Zuger Presse 20200121

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GEMEINDEN

Zuger Presse · Zugerbieter · Dienstag, 21. Januar 2020 · Nr. 3

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Freiwilligen Arbeit

72 Stunden Zeit, zwei Vereine und ein Ziel Jungwacht und Blauring Steinhausen haben etwas gegen die Lebensmittelverschwendung unternommen – im Rahmen einer schweizweiten Aktion. Elena Maria Meier

3 Tage, 4320 Minuten oder eben 72 Stunden. Über 230 gemeinnützige Projekte wurden während dieser Zeitspanne von 16. bis 19. Januar schweizweit von Blauring, Jungwacht, Pfadi und Co. durchgeführt. Mit dabei waren auch Zuger Jugendliche. Jungwacht und Blauring Steinhausen nahmen sich im Rahmen des Projekts dem Thema «Food-Waste» an. Dies in Anlehnung an die «Agenda 2030» für nachhaltige Entwicklung der internationalen Staatengemeinschaft. Sie beinhaltet 17 Ziele und 169 Unterziele für nachhaltige Entwicklung in den Dimensionen Ökologie, Wirtschaft und Soziales. Bis 2030 sollen Ziele wie Gleichstellung der Geschlechter, menschenwürdige Arbeit oder Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen erreicht werden.

Lebensmittel: Über ein Drittel wird weggeworfen Ziel des diesjährigen Projekts, bei dem Jungwacht und Blauring Steinhausen zusammenspannten, war es, darauf aufmerksam zu machen, dass über ein Drittel der Lebensmittel in der Schweiz verloren gehen. Die Teilnehmenden sollten sensibilisiert werden und selbst Massnahmen gegen die Lebensmittelverschwen-

50 Kinder und 30 Leitende von Jungwacht und Blauring Steinhausen haben sich mit dem Thema «Food-Waste» auseinandergesetzt. dung kennen lernen. Dass aber nicht nur die über 50 Kinder und rund 30 Leitenden in dieses Projekt involviert waren, zeigte sich schon am ersten Tag.

Einwandfreie Lebensmittel wurden verarbeitet Nachdem am Donnerstag die Kinder im Kaplanenhaus eingetroffen waren und sich eingerichtet hatten, stellte sich die Initiative «Foodsharing» vor. Diese entstand 2012 in Berlin. Heute zählt die Initiative über 200 000 Mitglieder. Die Lebensmittelretterinnen arbeiten ehrenamtlich und setzen sich für mehr Nachhaltigkeit im Konsum ein. Mit der Unterstützung dieser Initiative installierten die beiden Jugendvereine Kühlschränke in Steinhausen. Diese können

nun von all jenen genutzt werden, die übrig gebliebene Lebensmittel abgeben möchten oder welche benötigen. Die servierten Mahlzeiten wurden während der drei Tage überwiegend aus Lebensmitteln gekocht, welche Detailhändler in Steinhausen nicht mehr ver-

«Die Kinder waren enorm interessiert und voller Elan.» Aaron Fuchs, Leiter Jungwacht Steinhausen kaufen durften. Jungwacht und Blauring versuchten möglichst kein Geld für Nahrungsmittel auszugeben. Nebst Detailhändlern unterstützten auch Bäckereien und Restaurants

das Projekt mit Lebensmitteln, die nicht mehr verkauft werden durften, obwohl ihr Zustand noch einwandfrei war.

