Ritter auf dem Meer

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II. Teil Seemacht und Seegeltung im Gang der Geschichte (1096–1291)

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Prolog: Die Kreuzzüge – eine Seefahrtsgeschichte?

Pilgerfahrten in größerem Umfang zu den heiligen Stätten im Vorderen Orient hatten bereits im 4. Jahrhundert n. Chr. begonnen, als Kaiser Konstantin, neben Rom und Byzanz, Jerusalem zum dritten Mittelpunkt der Christenheit erklärte. Im 8. Jahrhundert bestanden Kontakte zwischen Harun al-Rashid (786–809) und Karl dem Großen, ersterer gestattete ihm angeblich, den christlichen Pilgern auf dem Weg nach Jerusalem bewaffneten Geleitschutz zu stellen. Das 11. Jahrhundert war in weiten Teilen der europäischen Bevölkerung geprägt von starker Religiosität und Angst vor dem drohenden Ende der Welt. Wallfahrten und Pilgerzüge zum Heiligen Grab, als Möglichkeit der Buße und für den Sündenablass erlebten einen großen Aufschwung, wobei selbstverständlich auch die starke Motivation mitspielte, die heiligsten Stätten den Händen der Ungläubigen zu entreißen. Als im Jahre 1009 unter der Regierung des fatimidischen Kalifen al-Hakim (966–1021) die Zerstörung des Heiligen Grabes in Jerusalem und zahlreicher christlicher Kirchen bekannt wurde, steigerte sich die religiöse Empörung bei den christlichen Völkern des Abendlandes. Allerdings erwies sich eine Enzyklika Papsts Sergius IV. aus dem Jahre 1009, in der der Papst zu einem Vergeltungsfeldzug für die Zerstörung des Grabes Christi aufgerufen haben soll, als eine Fälschung.1 Als auf der Synode von Piacenza (1095) vor Papst Urban II. eine byzantinische Delegation des Kaisers Alexios Komnenos erschien und um Unterstützung des Papstes und damit auch der christlichen Ritterschaft im Kampf gegen die Muslime bat, kam dies sowohl der Stimmung als auch den Intentionen des Heiligen Stuhls durchaus gelegen. Indessen dürfte sich der oströmische Kaiser zu diesem Zeitpunkt keinesfalls bewusst gewesen sein, welche Lawine er damit losgetreten hatte.2 So jedoch war der Boden geebnet, als Papst Urban II. 1095 auf dem Konzil von Clermont zum ersten Kreuzzug aufrief, der mit der Eroberung Jerusalems und der Gründung christlicher Kreuzfahrerstaaten in Palästina 1099 endete. In einem Zeitraum von knapp 200 Jahren versuchten die christlichen Heere Westeuropas, immer wieder animiert von der römischen Kirche, den Nahen Osten zu erobern und in das christliche Herrschaftsgebiet einzugliedern. Die Interessen an diesen kolonisatorischen Bemühungen konnten nicht unterschiedlicher sein: Neben ernst gemeintem religiös-missionarischem Sendungsbewusstsein trafen die Partikularinteressen der europäischen Mächte ebenso hart aufeinander wie die 61

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kaufmännischen Vormachtskämpfe der italienischen Seerepubliken oder die Überlebensstrategien des sterbenden Byzantinischen Reichs.3 Die überlegene islamische Kultur traf auf fränkische Eroberungssucht, Grausamkeiten bis hin zum Kannibalismus hatten beide Seiten in hinlänglicher Weise aufzuweisen – aus dieser Sicht waren die Ereignisse keineswegs geeignet, in historische Schwärmerei zu verfallen. Allerdings waren diese 200 Jahre prägend für das heutige Europa, mehr als die Renaissance, die im allgemeinen als die Quelle der folgenden historischen Dominanz Europas in der Neuzeit angesehen wird – die Verschmelzung von Schwert und Kreuz wurde das fundamentale Muster für die europäische Staatenbildung. Die vorangegangenen erbittert geführten Seekriege zwischen Sarazenen, Byzantinern, den nordafrikanischen und spanischen Kalifaten hatten zur Erschöpfung und dem Beginn eines Niedergangs der alten seebeherrschen Mächte Ostroms und Ifriqiyas geführt. Der Aufstieg der neuen Seemächte war verbunden mit der Rückeroberung wichtiger Positionen im Mittelmeer. Die Rückgewinnung Kretas durch Ostrom, die Siege in Dalmatien und vor Benevent durch die Venezianer, Pisas Triumph vor Reggio und die normannische Befreiung von Sizilien und Malta, beförderten ein neues Kräfteverhältnis auf dem Mittelmeer. Der Seeweg für die Kreuzzüge in das Heilige Land war freigekämpft!4 In den ersten beiden Kreuzzügen wurde durch den Großteil der Heeresgruppen der Landweg bevorzugt, ausgangs des 12. Jahrhunderts wählten die Kreuzritter­ heere mehr und mehr die Schifffahrt zur Passage in den Vorderen Orient. „Wenn auch die ersten Wellen der Kreuzfahrer über Land marschierten, so wurde die Geschichte der insgesamt sieben Kreuzzüge doch auch zu einer Geschichte der Mittelmeerschifffahrt.“5

