MFG - Das Magazin / Ausgabe 55

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„Wenn Sie mich jetzt zurückschicken, liefern Sie mich den Leuten aus, denen ich gerade entkommen bin.“ Bruno Kreisky, österreichischer Flüchtling



MFG EDITORIAL

Menschlichkeit und Vernunft von Johannes Reichl

Der berühmte österreichische Psychiater Viktor Frankl, der – nicht aus Österreich fliehend – die Gräuel des Konzentrationslagers erleiden musste und zahlreiche Verwandte durch Mord verlor, betonte stets, dass das Leben Herausforderungen stellt und der Mensch darauf zu antworten, ja sein Leben zu „ver-antworten“ hat. Nicht anders ergeht es dem Staat, dem Kollektiv von Menschen – auch diesem werden Aufgaben gestellt, Aufgaben wie etwa die aktuelle Flüchtlingssituation. Und wie der einzelne, so muss auch der Staat insgesamt darauf antworten und dieses Handeln ver-antworten. Österreich ist nicht zum ersten Mal vor diese Herausforderung gestellt und es hat darauf immer – egal ob im Zuge der Ungarnkrise 1956, dem Prager Frühling 1968, dem Ausruf des Kriegsrechts in Polen 1981, den Balkankriegen in den 90ern oder späteren Konflikten – eine eindeutige Antwort, ja Haltung gehabt: Wir helfen! Österreich hat es früher vielleicht sogar selbstverständlicher getan, weil seine im Weltkrieg geprägten Bürger noch wussten, was das bedeutet – Krieg, Elend, Hunger, Tod, Angst. Auch weil sie wussten, was es heißt, verfolgt zu werden oder zu verfolgen. Über 130.000 Österreicher sind in den 30er-Jahren geflohen, fanden in anderen Staaten Unterschlupf, Hilfe. Viele begannen dort ein neues Leben. Jene, denen die Flucht nicht gelang, waren zumeist zum Tode verurteilt: Über 110.000 Menschen wurden Opfer ihres eigenen Staates und seines Terrors. Dabei war die Situation für jene, die damals flohen, so traumatisch wie für die Flüchtlinge heute. Stefan Zweig etwa, der ins Exil gehen musste, schreibt in „Die Welt von gestern“: „Und dann standen sie an den Grenzen, dann bettelten sie bei den Konsulaten und fast immer vergeblich, denn welches Land wollte Ausgeplünderte, wollte Bettler?“ Da war die Hoffnung, da war das Bangen, die Rettung oder die Verdammnis. Jene, die man abwies, wurden ihren Mördern ausgeliefert, so dass auch der Flüchtling Bruno Kreisky bei seinem Asylantrag in Kopenhagen flehend feststellte: „Wenn Sie mich jetzt zurückschicken, liefern Sie mich den Leuten aus, denen ich

gerade entkommen bin.“ Und genau weil man aus der Geschichte gelernt hatte, weil die Lage für viele Flüchtlinge – damals vor allem aus Deutschland, Österreich, später ganz Europa – während des Zweiten Weltkrieges prekär, willkürlich, ungewiss war, beschloss die Staatengemeinschaft 1951 den Status von Flüchtlingen, ihre Rechte, ihre Pflichten, ihren Schutz in ein „Abkommen zur Rechtsstellung der Flüchtlinge“ zu gießen, das besser bekannt ist als „Genfer Flüchtlingskonvention“. Österreich hat diese – wie 146 weitere Staaten – unterzeichnet und sich damit völkerrechtlich verpflichtet, Flüchtlinge zu schützen. So, wie es vielen Landsleuten auf der Flucht ergangen war, so sollte es anderen Verfolgten nicht mehr ergehen. Dieser Verpflichtung sind wir immer nachgekommen, und das hat mich bereits als junger Mensch – der als Nachgeborener historische Momente wie ‘56 oder ‘68 gar nicht miterlebt hatte – immer stolz gemacht auf dieses Land und seine Bürger. Und selbst wenn schon früher, 1968, die Politik bisweilen zauderte, gab es Mutige wie z.B. den damaligen Gesandten in Prag, Rudolf Kirchschläger, der wider der Anweisung aus Wien weiter VISA für die Tschechoslowaken ausstellte, bis die Regierung auch begriff, worum es geht: Menschenleben! Die Bürger standen ohnedies mit offenen Herzen bereit. Während der Balkankriege halfen wir wieder, und es machte mich nicht minder stolz, dass den Hetzern, die versuchten die Armen unseres Landes gegen DIE Ausländer auszuspielen und per Volksbegehren „Österreich zuerst“ forderten, die Mehrheit der Bevölkerung das Lichtermeer entgegensetzte. Und heute? Geben wir uns selbst die Chance, wieder stolz auf uns zu sein, als eine Insel der Seligen, wie Papst Paul VI Österreich einmal bezeichnet hat. Freilich nicht im unrealistischen Sinne, weil wir von all den Problemen, die da draußen durch die Welt stieben und im Inneren glosen, verschont blieben – sondern weil wir auf die Herausforderungen, die uns das Leben stellt, die richtigen, verantwortungsvollen Antworten geben, die v.a. auf zwei Grundpfeilern ruhen: Menschlichkeit und Vernunft.

Offenlegung nach §25 Medien-Gesetz: Medieninhaber (Verleger): NXP Veranstaltungsbetriebs GmbH, MFG - Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten. Unternehmensgegenstand: Freizeitwirtschaft, Tourismus, und Veranstaltungen. Herausgeber/Geschäftsführer: Bernard und René Voak. Grundlegende Blattlinie: Das fast unabhängige Magazin zur Förderung der Urbankultur in Niederösterreich. Redaktionsanschrift: MFG – Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten; Telefon: 02742/71400-330, Fax: 02742/71400-305; Internet: www.dasmfg.at, Email: office@ dasmfg.at Chefredakteur: Johannes Reichl Chefredakteur-Stv.: Michael Müllner Chef vom Dienst: Anne-Sophie Settele Redaktionsteam: Thomas Fröhlich, Gotthard Gansch, Sascha Harold, Dominik Leitner, Siegrid Mayer, Michael Müllner, Michael Reibnagel, Ruth Riel, Andreas Reichebner, Thomas Schöpf, Anne-Sophie Settele, Beate Steiner Kolumnisten: Herbert Binder, Thomas Fröhlich, Dominik Leitner, Michael Müllner, Tina Reichl, Roul Starka, Beate Steiner Kritiker: Helmuth Fahrngruber, Thomas Fröhlich, Wolfgang Hintermeier, David Meixner, Felicitas Hueber, Manuel Pernsteiner, Michael Reibnagel, Johannes Reichl, Robert Stefan, Markus Waldbauer Karikatur: Andreas Reichebner Bildredaktion: Hermann Rauschmayr Art Director & Layout: Mr. Shitakii Hersteller: NÖ Pressehaus Druck- und Verlagsgesellschaft mbH Herstellungs- und Verlagsort: St. Pölten Verlagspostamt: 3100 St. Pölten, P.b.b. Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2. Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. Für den Inhalt bezahlter Beiträge ist der Medieninhaber nicht verantwortlich.


INHALT

Urban 6

KULTUR 56

SZENE 64

SPORT 76

URBAN

8 ASYL – DICHTUNG & WAHRHEIT 12 humanitäre verpflichtung 18 ohne gemeinden geht nichts 24 herbergssuche 2015 28 wir sind eine kavallerie 34 braucht st. pölten die neos? 38 Birkenstock goes R’n’R 42 RUDI VAJDA: SO BIN ICH 48 Kleine Oase im WelttheateR 52 Schwerla: SEITENWECHSEL

KULTUR 58 62

yutaka sado – WIE ZAUBEREI mentalmagie made in stp

SZENE

6 IN WAS FÜR EINER STADT 7 SHORTCUTS URBAN 56 SHORTCUTS KULTUR 64 SHORTCUTS SZENE 76 KRITIKEN 77 VERANSTALTUNGEN

66 St. pöltner lokale reloaded 69 WANDA LIVE – BUSSI BABY 70 suppenköniginnen

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… in der Klaus Otzelberger (FPÖ), als die Errichtung eines Asylkompetenzzentrums in St. Pölten (s. S. 29) bekannt gegeben wurde, Verhältnisse wie im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen prophezeite, das zum damaligen Zeitpunkt eine (Über-) Belegung von fast 5.000 Asylwerbern hatte. In St. Pölten wird die Erstbefragung von Asylwerbern vorgenommen, es gibt Platz für 20 (!) Personen, die nach maximal 48 Stunden weiter in ein Verteilzentrum kommen. Diese Dienststelle ist seit Juli in Betrieb! Ein neuerlicher Aufschrei Otzelbergers dürfte nur deshalb ausgeblieben sein, weil er es (wie die Bevölkerung) wohl gar nicht gemerkt hat. Klassisch in Otzelbergers Agitation war auch jüngst das Teilen eines Briefes auf der FP-Facebook-Site, demnach in Kanada (!) eine muslimische Familie vom Bürgermeister ein Schweinefleischverbot an der Schule gefordert habe. Der Brief entpuppte sich (wie schon häufiger auf der FP-Site) als falsch. Warum tischt uns Otzelberger solche Lügen auf? Ist es Demagogie? Oder blanke Dummheit? Beides ist gefährlich bei einem Politiker!

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In was für einer Stadt leben wir eigentlich...


SHORTCUT URBAN

Unvorstellbar. Vorstellbar

Hebi

Niemandsland

St. Pölten und seine mangelnde Positionierung im Tourismus – ein Dauerbrenner, trotz aller Bemühungen mit Sesselkreisen und Einzelprojekten das Profil der Stadt zu schärfen. Besonders schmerzhaft ist dabei die jüngste Erkenntnis, dass manche gar nix über uns zu berichten wissen. So der „Hotelguide 2016“ der Österreichischen Hotelliervereinigung (ÖHV), der in Kooperation mit der Tageszeitung „Die Presse“ vor Kurzem mit 130.000 Stück Auflage, davon 25.000 in Deutschland und 5.000 in der Schweiz, erschienen ist. Übersichtlich nach Bundesländern sortiert, präsentieren sich darin innovative und hochwertige Hotels. „Die Presse“-Redaktion wertete das simple Verzeichnis der ÖHV-Mitgliedsbetriebe aus und stellte je Bundesland Sehenswürdigkeiten, Restaurant-Empfehlungen und Veranstaltungstipps zusammen. Nur Niederösterreich schafft das Kunststück, mit seiner Hauptstadt gar nicht präsent zu sein. Nicht mal ein Eventtipp ging sich aus. St. Pöltens Hoffnung ruht nun wohl auf Leo Graf. Sein Hotel Graf am Bahnhof steht kurz vor einem ÖHV-Beitritt.

St. Pölten an der Donau St. Pölten und Krems rücken – wie es sich die Bürgermeister von Krems und St. Pölten im Rahmen von „Zentralraumtreffen“ gewünscht haben – verkehrstechnisch näher zusammen. So wird mit dem neuen ÖBB Fahrplan ab

Dezember nicht nur ein fixer einstündiger, sondern zu Hauptverkehrszeiten ein halbstündiger Takt eingeführt. Die Fahrtzeit beträgt bei den schnellen Verbindungen passable 33 Minuten, sonst 36 Minuten. Durch die Durchbindung der Kamptalbahn wird es zudem zu bestimmten Tageszeiten auch durchgängige Züge von Horn bis nach St. Pölten geben. Neu sind außerdem neue Abend- und Nachtverbindungen, um auch den Besuchern längere Verweilzeiten zu ermöglichen: Am Wochenende etwa fährt der letzte Zug von Krems nach Pölten um 22:19 Uhr, von St. Pölten nach Krems um 22:05. In diesem Sinne: Ab nach Krems oder St. Pölten, ganz ohne Auto – Ausreden gibt es jetzt keine mehr!

MFG lädt seine Leserschaft aus mehreren gegebenen Anlässen ein, an einem strukturierten Meinungsbildungsprozess teilzunehmen. Beantworten sie in diesem Sinne bitte die nachfolgenden 5 Fragen jeweils für sich ganz persönlich mit: „Unvorstellbar!“ (U), „Geh naa!“ (G) oder „Warum eigentlich nicht?“ (W). Los geht’s: 1. Erschiene es denkbar, eine Veranstaltung in der Dimension von „Frequency“ von der Beamtenschaft des Innen- oder auch des Unterrichtsministeriums organisieren zu lassen, der hiefür natürlich sämtliche Kniffe der Maria Theresianischen Kanzleiordnung zur Verfügung stünden? U/G/W 2. Sollte es der St. Pöltner ÖVP nicht doch gelingen, echte, erfolgreiche Manager/innen als Testimonials für „die St. Pöltner Wirtschaft“ zu gewinnen? Anstelle von Persönlichkeiten, deren Hauptkompetenzen doch eher in der Volksschulpädagogik oder im Agraringenieurwesen wurzeln. U/G/W 3. Was wär die St. Pöltner SPÖ inzwischen ohne Matthias Stadler? U/G/W 4. Automobile Urbanität, die, wie es heißt, von vielen schmerzlich vermisst wird: Der Rathausplatz wieder als zentrale Parkarena. U/G/W 5. Die Kirche, völlig zu Recht und auch biblisch begründet von uns konkretes Handeln in der Flüchtlingsfrage einfordernd, sie verfügt mitten in St. Pölten mit dem „Alumnat“ in der Wiener Straße über ein seit Jahren funktionsloses, weitgehend leer stehendes Internat mit ausreichend Zimmern, Gemeinschaftsküche, Sanitärräumen, Speisesaal, Aufenthaltsräumen etc. Dies alles inmitten der Dompfarre als einer der aktivsten Pfarrgemeinden der Diözese. Schluss mit lustig und U/G/W: Das wäre doch tatsächlich ein glaubhaftes Testimonial organisierter christlicher Nächstenliebe!

MFG 09.15

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MFG URBAN

ASYL - ZWISCHEN DICH

Asyl – kein Thema ist aktuell präsenter, kein Thema ist emotionalisierter. Alle reden darüber, vielfach aber ohne faktischen Background oder unter falschen Annahmen, denn – kaum ein Thema ist auch komplexer als dieses. Anbei eine grobe Zusammenschau der großen thematischen Brocken und der Versuch, Dichtung von Wahrheit zu trennen, „Annahmen“ mit Zahlen zu unterfüttern und (Vor-)Urteile auf ihren faktischen Hintergrund abzuklopfen. FLÜCHLING-ASYLWERBER-MIGRANT Wir können nicht alle aufnehmen, die arm sind Flüchtlinge sind nach dem österreichischen Asylgesetz Menschen, die in ihrer Heimat persönlich von Gefahr bedroht sind und etwa aus rassischen, religiösen, politischen u.ä. Gründen verfolgt werden. Österreich (wie 146 weitere Staaten) hat sich mit Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention völkerrechtlich dazu verpflichtet, diese Menschen zu schützen. 2014 lebten nach Schätzung des UNO Flüchtlingshilfswerks UNHCR ca. 55.600 Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte in Österreich. Asylwerber sind Menschen, die um Aufnahme und Schutz vor Verfolgung in einem fremden Land ansuchen. Bis zur Abklärung erhalten sie eine vorläufige Aufenthaltsbewilli8

gung und kommen in die sogenannte Grundsicherung (s.u.) Wird ihre persönliche Verfolgung anerkannt, kommen sie in den Flüchtlingsstatus. Wird eine allgemeine Gefahr im Heimatland, etwa durch Krieg, festgestellt, wird in der Regel subsidiärer Schutz gewährt, der jedes Jahr erneuert werden muss. Wird das Asylgesuch abgelehnt, müssen sie das Land verlassen, können in erster Instanz aber dagegen Berufung einlegen (s.u.). Migranten sind Menschen, die in ihrer Heimat nicht verfolgt und nicht bedroht werden. Häufig kommen sie aus wirtschaftlichen Gründen (Armut, Arbeitsperspektiven u.ä., weshalb auch oft von „Wirtschaftsmigranten“ die Rede ist). Ob sie aufgenommen werden oder nicht, entscheidet jeder Staat für sich. Es besteht keine Verpflichtung der Aufnahme


TEXT: johannes reichl | Fotos: pixelleo - Fotolia.com, STATISTIKEN BMI

HTUNG UND WAHRHEIT wie im Fall der Genfer Flüchtlingskonvention. Für Bürger aus der EU gilt hingegen Erwerbs- und Niederlassungsfreiheit. Die größte Migrantengruppe in Österreich stellen deutsche Staatsbürger mit 170.475 dar (Stand 1. 1. 2015). GRUNDSICHERUNG/LEISTUNGEN Die bekommen mehr als unsere Leut Asylwerber fallen in die sogenannte Grundsicherung. Wird der Asylwerber in einer a) organisierten Unterkunft betreut, erhält diese (nicht der Asylwerber!) 19 Euro/Person/Tag für Unterbringung und Verpflegung. Der Asylwerber erhält 40 Euro/Monat Taschengeld für alle persönlichen Ausgaben. Handelt es sich um ein Selbstversorgungsquartier, kommt also der Asylsuchende selbst für seine Verpflegung auf, erhält er in Niederösterreich 5,50 Euro/Tag (und kein Taschengeld), der Quartiergeber 13,50 Euro/Tag/Person. b) Wohnt ein Asylsuchender selbstständig, so erhält er maximal 320 Euro pro Monat für Unterkunft und Verpflegung (120 Euro Mietzuschuss, 200 Euro Verpflegungszuschuss). Zudem bekommt er Gutscheine für Bekleidung (150 Euro/ Jahr) und Schulbedarf (200 Euro/Jahr). Zum Vergleich: Eine fünfköpfige Familie im Asylwerberstatuts erhält 910 Euro/Monat (240 Euro Mietzuschuss, 2x200 Euro Verpflegungszuschuss Erwachsene, 3x90 Euro Verpflegung Kinder) plus Gutscheine für Bekleidung (150 Euro/Jahr) und Schulbedarf (200 Euro/Jahr). Eine fünfköpfige österreichische Familie, die Leistungen aus der Mindestsicherung bezieht, erhält rund 2.200 Euro im Monat. ARBEITEN Die lungern nur herum und sind hocknstad Asylwerber haben kaum eine Chance auf Arbeitsbewilligung – sie können sich daher ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen. Einzig gemeinnützige Arbeiten gegen ein paar Euro pro Stunde als Anerkennungsbeitrag, bisweilen auch Saisonjobs – mit großen Hürden – sind möglich. Erst als anerkannter Flüchtling bzw. nach Zuerkennung von subsidiärem Schutz erhält man freien Zugang zum Arbeitsmarkt mit sämtlichen Rechten und Pflichten. Ab diesem Zeitpunkt fällt man spätestens vier Monate nach Zuerkennung aus der Grundsicherung heraus und muss seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Als anerkannter Flüchtling hat man Anspruch auf Mindestsicherung. Einer groben Schätzung des ORF zufolge sind etwa 14% der Mindestsicherungs-Bezieher Flüchtlinge. Die streng geregelte und an klare Bedingungen gekoppelte Mindestsicherung beträgt dabei maximal 828 Euro/Monat, statistisch gesehen wer-

den im Durchschnitt allerdings nur etwa 300 Euro/Monat/ Person ausbezahlt, weil vielfach andere Einkommen, z.B. aus Teilzeitarbeit den Auszahlungsbetrag reduzieren. Geschlechterverteilung Da kommen nur Männer, die ihre Familie im Stich lassen Rund 79% der heuer ankommenden Asylwerber waren Männer. Zumeist werden von den Familien die jungen, starken Männer ausgewählt, ihr Glück zu versuchen, weil zum einen nicht mehr Geld vorhanden ist, um die horrenden Summen an die Schlepper für alle aufzubringen (siehe Kasten S. 30) , zum anderen, weil die Flucht für Frauen, Kinder und Ältere extrem gefährlich ist. Die Überlegung ist, dass – wenn der Mann die Flucht übersteht und offiziell Asyl erhält – er seine Familie (nur Ehepartner und minderjährige Kinder) legal und sicher nachholen kann. Allein im Mittelmeer sind heuer bereits über 2.600 Flüchtlinge ertrunken! Österreich wurde zuletzt durch 71 erstickte Flüchtlinge in einem Schlepper-LKW schockiert. Wo werden Flüchtlinge aufgenommen Alle kommen nach Europa und Österreich Vier Fünftel aller Flüchtlinge leben aktuell in benachbarten Ländern. In Pakistan waren 2014 1,6 Millionen Flüchtlinge, im Libanon 1,1 Millionen, im Iran rd. 850.000, in der Türkei wurden seit 2011 2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. In Europa wurden heuer bis 30. Juni über 417.000 Asylanträge gestellt, 2014 zählte man über 660.000. In Österreich haben heuer bis Ende Juni 28.311 Menschen Asyl beantragt, mehr als im gesamten Vorjahr zusammen. Das Innenministerium rechnet bis Ende des Jahres mit bis zu weiteren 50.000 Anträgen, insgesamt bis zu 80.000 im heurigen Jahr. Diese Asylwerber kommen v.a. aus den Kriegsgebieten Syrien, Afghanistan, Irak und Somalia. In Niederösterreich waren per 1. September 6.231 Personen in der Grundversorgung, in der Hauptstadt St. Pölten waren es 737.

ASYLANTRÄGE 2015, Jänner bis Juni 2015

2014

Differenz

Jänner

4.124

1.520

171,32%

Februar

3.280

1.236

165,37%

März

2.937

1.332

120,50%

April

4.039

1.410

186,45%

Mai

6.393

1.781

258,96%

Juni

7.538

1.768

326,36%

28.311

9.047

212,93%

Summe:

MFG 09.15

9


MFG URBAN

ASYL - ZWISCHEN DICHTUNG UND WAHRHEIT

Historischer Vergleich So eine Flüchtlingswelle gabs noch nie Historisch war Österreich bereits mehrmals mit großen Flüchtlingsströmen konfrontiert. Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg waren viele Flüchtlinge in Österreich gestrandet. Bis 1961 wurden rund 250.000 vertriebene Deutsche in Österreich eingebürgert. 1956 flüchteten etwa 180.000 Ungarn nach Österreich, von denen ca. 18.000 im Land blieben. 1968 kamen in Folge des Prager Frühlings knapp 162.000 Tschechoslowaken, etwa 12.000 blieben. Ebenso löste die Erklärung des Kriegsrechts in Polen 1980/81 einen Flüchtlingsstrom aus – ca. 33.000 Polen flüchteten nach Österreich, etwa 10% blieben. Der Zerfall Jugoslawiens löste ebenfalls mehrere Schübe aus: Flüchteten 1990 ca. 13.000 Kosovaren nach Österreich, waren es in Folge ca. 90.000 Bosnier, die in Österreich Schutz suchten. Etwa 60.000 von ihnen fanden in Österreich eine neue Heimat. Insgesamt hat Österreich seit 1945 etwa zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen, von denen ca. 700.000 auf Sicht neue Bürger des Landes wurden. anerkennung, Abschiebung, zusammenführung Wir nehmen ja alle auf Das Bundesamt für Asyl hat heuer bis Ende Juni 17.472 Statusentscheidungen getroffen. In 34% der Fälle, also ca. 6.000, wurde ein positiver Asylbescheid ausgestellt. In 20% der Fälle fiel dieser dahingegen negativ aus, dies betraf knapp 3500 Personen. Weitere 20% bzw. 3.500 Fälle wurden eingestellt, weil diese Personen nicht mehr greifbar sind und daher keine inhaltliche Entscheidung gefällt werden kann. Etwa 26% der Fälle, also rund 4.500 Personen, betrafen Familienzusammenführungen mit positiver Prognose, das heißt wenn ein Asylwerber asylberechtigt ist, besteht für den Ehepartner und minderjährige Kinder die Möglichkeit, in der Botschaft im Ausland einen Asylantrag zu stellen – fällt die Prognose der Anerkennung positiv aus, dürfen sie legal einreisen, ohne lebensgefährliche Flucht. Gegen einen negativen Bescheid in erster Instanz kann der Asylwerber berufen. Tatsächlich außer Landes gebracht wurden bis Ende Juni laut Innenministerium 4.164 Personen, 1.017 davon nicht freiwillig, das heiß sie wurden abgeschoben. 728 Personen wurden als Dublin-Fälle in ein

ENTWICKLUNG DER ZAHL DER ASYLWERBER IN DER REPUBLIK ÖSTERREICH SEIT 1999 Jahr

Zahl der Asylanträge

1999

20.129

2000

18.284

2001

30.127

2002

* 39.354

2003

32.359

2004

24.634

2005

22.461

2006

13.349

2007

11.921

2008

12.841

2009

15.821

2010

11.012

2011

14.416

2012

17.413

2013

17.503

* ohne 16.145 Anträge, die Ende 2001 an der österreichischen Vertretung in Islamabad eingebracht wurden.

anderes Land zurückgebracht, 2419 Personen reisten freiwillig aus. Kommunikation Angeblich so arm, aber alle haben ein teures Handy Viele Flüchtlinge haben bereits ein Handy, bevor sie nach Österreich kommen. Statistisch hat fast jeder Erdenbewohner ein Handy (7 Milliarden Stück sind im Umlauf), zudem gibt es spezifische Programme der Telekombetreiber, um der Bevölkerung in ärmeren Regionen den Zugang zum Mobilfunk zu ermöglichen bzw. den Markt dort zu erschließen. Prinzipiell waren aber viele der Flüchtlinge in ihrer Heimat nicht arm, sondern gingen ganz normalen Berufen nach. Sie flüchten nicht vor der Armut, sondern vor dem Tod.

GLIEDERUNG NACH Geschlecht Männlich

%

Weiblich

%

Summe

Jänner

3.130

75,90%

994

24,10%

4.124

Februar

2.375

72,41%

905

27,59%

3.280

März

2.223

75,69%

714

24,31%

2.937

April

3.205

79,35%

834

20,65%

4,039

Mai

5.304

82,97%

1.089

17,03%

6.393

Juni

6.007

79,69%

1.531

20,31%

7.538

22.244

78,57%

6.067

21,43%

28.311

Summe: 10


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MFG URBAN

Wir haben eine humanitäre Verpflichtung In Sachen Krisenkommunikation hat er wohl aktuell den schwersten Job Österreichs: Die Rede ist von Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, der dereinst im St. Pöltner Gymnasium zur Schule ging. Wir sprachen mit ihm über Probleme im System, Schwarz-Weiß-Malerei, das Durchgriffsrecht des Bundes, fehlende Solidarität, Ängste sowie Menschen in Not. Um mit einer berufsspezifischen Frage an Sie als Sprecher des Ministeriums, also als PR-Beauftragter, zu beginnen: Haben Sie medientechnisch eine ähnliche Situation wie diese schon einmal erlebt? Also in dieser Intensität war in den letzten vier Jahren nur die Refugee-Bewegung vergleichbar – Stichwort Besetzung Votivkirche. Und es handelt sich hierbei nicht von ungefähr um dasselbe Thema, weil dieses einfach extrem hoch emotionalisiert ist. Worauf führen Sie das zurück? Es passiert eine unglaubliche Vereinfachung, gerade in einem Bereich, wo eine Versachlichung und nachhaltige Diskussion von großer Bedeutung wäre. Vielfach wird nur schwarz-weiß gemalt, man ist dafür oder dagegen – dazwischen gibt es nichts. Das macht die Diskussion dieses hochkomplexen und vielschichtigen Themas aber extrem schwierig, weil durch die Emotion die Sache an sich in den Hintergrund rückt. Alles, was nicht einfach ist, wird leider oftmals derart einfach behandelt. Wen orten Sie da als „Übeltäter“ – die Politik? Oder die Medien, die über die Geschehnisse berichten? Politik und Medien sind da nicht voneinander zu trennen. Wenn man sich anschaut, was in Österreich in den Medien zu dem Thema gebracht wird, dann basiert ein extrem hoher Anteil dessen auf der Wiedergabe von parteipolitischen Informationen, die quasi als Grundlage dienen. Wo ich aber politische Kommunikation habe, habe ich zumeist auch einen sehr hohen Anteil an Vereinfachung, die ich dann nicht von den Fakten trennen kann. Wobei es natürlich auch positive Ausnahmen gibt – ich denke da an die Berichterstat-

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tung von orf.at, dossier.at, bereits mit Abstrichen an einen Faktencheck des FALTER vor einigen Wochen, wo man sich wirklich bemüht, den Fakten auf den Grund zu gehen. Ist das ein österreichisches Problem, diese Polarisierung und Parteipolitisierung? Ich kann Ihnen dazu nur eine Geschichte erzählen: Ich war kürzlich in München am Flughafen und habe auf den Anschlussflug nach Österreich gewartet. Während man am Flughafen Wien/Schwechat „Österreich“ und „Heute“ zur freien Entnahme aufliegen hat, bekommt man dort FAZ, DIE WELT und ähnliche Titel kostenlos. Abgesehen davon, dass man fragen kann, was die Auswahl dieser Titel über die Kultur des jeweiligen Landes aussagt, habe ich die deutschen Medien sehr vertieft gelesen mit dem Ergebnis, dass ich mich nachher wirklich informiert gefühlt habe. Wenn man ein Thema aber primär parteipolitisch bzw. auf Basis von Parteikommunikation aufbearbeitet, wo stark vereinfacht wird, wo im Zuge des politischen Wettbewerbs mitunter auch die Diffamierung des politischen Gegners eine Rolle spielt, dann fällt die eigentliche Sachinformation leider geringer aus. Nun sind Sie ja für die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums zuständig. Wie kämpft man gegen diese Simplifizierung oder auch – nicht selten in den social media Netzwerken – zum Teil Falschmeldungen an? Das ist natürlich extrem schwierig. Wir haben jetzt sogar – was ich sonst nicht gerne mache, weil wir die Arbeit der NGOs wirklich sehr schätzen – auf unserer Homepage bmi.gv.at einen Faktencheck zu einem Artikel von „Ärzte ohne Grenzen“ über die medizinische Versorgung in Trais-

„Unser Kernproblem ist ein bürokratisches Modell, das zu viele Akteure involviert und dadurch ein hohes Verhinderungspotenzial in sich trägt.“


TEXT: johannes reichl | Fotos: ZVG/BMI, GRAFIK ASYLSTATISTIK BMI

MEHRDIMENSIONAL. Der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, verweist auf die europäische Dimension zur Lösung der Asylthematik. „Solidarität müssen wir aber zunächst einmal innerhalb Österreichs schaffen, da ist noch viel mehr möglich!“

Kommen wir zur zum Ursprung all dieser Meldungen – die aktuelle Asylsituation bzw. der Umgang damit. Da läuft offensichtlich etwas aus dem Ruder. Kurz gesagt: Ja, wir haben ein Problem. Unser Kernproblem ist ein bürokratisches Modell, das zu viele Akteure involviert und dadurch ein hohes Verhinderungspotenzial in sich trägt. Das Modell der Grundversorgung hängt ja davon ab, dass alle mitmachen und auch mitmachen wollen. Bei einem emotionalen Thema wie Asyl zeigt sich aber leider, dass die Tragfähigkeit des Systems von manchen in Frage gestellt wird.

naue Arbeitsteilung, und wo liegen die Verhinderungspotenziale? Der Bund ist Erstversorger, danach soll die Übernahme durch die Länder in fixe Quartiere erfolgen, die ihrerseits mit den Kommunen in Kontakt sind. Aktuell ist es so, dass der Bund Asylwerber aufnimmt, aber der Abgang in die Länder zu gering ist. Die Herausforderung der Länder, Plätze zu schaffen, scheitert dabei oftmals an der Rücksichtnahme auf Bürgermeister, die keine Quartiere in ihrer Gemeinde haben wollen. Wobei es natürlich auch sehr engagierte Stadtoberhäupter gibt, wenn man etwa an Bürgermeister Dieter Posch in Neudörfl, Bürgermeister Stefan Schmuckenstaller in Klosterneuburg oder Christian Kogler in Puchenstuben denkt, die das Thema sehr offensiv angehen. Fakt ist aber, dass nach wie vor über die Hälfte der österreichischen Gemeinden keinen einzigen Asylwerber aufgenommen hat, und das, obwohl zugleich hilfsbedürftige Menschen in diesem Land obdachlos sind. Das ist sehr zynisch.

Die involvierten Akteure – damit meinen Sie wohl Bund, Länder und Gemeinden. Wie ist da die ge-

In der Frage, wer jetzt schuld am Engpass an Quartieren trägt, schieben sich die Körperschaften ge-

kirchen gemacht. In dem Artikel war von unzureichender medizinischer Versorgung, von Totgeburten, von Babys, die draußen auf einem Karton zur Welt kommen u.ä. die Rede. All das ist de facto nicht passiert, einzig eine Geburt im Krankenwagen fand statt. Derlei Falschmeldungen finden mittlerweile also selbst in die PR renommierter NGOs Eingang, die sie unrecherchiert übernehmen.

