom 30. Juli 1975, Stadtarchiv Besigheim (StAB), NL Stelzig, 2.3.1 – 42–47.

2 StAB, NL Stelzig, 2.3.1 – 42–47.

Keramische Wandgestaltungen

93 Wandscheibe
104

Ausschnitt aus der Intarsienwand im Sitzungssaal des Verwaltungsgebäudes der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), StuttgartMöhringen Ausführung

Buchschmid & Grétaux, Stuttgart, und Schreinerei Alfred Kiess, Stuttgart, 1974/75

Teakholz, Sen­Esche, Mahagoni

Foto: Dieter Büchner, Neckartailfingen, 2022

FRED STELZIG –

DIE ARBEITEN IN HOLZ

Fred Stelzig: der Maler, der Grafiker, der Keramiker. Kaum bekannt ist dagegen, dass Stelzig über Jahrzehnte auch zahlreiche Intarsienwände und andere, meist baugebundene Objekte aus Holz entwarf. Mit solchen Arbeiten folgte er einem Trend in der Innenausstattung mit Holz, der in den späten 1950er Jahren begann und bis in die 1970er Jahre andauerte. Nachdem zuvor das freistehende Einzelmöbel dominiert hatte, wurde nun die Gestaltung von Wänden und Räumen das wichtigste Thema. Zahlreiche Industriebetriebe und Banken, Kranken- und Rathäuser wollten ihre Foyers, Sitzungssäle oder Treppenhäuser jetzt mit repräsentativen Wandgestaltungen aus Holz ausstatten. Dieser Trend wurde noch dadurch verstärkt, dass seit den 1950er Jahren in Deutschland – in Baden-Württemberg seit 1955 – bei staatlichen, später teils auch bei kommunalen Bauvorhaben ca. ein Prozent der Bausumme in „Kunst am Bau“ investiert werden sollte.

VON DER IDEE ZUR AUSFÜHRUNG:

EIN WERK VIELER

Diesen lukrativen Markt konnte Stelzig allerdings nicht mit Werken aus eigener Herstellung bedienen. Zu aufwendig wäre die Vorhaltung von Furnieren, zu teuer und platzintensiv die Anschaffung von Holzverarbeitungsmaschinen und zu speziell die erforderliche Materialkenntnis gewesen.

So fertigte er für die Holzarbeiten zunächst zwar Ideenskizzen und zeichnerische Entwürfe. Die Modelle – meist im Maßstab 1:10 oder 1:20 – und die Muster, die dem Auftraggeber vorgelegt wurden, musste er aber bereits von Intarsiatoren

oder Schreinern herstellen lassen. Stelzigs Sache war erst wieder der Ausführungskarton im Maßstab 1:1. Nach diesem wurden dann von holzverarbeitenden Firmen die Furnier- bzw. Holzstücke ausgewählt, zugeschnitten, zusammengesetzt, auf Sperrholz- oder Spanplatten aufgeleimt, geschliffen, lackiert oder anderweitig oberflächenbehandelt und schließlich vor Ort auf eine Unterkonstruktion montiert. Die Ergebnisse dieses Verfahrens wurden naturgemäß ganz wesentlich von den ausführenden Firmen mitgeprägt.

Die erste Intarsienfirma, mit der Stelzig zusammenarbeitete, war 1957 die Berliner Firma Dürselen, die sich auf die Herstellung von intarsierten Möbeln spezialisiert hatte. Spätestens seit 1960 wurden die Ausführungen von der Stuttgarter Firma Intarsia-Wagner GmbH übernommen, die das Schneiden und Zusammensetzen der Furniere ihrerseits an die Firma Buchschmid & Grétaux, Werkstätten für Intarsien, in Stuttgart-Vaihingen vergab. Stelzig fungierte dabei als künstlerischer Mitarbeiter der Firma Wagner; diese gab die Besigheimer Adresse Stelzigs auf ihrem Briefkopf sogar als Sitz des Firmenateliers an. Nachdem IntarsiaWagner wohl bereits 1964, spätestens aber im Mai 1965 (Streichung aus dem Handelsregister) den Betrieb einstellte, übernahm Stelzig selbst die Funktion eines Generalunternehmers. Das Schneiden und Zusammensetzen der Furniere erledigten weiterhin Walter Buchschmid und Jacques Grétaux. Das Aufleimen auf Trägerplatten, Lackieren und Montieren führten zunächst verschiedene örtliche Firmen aus, bevor Stelzigs Aufträge hierfür seit 1970 regelmäßig an die auf den Innenausbau spezialisierte Schreinerei Alfred Kiess in Stuttgart-Fasanenhof ergingen.

105 Fred Stelzig – die Arbeiten in Holz

Annelies Stelzig am Webstuhl

Fotograf: unbekannt (vermutlich Fred Stelzig), um 1960

Sabine Gärttling

122

WANDTEPPICHE EIN ÜBERBLICK

Inken Gaukel

Ryijy

bezeichnet auf Finnisch zunächst einfach einen Wandteppich. Gleichzeitig verweist der Begriff auf eine traditionelle Volkskunst der Teppichherstellung, die sich durch einen langen Flor und größere Abstände zwischen den Knotenreihen auszeichnet. Die ursprünglich für eine schwedische, motivisch anders geprägte Variante übliche Bezeichnung Rya hat sich inzwischen als Standard durchgesetzt.