Gestärkt durch die wachsenden Handelsbeziehungen, die Fehden untereinander, sowohl mit Byzanz als auch den zahlreichen Piratenflotten, waren die Schiffsbestände der italienischen Städte, Siziliens und der französischen Mittelmeerstädte soweit aufgerüstet, um die vielfältigen und teilweise gigantischen Transportaufgaben zu erfüllen.6 Da zunehmend auch Ägypten als Expansionsziel ins Blickfeld rückte, gab es ohnehin nur den Weg über das Wasser.7 Allerdings wurden die Expeditionen dadurch nicht ungefährlicher – obwohl vorwiegend in Küstennähe operierend, gab es Verluste durch widrige Wetterbedingungen und vor allem durch Piraten, denen die Ritter auf See unterlegen waren.

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Seekriegshandlungen und Schiffsbewegungen während der ersten Kreuzzüge (1096–1204)

Es ging immer über das Wasser Betrachtet man die europäische Landkarte ist zweifelsfrei erkennbar, dass man nicht trockenen Fußes von Mitteleuropa nach Vorderasien gelangen kann, zumindest müssen die Dardanellen bzw. der Hellespont, wie die alten Griechen die Meerenge nannten, überquert werden. Für einen gewaltigen Heerbann mit mehreren zehntausend Menschen, Pferden und dem gesamten Kriegsmaterial wäre das auch in unserer Zeit eine nicht unerhebliche logistische Aufgabe. Im Vorgriff auf die später darzustellenden Ereignisse soll daher folgende Begebenheit erzählt werden. Kaiser Friedrich I. erreichte während des dritten Kreuzzuges mit seinem Kreuzfahrerheer am 21. März 1190 die Dardanellen bei Gallipoli. Durch die Schilderungen des byzantinischen Chronisten Niketas Choniates und den Vertrag zwischen Kaiser Friedrich I. und dem byzantinischen Kaiser Isaak II. Angelos sind wir heute über den Ablauf der Überquerung des Hellesponts durch das Kreuzfahrerheer informiert. Nach der Drohung des deutschen Kaisers, mit Hilfe der Flotten der italienischen Seerepubliken Byzanz zu erstürmen, erklärte sich Isaak am 14. Februar 1190 vertraglich bereit, für die nötigen Schiffe zur Überfahrt zu sorgen8. Als die Kreuzfahrer am 22. März Gallipoli erreichten, standen die vereinbarten 70 Transportschiffe, 150 Pferdetransporter und 15 Galeeren bereit. Die Transportschiffe für die Pferde haben sicher nicht den großen Uscieren entsprochen, wie sie für den langen Transport von den oberitalienischen Seestädten nach Palästina verwendeten wurden, vielmehr wird es sich um kleinere Schiffseinheiten gehandelt haben, die als Fähren die ständige Verbindung zwischen dem europäischen und asiatischen Teil des Byzantinischen Reichs aufrechterhalten haben. Die genaue Zahl des Heerbanns des deutschen Kreuzheeres ist nicht bekannt, nach Lilie muss man von etwa 3000 Rittern, ungefähr 10.000 Knappen und weiteren Bogenschützen und Leichtbewaffneten ausgehen. Insgesamt muss es sich um etwa 20.000 Menschen, viele tausend Pferde, umfangreiches Kriegsgerät und den im Mittelalter üblichen aufgeblähten Tross gehandelt haben.9 63

