tam.tam Das Stadtmagazin für Erfurt & Region, Ausgabe 41, Dezember 2019

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Dezember 2019

| WIR FRAGEN, IHR ANTWORTET |

Welchen Teil deines Körpers magst Du am liebsten?

ANA RITA, 23 — Tänzerin:

Meine Haut

Meine Haut besteht aus Narben von dem Boden, auf dem ich stolpere. Er verbrennt meine Haut. Prellungen sehen immer aus wie kleine Galaxien. Je mehr Galaxien ich als Kind auf meinen Beinen hatte, desto lieber habe ich Röcke getragen. Warum sollte ich mich tätowieren lassen, wenn meine Haut mir immer wieder neue und wunderschöne Bilder schenkt. Durch Tanz male ich mit meinem Körper und in Verbindung mit anderen Tänzern werden wir zu Künstlern, die kleine Kunstwerke auf den Körpern anderer hinterlassen. So kann ich mich erinnern und Erinnerungen hinterlassen.

RUI, 35 — DJ: Meine Augen

Interviews und Fotos: Florence Schmalz

VALENTINA, 37

Meine Lippen

Ich mag meine Augen am meisten. Grundsätzlich mag ich Augen. Sie sind ein Bestandteil unseres Körpers, den wir sehen und berühren können. Augen haben aber auch etwas Übernatürliches. Ich glaube, dass ich die Sprache dieses Körperteils besser »lesen« kann als die der anderen. Die Regeln der Attraktivität sind hier viel reiner und ehrlicher. Arme, Beine, Münder können lügen und ich glaube wir messen ihnen mehr Bedeutung zu, als sie es vielleicht verdienen. Man kann einen Arm fünf Minuten ansehen — nichts und er kann sich nicht bewegen, aber schauen Sie dagegen mal einem anderen Menschen zwei Minuten in die Augen …

Meine Lippen sind stark. Sie bringen starke Worte heraus, ich kann mich selbst ausdrücken und mich positionieren. Meine Lippen sind schwach. Wenn ich kraftlos bin, haben sie manchmal auch keine Kraft und der Atem, der durch sie hinausgeht, ist ganz fein und tief. Meine Lippen sind sinnlich. Sie können andere Lippen zum Zittern bringen und Spuren von Liebe hinterlassen. Meine Lippen sind nicht perfekt. Denn sie können ein Feuer auspusten, es aber nicht neu auferstehen lassen.

VICTORIA, 27 — Studentin:

VITOR, 28 — Chemiker: Meine Augen

Mein Nacken

TIM, 40 — Lehrer: Meine Füße

Warum meine Augen? Ganz einfach: Sie sind eine Reflektion meiner selbst, meiner Seele (wenn sie denn existiert). Immer, wenn ich glücklich bin, zeigen sie es, indem sie sich zu einer Art »Augen-Lachen« formen. Auf der anderen Seite ziehen traurige, hasserfüllte Momente meine Augenlieder nach unten und starren das Objekt direkt an. Reagiere ich, reagieren auch meine Augen, sodass andere meine Reaktion an meiner Körpersprache sehen können. In einer Welt, in der Worte manchmal nicht genug sind, sind meine Augen das Schiff für meine Ausdrücke und ich kann mir selbst immer treu bleiben.

Mein Nacken ist die Verbindung vom Rücken zu meinem Haupt. Oben befinden sich mit die lebenswichtigsten Organe. Von dort aus wird alles gesteuert. Manchmal habe ich einen steifen Nacken und dann kommt jemand mit warmen Händen und es wird ein bisschen besser. Ich bin empfindlich am Nacken und es ist vielleicht eine der verwundbarsten und intimsten Stellen, die ich mir vorstellen kann. Ein Kuss auf den Nacken bewegt mich manchmal mehr als einer auf den Mund. Außerdem ist er mysteriös, weil ich ihn selbst noch nie richtig gesehen habe. Manchmal vergesse ich sogar, dass er da ist.

Meine Füße tragen meinen Körper. Sie sind vielleicht nicht sonderlich schön anzusehen, sind aber dafür verantwortlich, dass ich jeden Morgen aufstehen kann und hin gehen kann, wohin ich will. Mit meinen Füßen kann ich bis zum Morgengrauen zu meiner Lieblingsmusik tanzen, ein Tor schießen oder durch die kühle Saale gehen und mich erfrischen. Wie sehr ich auf meine Füße angewiesen bin, habe ich mal gemerkt, als ich mich dort verletzt habe. Plötzlich war alles im Ungleichgewicht und ich und alles um mich herum geriet ins Wanken. Ich bin dankbar, dass das kein Dauerzustand war.


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