MFG 09.15

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MFG URBAN

TOP 15 der ASYLAnträge nach Staatsangehörigkeit und Antragsmonat per 30.6.2015 Jänner

Februar

März

April

Mai

Juni

Summe

Syrien

900

672

837

1.027

1.836

2.420

7.692

Afghanistan

670

429

581

773

1.507

1.789

5.749

Irak

292

204

309

606

1.141

1.254

3.806

1.065

960

118

66

54

35

2.298

Pakistan

82

67

97

207

327

403

1.183

Somalia

103

139

136

271

279

235

1.163

Russische Föderation

155

158

133

150

115

109

820

Staatenlos

118

64

58

107

192

226

765

Iran

103

70

85

110

96

111

575

Nigeria

56

80

86

92

118

121

553

Algerien

51

75

70

90

106

118

510

Ukraine

60

43

54

61

47

48

313

Marokko

34

28

32

33

61

60

248

Serbien

53

13

36

37

39

25

203

Indien

26

28

31

31

41

34

191

356

250

274

378

434

550

2.242

4.124

3.280

2.937

4.039

6.393

7.538

28.311

Kosovo

Sonstige Summe:

genseitig den „Schwarzen Peter“ zu. Gelöst wird damit aber nichts – wie reagiert man darauf? Um diesem Engpass entgegenzutreten, haben wir als Veränderungsstrategie – und wir müssen diese Situation ändern – das Durchgriffsrecht des Bundes nunmehr als Verfassungsgesetz durchgesetzt. Bis dato war es ja oftmals so, dass es Angebote an Quartieren gab, dann aber der Bürgermeister mit Verweis auf Widmung, Bauordnung und ähnliches die Umsetzung verhindern konnte. Seitens des Bundes sagen wir daher jetzt: Gut, wenn es nicht funktioniert, dann kann in dieser Lage definitiv nicht der Bürgermeister das letzte Wort mit bürokratischen Argumenten haben. Das heißt in Immobilien, wo wir selbst das Durch- und Zugriffsrecht haben, können wir nunmehr selbst Plätze schaffen, etwa in Form von Zelten. Dies sind aber, um das auch zu betonen, keine Dauereinrichtungen, sondern sie dienen lediglich zur Überbrückung, bis das Land fixe Quartiere gefunden hat. Was viele Menschen verwundert, war diese vermeintlich plötzliche Überforderung. Vielfach wird ja behauptet, dass diese Situation vorhersehbar war. Wir hatten schon in den Jahren 2013 und 2014 einen moderaten Anstieg – da ist sich aber noch alles ausgegangen, weil wir mit Traiskirchen abfedern konnten. Wir haben aber schon im Vorjahr die Länder aufgefordert, ihre Quote zu erfüllen und Plätze zu schaffen. Dieses Problembewusstsein fehlte aber leider bei vielen Protagonisten damals, die meinten „A geh, wir haben doch eh kein Problem“ und 14

von Sommertheater sprachen. Mit Mai diesen Jahres gab es dann einen sprunghaften Anstieg! Konnte in solch Situationen in Vergangenheit bislang Traiskirchen sozusagen als Puffer einspringen, bis genügend Plätze geschaffen wurden, war dies mit einer Verdreifachung der Zahlen im Mai nicht mehr aufzufangen. Der Puffer war sozusagen aufgrund der Versäumnisse der Vergangenheit schon erschöpft. Zum Glück – muss man sagen – ist diese Situation zur „besten“ Jahreszeit eingetreten, sprich im Mai, als es warm war und wir Zelte aufstellen konnten. Zudem konnten wir während der Ferienzeit auch in Schulen, Internaten u.ä. Plätze schaffen. Diese Provisorien müssen wir aber jetzt vielfach wieder auflösen – die Schule beginnt wieder, in der Arena Nova, wo 240 Asylwerber untergebracht waren, startet wieder der Spielbetrieb. Das ergibt für uns aktuell das Problem, dass zwar neue Plätze geschaffen werden, diese aber sofort mit bislang anderswo untergebrachten Asylwerbern gefüllt werden. Das heißt wir schichten im Bundesland um, die Plätze für neue Asylwerber fehlen aber nach wie vor – das ist ein Nullsummenspiel. Nun ist Österreich ja nicht zum ersten Mal mit einem solchen Flüchtlingsstrom konfrontiert – wir haben Ungarnkrise und Prager Frühling erlebt, und viele erin-

»

„Wir MÜSSEN diese Situation ändern.“


Wir haben eine humanitäre Verpflichtung

nern sich noch an den Zerfall Jugoslawiens in den 90ern. Damals lief es aber scheinbar besser. Da muss ich widersprechen – da ist schon eine gewisse Glorifizierung der Vergangenheit im Spiel. Zudem kann man die damalige Situation am Balkan nicht 1:1 mit der heutigen vergleichen. Damals gab es noch kein individualisiertes Asylsystem wie heute, wo also jeder einzelne Asylwerber erfasst und befragt wird, sondern es wurde sämtlichen Bürgern aus der definierten Krisenregion ein temporäres Bleiberecht zugesprochen. Zudem ist in der Versorgung viel weniger beim Staat hängen geblieben, weil viele Flüchtlinge bei Familienangehörigen, die schon lange in Österreich als Gastarbeiter lebten, unterkamen. Das dämpfte die Situation zusätzlich. Und die Asylwerber kamen aus einem Nachbarland, haben hier sozusagen gewartet und sind dann wieder zurück. Jetzt kommen die Asylwerber von viel weiter her und haben eine viel größere Komplexität der Flucht hinter sich. Und wenn heute so getan wird, dass die Österreicher damals viel offener und hilfsbereiter waren, dann möchte ich bitte schon festhalten: Wann ist denn der Spruch „Das Boot ist voll“ getätigt worden, wann gab es das Ausländervolksbegehren etc.? Also, da ist schon eine Glorifizierung festzustellen oder, im obigen Sinne, eine grobe Vereinfachung der tatsächlichen Situation damals. Wie stellt sich die Situation eigentlich aktuell dar, und wie wird es weitergehen? Wir haben aktuell etwa 50.000 Menschen in Versorgung, und wir rechnen für heuer noch mit 45-50.000 weiteren, Asylwerbern, insgesamt jedenfalls mit etwa 80.000 Anträgen. Nachdem sich die Situation in den Krisengebieten nicht so schnell ändern wird, werden weitere Menschen bei uns Schutz suchen. Der Ruf nach einer europäischen Lösung wird immer lauter bzw. wird umgekehrt die bislang fehlende europäische Solidarität angeprangert. Wie nehmen Sie das wahr? Es bedarf natürlich einer europäischen Lösung, das ist genau der Punkt, wo wirklich „mehr“ Europa gefordert ist. Aktuell gibt es ja ein extremes Ungleichgewicht innerhalb der EU – wir haben Länder, die das ganze Jahr über weniger Asylwerber aufnehmen als wir an einem einzigen Tag. Eine europäische Lösung wird aber, da dürfen wir uns auch nichts vormachen, bei 28 Mitgliedsstaaten nicht so schnell gefunden und umgesetzt werden. Das dauert. Die europäische Dimension und Forderung nach Solidarität entbindet uns zudem nicht von unseren eigenen Aufgaben, die wir hier und heute angehen und lösen müssen. Solidarität müssen wir nämlich vor allem einmal innerhalb Österreichs schaffen. Da ist definitiv viel mehr möglich, wenn noch immer über die Hälfte der Gemeinden keinen einzigen Asylwerber aufgenommen hat. Nach den letzten Monaten zweifelt man bisweilen

DURCHGRIFF. Ab Oktober hat das Bundesministerium für Inneres per Verfassung ein Durchgriffsrecht, um Asylplätze zu schaffen.

an dieser Solidarität, obwohl umgekehrt viele Privatinitiativen sehr engagiert sind. Wie nehmen Sie diesbezüglich die Politik wahr, die oft getrieben wirkt? Es bedarf prinzipiell eines Problembewusstseins, und ich habe schon das Gefühl, dass sich dies allmählich einstellt, dass jene, die noch vor einem Jahr von Sommertheater gesprochen haben, nunmehr begreifen, dass sie falsch gelegen sind. Damit wird auch das Verantwortungsbewusstsein dieser Protagonisten größer. Wir müssen einfach begreifen, dass wir hier von schutzbedürftigen Menschen reden. Das sind keine Wirtschaftsflüchtlinge, wie leider oft vermischt wird, sondern das sind Menschen, die vor dem Krieg fliehen, die aus Krisengebieten kommen – in Österreich v.a. aktuell aus Syrien, Afghanistan, Irak. Da hilft es überhaupt nichts – und hat damit auch überhaupt nichts zu tun – wenn in diesem Kontext von Wirtschaft, Grenzendichtmachen, Arbeitsplätzen etc. gesprochen wird. Das geht am Thema vorbei. Verstehen Sie diese Ängste? Man denkt sich ja oft, 56 oder 68 war der Wohlstand sicher nicht so hoch, dennoch war man damals scheinbar solidarischer. Es gibt da ein soziologisches Erklärungsmodell von Sigmund Baumann: Je fragiler der Zusammenhalt in einer Gemeinschaft ist, umso stärker ist die Ablehnung des Fremden, d.h. je weniger Gemeinsamkeit besteht, umso stärker grenzt man sich vom Fremden ab. Dieses Abgrenzen schafft erst Gemeinschaft. Man hört oft, „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg“, „Die setzen sich ins gemachte Nest“, „Wir haben das ja alles wieder aufgebaut nach dem Krieg“ u.ä. Dazu ist Folgendes zu sagen: Erstens müssen wir es als Privileg begreifen und dankbar sein, dass wir in einem Raum leben, wo schon so lange stabile Verhältnisse herrschen. Zweitens dürfen wir nicht vergessen, dass wir selbst ehemals Schutz fanden, wenn wir etwa an die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückdenken, als viele Österreicher flüchten mussten. Und drittens wäre auch unser heutiger Wohlstand und die damit verbundene Stabilität nicht ohne die Hilfe von außen, des Auslandes möglich MFG 09.15

15


MFG URBAN

Wir haben eine humanitäre Verpflichtung

Monatliche ENtwicklung im MehRJahresvergleich 2011

2012

2013

2014

2015

8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0

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2

3

4

5

6

7

8

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geworden – Stichwort Marshallplan. Allein dadurch haben wir eine humanitäre Verpflichtung, ja es gebietet der Anstand, dass wir helfen! Angesichts des Durchgriffsrechts ab Oktober haben aber viele Bürger wieder Angst, dass der Bund jetzt sozusagen einfach drüberfährt über sie. Das liegt uns ganz und gar fern. Das Problem des Bundes

ist aber ein anderes: Wir springen aktuell für die Länder ein, wenn Plätze fehlen, und da haben wir einfach massiven Zeitdruck. Täglich kommen etwa 300 Menschen, die wir unterbringen müssen. In diesem Fall rücken – obwohl ich sie für extrem wichtig halte – die Kommunikation und Aufklärung leider in den Hintergrund. Prinzipiell ist Information aber ganz wichtig. Und es zeigt sich ja häufig, dass es im Vorfeld oft Demos und Bürgerversammlungen gegen die Unterbringung gibt – wenn die Asylwerber dann aber da sind, ein Gesicht bekommen, man ihr schlimmes Schicksal und ihre Geschichte kennt, die Stimmung kippt. Dann sind oft diejenigen, die zuvor am vehementesten dagegen demonstriert haben, plötzlich jene, die sich in Hilfsorganisationen engagieren und sagen: Natürlich müssen wir diesen Menschen helfen! Wer die Angst besiegt, besiegt das Problem oder zumindest dessen politische Instrumentalisierung? Die Aufgabe von allen involvierten Akteuren wäre es, Ängste rauszunehmen anstatt solche zu schüren. Der Politikwissenschaftler Benjamin Barber hat es so formuliert: Aufgabe des politischen Systems ist es, Ängste zu nehmen.

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„Es gebietet der Anstand, zu helfen!“

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MFG URBAN

Ohne Gemeinden geht gar nichts Ende April fiel der Asylbereich dem Resort von Landesrat Maurice Androsch (SPÖ) zu, just zu einem Zeitpunkt, als sich das Thema national gerade zu einer Krise auszuwachsen begann. Wir sprachen mit ihm über falsche Einschätzungen, den täglichen Kampf um neue Plätze, die ambivalente Rolle der Gemeinden sowie belastende Momente. Wie kann man sich das prinzipiell systematische Prozedere der Unterbringung von Asylwerbern in Niederösterreich vorstellen? Wie werden Quartiere ausgesucht, wie Kommunen? Grundsätzlich laufen alle Angebote und Listen in der Fachabteilung des Landes zusammen und werden in vielen Arbeitsschritten abgearbeitet, das reicht von der Besichtigung, über Gespräche mit den Betreibern bis hin zu Vertragsausfertigung etc. Quartiere werden einerseits angeboten, andererseits über Betreiber und Gemeinden aktiv gesucht. Österreich erlebt nicht die erste, wie es im Sprachgebrauch oft formuliert wird, „Flüchtlingswelle“. Trotzdem scheinen diesmal die Behörden überfordert – worauf führen Sie dies zurück? Einerseits wurden die Vorzeichen nicht richtig erkannt. Zudem wurden die Dimensionen unterschätzt. Kamen im Vorjahr 25.000 Flüchtlinge nach Österreich, so werden heuer mehr als dreimal so viele die Grenze überschreiten. Im Gegensatz zu früher kommen diesmal die Menschen aus weiter Entfernung, in Verbindung mit dem kriminellen Schlepperwesen entstand so ein enormer Zustrom, im Schnitt 300 Personen pro Tag. In Niederösterreich haben bis dato zwei Drittel der Kommunen keinen einzigen Asylwerber aufgenommen. Woran scheitert dies Ihrer Meinung nach? In den letzten Monaten ist eine regelrechte Dynamik durch intensive Werbung und Gespräche mit Bürgermeistern entstanden. Rund 42%, also 240 von 573 niederösterreichischen Gemeinden, haben mittlerweile Asylwerber aufgenommen. Weil uns die Verteilung über die Fläche wichtig ist, um keine Hot-Spots entstehen zu lassen, prüft meine Abteilung derzeit an die 400 Angebote. Viele davon befinden sich bereits im letzten Drittel der Umsetzungsphase. Übrigens muss man fairerweise auch festhalten,

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dass nicht jede Gemeinde über geeignete Unterkunftsmöglichkeiten verfügt. Vielfach werden diverse Verordnungen bemüht, welche eine gesetzeskonforme Unterbringung nicht zuließen. Inwieweit ist dies aus Ihrer Sicht Taktik von Bürgermeistern, wie kann man dagegenhalten, fordern doch jene Gemeinden, die ihren Beitrag leisten, die Solidarität der anderen ein.

„Rund 42%, also 240 von 573 niederösterreichischen Gemeinden, haben mittlerweile Asylwerber aufgenommen.“


TEXT: Johannes reichl | Fotos: ZVG, Land NÖ, BMI

Im März wurde im Zuge eines Kommunalgipfels vereinbart, dass im Ausmaß von bis zu zwei Prozent der Gemeindebevölkerung Flüchtlinge ohne Zustimmung des Bürgermeisters zugewiesen werden können. Das ist aber nicht mein Weg, den ich gehen möchte, sondern für mich stand seit der Ressortübernahme Ende April der Dialog mit den Bürgermeistern im Mittelpunkt. Gleichzeitig beschleunigten wir die Verfahren in Niederösterreich und nützten auch gesetzliche Regelungen, wie die NotstandsbautenBestimmung in der NÖ Bauordnung, um rasch Quartiere zu schaffen. Beides sorgte für eine gewisse Dynamik, die zuletzt die Bereitschaft humanitäre Verantwortung zu leisten, deutlich verbesserte. In Niederösterreich ist auch die Unterbringung in Privatquartieren möglich. Was heißt das, wie lange dauert es vom Angebot bis zur Unterbringung? Private Unterbringung bedeutet, dass Asylwerber in Niederösterreich nicht nur in organisierten Quartieren untergebracht werden, sondern individuell Unterkünfte suchen können. Dafür erhalten sie einen monatlichen Mietzuschuss in Höhe von 120 Euro. Derzeit sind von den 6.269 in der Grundversorgung des Landes betreuten Personen 2.162 individuell untergebracht. Mit der Wohnberatung Niederösterreich hat das Land zudem gemeinsam mit der Diakonie sogar ein eigenes Projekt gestartet, um Flüchtlingen, die in eine private Wohnung wechseln möchten, zu helfen. Derzeit dauert die Vorlaufzeit ein bis drei Wochen bis Flüchtlinge einziehen können. Die SPÖ Niederösterreich sammelt aktuell Geld, um nicht konforme angebotene Quartiere derart instandzusetzen, dass Unterbringung möglich wird – was halten Sie davon? Und warum gibt es dafür keine zusätzlichen Budgetmittel? Jede Aktivität, die dazu beiträgt Wohnraum zu schaffen, ist sinnvoll. Besonders im Zuge der individuellen Unterbringung ist die Frage der Sanierung immer wieder Thema. Im Bereich der organisierten Unterkünfte sind grundsätzlich die Betreiber dafür verantwortlich, geeignete Quartiere zur Verfügung zu stellen. Wir nehmen nur solche an, die den Vorgaben entsprechen und in Ordnung sind, daher gibt es hierfür auch keine zusätzlichen Budgetmittel. Die Kommunen beklagen, dass es keine Schnittstelle gibt. Bis dato würden sie nicht explizit informiert, wenn in Quartieren neue Asylwerber untergebracht werden. Man könne dann auch nur verspätet auf die Situation reagieren, etwa im Hinblick auf Schulplätze etc. Wie beurteilen Sie diese Kritik? Das mag in der Vergangenheit zugetroffen haben. Seit ich für das Flüchtlingswesen in Niederösterreich zuständig bin, gab es hier aber eine Neuausrichtung. In dem Moment, wo ein mögliches Quartier ins Blickfeld rückt, wird die Gemeinde kontaktiert. Für mich ist der Bürgermeister, die Bürgermeisterin die Schlüsselperson und unser direkter

»

„Für mich ist der Bürgermeister, die Bürgermeisterin die Schlüsselperson.“

Ansprechpartner. Auch wenn ich weiß, dass ich auch einfach anweisen könnte, so gehe ich doch den Weg, eine mit Verständnis von beiden Seiten geprägte Gesprächsbasis zu pflegen. Aus meiner Sicht geht ohne Gemeinde gar nichts. Das Letzte, was ich will, ist zwangsweise zuweisen und in einer absoluten Konfrontation mit der Gemeinde zu stehen. Das bringt überhaupt nichts. Die Flüchtlinge müssen dort gut aufgenommen werden und Akzeptanz finden. Es gibt viele gute Beispiele, wo das tadellos funktioniert. In der öffentlichen Debatte hat man sich bisher das Thema Asyl wie eine heiße Kartoffel zugeschoben. Insbesondere den Ländern wurde vorgeworfen, die vereinbarten Quoten nicht zu erfüllen. Wie beurteilen Sie diese Diskussion, und wie ist das Einvernehmen der Länder untereinander? Schuldzuweisungen schaffen keine einzige Unterkunft. Aus dieser Debatte halte ich mich gänzlich heraus. Meine Aufgabe ist es Plätze zu schaffen. Zur Quotensystematik haben sich Bund und Länder im Rahmen einer 15a-Vereinbarung vertraglich verpflichtet, um eine ausgewogene Verteilung der Flüchtlinge über das Bundesgebiet zu erzielen. Jedes Bundesland hat die Aufgabe diese entsprechend zu erfüllen. Die Kommunikation zwischen den Ländern ist gut. Das zeigte sich auch bei der letzten von mir einberufenen außerordentlichen Flüchtlingsreferenten-Konferenz, die im Juni in St. Pölten stattgefunden hat. Wichtig ist, dass jedes Bundesland seine Aufgabe erfüllt, wie es auch Niederösterreich tut. Nun wird bisweilen aber eingeworfen, dass Niederösterreich die Quote in Wahrheit gar nicht erfülle, sondern nur aufgrund des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen auf über 100% kommt. Das ist eine völlig müßige Diskussion – die Quote ist ja keine Erfindung des Landes Niederösterreich, und laut Ministerium erfüllen wir sie aktuell mit 113,75%. Das Land ist zudem, wie im Falle aller Asylwerber in der Grundsicherung – also natürlich auch jener in Traiskirchen – finanziell direkt beteiligt. Das Land trägt wie vereinbart 40% der Kosten, der Bund 60%. Wir kommen unseren Verpflichtungen also vollends nach. Der Bund hat sich nun verfassungsrechtlich ein Durchgriffsrecht gesichert und möchte fortan in Bundeseinrichtungen direkt Asylwerber unterbringen, im Fall der Fälle auch ohne Zustimmung der Länder oder betroffenen Gemeinden. Was halten Sie davon? Kann das überhaupt funktionieren? Wir in Niederösterreich setzen auf den Dialog. Natürlich stößt man dabei immer wieder auf Ecken und Kanten. MFG 09.15

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MFG URBAN

Menschen in DER GRUNDVERSORGUNG NACH POLITISCHEN BEZIRKEN NÖ Am 1. September Organisiertes Wohnen

Privates Quartier

Summe

Amstetten

240

195

435

Baden

564

196

760

Bruck a.d. Leitha

88

20

108

Gänserndorf

23

28

51

Gmünd

266

47

313

Hollabrunn

88

13

101

Horn

155

29

184

Korneuburg

19

47

66

Krems

20

11

31

Krems Land

91

6

97

Lilienfeld

361

49

410

Melk

228

131

359

Mistelbach

69

68

137

Mödling

244

105

349

Neunkirchen

359

151

510

Scheibbs

99

22

121

St. Pölten

261

476

737

St. Pölten Land

229

94

323

Tulln

130

12

142

Waidhofen a.d. Taya

114

15

129

Waidhofen a.d. Ybbs

112

26

138

Wiener Neustadt

38

298

336

Wiener Neustadt Land

111

39

150

Wien Umgebung

77

69

146

Zwettl

65

15

80

4.051

2.162

6.213

Summe:

Aufgrund der manchmal langen Vorlaufzeiten bei der Schaffung von Plätzen braucht der Bund aber auch Instrumente, um rasch handeln zu können. Auf jeden Fall ist das Durchgriffsrecht ein positives Mittel, um jene, die sich bisher nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben, aktiver einbinden zu können. Orten Sie in der ganzen Causa auch ein politisches Problem insofern, dass insbesondere die Regierungsparteien unter dem Aspekt einer stärkerwerdenden FPÖ keine mutigen Entscheidungen und Bekenntnisse zum Thema „Asyl“ treffen?

» 20

„Schuldzuweisungen schaffen keine einzige Unterkunft.“

Das Bedauerliche in dieser Zeit ist, dass wider besseren Wissens mit den Ängsten und der Not von Menschen politisches Kapital gemacht werden soll. Wer wie die FPÖ mit dem Leid von Kriegsflüchtlingen, Kindern und Jugendlichen, die vor dem IS-Terror fliehen, einzig und allein Mandate und Funktionen gewinnen möchte, agiert indiskutabel. Das ist die niedrigste Form von Politik. Wie sieht die Zukunftsperspektive aus – so schnell ist mit einem Abreißen der aktuellen Situation ja nicht zu rechnen? Ist man dafür gerüstet? Im Moment arbeiten alle mit Hochdruck an der Schaffung neuer Plätze. Im August wurden 800 neue Plätze in Niederösterreich geschaffen. Im September werden es weitere 800 sein. Bisher ist kein Stichtag in Sicht, an dem der Flüchtlingszustrom abreißen wird. Wir rechnen heuer mit


Ohne Gemeinden geht gar nichts

70.000 bis 80.000 Flüchtlingen österreichweit. Es ist daher eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft: Wenn Europa Interesse daran hat, dass dieser Zustrom abreißt, dann muss der internationale Druck steigen, um diesen Menschen wieder eine Perspektive in ihrer Heimat geben zu können. Wie ist die persönliche Involvierung – man hat mit Menschenschicksalen zu tun – ist diese Situation für Sie persönlich belastend? Natürlich ist es belastend. Es sind die persönlichen Schicksale belastend, wenn man z.B. weiß, welche schlimmen Erlebnisse Kinder und Jugendliche erleiden mussten. Es ist belastend, dass es noch immer Menschen gibt, die nicht verstanden haben, um was es geht. Dass es um humanitäre Verantwortung geht. Das ist mehr belastend, als die Herausforderungen wahrzunehmen, Plätze unter Hochdruck zu schaffen und Hilfe zu leisten. Wurzel dieses Verhaltens ist oft Angst. Wie begegnet man seitens des Landes Ängsten, auch etwaigen Ressentiments der Bevölkerung? Das Land Niederösterreich stellte jeder Bürgermeisterin, jedem Bürgermeister, jedem Bezirk und jeder Region die Möglichkeit zur Verfügung, Informationsveranstaltungen durchzuführen. Die Information der Bevölkerung steht an erster Stelle. Mir ist es auch persönlich wichtig, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu unterstützen, denn diese wissen, wo Probleme auftauchen. Je besser die Gemeinde informiert ist, desto reibungsloser funktioniert die Unterbringung.

Gibt es etwas, dass Ihnen wichtig in der Diskussion und Kommunikation ist? Es gibt so viele Lügen und Mythen, die bewusst gesteuert worden sind. Was Flüchtlinge nicht alles haben, wie gut es ihnen nicht geht. Daher ist es wichtig, die Fakten und Tatsachen in die Öffentlichkeit zu tragen, um wieder in der Diskussion auf den Boden der Realität zu kommen. Leider wurde durch diese „Märchen“ wertvolle Zeit gestohlen. Auch gegenseitige Schuldzuweisungen und Anwürfe sorgten dafür, dass nicht in Ruhe den gestellten Aufgaben nachgekommen werden konnte. Umso mehr bin ich den vielen Freiwilligen, den NGOs, aber auch den hauptamtlichen Mitarbeitern dankbar, dass sie sich nicht beirren ließen und sich vollends in den Dienst der Sache stellten.

Wie empfinden Sie umgekehrt die hohe Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, die von Spenden über Dienstleistungen bis hin zu Quartieren reicht? Man ortet zunehmend große Bereitschaft, obwohl nach wie vor aus einer bestimmten politischen Ecke Ängste geschürt werden. Ich habe das Gefühl, dass nun mit dem Auftritt der „Schreier“ endlich Schluss ist und zum Glück die große bisher schweigende Mehrheit, die ein Herz für Menschen in Not zeigen, stärker wahrzunehmen ist.

Was sind aus Ihrer Sicht die nächsten wichtigen Schritte, um die Situation in den Griff zu bekommen? Es ist klar zu sagen, dass der Schlüssel dazu in der Solidarität der internationalen Gemeinschaft liegt. Auf der einen Seite ist ein massiver Kampf gegen die Schleppermafia zu führen, auf der anderen gilt es, international den Druck auf EU-Länder zu erhöhen, die gegen die ausgewogene Verteilung Politik machen. In dieser Frage bin ich ganz bei Bundeskanzler Faymann.

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Es muss sich ausgehen!

Alle reden von Quartieren, die geschaffen werden müssen. Stefan Schadenhofer, Einrichtungsleiter des Projektes „WohnBetreuung für Menschen in Grundversorgung“ der Diakonie, ist damit unmittelbar konfrontiert und versucht solche „aufzutreiben“. Wir sprachen mit ihm über abgeschobene Verantwortung, Gefahren eines Niveauverlustes und den Wunsch nach mehr Plätzen in St. Pölten. Wer hat Schuld an der Zuspitzung der Lage? Ich will nicht von Schuld reden, aber vielleicht von einem teilweise bewussten Wegschauen, weil sich mit dem Thema „Asyl“ halt leider Politik machen lässt, wenn man bei rechtsorientierten Parteien auf Wählerstimmenfang geht. Da steckt also möglicherweise schon ein politisches Kalkül dahinter. Aber in dieser Form, dass es gar Obdachlose gibt, das hat sicher niemand geplant oder gar gewollt – da ist die Situation schlicht grob unterschätzt worden. Im Übrigen auch gar nicht nur von der Politik. Und jetzt hilft es auch nichts, von Schuld zu reden, sondern wir müssen die Situation lösen. Das ist die Verpflichtung des Staates Österreich auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention. Wie beurteilen Sie die Situation in Niederösterreich? Hier verweist man ja auf die Erfüllung der Quote. Niederösterreich ruht sich seit Jahren auf seiner überfüllten Quote aus – nur, da rechnet man halt Traiskirchen immer mit. Zieht man Traiskirchen ab, liegt die Quote bei etwa 80%, damit wäre Niederösterreich an letzter Stelle im Bundesländervergleich! Auch hier hat man viel zu lange nicht reagiert – erst als Traiskirchens Bürgermeister letzten Winter angedroht hat, das Lager zu schließen, ist ein gewisser Druck entstanden und die Erkenntnis, dass man vielleicht doch etwas tun sollte. Druck, unter dem jetzt alle stehen, nicht zuletzt auch Diakonie und Caritas, die im Auftrag des Landes Asylwerber betreuen und zum Teil auch unterbringen. Es herrscht tatsächlich ein irrsinniger Druck. Das Problem ist, dass Bund und Länder diesen einfach an die NGOs weitergeben, nach dem Motto, „wir sind nicht die Herbergsgeber“, sondern wir finanzieren nur. Es bleibt damit alles an uns hängen: Wir sollen die Menschen aber nicht nur unterbringen, sondern vorher schon die Quartiere finden, diese sanieren, kaufen oder mieten – und das soll alles über lächerliche Tagessätze finanziert werden. Das geht sich aber kaum aus, weil man in die wenigsten Quartiere gleich einziehen kann. D.h. wir müssen die Sanierung vorfinanzieren, 22

zusätzliches Geld seitens des Landes gibt es aber nicht. Der Staat und die Länder müssten sich prinzipiell viel mehr in der Pflicht sehen, wie wir Quartiere zu finden und zu adaptieren – da fehlt ein gemeinsames Konzept. Zudem besteht die Gefahr, dass das Gesamtniveau der Unterbringung sinkt. Inwiefern? Das Grundproblem ist aktuell, dass aufgrund des Drucks alles sofort passieren muss. Damit spielt man aber jenen in die Hände, die ausschließlich Geschäfte machen möchten, und sobald Profit die größte Rolle spielt, wird anders kalkuliert. Das heißt, die Standards in diesen Quartieren werden häufig auf ein Mindestmaß zurückgeschraubt und sind viel niedriger als in jenen von Diakonie, Caritas oder Volkshilfe. Dass wir als Diakonie selbst einmal in einer Veranstaltungshalle 50 Asylwerber unterbringen, wäre für mich vor einigen Monaten auch noch undenkbar gewesen. Jetzt müssen wir es natürlich, weil wir einfach dringend Plätze brauchen – aber wie wird es nachher weitergehen? Wird der niedrigere Standard dann zur neuen Norm? Zudem, wenn der NGO Geld bleibt, geht dieses wieder direkt in die Betreuung, wovon nicht nur der Bewohner, sondern die gesamte Gesellschaft profitiert, weil dadurch die Integration leichter funktioniert. Im privaten Sektor hingegen ist dieses „ersparte“ Geld weg. Wird es sich ausgehen, bis zum Winter alle Asylwerber in fixen Quartieren unterzubringen? Es muss sich ausgehen – und es wird sich ausgehen! Auch wenn es dann im schlimmsten Fall wieder Notquartiere gibt. Vielleicht machen dann ja auch – bevor wirklich Kinder im Winter auf der Straße stehen – endlich jene ihre Türen auf, die das früher immer getan haben, weil es eigentlich ihrem moralischen Selbstverständnis entspricht. Sie meinen damit die Kirche? Nicht nur die Kirche, oder nicht nur die römisch-katholische – es gibt ja auch die evangelische und viele weitere Glaubensgemeinschaften.


TEXT: Johannes Reichl | Foto: Nadja Meister

Und die Solidarität der Bevölkerung? Diesbezüglich hat die Politik ihre Wähler wahnsinnig unterschätzt. So viele Privatpersonen, auch Unternehmen helfen, dass es hierfür schon wieder eines eigenen Managements bedürfte, um alles gut zu koordinieren. So viele spenden, und damit meine ich nicht nur Geld, sondern auch Sachspenden und ehrenamtliche Leistungen. Es sind so viele, die Gutes tun – wahrgenommen werden aber leider immer nur jene, die am lautesten dagegen schreien. Und dann gibt es noch jene, die eigenen Wohnraum zur Verfügung stellen – fallen die auch in Ihren Aufgabenbereich? Da sind wir im Zuge der Wohnungsberatung „nur“ Vermittler zwischen Asylwerber und Anbieter, helfen bei Mietverträgen, Rahmenbedingungen etc. Meine Kollegen sind kaum erreichbar, weil sie ununterbrochen am Telefon hängen, weil so viele Personen Wohnraum anbieten. Dass man bereit ist, jemand Wildfremdem – und das ist ja vom Gedanken her egal, ob das jetzt ein Österreicher oder z.B. ein Syrer ist – ein Zimmer in den eigenen vier Wänden zu geben, oder eine Wohnung im selben Haus, man also wirklich unter dem selben Dach wohnt, das ist schon beeindruckend! Und dies noch dazu zu ganz geringen Mieten, weil sich die Asylwerber ja nicht mehr leisten können. Das zeugt von großer Menschlichkeit und Solidarität. Zudem hat es den Vorteil, dass der Asylwerber nach einem positiven Bescheid nicht innerhalb von vier Monaten die Unterkunft verlassen muss wie im Falle organisierter Quartiere. Das heißt, er muss eine normale Wohnung finden. Das ist eine große, mit Stress und Druck verbundene Herausforderung, diese Menschen unterzubringen. Für einzelne ist es noch leichter ein Zimmer zu finden, aber für eine ganze Familie ist es extrem schwer, sich am freien Markt eine Wohnung zu leisten. Für Personen mit subsidiärem Schutz in Niederösterreich und St. Pölten noch schwieriger, weil sie zwar Anspruch auf Mindestsicherung haben, aber nicht auf Leistungen wie Unterstützung bei der Kaution, bei Maklerprovisionen, bei der Wohnungseinrichtung etc., wie sie anerkannte Flüchtlinge und Inländer bekommen. In Wien etwa erhalten sie auch diese Unterstützung. Wie beurteilen Sie das Durchgriffsrecht des Bundes? Es ist gescheiter als nichts, wenngleich der einmal gewälzte Ansatz, die Bezirksverwaltungsebene einzubinden, die nicht ständig auf Wähler schielen muss, sinnvoller gewesen wäre. Das ist aber leider am Widerstand manch Landeshauptmannes gescheitert. Prinzipiell bin ich gespannt, wie das Durchgriffsrecht umgesetzt wird. Es hat zumindest schon jetzt einen gewissen Druck bei säumigen Gemeinden ausgelöst, dass vereinzelt Bürgermeister jetzt doch aktiv werden, um nicht als jemand abgestempelt zu werden, der nichts beigetragen hat.

gung aufgestellt, wie ist das Zusammenleben? Wir haben in der Region 30 Wohnungen, alleine in St. Pölten 20. Wir Mitarbeiter haben Rufbereitschaft – d.h. es gibt eine Hotline, welche sowohl die Bewohner als auch die Anrainer jederzeit anrufen können. Nur, es gibt so gut wie nie Anrufe! Das deute ich schon als eindeutiges Indiz dafür, dass das Zusammenleben funktioniert. Oft bekommen die Nachbarn ja nicht einmal mit, dass Asylwerber untergebracht sind, oder wir hören im Nachhinein: Die waren aber sehr nett, oder – das klassische Klischee, das aber eben keines ist, sondern tatsächlich passiert – eine alte Dame, die erzählt, dass ihr der nette junge Ausländer die Einkaufstasche hinaufgetragen hat. Klar ist, dass diese Form der Unterbringung in Wohnungen die beste und normalste für alle ist, und jeder Form von Massenquartier vorzuziehen. Sind die von Ihnen angesprochenen 20 Wohnungen in der Hauptstadt genug? Ich verstehe den Standpunkt, dass man sagt, wir übererfüllen die Quote bereits – jetzt sollen auch die anderen einmal ihren Beitrag leisten. Aber mein Appell wäre trotzdem, dass man vielleicht noch weitere Plätze in St. Pölten schafft. Die Hauptstadt mit ihren über 50.000 Einwohnern würde das vertragen, ich denke da vielleicht an 50, 100 Plätze zusätzlich. Wir haben diesbezüglich ganz konkrete Wohnungsangebote auf dem Tisch liegen – man bräuchte nur ja sagen.