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Trotz aller Widrigkeiten gelang es, das gesamte Heer innerhalb von vier Tagen über die an dieser Stelle etwa 6 bis 7 km breite Meerenge überzusetzen. Niketas Choniates beschreibt dies folgendermaßen10 : „Hierauf wurde eine große Zahl von Pferdefähren nach Kalliupolis (Gallipoli) gebracht. Denn man war auch übereingekommen, dass der König mit seinem gesamten Heer in bloß zwei Überfahrten übergesetzt werden sollte. Der König fürchtete nämlich, wenn sein Heer in kleineren Gruppen übergesetzt würde, könnten die Rhomäer vertragsbrüchig werden und die jeweils kleinen Abteilungen überfallen. So kam er in nicht mehr als vier Tagen an das östliche Ufer (22.–28. März 1190).“

Nach den ersten zwei Tagen machte schlechtes Wetter das Übersetzen praktisch unmöglich, so dass erst nach zweitägiger Wartezeit der Rest des Heeres zur asiatischen Seite übergesetzt werden konnte. Betrachtet man die damaligen Verhältnisse, so ist dies eine nahezu unglaubliche logistische Leistung. Die historische Bedeutung der Flottenbewegungen im Rahmen der Kreuzzüge wird sehr unterschiedlich beurteilt. So schreibt Alexander Meurer 1925 in seiner „Seekriegsgeschichte“:11 „Die Kreuzzüge bieten wenig seekriegsgeschichtliches Interesse; sie waren Heerestransporte über die von Venezianern beherrschte See.“

Wir werden im Verlauf der Darlegungen sehen, dass diese Einschätzung keinesfalls so stehen bleiben kann. Zum einen spielt die mit Flottenhilfe errungene Seemacht im östlichen Mittelmeer im Spiel der rivalisierenden Mächte, vor allem in den späteren Kreuzzügen, eine entscheidende Rolle, andererseits war die Position der Venezianer zu Beginn der Kreuzzüge durchaus nicht so hervorragend – erst die Siege über Genua und vor allem der Verlauf des vierten Kreuzzuges führten zur venezianischen Dominanz auf dem Mittelmeer. Leopold v. Ranke, der Vater der neuen deutschen Geschichtsschreibung, stellte im Gegensatz zu Meurers Meinung fest, dass gewiss noch kein wunderlicheres Unternehmen gewagt wurde, als dieser erste Kreuzzug: „Die Kreuzfahrer wollten ein Land jenseits der See erobern, ohne dass sie eine Seemacht besaßen.“12

Den Schiffsbewegungenim Rahmen der Kreuzzüge lagen unterschiedliche Motivationen zugrunde. Zum einen waren sie Transportunternehmungen, die die Versorgung der Kreuzfahrer mit Nachschub, sowohl an Menschen als auch zivilen- und Kriegsmaterialien ermöglichten. Andererseits ging es um die Erringung der Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer, ohne die eine kontinuierliche Nachschubversorgung nicht möglich war. Daneben spielten die amphibischen Aktionen der unterschiedlichen Flotten und Geschwader auch bei der Belagerung und Eroberung 64

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der kriegswichtigen Seestädte im Vorderen Orient eine unersetzliche Rolle. Wilhelm Heyd schrieb dazu schon 1879:13 „Blosse Landheere wären nimmermehr im Stande gewesen, die festen Seestädte der Saracenen in Syrien zu besiegen; alle Tapferkeit und Kriegskunst der Ritter schlug hier fehl, Flotten mussten die Blockade vervollständigen, Streiter zur See mussten den Streitern zu Land die Hand reichen.“

Um die Hafenplätze zu gewinnen, die zerstreuten Gebietsteile in Zusammenhang zu bringen und den neuen Kolonialgründungen einen wirtschaftlichen Rückhalt zu geben, bedurfte es der nacheinander eintreffenden starken Flotten der Pisaner, Venezianer und Genuesen, später kamen noch die Schiffe aus Marseille und Katalonien dazu. Für die Seestädte wurde es rentabel, Schiffe zu bauen, die die Transporte der Kreuzfahrer und vor allem den Nachschub der christlichen Staaten übernehmen konnten. Damit konnten auch andere Unternehmungen über die See gehen.14 Der Kampf um die Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer war gerade in diesen Jahren von 1096 bis 1300 von vielseitigen rivalisierenden Interessen geprägt, in die episodenhaft die Seeoperationen zu den jeweiligen Kreuzzügen eingestreut waren. In den folgenden Kapiteln, in denen die Seebewegungen beschrieben werden, sind die militärischen Landoperationen nur dann einbezogen, wenn ein Zusammenhang zu den marinen Handlungen besteht.

