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Er gibt Gas
Als es endlich losgeht mit dem Projekt, an dem so viel Hoffnung hängt, bleibt Johann Killinger im Hintergrund. Er lässt der Politik den Vortritt. Weil er sie als Verbündete braucht. An diesem Wintertag also darf Olaf Lies glänzen, der Wirtschaftsminister von Niedersachsen. Eben hat der SPDMann ein Signalhorn gedrückt und offiziell den Bau eines Hafen-Anlegers in Stade gestartet. In Warnweste steht Lies am Ufer der Elbe. Wo jetzt Gras wächst, soll bis Jahresende ein langer Kai entstehen. An ihm sollen dann Tanker und ein Fabrikschiff anlegen. Die Tanker liefern tiefgekühltes, flüssiges Erdgas (Liquified Natural Gas, LNG), das auf dem Fabrikschiff zu Gas umgewandelt und ins Netz eingespeist wird. Minister Lies fordert eine »neue Deutschlandgeschwindigkeit« für den Bau, denn das Land hat es inzwischen verdammt eilig.
Es geht um viel: Das Projekt in Stade soll dabei helfen, dass es in Deutschland auch im nächsten Winter keine Gas-Mangellage gibt. Dafür braucht es Terminals. Und Tempomacher wie Johann Killinger.
Der 62-Jährige ist Inhaber und Chef der Hamburger Buss-Gruppe, die Geschäfte rund um Häfen, Windparks und Schiffe
Amacht. Ein promovierter Jurist, Millionär, Ruderer, sechsfacher Vater und Arbeitstier. Manche halten ihn für einen Tausendsassa, andere beklagen übertriebenes Selbstbewusstsein. Killinger wagt sich mit Leidenschaft an neue riskante Geschäfte – und das oft mit Erfolg. Und so vereint seine Bewunderer und Kritiker etwas: Sie wüssten gerne, wie der Mann das macht.
Wer Killinger im Job begleitet, versteht schnell: Sein Erfolg hat mit Mühe zu tun, mit Hartnäckigkeit und dem scharfen Blick aufs Ausland. So zumindest in Stade.
Im Hafen des Gewerbegebiets StadeBützfleth, gut 30 Kilometer elbabwärts von Hamburg, hat Killinger dieses LNG-Projekt begonnen, eines der teuersten InfrastrukturProjekte der Republik. Es ist ein zweistufiges Vorhaben: Zunächst baut das Land den Hafen aus, dann legt der Bund für drei Jahre ein gepachtetes Fabrikschiff an den Kai. Parallel errichtet Killinger auf der Wiese nebenan zwei Gastanks und eine Anlage zum Erwärmen des tiefgekühlten Gases. Dieser Landterminal soll 2027 das Fabrikschiff ablösen. Zuerst soll Erdgas nach Stade importiert werden, und später sollen grüne Gase wie Bio-LNG folgen. Das ist flüssiges Biomethan, hergestellt aus organischen Abfällen, Energiepflanzen oder Gülle.
Die Gesamtkosten des Projekts schätzt Killinger auf »etwas über eine Milliarde Euro«. Land und Bund geben gut 300 Millionen, der Großteil kommt von Killinger und den Partnern. »Ich stecke hier seit mehr als fünf Jahren Energie hinein«, sagt er. Gemeint sind Geld und Lobbyarbeit. Ein Lokalpolitiker aus Stade erzählt, er sei vor dem Baustart regelrecht umgarnt worden. Killinger habe »mit großer Verve und fast schon penetrant« für das Vorhaben geworben und viel versprochen: Die kleine Hansestadt werde aufsteigen zum Importtor für Gas. Zur nationalen Drehscheibe. Für Stade, das dass
VON KRISTINA LÄSKER
oft im Schatten von Hamburg steht, wäre das Balsam. Manche halten Killinger wegen solcher Sätze für einen Menschenfänger.
