Wien Museum Katalog „Otto Wagner“

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Otto Wagner: Titelblatt des ersten Bandes von Einige Scizzen, 1889

Otto Wagner: Titelblatt des dritten Bandes von Einige Skizzen, 1906

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Ein tiefes, in den Erfahrungen des 19. Jahrhunderts wurzelndes Bewusstsein von der medialen Konstitution der Architektur prägte bereits das Werk Otto Wagners, der sich damit auch in dieser Hinsicht als einer der wichtigsten Wegbereiter des 20. Jahrhunderts erweist.

Zeichnung als Zukunftsbild Die Diskrepanz zwischen den zum Teil spektakulären Entwürfen des ersten Bandes von Einige Scizzen und den bis dahin verwirklichten Bauten des Architekten macht den hohen, beinahe autonomen Stellenwert der Zeichnung im Werk Wagners offensichtlich.11 Wie nur wenigen Architekten seiner Zeit gelang es Wagner, die spezifischen Eigenschaften der Zeichnung als visuelles Medium für den Architekturdiskurs zu (re-)aktivieren. Mit seinen Blättern trat er aus dem engen und begrenzten Rah­men der Fachzeitschriften hinaus in die weitaus diversere Öffentlichkeit der Kunstausstellungen und damit der Feuilletons, die über seine Zeichnungen berichteten.12

Jedes Präsentationsblatt, das auf der Basis von Handzeichnungen unter seiner Aufsicht von Mitarbeitern im Atelier gezeichnet wurde, war ein sorgfältig komponiertes Schauobjekt: von der Organisation der Zeichnung in der Fläche und der Wahl der technischen Mittel über die Kombination unterschiedlicher Ansichten bzw. Schnitte und die Inszenierung der Perspektiven bis hin zur Rahmung und Einbettung der Bauten in den urbanen Alltag. Das Ziel war eine durch die Wahl der Darstellung und zeichnerische Bravour bedingte maximale Wirkung beim Betrachter, ohne die präzise und verlässliche Informationsübermittlung – ein wesentliches Kriterium der Architekturzeichnung – zu vernachlässigen. Wagner „popularisierte“ die Zeichnung, um die Architektur – die öffentlichste aller Künste, über die zugleich kaum jemand spricht – wieder zu einem Gegenstand öffentlicher Diskussion zu machen. So ergänzte er sein Projekt für den Generalregulierungsplan von 1892/93 (Kat.-Nr. 66) um vier von Joseph Maria Olbrich gezeichnete Ansichten, die aus der Perspektive des Passanten die Integration der Verkehrsanlagen in das Stadtbild zeigen. Sie machten ein auf den ersten Blick technisch-infrastrukturelles Thema mit künstlerischen Mitteln


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