Hilfe kam vom Meer – der erste Kreuzzug (1096–1099) Der erste Kreuzzug war im Wesentlichen eine Landoperation, die Wege führten über Konstantinopel und Kleinasien nach Palästina. Die Darstellungen als reine Heeresoperationen lassen allerdings meistens nur unzureichend erkennen, dass diese für den Nachschub an Menschen, Verpflegung und Kriegsmaterial hochgradig von den Seewegen über das östliche Mittelmeer abhängig waren. Die Schifffahrtswege wurden hingegen über weite Strecken von den Flotten des fatimidischen Kalifats beherrscht oder zumindestens ständig bedroht, so dass dadurch häufig kritische Versorgungssituationen der Kreuzfahrer entstanden. Die süditalienischen Normannen unter Führung Bohemunds von Tarent, des späteren Fürsten von Antiochia, überqueren mit Schiffen die Adria und trafen Ende April 1097 in Byzanz ein. Robert II., Herzog der Normandie, wegen seiner kleinen Statur Curthose (auch Kurzstiefel) genannt, ältester Sohn Wilhelm des Eroberers und Führer der Normannen, führte die nordfranzösischen und flandrischen Ritter über die Alpen und überquerte in kleineren Gruppen die Adria. Die Schiffstransporte führten von Bari und Brindisi nach Dyrrhachion. Sie überquerten die 65

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Straße von Otranto, eine 40 Meilen breite und 740 Meter tiefe Meerenge, die sowohl den Zugang zum Adriatischen Meer als auch die Seeroute entlang der Küsten von Albanien und Griechenland beherrschte. An ihrer Ostküste begann in Dyrr­ hachion und Apollonia die Via Egnatia, die um das Jahr 146 v. Chr. unter dem römischen Prokonsul Gnaeus Egnatius erbaute römische Heerstraße, die sich über 560 römische Meilen über Thessaloniki direkt bis nach Konstantinopel erstreckte. Die Straße von Otranto war ein äußerst geschichtsträchtiges Gewässer – nicht nur einmal entschieden hier geschlagene Seeschlachten über den Fortgang der Geschichte: 31 v. Chr. bei Actium, 1571 die Lepantoschlacht und 1827 bei Navarino. Robert II., Graf von Flandern setzte noch im Dezember 1096 ohne Probleme von Bari nach Dyrrhachion über. Anderen Kreuzfahrern gelang die Überfahrt keinesfalls so problemlos. Als der Graf von Alost weiter südlich als in den vereinbarten Häfen an Land gehen wollte, wurde sein Weg von einem byzantinischen Geschwader verstellt. Es kam zu einem kleinen Seegefecht, bei dem sich auf byzantinischer Seite ein gewisser Marianos Maurokatakalon und bei den Kreuzfahrern ein lateinischer Priester auszeichneten und in dessen Ergebnis das Brabanter Schiff aufgebracht und der Graf mit seinen Leuten in Dyrrhachion an Land gesetzt wurde. Dieses kleine Seegefecht ist, wie Runciman schreibt, im Geschichtswerk der Anna Komnene15 ausführlicher dargestellt, da der Grieche Maurokatakalon, Sohn eines Admirals, zu ihren Freunden gehörte.

