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60 – automotivebusiness

Freitag, 13. Dezember 2013

Digitaler Autohandel Automobilhersteller versuchen sich über das Internet eine neue Absatzschiene aufzubauen

Kommentar

Das World Wide Web als Vertriebsschiene erkannt

Bewährungsprobe für Automobilhandel

Neben Audi und BMW verkauft nun auch Daimler Fahrzeuge online – vorerst auf vier Monate beschränkt. Jürgen Zacharias

Stuttgart. Die Nachricht war vorhersehbar, kam dann aber trotzdem irgendwie überraschend: Daimler steigt in den Onlinehandel ein. Mit dem neuen Vertriebsweg – der seit wenigen Tagen im Rahmen eines Pilotprojekts vorerst vier Monate lang befristet getestet wird – möchte der deutsche Hersteller seine bisherigen Distributionswege abrunden und neue Käuferschichten ansprechen, wie Ola Källenius sagte. Laut der Daimler-Vertriebschefin ist dieser Schritt als Teil einer neuen Absatzstrategie zu verstehen, die auch den Ausbau der Präsenz in den Innenstädten und den Ausbau sogenannter Pop-upStores (temporäre Läden) zum Ziel hat. Man wolle damit näher an die Kunden rücken, um den Rückstand auf die Oberklasse-Konkurrenz von Audi und BMW wettzumachen.

Jürgen Zacharias

N

So weit, so gut. Von der Branche wurde Daimlers Gang ins Web allerdings mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Während Burkhard Weller, Geschäftsführer des deutschen Händlerriesen Wellergruppe, dem Vertriebsweg „wenig Chancen“ gibt und sich vor dem Onlinehandel „nicht fürchten“ möchte, zählt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität DuisburgEssen schon jetzt „rund 40.000 Neuwagen, die in Deutschland pro Jahr online an den Mann oder die Frau gebracht werden – mit steigender Tendenz“. Klar daher, dass das Thema auch für die anderen Hersteller interessant ist. So hat kürzlich auch Audi einen digitalen Showroom vorgestellt, in dem Kunden ihr Wunschfahrzeug auf Bildschirmen kon-

Magna Quartalszahlen

Talsohle erreicht? Langsam, aber sicher scheint sich die Lage am europäischen Automarkt zu stabilisieren

Audi & BMW im Web aktiv

Umsatzplus

In den kommenden vier Monaten möchte Daimler die Zugkraft seiner Marke und Absatzmöglichkeiten im Internet abtesten.

figurieren können, und ist auch BMW mit seinem Elektrofahrzeug i3 dem Onlinehandel nicht gänzlich abgeneigt. Auch wenn dabei die verkauften Stückzahlen im Web noch überschaubar sind, wollen Autoexperten trotzdem bereits „steigenden Druck für die Händler“ erkennen, wie Antje Woltermann, Geschäftsführerin beim Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) im Gespräch mit der dpa formulierte. „Aus Handelssicht ist es ein großes Problem, wenn der Kunde die Kanäle wechselt und am Ende eben doch nicht beim Händler kauft.“ Ein weiteres Problem zeigt Dudenhöffer auf: Zwar könnten Händler laut dem Autoexperten mithilfe von Online-Vermittlern

unter Umständen mehr Autos verkaufen und sich dafür die Beratung sparen. Doch gewähren sie online häufig höhere Rabatte, weil sie es sich aufgrund der schlankeren Kostenstruktur leisten können.

Marge bleibt auf der Strecke Wird nur noch der Kaufvertrag im Autohaus unterzeichnet, sinke laut Dudenhöffer außerdem die Kundenbindung und damit die Chance, dass der Käufer sich auch für Reparaturen und Inspektionen an den Händler wendet. Dabei werfe das Dienstleistungsgeschäft weitaus höhere Margen ab, als der reine Autoverkauf. Vor allem Vertragshändler könnten unter dieser Entwicklung leiden, wenn

die Hersteller sie in ihrer neuen Online-Welt vergessen. Denn sie sind gleichzeitig angehalten, den teuren Vorgaben der Konzerne für Autohäuser, Vorführwagen oder Lagerfahrzeuge zu folgen, sagt Woltermann: „Das funktioniert nur, wenn eine bestimmte Marge dabei erreichbar ist.“ Bei Daimler versucht man daher, den Übergang ins Netz sanft zu gestalten: Der Preis ist der gleiche wie im stationären Handel und der ausliefernde Händler erhalte im Testlauf die volle Marge, sagte Andrea Finkbeiner-Müller, Leiterin der Händlernetzentwicklung bei Daimler. Aber ob das auch in Zukunft so sein wird? Man darf jedenfalls gespannt sein. www.daimler.com

In Europa kehrt endlich wieder Ruhe ein

© APA/Markus Leodolter

Brüssel. Die Tage des Horrors scheinen vorbei. Nachdem sich der europäische Automarkt in den vergangenen knapp zwei Jahren im freien Fall präsentierte, ist nun endlich eine kleine Stabilisierung eingetreten. Zwar schwankt die Pkw-Nachfrage nach wie vor, aber die Zeichen mehren sich, dass die

Im dritten Quartal liefen bei Magna in Graz 33.818 Fahrzeuge vom Band.

