"die beste Zeit", September-Dezember 2016

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davon ausgehen, dass sich Degas und Rodin zumindest immer wieder begegneten, wenngleich Belege für eine enge Freundschaft zwischen den beiden ebenso berühmten wie eigenbrötlerischen Genies nicht zu finden sind. Immerhin waren sie im Hinblick auf kommerzielle Erfolge und öffentliche Aufträge keine Konkurrenten; denn während Rodin von 1875 an stets im offiziellen Salon ausstellte und Aufträge für große, öffentliche Monumente bekam, betrachtete Degas – seit dem Skandal um seine Plastik einer „Tänzerin von 14 Jahren“, 1881 – die Bildhauerei eher als eine Nebenbeschäftigung. Er verbarg von da an seine plastischen Entwürfe sorgsam vor der Öffentlichkeit und tat sie später, als seine Sehkraft dramatisch abnahm, gegenüber Gesprächspartnern gerne ab als sein „Blindenhandwerk“. Erst nach seinem Tod 1917 fand man in seinem Atelier die – zum Teil bereits zerbröselten – 72 Wachs- und Tonplastiken, die dann, eilig von der Gießerei A.-A. Hébrard et Cie in Bronze gegossen, ihren Siegeszug in die Welt antreten sollten. – Seine Plastiken hatten Rodin da schon unsterblich gemacht. Gleichwohl, wenn Degas und Rodin auch nicht in einem direkten Wettbewerb um Aufträge zueinander standen, so wurden sie doch von zeitgenössischen Künstlern als Konkurrenten wahrgenommen. Eine Anekdote, die der Kunsthändler Ambroise Vollard überlieferte, deutet diesen Wettstreit nur an, aber dieser Wettlauf zur Moderne war deshalb nicht weniger real. Auguste Renoir, der selbst auch bildhauerisch tätig war, äußerte demnach – wohl um 1884 – gegenüber Vollard: „Und wir haben das Glück in einer Zeit zu leben, in der es einen Bildhauer gibt, der sich mit den Alten Meistern messen kann! Und der macht seine Sache gut …“ Ich [Vollard]: „Rodin hat doch soeben den Auftrag für den ‚Denker‘ erhalten und für seine Statue von ‚Victor Hugo‘ und ‚Das Höllentor‘ …“ Renoir: „Ich meine nicht Rodin! Ich spreche vom größten Bildhauer, und das ist Degas!“ Zumindest in den Köpfen der Impressionisten, in deren Kreisen Degas und Rodin verkehrten, gab es also diesen Wettstreit zwischen den beiden verehrten und geachteten Künstlern. Ob die beiden Künstler selbst das so sahen, mag dahingestellt bleiben – für uns heutige Betrachter aber zeichnet sich das Œuvre der beiden durch jeweils ganz verschiedene Charakteristika aus, auch wenn beide – zumindest in bestimmter Hinsicht – und bei Rodin viel

leicht zeitlich begrenzt – dem Impressionismus zuzuordnen waren. Noch nie wurden die Werke von Degas und Rodin in einer Ausstellung so umfassend nebeneinandergestellt, miteinander konfrontiert, diskutiert wie jetzt. Nach Renoir, Monet, Sisley und Pissarro zeigt das Von der Heydt-Museum – nun zum ersten Mal – die zwei Giganten des Impressionismus im Wettstreit um das Neue in der Kunst. Das stellt unser Haus vor nicht geringe Probleme: Zum einen ist da die wissenschaftliche Erarbeitung des Themas, die in diesem Fall von einem Team von nicht weniger als zwölf deutschen, amerikanischen und französischen Katalogautoren und -autorinnen geleistet wird und in einem Katalog von annähernd 440 Seiten Umfang mündet. Zum anderen ist da die Frage nach den Ausstellungsobjekten: Das Musée Rodin in Paris und Meudon hat sich bereit erklärt, die Ausstellung mit rund 50, zum Teil sehr großen Plastiken Rodins und darüber hinaus mit Gemälden Zeichnungen, Aquarellen, Fotografien und Archivmaterial in enger Zusammenarbeit zu unterstützen; die Werke von Degas andererseits sind über die ganze Welt verstreut. Mühsam versuchen wir, die zauberhaften Tänzerinnen, die eleganten Pferdebronzen, die Gemälde und Pastelle und Zeichnungen von Degas von überall her nach Wuppertal zu holen. Das ist ein schwieriges Unterfangen; denn welches Museum, welcher private Besitzer solcher Kostbarkeiten trennt sich schon gerne für mehr als vier Monate von seinen Schätzen? Aber es ist uns gelungen – auch dank der versprochenen zahlreichen Gegenleihgaben aus unserer Sammlung –, auch von Degas wichtige Werke zu bekommen, die in den zwölf Kapiteln dieser groß angelegten Ausstellung als Gegenpart zu Rodins Plastiken und Zeichnungen usw. „gute Figur machen“ werden. Bis zur Eröffnung der Ausstellung im Oktober gilt es nun, die Räume des Museums neu zu gestalten, frisch zu streichen, neue, zum Teil komplizierte und technisch aufwändige Einbauten vorzunehmen und die Werke so aufzubauen, dass der „Wettlauf zur Moderne“ beginnen kann. Welcher der beiden Künstler, der aristokratische Degas oder der Selfmademan Rodin, am Ende die Siegerpalme davontragen wird – darauf sind auch wir gespannt. 17


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