Architektur im Mittelpunkt 2017/2018

Page 73

BUSINESS

In einer Metropole sind sich die meisten fremd. Wenn sich zwei Menschen begegnen, ist also alles offen. In Liebeskomödien funktioniert dieses Prinzip übrigens sehr gut. Da treffen sich Tom Hanks und Meg Ryan erst ganz zum Schluss auf dem Empire State Building – auch wenn der Film „Schlaflos in Seattle“ heißt. Fremd waren sie sich dort die ganze Zeit, genauso fremd wie sie sich in „E-Mail für Dich“ waren, obwohl sie sich dort ja eigentlich kannten. Und nun stellen Sie sich den Plot von „Schlaflos in Seattle“ einmal in einer Kleinstadt vor, wo Annie ihren Sam sofort an der Stimme identifiziert hätte. Eine Großstadt steht für Verwirrung – besonders im Privat- und Liebesleben. Die Damen von „Sex and the City“ können eine ganze Fernsehserie und zwei Kinoadaptionen davon berichten. In diesen Fällen ist die Stadt ganz der Verführer. Wer die große Liebe sucht, sollte es also auf der Fifth Avenue (oder auf den Champs-Elysées) versuchen. Oder aber in kleinen pittoresken Dörfern in Italien und Frankreich. Nur ein schönes Dorf ist ein gutes Dorf

Das Gegenteil von Stadt – das Dorf – ist für Liebesfilme ebenfalls perfekt geeignet. Vorausgesetzt es liegt in Südeuropa, ist lichtdurchflutet und keines seiner abgefilmten Häuser jünger als 200 Jahre. Das sich die wunderbar weichen Landschaften der Toskana oder der Provence mit ihren entzückenden Dörfchen für romantische Herzschmerzfilme eignen, wird jedem klar sein, der schon einmal die Gegend besucht hat. Da, wo wir gerne Urlaub machen und es so herrlich nach Lavendel duftet, fällt uns ohnehin vieles leichter, sogar das Verlieben. Plötzlich scheint alles so übersichtlich. Für das Happy End sind höchstens ein paar sprachliche Missverständnisse auszuräumen, oder es gilt, eine resolute Schwiegermutter in spe zu überwinden.

architektur im mittelpunkt

Ganz anders verhält es sich freilich mit Wüstendörfern, besonders mit solchen, die im Wilden Westen liegen. Mögen auch sie sonnendurchflutet sein, romantisch sind sie eher selten. Kleine Käffer, gerne zerrissen und heruntergekommen, stehen

Der Horror liegt in Nachbars Garten

Ähnlich, aber eigentlich doch ganz anders sind amerikanische Kleinstädte. Hier, wo jeder jeden kennt, fällt das Fremde sofort auf. Besonders arglistig dann, wenn sich das Unbekannte die Maske des Bekannten

Foto: Iakov Kalinin/Shu tterstock

In Kooperation mit

Filme prägen unsere Sichtweise. Paris ist nicht erst seit Amélie eine fabelhaft entzückende, pastellfarbene Stadt.

für Ablehnung und Verschlossenheit. Die ihnen innewohnende Bedrohung gründet in Intimität – in der eigenen, aber auch in der des Gegenübers. Denn in den seltensten Fällen kommt der Protagonist aus einem dieser Dörfer, vielmehr verschlägt es ihn zufällig dorthin. Er dringt gleichsam in ein für ihn verbotenes Habitat ein. Noch kleiner als das kleinste Dorf sind einzelne, einsam stehende Häuser. Bates Motel aus „Psycho“ etwa oder jedes x-beliebige Spukschloss.

und Biederen überzieht – und plötzlich jeder Nachbar ein potenzieller Antichrist sein könnte. Die scheinbare Klarheit und Überschaubarkeit einer Kleinstadt, samt Highschool, Kirchenchor und kumpelhaftem Sheriff, ist die perfekte Kulisse für undurchsichtige Filme. Denn was fürchten wir mehr, als den inneren Abgrund einer uns doch ganz nahestehenden Person? Kein Wunder, dass Steven King viele seiner Werke in die amerikanische Provinz verlagert. „Needful Things“ oder „ES“ beispielsweise. Auch Steven Spielberg thematisiert die Ambivalenz des Bekannten und des Fremden in der Kleinstadt

71


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.