Libelle Februar 2012

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Berufsbild Tagesvater

Ungeplante Bilderbuchkarriere

Halbes Einkommen, doppelte Lebensqualität

Kai Baumgart, 35 Jahre alt, der zwei eigene Kinder hat, kümmert sich um seine eigenen und seine Tageskinder. Im Nachhinein gesehen hat er eine Bilderbuchkarriere zum Tagesvater gemacht: Seine erste Ausbildung als Zimmermann kommt ihm beim Ausbau der kindgerechten Spiel- und Schlafräume zugute. Sein Zivildienst führte dazu, dass er sich entschied, in den sozialen Bereich zu wechseln und eine Ausbildung als Erzieher zu beginnen. Später absolvierte er unter anderem einen Aufbaubildungsgang zu Bildung, Erziehung und Betreuung von U3-Kindern. Bei der Geburt seines ersten Kindes übernahm er die Betreuung, damit seine Frau ihr Studium beenden konnte. Um das Familieneinkommen aufzubessern und seiner Tochter soziale Kontakte zu ermöglichen, entschloss er sich, Tagesvater zu werden. Naheliegend, aber nicht vorhersehbar. Wichtig war und ist Baumgart ein hochwertiges Bildungs- und Betreuungsangebot für seine (Tages-)Kinder, indem er „die Kinder dort abholt, wo sie sich befinden“. Entdecken die Kinder bei einem Ausflug zum Beispiel Schnecken, beobachtet Kai Baumgart sie mit ihnen, liest zu Hause Schneckengeschichten vor und singt passende Lieder mit den Kindern.

Andreas Wanders, 53 Jahre, hat vier eigene Kinder und ist seit 2010 als Tagesvater tätig. Er hat lange in einem ganz anderen Bereich Karriere gemacht. Als sein Arbeitgeber seine Abteilung schloss, fragte sich Wanders: „Was will ich die nächsten zehn bis 15 Jahre tun? Was ist mir wichtig?“ Er stieß auf eine Infoveranstaltung zur Kindertagespflege. Danach ging alles schnell: Eignungsüberprüfung, Qualifikationskurs und Pflegeerlaubnis. Inzwischen betreut Wanders vier Ein- bis Dreijährige: „Als Tagesvater wird das Leben entschleunigt. Die ersten Kinder kommen um 7.15 Uhr. Bis alle gemütlich gefrühstückt haben, die Windeln gewechselt, die Sachen für den Spielplatz gepackt sind, das dauert. Wir unternehmen jeden Tag etwas. Meine Arbeitstage gehen bis mindestens 18 Uhr. Kinder brauchen eine klare Struktur, doch in der Routine entdecke ich jeden Tag etwas Neues, oft Glückbringendes.“ Über das Finanzielle sagt er: „Als Tagesvater bin ich selbstständig, mit vier bis fünf Kindern habe ich eine gute Auslastung, die braucht man auch, sonst reicht es nicht. Ich verdiene ungefähr die Hälfte meines früheren Einkommens, habe aber das doppelte Maß an Lebensqualität!“

wenn ich mal zu spät komme. Wichtig ist mir auch, dass er sich sehr bewusst für die Tätigkeit als Tagesvater entschieden hat. Meine Tochter fühlt sich sehr wohl bei ihm, das merke ich jeden Tag.“

Qualifikation mit Folgen Eine der Voraussetzungen, um als Tagesvater tätig zu werden, ist der Abschluss einer Tagespflege-Qualifikation. Die Evangelische Familienbildung efa führt pro Jahr drei bis fünf Zertifikatskurse durch. Helga Wieferich ist für die Organisation und Durchführung der Kurse zuständig. Unter den Teilnehmer(inne)n sind immer wieder einzelne Männer dabei, die gern Tagesvater werden möchten. Die Motive der Männer, sich als Tagesvater zu qualifi-

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zieren, sind ganz unterschiedlich. Oft ist es die Betreuung der eigenen Kinder in der hauptamtlichen Elternzeit mit dem Wunsch, zusätzliche Kinder mit zu betreuen. So saß vor ein paar Jahren ein Vater von Drillingen im Kurs, der sich mit seiner Frau darauf geeinigt hatte, dass er die Betreuung der Kinder übernimmt, weil er in seinem Beruf als Koch für das Familienleben ungünstige Arbeitszeiten gehabt und dazu noch weniger als seine Frau verdient hätte. Heute besuchen seine eigenen Kinder längst die Schule, doch er ist mit Begeisterung Tagesvater geblieben und hat eine Warteliste von 20 Kindern ...

Männer beleben die Kurse Frau Wieferich beobachtet: „Die potenziellen Tagesväter heben die Stimmung in den Kursen! Sie werden von den weiblichen Teilnehmerinnen sehr gut angenommen und bereichern die Kurse, einfach weil sie ein anderes Auge, eine andere Sichtweise auf viele Kursinhalte haben.“ Ihr Fazit: „Ich wünsche mir mehr

Männer in den Kursen!“ Auch KiND im VaMV bietet ab Februar erstmalig einen Qualifikationskurs in Kooperation mit dem Paritätischen Bildungswerk an. Jutta Rechter, Fachberaterin für Kindertagespflege, sagt: „Wir freuen uns sehr, dass sich auch einige Männer für unseren Kurs angemeldet haben, denn immer mehr Eltern fragen gezielt nach Tagesvätern. Aber ob Mann oder Frau, das Wichtigste ist, dass die künftigen Tageseltern sich für diese Tätigkeit eignen und die richtigen Voraussetzungen mitbringen. Dazu führen wir bereits vor Kursbeginn umfangreiche Auswahlgespräche durch. Wir bieten unseren Tageseltern auch nach der Erlangung des Zertifikats Fortbildungen und Austauschtreffen an – auch speziell für Tagesväter.“


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