Deutschlands Weg zur Einheit – 1815 bis 1871

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Abbildung 1: Die Kaiserproklamation in Versailles am 18. Januar 1871 - Ausschnitt von Anton (von) Werner - Quelle: Wikipedia

Deutschlands Weg zur Einheit – 1815 bis 1871 18. Januar 1871. Es ist die Sternstunde der deutschen Geschichte: Im Spiegelsaal von Versailles, wo einst der mächtige Sonnenkönig Ludwig XIV. residierte, wurde das Deutsche Reich proklamiert. Die deutsche Spaltung war endlich überwunden, die Deutschen in einem Staat vereint. Der Dank gebührte Otto von Bismarck. Innerhalb von wenigen Jahren löste der preußische Ministerpräsident die “Deutsche Frage”, die seit Ende des Napoleonischen Zeitalters die Deutschen und die europäischen Mächte beschäftigte. Die Zeit schien für eine deutsche Einigung unter Preußen reif. Schließlich haben sich die politische Stimmung in Deutschland und die außenpolitischen Konstellationen seit 1815 verändert – zu Gunsten des Hohenzoller-Reiches. Europa und Deutschland seit 1815 Wien, Sommer 1815. Die europäischen Großmächte einigten sich auf eine neue Friedensordnung. Die balance of power (engl. Gleichgewicht der Mächte) sollte neue Kriege um die Vorherrschaft in Europa eindämmen. Zu diesem Zweck wurde auch das kleine Preußen territorial vergrößert. Während Österreich französischen Ambitionen in Italien vorbeugen sollte, war die Aufgabe des HohenzollerReiches Frankreich von Westdeutschland fernzuhalten („Wacht am Rhein”). Der Wiener Kongress war vor allem für national gesinnte Deutsche eine Enttäuschung. Denn Deutschland blieb politisch weiterhin gespalten. Die einzige politische Klammer, die die 37 deutschen Territorialstaaten und vier freie Städte einte, war der Deutsche Bund, dessen politischer Mittelpunkt die alte Kaiserstadt Frankfurt am Main war. Die deutschen Fürsten konnten sich mit der Idee eines geeinten, deutschen Nationalstaates nicht anfreunden. Sie unterdrückten liberale und nationale Tendenzen ihrer Untertanen mit Zensur und Repressalien (“Zeitalter der Reaktion”). Erst 33 Jahre nach dem Wiener Kongress unternahmen die Deutschen den ersten Versuch, aus dem Flickenteppich Deutschland einen Einheitsstaat zu schaffen.


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Revolution 1848/49 und die gescheiterte Einheit Im Frühjahr 1848 erfasste die Revolution die deutschen Staaten. Ausgehend von Frankreich erhoben sich auch in Deutschland die Untertanen gegen ihre Herrscher von Gottesgnaden. Ihr Ruf richtete sich nach liberalen Reformen und der deutschen Einheit. Die Fürsten kapitulierten vor der Macht der Straße. Eine Nationalversammlung wurde gewählt, die ein Verfassungswerk für ein vereintes Deutschland ausarbeiten sollte. Aber wo lagen die Grenzen eines vereinten Deutschlands? Auf diese Frage fanden sich drei Lösungsansätze: • Die kleindeutsche Lösung: Preußen wird zum Kern des deutschen Einheitsstaates. Aber: Österreich verliert hierbei seine Vormachtstellung in Deutschland. Die Deutsch-Österreicher werden vom Nationalstaat ausgeschlossen. • Die großdeutsche Lösung: Österreich bleibt die Vormacht im deutschen Einheitsstaat. Aber: Was macht Österreich mit seinen nicht-deutschen Gebieten? • Die großösterreichische Lösung: Österreich komplettes Reichsgefüge wird zum Bestandteil des deutschen Nationalstaates. Aber: Die europäischen Großmächten werden eine deutsche Hegemonie im Herzen Europas niemals akzeptieren.

Abbildung 2: März-Revolution 1848 - Gemälde | Bild: Wikipedia Die Frage über die Gestalt des deutschen Nationalstaates trug dazu bei, die Arbeit der Nationalversammlung zu lähmen. Zwar versuchte Preußen sich als der Motor der Einheit darzustellen, aber König Friedrich Wilhelm IV. war kein Freund einer nationalen Revolution von unten. Die Kaiserkrone der Nationalversammlung lehnte er ab. Alsbald verflog der revolutionäre Impuls, die deutschen Fürsten übernahmen wieder das Ruder und bereiteten der Nationalversammlung ein Ende. Fazit: 1848/ 49 fehlte es der deutschen Nationalbewegung an der politischen – und militärischen – Macht, um die Einheit gegenüber den Vorbehalten der Fürsten und der europäischen Großmächte abzusichern. Das Scheitern der preußischen Unionspläne 1849/1850 Die preußische Führung wollte Ende 1849/ Anfang 1850 die Lösung der deutschen Frage im Alleingang lösen. Deshalb schlug Preußen den deutschen Staaten eine Union vor, der Österreich nicht angehören sollte. Die Königreiche Hannover und Sachsen unterstützten das Vorhaben (Dreikönigsbündnis). Im Frühjahr 1850 kam das Unionsparlament in Erfurt zusammen, das über die