Die Straße von Otranto und die Via Egnatia

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Robert von der Normandie und Stephan von Blois schifften sich am 5. April 1098 in Brindisi ein, um auf den Balkan überzusetzen. Gleich zu Beginn der Kampagne ereignete sich ein Unglück, das bewirkte, dass einige Furchtsame das Heer verließen und den Heimweg antraten. Das erste Schiff, das in See stach, kenterte, sank noch in Sichtweite des Ufers und mit ihm versanken über vierhundert Menschen mitsamt den Pferden, Maultieren und vielen Geldtruhen. Letzteres verdiente besondere Erwähnung, da die mitgeführten Geldsummen für die Versorgung im mittelalterlichen Heer eine unabdingbare Voraussetzung darstellten. Da es zu dieser Zeit noch kein geregeltes Heeresnachschubwesen gab, war der unmittelbare Erwerb von Nahrungsmitteln auf dem Kriegszug, falls es im befreundeten Gebiet nicht zu Plünderungen kommen sollte, nur über direkte Barzahlung möglich – der Verlust der Kriegskasse war also eine Katastrophe. Doch zurück zu dem Schiffsunglück: Wunderbarerweise hatten, wie überliefert wurde, die ans Ufer getriebenen Leichen das Zeichen des Kreuzes auf die Schultern gebrannt. Bei dem in Sichtweite erfolgten furchtbaren Unglück war eine sehr verzweifelte Stimmung aufgekommen, die angesichts der heiligen Zeichen in religiöse Euphorie überging. Der Rest des Heeres ging zu Schiff und landete nach viertägiger, stürmischer Überfahrt wohlbehalten in Dyrrhachion und trat den Weg nach Konstantinopel über die Via Egnatia an. Graf Hugo von Vermandois, Bruder des französischen Königs, zog mit einem stattlichen Gefolge über Rom, wo ihm der Papst das goldene Banner des heiligen Petrus verlieh, nach Bari. Dort verlor er bei der Überfahrt nach Dyrrhachion die meisten seiner Schiffe und Fahrtgenossen, so dass seine Heeresgruppe erheblich geschwächt war.16 Noch einmal vertrauten sich die Kreuzfahrer dem Wasser an, als sie von Konstantinopel nach Asien übergesetzt werden mussten. In mehreren Schüben wurden die verschiedenen Heeresgruppen nach Kleinasien verschifft: am 4./5. April 1097 Gottfried von Bouillon, am 26. April Bohemund von Tarent, am 28. April Raimund von Toulouse, im Mai Robert von der Normandie. Stephan von Blois schilderte in den Briefen an seine Frau diese Überfahrt über den Bosporus, die er nicht gefährlicher fand, als an der Marne oder Seine.

Nikäa Die nächste wichtige Station der Kreuzfahrer nach der Erreichung Konstantinopels war Nikaia, am Ostufer des Askanischen Sees gelegen, das die Seldschuken 1078 erobert und zu ihrer Hauptstadt gemacht hatten. In diesem Ziel waren die Kreuzfahrer einig mit Byzanz: Für die Kreuzfahrer war Jerusalem nur erreichbar, wenn der Weg ins Heilige Land, den die Türken unter Kilidsch Arslan (Sultan seit 1092, † 1107) seit der Schlacht von Mantzikert besetzt hielten, frei war, und für den ­Kaiser war die Vertreibung der Türken aus Kleinasien ein Hauptziel seiner Politik. So wurde Nikäa das erste Ziel der Kampfhandlungen auf dem Weg nach Jerusalem. 67

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Seine unermesslichen Schätze, zusammen mit seinem Hofstaat und seiner Familie, hatte Sultan Kilidsch Arslan, in deutlicher Unterschätzung der Kampfkraft der Kreuzzugsheere, in seiner Hauptstadt zurückgelassen, als er zu einem Kriegszug gegen feindliche Nachbarn ins Innere Anatoliens auszog.17 Die hohen, von den Byzantinern erbauten Mauern der Stadt Nikaia widerstanden allerdings der Belagerung, ungeachtet des glänzenden Siegs der Kreuzfahrer über das türkische Entlastungsheer am 17. Mai 1097.18 Die Entscheidung brachte in diesem ansonsten augenfälligen Landunternehmen ein maritimes Ereignis, das ­Albert von Aachen so beschrieb: „… und von allen ward beschlossen, eine unzählige Menge von Rittern und Fußvolk nach dem Hafen von Ghemlik zu schicken, diese sollten die vom Herrn Kaiser erbetenen und von ihm zum Geschenk gemachten Schiffe auf geeigneten Holzfuhrwerken, von Menschen und Pferden an Weidenstricken und rindsledernen Riemen, vom Meer aus über das trockene Land bis in den See von Nikäa führen. Und so geschah es; in der Stille der Nacht zogen sie diese Schiffe von staunenswerter Schwere und Größe, die eine Besatzung von 100 Mann fassen konnten, über eine Strecke von sieben Meilen, und bei Sonnenaufgang waren sie am See angelangt und setzten die Schiffe am Ufer in die Wellen nieder.“19