Finnische Ryije, um 1950 unbekannter Künstler

Maße (H x B): 152 x 93 cm

Technik: langflorig geknüpft

Foto: Felix Pilz, Schorndorf, 2022 Privatbesitz

Die Wandteppiche sind derjenige Werkbereich im Gesamtwerk des Künstlerehepaars, an dem Annelies Stelzig maßgeblich beteiligt war. Zwar stammen auch hier die Entwürfe von Fred Stelzig, aber die Auswahl der Wolle, die Festlegung der Farben, die handwerkliche Umsetzung und die damit verbundene Einflussnahme auf den Charakter des fertigen Werks darf nicht unterschätzt werden. Anfangs führte Annelies Stelzig die Wandteppiche allein aus. Mit der zunehmenden Zahl an Aufträgen erhielt sie Unterstützung von Teppichweberinnen, die zunächst mit ihr zusammenarbeiteten und später die Teppiche im Auftrag eigenständig ausführten.

DIE STELZIGS UND DIE RYIJEN

Fred Stelzig war wohl auf seiner ersten Finnlandreise 1953 zeitgenössische Ryijen, also typisch finnischen Wandteppichen, begegnet. Junge Designer hatten die lange vergessene und dann wiederentdeckte Volkskunst mit abstrakten, künstlerisch geprägten Motiven weiterentwickelt.

1957 unternahm Fred Stelzig – nun mit der ganzen Familie – eine weitere Finnlandreise, damit Annelies Stelzig vor Ort die spezielle Technik erlernen konnte. In Kalendernotizen hielt er die Fortschritte fest: „Webarbeit von Annelies am Ryiyi-Teppich [sic] im Sofakissenformat. Es geht schnell und sehr gut voran. Alles ist begeistert. Annelies mit Freude an der Arbeit“1 und „1. Ryiyi von Annelies fertig! Sehr schön geworden“2

Als Annelies und Fred Stelzig Mitte der 1950er Jahre begannen, sich mit finnischen Ryijen zu befassen, waren sie ihrer Zeit ein wenig voraus. Ende der 1950er Jahre fand eine ganze Reihe von Ausstellungen statt, die sich diesen Wandteppichen widmeten: 1958 im Kölner Wallraf-Richartz-Museum und in der Berliner Hochschule für Bildende Künste, 1959 im Nürnberger Bayerischen Landesgewerbemuseum. Ebenfalls 1958 war unter dem Titel „Ein deutscher Maler sieht Finnland“ die erste Einzelausstellung von Fred Stelzig zu sehen. Hier wurde neben Gemälden erstmals ein Wandteppich des Ehepaars gezeigt (siehe S. 152–161).

123 Wandteppiche
132
Foto: Felix Pilz, Schorndorf, 2022 Stuttgarter Straßenbahnen AG

Wandteppich und Sitzgruppe in der Eingangshalle der Hauptverwaltung der SSB

Fotograf: unbekannt, um 1975 Stadtarchiv Besigheim, NL Stelzig, 2.3.1 – 146–148.

BAHNEN, GELEISE, RÄ DER

JAHR 1973/74

AUSFÜHRUNG Sieglinde Beuttenmüller, Bretten, und Firma TISCA, Ötisheim

MATERIAL Leinen (Kette) und Wolle (Schuss und Flor)

TECHNIK fünffädig langflorig (4 cm) geknüpft, zweifacher Schuss

MASSE (H X B) 160 x 270 cm

ORT Stuttgart-Möhringen, Hauptverwaltung der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), Eingangshalle

Der Wandteppich entstand im Zusammenhang mit einer Wandkeramik (siehe S. 191/2) für den Neubau der SSB. Von Anfang an war geplant, ihn hinter eine Sitzgruppe in der Eingangshalle der Hauptverwaltung zu hängen. Die Idee des Architekturbüros Koppenhöfer gefiel Stelzig und er merkte dazu an, dass „durch die optisch-warme Ausstrahlung hier eine wohnliche Betonung erreicht werden kann“. 1

Detail der Knüpfung

Foto: Felix Pilz, Schorndorf, 2022

Stuttgarter Straßenbahnen AG

Patronieren ist ein Begriff aus dem Textilwesen und meint das Zeichnen des Musters für die Fadenverläufe und Knoten auf ein spezielles kariertes Papier als Vorbereitung für die Ausführung.

Bereits vor der Beauftragung im Februar 1974 bat Fred Stelzig bei der Firma TISCA um Disponierung eines „Wandteppichs 270 x 160 cm, Querformat, nach meinem Entwurf, Ausführung geknüpft ‚Landtagsqualität‘“. 2 Der Entwurf sollte von Sieglinde Beuttenmüller patroniert werden. Der Teppich wurde im Juli 1974 fertiggestellt und Stelzig lud zur Besichtigung in sein Atelier ein. Im November 1974 schickte die SSB vier Farbmuster für das Leder der Sitzgruppe an Stelzig mit der Bitte, im Hinblick auf den Wandteppich und die Keramik einen Farbvorschlag zu machen.

Bei der Modernisierung und kompletten Umgestaltung des Empfangsbereiches 2019 wurde der Wandteppich abgenommen und eingelagert.

1 Stelzig an Architekt Koppenhöfer, Schreiben vom 17. August 1973, Stadtarchiv Besigheim (StAB), NL Stelzig, 2.3.1 – 146–148.

2 Stelzig an TISCA, Schreiben vom 14. Januar 1974, StAB, NL Stelzig, 2.3.1 – 146–148.

133 Bahnen, Geleise, Räder
Wandteppiche

ISBN 978-3-89790-689-1

0 6891
783897 99

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