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Verfassung der Union verhandeln sollte. Österreich, gestärkt von Russland, beendete aber die preußischen Ambitionen auf die Führungsrolle in Deutschland. Im Vertrag von Olmütz verzichtete Preußen auf seine Vormachtstellung. Gleichzeitig wurde der Deutsche Bund restauriert, in dem Österreich wieder den Ton angab. Preußen zog sich aus dem Konflikt gedemütigt zurück: Eine anti-österreichische und anti-russische Stimmung erfasste das Königreich. Bismarck verteidigte in seiner berühmten Landtagsansprache den Rückzug der preußischen Regierung von den Unionsplänen. International isoliert durfte Preußen keinen Krieg riskieren. Fazit: 1849/1850 konnte Preußen die kleindeutsche Einheit nicht verwirklichen, weil es am Veto Österreichs und Russlands scheiterte. Der Krim-Krieg 1852-1855: Der Anfang vom Ende der Wiener Ordnung Der Krim-Krieg veränderte die außenpolitische Konstellationen gravierend. Seit 1815 setzten sich die Mächte Russland, Österreich, Preußen und England für den Status quo auf dem Kontinent ein. 1852 wurde Russland jedoch zu einer Bedrohung des Gleichgewichts, als es zur Eroberung des Osmanischen Reiches aufbrach. England und Frankreich standen der Türkei bei und belagerten die Festung Sewastopol auf der Krim-Halbinsel. Österreich und Preußen wurden von den Westmächten umworben. Das Habsburgerreich blieb neutral, aber unterstützte aktiv die Position der französisch-englischen Allianz, als es Russland zum Rückzug aus den eroberten Donaufürstentümer (Moldau und Walachei) nötigte. Preußen blieb Russland wohlwollend neutral. Fazit: Mit dem Frieden von Paris 1856, der den Krimkrieg beendete, kehrte Frankreich zu seiner europäischen Hegemonialpolitik zurück. Russland war im Konzert der Mächte isoliert. Die Beziehung zwischen dem Zarenreich und Österreich kühlten sich ab. Italiens Einheit: Vorbild für Deutschland? Auch Italien war wie Deutschland in zahlreiche Fürstentümer gespalten: Der Papst beherrschte Mittelitalien, im Königreich Beider Sizilien residierten die Bourbonen und im Norden dominierten die Habsburger. Das kleine Königreich Piemont-Sardinien sollte sich zum Vorkämpfer der italienischen Einheit entwickeln. Im Sardinisch-Französischen Krieg (1859) besiegte Piemont im Allianz mit Frankreich Österreich. Das Habsburgerreich verlor die Lombardei. In den folgenden Jahren war die italienische Nationalbewegung (il Risorgimento) nicht aufzuhalten. Die Niederlage Österreichs und der Erfolg der Italiener blieb nicht ohne Wirkung auf Deutschland. Bereits während der Kriegshandlungen wurde in Deutschland erwogen, Österreich Beistand zu leisten. Preußen war dagegen. Von der italienischen Erfolgen beflügelt, gründeten norddeutsche Liberale den Deutschen Nationalverein, der für eine kleindeutsche Einheit unter Führung eines (liberalen) Preußens kämpfte. Fazit: Mit dem Erfolg der italienischen Nationalbewegung wurde die deutsche Frage wieder aktuell. Die deutsche Einigung unter Bismarck Otto von Bismarck wurde preußischer Ministerpräsident, als Preußen in einer tiefen innenpolitischen Krise steckte. König Wilhelm I. wollte eine Aufstockung des Heeres, die liberale Mehrheit im preußischen Landtag war dagegen. Die Positionen verhärteten sich. Der Clou Bismarcks: Er will die Abgeordneten für die Sache des Königs gewinnen, indem er Preußen zum Wegbereiter der Einheit macht. Der preußische Ministerpräsident erklärte: „Nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden…, sondern durch Eisen und Blut.“ Bismarck war bewusst, dass die deutsche Frage nur militärisch gelöst werden kann, da sie eine Machtfrage darstellt: Wie in Italien wird auch in Deutschland Österreich seine Position nicht freiwillig