Natürlich: Auch Killinger hat den Krieg nicht kommen sehen. Aber der Unternehmer hatte früh erkannt, dass er mit Alternativen zu russischem Gas gut verdienen könnte. 2018 gründete er mit Partnern die Hanseatic Energy Hub GmbH, an der auch der Schweizer Finanzinvestor Partners Group und der US-Chemiekonzern Dow beteiligt sind. Es war eine Gründung gegen den Mainstream. Sie war mutig, weil die Bundesregierung ausschließlich auf das Gas aus Russland setzte. Sie wollte keine Häfen für Gas-Importe von anderswo bauen oder private LNG-Terminals fördern – obwohl andere EU-Küstenländer das taten. Killinger sagt: »Man kämpfte gegen Windmühlen.« Er war zum Warten gezwungen. Zum Warten auf den Wendepunkt.
Den sah er Ende 2021 gekommen. Die Ampelkoalition in Berlin hielt im Koa litionsvertrag fest, dass klimaschädliches Erdgas für eine Übergangszeit »unverzichtbar« sei, damit das Land genug Energie hat. Zu groß war die Angst vor möglichen Engpässen in der Stromproduktion durch den Ausstieg aus Kohle und Atom, an eine Abkehr vom Putin-Gas dachte man da noch nicht.
Killinger legte los: Er trommelte in Berlin für den Importhafen und lobte die Vorteile von Stade, etwa die Gasleitung in der Nähe. Die Nähe zu der Fabrik, die Dow am Hafen betreibt und die Abwärme erzeugt, mit der sich das flüssige Gas emissionsfrei erwärmen lasse. Kosten in Millionenhöhe könne man damit sparen, schwärmte er.
Killinger tat all das, bevor Russland die Ukraine angriff und Deutschland das Gas abdrehte. Bevor die Energiepreise explodierten und die Angst vor kalten Wohnungen und toten Fabriken einsetzte. Bevor die Regierung die Fristen zur Genehmigung von
Leute
LNG-Terminals per Gesetz verkürzte. Deshalb konnte er so schnell reagieren.
Aber warum traut sich einer wie Killinger ein Milliardenprojekt zu? Warum riskiert ein Einzelner so viel? Was befähigt ihn dazu? Antworten liefert seine Karriere. Der Hamburger wurde in Krisen geformt, er ist zäh. Seine Firma, die Buss-Gruppe, hat nur überlebt, weil er sie hart sanierte und neu erfand. »Es war ein Totalumbau«, sagt ein Unternehmer, der ihn bewundert.
cken, Ballen oder Kisten. Es lief glänzend, bis die Reedereien in den 1960er-Jahren von Stückgut auf Container umstiegen. Buss blieben nur die Reedereien, die den Ostblock weiterhin mit Einzelstücken belieferten. Bis zur Wende reichte das. Dann brachen der Ostblock und das Kerngeschäft zusammen, Buss geriet in Schwierigkeiten.
Johann Killinger
Momentan ist Killinger häufig auf Lobby-Tour im Ausland. Er trifft sich mit Gas- und Geldgebern. Mal weilt er in Singapur. Mal in Dubai. Mal in den USA. An einem der Hamburg-Tage empfängt er mittags in der Zentrale in der HafenCity, später will er zwei seiner Kinder aus der Kita abholen. Killinger ist Vater von sechs Söhnen. In seinem Büro lehnen drei Räder an der Wand. Er radele oft zum Job, sagt er. In normalen Zeiten trainiert er auch morgens um sechs im Hamburger und Germania Ruder Club und geht mit Teamkollegen auf die Alster. Killinger sagt: »Wenn du aus dem Boot steigst, kann dir der Tag nichts mehr.« Gerade aber ist nichts normal. Kinder, Rudern oder Radeln kommen zu kurz. Er habe selten so viel gearbeitet wie jetzt: »Das letzte Jahr war brutal.«
Killinger stieg 1991 ein, da war er 31. Ein Kunde hatte die Firma gebeten, eine Lagerhalle zu bauen. Das hatten sie bei Buss noch nie gemacht. Killinger hatte keine Ahnung davon, aber er, der Neue, sollte das erledigen. Die erste Halle hatte Mängel, der Kunde forderte Nachbesserung. Killinger bot an, ihm eine zweite Halle zum gleichen Preis zu bauen – und vertraute darauf, die erste selbst zu vermieten. Die Wette ging auf, Killinger hatte erstmals sein Gespür für Märkte und ihre Schwankungen bewiesen.