Perfekte Vorbereitung für den Sommer Um sich Wissen anzueignen und auf die Problematik der Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen, bildeten die Scharen verschiedene Teams. Diese kümmerten sich um das Bauen eines Komposts, das Organisieren der Lebensmittel, das Gestalten von Flyern und Plakaten und betreuten die Instagram- und Facebook-Kanäle von Jungwacht und Blauring. Zum Abschluss des 72-Stunden-Projekts wurde zum Zmittag im Chilematt eingeladen. Die Bevölkerung Steinhausens durfte ein kostenloses Essen ge-

niessen. Selbstverständlich wurden die Reste auch gleich mit nach Hause genommen. Was Aaron Fuchs, Leiter der Jungwacht, mit nach Hause nimmt, sind vor allen Dingen die vielen positiven Feedbacks und Eindrücke. «Die Kinder waren enorm interessiert und voller Elan. Auch für mich war die ganze Aktion sehr spannend. Ein solches Projekt auf die Beine zu stellen, ist immer intensiv, aber der Spass geht dabei nie vergessen.» Die Zusammenarbeit von Jungwacht und Blauring lobte Fuchs ebenfalls. «Das Projekt gemeinsam durchzuführen, war erfrischend und eine tolle Vorbereitung für unseren nächsten gemeinsamen Plan. Wir werden nämlich auch das Sommerlager gemeinsam durchführen.»

Bild: Elena Maria Meier

72-Stunden-Aktion 2005 feierte die Aktion 72 Stunden Premiere in der Schweiz. Es folgten 2010 und 2015 weitere Ausgaben. Übernommen hat man die Aktion aus Deutschland und Österreich. Die schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Jugendverbände leitet als Dachorganisation seither die Koordination. Aus allen vier Sprachregionen sind jeweils Jugendverbände vertreten. Die Aktion 72 Stunden soll auf das enorme freiwillige Engagement von Jugendlichen aufmerksam machen und die Verantwortung, die dabei übernommen wird, ins Rampenlicht rücken. Insgesamt 235 Projekte und 15 000 Teilnehmende zählte die Aktion dieses Jahr. emm

Interview

«Mich haben immer Biografien mit Abstürzen und Umbrüchen interessiert» Der Zuger Regisseur Christoph Kühn wurde bekannt mit Filmen über Friedrich Glauser und Bruno Manser. Am Wochenende feiert sein neuer Film «Paul Nizon – Der Nagel im Kopf» an den Solothurner Filmtagen Weltpremiere. Christoph Kühn, der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon, 1929 in Bern geboren und seit 1977 in Paris lebend, gilt als nicht gerade pflegeleichter Zeitgenosse. Wie haben Sie es geschafft, zusammen mit dem ungemein vitalen 90-Jährigen einen so entspannten Film zu machen? Da muss ich weit zurückblenden. Ich habe Paul Nizon 1973 an der Universität Zürich erlebt, als er über seinen «Diskurs in der Enge» referierte und diskutierte. Die 1970 erschienene Streitschrift hatte seinerzeit viel Aufsehen erregt, Nizon rechnete darin sehr polemisch mit der Schweiz ab. Und ich als junger Rebell, der schon damals wusste, dass er nie etwas anderes als Filmemacher werden wollte, war tief beeindruckt. Für mich war es das Beste, was ich bis da gehört hatte von einem Intellektuellen über die Welt, in der auch

ich lebte. Als ich dann einige Jahre später erfuhr, dass Nizon der Schweiz definitiv den Rücken gekehrt hatte, war mir klar: Aha, jetzt setzt er also um, was er in «Diskurs in der Enge» vertreten hatte, nämlich, dass man in der Schweiz künstlerisch nicht reüssieren kann.

Sie studierten damals schon an der Filmhochschule in München? Ja, ich hatte das Glück, dass es zu jener Zeit in der Schweiz noch keine einzige Filmschule gab. Glück? Klar, denn so konnte ich raus aus der Schweiz, die auch ich damals als miefig und erstickend empfand. München dagegen war die grosse Welt und die Filmschule erlebte ich als äusserst grosszügig. Kehren wir zurück zu Paul Nizon. Ja, da muss ich jetzt ein paar Jahrzehnte überspringen: Ich machte also meine Filme, und nach meinem letzten Kinodokumentarfilm «Alfonsina» – über die argentinische Schriftstellerin Alfonsina Storni – traf ich zufällig innerhalb kurzer Zeit mehrmals Leute, die Paul Nizon in Paris besucht hatten und mir begeistert von ihm erzählten. Da kam dann meine ganze Begeisterung wieder hoch und so las ich erstmals