Aufgaben der Diakonie im ASYLBereich Nö Gesundheit: Psychotherapie für Asylwerber & Flüchtlinge. „Hier haben wir Wartezeiten bis zu einem Jahr!“

Beratung: Sozial- & Rechtsberatung – fixe Stelle in Traiskirchen und St. Pölten. Weiters mobile Beratung für Niederösterreich West mit Sitz in St. Pölten sowie neu in Amstetten für alle in der Grundversorgung. Alle zwei Wochen werden alle organisierten Quartiere angefahren. Problem: Personen in Privatquartieren werden nicht besucht, sie können theoretisch zwar nach St. Pölten oder Amstetten „aber das ist oft aufgrund der Anfahrtskosten und des langen Weges mit den Öffis für diese Personen nicht bewältigbar.“ Wohnungsberatung & -vermittlung.

Integration: IBZ – Integration & Bildungs Zentrum (in St. Pölten), Hauptschullabschlusskurse; Startwohnungen für anerkannte Flüchtlinge – wird über die Mindestsicherung finanziert; begleitende Integrationsmaßnahmen mit dem Ziel, rasch eigenen Beruf und eigene Wohnung zu finden. „Riesige Warteliste bei Wohnungen.“ Deutschkurse, „permanente Warteliste.“ Buddyprojekt – Begleitung durch Ehrenamtliche.

Unterbringung & Betreuung: Für Menschen in der Grundsicherung. Aktuell auch Suche & Adaptierung geeigneter Objekte. Zudem, „das sind unsere Sorgenkinder“, Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen sowie von Menschen mit erhöhtem Versorgungsbedarf, also mit physischen und v.a. auch psychischen Einschränkungen. In beiden Fällen ist die Nachfrage groß, es gibt aber zu wenig Plätze und solche können auch schwer geschaffen werden, weil die Anforderungen an die Einrichtungen (24 Stundenbetrieb, qualifiziertes Personal etc.) hoch sind. „Schön wären angemessene Tagessätze, wenn die Politik verstehen würde, dass wir diese Probleme nur gemeinsam in den Griff bekommen.“

Wie ist die Diakonie in St. Pölten in Sachen UnterbrinMFG 09.15

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Herbergssuche 2015 Die Unterbringung von Kriegsflüchtlingen in Österreich schlägt medial seit Monaten Wogen. Speziell die Gemeinden geraten dabei häufig ins Kreuzfeuer. Quotenregelungen werden diskutiert und der Nationalrat setzt mit dem geplanten Durchgriffsrecht auf Bundesimmobilien, über die Köpfe von Ortskaisern und Landesfürsten hinweg, ein verfassungsrechtliches Novum. Wie reagieren die St. Pöltner Kommunen auf diesen Zwang zur Solidarität? 6 5

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syl scheint in Österreich ein sensibles Thema zu sein. Kompetenzen werden konsequent ab- und weitergeschoben, mit unverbindlichen Quotenregelungen will man Gemeinden zum Einlenken bringen. Weitgehenden Konsens gibt es bis dato nur in der Feststellung, dass kleine, dezentrale Unterbringung von Kriegsflüchtlingen besser sei als in Massenlagern. Traiskirchen erfüllt dabei vor allem in den letzten Wochen die Rolle des Schreckensbildes, das besorgte Bürger gegen Asylheime im Umland des eigenen Zuhauses Sturm laufen lässt. Von den vielen Menschen die dahingegen in leerstehenden Hotels, Pfarrhöfen oder Wohnungen untergebracht sind, hört man relativ wenig. Wir haben die 37 Bürgermeister und zwei Bürgermeisterinnen des Bezirks St. Pölten Land kontaktiert, um uns über die aktuelle Situation in den Gemeinden zu informieren. Immerhin sechzehn nahmen dies zum 24

AUFTEILUNG. Zahl der Personen in der Grundversorgung des Landes Niederösterreich, Bezirk St. Pölten Stadt und Bezirk St. Pölten Land nach Gemeinde, Stand 1. September 2015.

Anlass Stellung zu nehmen, die restlichen 23 blieben eine Antwort schuldig. Dabei fällt auf, dass das viel diskutierte Durchgriffsrecht des Bundes bei weitem positiver aufgenommen wird als öffentlich vermittelt. Josef Denk, Bürgermeister der Gemeinde Kasten bei Böheimkirchen sieht die Maßnahme als „durchaus OK“ an und fügt hinzu: „Ich hoffe, dass damit der Kompetenz-Hick-Hack zwischen Bund und Ländern endlich erledigt ist!“ Andere stoßen ins selbe Horn und sehen in der Übereinkunft einen notwendigen Schritt – gerechtfertigt vor allem durch die derzeit herrschende Ausnahmesituation. Doch auch vorsichtig kritische Stimmen melden sich zu Wort. Hafnerbachs Bürgermeister Stefan Gratzl mahnt unter anderem zur Rücksichtnahme: „Ich verstehe die Beweggründe des Bundes, ein derartiges Durchgriffsrecht zu


TEXT: Sascha Harold | Fotos: Hermann Rauschmayr, Diözese St. Pölten, ZVG

beschließen. Als Bürgermeister einer kleineren Gemeinde ist es mir aber besonders wichtig, dass hier trotzdem nicht über die Gemeinden hinweggefahren wird.“ Ein anderer meint, dass das Ziel die Maßnahme zu rechtfertigen scheine, es aber dahingestellt bleibt, ob eine anlassbezogene Änderung der Verfassung der einzig gangbare Weg sei. Zum Durchgriffsrecht des Bundes ab Oktober, so es denn wirklich umgesetzt wird, bleibt jedenfalls festzuhalten, dass die Meinungen der meisten Bürgermeister wohl auch deshalb so wohlwollend ausfallen, weil in vielen Gemeinden gar keine entsprechenden Bundesimmobilien zur Verfügung stehen. Der schwarze Peter Fast zwei Drittel aller österreichischen Gemeinden nehmen nach wie vor keine Asylwerber auf. In Niederösterreich gibt es zwar eine theoretische Quote von zwei Prozent, in der Praxis wird sie allerdings nur selten eingehalten. Auch viele Bürgermeister halten sich eher bedeckt, wenn es um die Aufnahme von Asylwerbern geht, es gibt entweder keine Rückmeldung oder nur einen kurzen Verweis auf die Sensibilität des „schwierigen Themas“. Einige zeigen zwar grundsätzlich Bereitschaft zur Solidarität, verweisen aber auf die fehlenden Gebäude in der Gemeinde. „Bei uns ist derzeit niemand untergebracht, die Gemeinde verfügt derzeit auch nicht über leerstehende Immobilien. Sollte die verbindliche Quote kommen, werden wir uns aber etwas einfallen lassen“, so etwa Perschlings Ortschef Reinhard Breitner. Die Gemeinde würde Privatinitiativen natürlich unterstützen, derzeit seien ihm aber keine Bürger bekannt, die Flüchtlinge bei sich aufnehmen würden. Das Klima in der Gemeinde sieht er von Kritik geprägt, viele fragen sich, wieso gerade sie sich einsetzen müssten. Dass Kritik auch schnell in strafrechtlich relevante Äußerungen abgleiten kann, davon weiß der Gerersdorfer Bürgermeister Herbert Wandl ein Lied zu singen: „Was mir in dieser Situation der oft extremen Hetze, mittlerweile nicht mehr ausschließlich gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen Politiker, besonders weh tut, ist, dass hier die Politik nicht geschlossen auftritt, das Problem beim Namen zu nennen und gemeinsam Lösungen zu präsentieren.“ Gerersdorf selber nimmt aufgrund fehlender Räumlichkeiten niemanden auf, in einer St. Pöltner Wohnung, die einem Familienmitglied des Bürgermeisters gehört, ist allerdings derzeit eine Familie untergebracht. Die Hetze, von der Wandl spricht, tritt dabei fast ausschließlich online über soziale Netzwerke wie Facebook zutage. Aus der Gemeinde sei niemand direkt an ihn herangetreten, Kritik an der Politik gebe es natürlich, Untergriffigkeiten, die sich vereinzelt zu Morddrohungen und Todeswünschen steigern, seien aber vornehmlich online zu finden. Dass es bei umsichtiger Politik auch anders geht zeigen die Positivbeispiele in Eichgraben (siehe Seite 32) oder jüngst auch Ober-Grafendorf (siehe Seite 48). Dort werden bald 15 Asylwerber fix sowie zusätzlich Akutfälle im ehemaligen Postgebäude untergebracht werden. Nötig sind

der Fremde soll euch wie ein Einheimischer GELTEN

Interview DiöZesanbischof Klaus Küng Zunächst würde mich die grundsätz­ liche Haltung der Kirche bezüglich Unterbringung von Flüchtlingen inte­ ressieren, und ihr Beitrag dazu? Asyl ist ein Menschenrecht, das auch in der Bibel begründet ist. Schon im Alten Testament heißt es: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ Auch Jesus selbst sagt uns, dass wir Fremde und Obdachlose aufnehmen sollen. Die Kirche kommt diesem Auftrag nach, und auch in der Diözese St. Pölten bemühen wir uns nach Kräften, unseren Beitrag zu leisten und betreuen schon lange Flüchtlinge. Als die Krise im vergangenen Jahr akut wurde, habe ich mich von Anfang an dieser wichtigen Angelegenheit angenommen und alle Pfarren dazu aufgefordert, Asylwerber aufzunehmen. Alles geschah und geschieht im engen Kontakt mit der Caritas, die für uns in diesem Bereich erstverantwortlich ist. Die Caritas ist auch der diözesane Ansprechpartner für das Land Niederösterreich und die anderen zuständigen Einrichtungen. In den Pfarren haben sie sehr gut reagiert. Die Diözese St. Pölten hilft bis jetzt auf zweierlei Art: Einerseits werden Unterkünfte zur Verfügung gestellt – sowohl eigene Gebäude als auch angemietete Wohnungen – andererseits werden Flüchtlinge betreut und begleitet.

Viele Pfarren zeigen sich aktiv, Beispiele sind Nussdorf oder Waid­ hofen/Ybbs, um nur zwei zu nennen. Es gibt aber auch Stimmen, die fordern, dass sich der Bischof selbst stärker einbringen soll, um für zusätzlichen Druck zu sorgen. Wie sehen Sie das? Wie gesagt, ich war von Anfang an derjenige, der gedrängt hat, weder die Politik noch andere zu beschuldigen, sondern konstruktiv mitzutun. Als Bischof bin ich viel in der Diözese unterwegs und konnte so eine ganze Reihe von Pfarren animieren, Asylwerber aufzunehmen. Wahr ist, dass ich in den letzten Monaten seltener Stellungnahmen in den Medien abgegeben habe, weil ich den Eindruck hatte, dass schon genug geredet wird. Das bedeutet aber nicht, dass es mir nicht wichtig ist. In nächster Zeit werde ich einen weiteren Brief an die Pfarren schicken, weil ich für den Einsatz vieler, ganz besonders der Caritas, sehr dankbar bin, aber angesichts der letzten Entwicklungen besteht sicher die Notwendigkeit, zu weiterem Einsatz zu motivieren. Kann eine Pfarre eigenständig Quartiere zur Verfügung stellen oder ist dazu die Koordination mit der Diözese notwendig? In jeder Diözese – auch bei uns – wurde ein Flüchtlingskoordinator eingesetzt, der sich um die Bereitstellung von Flüchtlingsquartieren kümmert. Es ist seine Aufgabe, in Zusammenarbeit mit den Pfarren, der Caritas und den zuständigen Einrichtungen von Land und Bund den baulichen und infrastrukturellen Zustand von Objekten zu beurteilen sowie die organisatorischen und rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Eine auf St. Pölten bezogene Frage ist der Umgang mit dem Alum­ nat. Gäbe es dort nicht leerstehende Räume für Unterkünfte? Wir haben schon darüber nachgedacht, aber in diesem Gebäude befindet sich die Philosophisch-Theologische Hochschule und es wird auch für andere Zwecke genutzt. Derzeit sind z.B. dort die älteren Kinder der Kinderbibelwoche untergebracht, es gibt verschiedene Fortbildungen, Pfarrgemeinderatsklausuren usw. Es ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.

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ALUMNAT ST. PÖLTEN. In den letzten Wochen machte der Gedanke einer Unterbringung von Asylwerbern im Alumnat in der Wiener Straße die Runde. Bischof Klaus Küng bestätigt, dass darüber auch innerkirchlich bereits nachgedacht wurde: „Es ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.“

dafür neben leerstehenden Immobilien natürlich auch eine breite Einbindung der Bevölkerung. Das versucht derzeit auch das Prinzersdorfer Gemeindeoberhaupt Rudolf Schütz. Mit einem offenen Brief in der Gemeindezeitung versucht er für Solidarität und Verständnis in der Bevölkerung zu werben. „Derzeit sind bei uns dreizehn Personen untergebracht, jeweils in Einzelquartieren. Wir versuchen derzeit einfach ganz nüchtern die Ist-Situation zu beschreiben, die Bevölkerung weiß vielfach gar nicht, dass bei uns Flüchtlinge in der Gemeinde leben, es fällt in dieser Form auch nicht auf.“ Schütz ist außerdem zuversichtlich, dass sich nach weiteren Informationskampagnen auch noch Privatpersonen finden werden, die zusätzlichen Raum zur Verfügung stellen oder andere integrationspolitische Aufgaben wie das Anbieten von Deutschkursen übernehmen. Die Solidarität im Kleinstverbund ist es auch, die in Niederösterreich am reibungslosesten funktioniert. Wo die Bevölkerung eingebunden ist, zeigt sich, dass Kritik zurückgeht und häufig in Hilfsbereitschaft umschlägt. Auch die Kirche hilft Gerade im ländlichen Raum spielen auch kirchliche Or26

ganisationen eine große Rolle in der Unterbringung und Versorgung von Kriegsflüchtlingen. Einerseits ist da ihr moralischer Anspruch, der die Aufnahme von Asylwerbern auch durch die christliche Nächstenliebe begründet sieht, pragmatischer ist außerdem die Tatsache, dass die katholische Kirche in Österreich noch immer zu den größten Grundbesitzern des Landes zählt. Darunter auch viele nicht (mehr) genutzte Pfarrhöfe und andere Formen von Unterkünften. So verwundert auch nicht, dass die Caritas der Diözese St. Pölten schon letzten November in einer Presseaussendung an die Hilfsbereitschaft der Pfarren appellierte. Durchaus mit Erfolg, denn derzeit werden von etwa 30 pfarrlichen Gruppen in der Diözese St. Pölten etwa 250, vorwiegend Asylberechtigte betreut. Darüber hinaus sind rund 15 Pfarren in der Unterstützung von knapp 300 Asylwerbern in Quartieren der Grundversorgung aktiv. Dennoch wird in der Öffentlichkeit zusehends Kritik laut, dass sich die Kirche bislang zu wenig engagiere – ein Vorwurf, den Bischof Klaus Küng (siehe Interview) zurückweist. Nunmehr sollen weitere Pfarren animiert werden zu helfen. Die Pfarre Hafnerbach ist einer dieser möglichen


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neuen Quartiergeber. Bereits vor einigen Wochen wurde mit der Diakonie Kontakt aufgenommen, eine frei gewordene Wohnung im Pfarrheim soll ab 1. Oktober einer Flüchtlingsfamilie als Unterkunft dienen. Für Pfarrer Christoph Heibler eine Selbstverständlichkeit: „Die Kirche hat insofern eine wichtige Rolle, weil sie hohe ethische Grundsätze vertritt und durch die Caritas unabhängig von Familienstand, Religionszugehörigkeit oder Hautfarbe hilft.” Nachdem sich die Situation in den letzten Monaten dramatisch zugespitzt hat, sei es auch notwendig neue Wege zu gehen. Auch die Gemeinde Hafnerbach steht der Pfarre zur Seite und unterstützt das Ansinnen voll und ganz. „Ich selbst unterstütze diese Initiative und wir haben bei diesem Gespräch abgestimmt, inwieweit die Gemeinde hier einen Unterstützungsbeitrag leisten kann“, zeigt sich Bürgermeister Gratzl zuversichtlich. Betrachtet man die zahlreichen kommunalen Projekte, die von Gemeindebürgern, Bürgermeistern oder Pfarren initiiert wurden, dann zeigt sich, dass dort, wo sachlich argumentiert und überlegt gehandelt wird, Lösungen zum Vorteil aller möglich sind. Rückt man von der Vorstellung großer Asylheime als dem einzigen Lösungsweg ab, können die Gemeinden, Mut und Entschlossenheit vorausgesetzt, von den Buhmännern zu den Helden der aktuellen Krise avancieren.

BGM STadler: „Asyl ist keine Wohltat!“ Schon im letzten MFG-Interview (Juni 2015) stellte St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler unmissverständlich klar: „Nach meiner Ansicht ist Asyl keine Dienstleistung, keine Wohlfahrt oder kein Zugeständnis, sondern ganz einfach ein Menschenrecht, und diese Menschenrechte sind für mich Verpflichtung.“ Kein Lippenbekenntnis, sondern Faktum. So waren in der Landeshauptstadt per 1. September 737 Asylwerber in der Grundsicherung untergebracht, womit man die Quote „übererfüllt“. Was sich die mit der Materie betrauten Magistratsstellen freilich wünschen, wäre eine bessere Koordination der involvierten Stellen, wie ein Mitarbeiter einbringt. „Es gibt keine Schnittstelle zwischen den verschiedenen Protagonisten, viel zu wenig Information. Wir erfahren oft erst ganz kurzfristig, wenn etwa neue Asylwerber in einer Wohnung untergebracht werden. Die Stadt könnte aber viel schneller behilflich sein – etwa wenn es im nächsten Schritt um Deutschkurse, Kindergartenplätze u.ä. geht – wenn wir vorab informiert würden.“ Ein Umstand, den Landesrat Maurice Androsch in Hinkunft verbessern möchte, wie er im MFG-Interview ausführt (siehe S. 18). Als am 6. September die kurzfristige Unterbringung von Asylwerbern in der Hesserkaserne ins Auge gefasst wurde, standen nicht nur das Militärkommando NÖ und die Rettungsorganisation Gewähr bei Fuß, sondern auch Stadler signalisierte diesbezüglich im NÖN-Interview Solidarität. „In Notfällen hätte die Stadt kurzfristige Quartiere.“ Aufhorchen hat der St. Pöltner Bürgermeister auch als Landesparteivorsitzender der SP NÖ lassen. Diese sammelt nun Spenden, um angebotene Quartiere fit für die Unterbringung zu machen. „Zuschauen, Schuld zuweisen, all diese Dinge stinken mir wirklich zum Himmel!“

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Wir sind eine Art Kavallerie

Von der Öffentlichkeit kaum bewusst wahrgenommen, steht die Polizei in Sachen Asyl an allervorderster Stelle, sowohl im Hinblick auf Erstbefragung als auch Erstversorgung der Asylwerber. Wir sprachen mit Oberst Markus Haindl von der Landespolizeidirektion Niederösterreich über die Arbeit der Kollegen, den Kampf gegen Schlepper und die neue „Schwerpunkt Dienststelle Asyl“ in St. Pölten. Die quer durch Niederösterreich läuft. Österreich ist auf dieser Strecke ein Transitland. Ausgangspunkt ist oft die Türkei, bei uns läuft die Route dann über Burgenland, Wien, Niederösterreich, wobei zuletzt neuralgische Punkte etwa Alland, Mödling oder Amstetten waren. Die Aufgriffe von überfüllten Schlepperfahrzeugen, zuletzt das Drama mit 71 Toten, schockieren uns alle. Wie sieht ihr Kampf konkret gegen Schlepperei aus, wie und wo findet man Verdächtige überhaupt raus? Das ist natürlich eine große Herausforderung, wobei Schlepper primär das hochrangige Straßennetz nutzen, also Autobahnen, Schnellstraßen – Aufgriffe abseits davon sind selten, wenngleich sie natürlich vorkommen wie zuletzt fünf Personen in Neuhofen/Ybbs. Zumeist sind Schlepperautos typische Klein-LKWs, Kastenwägen, die oft unnatürlich beladen wirken – etwa wenn es hinten stärker runterhängt, das ist verdächtig. Natürlich versuchen wir, so gut es geht, zu kontrollieren, wobei ich nicht behaupten möchte, dass dies flächendeckend gelingen kann.

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„Hinter jedem Mensch steckt ein persönliches Schicksal, und das macht betroffen.“

Können Sie sich an eine derartige Situation schon einmal erinnern bzw. was ist neu daran? Prinzipiell muss man sagen, dass uns Asylanträge, Fremdenwesen oder Schlepperei nichts Fremdes sind. Historisch betrachtet war Niederösterreich als Schengen-Außengrenze jahrelang mit einer Grenze von fast 480 Kilometer konfrontiert. Erst mit der Schengen-Osterweiterung 2007 hat sich diese Dimension deutlich verringert, wobei schon damals – wie heute – die Schleierfahndung, also die Fahndung im grenznahen Hinterland im Vordergrund stand. Im letzten Jahr hat sich die Situation dann freilich verändert, die Zahlen sind stark angestiegen. Niederösterreich ist da voll im Fokus, weil die Schlepper sehr stark die Westbalkanroute bespielen. 28

Und wer sind die Schlepper – wo kommen die her? Serbien, Ungarn, Rumänien, das sind aktuell die führenden Nationen im Schleppereiwesen. Wobei die bei uns aufgegriffenen Schlepper zumeist das letzte Glied der Kette darstellen. Es gibt da prinzipiell kein homogenes Bild. Man findet „kleine“ Schlepper, die sich sozusagen etwas dazu verdienen möchten, ebenso wie – was freilich den Großteil ausmacht – organisierte Kriminalität, wo die Mafia oder einzelne Familien dahinterstecken. Organisiert heißt nichts weiter, als dass es eine klare Arbeitsteilung gibt mit dem einzigen Ziel Gewinne zu machen. Diese Köpfe dahinter zu schnappen, ist die eigentliche große Herausforderung, wenngleich es dennoch wichtig ist, auch die kleinen Fische abzuurteilen und zu bestrafen, um möglicherweise auch auf dieser Ebene Abschreckung zu schaffen. Wie kann man sich das jetzt vorstellen, wenn Sie Asylwerber aufgreifen – welche Personen sind das? Aktuell sind es zumeist Syrer, Iraker, Afghanen, schon mit Abstand Somalier, die wir großteils aufgreifen. Kurzum Menschen, die aus Kriegsregionen fliehen, aus Staaten, die zerfallen sind oder gerade im Begriff sind zu zerfallen – da ist die Flucht nicht unlogisch. Das Ziel der Asylwerber ist dabei meist gar nicht Österreich, sondern sie wollen – wie in den Einvernahmen am häufigsten angegeben wird – eigentlich weiter nach Skandinavien oder nach Deutschland. Die Aufgegriffenen sind in den meisten Fällen ruhig, re-


TEXT: johannes reichl | Fotos: ZVG, BMI, Grafik/STATIStiK: QUELLE BUNDESKRIMINALAMT

AUFGRIFFE JE BUNDESLAND 2014

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GESCHLEPPTE SCHLEPPER RECHTSWIDRIG EINGEREISTE ODER AUFHÄLTIGE PERSONEN

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spektvoll. Oft haben wir auch den Eindruck, dass sie sogar froh sind, dass die Polizei sie aufnimmt und versorgt, sich jemand um sie kümmert – meistens wissen Sie ja nicht einmal, wo sie gerade sind. Allererste Priorität ist dann, sie sicher von der Autobahn zu bringen, weil sich dort natürlich aufgrund des Verkehrs gefährliche Situation ergeben. Ab diesem Aufgriff ist die Polizei als Erstversorger zuständig. Wie geht’s dann weiter? Prinzipiell erfolgt eine erste Versorgung in der Dienststelle. Das ist aber oft eine logistische Herausforderung, insbesondere wenn es große Aufgriffe gibt – vor kurzem hatten wir etwa in Melk 80 Asylwerber. Diese Herausforderung ist nur dank des niederösterreichischen Roten Kreuzes bewältigbar, mit dem wir gut zusammenarbeiten, und das dann z.B. kurzfristig eine Garage als Unterkunft umfunktioniert und mit Verpflegung und Kleidung hilft. Ebenso unterstützt uns die ASFINAG – wir nutzen zum Beispiel auch Verkehrskontrollplätze, Liegenschaften also, die eigentlich nicht für derlei Funktionen vorgesehen sind, aber es sind wenigstens feste Unterkünfte. Diese Hilfe ist wichtig für die Menschen, die oft völlig erschöpft bei uns stranden. In weiterer Folge erfolgt die Aufnahme der Daten. Die Aufgegriffenen werden bis zu 48 Stunden angehalten, wobei – das sei betont – sie keine Kriminellen sind. Es erfolgt in dieser Zeit neben der Erstversorgung die offizielle Befragung, weiters die Erfassung in der IFA (Integrierten Fremdenpolizeilichen Administration) sowie die Abnahme von Fingerabdrücken, weil dies das einzige Mittel ist festzustellen, ob sie möglicherweise auch schon anderswo einen Asylantrag gestellt haben. Nach spätestens 48 Stunden, meistens früher, kommen sie in ein Verteilerzentrum. Diese ersten Schritte gehen in Niederösterreich nunmehr in vier Asyl-Kompetenz-Zentren vonstatten. Eines davon ist in St. Pölten situiert, was nach Bekanntwerden der Pläne sofort die FPÖ auf den Plan rief, die vor einem zweiten Traiskirchen warnte.

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Also zunächst ist festzustellen, dass die „Schwerpunkt Dienststelle Asyl“, wie es heißt, bereits seit Juli in St. Pölten in Betrieb ist ohne irgendwelche Schwierigkeiten. Wir haben dort zehn Bedienstete im Einsatz, angehalten können dort pro Tag bis zu 20 Personen werden. In dieser Größenordnung bewegt sich das. In Niederösterreich wurden, den relevanten Regionen entsprechend, vier solcher Einrichtungen geschaffen: Marchegg, Bad Deutsch-Altenburg, Schwechat und eben St. Pölten, weil hier vor allem die Westautobahn einen Faktor spielt. Zudem ist in der ehemaligen Bundespolizeidirektion eine gute Infrastruktur gegeben, um menschenwürdige Bedingungen für diese ersten Stunden nach dem Aufgriff zu gewährleisten. Durch die nunmehrigen Schwerpunktzentren soll vor allem eine weitere Professionalisierung und Beschleunigung erreicht werden, denn wer die Befragungen jeden Tag durchführt, ist routinierter und schneller als ein Kollege, der nur selten damit zu tun hat. Das heißt, von kolportierten Traiskirchen-Verhältnissen keine Spur. Wie geht die Polizei mit derlei Behauptungen, die ja vielfach herumkursieren, um? Am allermeisten machen uns politisch motivierte Diskussionen zu schaffen, die mit „Argumentationen“ arbeiten,

Aus dem Schlepperbericht 2014, Bundeskriminalamt: „Im Jahr 2014 wurden insgesamt 34.070 Personen aufgegriffen. Das bedeutet im Vergleich zu 2013 (27.486 Personen) eine Steigerung von 24 Prozent. Die Zahl der Schlepper stieg von 352 (2013) auf 511 (2014) und die Zahl der geschleppten Personen stieg von 12.323 (2013) auf 20.768 (2014). Bei der Zahl der rechtswidrig Eingereisten oder Aufhältigen gab es einen Rückgang von 14.811 (2013) auf 12.791 (2014).“ „Die meisten Schlepper waren ungarische Staatsbürger (64) gefolgt von Staatsangehörigen aus Serbien (56), Syrien (34) und Kosovo (34). Die meisten geschleppten Personen kamen aus Syrien (6.510, 2013: 1.951), Afghanistan (4.069, 2013: 1.632), Kosovo (1.429, 2013: 690), Irak (925, 2013: 256) und der Russischen Föderation (897, 2013: 1.661).“

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Wir sind eine Art Kavallerie

Was die Schlepper verlangen „Von Syrien nach Österreich und weiter: zwischen 8.000 und 12.000 Euro pro Person oder pro Familie zwischen 30.000 und 40.000 Euro. Von der Türkei nach Österreich und weiter: zwischen 6.000 und 10.000 Euro pro Person. Von Griechenland nach Österreich und weiter: zwischen 3.000 und 5.000 Euro pro Person. Von Libyen nach Italien per Schiff: rund 4.000 Euro pro Person unter Deck (sehr gefährlich!) oder rund 6.000 Euro auf dem Deck. Von Serbien nach Österreich: zwischen 700 und 1.200 Euro pro Person. Als Grundsatz gilt: „Je schneller und komfortabler die Schleppung durchgeführt wird, desto teurer ist sie. Je länger die Schleppung dauert und je mühevoller sie ist, desto billiger ist sie.“

die fern jeder faktischen Grundlage sind. Wir bemühen uns deshalb jetzt verstärkt in der Öffentlichkeit auch über Aufgriffe zu kommunizieren. Prinzipiell muss man aber festhalten, dass die Rolle der Polizei in diesem Getriebe eine untergeordnete ist. Unsere Aufgabe ist es als eine Art Kavallerie auszurücken und beim ersten Kontakt da zu sein, zu helfen. Die grundsätzliche Problemstellung der Asylfrage liegt aber auf einer übergeordneten Ebene – das wird die Polizei nicht lösen können. Unsere Aufgabe ist es, die Symptome so weit wie möglich zu lindern. Um noch kurz bei Traiskirchen zu bleiben – im Grunde genommen ist man verblüfft, dass die Situation dort bei so vielen Menschen auf engem Raum noch nicht eskaliert ist. Was bedeutet das für die Polizeiarbeit? Natürlich sind wir immer wieder gefordert, etwa als im Juli in Traiskirchen die Kundgebung stattfand. Und auch im Erstaufnahmezentrum selbst – es waren dort zu Spitzen ja fast 5.000 Leute untergebracht, die vielfach aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen und dort auf engstem Raum zusammenleben müssen – kann sich natürlich leichter eine gefährliche Dynamik entwickeln. Ein Faktor ist zudem, dass dort sehr viele junge Männer untergebracht sind, die mangels vernünftiger Beschäftigungsmöglichkeiten dann halt bisweilen auch untereinander Probleme haben. Da bedarf es seitens der Polizei sehr viel Fingerspitzengefühls, und das machen die Kollegen wirklich vorbildlich. Grundsätzlich ist das Einvernehmen zwischen den Menschen vor Ort und der Polizei aber ein sehr gutes und respektvolles. Und auch wenn die Situation für die Beamten oft belastend ist, weil es einfach betroffen macht, so viele Menschen, die oft sehr verzweifelt wirken, in einer solch schwierigen Situation zu erleben, so wissen die Kollegen doch, dass ihr Einsatz Sinn macht, es primär darum geht, Menschen zu schützen und für ihre Sicherheit zu sorgen. Es muss aber sehr belastend sein, wenn man etwa auf der Autobahn ausgesetzte Asylwerber aufgreift oder in einem LKW 71 erstickte Menschen findet.

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UNAUFGEREGT. Seit Juli läuft – praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit – der Betrieb der „Schwerpunkt Dienststelle Asyl“ in St. Pölten.

Das ist natürlich sehr belastend, vor allem wenn auch Frauen und Kinder dabei sind. Viele Kolleginnen und Kollegen sind ja selbst Mütter oder Väter, da kann man sich schon hineindenken, was das alles bedeutet und wie tragisch das ist. Hinter jedem Mensch steckt ein persönliches Schicksal, und das macht betroffen. Gibt es für Kollegen, denen diese Vorfälle besonders zu Herzen gehen, auch Hilfestellung? Jeder Beamte, der ein strukturiertes Gespräch braucht, bekommt das auch. Wir setzen hier zunächst auf Peer-Support, das heißt eigens dafür ausgebildete Mitarbeiter führen diese Gespräche mit ihren Kollegen – das macht es für viele leichter, das in Anspruch zu nehmen, weil sie wissen, der andere weiß, wovon man spricht. Diese Gespräche nehmen Kollegen prinzipiell bei besonders belastenden Vorfällen in Anspruch – etwa auch wenn Schusswaffengebrauch im Spiel war, sie zu schlimmen Unfällen mit tödlichem Ausgang gerufen wurden u.ä. Braucht der Kollege noch tiefgreifendere Hilfe, steht auch psychologische Betreuung zur Verfügung. Reicht eigentlich das Personal aus – und wie wird es in den nächsten Monaten Ihrer Einschätzung nach weitergehen? Die Landespolizeidirektion hat 5.000 Mitarbeiter, man kann uns also schon zutrauen, dass wir auch dicke Bretter bohren können. Das Personal in diesem Bereich ist aber sicher an einem Punkt angelangt, wo die Kapazitäten ausgereizt sind. Da wird man im kommenden Jahr wohl nachjustieren müssen. Für den Herbst stellen wir uns noch auf intensive Monate ein, im Winter wird sich die Situation dann aber – so hoffen wir – entspannen, weil die langjährige Erfahrung zeigt, dass der Zustrom in der kalten Jahreszeit, so banal es klingen mag, mit der Schnee- und Schlechtwetterlage am Balkan abnimmt.

