Ausgabe 1_2022: betonBAUKULTUR

Page 1

BAUKULTUR Zeitschrift des DAI Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V.

2022

1

Schwerpunkt Bauen mit Beton

Münsterländer AIV 9. Schlaun-Wettbewerb entschieden

BAUKULTUR

beton


Beton. Für große Ideen.

James-Simon-Galerie – Berlin David Chipperfield Architects

www.beton-fuer-grosse-ideen.de


BAUKULTUR 1_2022

editorial

3

LIEBE LESERINNEN UND LESER, VEREHRTE FREUNDE DER BAUKULTUR, ich möchte Ihnen für das neue Jahr 2022 alles Gute, insbesondere Gesundheit, Erfolg, Glück und Zufriedenheit wünschen. Tatsächlich ist es das dritte Jahr in Folge, bei dem Corona die wichtigsten politischen Themen besetzt hält. Ein Jahr der Gegensätze. Wir haben gesehen, dass die Wissenschaft international, aber vor allem auch in Deutschland große Erfolge bei der Entwicklung von Impfstoffen und bei der Erforschung der Krankheit(en) und ihrer Behandlung errungen hat. Wir haben zur gleichen Zeit aber auch große Widerstände und grobe Kampagnen gegen die Wissenschaft und einige Protagonisten erfahren müssen. Wir haben großartige Solidarität in weiten Teilen der Gesellschaft erlebt, aber auch Zwietracht, Hass und Verleumdung mit zunehmender Gewaltbereitschaft. Wir sehen besorgt und aufmerksam in die Zukunft, aber vor allem auch mit Zuversicht. Im vergangenen Jahr ist eine bedeutende Ära zu Ende gegangen. Die Erstwähler bei der Bundestagswahl können sich an keine andere Regierung als die der Kanzlerin Angela Merkel erinnern. Sie hat unser Land 16 Jahre lang mit Klugheit, Besonnenheit und Konstanz geführt und ab und zu sogar etwas hanseatischen Humor aufblitzen lassen. Ihr gebührt Dank und Anerkennung. Das Ende dieser Ära ist aber auch der Aufbruch zu einem Politikwechsel, der sich anhand verschiedener Themen im vergangenen Jahr angekündigt hat und immer wieder auch in dieser Verbandszeitung diskutiert wurde. Es geht um nicht weniger als um eine Neuausrichtung von Politik und Gesellschaft. Allen vorangestellt ist ein nachhaltiger Umgang mit unserer Umwelt, mit den Ressourcen, mit Wasser und Energie, Bodenschätzen und sauberer Luft. Die anschwellenden Müllberge haben nicht nur die Ozeane erreicht, sondern machen nun auch den Weltraum unsicher. Es geht ebenfalls auch um den Umgang der Menschen miteinander, um Respekt, Toleranz und Solidarität. Eine wichtige Säule unserer Demokratie ist der Pluralismus, der das Miteinander von Bürgern und Organisationen mit unterschiedlichen, ja sogar widerstrebenden Interessen im Parlament verankert. Hieran sollten wir uns erinnern, wenn es darum geht, zukünftig den Kompromiss im Ausgleich zu suchen. Der DAI hat auf seiner Jahrestagung im September 2021 mit der Aschaffenburger Erklärung ein wichtiges Statement zu den drängenden Aufgaben der neuen Regierung gegeben: Durchsetzung einer sozial gerechten und nachhaltigen