Es folgte der Bau weiterer Hallen, das Ganze wurde zum Geschäftszweig, der fast zehn Jahre florierte. Dann erlebte Killinger mit einem Hochregal-Lager einen schweren Flop. Keiner brauchte es, als es fertig war. Killinger zeigte eine weitere unternehmerische Qualität: Er verwandelte die Niederlage in einen Sieg.
Killingers Firma verdiente anfangs ihr Geld mit Seefracht.
In seinem Büro steht dieses Modell eines Containerschiffs

Der Unternehmer erzählt von den Zeiten, als das anders war: Mit vier Geschwistern wuchs er in Hamburg auf, schon der Vater ruderte im Club. Nach der Schule studierte er Jura – »wie zehn Generationen vor mir in der Familie« – und ging zur Beratung Roland Berger nach Berlin. Das war kurz nach der Wende. Sein erster Kunde war die frühere DDR-Staatsreederei. Er sollte analysieren, welche Teile sich zum Verkauf eigneten. Killinger sagt: »Für mich war das ein Crashkurs – auch in Schifffahrt.«
Nach einem Jahr kehrte er heim, auch um dem Vater nachzufolgen. Der hatte bis zum Ruhestand als Gesellschafter in der Reederei August Bolten gearbeitet, die dann mit Buss fusionierte. Die Familie hielt ein Drittel an der Gemeinschaftsfirma und wollte nun, dass der Sohn sich kümmert.
Buss selbst war 1920 als Stauerei in Hamburg gegründet worden: Die Arbeiter beluden Schiffe mit Stückgütern wie Sä-
Das war 2000, die ganze Firma sei ein Sanierungsfall gewesen, sagt er. Nicht alle Gesellschafter glaubten an das neue Geschäft mit den Logistik-Immobilien, sie wollten es abstoßen. Killinger sah das anders. Er war überzeugt vom Wert der Immobilien und kaufte Buss die Hallen auf eigene Rechnung ab. Danach verkaufte er das Paket profitabel weiter, machte Kasse und tilgte Kredite. Mit dem Rest des Geldes übernahm er die Anteile der anderen Gesellschafter – gemeinsam trennten sie die einst fusionierten Geschäfte von Bolten und Buss in zwei unabhängige Firmen. Das war 2002, und Killinger war am Ziel: Die Bilanz war entlastet, und er hatte das Sagen bei Buss.
Nach dem Manöver räumte er sein Unternehmen so gründlich auf, als sei er noch bei Roland Berger. Schaute sich Bereich für Bereich an, kürzte Kosten, zerlegte das Ganze in kleine Teile mit eigener Haftung. »Brandmauern einziehen« nennt der Jurist das. Damit nicht alles in Flammen aufgeht, wenn es mal wieder irgendwo brennt.
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An der Elbe bei Stade entsteht der LNG-Terminal samt Entladekai. Das Foto zeigt die Baustelle Anfang Februar

Gut 30 Jahre nach Killingers Einstieg ist vom Kerngeschäft wenig übrig. Die Gruppe hat sechs Sparten, einen Jahresumsatz von 320 Millionen Euro und erzielt laut ihrem Chef »gesunde Gewinne«. Sie entwickelt Immobilien und kümmert sich als Dienstleister um Windparks auf See. Sie hat ein Emissionshaus für Schiffscontainer-Fonds, ist an Häfen beteiligt, hält die Hälfte der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg und betreibt neuerdings Gastanker. Weil da jetzt Dynamik drin ist.
Von außen gleicht das Gebilde mit den 600 Mitarbeitern einem unordentlichen Puzzle, bei dem manche Teile weggefallen und andere hinzugekommen sind. Das zentrale Puzzleteil von einst ist rausgefallen, ein Rahmen ist nicht erkennbar. Klar ist aber, dass neue Teile dort anzulegen sind, wo sich Möglichkeiten auftun.
