Wien Museum Katalog „Otto Wagner“

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Otto Wagner: Orthodoxe Synagoge in Budapest, Fotografie von Michael Frankenstein, um 1880 Wien Museum

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Schönen und zu den Kunstspeichern der Großstadt antreten“.37 Die Präsenz einer zeitlosen „Kultur“ inmitten des zerstöre­ rischen Stroms der Zeit führt in Wagners Architektur zu einer Ästhetik, in der sich Aluminium und Goldmosaik, Linoleum und Tombak zu einer Gesamtvision zusammenfügen. Wagners Großstadt-Studie (Kat.-Nr. 131, Abb. S. 54-55) zeigt bereits jene Dialektik von Raster und Monument; es ist die Bekleidung der Fassaden, die seine Stadt von Ludwig Hilberseimers monotoner Großstadt (1927) unterscheidet, wo „der allgemeine Fall, das Gesetz“ verehrt und „die Nuance weggewischt“ wird.38 Wagner dagegen bestand auf der Individualisierung der einzelnen Elemente der Stadt durch entsprechende Oberflächenbekleidungen. Er wollte die Kunst und die Künstler zu Wort kommen lassen, um „den die Schönheit vernichtenden Einfluß des Ingenieurs für immer zu brechen und die Macht des Vampyrs ‚Spekulation‘, der heute die Autonomie der Großstädte nahezu illusorisch macht, auf das Engste einzudämmen“.39 Sein Werk ist ein früher Versuch, radikale technisch-materielle Erneuerung und kulturelle Kontinuität zu versöhnen. Bald sollten die Zeichen der alten Kultur, die Alu­miniuminkrustationen und Majolikafliesen, als „Tätowierungen“ von den Oberflächen der Stadt entfernt werden. Wagners Gesamtkunstwerk Stadt sollte erst in den 1940er-Jahren wieder aktuell werden, als die Grundsätze der Moderne von Sigfried Giedion, Josep Lluís Sert oder Louis I. Kahn im Namen einer „neuen Monumentalität“ revidiert wurden.40

Vgl. Otto Wagner: Wettbewerbs­ entwurf für das Kaiser Josef Stadt­ museum. Kennwort: OPUS = IV, Wien 1912 (ES IV), zit. nach Graf 1985, S. 657-670, hier S. 665. 2 Lux 1914, S. 158-159. 3 Ákos Moravánszky, Albert Kirchengast (Hg.): Experiments. Architektur zwischen Wissenschaft und Kunst / Architecture Between Sciences and the Arts, Berlin 2011. 4 Lux 1914, S. 158-159. 5 Otto Wagner: Erläuterungen zur Höhen- und Sonnenlicht-Heilstätte Palmschoss bei Brixen, Wien 1914 (ES IV), zit. nach Graf 1985, S. 741-745, hier S. 743. 6 Josef Hoffmann: Architektonisches aus der österreichischen Riviera, in: Der Architekt 1 (1895), S. 37; ders.: Architektonisches von der Insel Capri, in: Der Architekt 3 (1897), S. 13. 7 Wagner 1914, S. 88. 8 Otto Wagner: Nachtrag zum Projekte für das Kaiser Franz Josef-Stadt­ museum (ES III, 1906), zit. nach Graf 1985, S. 463-467, hier S. 467. 9 Ebenda. 10 Otto Wagner: Entwurf zur Verbindung der Mühlbrunn-, Marktbrunn- und Schloßbrunn-Kolonnade in Karlsbad, Kennwort: Fontes unitae, zit. nach Graf 1985, S. 535-543, hier S. 539-540. 11 Wagner 1914, S. 62-63. 12 Otto Wagner: Zur Ergänzung: Konkurrenz für den Friedenspalast im Haag, zit. nach Graf 1985, S. 520. 13 Heinrich Schmid: Der Steinbau und die Surrogate, in: Der Architekt 1 (1895), S. 9-11. 14 Wagner 1914, S. 69. 15 Otto Wagner: Villa, XIII. Bezirk, Hüttelbergstrasse 28, zit. nach Graf 1985, S. 648-649, hier S. 510. 16 Wagner 1914, S. 70. 17 Ebenda, S. 65. 18 Ebenda. 19 Ebenda, S. 61. 20 Vgl. Streiter 1898, S. 102-103. 21 Ebenda, S. 103.

22 Otto Wagner: Die Kirche der Nieder­ österr. Landesheil- und PflegeAnstalten, Wien 1904, zit. nach Graf 1985, S. 400-405, hier S. 403. 23 Vgl. Ákos Moravánszky: Stoffwechsel. Materialverwandlung in der Architektur, Basel 2017. 24 Wagner 1914, S. 65-66. 25 Ebenda. 26 Ebenda, S. 67. 27 Lux 1914, S. 74. 28 Ludwig Hevesi: Der Neubau der Postsparkasse (18.02.1907), wieder abgedruckt in: Hevesi 1909, S. 245-248, hier S. 246. 29 Ebenda. 30 Gottfried Semper: Vergleichende Baulehre. 10. Kapitel (Manuskript), in: Wolfgang Herrmann: Gottfried Semper. Theoretischer Nachlass an der ETH Zürich. Katalog und Kommentare, Basel/Boston/Stuttgart 1981, S. 191-204, hier S. 197. 31 Ebenda, S. 234. 32 Ebenda, S. 236. 33 Wagner 1914, S. 34. 34 Josef Strzygowski: Die Bildende Kunst der Gegenwart. Ein Buch für jedermann, Leipzig 1907, S. 89-90. 35 Otto Wagner: Erläuterungsbericht zum Projekte für den Neubau einer Donaukanalbrücke im Zuge der Rotenturmstraße–Lilienbrunngasse, Wien 1904, zit. nach Graf 1985, S. 489-492, hier S. 490. 36 Otto Wagner 1911a, S. 21. 37 Ebenda, S. 5. 38 Ludwig Hilberseimer: Großstadt­ architektur, Stuttgart 1927, S. 103. 39 Wagner 1911a, S. 17. 40 Ákos Moravánszky: Das Monu­ mentale als symbolische Form. Zum öffentlichen Auftritt der Moderne in den Vereinigten Staaten, in: Ders.: Lehrgerüste. Theorie und Stofflichkeit der Architektur, Zürich 2015, S. 184-199.

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