Bodenpolitik, Gestaltung klimagerechter Städte und Regionen, Klimaneutralität im Bauwesen, Weiterentwicklung der digitalen Infrastruktur und Stärkung der öffentlichen Verwaltung. Das Plenum der Jahrestagung forderte die zukünftige Regierung auf, die Bearbeitung dieser bedeutenden Aufgaben in einem eigenständigen Bauministerium zu bündeln. Wir begrüßen daher besonders herzlich die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz, die seit dem 8.12.2021 das reanimierte Ministerium führen wird. Gerhard Matzig hatte wenige Tage zuvor in der Süddeutschen Zeitung die Bewältigung der anstehenden Themen als Herkulesaufgabe bezeichnet. Der Neubau von 400.000 bezahlbaren Wohnungen soll helfen, das Grundbedürfnis auf Wohnen zu bedienen. Gleichzeitig müssen die Städte umgebaut werden, um besser mit den Herausforderungen des sich bereits veränderten Klimas umgehen zu können. Die Gebäudesanierung wird insbesondere auch bei der Nutzung regenerativer Energien den wichtigsten Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen. Die Städte müssen dichter werden, vorhandene Infrastruktur besser genutzt, und ein ausufernder Flächenverbrauch eingedämmt werden. Diese Ziele stehen zum Teil in Konkurrenz zueinander, wenn nicht sogar das Neu-Bauen als solches bereits als Verbrauch der Ressourcen kritisch betrachtet wird. Tatsächlich sind die Umnutzung und der Erhalt von Bestandsgebäuden deutlich stärker in den Mittelpunkt gerückt. Das Bundesbauministerium wird daher eine wichtige Schlüsselfunktion bei der Gestaltung unserer Zukunft haben. Wir Architekten und Ingenieure haben in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf den Wert der Planung hingewiesen, um Probleme in der Zukunft zu lösen, noch bevor diese entstehen. Ganz in diesem Sinne: Der DAI wird vom 30.9.–2.10.2022 ein Symposium zur „Mobilität in der Stadt“ anlässlich des DAI Tages 2022 in Münster durchführen. Ich darf Sie auch im Namen des Münsterländer AIV bereits heute ganz herzlich dazu einladen. Herzlichst Ihr

Arnold Ernst DAI Präsident


4

DAI bundesweit

BAUKULTUR 1_2022

Kiel

Pinneberg

DAI Tag 2022 in Münster Nach fünf Jahren wird der DAI Tag im kommenden Jahr erneut in Münster stattfinden. Turnusmäßig wird dann auch der DAI Literaturpreis verliehen werden. Zudem ist ein Symposium zum Thema „Mobilität in der Stadt“ in Planung. Bitte merken Sie sich den Termin am Wochenende vom 30.9.–2.10.2022 heute schon vor!

Osnabrück

Berlin-Brandenburg

Leipzig Düsseldorf

Oberhessen

www.dai.org/veranstaltungen Wiesbaden

Aschaffenburg Bamberg

Mainz

Saar

Mannheim

Nürnberg

Folgen Sie dem DAI im Netz: www.dai.org www.facebook.com/baukultur www.twitter.com/baukultur www.instagram.com/ baukultur_dai/

DAI Mitgliedsverein

www.linkedin.com/ company/baukulturplus

kein DAI Mitgliedsverein DAI Mitgliedsverein mit Textbeitrag in der vorliegenden Ausgabe

DAI MITGLIEDSVEREINE AIV Aschaffenburg AIV Aschersleben-Staßfurt AIV Bad Hersfeld AIV Braunschweig AIV Frankfurt AIV Hanau AIV Hannover AIV Hildesheim AIV Koblenz

AIV KölnBonn AIV Konstanz AIV Leipzig AIV Marburg AIV Mark Sauerland AIV Oberhessen AIV Schweinfurt AIV Stuttgart AIV Ulm

AIV Würzburg AIV zu Berlin-Brandenburg AIV zu Magdeburg Mittelrheinischer AIV Darmstadt Münchener AIV Münsterländer AIV Oldenburgischer AIV Ruhrländischer AIV zu Essen Schwäbischer AIV Augsburg


BAUKULTUR 1_2022

inhalt

5

28

14

3 4 5 6–8 6 7 8 10 10

Editorial Arnold Ernst DAI bundesweit Inhalt Rubriken Nachrichten Kolumne Bundesstiftung Baukultur Wirtschaft + Recht DAI aktuell Aus dem Präsidium