Killinger ist der Prototyp eines Unternehmers, der Chancen ergreift und an alten Geschäften nicht aus Sentimentalität festhält, Jobs hin oder her. Man kann kritisieren, dass er wenig Rücksicht nimmt. Oder man kann loben, dass es aus diesem Grund bald einen LNG-Terminal in Stade gibt. Auf jeden Fall hängt beides zusammen.
Killinger selbst sagt: »Gute Leute zu haben und machen zu lassen ist der Schlüssel zum Erfolg.« Die Hierarchien sind flach, regelmäßig trifft er sich mit den Geschäftsführern der Sparten. Für Projekte wie Stade holt er starke Partner von außen. Damit verteilt er die Risiken und sichert eigene Einschätzungen ab. »Wir nutzen die Schwarmintelligenz, die hat man leider nicht allein«, sagt der Mann, der am Ende schon gerne selbst bestimmt.
Dass in der Hamburger Geschäftswelt das Urteil über Johann Killinger so gemischt ausfällt, hat auch mit seinem Abgang aus dem Hafen tun. Noch zur Jahrtausendwende betrieb die Firma einen Umschlagsplatz für Schwergüter mit gutem Ruf: den Hansa-Terminal. Buss profitierte von der Erfahrung im Umgang mit Einzelstücken. Doch dann plante die Stadt einen neuen Container-Terminal im Hafen und wollte die Flächen zurück, die Buss bis 2028 gepachtet hatte. Es gab ein jahrelanges Gezerre.
Killinger traf eine folgenschwere Entscheidung. 2016 machte er den defizitären Terminal dicht und bekam von der Stadt fast 120 Millionen Euro Ablöse. Damit kaufte er sich in Häfen wie Stade ein. Verlierer des Deals waren die etwa 90 Mitarbeiter. Sie bekamen nur eine magere Abfindung und standen ohne Job da. Auch Hamburg verlor: Der neue Terminal wurde nie gebaut, die Fläche liegt bis heute brach. Wie passt das damit zusammen, dass Killinger sich auch sozial und politisch für Hamburg engagiert?
An einem Sonntagnachmittag empfängt er in seinem Stadthaus nahe der Außenalster zu Zitronenkuchen und Cappuccino. In schwarzen Jeans, die Beine hochgelegt, sitzt Killinger im Sessel vor dem Kamin und erzählt von seiner Arbeit in der Hamburger Handelskammer. 2017 schloss er sich einer Gruppe von Kaufleuten an. Sie wollten die wichtigste Vertretung der Wirtschaft aufmischen und erneuern – das war ganz nach Killingers Geschmack. »Da musste man den Staub aus den Talaren klopfen«, sagt er. Bis Ende 2018 arbeitete er als Vize-Präses, bis sich das Bündnis der Rebellen zerstritt. Killinger kandidierte als Kammerchef, bekam aber nicht genug Stimmen.
Der Unternehmer, das zeigt sich hier, kann angriffslustig sein. Berührender aber ist es, wie Killinger seit einem persönlichen Verlust dafür sorgt, dass es anderen besser ergeht als ihm. Im September 2019 starb sein Sohn Oskar nachts am plötzlichen Epilepsietod –im Wohnzimmer erinnert ein Porträtfoto an der Wand an den damals 14-Jährigen. Die Ärzte hatten die Eltern nicht darüber aufgeklärt, dass Epilepsie-Anfälle selten auch zum vorzeitigen Tod führen können. Gemeinsam mit seiner Ex-Frau hat Killinger eine Stiftung mit einem Vermögen von 500.000 Euro gegründet. Sie kämpft für mehr Aufklärung und moderne Therapien. Damit es nicht noch mehr vermeidbare Todesfälle gibt.
Am nächsten Morgen wird Killinger wieder ins Ausland fliegen. Und bei Terminen kurz innehalten, wenn er den Laptop aufklappt und das Bildschirmfoto sieht. Es zeigt seinen Sohn Oskar bei einem Törn auf Killingers Jacht, wie er im Meer badet und strahlt.
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