Sie ist endlich unter der Haube … Das muss ich alles unter einen Hut bringen … Kleider machen Leute. Nirgendwo ist das wahrer als auf unseren Köpfen.
Mir reißt die Hutschnur …
WIEN MUSEUM
Sei auf der Hut! … Es brennt der Hut …
Was wir aufsetzen, ist das offensichtlichste visuelle Zeichen unserer Identität.
Mir geht der Hut hoch … Krieg der Hüte … Eine Kopfbedeckung kann religiöse oder politische Überzeugung, aber auch
Das ist ein alter Hut … Ich zieh den Hut vor dir … Sie ist Ausdruck von Macht und vom Aufbegehren dagegen ebenso wie
Das kann ich nicht aus dem Hut zaubern … Statussymbol und Stigma. Vom Demokratenhut bis zum Kopftuch: Hüte, Mützen
Du kriegst gleich was auf die Mütze … oder Tücher sind Symbol sozialer Zugehörigkeit, aber auch von Individualität und
Ich krieg schon wieder eins auf den Deckel … modischem Selbstverständnis. Diese wundervoll bebilderte Sozialgeschichte des
Der hält immer gern den Hut auf … bedeckten Kopfes präsentiert jene Aspekte der Wiener Geschichte vom
Lassen wir den Hut rumgehen … 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, die sich „am Kopf“ abspielten.
Er musste den Hut nehmen … Das kannst du dir an den Hut stecken … Mit Beiträgen von Elfriede Jelinek, Robert Menasse, Doron Rabinovici,
Damit habe ich nichts am Hut … Katrina Daschner, Stefanie Sargnagel, Kurto Wendt u. a.
Dann war ich so klein mit Hut … Gut behütet … Er hat den Hut an den Nagel gehängt … Hut in der Hand, hilft durchs ganze Land … Greif geschwind zum Hut und langsam zum Beutel … Hüte Dich! … Was hast du schon verhütet? … Gut behütet … Fang den Hut! …
EINE SOZIALGESCHICHTE DES BEDECKTEN KOPFES
Chapeau! … Hut ab! …
CHAPEAU!
geschlechtliche, kulturelle oder ständische Zuordnung ausdrücken.
WIEN MUSEUM
CHAPEAU! EINE SOZIALGESCHICHTE DES BEDECKTEN KOPFES
CHAPEAU!
CHAPEAU! Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes
Herausgegeben von Micheala Feurstein-Prasser und Barbara Staudinger
Mit Texten von Katrina Daschner, Esra Erdo˘gan, Michaela Feurstein-Prasser, Barbara Fischer, Gabriella Hauch, Andrea Hönigmann-Polly, Julia Hürner, Elfriede Jelinek, Kemal Kara, Regina Karner, Gabriele Kohlbauer-Fritz, Dudu Kücükgöl, Verena Mayer, Beatrix Mayrhofer, Robert Menasse, Gerhard Milchram, Ronnie Niedermeyer, Walter Öhlinger, Doron Rabinovici, Georg Rigele, Stefanie Sargnagel, Ursula Seeber, Barbara Staudinger, Isheba Tafari, Alexia Weiss und Kurto Wendt
Inhalt
Matti Bunzl Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................................................................................ 7 Micheala Feurstein-Prasser, Barbara Staudinger CHAPEAU! Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes .................................................... 9
HUT AUF! Politische Köpfe ................................................................. 14 Walter Öhlinger „Des Volkes Krone“ ................................................................................... 16 Alexia Weiss Macht und Ohnmacht .................................................................................... 22 Barbara Staudinger „Für den Typ der deutschen Frau“ ....................................................... 26 Doron Rabinovici Monument in Bewegung ......................................................................... 36 Kurto Wendt Zeitenwenden . . . . . . . . ......................................................................................... 38
HUT AB? Kopfsache Emanzipation ................................................. 42 Gabriella Hauch Ein lila Hauberl mit Geschichte ............................................................... 48 Katrina Daschner Mehr ist mehr! ......................................................................................... 52 Ursula Seeber Die Hüte der Mimi Grossberg ...................................................................... 54 Elfriede Jelinek Ein Abschluß. Oben. .................................................................................. 64 Dudu Kücükgöl „Das Persönliche ist politisch“ .................................................................. 68 Stefanie Sargnagel Sachen am Kopf ..................................................................................... 72