Talsohle durchschritten ist – vor allem am durch eine Abwrackprämie enorm befeuerten spanischen Markt, aber auch in Frankreich und in Großbritannien. In Deutschland ist die Situation noch nicht so klar: Laut aktuellen Schätzungen des Verbands der Automobilindustrie (VDA) dürfte die Zahl der Neuzulas-

sungen in unserem Nachbarland im laufenden Jahr um rund fünf Prozent auf 2,93 Mio. Fahrzeuge sinken und auch für 2014 wird maximal ein moderater Anstieg auf rund 3 Mio. Autos erwartet. Anders ist es um die Situation der deutschen Automobilhersteller bestellt, die sich derzeit kräf-

tig die Hände reiben dürfen. Aufgrund der guten Auftragslage – vor allem in den USA und in China brummen die Geschäfte – wird in vielen Werken der Weihnachtsurlaub verkürzt oder werden Sonderschichten eingeschoben. Große Produktionssprünge werden sich dadurch trotzdem nicht ergeben, die Produktion der deutschen Hersteller VW, BMW und Daimler im Land stagniert laut VDA in diesem Jahr bei rund 5,5 Mio. Fahrzeugen.

Auslands-Produktion steigt

© BMW Group

Graz. Gute Nachrichten für Magna International: Der austro-kanadische Automobilzulieferer konnte seine Zahlen im dritten Quartal in Österreich deutlich steigern. Am Standort Graz legte der Umsatz um 10 Prozent auf 680 Mio. USD (504 Mio. €) zu, die Stückzahl – das Unternehmen fertigt am Standort u.a. Autos für BMW und Peugeot – der produzierten Fahrzeuge stieg um 16% auf 33.818. Hauptverantwortlich für den Anstieg ist laut Angaben des Unternehmens der Produktionsstart des Mini Paceman, der seit Ende des vergangenen Jahres in Graz gefertigt wird. www.magna.at

© Marjian Murat/EPA/picturedesk.com

un also auch der Autohandel: Nachdem sich die Branche länger als andere dem Trend zum Online verweigert hatte und sich auch der Gebrauchtwagenkauf und -verkauf über entsprechende Portale lange Bahn brechen musste, scheint nun endlich auch der Neuwagenverkauf im Web auf Touren zu kommen. Noch ist keine Rede von einem nennenswerten oder gar nachhaltigen Online-Geschäft, aber die Marschrichtung der Hersteller – nicht nur von Mercedes-Benz, wie im Artikel rechts zu lesen – ist klar definiert: Das digitale Geschäft soll langfristig der Marge auf die Sprünge helfen. Mit minimalen Overhead-Kosten will man maximalen Output erzielen. Ziel ist es, über Breitband mit dem Autohaus direkt ins Wohnzimmer der Kunden zu brausen, um dort unkompliziert und flexibel zwischen Abendessen und einem Gläschen Rotwein den Verkaufsabschluss zu suchen. Ob das bei einem derart beratungsintensiven Produkt in ausreichend großer Zahl gelingen kann, sei dahingestellt – allein aufgrund des ständig steigenden Kostendrucks sind die Hersteller aber mehr oder weniger dazu verdammt, den Schritt zu wagen. Und auch wenn er nicht so erfolgreich ist, wie erwartet: Am ohnehin unter Druck stehenden Automobilhandel wird dieser Schritt nicht ganz spurlos vorübergehen.

Dürfen sich über volle Auftragsbücher freuen: Bei VW, BMW und Daimler brummt vor allem auf Auslandsmärkten das Geschäft.

Ein sattes Plus zeigt die Produktionsbilanz allerdings für die ausländischen Werke der deutschen Autobauer – der VDA kündigte für 2014 einen Zuwachs von sechs Prozent auf 9,2 Mio. Fahrzeuge an. „Das stellt Deutschland noch stärker in den Wettbewerb“, sagte VDA-Chef Matthias Wissmann bei der Präsentation der Zahlen. Die Beratungsgesellschaft Ernst & Young ortet damit laut Partner Peter Fuß weiter „steigenden Druck auf die deutschen Standorte“. www.vda.de


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