10–11 10–11

DAI regional Münsterländer AIV: 9. Schlaun-Wettbewerb entschieden

12–29 12–13 14–15 16–17 18–19 20–21 22–23 24–25 26–27 28–29

Schwerpunkt: Bauen mit Beton Architekturbüro Rumstadt: Pfarrkirche in Leitershofen Xaveer De Geyter Architects: Verwaltungsgebäude in Belgien wittfoht architekten bda: Finanzamt in Karlsruhe Yonder und SOMAA: Wohngebäude in Tübingen pool Architekten: Busgarage in der Schweiz Brandenberger Kloter Architekten: Schulcampus in der Schweiz ABMP Architektur und Generalplanung: Grundschule in Steinrausch Carlana Mezzalira Pentimalli: Musikschule in Südtirol Atelier bergmeisterwolf: Hotelerweiterung in Südtirol

30–42 30–31 32–33 34–35 36 37 38 39 40 41 42

Advertorials | Anzeigen Liapor GmbH & Co. KG: Hauptfeuerwache in Karlsruhe KORODUR GmbH & Co. KG: Firmenzentrale der HeidelbergCement AG Rinn GmbH & Co. KG: Priwall-Promenade in Travemünde NATURinFORM GmbH: Uferpromenade am Gardasee NOVO-TECH Trading GmbH & Co. KG: megawood®-Sortiment Rieder Sales GmbH: EDGE Suedkreuz Berlin feco-feederle GmbH: Unternehmenszentrale der weisenburger Gruppe KLB Klimaleichtblock GmbH: Neues Stadtquartier in Remagen Dennert Baustoffwelt GmbH & Co. KG: Massivbau für altersgerechtes Wohnen Lithonplus GmbH & Co. KG: Systemlösung Lithon GeoClean®

43

Titel: Integratives Wohnprojekt in Tübingen von Yonder und SOMAA (Foto: Brigida González)

26

Autoren | Vorschau | Impressum


6

nachrichten

BAUKULTUR 1_2022

Virtuelle Hommage an Jean Keller Morger Partner: Haus Bischoffweg, Collage 2021

Unglaubliche Karikaturen Es gibt zu viele Kirchen. Die meisten stehen leer und unter Denkmalschutz. Viele werden sogar abgerissen. Ist es hoffnungslos? Aber die Hoffnung stirbt zuletzt! Der Vatikan hat von Bistümern aus aller Welt Rettungsvorschläge erhalten, die besten 70 Ideen ausgewählt und in Bild und Text veröffentlichen lassen. Denn der beste Denkmalschutz kann nur eine neue Nutzung für alte Kirchen sein. Rainer Karliczek: Neue Hoffnung für leere Kirchen, bod-Verlag, 2021, ISBN 978-3-755-72754-5. www.bod.de Ich wollte nie eine Konstruktivistin sein Noch bis 9.1.2022 zeigt das Reuchlinhaus Pforzheim Fotografien verschollener Collagen von Hannah Höch. Mit der Ausstellung wird die Beziehung der Berliner Dadaistin zu den Architekturen von Mies van der Rohe, Hans Scharoun sowie von Manfred Lehmbruck, dem Architekten des vor 60 Jahren errichteten Reuchlinhauses, untersucht, zu denen sie in einer jeweils spezifischen Beziehung stand. www.kunstvereinpforzheim.de Was War Was Wird Gegenwärtig vollzieht sich in vielen Architekturbüros ein Generationenwechsel. Wie kann deren Identität weiter geschrieben und fortentwickelt werden? Zusätzliche Bedeutung gewinnt die Frage vor dem Hintergrund der sich radikal ändernden Schwerpunkte beim Bauen, die gleichzeitig auch die Rolle von Architekten als

gesellschaftliche Akteure enorm beeinflussen. Morger Partner Architekten aus Basel thematisieren diesen Entwicklungsprozess in einer Ausstellung, die vom 21.1.–22.2.2022 in Berlin zu sehen ist. Das Büro hat zu diesem Zweck für 22 Projekte aus der 33-jährigen Bürogeschichte zukünftige Entwurfs- und Nutzungsszenarien entwickelt. www.architekturgalerieberlin.de

Brandstiftungsarchiv, Detail (Foto: © Thomas Stratmann)