„Niederösterreich ist voll im Fokus, weil die Schlepper sehr stark die Westbalkanroute bespielen.“


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MFG URBAN

Die Bewohner des Sonnenhofs

Im Hotel Sonnenhof in Eichgraben herrscht derzeit Hochkonjunktur. Das hat allerdings weniger mit der touristischen Attraktivität des Wiener Speckgürtels zu tun. Denn seit Dezember sind hier, derzeit 23, Asylwerber untergebracht. Die Initiative Mosaik hat die Fremden willkommen geheißen, organisiert Deutschkurse, sorgt für gesellschaftliche Integration – und machte die Gemeinde so zum Musterbeispiel für Flüchtlingshilfe. Stefan Cech, Verein Wohnen „Wir arbeiten am sozialen Gleichgewicht!“, so prangt es auf der Homepage des „Verein Wohnen“. Dessen Ziel ist die Vermittlung von Wohnungen an Menschen in sozialen Notlagen. Eines der Aufgabengebiete betrifft auch die vorübergehende Unterbringung von Asylwerbern – in Kooperation mit dem Land Niederösterreich. Im Gegensatz zu den großen Erstaufnahmestellen werden die Menschen beim „Verein Wohnen“ in kleinen Wohneinheiten untergebracht und sind selbst für die Verpflegung verantwortlich. Die Unterbringung funktioniert dabei weitgehend frei von Problemen: „In den Gemeinden, wo wir sind, steht eigentlich die ganze Gemeinde dahinter“, erzählt Stefan Cech, Mitarbeiter in der Wohnungsbetreuung über seinen Arbeitsalltag. Die Menschen seien überwiegend zufrieden mit der Unterbringung, weil genügend Platz vorhanden ist und durch die eigene Wohnung ein Stück Selbstständigkeit zurückgegeben werde. Nach Abschluss des Asyl-Verfahrens gewährt eine Übergangsfrist von vier Monaten den Bewohnern Zeit, um nach alternativen Quartieren zu suchen. Nach Ablauf der Frist muss die Wohnung wieder frei gemacht werden.

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m letzten Jahr hat sich die Gemeinde Eichgraben zu einem Musterbeispiel für die Unterbringung und Integration von Asylwerbern entwickelt. In den letzten Monaten kam auch mediale Aufmerksamkeit dazu. So ist Bürgermeister Martin Michalitsch einigermaßen überrascht, dass wir die Aktivitäten der Gemeinde noch nicht kennen. „Eichgraben hat eine lange Tradition der Hilfsbereitschaft, über die letzten Jahrzehnte waren immer wieder Flüchtlinge in der Gemeinde untergebracht.“ Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das 2007 durch den Spielfilm „Der schwarze Löwe“ nähergebracht. Der Film handelt von der Integration dreier Asylwerber in den lokalen Fußballverein und beruht auf wahren Ereignissen – aus der Gemeinde Eichgraben. Vergangenes Jahr wurde die Gemeinde nun wieder aktiv, suchte nach möglichen Quartiergebern und kam mit Isabella Sutter ins Geschäft. Die ehemalige FPÖ Gemeinderätin hat als Betreiberin des Hotels Sonnenhof bereits Erfahrungen mit der Unterbringung von Flüchtlingen. Schon 1968 kamen im Rahmen des Prager Frühlings


TEXT: Sascha Harold | Fotos: Sascha Harold, ZVG

Flüchtlinge aus der ehemaligen Tschechoslowakei in der Gemeinde unter. Die Tradition setzte sich in den 90er Jahren, bedingt durch die Balkan-Kriege, hindurch fort und ist heute angesichts der Kriege im Nahen Osten wieder aktuell. Derzeit sind im Sonnenhof 23 Personen untergebracht, viele davon aus Syrien und dem Irak. Zu einem Großteil handelt es sich dabei um junge, alleinstehende Männer zwischen 20 und 30 Jahren, aber auch ein Paar aus Georgien hat in Eichgraben ein vorläufiges Zuhause gefunden. Während sich Sutter für Kost und Logie verantwortlich zeigt, haben einige Bürger eine Initiative gegründet, die bei der Integration der Bewohner helfen soll. Bereits im Herbst vergangenen Jahres, also noch bevor die ersten Asylwerber aufgenommen wurden, nahm Bürgermeister Michalitsch Kontakt mit einigen Frauen, darunter Sissi Hammerl, die das Nachbargrundstück bewohnt, auf und fragte ob grundsätzlich Bereitschaft bestünde auf freiwilliger Basis Aktivitäten für die Gäste zu organisieren. Hammerl zögerte nicht und so entstand die „Initiative Mosaik“, die seit Dezember auf einen fixen Kern von etwa zehn Personen, überwiegend Frauen, angewachsen ist. Viele sind damit beschäftigt regelmäßig Deutschkurse anzubieten, um so die Grundlage für gesellschaftliche Integration und etwaige Jobsuche nach Abschluss des Asylverfahrens zu legen. Denn etwa ein Drittel der Bewohner im Sonnenhof sind Akademiker, bringen also Qualifikationen mit, die auf dem österreichischen Arbeitsmarkt gebraucht werden könnten. Cecilia Thurner, ebenfalls Mosaik, bringt die Situation auf den Punkt: „Wir haben im Sonnenhof so viele verschiedene Berufsgruppen, es wär schad, wenn die alle Taxi fahren würden.“ Vor Abschluss des Asylverfahrens sind die Tätigkeiten ohnehin begrenzt. Etwa vier Stunden pro Woche arbeiten einige Asylwerber im örtlichen Bauhof mit, der Job ist begehrt, vor allem weil er Abwechslung bringt. Auch sonst bemüht man sich Beschäftigungen zu finden. Die Pächterin eines Reithofes beschäftigt beispielsweise täglich zwei Aslywerber für die Pflege der Pferde im Austausch gegen kostenlosen Reitunterricht. Ein Angebot, das von allen dankend angenommen wird. Auch sonst werden Ausflüge und Veranstaltungen wie Konzerte oder gemeinsames Kochen organisiert, um die Menschen einander näher zu bringen. Die Zimmer im Hotel entsprechen den dafür vorgeschriebenen Standards, Luxus darf man keinen erwarten. Überhaupt sind den Damen der Initiative Mosaik die vielen Gerüchte rund um Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen ein Dorn im Auge. Es werde viel Unwahres gesagt, was die Höhe der Unterstützung angehe, auch in der Gemeinde bemerke man den Neid in Teilen der Bevölkerung. „Wenn die Leute wüssten, wie‘s in der Realtiät ausschaut, ich glaube nicht, dass jemand tauschen wollte“, ist Karin Rotheneder von Mosaik überzeugt.

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„Jeder kann etwas tun!“ Neben organisierten Institutionen zeigt auch die Zivilgesellschaft zunehmend Flagge. Bürger, die kostenlos Deutschunterricht geben, Buddies, die Flüchtlinge bei ihren ersten Schritten in Österreich begleiten, Blaulichtorganisationen, die neben grundlegender Hilfe auch kurzfristig an heißen Sommertagen mit Wasser helfen, eine Parteilandesorganisation, die Geld zur Sanierung von potenziellen Privatquartieren sammelt, ein Pfarrer, der bei ausländerfeindlichen Demos die Kirchenglocke dauerläutet, Menschen, die am Westbahnhof ankommende Asylwerber mit Getränken, Hygieneartikeln oder einfach nur einem symbolischen Willkommensschild in der Hand empfangen, Menschen, die spenden oder selbst zu Spenden aufrufen und so ganz „nebenbei“ auch gleich Sammlung und Transport organisieren – Menschen wie zum Beispiel Hari Gonaus. Bewusst geplant hat er das aber nicht, sondern „das wurde ein Selbstläufer.“ Nachdem Gonaus von den Meldungen aus Traiskirchen erschüttert war, „wollte ich mir selbst ein Bild vorort machen.“ Als er seine Erfahrungen auf seiner Facebook-Site niederschreibt und am Schluss hinweist, dass er nochmals hinfahren wird, „habe ich sofort an die zehn Anfragen von Freunden gekriegt, die gesagt haben, sie wollen auch etwas mitgeben. Da dachte ich, okay, ich mache eine eigene Seite auf!“ Diese nannte er schlicht „St. Pölten hilft Traiskirchen“, „und die ist durch die Decke gegangen.“ Innerhalb kürzester Zeit hatte Gonaus über 1.100 Likes, alle wollten helfen! „Im ersten Moment hab ich durchgeschnauft und gedacht – okay, wie mach ich das jetzt?“ Um all die Spenden unterzubringen, treibt er schließlich – mit Hilfe von Martin Rotheneder und der Stadt – den frei:raum als zwischenzeitiges Lager auf, wohin die Leute ihre Spenden bringen können. „Das war innerhalb kürzester Zeit voll.“ Die Spenden bringt er abermals nach Traiskirchen. „Es war ja so, dass ich nie zur eigentlichen Sammelstelle gekommen bin, sondern – als ich vielleicht 40 Meter davor den Kofferraum aufgemacht habe – schon viele Flüchtlinge Sachen genommen haben, aber alles sehr geordnet und alle sehr freundlich.“ Als man in Traiskirchen nur mehr Hygieneartikel braucht, bestückt Gonaus auch die Diakonie oder den Samariterbund Wien. „Den Rest haben die Grünen abgenommen. Jetzt sind nur mehr gefühlte 1.800 Plüschtiere über“, lacht er, den die Spendenbereitschaft tief beeindruckt hat. „Die Leute können wirklich stolz auf sich sein. Dass man nicht wegschaut, sondern hilft, das sollte die Grundeinstellung sein! Nicht, dass einem alles egal ist oder, noch schlimmer, dass man auf die armen Menschen noch hintritt!“ Von der Politik ist er tief enttäuscht und ortet „ein akutes Versagen. Die schieben sich doch immer nur gegenseitig die Schuld zu. Und wenn sogar ein ehemaliger Politiker wie Erhard Busek annimmt, dass die bevorstehende Wien-Wahl eine Rolle spielt, dann sagt das schon alles. Die Verantwortlichen richten sich nach Wahlen, nicht nach Menschen – das ist der größte Fehler.“ Ebenso wenig versteht Gonaus die fehlende Solidarität auf EUEbene. „Bei Griechenland trafen sich jede Woche die Finanzminister. In der Asylfrage hört man aber nichts von permanenten Innen- und Außenminister-Treffen, da geht nichts weiter.“ Weitergehen wird aber, davon ist er überzeugt, die Ankunft von Flüchtlingen. „Das Ding ist ja nicht vorbei, solange es Krieg gibt! Wir werden daher auch die Facebook-Seite nicht schließen, wo man sich über das Thema austauschen und koordinieren kann.“

„Wenn die Leute wüssten, wie‘s in der Realität ausschaut, ich glaub nicht, dass jemand tauschen wollte.“ Karin Rotheneder MFG 09.15

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MFG URBAN

Wozu braucht St. Pölten die NEOS? Mit ihrem Einzug in den Nationalrat erlebten die NEOS vor zwei Jahren einen Hype. Nun ist man in der mühevollen Realität des Politalltags angekommen. Nach den Wahlkämpfen in Oberösterreich und Wien steht auch eine pragmatische Entscheidung für 2016 an: Braucht St. Pöltens nächstjähriger Gemeinderatswahlkampf überhaupt die NEOS?

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enn es um St. Pölten un die NEOS geht, so ist Wolfgang Grabensteiner der Mann der ersten Stunde. Schon im „Liberalen Forum“ (LIF) war er tätig, bevor dieses nach einer „Beobachterphase“ mit den NEOS fusionierte. „Wir hatten schon damals im LIF gute Leute dabei, der Weg zu NEOS war also nicht selbstverständlich. Wir kannten einen Matthias Strolz oder eine Beate Meinl-Reisinger damals nicht – und wenn doch, dann waren sie ja eigentlich politische Konkurrenten im ÖVP-Umfeld“, schmunzelt Grabensteiner, wenn er auf die letzten Jahre zurückblickt. Auch St. Pölten hat eine liberale Geschichte: Mit dem „Narrnkastl“-Gastronomen Otto Schwarz zog das LIF 1996 in den Gemeinderat ein. Was hat sich seither verändert, was darf sich St. Pölten von den NEOS erwarten? „Wir kommen ohne Promis aus, das wird auch in St. Pölten so sein. NEOS wählt man wegen der Inhalte“, stellt Grabensteiner rasch klar. Nach der

Who’s NEOS? Wolfgang Grabensteiner, Jahrgang 1966, kandidierte bereits bei der Nationalratswahl 2013 für die NEOS. Er ist verheiratet und hat sieben Kinder. Der studierte Theologe und Religionspädagoge war früher für die Diözese St. Pölten und die SOS Kinderdörfer tätig. Als evangelisch-methodistischer Pastor leitete er auch eine Gemeinde, heute ist er nur mehr Prediger. Beruflich entwickelte er sich zum selbständigen Trainer, Coach und Schulungsveranstalter. Seit 1997 leitet er zahlreiche Jugendqualifizierungsprojekte des WIFI-NÖ mit jährlich bis zu 1.500 Teilnehmern.

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Wien-Wahl werden die nächsten Weichen gestellt, die Kandidatenliste wird wohl Anfang 2016 von der niederösterreichischen Landesversammlung beschlossen werden. Rund um Landessprecher und Nationalrat Nikolaus Scherak und Regionalkoordinator Ulrich Mayer, der 2015 in Michelbach mit 15 Prozent in den Gemeinderat gewählt wurde, wird hinter den Kulissen bereits am Wahlkampf gearbeitet. Die üblichen Verdächtigen „Das politische System in St. Pölten ist auch heute noch sehr starr. Hinter dem freundlichen Gesicht des Herrn Stadler verbirgt sich in der zweiten und dritten Reihe der SPÖ noch genug ‚Wir-sind-wir‘-Mentalität. Aber gerade weil wir in den letzten zwanzig Jahren in St. Pölten gewaltige Fortschritte gemacht haben, die Stadler-Ära deutlich besser ist als die Gruber-Ära, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um St. Pölten aus den Strukturen von Vorgestern zu befreien“, gibt Grabensteiner die Leitlinie vor. Was das konkret heißen soll? „Die Entwicklung des Glanzstoffareals ist eine gewaltige Chance, die Gefahr ist aber spürbar, dass wir sie vergeben. Sehen wir uns um: Die üblichen Verdächtigen kommen ja schon zum Vorschein, die roten und schwarzen Wohnbaugenossen. Wir sehen die Gefahr, dass die wirklich Innovativen und Kreativen – Stichwort NDU – nur zur Dekoration eingebunden sind, unserer Meinung nach müssen wir diese Kräfte hingegen wirklich arbeiten lassen. Darauf werden wir Wert legen“, so Grabensteiner.

„Generell soll sich der Gemeinderat konstruktiv und ohne parteipolitische Scheuklappen für die Stadt einsetzen. Ein schönes Negativbeispiel ist die lächerliche Kritik um das TTIP-Handelsabkommen, über das sich der Gemeinderat den Kopf zerbricht: völliger Unfug, reine Beschäftigungstherapie für Gemeinderäte. Hier administriert Stadler die Parteilinie, wahrscheinlich ist er inhaltlich sogar schon weiter, als er zugibt. TTIP ist jedenfalls kein Gemeinderatsthema“, so Grabensteiner. Auch Stadlers „Rollenvermischung“ als St. Pöltner Bürgermeister und Landeschef der SPÖ in Niederösterreich sowie auf SPÖBundesebene kritisiert Grabensteiner. Ein Landeschef solle Landespolitiker sein. Das Argument von Stadler, St. Pölten profitiere von seinen Mehrfachfunktionen, deutet Grabensteiner


TEXT: Michael Müllner | Fotos: Hermann Rauschmayr

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so: „Wäre ich ein SPÖ-Funktionär im Waldviertel, würde mich das aufregen. Wenn St. Pölten tatsächlich so sehr profitiert, dann bestätigt Stadler ja seinen Interessenskonflikt, nur eben in schöne Worte verpackt.“ Ein Korrektiv sein Sollte Grabensteiner als Spitzenkandidat nominiert werden und tatsächlich einziehen, wie würde er die Rolle anlegen? „Man gibt sich keinen Illusionen hin“, so Grabensteiner: „Wenn Stadler möchte, bleibt er so oder so Bürgermeister, das wissen alle. Die Frage ist, ob er weiterhin mit einer absoluten Mehrheit regieren kann – weiterhin im Allmachtsrausch und ohne jede Kontrolle. Oder ob die NEOS sein Korrektiv sein werden. Wir machen sicher keine Fundamentalopposition, wir wollen konstruktiv mitarbeiten und unsere NEOS-

„Gerade weil die Stadler-Ära deutlich besser ist als die Gruber-Ära, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um St. Pölten aus den Strukturen von Vorgestern zu befreien!“

DNA einbringen für eine offene und visionäre Stadtentwicklung. Und wir wissen aus der eigenen Erfahrung im St. Pöltner Gemeinderat, dass auch eine kleine Fraktion oder nur ein engagierter Mandatar sehr viel roten Blödsinn verhindern kann.“ Dass ein Einzug der pinken Truppe tatsächlich an der Mandatsverteilung etwas bewegen und die rote Absolute verhindern kann, lässt sich rasch nachrechnen. Doch damit würde sich auch die Wiener-Neustadt-Option ergeben – alle gegen die SPÖ. Grabensteiner schließt diese Variante dezidiert aus: „Der NEOS-Einzug ist Garant dafür, dass es dieses Modell nicht geben wird. Eine Kooperation mit der FPÖ schließen wir aus.“ Und was würde sich konkret ändern, wenn die NEOS im Gemeinderat sitzen? Auch hier fallen Grabensteiner die großen Leitlinien und

Themen ein, die auch den Wahlkampf befeuern sollen: „Wenn wir die Absolute der SPÖ brechen, brechen wir auch die jahrzehntelangen Seilschaften auf, den Filz bei Auftragsvergaben, die intransparente Stadtpolitik. Wir wollen das System durchleuchten und gewisse Beharrungskräfte – auch im Magistrat – gehörig fordern. Der Gemeinderat muss wieder volle Kontrollmöglichkeiten haben, gerade auch wenn es um die zahlreichen ausgegliederten Gesellschaften geht. Die Forderung, dass Gemeinderatssitzungen natürlich für alle Interessierten übertragen werden dürfen, auch im Internet, hatte schon Otto Schwarz vor Jahren erhoben. Seit Jahren scheitern wir in Österreich damit, die angekündigte Transparenz-Datenbank umzusetzen. Ich frage mich, warum St. Pölten nicht ein Role-Model für eine erMFG 09.15

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Wozu braucht St. Pölten die NEOS?

STOLZE DEPPEN

Michael Müllner

Foto: Alexander Trinitatov - Fotolia.com

Kennen Sie Tatjana? Ohne mit ihr „befreundet“ zu sein, teilt sie uns auf ihrem Facebook-Profil mit, wo sie wohnt, in welche St. Pöltner Hauptschule sie ging und mit wem sie verheiratet ist. Nachdem entgegen ersten Meldungen bekannt wurde, dass doch nicht 170 Kriegsflüchtlinge für eine Nacht in der St. Pöltner Hesserkaserne untergebracht werden, war Tatjana leichter. Öffentlich postete sie: „Gott sei dank :-) Bitte einfach weiterfahren, Österreich bleibt Österreich“. Zig weitere „User“ hätte ich griffbereit. Sind die Menschen gedankenlos und dumm, wenn sie etwa auf Facebook ihren menschenverachtenden Zynismus kundtun? Handelt es sich neben mangelnder Kompetenz im Umgang mit der Sprache auch um ebensolche beim Umgang mit sozialen Medien? Oder bin ich der Freak und lebe in meiner linkslinken Gutenmenschenblase der Lügenpresse? Es ist der Preis einer freien Gesellschaft, dass Menschen auch menschenverachtenden, abwertenden Rotz abgeben dürfen. Und dass sie sich von ihresgleichen dafür beklatschen lassen. Das ist die Meinungsfreiheit, die wir auch für die stolzen Deppen und ahnungslosen Angsthasen verteidigen müssen – wenn es uns tatsächlich um eine freie, pluralistische Gesellschaft geht. Zugleich dürfen und müssen wir aber auch werten. Und zwar so: Ich denke, rechtsradikale Populisten haben in den letzten Jahrzehnten Fremdenfeindlichkeit geschürt, um in ihrem Windschatten an die Futtertröge der Macht zu kommen. Heute hat sich die Lage geändert. Die Fremdenfeindlichkeit hat sich in der Gesellschaft festgesetzt, sie hat nun selbst die Kontrolle übernommen und hält die Populisten am Gängelband. Das ist erschreckend. Aber nicht alternativlos. Man kann, man muss der Dummheit im Alltag widersprechen. Weil es ein Anfang ist.

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„Stadler bleibt so oder so Bürgermeister. Die Frage ist, ob NEOS sein Korrektiv sein werden.“

folgreich umgesetzte TransparenzDatenbank auf Gemeindeebene sein sollte? Hier könnte sich der Bürgermeister wirklich profilieren. Zudem ist uns echte Bürgerbeteiligung ein zentrales Anliegen. Was am Domplatz im Kleinen angekündigt wurde, muss nun konsequent und auf möglichst breiter Basis umgesetzt werden. Ich denke, dass in diesen Prozess mehr Leute eingebunden werden sollten, als man anfangs angekündigt hat.“ Sündenfall Gemeindewohnung Auch wenn es um das Wohnthema geht, nimmt sich Grabensteiner kein Blatt vor den Mund: „Die Wohn­ bauförderung ist eine Umverteilung von unten nach oben, ein Trostpflaster für den Mittelstand, der sie zuvor ohnehin aus eigenem Steuergeld bezahlt hat. Die Idee, dass Kommunen wieder Gemeindewohnungen bauen, ist ein Sündenfall, bei dem sich nur die SPÖVP-Funktionäre in den Genossenschaften die Taschen füllen. Die NEOS-Lösung ist ganz einfach: Weg von der Objektförderung, hin zur Subjektförderung. Unserer Meinung nach gehören jene Leute unter-

stützt, die sich eben sonst die Miete nicht leisten könnten!“ Und zum städtischen Rechtsstreit mit einer Raiffeisen Landesbank NÖ-Wien wegen eines missglückten SWAP-Spekulationsgeschäfts geht Grabensteiner hart mit Stadler ins Gericht: „Wie peinlich ist es für den Herrn Bürgermeister, wenn ein Gericht bestätigt, dass man zu blöd war, das eingegangene Risiko zu verstehen? Aber ich denke auch, dass die Verantwortlichen daraus gelernt haben. Als konstruktive Opposition wird es auch unsere Verantwortung sein, dass wir dem Bürgermeister bei einem sinnvollen Vergleich Solidarität zeigen. Denn das aktuelle Mega-Risiko einer Prozessniederlage sollte natürlich auf sinnvolle Art mit einem Vergleich reduziert werden. Es ist aber leider nicht zu erwarten, dass SPÖ und ÖVP vor der Gemeinderatswahl hier noch großes Engagement für eine Lösung zeigen werden.“ Kein Zweifel, die NEOS-Truppe steht vor dem Angriff auf die rote Bastion. Ob am Ende im St. Pöltner Rathaus mehr Pink ist, als die rosa Fassade, wird uns das nächste Jahr zeigen.


TEXT: Michael Müllner | Foto: Yabresse - FOTOLIA.com

MFG URBAN

Kulturkörberlgeld Das Land NÖ erhöht sein Kulturbudget. Da kommt es gelegen, wenn die GIS ohne große Diskussion sechs Millionen Euro Mehreinnahmen bringt. Zahlbar ab 1. September, von Niederösterreichs Gebührenhaushalten.

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eim Schimpfen auf die teure „ORF-Gebühr“ sind sich die Österreicher schnell einig, kaum ein Haushalt entkommt der gesetzlich geregelten Eintreibung der Rundfunkgebühr. Was beim Überweisen die wenigsten Fernseh- und Radiokonsumenten wissen ist, dass rund ein Drittel des Gesamtbetrages an den Finanzminister (Umsatzsteuer, Radio-, Fernsehgebühr), den Bund (Kunstförderung) und die Länder (Landesabgabe) geht. Am 18. Juni beschloss der niederösterreichische Landtag mit den Stimmen von ÖVP und Grünen diese Landesabgabe von 4,30 Euro pro Monat auf 5,10 Euro zu erhöhen. Macht 9,60 Euro pro Jahr. Oder wohlfeile sechs Millionen, wenn man von rund 640.000 niederösterreichischen Gebührenzahlern ausgeht. Nicht schlecht für eine Maßnahme, die kaum jemand wahrgenommen hat und für die sich wohl kaum ein Mandatar von den Steuerzahlern bisher prügeln lassen musste. Auch die Verwendung der Mittel ist geregelt: 70% erhält die Kultur, 30% der Sport. Die Rundfunkabgabe also ein Musterbeispiel für das österreichische Föderalismusproblem beim Steuereintreiben? Ausgeben ja, eintreiben soll’s

aber bitte wer anderer? Für 2016 plant das Land NÖ sein Kulturbudget um 14 Millionen Euro zu erhöhen, zugleich wird jedoch auch das kommende Budget nicht ausgeglichen sein. Rund 8,5 Milliarden Euro sind insgesamt budgetiert, der prognostizierte „Abgang“ liegt bei 214 Millionen Euro. Da sind natürlich sechs Millionen Euro Mehreinnahmen willkommen. Wir haben Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) gefragt, wie es zur Erhöhung kam. Für ihn antwortete Hermann Dikowitsch, Leiter der Kulturabteilung. Die Erhöhung war nötig, weil „die Preissteigerungen der letzten Jahre auch den Kunst-, Kulturund Sportbereich betroffen haben.“ Warum man in Niederösterreich nicht ohne der Abgabe auskomme (wie etwa Oberösterreich oder Vorarlberg, dort wird sie nicht eingehoben) und in welcher Höhe die Mehreinnahmen erwartet werden, lässt man unbeantwortet, betont dafür jedoch wortreich den Stellenwert von Kultur und Sport für Lebensqualität und Wirtschaft. Ähnlich der Grüne Landtagsabgeordnete Emmerich Weiderbauer – Niederösterreich biete eine vielfältige Kulturlandschaft, auch als Sportland sei man gut aufgestellt: „Beides unter-

stützen wir, auch bei entsprechenden Budgetanträgen, womit eine Angleichung an andere Bundesländer gerechtfertigt war.“ Gegen die Anhebung stimmte hingegen die SPÖ, Landtagsabgeordnete und Sozialsprecherin Christa Vladyka: „Wir halten es für ein falsches Signal, gerade in Zeiten, in denen immer mehr Menschen mit dem Einkommen nicht mehr auskommen können, eine Gebühr anzuheben, die auch Geringverdiener trifft.“ Klaus Schneeberger von der ÖVP kritisierte in der Landtagssitzung dafür die SPÖ: „Wenn ihr wisst, dass der Wiener 5,20 Euro verlangt, die Kärntner 5,10 Euro für die Rundfunk­abgabe und dann sagt ihr, das Unangenehme soll die ÖVP alleine machen, dann spricht das nicht von viel Mut. Aber wir haben ihn. Wir machen die 5,10 Euro ohne irgendwelche Probleme. Mut kann man nicht kaufen, den hat man.“ Womit sich nun bitte auch Frau und Herr Gebührenzahler mutigen Schrittes an die Öffnung der Kuverts machen möchten, welche die GIS wohl in den nächsten Wochen ausschicken wird, um den erhöhten Landesobolus vorzuschreiben. Bitte, danke. MFG 09.15

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Birkenstock goes Rock’n’Roll Sowas haben die St. Pöltner in ihrer Polit-Landschaft noch nie gesehen, solche Töne noch nie gehört, solch Aktionen noch nie erlebt: Die Grünen irritieren mit schrägen Auftritten und trainierter Sprache. styled wie eine Rock-Gang vor dem nächsten Auftritt.

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ie laden zu Diskussionsrunden in die Seedose und zu Ausflügen mit nachhaltigem Hintergrund ein. Sie verteilen in der Nacht unzählige Pflanzenkisten in der ganzen Stadt und posten schräge Pflanz-Tipps. Nein, pflanzen wollen St. Pöltens Grüne damit niemanden, sie wollen sich nur abheben von den üblichen Auftritten altbekannter 38

Polit-Profis, wollen mit „Wahl-Engagement“ statt „Wahl-Kampf“ von ihren Visionen überzeugen und nutzen dazu nicht öffentliche Auftritte, sondern soziale Netzwerke, vor allem Facebook. Dort präsentieren sie sich nicht überlegen-elegant wie ihre Vorgängerinnen in St. Pölten, auch nicht Schlapfen tragend wie die Ur-Eltern der Grünbewegung, sondern cool ge-

Stadtparteitag mit Folgen Anlass für den grünen Wandel war der Stadtparteitag vor rund einem halben Jahr. Damals waren sich die fünf Mitglieder im Vorstand der Grünen alles andere als grün. Als Gegenpart der beiden jungen Gemeindemandatarinnen Nicole Buschenreiter und Julia Schneider hatten sich die zielstrebigen grünen Urgesteine Udo Altphart und Walter Heimerl aufgebaut – sie wollten Ordnung in die Partei bringen und sich selbst in Stellung für die Gemeinderatswahl im nächsten Jahr. „Geordnet in die Zukunft gehen“, formulierte Walter Heimerl damals seine Sorge um das nur mit 87 Stimmen abgesicherte Mandat der Grünen. Und die beiden Herren wollten auch die Rotation im Gemeinderat einführen, was auf wenig Gegenliebe bei den aktuellen Gemeinderätinnen stieß. Am ersten grünen Stadtparteitag nach drei Jahren prallten dann die beiden grünen Welten hart aufeinander. Da wurden nämlich zusätzlich zu den organisatorischen noch die Unstimmigkeiten übers Finanzielle öffentlich – und beim Geld hört sich auch die grüne Solidarität endgültig auf. Der Anlass: Die grüne „Kriegskassa“ für die kommenden Wahlen ist leer, die beiden Mandatarinnen haben all die Jahre nichts eingezahlt. Der Uralt-Beschluss dafür wurde zwar nie erneuert, aber auch nicht gecancelt. Dank der zahlreichen mediationsgeschulten Grün-Mitglieder konnte für die Finanz-Unregelmäßigkeiten ein Kompromiss gefunden und zur Wahl geschritten werden. Zum Vorstands-Voting hatte jede Seite ihre Anhänger mitgebracht. Die Gemeinderats-Partie ein paar mehr –


TEXT: beate steiner | Fotos: beate steiner, zvg

und eine für alle wählbare Kompromisskandidatin. Das Resultat: Die Alt-Grünen Udo Altphart und Walter Heimerl schieden aus dem Gremium, die 67-jährige Neo-Politikerin Monika Krampl erhielt die meisten Stimmen und schart um sich ein junges Team mit Nicole Buschenreiter (35), Julia Schneider (25) und dem SP-Abtrünnigen Markus Hippmann (26). Soziokratie im Grün-Biotop Und die pensionierte Therapeutin Krampl ist hauptverantwortlich für die auffallende und rasante innere Veränderung der grünen PolitAkteure, sie hat ihre neuen Kollegen auf einen neuen Weg gedrängt: Nach einem Training in gewaltfreier Kommunikation ist’s vorbei mit den kämpferischen Gemeinderatssagern einer Nici Buschenreiter – ihr letzter hatte für ziemliche Aufregung vor allem bei der SPÖ gesorgt: „Jeden Monat muss ich mir diesen Schas da herinnen anhören.“ Vorbei ist’s überhaupt mit den Kampfansagen an die Gesellschaft: „Wir müssen weg vom Konkurrenzdenken, hin zu Solidarität“, sagt Monika Krampl, und: „Wir steigen aus dem Gegeneinander aus, hinein ins Miteinander.“ Beim Guerilla-Gardening à la St. Pölten hat das noch nicht so geklappt – da ernteten sanfte Kritiker der Stadtpflanz-Aktion herbe Kritik auf der Facebook-Site. Aber nach mehreren Klausuren ist Schluss mit der kriegerischen Sprache, „Soziokratie“ ist das Zauberwort und die trainierte Einstellung im Grün-Biotop. Soziokratie, das ist eine andere Form der Organisation, so ungefähr das Gegenteil einer Hierarchie. Alle Entscheidungsträger sind gleichwertig, agieren auf Augenhöhe, finden aber durch Argumentation keinen Konsens, bei dem Leute übrig bleiben, die sich nicht gehört fühlen. Einen „Konsent“ hingegen gibt es

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erst dann, wenn niemand mehr einen schwerwiegenden Einwand gegen die Entscheidung hat, alle diese mittragen können. „Durch Argumentation geht es weg von der Emotion“, erklärt Monika Krampl die neue Linie, die weg vom Konkurrenzdenken und hin zu Solidarität, auch bei Polit-Entscheidungen, führen soll. Und vermutlich bei den in Kampfrhetorik geschulten Polit-Mitbewerbern irritiertes Kopfschütteln auslösen wird. „Bis jetzt gibt es noch keine Reaktion“, versichert Monika Krampl. Allerdings gibt’s schon Verwirrungen bei der Kommunikation zwischen alter und neuer Polit-Truppe: So hat das Medienservice im Rathaus nicht wirklich verstanden, was die Alternativen da mit einem „BürgerInnenhaus“ wollen und geglaubt, damit sind die Magistratsabteilungen gemeint. „BürgerInnenhaus“ ist für die Grünen allerdings eine zentrale Forderung nach einem Gebäude mit diversen Einrichtungen wie Seminarräumen und einem Reparatur-Café, das von allen St. Pöltnern und St. Pöltnerinnen kostenfrei genutzt werden kann. Veränderungen und Visionen Auf welche konkreten Themen sich das grüne Wahl-Engagement genau konzentrieren wird, ist noch nicht ganz fix. Aber eines ist klar: Die kleine Partei will Veränderung: „Wir sind anders, weil wir nicht angepasst sind“, erklärt Monika Krampl: „Veränderung sehen wir nicht als Gefahr, und den Sager ‚Das war schon immer so’ gibt’s bei uns nicht.“ Dafür einen anderen: „Wir müssen alle den Mund aufmachen.“ Denn Gutes tun und darüber reden macht andern Mut es gleichzutun, ist die Neo-Politikerin überzeugt und präsentiert gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern ihre Visionen von einer besseren Gesellschaft, in der die Zivilgesellschaft und die Politik gemeinsam die Rahmenbedin-

gungen für unser Leben gestalten. Ein Blick auf die Homepage Ein Bild dieser Zukunft zeichnen die Grünen auf ihrer Homepage www. gruenestp.at. Zum Thema „Wohnen“ etwa schaut der grüne Traum so aus: Zitat Anfang: „Daniel bezieht eines der gemeinschaftlichen Wohnprojekte. Von öffentlicher Hand gefördert finden hier BürgerInnen unterschiedlichster Facon ihren neuen Lebensbereich. Sogar einen Gemeinschaftsgarten gibt es in dem sanierten Haus. Hier spielt sich das Leben der Bewohner ab. Zusammen gärtnern, Bäume pflegen, die Früchte der vereinten Arbeit ernten. In Daniels Wohnprojekt eine Selbstverständlichkeit, nicht nur für ihn und seine Hündin Jessy, auch für die Familie aus dem Stock über ihm, die ältere alleinstehende Dame aus dem Nebeneingang und deren Katze, ja selbst der junge Student aus dem obersten Stock, alle Versammeln sich um den Grill den Daniel und seine Freunde für den Abend befeuern. Ein gemeinschaftliches Hallo für den neuen Mitbewohner.“ – Zitat Ende Und der Traum zum Thema „Bevölkerung“: Zitat Anfang: „Im Bürger­ Innen-Haus findet heute bereits der 10. BürgerInnen-Rat statt. Jedes mal wenn ich das Haus betrete, freue ich mich, dass es dieses Haus gibt. Es ist heute nicht mehr wegzudenken aus dem politischen Geschehen. Beides nicht. Sowohl die BürgerInnen-Räte, als auch das BürgerInnen-Haus. Über dieses wunderbare Instrument des BürgerInnenrates gäbe es viel zu sagen. Ich versuche, mich trotz meiner Begeisterung kurz zu fassen. Der BürgerInnenrat setzt sich aus zwölf bis fünfzehn nach dem Zufallsprinzip ausgewählten BürgerInnen zusammen. In der zwei Tage dauernden Arbeitsphase identifizieren die TeilnehmerInnen Themen öffentlichen

„Veränderung sehen wir nicht als Gefahr, und den Sager ‚Das war immer schon so‘ gibt‘s bei uns nicht.“ MFG 09.15

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Birkenstock goes Rock’n’Roll

Mit-Denken

Beate Steiner

Foto: Ljupco Smokovski - Fotolia.com

Wenn ein Laster mittags zwischen zwei Schanigärten parkt, unter Getöse und Staub einen Laden entrümpelt und damit den dort Essenden die Mittagspause verstinkt, dann denken sich Auftraggeber und Ausführender entweder nix oder „I bin I – und die andern san ma wurscht.“ Wenn eine Horde Betrunkener um vier Uhr morgens laut grölend und stöckelklappernd durch die Innenstadt zieht, dann denken sich die entweder nix oder „Mia san mia – und die andern san uns wurscht.“ Wenn ein Kinderwagen von einer Oma mitten auf dem Radweg geschoben wird und die Radler dahinter schon stauen, dann denkt sich die Oma entweder nix oder „I bin I – und die Klingler san ma wurscht!“ Wenn eine Gruppe Kids Handy-tippend in einer Sechser-Reihe durch die Fußgängerzone schleicht und Entgegenkommende quasi überrollt, dann denken sich die Kinder sicher nix, außer vielleicht: „Mia san mia – und sonst is uns alles wurscht!“ Jetzt kann ich annehmen, dass Entrümpler, nächtens Besoffene, eifrige Omas und Handy-beschäftigte Kids wirklich ohne Denken durchs Leben stolpern. Ich glaub aber eher, dass diese wenig empathischen Mitmenschen zwar mit Denken aber ohne Mitdenken neben den andern existieren. Sie sind halt einfach auf sich selbst konzentriert und kriegen gar nicht mit, dass sie dabei die daneben behindern – bewusst oder unbewusst. Den altgedienten Satz „Meine Freiheit hört dort auf, wo die des andern beginnt“ interpretieren diese netten Mitmenschen als Aufforderung, die eigenen Grenzen so weit zu stecken, bis ihnen Widerstand entgegenschlägt und nicht, die Grenzen mit dem Gegenüber abzustimmen. Ich kann mir leider nicht vorstellen, dass unsere Gesellschaft das Mitdenken demnächst internalisiert. Das müsste nämlich schon Kindern vorgelebt und beigebracht werden.