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aufgeben. Auch die europäischen Großmächte könnten sich der deutschen Einheit in den Weg stellen. Vor allem Frankreich, dessen Hegemonie auf der Schwäche Mitteleuropas begründet war. Der preußische Ministerpräsident hatte mit seiner Blut-und-Eisen-Rede die oppositionellen Abgeordneten nicht überzeugen können. Die Liberalen wollten kein reaktionäres Preußen als Motor der Einheit. Erst Bismarcks außenpolitische Erfolge, insbesondere der für Preußen erfolgreiche Deutsche Krieg von 1866, ließ die Liberalen umfallen. 1864 ging Berlin gemeinsam mit Wien gegen die Dänen vor, die sich Schleswig einverleiben wollten. Preußen und Österreich gingen als Sieger des Deutsch-Dänischen Krieges hervor und besetzten Schleswig und Holstein, das der dänische König als Herzogtum besaß. Bismarck ging es in erster Linie um die Stärkung Preußens in Norddeutschland: Schleswig und Holstein sollten preußisch werden und kein neues souveränes Land auf deutschem Boden. Die Frage nach der Zukunft der Elbherzogtümer legte den Keim für den späteren Konflikt zwischen den ehemaligen Bündnispartnern, Österreich und Preußen. 1866 gewann der deutsche Dualismus an neuer Schärfe. Bismarcks Krieg gegen Österreich – der Deutsche Bruderkrieg – war in allen deutschen Ländern, politischen Gruppierungen und Bevölkerungsschichten unbeliebt. Der preußische Ministerpräsident stürzte auf seinen Meinungstief. Zur aller Überraschung besiegte Preußen am 3. Juli 1866 bei Königgrätz/ Böhmen das Habsburgerreich. Neben Moltkes genialer Strategie war die vorausschauende Außenpolitik Bismarcks vom Vorteil: Russland, das Österreich seit dem Krim-Krieg feindlich gesinnt war, blieb den Hohenzollern wohlwollend neutral. Italien, Österreichs Herausforderer auf der Apenninen-Halbinsel, eröffnet eine zweite Front im Süden. Mit dem Sieg Preußens im Böhmen rückte die Einigung im Sinne der kleindeutschen Lösung in greifbare Nähe. Bismarck war nun der Held der Einheit. Ein großer Teil der Liberalen beendete seine oppositionelle Haltung gegenüber der königlichen Regierung. In Deutschland bedeutete der Sieg Preußens das Ende der österreichischen Vormachtstellung: Der Deutsche Bund wurde aufgelöst. Preußen annektierte Hannover, Schleswig-Holstein, Hessen-Nassau und Frankfurt am Main und gründete den Norddeutschen Bund. Nur Frankreich fühlte sich zu kurz gekommen: Kaiser Napoleon III. verlangte Kompensationen für den Machtzuwachs Preußens. Angesichts der französischen Bedrohung näherten sich die süddeutschen Staaten Preußen an. Es war eine Frage der Zeit, bis Bayern, Württemberg und Baden dem Norddeutschen Bundes beitreten.

Abbildung 3: Bismarck und Napoleon III. nach der Schlacht von Sedan


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Erst der Deutsch-Französische Krieg 1870/ 71 vollendete die deutsche Einheit. Die nationale Begeisterung war groß: Deutsche aus Süd- und Norddeutschland kämpften gemeinsam gegen den Erbfeind Frankreich. Russland und Österreich blieben neutral und begünstigten so den Vorstoß der deutschen Heere. Im Herbst 1870 gewann Bismarck Bayern, Baden und Württemberg für den Anschluss an den Norddeutschen Bund. Am 18. Januar 1871 wurde im Beisein der deutschen Fürsten und der Kaiserdeputation des Parlaments das Deutsche Reich ausgerufen. Nun war das deutsche Volk – ohne die Deutsch-Österreicher – in einem Nationalstaat vereint. Link: Karte "Die Einigung Deutschlands unter Bismarck“

Literatur •

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Der darf in keiner Bibliothek fehlen! “Der Nipperdey”: Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 – 1918, Arbeitswelt und Bürgergeist. Machtstaat vor der Demokratie: 3 Bde. , Sonderausgabe München 1998. Der lange Weg Deutschlands zur Einheit und Demokratie – treffend analysiert und spannend geschrieben: Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Sonderausgabe. Zwei Bände im Schuber., 2 Bände. , München 2002. Wohl die beste Bismarck-Biografie: Lothar Gall, Bismarck, Der weisse Revolutionär , Neuausgabe Berlin 1997. Klar gegliedert, übersichtlich dargestellt und auf Basis neuester Forschung – die Geschichte und Strukturen des Deutschen Bundes: Jürgen Angelow, Der Deutsche Bund (Geschichte kompakt), Wiesbaden 2003. Preisgekrönte Studie, die die außenpolitischen Konzepte der kleindeutschen Liberalen neu bewertet: Harald Biermann, Ideologie statt Realpolitik, Kleindeutsche Liberale und auswärtige Politik vor der Reichsgründung , Düsseldorf 2006. Detaillierte Darstellung der Deutschen Frage (Die Rolle und Bedeutung des Deutschen Bundes, Dualismus Österreich – Preußen, Außenpolitik der Großmächte): Anselm Doering-Manteuffel, Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815 – 1871 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 15), 2. Auflage, München 2001.

Über zeitreisen-blog: Einmal im Monat präsentiere ich ein spannendes Kapitel aus der Vergangenheit. Die bisherigen Artikel umfassen Themen wie Polen 1918-1939, Otto von Bismarck und Russland, Die Westpläne Alexander des Großen und die Außenpolitik der CSA 1861-1865. Autor: Lukas Moj (Nobelstr. 46, 95444 Bayreuth) – Historiker & Blogger

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