Rechte Gewalt in Deutschland sichtbar machen Das Brandstiftungsarchiv ist eine Sammlung von mehr als 400 rechtsextremistischen Brandanschlägen gegen Einwanderer- und Flüchtlingsunterkünfte seit der deutschen Wiedervereinigung 1990. Alle Gebäude sind in maßstabsgetreuen Modellen dargestellt, allerdings nicht als originalgetreue Nachbauten, sondern in Form von insgesamt 20 Prototypen. Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert und noch bis 5.2.2022 in Stuttgart zu sehen. www.weissenhofgalerie.de Hommage an Jean Keller Jean Keller (1844–1921) gilt als Augsburger Architekt des Historismus. Anlässlich seines 100. Todestags haben Architekturstudierende der Hochschule Augsburg im Rahmen eines Masterprojekts sein Leben und eine Auswahl seiner Werke näher untersucht und in Form von 360°und 3D-Techniken gewürdigt. Es entstand eine Ausstellung, die noch bis 31.1.2022 in Augsburg-Göggingen zu sehen ist. Die Projektergebnisse werden zudem in einer virtuellen Hom-

mage präsentiert. Jean Keller war Mitglied im Schwäbischen AIV Augsburg. Das Projekt konnte mit Unterstützung des SAIV realisiert werden. www.jean-keller-hommage.de ReferenzRäume Die Ausstellung im Museum Morsbroich in Leverkusen bietet noch bis 24.4.2022 einen retrospektiven Querschnitt durch Mischa Kuballs Werk der letzten drei Jahrzehnte. Eine Reihe von ebenso faszinierenden wie

Mischa Kuball: leverkusen_transfer, 2017/2021, Installationsprojekt im Außenraum der Stadt Leverkusen, dann im Museum Morsbroich (Foto: © Archiv Mischa Kuball, VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Achim Kukulies)

konzeptuell versierten Lichtinstallationen wird ergänzt durch Projekte für den öffentlichen Raum. Zudem werden Werke gezeigt, in denen sich Mischa Kuball mit der Moderne auseinandersetzt, sowie die große multimediale Arbeit New Pott, in denen er von den Menschen im heutigen, von Migration geprägten Ruhrgebiet erzählt. www.museum-morsbroich.de 66. BetonTage „Nachhaltiger Bauen mit Beton“ ist das Motto der 66. Beton Tage, die vom 22.–24.2.2022 in Ulm stattfinden. Referenten aus Forschung und Praxis zeigen, wo die Reise hingeht. Neue Generationen von Betonen und ressourcenschonende Techniken bei der Zementherstellung spielen dabei ebenso eine Rolle wie innovative Produkte. Der Branchenkongress der Beton- und Fertigteilindustrie ist als Präsenzveranstaltung geplant. Ausgewählte Vorträge des Fachprogramms werden live gestreamt. www.betontage.de