HÜTE DICH! Religion auf den Köpfen .................................... 75 Gabriele Kohlbauer-Fritz Porträt einer Frau mit Sterntichl ................................................. 78 Beatrix Mayrhofer Der Schleier der Ordensfrau .................................................................. 84 Michaela Feurstein-Prasser Mit Zylinder und Matrosenhut im Leopoldstädter Tempel ..... 86 Esra Erdo˘ gan Du bist nicht alleine ...................................................................................... 92 Isheba Tafari Disziplin, Widerstand, Selbstbestimmung .................................................... 94 Robert Menasse Kippa mit Geschichte ............................................................................... 96
Inhalt
ALTER HUT, NEUER HUT Verkopfte Identitäten
. . . . ....................................................................................... 106
Barbara Staudinger Das bürgerliche Paar .......................................................................... 108 Michaela Feurstein-Prasser Der wandelbare Zylinder ........................................................ 114 Georg Rigele Autofahrerhaube . . ........................................................................................ 118 Verena Mayer Helmpflicht . . . . . . . . . ........................................................................................ 122 Kemal Kara „K“ wie „Kappe“ . . . . . ........................................................................................ 126
GUT BEHÜTET Wiener Mode für den Kopf ................... 130 Gerhard Milchram Die Deferegger Hausierer und das Hutbusiness ................................. 134 Andrea Hönigmann-Polly Die Ebreichsdorfer Filzhutfabrik S. & J. Fraenkel AG .............. 136 Regina Karner „Es gehörte zum guten Ton, einen Habig-Hut zu tragen …“ ...................... 140 Ronnie Niedermeyer Im Atelier von Shmuel Shapira ........................................................ 152 Barbara Fischer Über die Modell-Modisterei an der Modeschule Hetzendorf .................. 160 Julia Hürner „Taiknam Hat“ . . . . . . ........................................................................................ 166
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........................................................................................ 168 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........................................................................................ 169 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . ........................................................................................ 170 Leihgeberinnen und Leihgeber . . . ........................................................................................ 172 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........................................................................................ 173 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........................................................................................ 174 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........................................................................................ 176
Zu den fünf thematischen Ensembles zusammengefügt, zielt die so entstandene Vitrinenlandschaft darauf ab, die darin raumbestimmenden Kopfbedeckungen umschreitend betrachten zu können. polar÷
Matti Bunzl