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NEUER STIL. Das ist keine Rockband vor ihrem Auftritt, hier inszenieren sich die St. Pöltner Grünen vor ihrem Wahl-Engagement in der Landeshauptstadt.

Interesses in ihrem Umfeld und entwickeln dafür Verbesserungs-/ Lösungsvorschläge. Anfangs als eine einfache, kostengünstige und rasche Möglichkeit gedacht, Selbstorganisation und Eigenverantwortung von BürgerInnen zu stärken, ist er mittlerweile zu einer methodischen Ergänzung der Parteipolitik geworden, die die Politikverdrossenheit in einen Beteiligungswillen verwandelt hat. [... ] Im Rathaus gegenüber finden die offiziellen Versammlungen statt, an denen die VertreterInnen der Parteien und der Zivilgesellschaft gleichwertig und gleichberechtigt teilnehmen. Die Zeiten eines Gemeinderates, mit dem durch die unterschiedliche Anzahl der Sitzplätze der Parteien ersichtlichen Machtgefälle und der die Arbeit für das Gemeinwohl behindernden Konkurrenz, sind schon lange Geschichte.“ Zitat Ende Was den Grünen sonst noch am Herzen liegt Weitere Themen, die den Grünen am Herzen liegen und mit denen sie ein Mandat mehr gewinnen wollen sind: • Die Landwirtschaft: „Wir wollen

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die Verbindung zu regionalen Produzenten herstellen und damit das Einkaufsverhalten der Menschen ändern.“ • Der Verkehr: „Der LUP soll in kürzeren Intervallen fahren.“ • Günstiger Wohnraum: „Da wollen wir auch das Wirtschaftsthema reinbringen.“ • Eine Facebookseite für Frauen, als Unterstützung der Frauenplattform: „Das wär geeignet für viele Themen, die viele Frauen erreichen.“ • Und ein Verein „Kultur und politische Bildung“: „Wir möchten eine Akademie politische Bildung ins Leben rufen, um unsere neuen Ideen zu vertreiben.“ Zunächst steht aber der nächste Stadtparteitag an, der erste mit Monika Krampl: „Die finanziellen Troubles haben wir ausgeräumt, ich bin schon gespannt, ob jemand von der alten Truppe kommt“, sagt sie, und: „Das wär schön, wenn sie dabei wären, weil sie doch einen gewissen Erfahrungsschatz mitbringen.“ Und dann kommt das „Aber“: „Sie müssten sich auf die neue Struktur einstellen.“

„Ich bin schon gespannt, ob jemand von der alten Truppe kommt.“


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RUDI VAJDA: So bin ich „Der Kreis schließt sich“, sagt Rudi Vajda. Vor 20 Jahren hat er als einer der Pioniere der Branche den Privatfernsehsender P3tv aus der Taufe gehoben. Jetzt steht der Sender zum Verkauf und Vajda möchte sich ab kommendem Jahr im „Un-Ruhestand“ verstärkt dem Reisen widmen. Mit der Kamera im Anschlag, versteht sich.

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enn man nach dem Ursprung von Vajdas visueller Leidenschaft sucht, muss man weit zurück in seine Kindheit in Hainburg/Donau gehen, mindestens bis zum 12. Geburtstag. „Damals hat mir mein Großvater – der ein leidenschaftlicher Fotograf war und im Krieg angeblich schon für die Kommunisten fotografiert hat – viel übers Fotografieren erzählt. Das war irgendwie der Anfang.“ Eine gewisse Vorprägung gab es zudem durch den nicht minder fotografiebegeisterten Vater. „Von ihm 42

habe ich den ersten Fotoapparat – eine ‚Zweiäugige Flexaret‘ geschenkt bekommen.“ Der „alte Herr“ ist es auch, der den Sohnemann quasi weiter Richtung Fotografie stößt. „Er hat mich in der HTL Mödling angemeldet, da wollte ich aber nicht hin. Da hat er gefragt: ‚Na, was willst du dann werden?‘ Das wusste ich aber auch nicht. Da hat er gemeint: ‚Gut, dann beginnst du eine Optikerlehre, da ist gerade eine Stelle in Hainburg frei.‘“ Und genau so kommt es auch. Vajda lernt das Optikerhandwerk, damit aber auch so nebenbei

die Fotografie von der Pike auf. Zusätzlich verdient er sich seine ersten journalistischen Sporen als Fotograf beim „Grenzboten“, ein Titel, den späterhin die Niederösterreichischen Nachrichten übernehmen werden. „Ich hab auf Fußballmatches und bei Autorennen fotografiert, das Salär waren 50 Groschen pro Bild“, lacht er. Mag sich in Folge auch die Bezahlung geändert haben, seinem schon damals selbst auferlegten Grundsatz ist er bis heute treu geblieben. „Ich wollte die Dinge, die Welt so real wie möglich einfangen, ganz ohne Insze-


TEXT: Johannes Reichl | Fotos: Hermann Rauschmayr, ZVG

nierung. Gestellte Fotos waren mir schon damals zuwider.“ Erweckungserlebnis in der Buchhandlung Erfolgt der erste journalistische Zugang quasi über die rein bildliche Ebene, entwickelt sich über die Jahre hinweg zusehends der Wunsch nach einem gesamtheitlichen, wenn man so will erzählerischen Zugang, der Bild, Text und Ton gleichermaßen umfasst. Eine Art Erweckungserlebnis, wenn man ganz dick auftragen möchte, erlebt Vajda diesbezüglich 1974. „In der Buchhandlung Schubert in St. Pölten fielen mir die Bücher von Fritz Sitte in die Hand, damals einer DER Pressefotografen und Kriegsberichterstatter Österreichs. Die Titel weiß ich noch genau: ‚Flammenherd Angola‘ und ‚Ich war bei den Kurden – Augenzeuge eines Lebenskampfes.‘ Ich war sofort fasziniert und wusste – das will ich auch einmal machen: In ferne Länder reisen, die Menschen vor Ort kennenlernen, mit ihnen reden, über sie und ihr Leben berichten.“ Wer Vajda kennt weiß, dass es nicht nur beim Wunsch bleiben sollte. Tatsächlich wird er – und tut es bis heute – die halbe Welt bereisen. Rumänien nach Ceausescus Sturz, im Norden Indiens bei den Tibetern, China, Japan, Brasilien, Schweden, Norwegen, Russland, Portugal, Türkei, Irak und immer wieder Afrika: Botswana, Namibia bei den Buschmännern, Südafrika, Niger, Nigeria, Algerien, Mali, Senegal, Benin, Gahna, Elfenbeinküste. In Obervolta (heute Burkina Faso) erlebt er einen Militärputsch mit, und untersucht dort im Zuge einer Brillenaktion mit fünf weiteren Freunden 40.000 Schüler. Stets mit dabei, seine Kamera. Parallel kippt auch sein beruflicher Werdegang immer mehr in die filmische Richtung. Zwar bleibt Vajda Zeit seines Lebens dem Optikerhandwerk treu, eröffnet 1972 sein eigenes Optikergeschäft in Traisen, dem später eines in Lilienfeld, Hainfeld und Kirchberg/Pielach folgen, zudem eröffnet er 1984 ein Fotostudio, das

Filmfieber lässt ihn aber nie mehr los und entpuppt sich als die eigentliche Leidenschaft, ja Berufung. So ist es geradezu logisch, dass er Ende 1988 seine eigene Videoproduktionsfirma VVF gründet. Nachdem es in der neuen Landeshauptstadt St. Pölten damals noch kein eigenes ORF Landesstudio gibt, produziert er alsbald auch Beiträge für den Staatsfunk „auch weil wir technisch stets am letzten Stand waren.“ „Fernsehschwanger“ im fernen Afrika Als sich Österreich Mitte der 90er Jahre anschickt, Privatfernsehen zuzulassen „diesbezüglich waren wir ja ein Entwicklungsland – Albanien hatte zu dem Zeitpunkt schon ein oder zwei Privatfernsehsender!“ – ist Vajda sofort elektrisiert. „Ich war richtiggehend fernsehschwanger“, lacht er. Die „Geburt“ erfolgt dann an einem durchaus exotischen Ort. „Ich war mit Jörg Hofer, der damals beim ORF NÖ arbeitete, unterwegs bei der Faustball WM in Namibia. Wir haben irgendwie gleich getickt, und da habe ich ihn gefragt: ‚Du, was hältst du eigentlich davon, wenn wir einen eigenen Sender aufmachen?‘“ Auch Hofer ist von der Idee sofort gefesselt und wirft seinen ORF-

Job, ebenso sind Vajdas Beiträge für den ORF alsbald Geschichte. „Ich habe am 11.12.1995 meinen letzten Beitrag für den ORF abgedreht, am 12.12.1995 haben wir P3tv gestartet“, lächelt er. „Danach habe ich für VVF vom ORF NÖ nie wieder einen Auftrag bekommen.“ Wohl deshalb, weil dem bisherigen Monopolisten – wenn auch unausgesprochen – die Privaten alles andere denn grün sind. Dabei will Vajda mit dem ORF keinesfalls konkurrieren. „Mir war von Anfang an klar, dass Regionalfernsehen nur funktionieren kann, wenn ich eben nicht den ORF nachahme, wenn wir genau das bringen, was der ORF nicht bringen und machen kann. Alle anderen, die geglaubt haben, sie machen jetzt auf großer Sender, sind letztlich gescheitert.“ Der Beginn des Privatfernsehens Als die Bilder nicht laufen durften Die Anfänge des Privatfernsehens sind dabei nicht einmal holprig, sondern statisch, dürfen die Privaten laut Gesetz doch zunächst nur Standbilder senden. Vajda muss bei dem Gedanken noch heute lachen: „Das muss man sich vorstellen: Fernsehen in Standbildern! Wir haben etwa die Basketballer gefilmt, mussten dann aber jenen Shot raussuchen,

SCHNITTPLATZ ANNO DAZUMAL. „Als wir begannen, gab es noch richtige Bandmaschinen, da war von Computern keine Rede, und heute ist alles voll digitalisiert und filebasiert.“

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P3tv Rudi Vajda gründete vor 20 Jahren P3tv. Damals konnten knapp 30.000 Menschen den Sender empfangen. Heute sind knapp 850.000 Menschen im Netz der kabelplus und A1TV technisch in der Lage, P3tv anzuschauen. Zudem werden unter www.p3tv. at die verschiedenen Beiträge im Schnitt 20.000 Mal/Monat abgerufen.

wo Neno (Aseric, ehemaliger St. Pöltner Basketballer, Anm.), gerade Richtung Korb segelt und haben das eingefroren. Dieses Bild haben wir dann, mit Sprechertext unterlegt, gesendet.“ Eine Groteske, die Vajda alsbald nicht mehr hinnimmt. „Nach drei Sendungen haben wir beschlossen, wir lassen die Bilder einfach laufen und schauen, was passiert.“ Auch wenn über verschiedene Ecken immer wieder unterschwellige Einschüchterungsversuche unternommen werden „und ich immer darauf gewartet habe, dass eine Anzeige hereinflattert“, bleibt der Sender unbehelligt. Und holt sich bei einer Medienenquete indirekt – eine andere bezeichnende Episode – einen Persilschein. „An der Veranstaltung nahm auch der damals zuständige Minister Viktor Klima teil. Hofer fragte ihn im Interview: ‚Herr Mini-

UNANGEPASST. „Letztlich geht es darum,

dass du dir in den Spiegel schauen kannst.“

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HISTORISCH. Am 12. Dezember 1996, 5 Uhr, ging P3tv erstmals auf Sendung. Um 8 Uhr entstand dieses Foto mit u.a. Rudi Vajda (l.), Jörg Hofer (3.v.r.) und Sekretärin Ulrike Nolz (4.v.r.).

ster, warum dürfen die Privatsender nur Standbilder senden?’ Woraufhin Klima irritiert fragte: ‚Wie meinen Sie das, nur Standbilder?‘ Wir haben ihm das dann auseinandergesetzt und er meinte nur ‚Des is jo a Bledsinn!‘ Und off records fügte er hinzu ‚Senden‘s halt weiter laufende ... aber vom Minister habens das nicht.“ Bald darauf kam die Gesetzesnovelle, die diese Perversität beseitigte und P3tv wieder auf legalen Pfaden wandeln ließ. Die technsiche Revolution und ihre Folgen Seitdem hat die gesamte Branche einen unglaublichen Wandel erfahren. Am Augenscheinlichsten lässt sich dies anhand der Kameras nachvollziehen. Galt es früher noch ein 12kg „Trum“ herumzuschleppen, das um die 1 Million Schilling (70.000 Euro) kostete – wobei es neben dem Kameramann eines eigenen Tonassistenten bedurfte, der den Ton abnahm – so wiegt heute ein aktuelles Modell gerade einmal 4 kg, kostet je nach Type zwischen drei und 9.000 Euro und ist technologisch um Lichtjahre voraus. Selbst eine kleine GoPro mit 400 Gramm kommt heute zum Einsatz. Diese technische Revolution ist nicht minder bei den Schnittplätzen

vonstatten gegangen. „Als wir begannen, gab es noch richtige Bandmaschinen, da war von Computern keine Rede“, schmunzelt Vajda „Heute ist alles voll digitalisiert und filebasiert. Und das alles innerhalb von nur 20 Jahren – unglaublich!“ Auch die Möglichkeiten der Austrahlung wurden breiter. War für die Privaten zunächst ohnedies nur Kabel möglich, weil der ORF das Monopol auf terrestrische Ausstrahlung hatte, erlaubte eine Gesetzesnovelle für die Regionalen ab 2009 auch das Senden via DVB-T und Satellit. Dies befeuerte die Fantasie nach größerer und flächendeckenderer Reichweite – ein Ansinnen, das sich mit den Ambitionen der Sparkasse NÖ Mitte West traf, die im September 2007 als Mehrheitseigentümer bei P3tv einstieg. „Wir haben uns auf den Sendern am Klangturm und am Jauerling dazugehängt, haben alle Register gezogen – Internet, DVB-T, Satellit, Kabel“, blickt Vajda zurück. Die wirtschaftlichen Erwartungen dieses kostenintensiven Projektes erfüllen sich aber nicht – die Sparkasse steigt wieder aus und Vajda kauft seine Anteile zurück und wandelt ab 2011 fortan wieder auf eigenen, selbstbestimmten Pfaden. Heute ist P3tv wie gehabt über das


RUDI VAJDA – So bin ich

Kabelplusnetz, ebenso aber auch via A1TV und selbstredend via Stream im Netz zu empfangen, letzteres ein Must-have, wie Vajda überzeugt ist: „Es ist nicht so, dass ich glaube, dass das klassische Fernsehen ausgedient hat. Aber es gibt eindeutig zwei Linien, die man bedienen muss: Die – mehrheitlich – Älteren, die sich wie gehabt ihre Sendung zur fixen Ausstrahlungszeit im Fernsehen ansehen möchten, und die Jüngeren, die sich die Beiträge in der TVthek, etwa via App, runterstreamen, wann sie selbst dafür Zeit haben, weil sie zur Ausstrahlung vielleicht gerade irgendwo am Radl sitzen. Das wird sich sicher noch verstärken.“

zeigen sollen, was die Politiker gestalten und tun.“ Man habe verschiedene Rollen zu erfüllen. „Der Politiker versucht im Gespräch zumeist seine Message durchzubringen, die wir wiedergeben sollen, auch wenn ich weiß, dass die Hälfte des ‚Gesagten‘ davon so nicht stimmen kann und das Thema in ein paar Wochen ganz anders klingt“, schmunzelt er, „das ist Politik.“ Der Journalist wiederum müsse kritisch nach- und hinterfragen, weshalb vor allem – was leider vielen Journalisten zusehends abgeht – „kritische Distanz unabdingbar ist. Ich war deshalb noch nie mit einem aktiven Politiker verhabert, das ist der Objektivität abträglich.“

Die Rolle von Politikern und jene von Journalisten Auch inhaltlich hat sich der Sender immer wieder verändert, um in seiner innersten Grundstruktur doch irgendwie gleich zu bleiben. Die Regionalberichterstattung, quasi Fernsehen vor der Haustür, ist nach wie vor der Kern, daneben sucht Vajda aber immer wieder neue Zugänge – bis hin zur Liveberichterstattung. So staunen etwa 1996 die Kollegen und Seher nicht schlecht, als er im St. Pöltner Rathaus anlässlich der Kommunalwahlen ein Wahlstudio einrichtet und dadurch, noch vor dem ORF, die ersten Ergebnisse und Live-Interviews in den Äther schleudert. Ein andermal zeichnet er direkt in Straßburg vor den Europawahlen auf, wo er sämtliche österreichischen Fraktionsvertreter vors Mikrofon holt. „Das war schon bemerkenswert – wir, der kleine niederösterreichische Lokalsender inmitten der diversen nationalen Stationen, der gleichberechtigt aus dem Studio im Europaparlament sendet“, erinnert sich Vaj­da gerne zurück. Dass dabei gerade die politische Berichterstattung eine besondere Herausforderung darstellt, liegt auf der Hand, wobei Vajda diesbezüglich einen ziemlich pragmatischen Zugang hat. „Es ist ganz einfach: Politiker sind Menschen, die gestalten. Und Journalisten sind Menschen, die auf-

Über den lokalen Tellerrand hinausblicken Interviews, Analyseschienen, Gespräche haben Vajda immer fasziniert, wohl weil sie die unmittelbarste Form darstellen und so seinem Anspruch nach Authentizität, Unmittelbarkeit und Realismus am nächsten kommen. Davon zeugt auch das Format „Standpunkt“, wofür er sich Gäste ins Studio lädt, ebenso wie die relativ neue Sendereihe „Die Chefredakteure“, im Zuge dessen er mit Kollegen diverse aktuelle Themen diskutiert.

Mehr einem aufklärerischen, im weitesten Sinne auch moralischen Ansatz verpflichtet wiederum sind Formate, die den lokalen Rahmen sprengen und über den Tellerrand hinausreichen, so etwa das Europamagazin „EU & Du“ oder das Integrationsmagazin „Zweite Heimat“, für das der Sender 2013 sogar mit dem Journalistenpreis „Integration“ ausgezeichnet wurde. Wenn man Vajda nach besonderen Begegnungen im Laufe seiner Karriere als Fernsehmacher fragt, tut er sich schwer. „Im Grunde genommen, so komisch es klingt, ist jedes Interview spannend und erfüllend, jede Person faszinierend. Da ist jemand, der sein Innerstes offenbart, darüber sprechen möchte. Und ich versuche es so getreu wiederzugeben wie möglich.“ Umgekehrt gewinnt man im Zuge des Gesprächs aber doch den Eindruck, dass ihn außergewöhnliche Lebensentwürfe – egal ob es der eines Prominenten oder der eines Normalsterblichen ist – besonders in Bann ziehen. „Menschen wie Hedi Wogowitsch etwa, die in Österreich erfolgreiche Hotelbetreiberin war und dann nach Senegal geht, um dort eine Leprastation aufzubauen, sind schon bemerkenswert.“ Auch – ein ganz

LIVEDISKUSSION. Im Zuge der letzten Gemeinderatswahlen lud P3tv gemeinsam mit MFGDas Magazin zur großen „Elefantenrunde“ der Kandidaten ins LASERTRON.

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RUDI VAJDA – So bin ich

frischer Beitrag – das Schicksal einer Bosnierin, die Anfang der 90er aus Jugoslawien flüchten musste und seither in St. Pölten lebt, bewegt ihn. für eine Dokumentation hat er sie in ihre alte Heimat begleitet. „Sie ist damals gerade noch aus Bihac rausgekommen mit zwei Kindern, bevor die Stadt 1.200 Tage eingeschlossen wurde. Ein Sohn, der beim Militär war, blieb zurück. Wir standen dort bei strömendem Regen am ehemaligen Militärflughafen und sie erzählte mir ihre Geschichte, das war schon sehr bewegend. Ebenso wie jene einer anderen Dame, die mir genau die Stelle zeigte, wo ihr Mann erschossen wurde.“ Die Reise geht weiter – ein Leben nach P3tv In Hinkunft möchte sich Vajda praktisch ausschließlich dieser Form von (Reise-)Berichterstattung widmen, weshalb er sein Leben neu ausrichtet. „Ich habe P3tv zum Verkauf ausgeschrieben. Ich habe jetzt 51 Dienstjahre am Buckel und werde im nächsten Jahr 65. In Zukunft möchte ich mich aber völlig frei, ohne ständig einen Betrieb am Laufen halten zu müssen, dem Reisen widmen. Fremde Menschen und Kulturen kennenlernen, vorort recherchieren, darüber berichten, so ungeschminkt wie möglich – das wollte ich immer machen.

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AUSZEICHNUNG. Für das Format „Zweite Heimat“ wurden Rudi Vajda und Yurdagül Sener 2013 mit dem Journalistenpreis „Integration“ ausgezeichnet.

In gewisser Weise kehre ich damit zu Fritz Sitte zurück. Es ist, als ob sich der Kreis schließen würde.“ Ist sein bisheriger Werdegang, auch der Fernsehesender, dann aber nicht in gewisser Weise auch ein Umweg gewesen? Vajda schüttelt bestimmt den Kopf. „Nein, es hat sich alles auf etwas zubewegt, von dem ich zwar lange nicht wusste, wohin – aber die Richtung hat immer gestimmt. Und ich musste die bisherigen Reisen ja auch finanzieren. Mein Beruf war immer zugleich mein Leben. Das bin ich. Ich empfinde das auch nicht als Arbeit im eigentlichen Sinne. Ich fange um 7 Uhr in der Früh an und schaue mir um 22 Uhr, das ist ein Pflichttermin, die ZIB 2 ein. Wenn es geht zuhause, wenn nicht, dann eben noch im Büro. So ist mein Leben.“ Eines, das ob dieser Intensität freilich auch seinen Tribut forderte. „Es sind zwei Ehen dabei draufgegangen“, stellt Vajda nüchtern fest. Ob es das Wert war? Vajda hält einen Moment inne, meint dann: „Ich glaube jeder Mensch hat seine Grundeinstellung zu sich selbst, zu seinem Leben. Bei mir war die Firma immer die Basis. Das hat meine erste Frau lange mitgetragen, sie war auch auf einigen Reisen mit dabei. Aber irgendwann entwickelt man sich halt auseinander,

geht in verschiedene Richtungen, und ich bin nicht der Mensch, der dann Kompromisse eingeht, wenn ich sehe, dass die Kluft zu groß wird. In meinem Innersten bin ich ein Einzelkämpfer.“ Ein Charakterzug, der sich durch sämtliche Bereiche seines Lebens zieht. „Ich habe zumeist sehr konkrete Vorstellungen. Wenn sie jemand mitträgt, ist es gut, wenn nicht, ist das auch okay – da jammere ich nicht. Es kann schließlich nicht jeder ticken wie ich.“ Dass er als grader Michl, der sagt „was ich mir denke, was mir passt, und was nicht“ nicht immer den ersten Platz im Sympathieranking oder in Sachen Diplomatie belegt, nimmt er als gegeben hin. „Du musst dir halt gewisse Etikettierungen erarbeiten, und ich bin sicher nicht einfach. Aber letztlich geht es darum, dass du dir in der Früh in den Spiegel schauen kannst.“ Und aus diesem blickt bis heute ein authentischer, ungeschminkter Vajda heraus. Realismus pur, mit dem Vajda auch vor sich selbst nicht Halt macht: „Ich will nichts beschönigen, ich will aber auch nichts schlechter machen, als es ist. Inszenierungen und Manipulationen habe ich immer verabscheut!“ Zugänge wie diese sind selten geworden im Journalismus – leider!


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Kleine Oase im Welttheater Es gibt da eine Geschichte, die Rainer Handlfinger gern symbolisch anhand der in seinem Ort situierten restaurierten Dampflokomotive Mh.6 erzählt. „Mit einem kleinen Zündholz zündest du den Heizkessel an, und am nächsten Tag ist daraus ein Feuer entstanden, mit dem du sechs Waggons einen Berg hinaufziehen kannst. So ist es auch mit Ideen. Da ist anfangs nur ein kleiner Funke, aber dann entsteht etwas Großes.“

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ichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, zitiert Handlfinger diesbezüglich Victor Hugo, und damit ist man schon nah an dem, was man seinen Lebenszugang nennen kann. Auch wenn Handlfinger als Bürgermeister von Ober-Grafendorf einer Gemeinde mit „nur“ 4.600 Seelen vorsteht, sieht er gerade darin – oder gerade deswegen – eine Art Laboratorium der Weltverbesserung. „Auf Kommunalebene, auch wenn du selbstverständlich hier ebenfalls in die Großwetterlage eingebunden bist, fällt das politische Gestalten noch leichter als auf höheren Ebenen der Macht.“ Im Hinblick auf die Bundespolitik ortet er etwa vielfach einen zunehmend beengten Aktionsradius, viel werde auf EU-Ebene oder glo-

bal determiniert. Die Politiker selbst scheinen bisweilen, als hätte sie der Mut verlassen. „Unsere Regierung agiert vielfach nicht mehr, sondern scheint nur mehr zu reagieren, auf Dinge, die auf sie hereinbrechen.“ Die aktuelle Asyldebatte mag dafür paradigmatisch stehen, wenngleich in diesem Kontext Handlfinger sich bisweilen nicht des Eindrucks erwehren kann, dass – Stichwort Traiskirchen – möglicherweise politisch bewusst versucht werde, ein schlimmes Bild von Österreich als Asylland zu zeichnen: „Die Botschaft soll sein: Das Boot ist voll.“ Dass Österreich auch in dieser Situation freilich in einem globalen Gesamtkontext zu betrachten ist, versteht sich von selbst, wobei Handlfinger mit Blick auf diverse Falllinien manches zumindest für fragwürdig hält. „Man ist, wenn man sich vieles durchdenkt, sehr rasch im Fahrwasser von Verschwörungstheorien – aber es befremdet jedenfalls, dass man einst im Irak einmarschierte und sich zurückzog, und jetzt das syrische Regime gewähren lässt, ohne zu intervenieren. Und auch die Nichtreaktion auf die Türkei, die unter dem Aspekt des Angriffs auf IS gleich auch die bis dato stärksten Widersacher eben desselben, nämlich die Kurden, angreift, ist eigenartig. Manchmal kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass hier – von welchen Kreisen auch immer – versucht wird, Europa zu destabilisieren. Aber das ist alles sehr theoretisch.“ Praxis Dabei ist Handlfinger alles andere als ein Theoretiker, sondern defini-

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tiv Praktiker. In der Diskussion um „säumige“ Gemeinden, die nicht bereit seien, ihren Teil zu einer Entlastung der Asylsituation beizutragen, hat er selbst beim Land Niederösterreich ein Areal in Ober-Grafendorf angeboten. „Man war dort ganz perplex und meinte – obwohl ich mir das kaum vorstellen kann – ich sei erst der zweite Bürgermeister, der sich selbst meldet.“ Wobei Handlfinger den Gemeinden keinen Vorwurf machen möchte. „In vielen Kommunen gibt es tatsächlich keine Möglichkeiten der Unterbringung. Hätte ich kein leer stehendes Gebäude zur Verfügung, ich wüsste auch nicht, wo wir die Asylwerber unterbringen könnten – dann blieben nur Container, und das ist keine sinnvolle Lösung.“ So bringt man aber auf Eigeninitiative im ehemaligen Postgebäude rund 15 Asylwerber unter, auf Ersuchen der Polizei und des Roten Kreuzes werden zudem Plätze für sogenannte Akutfälle – also jene Aufgegriffenen, die die ersten Stunden von der Polizei betreut werden – geschaffen, die im Bedarfsfall bereitstehen. Diesen Schritt, von dem Handlfinger vollends überzeugt ist, macht er freilich nicht ohne breite Konsensbildung. „Du kannst nicht gegen die öffentliche Meinung etwas durchsetzen. Wir haben daher einen Gipfel mit den anderen Fraktionen, den Vereinen, den Blaulichtorganisationen, der Kirche durchgeführt – wichtig ist, dass alle diesen Schritt mittragen, und es freut mich, dass über alle Grenzen hinweg verantwortungsbewusste Menschen in unserer Gemeinde am Werken sind. Ich habe zu ihnen ge-

„Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg ist der demokratische Auftrag!“


TEXT: Johannes Reichl | Fotos: zvg

Volldampf. Alte Lok in Ober-Grafendorf mit Symbolcharakter für Handlfinger. „Mit einem kleinen Zündholz zündest du den Heizkessel an, und am nächsten Tag ist daraus ein Feuer entstanden, mit dem du sechs Waggons einen Berg hinaufziehen kannst. So ist es auch mit Ideen.“

sagt: Die Gemeinde ist für euch da. Diesmal brauchen wir eure Hilfe. Die Solidarität war unglaublich!“ Partizipation Auf den Konsens, auf Zusammenarbeit setzt Handlfinger ganz prinzipiell. Obwohl er etwa Anfang des Jahres die absolute Mehrheit errang und – entgegen des Landes-SPTrends – vier Mandate dazu gewann, möchte er nach wie vor mit den anderen Fraktionen, die bis vor kurzem noch seine Koalitionspartner waren, zusammenarbeiten. „Ich merke selbst, dass man mit einer Absoluten Gefahr läuft, in der Kommunikation mit den anderen nachzulassen, weshalb ich die vorherige Koalition fast sinnvoller fand“, stellt er, für den Zuhörer etwas überraschend, fest. Aus dem Munde des Landeshauptmannes oder des St. Pöltner Bürgermeisters, beide ebenfalls mit einer Absoluten ausgestattet, bekäme man derlei nie

zu hören. „Ich bin da durchaus selbst gefordert, denn wir hatten und haben eine sehr gute Kooperation.“ Natürlich freue er sich über die Anerkennung durch die Wähler, „weil du ja soviel Zeit investierst, und es schön ist, wenn das auch anerkannt wird“, umgekehrt könne Politik aber auch ein undankbares Geschäft sein. „Mein grüner Vizebürgermeister etwa hat wirklich viel gearbeitet und sich reingehängt, trotzdem haben die Grünen verloren – das war sicher nicht verdient.“ Mit seiner neu gewonnenen absoluten Macht möchte er jedenfalls behutsam umgehen und interpretiert sie im Vergleich zu manch anderem mächtigen Bürgermeister auch mehrdimensional. „Der Auftrag ist damit ja nicht, jetzt nur rote Ideen umzusetzen und alles, was von den anderen Fraktionen kommt, abzulehnen, sondern der Auftrag ist, die richtigen Ideen für die Gemeinde

umzusetzen.“ Vom vielfach in der Politik praktizierten Trittbrettfahren mit Zeitverzögerung, dass man also parteifremde Ideen vorweg einmal ablehnt, um sie dann nur ein paar Monate später als die eigenen zu verkaufen, hält Handlfinger demzufolge gar nichts. „Ich glaube Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg – so sie möglich ist, und in Ober-Grafendorf funktioniert das gut – ist der eigentliche demokratische Auftrag!“ Selbstverständlich und vor allem ist aber auch die Zusammenarbeit mit, das Eingehen auf die eigene Bevölkerung von größter Bedeutung – und auch hier bemüht sich Handlfinger um direkte, partizipatorische Wege. So wurde für das Standort-Entwicklungskonzept mit Thomas Egger zwar professioneller Support für die Aufbereitung und Begleitung an Bord geholt, im Zuge der Stadterneuerung wurde aber die Bevölkerung direkt nach ihren Wünschen befragt MFG 09.15

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MFG URBAN

Kleine Oase im Welttheater

NACHHALTIG. „Sale & lease back“-Modell abseits von Finanzhaien. Bürger Ober-Grafendorfs haben die Photovoltaikanlage finanziert, die Kommune mietet die Anteile auf 13 Jahre zurück.