BAUKULTUR 1_2022

kolumne

7

KODEX FÜR BAUKULTUR Architekten und Ingenieure verpflichten sich qua Berufsethos zu einer positiven Gestaltung der menschlichen Umwelt. In der Immobilienwirtschaft unterdessen fehlte ein solcher Kodex bisher. Die Bundesstiftung Baukultur und das Institut für Corporate Governance in der Immobilienwirtschaft ICG haben nun ein Angebot zur Verantwortungsübernahme durch die Immobilienwirtschaft erarbeitet. Durch bauliche Eingriffe können wir unsere Umwelt zum Guten wie zum Schlechten verändern: Nachhaltige Bauvorhaben mit langen Lebenszyklen nutzen gesellschaftlich mehr als kurzfristig gedachte Renditeprojekte, die schnelle Gewinne generieren, spätestens aber der nachfolgenden Generation auf die Füße fallen – sprichwörtlich durch mangelhafte Materialqualität oder im übertragenen Sinn, etwa durch monotone Gestaltung, fehlende Nutzungsflexibilität oder nicht durchdachte Standortkonzepte. Es liegt in der Natur der Sache, dass an komplexen Prozessen des Planens und Bauens viele Menschen mit unterschiedlichen Interessen beteiligt sind. Baukultur entsteht da, wo Einzelinteressen in den Hintergrund rücken und im Sinne der Sache gearbeitet wird. Das betrifft im Wesentlichen die Berücksichtigung von fünf Faktoren: ökologische und soziale Verträglichkeit, wirtschaftliche Machbarkeit, räumlich gestalterische Qualität für das Bauwerk und sein Umfeld sowie konsensorientierte Planungskultur. Erst wenn diese Faktoren im holistischem Sinne berücksichtigt werden, entstehen dauerhaft lebenswerte Gebäude und Nachbarschaften. Architekten sind durch die Kammergesetze und Berufsordnungen zu „… einer positiven Gestaltung der Umwelt des Menschen verpflichtet“. Sie sind gehalten, „… gut gestaltet, technisch, wirtschaftlich, umweltgerecht und sozial zu planen“. Ähnlich ist es bei den Ingenieuren und Fachplanern, deren Ingenieurkodex nicht nur die Verantwortung für die Standsicherheit betrifft, sondern die im Sinne einer Bringschuld gehalten sind, Naturwissenschaften und Technik als positive Gestaltungsfaktoren für die gebaute Umwelt einzusetzen. Anders verhält es sich in der Immobilienbranche, der ein entsprechender Berufskodex noch fehlt. Er würde der Branche nicht nur helfen, ihr Image zu verbessern, sondern der Baukultur einen positiven Schub verleihen. Die Selbsteinschätzung der Immobilienprofis spricht für sich: Weniger als 20 % halten das Image ihrer Branche für sehr gut oder gut, 22 % dagegen für schlecht oder sehr schlecht. Das zeigt eine Studie von Edelmanergo aus dem Jahr 2016. Und auch in der aktuellen Debatte um bezahlbares Wohnen

genießt die Branche einen eher zweifelhaften Ruf, der einigen „schwarzen Schafen“ und einer mancherorts zu beklagenden, qualitätsfreien „Investorenarchitektur“ zu verdanken ist. Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft ICG, das von Unternehmen der Immobilien- und Wohnungswirtschaft getragen wird, einen „Leitfaden Wertemanagement“ entwickelt. Als „Kodex korrekten Verhaltens für Unternehmen und Mitarbeiter in der Immobilien- und Bauwirtschaft“ fußt er auf Konzepten, die von der Individualethik ausgehen und über die Unternehmensethik bis zur Ordnungsethik führen. Das geht in die richtige Richtung, allerdings sind diese Faktoren noch zu sehr nach innen gerichtet. Es fehlt die gesellschaftliche Verantwortung. Rückendeckung für diese These kommt aus der Immobilienwirtschaft selbst: In der oben bereits zitierten Umfrage unter 300 Branchenprofis gaben 70 % an, dass Immobilienunternehmen zusätzliches Vertrauen gewinnen können, wenn sie sich aktiv in die Lösung gesellschaftlicher Fragen einbringen. Aber nur 25,5 % glaubten, dass sich die Immobilienwirtschaft dabei in ausreichendem Maß engagiere. Diese Erkenntnis muss jetzt münden in einen „Baukulturkodex“, wie ihn die Bundesstiftung der verantwortungsbewussten Bauherrenschaft aufzeigt. Er macht als Leitbild die Ergebnisse immobilienwirtschaftlichen Handelns für die räumlich auf uns wirkende, gebaute Umwelt zum direkten Maßstab für gesellschaftlichen Nutzen und damit langfristig auch für wirtschaftlichen Erfolg. Reiner Nagel www.bundesstiftung-baukultur.de

rechts Vom Nachhaltigkeitsdreieck zum Haus der Ganzheitlichkeit (Grafik: Bundesstiftung Baukultur 2018)


8

wirtschaft + recht

BAUKULTUR 1_2022

§§ Die in Berlin, München, Frankfurt und Wien ansässige Kanzlei Zirngibl Rechtsanwälte Partnerschaft mbB ist Premiumpartner des DAI. Zu ihren bundesweiten Arbeitsschwerpunkten zählen das Immobilien-, Bau- sowie das Vergaberecht.