Vorwort „Kleider machen Leute“ – das ist der auf seine Essenz reduzierte Ansatz unserer Ausstellung Chapeau! Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes. Natürlich sind Gewandungen auch funktioneller Natur. So schützen Hüte gegebenenfalls gegen Niederschlag und Kälte bzw. vor Hitze und Sonne. Jede konkrete Ästhetik sagt aber wesentlich mehr über Politik, Kultur oder Mode als über das Wetter aus. Diese Einsicht animiert die Präsentation in ihren vielschichtigen Facetten. Chapeau! exemplifiziert aber noch einen zweiten Grundsatz: Sammlungen machen Museen. Das scheint eigentlich ganz selbstverständlich, sind doch Institutionen wie das Wien Museum im fundamentalen Sinn Aufbewahrungsstätten für kollektives Kulturerbe. Und doch – in der öffentlichen Wahrnehmung steht eine andere Funktion des Museumswesens im Zentrum: die des Ausstellungshauses. Letzteres wird vor allem als Stätte für gegenwartsrelevante Interventionen verstanden, ein Umstand, der mit Sammlungstätigkeit nur bedingt zu tun hat. Natürlich greifen die meisten Wechselausstellungen auf institutionelle Bestände zurück. Aber vor allem im kulturgeschichtlichen Bereich sind diese selten als Fundament erkennbar. Warum auch? Eine Präsentation zu Sex in Wien – das Thema unsere nächsten großen Ausstellung – speist sich aus einer Vielzahl von Quellen, von öffentlichen und privaten Sammlungen bis zu detektivisch zusammengetragenen Ephemera. Chapeau! ist in diesem Zusammenhang eine prägnante Ausnahme. Wie Sex in Wien ist es eine gegenwarts-
bezogene Ausstellung, die aktuelle Themen – es sei nur die Kopftuchdebatte genannt – durch ihre historische Kontextualisierung neu verhandelt. In diesem Fall geschieht das jedoch zu einem beträchtlichen Anteil durch eine Sammlungspräsentation. Denn das Wien Museum verfügt über die größte Modesammlung Österreichs, ja eine der umfangreichsten ganz Europas. Der Hutbestand allein firmiert in den Tausendern. Mit Chapeau! ist es uns daher möglich, die musealen Funktionen des Sammelns und Ausstellens optimal zu verbinden. Denn die These – Kleider machen Leute und niemals mehr, als wenn es um Hüte geht – ist durch keine Objektgruppe besser darstellbar als unsere eigene Sammlung. Ihre kritische Befragung und systematische Präsentation ein Kern der Ausstellung. Mein Dank gilt den Menschen, die diese Ausstellung erarbeitet haben. Michaela Feurstein-Prasser und Barbara Staudinger, die auch diesen Katalog verantworten, brachten Idee und Konzept ans Wien Museum, wo sie von unseren Kuratorinnen Andrea Hönigmann-Polly und Regina Karner unterstützt wurden. Die Ausstellungsproduktion lag bei Bärbl Schrems. Für Ausstellungsdesign und Grafik konnten wir polar÷ architekturbüro und Maria Anna Friedl gewinnen. Mit einem so großartigen Team arbeiten zu dürfen, ist eines der vielen Privilegien, die ich als Direktor des Wien Museums genieße. Zuletzt gilt mein Dank auch den vielen Autorinnen und Autoren, die von der Idee begeistert waren, kleine, zum Teil auch sehr persönliche Geschichten zu einzelnen Kopfbedeckungen zu erzählen.
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Einzelbild aus der Animation Chapeau! Francesco Ciccolella, 2016
Michaela Feurstein-Prasser, Barbara Staudinger
CHAPEAU! Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes
Mode-Ausstellungen fokussieren üblicherweise entweder auf ein modegeschichtliches Thema, auf eine Sammlung oder eine Designerin / einen Designer. Die gesellschaftliche und politische Implikation von Mode steht dabei nicht im Vordergrund, sondern bildet zumeist den allgemeinen Kontext, innerhalb dessen die Objekte zu sehen sind – zuletzt etwa bei Gretchen mag’s mondän – Damenmode der 1930er Jahre im Münchener Stadtmuseum. Erst in letzter Zeit thematisieren Ausstellungen auch Produktionsbedingungen von und Identitätsstiftung durch Mode – so 2015 bei der Ausstellung Für Garderobe wird nicht gehaftet. Widerständiges in Mode und Produktion im Innovation Laboratory Wien. Auch hier haben die einzelnen Objekte jedoch eher illustrativen Charakter, eine politische Geschichte von Mode, Identität und ihren Produktionsbedingungen wird auf einer Metaebene erzählt, nicht anhand von Geschichten der einzelnen Kleidungsstücke, ihrer TrägerInnen und ProduzentInnen. Ausgehend von diesen Überlegungen, haben wir versucht, in dieser Ausstellung eine andere Geschichte der Mode zu erzählen: Die Objekte und ihre Geschichten stehen im Mittelpunkt und führen Erzählstränge von Hutdesign, Modegeschichte, Produktionsbedingungen