„weil wir wissen wollten, was die Bürger überhaupt wollen, was ihnen wichtig ist. Was für eine Kommune wollen wir sein?“ Mit dem Rücklauf des (im Unterschied zu manch ähnlichen Aktionen anderer Städte durchaus substanziellen) Fragebogens von 28% war Handlfinger mehr als zufrieden. „Immerhin musste man sich schon eine halbe Stunde dafür Zeit nehmen.“ Und die Ergebnisse überraschten ihn teils. „Dass sich 72% einen Wochenmarkt wünschen, kam doch überraschend.“ Den hat man nunmehr bereits umgesetzt – seit Juni ist er in Betrieb und ein Riesenerfolg, v.a. weil Regionalität, Authentizität und Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen. Für Handlfinger in seinem gesamten Lebenszugang Schlüsselbegriffe. „Manch Landwirt war skeptisch, ob sich das sozusagen auszahlt. Aber jetzt sieht man, dass es ein toller Erfolg ist, und für manchen ist es auch ein befriedigendes Erlebnis, mit eigenen Produkten, die abseits der reinen Weizen- und Kukuruzbewirtschaftung, wie wir sie wohl zu 80% in der Gemeinde haben, zu punkten. Das führt teils zum Umdenken im gesamten Zugang, auch zu Nachahmern.“ Da ist wieder die Idee vom Funken, der sich zu etwas Größerem auswachsen kann. Ein anderes diesbezügliches Bei50

spiel ist das Selbsterntefeld mitten im Ort. Ein Landwirt baut dort 20 verschiedene Sorten Gemüse an, welche die Bürger – vergleichbar den Blumenpflückfeldern – selbst ernten können. „Das ist ein wirklich cooles Projekt, das auch den Nachhaltigkeitsgedanken unterstreicht, weil er dort nur Biogemüse anbaut.“ Autonomie Nachhaltigkeit, auch im Sinne von Autonomie von übergeordneten Systemen, die fernab des Kommunalen blühen oder dieses in seiner Existenz gar bedrohen, ist ein explizites Ziel von Handlfinger für Ober-Grafendorf. Das allererste Projekt, das in gewisser Weise auf den Versuch hinauslief, sich von größeren Ebenen zum Teil zu entkoppeln, war diesbezüglich die Photovoltaikanlage des Wasserwerkes. Die Bürger konnten sich direkt als Investor am Projekt beteiligen und erhalten im Gegenzug dafür auf eine Laufzeit von 13 Jahren eine fixe Rendite. „Damit decken wir heute den Strombedarf für unsere Pumpen ab“, freut sich Handlfinger, und hat damit das zum Teil von ihm selbst skeptisch beäugte „sale & lease

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back“-Modell auf eine lokale, so betrachtet nachhaltige Ebene heruntergebrochen. „Die Anteile der Bürger mieten wir zurück, bis sie nach 13 Jahren in den Besitz der Kommune übergehen.“ Der Partner ist also vor Ort, ist Teil der Kommune und zugleich selbst Nutznießer der Investition – nicht irgendein ferner Hedgefonds, dem es rein um die Rendite und sonst gar nichts geht. Für Handlfinger werden derlei Zugänge, die auf Autonomie hinauslaufen, in Zukunft noch wichtiger. Im Grunde genommen versucht er damit die zum Teil für kleine Räume bedrohlichen Entwicklungen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Aus seinen Vorbehalten gegenüber TTIP etwa macht er keinen Hehl. „Ich halte das für eine ganz gefährliche Entwicklung. Ein Konzern kann dann vielleicht dagegen klagen, wenn die Politik Mindestlöhne einfordert? Damit gäbe die Politik endgültig ihre Möglichkeiten aus der Hand.“ Und dem versprochenen Nutzen und Wirtschaftswachstum für alle misstraut er zutiefst. „Ganz im Gegenteil – Profite werden die Konzerne machen, aber die kleinen Unternehmer vor Ort, der kleine Fleischhauer ums Eck, werden als erste zumachen. Damit werden kommunale Strukturen unwiederbringlich zerstört.“ Ziel von Kommunen, auch kleinen, müsse daher ganz im Gegenteil das „resilience“-Prinzip sein, „dass also unsere Systeme widerstandsfähiger, dass wir unabhängiger werden – das ist das Gebot der Stunde!“ Aspekte wie Energieautarkie, aber auch nachhaltige Nahrungsmittelproduktion vor Ort seien Aspekte dieses Ansatzes, „der uns wirklich weiterbringen könnte und für die Region gut und nachhaltig ist. Das ist im Grunde genommen unser Ziel für Ober-Grafendorf: Eine kleine Oase zu sein, wo die kommunalen Mechanismen noch funktionieren. Wo man zeigt, dass es auch anders geht!“

„Dass wir unabhängiger werden als Kommunen, das ist das Gebot der Stunde!“


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SEITENWECHSEL Er war der zweithöchste McDonalds Manager Deutschlands, Geschäftsleiter für Österreich und die Ostländer, bevor er ab 2013 als „einfacher“ Franchisenehmer zweier McDonalds Restaurants in St. Pölten und Krems kleinere Brötchen zu backen begann. Ein Gespräch mit Andreas Schwerla über leere Flugkilometer, schwierige „österreichische“ Namen, soziales Engagement und – selbstverständlich – Fastfood. Lassen Sie mich mit einer soziokulturellen Frage beginnen. Sie sind Deutscher in Österreich – wie fühlt sich das an, wobei Sie es als Bayer ja wahrscheinlich leichter haben? (lacht). Naja, ich glaube das mit den sympathischen Bayern ist eher ein Klischee und eure Entschuldigung dafür, dass ihr einen Deutschen doch noch irgendwie akzeptieren könnt. Aber woher diese besondere Beziehung kommt, weiß ich auch nicht. 52

Ich kann dazu aber eine witzige Episode erzählen: Als ich kurz in Österreich war, hatten wir eine Veranstaltung mit Michael Niavarani als Gast, den ich nicht kannte. Ich, der typisch Deutsche, hab ihn anmoderiert und seinen Namen falsch ausgesprochen. Er kam auf die Bühne und meinte: „Ah, super, vielen Dank Herr Schwerla für die tolle Anmoderation – gar ned schlecht für an deppaden Deutschen.“ Und die Leute haben sich zerkugelt vor Lachen.

Haben Sie sich da im ersten Moment gedacht: Oh mein Gott, wo bin ich da hingeraten? Woher glauben Sie kommen diese Animositäten? Das ist schwierig einzuordnen. Zum einen ist ja durchaus ein gewisser Respekt spürbar, den die Österreicher vor der deutschen Technik, Organisation, Strukturiertheit haben, und wenn die eigene Fußballmannschaft gerade mal nicht so top ist, kann man sich auch dazu hinreißen lassen, die


TEXT: JOHANNES REICHL | Fotos: HERMANN RAUSCHMAYR, ZVG

Deutschen anzufeuern. Andererseits ist aber auch eine Ambivalenz spürbar. Vielleicht ist es eine Art Minderwertigkeitskomplex, der mit der Größe des Landes zu tun hat – das kleine Österreich gegenüber dem großen Deutschland. Oder vielleicht hats schlicht damit zu tun, dass die Deutschen arrogant sind und die Österreicher einfach nicht mögen, wenn ihnen jemand besserwisserisch daher kommt. Ich geb ganz offen zu, dass es mir selbst – als Deutschem – zunehmend schwer fällt, mich in Deutschland wohl zu fühlen. Österreich ist einfach relaxter, kleiner, gelassener, gemütlicher. Hier kannst du relativ rasch Fuß fassen, baust dir ein Netzwerk von Freunden auf. Da ist ein Geben und Nehmen, man hilft einander – das ist durchaus etwas Besonderes, das ich so nur hier kennengelernt habe! Ich fühl mich tatsächlich mittlerweile mehr als Österreicher denn als Deutscher.

Geboren wurden Sie aber in München, erst auf den Schwingen von McDonalds sind Sie quasi in Österreich gelandet. Wie sind Sie überhaupt zur Fastfood-Kette gekommen? Ursprünglich wollte ich ja eigentlich in die Film- & Fernsehbranche, in der auch meine Eltern aktiv waren und ich selbst einige Zeit gejobbt habe. Als es aber daran ging, mit 17 den Führerschein zu machen, brauchte ich Geld und hab bei McDonalds als Ferialarbeiter gearbeitet. Das hat mir so Spaß gemacht, dass ich nach dem Abschluss der mittleren Reife – nicht unbedingt zur Freude meiner Eltern – die Schule beendet und fix bei McDonalds zu arbeiten begonnen habe. Der Beginn einer lupenreinen Karriere, wie sich herausstellen sollte. Ich wurde mit 19 der jüngste Restaurantleiter Deutschlands, bald darauf bin ich ins Management gewechselt. Von 1990 bis 1994 habe ich den kompletten Ausbau in den neuen Bundesländern umgesetzt. Wir haben in dieser Zeit 200 Restaurants mit über 10.000 Mitarbeitern eröffnet! Danach bin ich in die Geschäftsleitung aufgestiegen, war als stellvertretender Vorstandsvorsitzender die Nummer zwei in Deutschland und hatte 1.400 Betriebe mit rund 50.000 Leuten zu betreuen. Ich hab in dieser Zeit aus Australien die Idee von McCafé nach Deutschland gebracht, wir haben das new design hochgezogen, neue Produkte lanciert. 2008 war Zeit für Weiterentwicklung und Veränderung – da bin ich nach Österreich als Geschäftsführer für die Region Österreich und neun zusätzliche Länder, also alles zwischen Balkan bis zur Ostsee hinauf. Das habe ich fünf Jahre lang gemacht – in dieser Zeit haben wir Österreich zu einem der erfolgreichsten McDonalds Märkte Europas ausgebaut, auch hier fand der Markenwechsel mit McCafé, new design, Wraps & Co. statt. Sie waren also nicht gerade unerfolgreich. Trotzdem haben Sie 2013 einen – für Außenstehende

– doch ungewöhnlichen Schritt gesetzt, sind quasi vom mächtigen Manager zum „kleinen“ Franchisenehmer mutiert. Warum eigentlich? Nach 30 Jahren im Spitzenmanagement wollte ich einfach etwas Neues, etwas Eigenes machen. Anfangs war das natürlich eine Herausforderung, weil ich plötzlich auf gewisse, mir selbstverständliche Ressourcen nicht mehr zurückgreifen konnte, das Telefon nicht mehr ununterbrochen gebimmelt hat. Außerdem musste ich ja beweisen, dass ich als Manager nicht nur Wasser gepredigt habe und Wein trinke, sondern ich musste das jetzt auch als Franchisenehmer umsetzen. Das erklärt sicher auch meinen hohen Anspruch, dass meine Restaurants Vorzeigebetriebe werden sollen. Das ist eine große Herausforderung, und die macht mir riesig Spaß. Das heißt kein Blick zurück in Wehmut, als etwa die Sekretärin noch Ihre Termine checkte und mancher vielleicht in Ehrfurcht vorm mächtigen Chef erstarrte? (lacht) Sicher nicht. Diesen Schritt

MACI RELOADED Anfang Oktober ist es so weit. Der neue McDonalds in der Mariazellerstraße wird nach nur vier Monaten Bauzeit und einer Investition von rund vier Millionen Euro seine Pforten öffnen. Die Fläche – auf zwei Geschossen – wird über ein Drittel größer sein als der bisherige Standort, womit fortan in St. Pölten der größte McDonalds Österreichs situiert ist. Insgesamt finden 200 Personen indoor und 100 outdoor Platz. Der Drive-in bekommt eine Doppelspur, im ersten Stock entsteht eine Family-Entertainment World mit interaktiven Spielen. Darüberhinaus stehen WLAN und i-Pads für die Besucher zur Verfügung. Komplett umgekrempelt wird das Bestellsystem: Fortan kann man nicht nur wie gehabt direkt an der Kasse, sondern auch über die aufgestellten Terminals im Restaurant oder via App bestellen – und zwar nicht nur 0815, sondern nach persönlichen Wünschen - also vielleicht mehr Käse, dafür z.B. keine Zwiebel. Zudem werden die Speisen erst nach Eingang der Bestellung zusammengestellt, womit der Frischefaktor steigt. Die Ausgabe erfolgt am eigenen Ausgabe-Terminal.

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MFG URBAN

ANSAGE. „Natürlich hätte ich den bestehenden McDonalds die nächsten 20 Jahre weiterbetreiben können wie bisher, wir wollen aber einen Schritt voraus sein, und zwar nicht weil wir es müssen, sondern weil es Spaß macht! Der neue Flagship-Store wird wirklich etwas Besonderes!“

– soviel kann ich nach zwei Jahren sagen – habe ich nie bereut! Natürlich ist es komplett anders, aber das ist gut so. Ich kann heute aufstehen, wann ich möchte, kann den Tag gestalten, wie ich will, bin eigenständig. Diese Freiheit ist unbezahlbar! Als Manager hingegen bist du in eine Konzernstruktur gezwängt, du verbringst deine Tage in Meetings, Geschäftsessen, ein Termin jagt den anderen, und am Abend fragst du dich „Was war eigentlich heute?“ Was mich v.a. zunehmend gestört hat, war die ständige Fliegerei – du fährst um sechs Uhr in der Früh zum Flughafen, irgendwohin, hast ein Meeting, das geht so bis am Abend, um 21 Uhr kommst du zurück und dein Kind schläft schon. Das war sicher ein relevanter Aspekt – die Geburt meines Sohnes, der heute sechs Jahre ist: Ich möchte ihn einfach aufwachsen sehen. Haben die typischen Managementkrankheiten, der stete Stress und Druck auch eine Rolle gespielt? 54

Für mich nicht. Ich habe den Job ja nie als Druck empfunden, sondern er hat mir immer Spaß gemacht. Ich hab ihn geradezu intuitiv, voll Leidenschaft ausgefüllt. Aber ich verstehe und kenne Manager, für die dieses Leben einen enormen Druck darstellt, die irgendwann ins Burn-out schlittern, krank werden. Das hängt aber weniger mit der Arbeit, als dem einzelnen zusammen. Für viele sind die Schuhe einfach zu groß, sie gestehen sich das aber aus falscher Eitelkeit nicht ein, werken weiter, bis sie nicht mehr können. Dazu kommt irgendwann die Existenzangst, weshalb sie nichts ändern und sich nicht über ihre Probleme zu sprechen trauen. Das ist aber grundfalsch: Man muss nicht automatisch immer nach dem Höchsten streben, sondern wichtig ist, dass einen der Job erfüllt. Wenn jemand – das sage ich auch meinen Mitarbeitern, und manchmal trennen wir uns dann voneinander – seinen Job nur rein wegen des Geldes macht, dabei aber unzufrieden ist, dann sollte er schleunigst aufhören. In Österreich

haben laut Statistik ja 32% der Arbeitnehmer innerlich bereits gekündigt. Für die Wirtschaft bedeutet das einen Riesenschaden, ebenso aber auch für die Betroffenen. Für die Mitarbeiter sind natürlich auch die Rahmenbedingungen wichtig. McDonalds stand früher – v.a. in den USA, Stichwort McJobs – schwer in der Kritik. In Österreich hingegen ist das Unternehmen mittlerweile ein begehrter Arbeitgeber. Weil wir hohe Standards haben und diese – eben aus vorhin angesprochenem Aspekt der zufriedenen, motivierten Arbeitnehmer – auch leben. Ich habe in beiden Betrieben insgesamt 140 Leute, mit der Eröffnung des neuen Flagship-Stores werden weitere 10-15 dazu kommen. 90% davon haben 20-40 Wochenstunden Verträge, viele Vollzeit. Zudem haben wir fünf Lehrlinge. Und Sie haben auch, wie ich gehört habe, mehrere Mitarbeiter


SEITENWECHSEL

mit besonderen Bedürfnissen. Ja, insgesamt acht. Diese Kollegin etwa (Schwerla winkt einer Mitarbeiterin) kann nicht hören und sprechen. Aber sie kann arbeiten, wir verständigen uns mit Händen und manchmal per SMS – es geht gut. Natürlich kann man solche Kollegen nicht am Counter einsetzen, aber es gibt genügend andere Möglichkeiten, wo sie ihre Fähigkeiten einbringen können. Das hat Sinn und ist sehr schön, und zwar für alle. Und diese Mitarbeiter sind besonders motiviert und engagiert. Dieses soziale Engagement leben Sie ja auch als Aufsichtsratsvorsitzender der McDonalds Kinderstiftung aus. Wie kam es dazu? Ich habe diese Funktion damals als Geschäftsleiter Österreich sozusagen geerbt. Seitdem ich aber eines unserer Wohnhäuser besucht und mit den Eltern gesprochen habe, bin ich noch mehr beeindruckt. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich mittlerweile selbst ein Kind habe und verstehe, wie schlimm das sein muss, wenn dein Kind eine schwere Krankheit hat. Ich investiere jedenfalls sicher über 500 Stunden ehrenamtlich im Jahr – und das voll Überzeugung, weil es absolut Sinn macht. Wir werden jetzt auch drei weitere Häuser neben Krankenhäusern eröffnen, wo die Eltern während der Therapie mit ihren Kindern wohnen können. Laut Forschung verdoppelt das die Heilungschancen! Was mich stolz macht, ist, dass wir

die Gesamterlöse in meiner Zeit und unter der Präsidentschaft von Sonja Klima auf über zweieinhalb Millionen Euro pro Jahr verdreifachen konnten. Und unsere Benefizgala ist nach Lifeball, Opernball und Fete Imperiale eine der größten Charity-Veranstaltungen Österreichs mit über einer halben Million Euro Reinerlös. Kommen wir vielleicht zu Ihrem Kerngeschäft: Fastfood. Da ist ja ebenfalls ein unübersehbarer Wandel vonstatten gegangen. Galt McDonalds früher imagemäßig ausschließlich als DIE „böse“ Kalorienschleuder, hat man in Österreich unter „make it veggie“ jüngst sogar vegane Burger eingeführt. Hat man damit auf die Zeichen der Zeit reagiert? Das tun wir laufend. Wir haben auch schon früher vegetarische Anläufe genommen, nur war das Ergebnis nie zufriedenstellend. Aber jetzt passt die Qualität. Prinzipiell zählen wir aber sicher – auch energie- und arbeitsmarkttechnisch – zu den nachhaltigsten Betrieben in Österreich. Alle Mitarbeiter sind sozialversichert und haben korrekte Verträge, wir trennen den Müll, wir schauen genau, wo unsere Waren herkommen, beziehen sie soweit möglich von regionalen Betrieben und glaubwürdigen Produzenten – etwa jenen, die das AMA-Gütesiegel tragen dürfen. Diesbezüglich sind wir sicher Vorreiter in Österreich. Was unsere Produktpalette betrifft, bemü-

hen wir uns, eine große Bandbreite anzubieten, so dass man sich bewusst und vielseitig ernähren kann. Wer will, nimmt ein vegetarisches Angebot und trinkt dazu Wasser. Beim Happy Meal für die Kleinen „müssen“ die Konsumenten in Sachen Nachspeise heute aus vier Fruchtzugaben wählen, wir bieten Wraps an, man kann vegetarische Burger haben, und wir sind der größte Salatverkäufer Österreichs. Auch gluten- und lactosefreie Produkte führen wir nunmehr im Sortiment – kurzum wir haben wirklich versucht, auf die Bedürfnisse der Konsumenten einzugehen. Klassische Burger gibt’s aber schon auch noch, oder? (lacht) Bei all unseren Bemühungen muss klar sein, dass McDonalds nie ein Reformhaus sein wird, oder werden soll. Das heißt, die Kunden – und immerhin geben 88% der Österreicher an, uns mindestens drei Mal im Monat zu besuchen – möchten allen voran gute, hochwertige Burger bei uns genießen. Wichtig ist aber die Bandbreite. Wenn ich mehrmals die Woche komme, muss ich eben nicht ausschließlich Fleischburger oder, um es mit der normalen Gastronomie zu vergleichen, Schnitzel essen, wenn ich das nicht will. Sondern ich kann mich abwechslungsreich ernähren. Letztlich geht es uns aber vor allem nach wie vor um eines: Die Leute sollen bei McDonalds gutes, qualitativ hochwertiges Essen genießen können.

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SHORTCUT KULTUR

Groovy

Thomas Fröhlich

Let The Sunshine In – jetzt erst recht!

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Wein.Kunst.Lokal.

Kennen Sie die Schnittmenge aus Weingenuss, Radsport, bildender Kunst und Stevie Ray Vaughn? Antwort: Haydn. Michael Haydn. Mit der Lizenz zur Ausschank. Mit seinem Geschäft „Most.Wein.Edelbrand“ am Herrenplatz etablierte er regionale Weinkultur in St. Pölten. Nun hat er ausgebaut, um endlich „richtig Gastronomie anbieten zu können“, was in seinem kleinen, aber feinen Laden halt nur bedingt möglich war. Jetzt sind Verkauf und Vor-Ort-Genuss räumlich klar getrennt. Seiner Philosophie, ausschließlich Qualitätsprodukte aus der Region (Traisental) anzubieten, ist er treu geblieben. Die offizielle Eröffnung am 27. August (dem 25. Todestag des Ausnahme-Bluesrockgitarristen Stevie Ray Vaughn) ließ sich Musikfan Haydn live von handverlesenen Musikern veredeln. Die Gestaltung des Lokals schließt neben diversen Artefakten (T-Shirts) seiner beliebtesten Randsportart (Radfahren) demnächst auch Kunstobjekte von Florian Nährer und Walter Berger ein. Lokalkunst im besten kulinarischen Sinne – Prost!

Bregenz, Villach und Wels haben sich in Sachen Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 schon in Stellung gebracht. St. Pölten hingegen bleibt wie bisher vage: Interesse ja, etwa auch in Form einer Kulturachse mit Krems, aber ohne Land gehe gar

nichts. Beim Land hat freilich noch gar niemand angeklopft, wie Kulturchef Hermann Dikowitsch konstatiert: „Bisher liegen uns von keiner der beiden Städte konkrete Bewerbungen vor. Wenn solche eintreffen, werden wir diese natürlich prüfen. Wie zahlreiche Projekte von Europäischen Kulturhauptstädten in der Vergangenheit gezeigt haben, ist mit der Durchführung solcher ein enormer finanzieller Aufwand verbunden. Deshalb wird es wesentlich sein, nicht nur die inhaltlichen, sondern auch die finanziellen Aspekte sowie die nachhaltigen Auswirkungen im Vorfeld genau zu beleuchten. Es muss klar sein, dass vom jeweiligen Bewerber auch substanzielle Eigenmittel aufzubringen sein werden.“

Fotos: Jürgen Pletterbauer; zVg

In der Seedose feiert man das 10-Jahre-Jubiläum mit einer zünftigstylishen 60ies-Party. Im Kino retten zwei in edles Tuch gehüllte und vor Coolness platzende Geheimagenten in einer Neuauflage der 1960er-TV-Serie „Solo für O.N.K.E.L.“ quotenträchtig die Welt. Musik/Lifestyle-Gazetten wie „The Mojo 60ies“ sind längst keine Nischenprodukte mehr. Und auch Ihr Kolumnist lässt während des Schreibens dieser Zeilen die Fab Four auf dem Plattenteller kreisen. Dieser Sommer stand popkulturell ganz im Zeichen der Roaring 60ies – ein Ende ist nicht abzusehen. Woher diese Sehnsucht nach der angeblich so guten, alten Zeit kommt, darf nur vermutet werden. Sicher, man wusste sich ansprechend zu kleiden und zu benehmen (na ja, mit Ausnahmen) – die Hipster jener Tage waren mitunter Augenweiden (wie etwa Ur-Rolling Stone Brian Jones beim Flanieren über die Carnaby Street – im Rüschenhemd). Andererseits war natürlich auch nicht alles eitel Wonne – Feindbilder gab es genug, ob nun je nach Zugehörigkeit „das Establishment“ oder „der Russ’“. Dennoch waren die Dinge überschaubarer (zumindest im verklärenden Rückblick); und dem jeweiligen Gegner war durchaus mit einer hübsch dekadenten Charmeoffensive beizukommen, wie wir es etwa bei James Bond und seiner schmachtenden sowjetischen Spionin erleben durften: Liebesgrüße aus Retroland. Bei einer sprengstoffumgürteten Attentäterin heutiger Anmutung wären wohl selbst Schirm, Charme und Melone vergebens. Klar sind die 60er letztendlich eine Projektionsfläche für eskapistische Wunschvorstellungen. Doch ein wenig von dieser coolen Gelassenheit könnten wir uns durchaus in den dräuenden Herbst hineinretten.


Sternstunden

n L IV E e r le b e

PETER

CORNELIUS

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AMM

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MFG KULTUR

Yutaka SADO

Wie Zauberei Yutaka Sado war Assistent bei Leonard Bernstein und Seiji Ozawa. Nun ist der 53-jährige Japaner Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich, das er zukünftig auf den internationalen Konzertbühnen etablieren und dabei auch gleich die Wiener Klassik forcieren will.

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lle seine Lieblingskomponisten, wie Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms, Mahler und Strauss lebten u. a. in Wien, und Österreichs Bundeshauptstadt war 1988 auch zugleich die erste Auslandsstation des japanischen Dirigenten Yutaka Sado. Jetzt, viele Jahre später nach seinen Weltreisen in Sachen Musik, kehrt Sado wieder an den Ausgangspunkt seiner musikalischen Karriere zurück. Als Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters wird er zudem auch in Grafenegg und im Festspielhaus St. Pölten Einzug halten. „Natürlich werden die Tonkünstler und ich die Werke meiner Lieblingskomponisten aufführen, denn was diese uns hinterließen, ist fantastische und geniale Musik“, legt Sado gleich von Beginn an seinen programmatischen Ansatz dar. Über das typisch Wienerische will er mehr erfahren: „Ich kenne mich ein bisschen aus mit dem, was typisch französisch und italienisch ist, aber der Wiener Klang ist wirklich etwas Besonderes“, so Sado, „denn es ist nicht schwierig, ihn zu erkennen, weil einige der üblicherweise eingesetzten Instrumente eine spezielle Bauweise haben und daher anders klingen, er hängt aber auch mit bestimmten Traditionen der Phrasierungen zusammen oder damit, wie die mittleren Stimmen eingesetzt werden. Ich möchte mich näher mit dieser Tradition auseinandersetzen.“ Auf den Bühnen der Welt Aber nicht nur die Pflege der Wiener Klassik wird vom neuen Chefdirigenten als Ziel für die vorerst nächsten drei Jahre ausgegeben. Sado will das Tonkünstler-Orchester auch auf den internationalen Konzertbühnen etablieren. Und diese kennt er von den 58


TEXT: Andreas Reichebner | Fotos: peter Rigaud, Yun Yoshimura

letzten Jahren, wo er als musikalischer Kosmopolit durch die Länder zog, genauso wie die zahlreichen bekannten Orchester, die er im Laufe seiner Karriere dirigierte. Er arbeitete mit den Berliner Philharmonikern, dem Deutschen Symphonieorchester Berlin, dem Konzerthausorchester und dem Bayerischen Staatsorchester zusammen. Ebenfalls auf seiner umfangreichen Liste stehen u. a. die Rundfunksinfonieorchester von BR, NDR, SWR und WDR, das Gewandhausorchester Leipzig, die Sächsische Staatskapelle Dresden, das London Symphony Orchestra, das Orchestre de Paris, das Mahler Chamber Orchestra oder das Danish National Radio Symphony Orchestra. Über die Jahre hat Sado seine spezielle Arbeitsweise entwickelt. „Ich gebe dem Orchester einige Ideen vor, dann versuchen wir, sie gemeinsam umzusetzen“, so Sado, „der Dirigent muss dabei den Überblick haben, er muss auch viele Musiker an einem Ort zusammenbringen.“ Für Sado ist dieses Zusammenspiel ein unheimlich kreativer Prozess, bei dem das Wichtigste ist, dass es zu einem bestimmten Termin nur dieses eine Konzert gibt. „Auf Japanisch sagt man: Ichigo ichie, das bedeutet, wir haben nur einen Versuch.“ Dabei verwendet er bei der Probearbeit auch Bilder und Geschichten. „Bilder können helfen, die richtige Muskelspannung zu programmieren, was wirklich wichtig ist für Musiker.“ Zudem versucht er auch technische Einstellungen zu kreieren. „Andererseits erkläre ich auch, warum ich beispielsweise will, dass die Streicher ihre Bögen auf eine bestimmte Art führen, oder warum ich möchte, dass die Holzbläser weniger laut einsetzen, um eine längere Phrase zu entwickeln.“ Mal Engel, mal Teufel Zuhören ist für ihn entscheidend. Dass die Orchestermusiker auf ihn hören, aber auch aufeinander. „Ich

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sage immer und immer wieder: zuhören, zuhören, zuhören.“ Sado gibt dem Orchester auch sehr viel Freiheit, die Musik im Moment mitzugestalten. „Am liebsten wäre es mir, wenn sie mich überhaupt nicht bräuchten“, gibt sich der japanische Dirigent mit einem Anflug an Understatement demütig, „aber natürlich gibt es bei der Probenarbeit schwierige Momente, wenn ich ihnen sagen muss: Das war nicht gut, das hat nicht zusammengeklungen. Als Dirigent leite ich das Musizieren, muss ich den Musikern die Richtung weisen: Ich bin manchmal ein Engel, manchmal ein Teufel.“ Oder auch ein Zauberer, denn diesen Eindruck gewann der in Kyoto geborene Musiker als junger Mensch bei seinen ersten Konzerten, bei denen er von seinen Eltern mitgenommen wurde, vom Orchesterleiter: „Für mich war der Dirigent mit seinem Taktstock wie Harry Potter. Aus der Stille mit einem Nicken die Musik beginnen zu lassen, war wie Zauberei.“ Schon als Volksschüler hörte Yutaka Sado Schallplatten von Gustav Mahler und Richard Strauss. Erst in der Mittelschule befasste er sich „mit zeitgenössischer japanischer Musik.“ Schon früh wurde er von seiner Mutter angehalten, auf dem Klavier zu üben. „Sie war sehr streng … Wenn sie zuhörte, spielte ich Beethoven, wenn sie nicht zu Hause war, Songs von Deep Purple“, so Sado, der aber damals viel lieber zum Basketball spielen gegangen wäre. 1988 wurde er Assistent von Leonard Bernstein, 1993 Chefdirigent des Orchestre des Concerts Lamoureux in Paris. Er gewann einige der weltweit wichtigsten Preise wie den Premier Grand Prix des 39. Internationalen Dirigierwettbewerbs Besançon und den Grand Prix du Concours International L. Bernstein Jerusalem. In Japan ein Star In seiner Heimat Japan ist Sado bereits eine Berühmtheit. Jeden Sonntag

„Ich koche sehr gerne. Und zwar so wie ich arbeite: ohne Rezept.“

Info Am 5. Oktober 2015 dirigiert Yutaka Sado das Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich im Festspielhaus St. Pölten: Joseph Haydn: Symphonie D-Dur Hob. I:6 “Le Matin“; Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester, G-Dur KV 453; Johannes Brahms: Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98 www.tonkuenstler.at www.festspielhaus.at

ist er mit einer halbstündigen Fernsehsendung in Sachen klassischer Musik am Programm. Dort dirigiert, moderiert und erzählt er über verschiedene Musikstücke. Dabei hat er schon allein 1.500 Leute als Publikum im Saal. Seit nunmehr 16 Jahren dirigiert er jährlich Beethovens „Neunte“ in einer Sportarena in Osaka – die Besonderheit daran: Der Chor besteht aus 10.000 Sängerinnen und Sängern. Allein 35.000 Menschen melden sich jedes Jahr an, die Sänger werden dann per ausgewählt. „Beim letzten Konzert war ein siebenjähriges Mädchen als Jüngste und ein 95-jähriger Mann als Ältester im Chor“, zeigt sich Sado ob dieser Begeisterung stolz, „ich hab Beethovens Neunte schon 200 mal dirigiert, das ist eine göttliche Musik.“ Der Geschäftsführer des TonkünstlerOrchesters Frank Druschel war einmal dabei: „Dann kommt der vierte Satz und 10.000 Leute stehen auf und fangen zu singen an, ein berührender Moment.“ Vorher probt Yutaka Sado bei zehn Proben mit je 1.000 Sängern. In Grafenegg ist geplant, mit 400 Sängern Beethovens Neunte ebenfalls aufzuführen. Für den neuen Chefdirigenten der Tonkünstler geht es vorwiegend um die Verbindung zwischen Musik und Menschlichkeit. Dieser Einstellung liegt auch die Idee des Hyogo Performing Arts Centre (PAC), dessen künstlerischer Direktor und Chefdirigent er seit 2005 ist, zu Grunde. Nach dem katastrophalen Erdbeben 1995 von Kobe regte er an, inmitten der völlig zerstörten Innenstadt von Hyogo dieses Menschen verbindende Kulturzentrum zu bauen. Der dort gebaute Konzertsaal hat sich mit inzwiMFG 09.15

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MFG KULTUR

schen mehr als 70.000 Zuschauern jährlich zu einem der bedeutendsten Konzertorte Japans entwickelt. Mit dem Tonkünstler Orchester übernimmt er nun „ein offenes, junges, freundliches und begeisterungsfähiges Orchester“, wie Frank Druschel bei der Präsentation des neuen Programmes ausführte, „mit ihm wird es eine wunderbare Zusammenarbeit geben, wir blicken in eine tolle Zukunft.“ Bei einem Altersschnitt von 40,3 Jahren zeigen sich die Tonkünstler vergleichsweise sehr jung, mit 37 Frauen unter 101 Musikern ist man auch auf dem Weg zur Parität. Den Beginn macht Yutaka Sado Anfang Oktober mit Poesie und Raffinement der Wiener Klassik, u. a. mit Joseph Haydns Symphonie D-Dur „Le Matin“ – der Morgen. „Haydn bringt Freude und Lebenslust“, plaudert Sado über den Urvater der Symphonie. Mit Haydn, Mozart, Beethoven, Bruckner will er das Orchester auf seiner Basislinie, wie er sagt, be-

Yutaka SADO – WIE ZAUBEREI

GOING ST. PÖLTEN/WIEN. In Japan schon längst eine Berühmtheit, übernimmt Yutaka Sado nun ab der Saison 2015/16 die Chefdirigentenrolle des Tonkünstler-Orchesters.

wegen, danach möchte er dem Publikum französische Musik präsentieren. Nächstes Jahr steht auch eine dreiwöchige Konzerttournee mit den Tonkünstlern in Japan am Programm. Daneben wird Sado an die 20 Konzerte mit „seinem“ neuen Orchester

spielen. „Mit Leuten aus verschiedensten Ländern Freude zu teilen, das ist das Wichtigste!“ „Omotenashi“ heißt im japanischen pure Gastfreundschaft, dieses „omotenashi“ hat sich der neue charismatische Orchesterleiter verdient.