NEUES AUS DEM... ...Bau- und Architektenrecht

...Vergaberecht

Vorschussanspruch vor Abnahme auch ohne Kündigung? OLG Celle, Urteil vom 11.11.2021, Az. 6 U 19/21, IBRRS 2021, 3666.

Schadensersatzanspruch bei Aufhebung ohne Aufhebungsgrund?

Dem Urteil liegt eine bekannte Konstellation zugrunde. AG und AN haben einen VOB/B-Bauvertrag geschlossen. Der AN verlangt Restvergütung, der AG hingegen rügt diverse Mängel. Die Abnahme wurde noch nicht erklärt. Im hier untersuchten Fall hat der AG, ohne dem AN vorher den Auftrag durch Kündigung zu entziehen, mit einem Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für Mangelbeseitigungskosten gegen den Restvergütungsanspruch des AN aufgerechnet. Mit Erfolg?

Vergabeverfahren können auf zwei Arten beendet werden: durch Erteilung des Zuschlags oder im Wege der Aufhebung.

Ja, sagt das OLG Celle. Der AG darf mit seinem Vorschussanspruch gegen den Vergütungsanspruch des AN aufrechnen. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass der AG einen Vorschuss gemäß § 4 Abs. 7 VOB/B (Mangelhaftigkeit vor Abnahme) grundsätzlich nur nach der Auftragsentziehung gemäß § 8 Nr. 3 VOB/B verlangen kann. Denn dem AG kann ein Anspruch auf Kostenvorschuss auch ohne die vorherige Entziehung des Auftrages zustehen, wenn der AN die vertragsgemäße Fertigstellung endgültig verweigert hat. Maßgebend stellt das OLG Celle darauf ab, dass das gefürchtete „konfliktträchtige Nebeneinander“ von AN und Drittunternehmen im Falle solch einer endgültigen Erfüllungsverweigerung ausgeschlossen sei. Da sich der AN selbst nicht mehr zuständig fühlt, wird er mit Drittunternehmen nicht aneinandergeraten, es bestehen insoweit „klare Verhältnisse“. Doch wann liegt eine endgültige Erfüllungsverweigerung vor? Die Beantwortung dieser Frage wird von den Umständen des Einzelfalls abhängen, wobei hier äußerste Vorsicht geboten ist. Es gilt ein strenger Maßstab. Die geforderte Endgültigkeit dürfte nur vorliegen, wenn der AN jenseits vernünftiger Zweifel unter keinen Umständen mehr zur Erfüllung bereit ist. Rechtsanwalt Lukas Ritter, LL.M. (TCD)

Das Gesetz bietet dem öffentlichen Auftraggeber unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, das Vergabeverfahren aufzuheben – z. B. dann, wenn kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 3 VgV). In solch einem Fall liegt ein gesetzlich geregelter Aufhebungsgrund vor. Doch der öffentliche Auftraggeber ist auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund vorliegt, nicht verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Er macht sich dann aber unter Umständen schadensersatzpflichtig. Im Fall einer Aufhebung ohne Aufhebungsgrund stellen sich daher viele Bieter berechtigterweise die Frage, ob und vor allem in welcher Höhe ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden kann, denn schließlich platzt mit der Aufhebung auch die Aussicht auf Beauftragung und Vergütung. In den meisten Fällen wird dem Bieter jedoch nur der Ersatz des so genannten negativen Interesses zuerkannt, also die Kosten der Beteiligung an dem Verfahren. Der Ersatz des positiven Interesses (entgangener Gewinn) kommt hingegen nur dann in Betracht, wenn der Auftraggeber grundlos aufhebt und denselben Auftrag in einer Neuausschreibung an einen anderen Bieter vergibt, der ihn im aufgehobenen Verfahren nicht hätte erhalten können. Zusätzlich ist es laut BGH erforderlich, dass der Auftraggeber die Ausschreibung in der Absicht aufgehoben hat, den Auftrag an einen anderen als den Bestbieter zu vergeben. Doch daran mangelt es in den meisten Fällen. Rechtsanwältin Sarah Lisa Bohn