Noch deutlicher beschrieb Wilhelm von Tyrus dieses Ereignis: „ …sie zogen sie (die Schiffe – Anm. des Verf.) aus dem Meere ans Land, banden drei oder vier Wagen, wie es eben die Länge der Schiffe erforderte, an einander, legten diese darauf und brachten sie in Einer Nacht, einen Weg von sieben oder mehr Meilen weit, indem alles, Menschen und Pferde ziehen mußten, glücklich an den genannten See.“20

Dieser eindrucksvolle Gewaltstreich führte zum Erfolg der Belagerung: Abgeschnitten vom bisher über den See erfolgten Nachschub, gaben die Belagerten auf und ergaben sich dem byzantinischen Kaiser, der die Stadt verschonte – sehr zum Unwillen der Kreuzfahrer, die sich große Beute durch die Plünderung erhofft hatten. An den Kämpfen im Oktober 1097 vor Tarsos, damals die bedeutendste Stadt in Kilikien, waren auch Freibeuter aus Flandern, dem Rheinland und Friesland auf eigene Faust beteiligt, die für die Kreuzfahrer überraschend in der Bucht von Mersin in Kilikien eintrafen. Unter der Führung von Guynemer von Boulogne, brachten sie den Kreuzfahrern erste Flottenhilfe, sie segelten den Fluss Kydnos aufwärts und trafen in Tarsos mit Balduin von Boulogne zusammen. Guynemer, ein berufsmäßiger Seeräuber, hatte frühzeitig erkannt, dass der Kreuzzug Unterstützung von See aus benötigte und war im Frühjahr von Holland aus in See gegangen. Balduin machte Guynemer zum Gouverneur von Tarsos und ließ ihm eine Garnison von 300 Mann zurück. Tankred von Tarent, einer der tapfersten und mutigsten Kämpfer aus dem normannischen Geschlecht der Hauteville, der von Balduin aus Tarsos vertrieben worden war, zog mit einer ausgewählten Truppe nach Süden um den 68

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Golf von Issos herum nach Alexandretta. Von hier aus schickte er Boten zu Guynemer nach Tarsos und bat um Flottenhilfe, die ihm freudig gewährt wurde – gemeinsam eroberten sie die Stadt und damit erstmalig einen für den Nachschub über See nützlichen Hafen an der Levanteküste. Im Herbst 1097 konnte Guynemer mit seinen Leuten die Hafenstadt Latakia erobern, die vorher der südlichste Hafen Ostroms an der Levanteküste und 1084 von den Türken erobert worden war.21

Antiochia Der Kampf um Antiochia, ehemals eine der berühmtesten und größten Städte des Römischen Reichs und 1097 immer noch eines der Zentren der mediterranen Welt, wurde für die Kreuzfahrer zu einer Schlüsselstellung für den Zug ins Heilige Land. Keinesfalls konnten sie die in türkischer Hand befindliche gewaltige Festung mit einer 5 000 Mann starken Besatzung bei ihrem Weitermarsch nach Jerusalem im Rücken lassen. Nach mehrfachen Zerstörungen und Katastrophen waren die Festungswerke Antiochias vom byzantinischen Kaiser Justinian I. mit riesigen kilometerlangen Mauern und 400 Türmen wieder hergestellt und erst nach siebenmonatiger Belagerung von den christlichen Heeren erobert worden (3. Juni 1098). Im Verlauf der Belagerung kam es mehrfach zur dramatischen Lebensmittelknappheit, die sogar zu einer teilweisen Auflösung einzelner Truppenteile und gehäuften Desertationen bis hin zum Kannibalismus führte. Durch die Eroberung des Hafens von Antiochia, St. Symeon an der Mündung des Orontes, konnte aus Zypern Nachschub über See gesichert werden. Die Verbindung des päpstlichen Legaten Adhemar de Monteil, Bischof von Le Puy mit dem in Zypern lebenden griechischen Patriarchen von Jerusalem, erlaubte eine regelmäßige, aber in der Menge zunächst völlig unzureichende Lieferung von Nahrungsmitteln auf dem Schifffahrtsweg zwischen Famagusta und St. Symeon, die allerdings erst sehr viel später zur Linderung der größten Not der Belagerer führte. Erst als dort Mitte November 1097 ein genuesisches Geschwader mit dreizehn Schiffen Nachschub an Mannschaften und Waffen brachte, wurde es möglich, den Ring um Antiochia weiter zu schließen und den Bau eines für die Überwinterung wichtigen festen Lagers vorzunehmen.22 Mehr noch als durch die materielle Hilfe, stärkte die Ankunft der Schiffe aus dem Westen bei den Kreuzfahrern das Gefühl einer Verbindung auf dem Seeweg mit der Heimat.23 Ein weiteres Mal war eine maritime Aktion während der Belagerung von Antiochia von Bedeutung. Am 4. März 1098 segelte eine englische Flotte unter dem Befehl des verbannten Thronprätendenten Edgar Ætheling in den Hafen von St. Symeon.24 Es waren Pilger aus Italien an Bord, die sich Edgar angeschlossen hatten, der sich in Konstantinopel dem Befehl des Kaisers unterstellt hatte. Mit den nachge­ 69