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ST. PÖLTEN

24. 9. 2015 bis 13. 3. 2016

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www.stadtmuseum-stpoelten.at 3100 St. Pölten | Prandtauerstraße 2 | Mi – So von 10 – 17 Uhr © Olaf Heine, Herrndorff, Martin Girard, Presse Skalar (3), Universal Music, Jonas Lindström, Niki Witoszynskyj

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MFG ADVERTORIAL

FÖRDERVEREIN KULTURBEZIRK

JETZT GEHT’S LOS

Nach der Sommerpause freuen wir uns schon wieder auf die neue Saison in unseren Häusern. Als Förderverein Kulturbezirk wohnen wir wieder ganz besonderen Veranstaltungen bei.

Am 24. September führt uns im Rahmen einer Preview die künstlerische Leiterin von „ZEIT KUNST NIEDERÖSTERREICH“ Alexandra Schantl durch die Ausstellung „Constanze Ruhm. Re: Rehearsals (no such thing as repetition) in der Shedhalle im Landesmuseum. In dieser ersten Retrospektive der Künstlerin und Filmemacherin wird ihr von 2001 bis 2014 entstandener Werkkomplex „X CHARACTERS“ präsentiert. Im Anschluss exklusiver Empfang.

haus und erleben das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Am Programm steht mit „... como el musguito en la piedra ...“ („wie das Moos auf dem Stein“) das letzte Werk der 2009 verstorbenen Tanzikone, die ab den 70er-Jahren wie keine andere Choreografien das Tanztheater prägte und in ihrer 36-jährigen Karriere ein Werk voll provozierender Wucht und zeitloser Poesie schuf. Im Anschluss exklusiver Empfang.

Am 26. September besuchen wir im Landestheater in der Theaterwerkstatt die Proben zum „Grüffelo“. Die Kinderbücher von Julia Donaldson und Axel Scheffler rund um die gewitzte Maus und das grimmige Waldwesen Grüffelo sowie sein neugieriges Kind sind praktisch in allen Kinderzimmern zuhause. Im Anschluss stärken wir uns mit Kaffee, Kakao und Kuchen. Kinder mitnehmen!

Am 18. November führt uns Museumsdirektor Thomas Pulle durch die Ausstellung „St. Pölten 1945“ im Stadtmuseum. Anhand originaler Fotodokumente und Zeitzeugenberichten wird der Grad ZEIT.KUNST. Große Constanze Ruhm der Zerstörung der Retrospektive von mehreren Bombenangriffen heimgesuchten Stadt im letzten Weltkriegsjahr nachgezeichnet. Zudem werden die Themen Besatzung und Wiederaufbau aufgearbeitet. Im Anschluss findet ein Empfang statt.

Von der Theaterwerkstatt geht es am 14. Oktober ins „Große Haus“ des Landesthaters, wo wir Oscar Wilds „Ernst ist das Leben (Bunbury)“ beiwohnen. In der trivialen Komödie für ernsthafte Leute – so der originale Untertitel – ist die elitäre Oberschicht das Ziel seiner beißenden Ironie. Im Anschluss Treffen mit dem Ensemble im Theatercafé. Am 24. Oktober sind wir zu Gast im Festspiel-

Am 11. Dezember folgt dann der Besuch eines Konzertes der Reihe „Tonkünstler Plugged-In“ im Festspielhaus. Neben Werken von Friedrich Gulda und Duke Ellington erklingt auch die Suite zu Leonard Bernsteins „West Side Story“. Zudem werden die Tonkünstler gemeinsam mit dem Geiger Benjamin Schmid ein Violinkonzert von Florian Willeitner uraufführen. Im Anschluss exklusiver Empfang.

Mitglied werden und die zahlreichen Vereinsvorteile (Exklusiveranstaltungen, Previews, Künstlertreffen, Exkursionen, Ermäßigungen uvm.) genießen.

Anmeldung und Infos unter 02742/908080-600, foerderverein@kulturbezirk.at

Präsident LOTHAR FIEDLER Vier Jahre ist es her, dass die großen St. Pöltner Bühnen – Festspielhaus, Landestheater Niederösterreich, Bühne im Hof sowie erweitert um das Landesmuseum – mit „spielorte“ ein neues, gemeinsames Magazin aus der Taufe hoben. Damals war dies ein Meilenstein, wurde doch das – was so naheliegend schien – erstmals in Realität umgesetzt: Ein gemeinsamer, häuserübergreifender Zugang zu einem Publikum, das in allen Institutionen zuhause ist und deshalb auch immer gern über alle Aktivitäten kompakt und auf einen Blick informiert werden möchte anstatt sich aus vielen Einzelpublikationen mühsam einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Setzte man mittels des Magazins vor allem auch auf einen Blick hinter die Kulissen, brachte man vielfach Reportagen, Interviews mit Künstlern, Beiträge zu grundsätzlichen Themen, so stellte sich zusehends heraus, dass man mit diesem ambitionierten Ansatz übers Ziel hinausschoss, ja in gewisser Weise sogar daneben traf. Viele Kunden wünschten sich nämlich eine noch kompaktere, intensivere, komprimiertere Zusammenschau aus ihren Häusern, quasi Fakten auf einen Blick anstelle breiter Hintergrundinformationen. Diesem Wunsch wird mit dem neuen „SPIELORTE“-Konzept nunmehr Rechnung getragen, das sich vom Magazingedanken mehr oder weniger gänzlich verabschiedet und hin zu einem hochwertigen Veranstaltungskalender mit Specialfeatures gewandelt hat. Im Mittelpunkt steht der Kalender, der auf einen Blick alle Veranstaltungen im Festspielhaus, Landestheater, Bühne im Hof sowie – neu integriert – auch besondere weitere Veranstaltungen in der Landeshauptstadt präsentiert. „Highlight-Produktionen“ der Häuser werden zudem kurz beschrieben. Gewinnspiele sowie der Hinweis auf Packages komplettieren die Information. Als Herausgeber von „SPIELORTE“ wünschen wir Ihnen seitens des Fördervereins Kulturbezirk viel Spaß beim Schmökern und freuen uns auf Ihren geschätzten Besuch in „unseren“ realen St. Pöltner Spielorten!

iNFORMATIONEN

www.kulturbezirk.at, Tel.: 02742/908080-600 MFG 09.15

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THOMMY TEN & AMÉLIE

MENTALMAGIE MADE IN STP Sie haben geschafft, was 30 Jahre kein anderer vor ihnen erreicht hat: Thommy Ten & Amélie van Tass belegten im Juli bei der Weltmeisterschaft der Zauberkunst in Rimini den ersten Platz in der Sparte „Mentalmagie“ und sind nun „Weltmeister der Zauberkunst“. Am 30. Oktober stellen sie ihre Zauberkünste im VAZ unter Beweis. MFG bat die in St. Pölten geborenen Weltmeister zum Interview. Wie habt ihr eure Leidenschaft bzw. euer Talent für die Zauberei entdeckt? Thommy Ten: Im Alter von zehn Jahren sah ich meine erste Zaubershow. Ich war sofort fasziniert. Da sind Sachen erschienen, sind geschwebt und wieder verschwunden. Was mich jedoch noch viel mehr interessierte, war, wie es hinter der Bühne aussieht. Bald darauf bekam ich ein Zauberbuch und einen Zauberkasten geschenkt. Nach meinem ersten Auftritt merkte ich jedoch, dass die meisten Kunststücke auch den anderen Kindern bekannt waren, da sie dieselben Zauberkästen hatten. Für mich war klar, ich muss eigene Kunststücke entwickeln, um mein Publikum faszinieren zu können! Mit 13 schaffte ich es tatsächlich zum ersten Mal „Österreichischer Meister der Zauberkunst“ zu werden. Jetzt gab es keinen Halt mehr: Ich werde Zauberkünstler! Amélie: Thommy und ich sollten uns eigentlich schon seit Kindheitstagen kennen, da sich unsere Wege immer wieder kreuzten. Wir wurden sogar im gleichen Krankenhaus geboren! Jedoch aufeinander aufmerksam wurden wir erst 2011 bei einer TV Show, ich war Tänzerin und er Zauberer. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und merkten bald, dass wir eine einmalige Verbindung haben – genau diese zeigen wir nun in unserer Show! Was ist Mentalmagie, wodurch unterscheidet sie sich von der „klassischen“ Zauberei wie man sie kennt? Was fasziniert euch daran? Thommy Ten: Bei der klassischen Zauberkunst passiert viel Visuelles. Es erscheinen, schweben oder verwandeln 62

sich Gegenstände. In der Mentalmagie spielt sich alles im Kopf des Zusehers ab. Dies macht es besonders interessant, da jeder Abend anders ist mit anderen Leuten und neuen Herausforderungen. Mittlerweile habt ihr sozusagen deine Berufung zum Beruf gemacht. Habt ihr auch etwas anderes gelernt? Thommy Ten: Ich habe eine Ausbildung zum Kommunikationsprofi, mit der Spezialisierung auf Eventmanagement und Werbung gemacht. Hier geht es vor allem um die Kommunikation – das hat mich interessiert, da ich als Mentalist sehr viel mit meinem Publikum kommuniziere! Amélie: Mich hat es schon immer in die Richtung Schauspiel und Tanz gezogen. In Wien habe ich eine Ausbildung zur Tänzerin gemacht und wurde professionelle Bühnentänzerin. Es heißt „Ein wahrer Zauberer verrät nie seine Geheimnisse“. In Zeiten von Google, Youtube & Co. werden dennoch viele Tricks „entzaubert“. Verliert die Zauberei dadurch an Faszination? Thommy Ten: Nein ganz und gar nicht. Die Zauberkunst hat gerade einen Riesenhype! Es geht nicht nur um das Trickprinzip, sondern was man daraus macht. Die Geschichte, das Bühnenbild, die Gags und das Zusammenspiel mit dem Publikum – die ganze Inszenierung gestaltet die Show! Es ist jedem selbst überlassen, ob

er sich auf Google über Tricks informieren will oder nicht. Für alle die wirklich ein neues Hobby erlernen wollen, habe ich ein Zauberbuch geschrieben, „Zauberkunst lernen mit Thommy Ten“. Hier gebe ich viele Tipps für den Beginn und erkläre meine allererste Show zum Nachmachen. Nach einigen Auszeichnungen wie dem österreichischen sowie


TEXT: Anne-Sophie Settele | Foto: Sebastian Konopix, Artwork by Imagicians.de

deutschen Meister der Mentalmagie seid ihr nun aktuell „Weltmeister der Mentalmagie“. Was bedeutet diese Auszeichnung für euch? Amélie: Es ist wirklich eine Ehre für uns. Seit über 30 Jahren gab es keinen ersten Platz mehr in der Sparte Mentalmagie, da nie die Mindestpunkteanzahl erreicht wurde. Thommy Ten: Obwohl es über die Jahre Top Acts gab. Amélie: Ja, und nun haben ihn wirklich wir in der Hand! Thommy, Sie sind in St. Pölten geboren, leben nun in Krems. Gibt es etwas, das Sie mit St. Pölten verbindet? Thommy Ten: Amélie und ich, wir sind beide in St. Pölten geboren. Un-

sere Wurzeln kommen sozusagen von hier. Nun sind wir in der ganzen Welt unterwegs, dieses Jahr geht es noch nach St. Petersburg, Dubai, Doha, Abu Dabi, Las Vegas, Hollywood, Melbourne und ins Opera House nach Sydney. Wir freuen uns jedoch immer zwischen all den Terminen wieder in die Heimat zu kommen, Freunde zu treffen und die Landschaft zu genießen. Am 30. Oktober seid ihr mit eurem Programm „einfach zauberhaft“ im VAZ St. Pölten zu Gast. Was erwartet die Besucher? Thommy Ten: In unserer abendfüllenden Show zeigen wir Illusionen, die unser Publikum zum Staunen bringen werden. Ebenso werden die Zuseher Teil der Show, besonders in der Mentalmagie. Amélie: Als besonderes Highlight freuen wir uns darauf, euch unsere Weltmeisternummer zu zeigen, unseren Act „feingefühl“.

weisskohlscheisse

Tina Reichl Der erste Sommer im Garten und dann durchgehend Badewetter. Kein Witzbold, der mir schon in der ersten Augustwoche unter die Nase reiben will, dass es ja jetzt bald wieder los geht (mit der Schule) und überhaupt herbstlts schon irgendwie, weil die Nächte schon wieder kühler werden! Hah! Dieser Sommer hats allen gezeigt! Mein Sohn kann einen perfekten Köpfler, schwimmt 50m Brust – gemischt mit Freistil, hat seine erste Zahnlücke und ein neues Schimpfwort erfunden, das er gern auch mal eine halbe Stunde durchgehend vor sich hin summt – es heißt Weißkohlscheiße. Die Tage brummen angenehm vor sich hin wie die Pumpe unseres Pools, träge Müdigkeit und Zufriedenheit mit dem Leben im Allgemeinen könnte sich breit machen. Doch mitten in meinem frisch gemähten Garten wird mir mein Herz so schwer wie die reifen Sonnenblumen, die vornüber hängen, ob des Gewichtes ihrer Samen. Zeitungen und facebook tragen mir die Neuigkeiten der Flüchtlingskatastrophen hinein in meine heile Welt. Ich bin sprachlos, habe einen Klos im Hals, Tränen brennen in den Augen und ich schluck sie weg. Jeder kennt diese Situationen, in denen er sich machtlos fühlt, aber sprachlos war ich bisher nur sehr selten. Da war meine erster Freund Hansi im Gym, dem ich tapfer meine Liebe gestand, und der mich, als ich mich zu ihm hochgestreckt hatte um ihn zu küssen, einfach stehen ließ, vor all meinen Mitschülern. Da war der Arzt, der erklärte, dass meine Schwester nur noch Wochen zu leben hat. Und da war der Bademeister, der, als ich handtuchumwickelt meinem Sohn nach dem Baden eine Banane in den Mund stopfte, diesem zurief: „Gö, die Oma hot imma ollas mit!“ Nächstes Mal bin ich aber gewappnet. Ich sag einfach:“ So eine verdammte Weißkohlscheiße!“

MFG 09.15

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SHORTCUT SZENE

Stetiges Wachstum?

Dominik Leitner

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Völkerball 2.0

Dass St. Pölten eine Sportstadt ist, ist ja hinlänglich bekannt. Dass auch mancher Randsportart gefrönt wird somit nicht weiter verwunderlich. Vor Kurzem haben sich deshalb einige St. Pöltner zusammengefunden, um Dodgeball – eine Art Völkerball 2.0 – zu spielen. Begonnen hat alles mit der Idee von Dominik Taucher. „Ich habe in der Schule am liebsten Völkerball gespielt. Leider gibt es in St. Pölten und Umgebung keinen derartigen Verein, weshalb einige Leute zusammengetrommelt wurden, die ebenfalls gerne Völkerball spielen“, so der Initiator. Kurz darauf konnten etwa 25 Ballsportbegeisterte auf einem öffentlichen Spielplatz in Wagram die ersten Spiele austragen. Eine Vereinsgründung steht außerdem an. Gespielt wird in Zukunft in der Turnhalle des Gymnasiums Josefstraße und zwar jeden Dienstag von 20:30 bis 22:00. Dann auch sicher mit mehr Spielern. Wer mitmachen will, findet alle Infos auf www.facebook.com/dodgeballstp.

Reggaeonale Klänge Nach „Tog und Nocht“ und „Wurzelwerk“ ist mittlerweile das bereits dritte Album „Reggaeonal“ vom St. Pöltner Reggaesänger Lukascher im Handel erhältlich. Produziert wurde das neue Werk von Sam Gilly’s „House Of Rid-

dim“, einem der besten Reggaeproduzenten Europas. Dieser Umstand lässt wohl die Herzen aller Reggaefans – und nicht nur derer – höher schlagen. Textlich behandeln die 17 Lieder, die allesamt in Mundart – ein Markenzeichen des Musikers – verfasst sind, alltägliche Dinge, die Lukascher privat beschäftigen. Dabei wird eine breite Palette an Themen behandelt wie die Liebe zu den eigenen Kindern oder Freunde und Familie („Ihr Zwa“ bzw. „Daungsche“) und Urlaub in der Heimat („Urlaubsreif“). Aber auch Themen wie Mülltrennung („Die Dreck“), einseitige Medienberichterstattung („Skandal“) sowie die österreichische Küche und ihre Folgen („Gulasch und a Bier“) werden nicht ausgelassen.

Fotos: Dominik Leitner, zVg

Unsere Landeshauptstadt wächst und gedeiht – das kann jeder sehen, der sich in den vergangenen Jahren ein kleines bisschen mit St. Pölten beschäftigt hat. Die größte Herausforderung ist aber, das gefestigte Image in den Köpfen der Restösterreicher zu verändern und mit der heutigen Realität abzugleichen. Gelungene und durchorganisierte Sportveranstaltungen wie der Ironman 70.3 oder „Wings for Life World Run“ machen St. Pölten bis über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Die größte Chance bietet aber der Festivalsommer: Gerade bei den sich betrinkenden Jugendlichen ist es noch recht einfach möglich, in der – nach drei Tagen Besäufnis – nur mehr wenig vorhandenen Erinnerung als positive Gastgeberin im Gedächtnis zu bleiben. Für mich war es z. B. das NUKE im Jahr 2006, das mir St. Pölten das erste Mal näher brachte. Und die Zahlen stimmen ja: Auch wenn es in diesem Jahr einen Rückgang gab – 125.000 junge Besucher sind trotzdem nicht von schlechten Eltern. Ebenso wachsen möchte auch die FH St. Pölten: Erst kürzlich hat die NÖN über die Zukunftspläne der Fachhochschule geschrieben. 2.500 Studierende zahlen im Wintersemester 2015/16 brav ihre Studiengebühren ein, in wenigen Jahren sollen es bereits 3.000 sein. Die Frage ist jedoch, ob hier die Qualität mit der Quantität in diesem Tempo mitziehen kann. Vor allem, weil es schon mit 1.700 Studierenden, als ich mein Studium begann, große Probleme gab. Und wenn man schon über Zukunftsprojekte, Ausbaupläne und Anmietungen diskutiert, wäre es sinnvoll, die Stadtentwicklung verstärkt aus dem Blickwinkel von Studierenden mitzudenken. Denn, so gut kann die Hochschulausbildung auch sein, für St. Pölten wäre es schade, wenn die Stadt selbst nach dreijährigem Studium bei Wienpendlern keinen bleibenden Eindruck hinterlässt.


1 09 FEST/SPIEL/HAUS/ ST/POELTEN/ JUGENDKLUB LEISE IST ANDERS 30 OKT BIS 02 NOV 2015

SEPT / OKT 2015

PROGRAMM

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zur schöneren Realität

04/09 26/09 26/09 02/10 03/10 16/10 21/10 25/10

Alle Infos auf www.festspielhaus.at/jk

serat_MFG Mag_86x117_abf_Jugendklub_RZ.indd 1

31.08.15 09:15

TRIO LEPSCHI 20:00 / Konzert

MOTTE! MUMPITZ! WURDELAKS! 17:00 / Kinderlesung / Konzert

„EIN HIMMEL VOLL SCHÄDELWEH”

19:30 / Lesung mit Musik / Plattenauflegerei ZSR

KINDER / MALEN / DISCO / ZAUBERN 16:00 Malen & Disco / 18:00 Magic Mateo

MILE ME DEAF / VAGUE

20:00 / Konzert / Aftershowparty mit DJ Manshee

WIENER BLOND 19:00 / Konzert

SALON

19:30 / Thomas Weber / Ein guter Tag hat 100 Punkte

ASIAN RIVERS

20:00 / Konzert / Aftershowparty mit DJ Manshee


MFG SZENE

ST. PÖLTNER LOKALE RELOADED

Zahlreiche neue Cafés und Bars bereichern aktuell die St. Pöltner Lokalszene und laden zum Speisen, Trinken, Tanzen und Verweilen ein. MFG begab sich auf Lokalaugenschein ins Wellenstein, Monrose, Vinzenz Pauli und MacLaren‘s. Wellenstein – Mehr als nur ein Kaffeehaus Als Gräfin Sybilla Franziska von Wellenstein 1761 im von ihr 40 Jahre zuvor erbauten Barockpalais in der St. Pöltner Wienerstraße starb, führte Österreichs Erzherzogin Maria Theresia gerade den Siebenjährigen Krieg. Die wechselvolle Geschichte dieses frisch renovierten Innenstadt-Palais spürt

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man, wenn man im „Wellenstein“ sitzt und die Atmosphäre des Lokals auf sich wirken lässt. „Nach erfolgreichen Jahren im Kulturbeisl Egon suchte ich eine neue Herausforderung. Ich wollte weg vom Nachtgeschäft und mit fast 50 Jahren war mir klar, dass ich wohl nicht mehr die Branche wechseln und somit der Gastronomie treu bleiben würde“, schildert Wellenstein-Chef Tezcan Soylu seinen räumlich gesehen relativ kurzen Weg von der Fuhrmannsgasse (wo er das Egon betrieben hatte) in die Wienerstraße. „Anfangs gab es kein fertiges Konzept. Ich kam in das Gebäude und nach und nach ist mir eingefallen, was hier reinpasst: ein Kaffeehaus. Die unterschiedlichen Erfahrungen von anderen Lokalen und natürlich auch die Vorstellung davon, was in St. Pölten noch fehlen könnte, haben dann zum Gesamtkonzept für das Wellenstein geführt“, erzählt Soylu. Ein klassisches Kaffeehaus war nie sein Ziel, wer Würstel und Toast bestellt, lässt sich hier das Besondere entgehen. Der gelungene Spagat zwischen Tages- und Abendbetrieb, als Lokal mit Kaffeehausatmosphäre, dazu eine durchgehend geöffnete Küche, die sich einer jungen und trendigen Linie verpflichtet fühlt: türkisch-orientalisch angehaucht (auch der Chef inspiriert sich gern am Naschmarkt), ganz bewusst gesund. „Wir werden in Zukunft das Angebot erweitern: vegetarisch und vegan, aber auch unter Rücksichtnahme auf die Tatsache, dass immer mehr Menschen beim Gastronomiebesuch auf Unverträglichkeiten Rücksicht nehmen“, so Soylu. Räumlich erweitert sich der in den letzten Jahren erblühte Herrenplatz gen Osten. Schließt das Wellenstein um Mitternacht, wandern Nachtschwärmer weiter ins vis-à-vis gelegene Vino oder ein paar Schritte die Wienerstraße entlang in Otto Schwarz’ Narrnkastl oder die Tennessee-Bar von Valentin Kopatz. Neuvermietungen, frische Auslagen – die Wiener Straße entwickelt sich. Und auch im Palais


TEXT: Gotthard Gansch, Michael Müllner, Michael Reibnagel, Anne-Sophie Settele | Fotos: Hermann Rauschmayr, Sener Önal, zVg

Wellenstein geht noch was. Ein Gastronomiebetrieb an der Nordseite, direkt am Domplatz gelegen, soll Ende 2015 folgen, ein Betreiber wird noch gesucht. Einen BetreiberDoppelpack schließt Soylu aber lächelnd aus: „Ein Lokal ist mir Arbeit genug. Und ich hoffe, dass das Wellenstein mein letztes Lokal ist, bevor ich irgendwann in Pension gehe.“ Auch die zahlreichen Live-Events, die er früher veranstaltet hatte, stehen im Wellenstein nicht am Plan: „Hart gesagt habe ich die Schnauze voll vom ewigen Streit um gerechte Fördermittel, das geht mir also nicht ab. Und es gibt so viele Angebote, die Leute sind mittlerweile absolut gesättigt.“

soll auch der Gastgarten groß umgebaut werden. Mit den vergangenen Sommermonaten startete das Monrose in der ruhigen Jahreszeit, mit September soll es nun richtig losgehen. Jeden Donnerstag sorgt Chris Heart für Oldies, jeden Samstag legt DJ Snickboy House für die jüngeren Musikgeschmäcker auf. Am Freitag ergänzen Themenabende und Veranstaltungen die Woche, immer ohne Eintritt. Eine erste Zwischenbilanz ist Önal zu entlocken: „Ich komme aus dem steirischen Bezirk Liezen und habe mich ohne Gastroerfahrung in die Selbständigkeit hier in St. Pölten gewagt. Man merkt Mentalitätsunterschiede in den Bundesländern, das hat mich doch überrascht. Aber ich beginne mir hier ein Netzwerk aufzubauen, viele Einstellungen haben sich schon geändert und ein bisschen Zeit braucht es eben, bis Veränderungen auch angenommen werden.“ Vinzenz Pauli – Altbekanntes und Neues Am Rande des Alpenbahnhofs entstand auch etwas Neues: Das „Vinzenz Pauli“ schickt sich an, in die Fußstapfen des berühmt-berüchtigten Gasthaus Koll zu treten, das zuletzt unter „Neulinger‘s Kultig“ firmierte. Das urige Gasthausflair ist dabei noch immer vorhanden, wenngleich auch renoviert und modernisiert wurde und es damit heller und freundlicher wurde. Der Gastgarten erstrahlt in neuem Glanz, helles Holz lädt zum Verweilen ein. „Es fühlen sich hier im Vinzenz Pauli verschiedene Leute wohl, es ist

Monrose – Tanzlokal für Jung & Alt Seit April betreibt der gebürtige Steirer Sener Önal in der Kugelgasse 6 das „Monrose“. Wo früher das Drunter & Drüber jahrelanger Fixpunkt der Beislszene war, schlägt die Mischung aus „Cocktail/Lounge-Bar und Tanzlokal“ neue Töne an. „Wir wollen bei Monrose Jung und Alt zusammenführen. Die Lage in der bunt gemischten Innenstadt spricht einfach dafür, dass wir hier jeden ansprechen wollen, nicht nur eine Zielgruppe. Wir freuen uns gleichermaßen über Gäste, die sich gemütlich unterhalten oder aber auch tanzen wollen“, erklärt Önal seine Philosophie. Der in weiß gehaltene, modern-stylische Lounge-Bereich wird demnach im Nebenraum auch mit einem Dancefloor und DJ-Pult ergänzt. Für die nächste Sommersaison MFG 09.15

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MFG SZENE

Platz für viele Zielgruppen“, ist Valerie Sieberer, ihres Zeichens Serviceleiterin, mit dem bisherigen Besucherandrang zufrieden. Ab 17 Uhr öffnet das Lokal seine Pforten – „Dass wir auch mittags öffnen ist eine Möglichkeit, es gibt aber zur Zeit noch keine konkreten Pläne“ – die legendäre Schnitzelsemmel sucht man aber vergeblich. „Das fände ich auch etwas unpassend. Die hätten wir aber auch nicht mehr so hinbekommen“, mutmaßt sie. Auch diverse Veranstaltungen sind bereits geplant, so finden etwa Konzerte (Trio Lepschi, Wiener Blond etc.) oder Lesungen statt. Organisiert wird dies von einem Kulturverein, weshalb man sich auch offiziell „Bühnenwirtshaus“ nennen darf. Viele Personen, die sich in diesem Verein engagieren, waren auch bereits zu Koll-Zeiten aktiv: „Das ist dieselbe Klientel, aber die Leute haben sich alle weiterentwickelt. Das macht das Ganze so spannend“, erklärt Sieberer. Man wolle jedenfalls regionalen Bands und Künstlern eine Bühne bieten. Weiters wird in Bälde die Kaffeerösterei vom Café Emmi hierhin übersiedeln. Dann soll es auch immer wieder Workshops oder Kaffeeverkostungen geben. Vinzenz Pauli, Emmi und Café Schubert gehören ja zusammen, darin mag auch der Grund für den Erfolg des noch jungen Lokals liegen: „Man hat ein Bild von Emmi und Schubert und weiß daher, was einen erwartet. Außerdem war es gerade zu Beginn mit dem Personal leichter“, so Sieberer. In Planung sind auch etwa ein Ball oder ein Frühschoppen. Und: Es wird den „Weihnachtskoll“ wieder geben! 68

ST. PÖLTNER LOKALE RELOADED

MacLaren’s Pub – How I Met Your Mother in St. Pölten In eine andere Richtung geht es in der Linzer Straße 18. Dort, wo das legendäre Salzamt zu finden war, gibt es seit Kurzem ein Lokal mit dem klingenden Namen MacLaren’s Pub, das Fans der Kultserie „How I Met Your Mother“ bestens bekannt sein sollte. Doch was erwartet die St. Pöltner? „Wer das MacLaren‘s Pub aus ‚How I Met Your Mother‘ kennt, weiß, dass es ein gemütliches, amerikanisches Pub ist, das durch seine Atmosphäre und sein einzigartiges Ambiente zum Wohlfühlen einlädt“, so Betreiber Marco Fuxsteiner, der u.a. noch als ehemaliger Madhouse-Chef bekannt ist. Auch kulinarisch geht es Richtung USA. „Wir bewegen uns von saftigen Burgern, würzigen vegetarischen Highlights bis hin zu Toast und Pommes. Auch eine große Auswahl an erlesenen Whiskys sowie ein umfangreiches internationales Biersortiment stehen bereit“, erzählt Fuxsteiner. Einrichtungstechnisch erinnert einiges an das SerienVorbild, so findet man das blaue Horn, das Playbook oder einen Stormtrooper. „Man tritt ein in ein altes Gewölbe und fühlt auf Anhieb die gemütliche Atmosphäre in den alten Mauern. In kleinen, separaten Sitzecken spiegelt sich der Charme des Lokals wieder“, ergänzt der Betreiber. Musikalisch geht es im MacLaren’s rockig und Pub-tauglich zu. Auch Livekonzerte sind geplant, ein erster Termin mit dem amerikanischen Act „Cygne“ ist bereits für den 8. Oktober fixiert.


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Warehouse

SENIORENFLOOR

09.10.

WANDA LIVE

16.10.

WE´RE IN THE ARMY NOW No. II Nach dem großartigen Feedback im letzten Jahr wird das Warehouse auch heuer wieder in ein Military Camp der 50er verwandelt. Um 21:00 Uhr werden die drei großartigen SU´SIS live mit American Swing der 40er & 50er auf den Abend einstimmen. Anschließend werden wieder die Seniorenfloor DJs das Military Camp beschallen und zum Tanz aufrufen.

29.10.

THE MAKEMAKES

Das erste Kapitel ihrer ganz persönlichen Reflexion der Rockgeschichte präsentieren The Makemakes am 29. Oktober 2015 mit ihrem gleichnamigen Debutalbum im Warehouse St. Pölten. Wer The Makemakes schon einmal live gesehen hat, der weiß, wie viel mehr hinter den österreichischen SongcontestProtagonisten und ihrer eingängigen Single „I Am Yours“ steckt.

Wanda sind zurück. Nur elf Monate nach „Amore“ legen die Burschen nach. Zwar sind Titel und Material noch geheim,eines ist aber klar: Wanda sind gekommen, um zu bleiben und werden das im Herbst eindrucksvoll unter Beweis stellen. Bussi Baby!

MONO & NIKITAMAN

31.12.