Ansprechpartner Berlin: RA Lars Robbe Tel.: 030–880331–231, Mail: l.robbe@zl-legal.de, www.zl-legal.de Ansprechpartner München: RA Dr. Ulrich May Tel.: 089–29050–231, Mail: u.may@zl-legal.de, www.zl-legal.de


WENIGER CO2 – MEHR CEMEX FÜR PROJEKTE MIT ZUKUNFT

Bei CEMEX arbeiten wir an einer besseren Zukunft. Klimaschutz und nachhaltiges Bauen stehen hierbei im Mittelpunkt unserer Anstrengungen. Dazu gehören innovative Produkte, die einen deutlich geringeren CO2 -Fußabdruck haben. Zudem sind unsere Baustoffe vielseitig und bestehen aus regional hergestellten Materialien. Dies gilt auch für unsere nachhaltige Produktreihe VERTUA®.

www.cemex.de/nachhaltig-bauen/vertua


10

DAI aktuell | DAI regional

BAUKULTUR 1_2022

AUS DEM PRÄSIDIUM Nach der Bundestagswahl am 26.9.2021, der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages am 26.10.2021 und der Vereidigung der neuen Bundesregierung am 8.12.2021 ist die 20. Legislaturperiode bundespolitisch voll im Gange. Natürlich ist noch nicht alles da, wo es planmäßig sein soll. Insbesondere das Planen und Bauen wird regierungstechnisch noch etwas Zeit benötigen. Vom DAI und vielen anderen politischen Vertretungen frühzeitig und nachdrücklich gefordert, bekommt dieser Themenbereich ein eigens zugeschnittenes Ministerium, das „Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen“. Die Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ist mit dem Organisationserlass des Bundeskabinetts vom 8.12.2021 auch mit den Themen Raumordnung und BImA betraut worden. Das war u.a. eine

letzte zentrale Forderung vieler Akteure – auch des DAI – zwischen Ende der Ampel-Koalitionsverhandlungen und Vereidigung der neuen Bundesregierung. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe stand noch nicht fest, wo genau das Bundesbauministerium und in welcher Detailorganisation es in Berlin seine Arbeit aufnimmt. Bedeutend allein ist, dass es so kommen wird. Der Bausektor ist und bleibt einfach zu wichtig, um nur an dritter oder gar vierter Stelle einer Ministeriumsbezeichnung vorzukommen. Die letzte SPD-Zuständigkeit für das Thema war von 2013–2017. In der 18. Wahlperiode war das Planen und Bauen dem Thema Umwelt angegliedert, Barbara Hendricks war die zuständige Ministerin. Udo Sonnenberg

Münsterländer AIV

9. SCHLAUN-WETTBEWERB ENTSCHIEDEN Die Coronapandemie hat auch den Zeitplan für die Durchführung des Schlaun-Wettbewerbs „Münster Bahnstadt Süd“ beeinflusst. Mit 17-monatiger Verzögerung tagte das Preisgericht vom 30.9.–1.10.2021 unter Vorsitz von Prof. Rolf E. Westerheide. Die 10 Preisrichter hatten 87 Arbeiten im Bereich Städtebau, 55 Arbeiten im Bereich Architektur und drei Arbeiten im Bereich Bauingenieurwesen von insgesamt 37 verschiedenen Hochschulen zu bewerten. Der Schlaun-Ideenwettbewerb wird seit 2011 jährlich ausgelobt. Ziel ist es, in jeder Fachrichtung hervorragende künstlerische und technisch-wissenschaftliche sowie nachhaltige Planungsleistungen für Studierende und junge Berufsanfänger auszuschreiben. Beim 9. Schlaun-Wettbewerb 2019/20 waren die Stadt Münster und die NRW.BANK Hauptförderer. Darüber hinaus unterstützten die LVM-Versicherung, die WSG Wohnungs- und Siedlungs-GmbH, der Münsterländer AIV und der DAI diesen Wettbewerb. Insgesamt standen Preisgelder in Höhe von 24.000 Euro zur Verfügung.