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lieferten Baumaterialien aus Konstantinopel konnten Belagerungsmaschinen gebaut werden, außerdem befanden sich Mechaniker an Bord, die für die weitere Belagerung sehr willkommen waren. Allerdings war der kaum zwanzig Kilometer lange Weg zwischen dem Hafen und Antiochia weitgehend von den Türken kontrolliert, so dass es ständig Gefechte um den Nachschub mit erheblichen Verlusten auf beiden Seiten gab. Im Kampf um die aus der englischen Flottenankunft stammenden überlebenswichtigen Materialien entwickelte sich eine regelrechte Schlacht mit dem besseren Ende für die von Gottfried von Bouillon geführten Kreuzfahrer.

Jerusalem Als Antiochia endlich erobert und das türkische Entsatzheer unter dem Emir Kerbogha vernichtend geschlagen war (28. Juni 1098), begann nach langwierigen internen Auseinandersetzungen zwischen den Führern des Kreuzzuges, der Marsch entlang der Levanteküste, wie man die Küstenregion des östlichen Mittelmeers bezeichnet, nach Jerusalem. Die Kampfstärke des Heeres betrug zu diesem Zeitpunkt nur noch 1000 Ritter und 5000 Mann Fußvolk.25 Dass es den Kreuzfahrern überhaupt möglich war, in ihrer Zahl dezimiert und von dauernden Kämpfen zermürbt, viele von ihnen verwundet, den entbehrungsreichen Weg anzutreten, ohne von den ungleich zahlreicheren Feinden vernichtet zu werden, ist in erster Linie den politischen und auch religiösen Unruhen in der islamischen Welt zu schulden.26 Außerdem zwangen die fanatisierten Kreuzzugsteilnehmer aus den unteren Volksschichten ihre adligen Führer, das endgültige Ziel, die Befreiung Jerusalems von den Ungläubigen, weiter zu verfolgen. Dieses war inzwischen von den Fatimiden Ägyptens den seldschukischen Türken wieder entrissen worden, was eine neue Machtkonstellation bedeutete, da die fatimidischen Flotten die levantinische Küste beherrschten und damit die Nachschubwege für die europäischen Schiffe versperrten. Allerdings war der Widerstand der Küstenstädte relativ gering, viele von ihnen erkauften sich die Schonung von den Kreuzfahrern mit Geld oder der Lieferung von Lebensmitteln oder wurden, wie Sidon, Tyros und Akkon, relativ unbehelligt passiert. Je weiter sie nach Süden vorrückten, desto weniger war es allerdings möglich, das Heer über See zu versorgen, so dass es so schnell wie möglich nach Jerusalem vorrücken konnte, welches am 7. Juni 1099 erreicht wurde. Schon der erste Angriff des auf höchstens 12 000 Mann reduzierten Heeres27 gegen die gewaltigen und in guter Verfassung befindlichen Mauern Jerusalems, ließ die Aussichtslosigkeit dieser Aktionen erkennen, solange kein ausreichendes und fachgerechtes Belagerungsmaterial zur Verfügung stand; Material dafür gab es aber im weiteren Umkreis nicht oder nicht in ausreichendem Maße. Belagerungsmaschinen spielen in der mittelalterlichen Kriegsführung eine wichtige Rolle, ohne ihre Technik war das Berennen der riesigen Mauern in der Regel erfolglos. 70

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