und Sammlungen mit jenen der Sozial- und Kulturgeschichte zusammen. Als symbolträchtigstes Kleidungsstück, das auf dem exponiertesten Körperteil getragen wird, haben wir uns dabei für die Kopfbedeckung entschieden. Vordergründig haben Kopfbedeckungen eine praktische Funktion: Sie schützen vor Wind, Kälte und Hitze und halten Regen oder auch Schmutz ab. Daneben ist die Bedeckung des Kopfes jedoch auch eine Kulturtechnik, die sich im Laufe der Geschichte, von denen diese Ausstellung rund 170 Jahre fokussiert, ganz wesentlich weiterentwickelt hat: Zwar haben die meisten Kopfbedeckungen damals wie heute eine Schutzfunktion, dennoch waren und sind sie zudem auch Ausdruck und bewusst sichtbares Zeichen eines ständischen Bewusstseins, sozialer Zugehö-
rigkeit, politischer Haltung, religiöser Ausrichtung oder Identität. Der Zylinder ist eine Kopfbedeckung, die ihre Schutzfunktion gänzlich eingebüßt – die Seide darf nicht nass werden, bei Wind fliegt er davon –, nicht jedoch ihre Symbolkraft verloren hat – sei es als Zeichen der Republik, der Reaktion oder auch des Kapitalismus. Die Perücke orthodox jüdischer Frauen, jiddisch als „Scheitel“ bezeichnet, ist hingegen zwar eine religiöse Kopfbedeckung, als solche allerdings für viele nicht wahrnehmbar und daher ohne primäre Zeichenfunktion. Soziale Unterschiede waren und sind heute noch an der Kleidung ablesbar. Je weniger offensichtlich äußere Kennzeichen waren, desto wichtiger war es, sie zu erkennen und sich danach zu richten. Die ungeschriebenen Gesetze und Dresscodes des Adels und Großbürgertums wurden seit dem 19. Jahrhundert imitiert, ein Fauxpas bei der Auswahl des richtigen Kleidungsstückes konnte das Ende einer Karriere bedeuten. Die Konventionen der subtil differenzierten Gesellschaft waren strengstens zu befolgen. Die Ausstellung widmet sich anhand von ausgesuchten Kopfbedeckungen und Themen der Wiener Geschichte von 1848 bis heute. Kaum ein Ereignis der Wiener Geschichte lässt sich so gut anhand der Kopfbedeckungen erzählen wie die 1848er-Revolution. Der weichkrempige, federngeschmückte Kalabreser war das Zeichen der Revolutionäre und wurde auch von Frauen auf den Barrikaden getragen, der Zylinder wurde zur Kopfbedeckung der Reaktion. Durch eine Vielzahl von Karikaturen verbreitet und in der bildenden Kunst verarbeitet, war die politische Haltung, die mit diesen Hüten verbunden wurde, für jeden zu entschlüsseln. Daher konnte schon die Darstellung von Hüten für Aufregung sorgen, wie etwa das romantische Gemälde von Faust und Gretchen im 19. Jahrhundert von Franz Dobiaschofsky (Sammlung der Gemäldegalerie, Belvedere, Wien) aus dem Jahr 1848. Faust war darauf ursprünglich mit einem Kalabreser in der Hand und einer schwarz-rot-goldenen Schärpe dargestellt. Als das Gemälde
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1848 im Wiener Kunstverein ausgestellt wurde, schritten die Ordnungshüter ein. Das Bild wurde abgehängt und musste vom Künstler umgemalt werden: Die Schärpe verschwand, der Kalabreser wurde durch einen Zylinder ersetzt. War der Zylinder in den Jahren nach der Französischen Revolution noch Zeichen der Republikaner, stand er nach 1848 für die bürgerliche Ordnung, während der Name „Demokratenhut“ auf den von den Revolutionären getragenen Kalabreser übergegangen war. Weil Kopfbedeckungen ein gesellschaftlicher Code waren (und es zum Teil heute noch sind), war (und ist) es nicht egal, wer welche Kopfbedeckung trug (und trägt): Könige haben ein gekröntes Haupt, während Knechte barhäuptig waren. Die Kopfbedeckung steht symbolhaft für die Macht ihres Trägers – wahrscheinlich kann das nicht besser beschrieben werden als mit dem Gessler-Hut in Schillers Wilhelm Tell, der gegrüßt werden muss, obwohl ihn niemand aufhat. Nicht nur vordergründig „politische Hüte“, wie der Hut der Habsburger im Wilhelm Tell oder der Kalabreser der Revolutionäre von 1848, haben eine politische Dimension, sondern etwa auch religiöse und sogar vermeintlich „unpolitische“ Kopfbedeckungen. Eine Muslimin wurde wegen