Fachbereich Städtebau und Landschaftsplanung Die Aufgabe im Fachbereich Städtebau und Landschaftsplanung befasste sich mit einer 24,5 ha großen innerstädtischen Fläche, beginnend am Hauptbahnhof in südlicher Richtung. Kernpunkt war der ehemalige Stückgutbahnhof mit den angrenzenden Bereichen des Südviertels. Ziel war es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen öffentlich nutzbaren Freiräumen und städtisch geprägter Bebauung zu schaffen. Das Preisgericht entschied sich für zwei 1. Preise. Ein 1. Preis ging an Lena Sandeck und Maike Wiemann von der FH Dortmund: links 1. Preis Städtebau und Landschaftsplanung: Lena Sandeck und Maike Wiemann, FH Dortmund unten 1. Preis Städtebau und Landschaftsplanung: Jonas Wenzien, Daniel Troich und Jo Jaspar Pötting, MSA Münster School of Architecture


BAUKULTUR 1_2022

DAI regional

11

oben 1. Preis Architektur: Ahmad Obeidat, HS Wismar

rechts 1. Preis Architektur: Maximilian Pfaff und Tim Johannes Gärtner, TU Darmstadt

„Die Arbeit bietet mit angemessenen Mitteln ein eigenständiges und rundum überzeugendes Stadtquartier an. Inmitten sehr gut gegliederter und überzeugender Grün- und Freiflächen liegt die attraktive zentrale Markthalle“, urteilte die Jury. Ein weiterer 1. Preis ging an Jonas Wenzien, Daniel Troich und Jo Jaspar Pötting von der MSA Münster School of Architecture: „Die Arbeit überzeugt durch eine klare lineare Gliederung des Areals, die parallel zum Verlauf des Bahndamms entwickelt wird. Städtebaulich sinnvoll angeordnet entstehen drei miteinander vernetzte Teilbereiche für Produktion, Begegnung und Wohnen“, so das Preisgericht. Fachbereich Architektur Die Aufgabe im Fachbereich Architektur sollte gestalterische Lösungen für die Haltestelle der Fernreisebusse entwickeln. Angestrebt wurde an dieser Stelle ein Fernbusbahnhof bzw. eine Fernbusstation mit Stellplätzen für Regional- und Stadtbusse inkl. einer gestalterisch überzeugenden Überbauung. Ein 1. Preis ging an Ahmad Obeidat von der HS Wismar. Das Preisgericht begrüßte „die ausdrucksstarke Architektur, die an der Hafenstraße eine Hochgeschossigkeit zeigt, die sich zur Leostraße mit begrünten Terrassen abtreppt, wodurch

sich der Baukörper nach Süden öffnet und optimale Nutzungen zulässt“. Ein weiterer 1. Preis ging an Maximilian Pfaff und Tim Johannes Gärtner von der TU Darmstadt. Hierzu stellte das Preisgericht fest: „Der Entwurf schafft eine selbstverständliche, harmonische Zuordnung und Verknüpfung vorhandener und geplanter Gebäude. Der Raum zur Hafenstraße wird gegliedert und durch einen Hochpunkt markiert.“ Fachbereich Bauingenieurwesen Die Aufgabe im Fachbereich Bauingenieurwesen widmete sich dem Unterführungsbereich „Albersloher Weg“, einer Hauptverkehrsstraße in Münster. Die Unterführung der Bahntrasse ist weder in der Breite noch in der Höhe auf die heutige Verkehrsbelastung ausgelegt. Den 1. Preis erhielt Jens Wensing von der FH Münster. „Der Entwurf der Eisenbahnbrücke besticht durch seine großzügigen Abmessungen und wirtschaftlich sinnvollen Konstruktionselemente sowie durch seine gute Einbindung in die Örtlichkeit“, so das Preisgericht. www.schlaun-wettbewerb.de unten 1. Preis Bauingenieurwesen: Jens Wensing, FH Münster


Lust auf die ganze BAUKULTUR?


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.