"die beste Zeit", Januar-März 2018

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Julie Shanahan, Foto: Claudia Kempf

Cora Frost, Foto: Martin Steffen

Das hat inzwischen auch Cora Frost erfahren - und schätzt es sehr. „Der Blick von außen ist ganz wichtig“, weiß sie. „Und Jo Ann zu erleben, ist einfach mitreißend.“ Cora Frost ist seit fast drei Jahrzehnten mit eigenen Liedprogrammen erfolgreich bundesweit unterwegs. Um die Nummern des Duos Kurt Weill/Bertolt Brecht hatte sie dabei allerdings bislang einen Bogen gemacht: „Jede Sängerin, die sich profilieren will, singt doch Weill/Brecht. Mir war das immer irgendwie unangenehm“, sagt sie offen. Jetzt aber ist es an ihr, auch so bekannten Liedern wie dem „Barbara Song “ oder „Moon of Alabama“ neues Leben einzuhauchen. Dass sie im Casting für die Gesangsrolle ausgewählt wurde und nun zum ersten Mal in einem Pina-Bausch-Stück mitwirken wird, freut sie sehr. „Ich wollte als junges Mädchen immer selber tanzen“, erzählt sie. „Und Pina war für mich immer etwas ganz Entferntes, ganz Wunderbares, Unerreichbares.“ Durch die Arbeit am Stück erlebe sie auch die Musik neu, sagt Frost. „Es ist, als würde man durch die Zeiten fallen. Das verbindet sich mit dem Heute.“ Es sei die Gabe von Pina, dass sie diesen Zeittunnel so öffnen und einen so mitnehmen könne. Neben Cora Frost und Therese Dörr wirken weitere Gäste bei der Produktion mit. Ebenfalls vom Schauspielhaus Bochum kommt Jürgen Hartmann, der bereits zwei Mal in seiner Karriere als Schauspieler des Jahres nominiert war. Für die Wuppertaler gibt es ein Wiedersehen mit der bekannten Charakterdarstellerin Ingeborg Wolff, die 16 Jahre lang Mitglied des Ensembles der Wuppertaler Bühnen war. Vom Ensemble der Wuppertaler Oper sind die Sänger Mark Bowman-Hester, Sangmin Jeon, Sebastian Campione und Simon Stricker mit dabei. Schauspielerinnen und Schauspieler, Sängerinnen und Sänger, Ensemblemitglieder aus mehreren Generationen Tanztheater Wuppertal und schließlich die Musikerinnen und Musiker müssen am Ende zusammenfinden: Der Brecht-Weill-Abend ist eines der wenigen Stücke von Pina Bausch, die für eine Aufführung mit Orchester konzipiert sind. Es spielt das Wuppertaler Sinfonieorchester unter Leitung von Jan Michael 36

Therese Dörr, Foto: Martin Steffen

Horstmann, der bereits seit vielen Jahren regelmäßig die Aufführungen der Bausch-Stücke mit Orchester dirigiert.

Wie aber steht es mit der Aktualität des Brecht-Stücks, das 1933 in Paris uraufgeführt wurde, und mit Pina Bauschs Interpretation von 1976? „Pina Bausch legte Brechts Ballade ganz als Geschichte der ihren Körper und ihre Gefühle ausbeutenden Frau aus. Bauschs Interpretation atmet ganz sicher den feministischen Zeitgeist der 70er-Jahre“, heißt es in einer Zeitungskritik. Weder Endicott noch Shanahan können die Kritik teilen. Sie hätten seinerzeit gar nicht über mögliche Interpretationen des Brecht-Stoffs geredet, erinnert sich Jo Ann: „Das ist alles in der Musik, in den Texten und in der Choreografie da. Als Tänzer brauchen wir nicht mehr. Wir haben Pina verstanden, haben verstanden, wo das Stück hin will. Aber wir haben nie viel geredet.“ - „Die Ausbeutung von jungen Frauen ist heute so aktuell wie damals“, findet Julie, „überhaupt geht es um so viel in diesem Stück.“ Es geht um Leben und Tod. Um die Sehnsucht, Liebe zu finden. „Das hat mit uns allen zu tun. Gewalt, Liebe, Freude. Es wiederholt sich alles.“ Weil Pina Bausch genau das herausarbeite, sei es auch wie alle ihre Stücke zeitlos, ist Jo Ann überzeugt. „Die halten ewig.“ Dafür zu sorgen, dass es auch heute mit den jetzigen Tänzern wieder genauso kraftvoll, lebendig und frisch wirkt wie damals, das sei jetzt ihre Aufgabe. Und da hinzukommen, ist nicht einfach: „Ein starkes Feingefühl bis in den kleinsten Finger ist erforderlich. Eine lohnenswerte Aufgabe in jeder Hinsicht.“ Dass „Pinas Tänzer“, die alten wie die jungen, die dafür nötige Hingabe aufbringen, daran besteht allerdings kein Zweifel. Anne-Kathrin Reif Der Brecht-Weill-Abend „Die sieben Todsünden/ Fürchtet Euch nicht“ wird aufgeführt am 21., 23., 24., 26., 27. und 28. Januar 2018 im Opernhaus Wuppertal, jeweils 19.30 Uhr, sonn- und feiertags 18.00 Uhr Karten www.pina-bausch.de oder Reservierungstelefon Kulturkarte 0202 563 76 66


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