Der Zuger Regisseur Christoph Kühn gründete 1983 seine eigene Filmproduktionsfirma Titanic Film. Bild: pd «Das Jahr der Liebe». Das 1981 erschienene autobiografische Buch, das vielen als sein bedeutendstes gilt, erzählt schonungslos offen von Abstürzen, ja Todessehnsucht, dann aber auch wieder von seinen wilden Kreativitätsschüben in den ersten Jahren in Paris in einer Hinterhofwohnung. Ich hatte so etwas noch nie gelesen, wie da jemand das Herauskippen aus dem Alltag, aus der gewohnten Umwelt, beschreibt wie hier. Es war eindeutig dieses Buch – das ich dann sicher 20 Mal las –, das mich zu diesem Film motivierte. Ich kon-

taktierte also Paul Nizon und konnte ihn rasch überzeugen. Ich glaube, er merkte sofort, dass ich bereits wusste, wie ich diesen Film machen wollte. Mich haben ja auch bei meinen vorherigen Filmen immer Menschen interessiert, oft Künstlerpersönlichkeiten – aber nicht immer – in deren Biografien es Abbrüche, Umbrüche, Abstürze, Neuanfänge gab.

Sie haben bisher praktisch immer Filme über bereits verstorbene Persönlichkeiten gemacht. Wie war das nun über

und mit einem lebenden legendären Literaten? «FRS – Das Kino der Nation» aus dem Jahr 1985, über Franz Schnyder, und «Salaam» aus dem Jahr 1998, über die Zuger Künstlerin Helen Kaiser, waren ebenfalls Filme mit noch lebenden Zeitgenossen. Was Paul Nizon betrifft, so hatte ich bei ihm das Glück, dass er es genoss, sich so ausführlich erklären zu können, und dass er einer ist, der viel von Kino versteht und selber ein grosser Filmliebhaber ist. Und wenn wir Differenzen hatten, etwa, wenn er fand, ich würde ihn jetzt wie einen Schauspieler inszenieren, sagte er: Es ist ja

Zur Person Christoph Kühn, 1955 in Zug geboren und aufgewachsen, studierte von 1975 bis 1979 Filmregie an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. 1983 gründete er seine eigene Filmproduktionsfirma Titanic Film, mit der er seither über ein Dutzend Kino- und TV-Dokumentarfilme realisierte. Zu seinen bekanntesten Filmen gehören «Nicolas Bouvier, 22 Hospital Street» (2005), «Bruno Manser – Laki Penan» (2007 ) und «Glauser» (2011). gek

schliesslich dein Film. Den fertigen Film hat er übrigens noch nicht gesehen, es ist also auch für ihn in Solothurn eine Weltpremiere. Geri Krebs

Der Film Christoph Kühn besucht Paul Nizon in seiner engen Pariser Hinterhofwohnung, wo der Schriftsteller seit Jahrzehnten alleine lebt. Kühn zeigt ihm zu Beginn auf dem Laptop ein Interview des Schweizer Fernsehens von 1967. Nizon ist darüber höchst amüsiert – ein Auftakt zu einer vielschichtigen, bald schmerzlichen, bald vergnüglichen Rückschau eines grossen Literaten auf sein Leben. Christoph Kühn begleitet Nizon dazu auf Spaziergängen im Quartier und auf Fahrten mit der Metro, ein Sprecher liest Passagen aus Nizons literarischem Werk, und in faszinierender Weise öffnen sich so allmählich Räume eines sprachlichen Universums von grosser Sogwirkung. gek «Paul Nizon – Der Nagel im Kopf» läuft in Solothurn am Freitag, 24. Januar, um 17.45 Uhr im Landhaus in Anwesenheit von Christoph Kühn und Paul Nizon und am Sonntag, 26. Januar, um 12 Uhr im Konzertsaal. Ab April läuft der Film in den Schweizer Kinos.


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