HIGHLIGHTS IM OKTOBER/NOVEMBER SA 03.10. Iriepathie LIVE

FR 16.10. Wanda LIVE

DO 29.10. The Makemakes LIVE

SA 14.11. Kayef LIVE

FR 27.11. RAGE AGAINST cover band LIVE

Drei Jahre hat es gedauert, in denen gar nicht sicher war, ob Mono & Nikitaman überhaupt ein neues Album herausbringen. Jetzt ist es aber soweit, und mit „Im Rauch der Bengalen“ legen sie gleich ihr bestes Album ever vor! web / www.w-house.at FACEBOOK / www.facebook.com/warehouseSTP

MFG 09.15

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MFG SZENE

SUPPERIÖR

Suppenköniginnen statt Suppenkasper

Eine wunderbare Leichtigkeit des Seins – das versprüht das „supperiör“ von Mareike Aram und Johanna Ruthner in der St. Pöltner Marktgasse. Neben leichtem, gesundem und unbeschwertem Essen bekommt man hier auch ebensolches Design serviert.

D

ie Idee nach einem bekömmlichen und vor allem schnellen Essen spukte schon lange in den Köpfen herum – in dem von Johanna und auch in dem von Mareike. Nur kannten sich die beiden damals noch nicht. Mareike werkte nach Jahren in der Filmbranche in Wien gerade wieder in ihrer Heimatstadt St. Pölten im Festspielhaus im organisatorischen Kulturbereich, Johanna hatte gerade ihr Masterstudium für Innenarchitektur und 3D-Gestaltung an der New Design University abgeschlossen. Unabhängig voneinander waren beiden diese Gedanken immanent: Schnell, warm, bio, vielleicht auch vegan, nicht beschwerend, so sollte Essen sein, das man zu Mittag mal so zu sich nimmt! „Ich hab mich aber immer gefragt, wer soll das bloß kochen“, erinnert sich Mareike, die zwar toll im Organisieren ist, aber nicht ganz ausreichend gut hinter dem Herd. „Ich koche schon seit meinem neunten Lebensjahr wahnsinnig gern“, blickt dafür Johanna auf eine lange leidenschaftliche Beziehung zu Kochlöffel, Pürierstab und Co. zurück – hervorragende Grundzutaten für eine mögliche Zusammenarbeit. Gourmethafte Fügung Mareike schwärmte derweilen ihren Kollegen im Festspielhaus von einer noch nicht ganz greifbaren Zukunft vor: „Ich werde euch einmal was wirklich Gescheites zum Mittagessen bringen.“ Johanna verdiente sich unterdessen bei der Lichtdesignfirma podpod design in Wien und beim Innenarchitekten Georg Bergner in 70

Pöchlarn ihr Brot. „Zwei tolle Jobs, aber irgendetwas fehlte mir.“ Dann geschah etwas Schicksalhaftes, oder nennen wir es einfach eine gourmethafte Fügung. Mareike traf in der Praxis von Johannas Mutter auf die Suppenköchin in spe, die sich dort der Cranio Sacral Behandlung – eine dementsprechende Ausbildung hatte sie neben dem Masterstudium abgelegt – widmete. Und da wurde die Suppenidee heiß gemacht. Das Jahr 2013 näherte sich dem Ende und zwei hellwache St. Pöltnerinnen wussten noch nicht ganz genau, wohin mit ihrer Idee. Es sollte etwas Neues für St. Pölten sein, nicht nur Essen, auch Design dabei. „Es hatten fast alle große Bedenken wegen unseres Geschäftskonzepts“, schmunzelt Mareike, als sie von den Anfängen erzählt. „Aber wir beide sind eher so die ‚es wird schon gehen‘-Typen“, wirft Johanna ein, „wir haben uns abwechselnd immer wieder weitergetrieben.“ War einmal Mareike nicht mehr so überzeugt davon, wurde sie von Johanna mitgerissen, hatte Johanna den küchenvisionären Durchhänger, sorgte Mareike für Aufmunterung. „Wir haben uns viele Gedanken gemacht und sind dann zum Schluss gekommen, dass wir mutig sein können“, denkt Mareike an die Zeit des Beginns zurück. „Wir haben natürlich schon sehr gute Startmöglichkeiten gehabt“, so Johanna. Bei der Betriebsstättengenehmigung für das Objekt Marktgasse 3 mussten die beiden aber reichlich Geduld aufbringen. „Wir haben lange Zeit nicht aufsperren können“, so Johanna.

Aber auch das gestalteten die beiden St. Pöltner Gastroerneuerinnen zu einem Vorteil. Akribisch und konsequent wurde am Konzept „Suppen und Design“ weitergefeilt. Bei den Verpackungen, in denen schließlich die Suppen und Eintöpfe landen, einigte man sich auf zwei verschieden große Pfandgläser – 500ml und 700ml. „Schließlich wollen wir ja nicht tonnenweise Müll produzieren“, sagt Mareike, „denn zu Beginn dachten wir eigentlich, das Essen nur auszuliefern.“ Von einem eigenen Laden war da noch gar nicht die Rede. Nach Klärung der Verpackung ging es darum ein weiteres Problem zu lösen: Denn, füllt man heiße Suppe in ein Glas, dann ist das mit bloßen Händen nicht zu fassen. „Da haben wir nach einem Verbrühschutz gesucht. Schließlich haben wir ihn selbst ausgetüftelt. Jetzt haben wir ein umweltfreundliches Stecksystem aus ei-


TEXT: Andreas Reichebner | Fotos: Hermann Rauschmayr

ner gestanzten Kartonage“, freut sich Johanna. Nur, die Kartonage drehte sich beim Angreifen. Auch dieses Problem wurde mit einem simplen Gummiringerl unkompliziert gelöst. „Das hat meine Mama erfunden“, so Mareike. Daneben probierte Johanna an der Konsistenz der Suppen und Eintöpfe herum. Freestyler am Herd Dann war es soweit, im Dezember 2014 wurde das „supperiör“ eröffnet. „Wir haben aber keine Werbung gemacht oder die Eröffnung groß angekündigt, wir wussten ja nicht, ob das funktioniert“, sagen die beiden unisono und leicht demütig. Täglich gibt es drei verschiedene Suppen, Eintöpfe, Salate oder Currys – auch vegan, vegetarisch, lactosefrei und glutenfrei. Während Mareike die Organisation innehat, steht Johanna in der Küche. „Ich koche ohne Rezepte,

mache das alles so nach Gefühl“, plaudert Johanna, die sich als Freestylerin am Herd sieht. Aus dieser Grundeinstellung heraus erwachsen herrliche, nach vielerlei Gewürzen schmeckende Suppen und Eintöpfe. Mittelweile hat man sich schon viele Stammkunden erarbeitet. „Wir sind wunderbar aufgenommen worden in St. Pölten, haben eine gute Mundpropaganda. Wir sind begeistert von St. Pölten. Unsere Klientel ist sehr vielschichtig“, sagt Johanna, die inzwischen an die 150 unterschiedlichen Gerichte auf den Tisch zaubern kann. „Meine Lieblingssuppe ist Dillsuppe mit Räucherlachs oder eine Stosuppe“, sagt Mareike, während Johanna gerne Tomaten-Kokos oder Reissalat mit getrockneten Tomaten isst. Hervorragend gehen die Gemüsecurrys und erdäpfellastigen Suppen. Unterstützung hat Johanna beim Kochen seit

Kurzem von Sabine Moderbacher, dem Teamneuling. „Sabine unterstützt uns mit ihren Kochkünsten.“ Von Anfang an dabei ist auch Kathrin Tanzer, die tatkräftig ihr gastronomisches Wissen einbringt. In dem kleinen Laden in der Marktgasse kommen 80-jährige Pensionistinnen und Pensionisten genauso wie Mütter mit Kindern oder typische Fleischesser vorbei, denn es gibt natürlich auch Speisen mit Fleisch! „Wir haben eine Gruppe von Burschen, die kommt regelmäßig zu uns essen“, schwärmt Mareike. Johanna hat Suppen in St. Pölten nun endgültig vom Nimbus der Vorspeise, als die sie zu Omas Zeiten galten, befreit. Die beiden sind mit viel Herz dabei, der Suppenkaspar wäre in der Marktgasse wohl eher nicht verhungert. „Wir haben schon von Müttern die eine oder andere SMS bekommen, wo sie geschrieben MFG 09.15

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MFG SZENE

Suppenköniginnen statt Suppenkasper

SUPPE TRIFFT DESIGN. Die Suppenköniginnen Mareike Aram und Johanna Ruthner gehen innovative gourmettechnische Wege. In ihrem „supperiör“ gibt es nicht nur unbeschwertes und gesundes Essen – auch innovatives, junges Design ist in der Marktgasse erhältlich.

haben, dass ihre Kinder ihnen die Suppen, auch die gesunden mit viel Gemüse, wegessen“, freuen sich die Suppenrevolutionäre über die möglichen Veränderungen kindlicher Essgewohnheiten. Fastfood, Wurstsemmel oder Pommes können durchaus von leichten, gesunden Mahlzeiten abgelöst werden. Die Suppe kommt per Rad Seit Kurzem ist man eine gourmettechnische Liasion mit St. Pöltens Fahrradkurier Peter Kaiser eingegangen. Der fährt nun zu vorab festgelegten Standorten – man kann auch vorreservieren – und bringt mit dem hellblauen, „supperiör“ gebrandeten Anhänger die Suppen per Rad. So geht man auch vertriebstechnisch kaum betretene Pfade. „Es ist mir sympathisch, dieses Produkt zu verkaufen. Schön zu sehen, wie sich die Menschen freuen, wenn ich mit dem Essen komme. Mareike und Johanna verströmen wie ihr Essen ein posi72

tives Gefühl“, reüssiert Peter Kaiser. „Der Peter vertritt unser Geschäft wirklich toll“, loben beide, denn gesundes, umweltfreundliches Essen per Rad gebracht, hat schon was. Man könnte glatt einen „zweiten Peter brauchen“, denn die Auslieferung wird immer beliebter. Übers Geschäft selbst darf man sich ohnehin nicht beklagen, die Suppen­ idee hat eingeschlagen, man ist zufrieden. Denn wie gesagt, die beiden ziehen ihr Ding konsequent, mit viel Liebe, durch. Das Brot kommt abwechselnd von verschiedenen Biobäckern, die verwendeten Lebensmittel kommen aus biologischer Landwirtschaft und oft aus der Region, das Geschirr von 8pandas besteht aus Bambus und alle Wegwerfartikel aus biologisch abbaubaren Materialien wie Maisstärke. Seit neuestem hat man auch ein Biobier im Angebot. „Viele Kunden haben halt zum Essen auch gerne mal ein Bier“, so die beiden. Oder sie kaufen vielleicht auch

gleich das Interieur, denn so ziemlich alles, was im Geschäft herumsteht, ist zu erwerben. „Wir sehen uns auch als Plattform für junge Designer und Möbelmacher, aber auch für andere Künstler. Diese Kombi, Suppen und Design, fasziniert uns“, sagen Mareike und Johanna und freuen sich auf jeden nächsten Tag. „Denn wir gehen gerne arbeiten, vor allem, weil wir uns so gut ergänzen. Mareike ist die Beste“, streut Johanna ihrer Suppenpartnerin Rosen. „Es funktioniert einfach zu hundert Prozent mit Johanna“, gibt Mareike das Kompliment zurück. Fast könnte man meinen, man ist in der Marktgasse im Paradies. Schmecken tut es so!

Info Suppendesign OG Mareike Aram & Johanna Ruthner Marktgasse 3 - 3100 St. Pölten Mo-Fr 11:00-15:00, Feiertags geschlossen www.suppendesign.at


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MFG SPORT

VOLLGAS. Willi Rabl landete 2014 mit Beifahrerin Uschi Breineßl mit einem 911er auf Platz zehn.

Waldviertel ist in St. Pölten

Zum 35-jährigen Jubiläum macht die Waldviertelrallye in St. Pölten Station. Im VAZ steigt die actiongeladene „Super Special Stage“. Prominente Rallye-Legenden treffen sich im Rahmen der „Historic Rallyeshow“ zum Stelldichein.

D

ie Dakar ist ja auch nicht in Dakar“, weiß Organisations­ leiter Helmut Schöpf. Wenn die berühmteste Langstreckenrallye der Welt, die „Rallye Dakar“, in Süd­ amerika stattfindet, warum dann nicht auch die Waldviertelrallye in St. Pöl­ ten? Zum 35-jährigen Jubiläum wird das abschließende Highlight der ös­ terreichischen Meisterschaft und FIA European Rallye Trophy 2015 am 6. November in der NÖ Landeshaupt­ stadt gestartet. Mit Pauken und Trom­ peten! Schöpf lässt hier nicht bloß eine Sonderprüfung fahren, sondern gleich deren drei, darunter die beliebte „Su­ per Special Stage“ im VAZ. Dort wer­ den die Boliden vornehmlich auf As­ phalt, aber mit Schotterreifen („Weil das mehr Action gibt“, so Schöpf) auf 74

einem Rundkurs hautnah an den Zu­ schauern vorbei durchs Gelände rasen und driften. Abheben werden sie auch, denn mitten auf der langen Geraden lässt Schöpf einen Sprung einbauen. Maximal 5.000 Besucher dürfen vor Ort das Spektakel erleben – der ORF plant auch eine Live-Übertragung der „Super Special Stage“. Mit der Idee, die Waldviertelral­ lye nach St. Pölten zu bringen, ging Schöpf schon lange schwanger. „Es ist aber keine Premiere“, betont er, „1986, als St. Pölten Landeshaupt­ stadt wurde, hatten wir auf der Rennbahn (wo sich heute das Regierungsviertel befindet, Anm.) schon eine Rallye. Wir kehren also heim.“ Obendrein wird die Traditionsveran­ staltung so noch umweltfreundlicher.

„Wir können den CO2-Ausstoß er­ neut reduzieren“, ist Schöpf stolz, „haben selbst keine langen Wege zwi­ schen den Sonderprüfungen und die Fans können hier auch viel besser mit den ‚Öffis’ zur Veranstaltung.“ Behin­ dertengerechte Zuschauerplätze sind ebenfalls besser einzurichten als im „tiefsten Waldviertel.“ Schon 2014 hat die Waldviertelrallye bei der Zer­ tifizierung der Fédération Internati­ onle de l’Automobile (FIA) von allen „European Rallye Trophy“ Veranstal­ tungen am besten abgeschnitten, war in den Wertungen „Organisation“ und „Sicherheit“ quasi konkurrenzlos top. Vom MFG-Magazin darauf ange­ sprochen, lässt sich Schöpf ein „Ja, ja, wir sind schon lange keine PimperlVeranstaltung mehr“, entlocken.


TEXT: Thomas Schöpf | Fotos: Harald Illmer

mit. Von 1982 bis 1987 gewannen im Waldviertel mit einer Ausnahme im­ mer nur Quattros. Den Fahrern der „Oldtimer“ steht es natürlich frei, ihre Boliden beim historischen Rennen über den Sprung zu jagen. „Die Umfahrung wird nicht allzu viel Zeit kosten“, schmunzelt Schöpf. Karten gelten auch im Waldviertel Heuer wird das Starterfeld auf 100 Autos beschränkt sein. Neben den heimischen Spitzenfahrern haben schon Profis aus Deutschland, Tsche­ chien, Slowakei, Polen und Ungarn ihre Teilnahme angekündigt. Im Vorverkauf (Ö-Ticket, VAZ St. Pölten) kosten die Karten 12 Euro, danach 15 Euro. Die Tickets für St. Pölten (Freitag, 6. November) gelten auch für die restlichen Sonderprü­ fungen im Waldviertel (Samstag, 7. November). Der stets stark frequentierte ServicePark und das Rallye-Zentrum werden wie in den vergangenen beiden Jahren vor dem wunderschönen Schloss Gra­ fenegg errichtet. Gut möglich, dass die „Super Special Stage“ in St. Pöl­ ten künftig auch zum „Hot-Spot“ der Traditionsveranstaltung wird. Nähere Informationen zur Veranstal­ tung unter www.waldviertel-rallye.at

BOTSCHAFT. Der Russe Alexey Lukyanuk und sein ukrainischer Beifahrer Yevhen Chervonenk

San Poeten

ROUL STARKA St. Pölten wächst. Der Herrenplatz, dampfend schwanger mit seinem Busen Richtung Domplatz und Richtung Traisen, zu den Blumen und zum Wasser zieht es unsere Herzen, rot im Gesicht will da etwas entstehen, was es noch nicht gab. Plätze und Menschen und Ideen verbinden sich, gestalten gemeinsam einen Markttag der Zukunft. Unaufhaltsam gluckert die Luft durch Speis und Trank der neuen Lokale, Haare flattern im Wind durch erotische Hände, viele Sprachen höre ich täglich und rieche Triest im Süden, Prag im Norden, Budapest im Osten, aus westlich Frankreich kommen die schönsten Geschäftsführerinnen zurück ins zurzeit nobelste Kaffeehaus der Stadt gegenüber vom Vino. Alle können miteinander, alle reden, essen, lachen, trinken und tratschen gemeinsam, bis die Sonne am Schwanz des Passauer Wolfes vorbeihaucht und unsere Nasen kitzelt. Gott, so sollst du sein, gelb leuchtend, warm und voll täglich frischer Produkte unserer Region – Religion, die da ist: Wir machen etwas neu. Unseren Domplatz. Wir wollen uns nicht mehr sagen lassen, wo und wann unsere Herzen, unsere Plätze offen sind, wo und wann und für wen wir uns öffnen möchten, aus allen Richtungen, in all unsere Poren der Zuneigung, mit all unseren Sprachen der Liebe wollen wir uns begegnen, mit dem Respekt des ewigen „Wir … ich“. So soll es sein. Jeder hat einen Sozius frei, einen Sitzplatz in seinem Herz auf seinem Platz der freien Wahl. Das möchte ich hochheben, so weit meine Hände reichen, unsere Achseln sollen angeleuchtet werden, von Sonne und Mond, Tag und Nacht, Mann und Frau, Herrenplatz und Frauenplatz. Alles darf ich wünschen, darf ich sehen.

Foto: Thaut Images - Fotolia.com

Legenden und Klassiker Damit die „Nostalgiker“ zum Jubi­ läum ebenso auf ihre Rechnung kom­ men, findet im VAZ St. Pölten in der 3.200m² großen Halle C die „Histo­ ric Rallyeshow“ statt. Unter anderem wird der Seat Cordoba WRC (World Rallye Car) des St. Pöltners Kris Ro­ senberger zu sehen sein, der Renault Maxi Megane von Raphael Sperrers Sieg 1999 oder der zweiradgetriebene Lotus Talbot von Georg Fischer, dem ersten Sieger der Veranstaltung 1981. Dem leider viel zu früh verstor­ benen St. Pöltner Rallye Staatsmeister Gerhard Kalnay (Sieger 1982, Opel Ascona 400) wird ein eigener Stand gewidmet sein. Neben Sperrer, Rosenberger, Fischer werden weiters Franz Wittmann, Manfred und Rudi Stohl, Wilfried Wiedner, Sepp Haider oder auch der zweifache Rallye-Weltmeister Walter Röhrl extra nach St. Pölten kommen. „Der Lange“ läutete mit seinem Sieg 1985 mit einem Audi S1 PDK den Höhenflug der Waldviertelrallye ein. Später sagte der heute 68-Jährige über dieses Modell: „Das war das wahn­ sinnigste meiner Autos. Bei der Fahrt fühlte ich mich wie beim Ritt auf der Gewehrkugel. Ich schoss mich wie ein Querschläger von Kurve zu Kurve“. Audi feiert passenderweise sein 35-jähriges Quattro-Jubiläum gleich

Jetzt nimmt mich meine Blume neben dem Laptop und sagt: „Enter“.

hatten letztes Jahr auch eine Botschaft: Wir wollen Frieden. Wir sind ein Team!

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MFG KRITIKEN

ZUM HÖREN

Manshee, mikeSnare, Thomas Fröhlich, Dr. Schramek, Rob.STP, Dr. Ray B. (von links nach rechts)

Momentary Masters Das vierte Album des StrokesGitarristen wurde im eigenen Studio in New York aufgenommen. Die Atmosphäre dort war ausgesprochen entspannt und so entstand viel Raum für Kreativität, deren Ergebnis nun eine neue Dynamik in Hammonds Musik ist. Die neun neuen Songs (plus ein Bob Dylan Cover) haben die Frische und Spritzigkeit der frühen Strokes-Tage und überzeugen mit Mitsing-Refrains, poppigen Tanz-Nummern und mitreißenden Rock-Nummern. „This is it“

Pete Townshend Classic Quadrophenia

Pop und Rock goes classic. Oft probiert, selten gelungen. Pete Townshends Versuch, seine Rockoper „Quadrophenia“ in philharmonisches Gewande zu stülpen, bildet da keine Ausnahme. Zwar überrascht der orchestrale Ansatz mit teils lieblichen Klängen, was Einem aber abgeht ist die rockig puristische Wucht des Originals. Orchestermusik gehört eben in den Konzertsaal, weshalb man statt des Albums lieber die Aufführung am 31. Oktober im Wiener Konzerthaus anhören sollte.

ZUM SCHAUEN

Manshee, Felicitas Hueber

THE ORB

Moonbuilding 2703 Ad Alex Patterson und Thomas Fehlmann aka „The Orb“ schicken uns auf einen neuen, 50-minütigen ORB-it inmitten ihres heimeligen Kosmos. Die satte Spielzeit auf dem neuen Album verleiht den nur vier Stücken viel Entfaltungsraum. „Slow Music“ quasi – kompakt gebaut, aber mit viel Spiel: Techno, Dub, Ambient, Hip Hop – verschiedene Grooves, verschiedene Genres – ein unaufhörlicher Verwandlungsprozess. Oh, Houston wir hatten ein Problem ....

NOISIA & THE UPBEATS Dead Limit EP Zu den Protagonisten muss man nicht mehr viel sagen, vor allem Noisia setzen seit Jahren mit jeder EP die Richtschnur in Sachen Produktion und, wenn man so will, Drum&Basss Songwriting. Die neue EP mit The Upbeats klingt ein wenig verspielter und nicht gar so düster wie das übliche Material. Ich habe bei allen Tracks immer irgendwie den Eindruck, als kämpfte eine Maschine gegen ein aufgebrachtes Wespennest. Klingt vielleicht komisch, daher selber mal reinhören!

ZUM SPIELEN Markus Waldbauer

Whitesnake The Purple Album

Whitesnake galten jahrelang ein wenig als die Dodelvariante der Rock-Überväter Deep Purple. Zu Unrecht, wie man nun auf ihrem von Ex-Purple-Shouter und Whitesnake-Chef David Coverdale konzipierten neuen Tribute-Album nachhören kann: Hard Rock der alten Schule, gewidmet dem vor zwei Jahren verstorbenen Tastenzauberer Jon Lord. Wer‘s halt braucht – wahrscheinlich gar nicht so wenige.

MIDRIFF

Doubts & Fears Auf ihrem neuen Album präsentieren die drei Tiroler alle möglichen Facetten moderner Gitarren-Rockmusik. Unter den 13 Songs findet sich dabei neben Stoner Rock, Grunge, Blues Rock und Hard Rock auch die eine oder andere Ballade wieder. All diese Genres stehen den Jungs ausgezeichnet und die Songs wirken stets perfekt in Szene gesetzt. Interessantes Detail am Rande: Für den Gesang zeichnet Schlagzeuger Paul verantwortlich, und dabei macht er eine durchaus gute Figur.

ZUM LESEN

H. Fahrngruber, W. Hintermeier

SouthpAw

Everybody‘s Gone to the Rapture

Antoine Fuqua

SONY

Halbschwergewichts-Weltmeister Billy Hope ist auf dem Gipfel des Erfolgs. Doch dann wirft ihn der tragische Tod seiner Frau aus der Bahn. Billy verliert sich in Alkohol und Drogen, bis ihm schließlich das Sorgerecht für seine Tochter weggenommen wird. Am Boden angekommen, hilft ihm der ehemalige Boxer Tick zu alter Stärke zurückzufinden. Doch dazu muss er mit seinem größten Gegner ringen: sich selbst.

Im postapokalyptischen Dorf Yaughton gilt es das Geheimnis aufzudecken, warum vor über 30 Jahren die Bewohner verschwunden sind. Durch Audio-Dialoge, die aus dem Radio oder Telefon kommen, erfährt man schrittweise die Geschichten von insgesamt sechs Protagonisten, die einst in dem Ort gelebt haben. Gameplaytechnisch müssen Spieler dafür nur Türen öffnen oder die Audiosequenzen starten.

Eine junge IT-Spezialistin teilt als Community-Star der Firma „The Circle“ ihr gesamtes Leben mit Millionen befreundeten Followern, ihr Alltag ist 24 Stunden für alle Welt einsehbar. Die absolute Transparenz menschlichen Zusammenlebens: Lückenlose digitale Präsenz, flächendeckend filmende Webcams und Datenbrillen sorgen dafür, dass Privatsphäre zu einem Relikt der Vergangenheit geworden ist. Schöne neue Welt!

Fuck ju Göhte 2

Batman: Arkham Knight

All about a girl

Für den coolen und unkonventionellen Lehrer Zeki Müller steht bereits die nächste Hürde an. Direktorin Gerster schickt Zeki und seine Kollegin Lisa Schnabelstedt auf Klassenfahrt nach Thailand, um dem renommierten Schillergymnasium die thailändische Partnerschule streitig zu machen. Dass ihre chaotischen Schützlinge dort für ordentlich Wirbel sorgen, ist klar.

In der vierten Auflage der Adventure-Serie taucht man tief in dei Abgründe des dunklen Ritters ab. Um seine Identität zu enthüllen, bedient man sich der altbewährten Schlagkraft und mischt selbst Prügeltrupps mit 20 oder 30 Mann locker auf. Die Entwickler wollten beim Grande Finale leider zu hoch hinaus – es hakt an vielen Ecken und Enden. Man hat alles schon einmal gesehen und es gibt wenig Überraschungen.

„Was macht man nun, wenn man dabei ist, sich selbst zu erfinden – und plötzlich merkt, dass man es völlig verkehrt angepackt hat?“ Diese Frage stellt sich die 17-jährige Johanna. Sie hat sich, um dem trostlosen Leben in der Sozialsiedlung zu entfliehen, neu erfunden und treibt in London als gefürchtete Musikkritikerin ihr Unwesen – arbeitet hart und lässt dabei keinen Drink und keinen Mann aus ...

Bora Dagtekin

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Rocksteady Studios

The Circle Dave Eggers

Caitlin Moran

Fotos: zVg

Albert Hammond Jr


MFG VERANSTALTUNGEN

HIGHLIGHT VAZ St. Pölten

BLUATSCHINK – AUFSTRICH Die Tiroler Band Bluatschink mit Mastermind Toni Knittel bringt 2015 eine komplett neue Band-Variante auf die Bühne: „BLUATSCHINK–AUFSTRICH“ Bluatschink & Streichquartett – das geht zusammen wie Butter & Brot, wie Speck & Kas oder wie das Schalele Kaffee und ein Frühstückskipferl! Seit vielen Jahren steht die Idee für eine solche Zusammenarbeit im Raum und jetzt ist es endlich gelungen: Viele neue Lieder und einige der größten Bluatschink-Hits werden in dieser neuen Variante im VAZ zu hören sein. 3. Dezember 2015

18. & 19.09.

STP Metalweekend

Am 18. und 19. September geht wieder das legendäre STP Metalweekend im frei:raum über die Bühne. Neben den Local Heroes Epsilon, Aeons Of Ashes und Brute treten so Kapazunder wie Dornenreich, Der Weg Einer Freiheit oder Schirenc Plays Pungent Stench auf. Die Tickets kosten zwischen 15 und 25 € und sind unter anderem bei diversen Bands erhältlich. FESTIVAL

FREI:RAUM

21.09.

Karim El-Gawhary

Der langjährige Nahost-Korrespondent Karim El-Gawhary präsentiert in der Bühne im Hof sein neues Buch „Auf der Flucht“ über den Schrecken der Flucht auf beiden Seiten des Mittelmeers, das er gemeinsam mit der ORFKorrespondentin Mathilde Schwabender verfasst hat. Der Eintritt zur Buchpräsentation ist frei, Anmeldung unter 02742 / 352291. PRÄSENTATION

Bühne im hof

Beislfest

10. & 11.10. Paradise in the city

Unter neuer Führung findet Anfang Oktober in der St. Pöltner Innenstadt das Beislfest statt. Neben alteingesessenen Lokalen wie dem Underground, dem BarRock oder dem Egon, laden heuer erstmals neue Beisl, wie das MacLaren’s Pub oder das Vinzenz Pauli zu einem Besuch ein. Programmtechnisch ist, wie jedes Jahr, für alle etwas dabei.

Zum 5. Geburtstag von „Paradise in the City“ hat sich das Organisationsteam etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Ein abwechslungsreiches Programm, u.a. ein kreatives Programm im Paradies der Fantasie für Kinder und alle Junggebliebenen, schöne Dinge zum Kaufen, kulinarische Köstlichkeiten uvm. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.

02. & 03.10.

FEST

DIVERSE LOKALE

FEST

STEREOPHONICS

4.11. Kirchschlager & WECKER Was einst Überraschung war, ist nun bereits willkommenes und bejubeltes Zusammenwirken zweier großer liedestoller Künstler. So wird es im November 2015 noch einmal – wer weiß, vielleicht ein letztes Mal – die herausragende Angelika Kirchschlager liedeseins mit dem unverwechselbaren Konstantin Wecker zu hören geben.

Konzert

GASOMETER

konzert

St. Pölten 1945

Plakat 20 Jahre 08.15_: 25.08.15 12:50 Seite 1

Bei den Bombenangriffen auf die Stadt St. Pölten gegen Ende des 2. Weltkriegs wurden ganze Straßenzüge in Schutt und Asche gelegt. Die Herbstausstellung widmet sich dieser Geschichte und zeigt anhand originaler Fotodokumente den Grad der Zerstörung in der Stadt. Zeitzeugenberichte zu den Ereignissen des Jahres 1945 ergänzen die Ausstellung. AUSSTELLUNG

20 Jahre Donau-Uni

02.10.

STADTMUSEUM

www.donau-uni.ac.at/20jahre

Die Universität für Weiterbildung feiert ihr 20-jähriges Bestehen mit einem bunten, lehrreichen Nachmittag. Auf dem Programm des Tags der offenen Universität stehen Forschungsstationen zum Mitmachen, ORF NÖ Radio 4/4 live, ein Wissenschaftstalk mit Ciro De Luca, interaktive Campusführungen, Sport, Spaß u.v.m. 13-20 Uhr, Eintritt frei! ÜBER DEN HORIZONT HINAUS

20 Jahre DONAU-UNIVERSITÄT KREMS Freitag, 2. Oktober 2015, 13-20 Uhr Tag der offenen Universität am Campus Krems

FEIERN SIE MIT UNS!

Radio 4/4 LIVE

Living Library

Musik: Federspiel New Orleans Dixielandband

Forschung, Spaß und Spannung für Groß & Klein

Wissenschaftstalk mit Ciro De Luca

und vieles mehr ... Fahren Sie gratis mit dem Stadtbus zum Campus!

Mit freundlicher Unterstützung von

FEST

CAMPUS KREMS

STADTMUSEUM

Unaufgeregt, authentisch, liebevoll im Detail, mitreißend, ohne effektheischend zu sein: Die Attribute, mit denen die Stereophonics von den Medien seit jeher bedacht werden, sind so natürlich wie die Protagonisten selbst. Denn seit ihrer Gründung 1992 überzeugt die Formation mit brillantem, unprätentiös dargebotenem Britrock.

16.10.

23.09.

FESTSPIELHAUS

MFG 09.15

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Reich(l)ebners Panoptikum

SUMMER OF LOVE. Waren es die subtropischen Temperaturen, die bedeutungsschwangeren Sternkonstellationen, die heißdampfenden Sommerkräuter? Was auch immer, Matthias Adl (ÖVP) vollzog in der Frage des Sonnenparks eine 180-Grad-Wende und ist nun klar für dessen Erhalt. Und weil man am Lovetrain nicht alleine reisen soll, sprang auch gleich der bisherige Fundamentalgegner Klaus Otzelberger (FPÖ) auf. Der Bürgermeister fühlt sich ein bisserl überfahren und hadert noch: „Soll ich? Soll ich nicht? Wie soll ich?“ Derweil schallts vom Sonnenpark „When the moon is in the SKW83 / and Otzi aligns with Adl / then peace will guide the planets / And love will steer the stars.“

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VIENNA CALLING! Locomondo

10.10.

The Sweet

27.9. 1.10.

Bushido

Foto: Jrg Varga

Seiler & Speer

23.10. Die Stehaufmandln

Foto: Maximilian Koenig

Foto: Jens Herrndorff

Fettes Brot

24.10.

Otto Schenk

Foto: Moritz Schell

18.10.

4.12.

17.10.

Ton Steine Scherben

24.10.

8.10.

Horst Chmela Stratovarius

13.10.

www.planet.tt

Foto: Goetz Schrage

S.A.R.S., Dubioza Kolektiv, Coffeeshock Company

30.10.

www.simmcity.at


SCHÖNES

Foto: BillionPhotos.com - Fotolia.com

MIT DER WOHNUNGSGENOSSENSCHAFT ST. PÖLTEN

Die Allgemeine gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft St. Pölten wurde im Jahr 1921 gegründet und errichtete seither 9.100 Wohneinheiten in Niederösterreich, davon bis jetzt ca. 4.660 allein in St. Pölten. Ein neues, wichtiges Feld stellen Angebote im Bereich „Junges Wohnen“ dar. Während das Projekt in der Tauschergasse rasch voranschreitet, wurde kürzlich im Beisein von Bundekanzler Werner Fayman auch das neue Projekt in der Karl Pfeffer Gasse präsentiert! Die Wohnungsgenosschaft St. Pölten – immer am Puls der Zeit!

WEITERE AKTUELLE PROJEKTE IN PLANUNG St. Pölten SÜD – Landsbergerstraße/Handel-Mazzetti-Straße Sonstige Projekte finden Sie auch unter www.wohnungsgen.at

Allgemeine gemeinnützige WOHNUNGSGENOSSENSCHAFT e.Gen.m.b.H. in St.Pölten

Josefstraße 70/72 3100 St.Pölten

Tel.: 02742/77288-0 Fax: 02742/73458 wohnungsberatung@wohnungsgen.at www.wohnungsgen.at

Beste Qualität, beste Lagen: Die Wohnungsgenossenschaft St. Pölten schafft in ganz NÖ zukunftsweisende Wohnprojekte.


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