des Tragens einer Burka letztes Jahr in Wien aus ihrem Deutschkurs verwiesen – mit der Begründung, dass ihre Verschleierung ein Statement der Integrationsunwilligkeit und des religiös-politischen Radikalismus sei. Dass sie dies auch schriftlich von ihrem Deutschlehrer bekam, verweist deutlich auf den Konnex zwischen veränderten gesellschaftspolitischen Bedingungen in Österreich und den Assoziationen, die Kopfbedeckungen hervorrufen können. Hüte und andere Kopfbedeckungen waren nach außen getragenes Zeichen des gesellschaftlichen Standes des Trägers oder auch der Trägerin – quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Noch heute gibt es Relikte dieses Codes: etwa in Redewendungen wie „den Hut aufhaben“ oder auch in tradierten Berufstrachten wie der weißen Rauchfangkehrermütze, dem feierlich-repräsentativen Talar und Barett des Richters, die ihn als Amtsträger ausweisen, oder in Uniformen. Die Kopfbedeckung ist bei weitem nicht nur Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe und Kennzeichnung des gesellschaftlichen Rangs, sondern sie erweckt Assoziationen und Emotionen bei den anderen und verraten – scheinbar – vieles über Mentalität, Kultur und Religion ihres Trägers oder ihrer Trägerin. Kopfbedeckungen stehen daher nicht für sich selbst. Sie sind immer abhängig vom Träger oder der Trägerin und davon, wie sie gesellschaftlich dekodiert werden. Sie sind mehrschichtig, verweisen jedoch immer auf das Wechselspiel zwischen Macht und Identität. Die Ausstellung spürt der Symbolhaftigkeit von Kopfbedeckungen in der Wiener Geschichte von 1848 bis heute anhand von fünf Themen nach, bei denen es „um den Kopf
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ging“. Dabei werden die Geschichten der TrägerInnen mit einzelnen „Hutgeschichten“ verwoben, die Kopfbedeckungen also eingebettet in ihren jeweiligen Kontext. Damit lässt sich, so unsere These, eine Sozialgeschichte Wiens anhand von Kopfbedeckungen erzählen. Denn Kopfbedeckungen stehen immer sowohl für Stand und Uniformität als auch für Individualität – also gleichsam für gesellschaftliche wie persönliche Identität. HUT AUF! – Politische Köpfe thematisiert zum einen den Machtanspruch, der politischen Kopfbedeckungen inhärent ist. Herrscher haben andere Kopfbedeckungen als Beherrschte, Revolutionäre andere als die Reaktion. Kopfbedeckungen lassen auf den ersten Blick erahnen, welcher politischen Richtung die/der jeweilig/e TrägerIn zuzuordnen ist. Die Bedeutungsverschiebungen der einzelnen Kopfbedeckungen werden ebenso erzählt wie die Politik mit Kopfbedeckungen. Das Kapitel spürt zum anderen aber auch selbstbestimmten Formen der politischen Identitätsfindung und des Widerstands nach. HUT AB? – Kopfsache Emanzipation erzählt Emanzipationsgeschichten anhand von unterschiedlichen Kopfbedeckungen und ihrer Trägerinnen. Da sind etwa die Kämpferinnen für Frauenrechte, es kommen jedoch auch Tänzerinnen und Schönheitsköniginnen, feministische Musliminnen und Literatinnen zu Wort. Dabei gilt es, anhand der Kopfbedeckungen zu zeigen, welches Emanzipationsverständnis die einzelne Trägerin hatte und wie sie dieses nach außen trug. „Aneignung“ und „Selbstbestimmung“ sind nicht nur Schlagworte der Emanzipationsbewegung, sondern auch Begriffe, die sich mit konkreten Kopfbedeckungen verbinden lassen. HÜTE DICH! – Religion auf den Köpfen geht von den religiösen Vorschriften aus und untersucht, wer, wann, welche Kopfbedeckung tragen musste, um die Religionsgesetze zu befolgen. Während die Bedeckung des Kopfes für Frauen vorgeschrieben ist, ist sie für Männer Brauch und Tradition. Der normativen Ebene werden Kopfbedeckungen einzelner Menschen der verschiedensten Religionen gegenübergestellt und damit auf ein oft flexibel gestaltetes Verhältnis von Norm und Praxis verwiesen. Weil religiöse Kopfbedeckungen auch von außen als Identität prägendes Zeichen wahrgenommen werden, wecken sie oft unterschiedliche Emotionen und Vorurteile, die mit dem Selbstbild des Trägers oder der Trägerin nicht übereinstimmen müssen. ALTER HUT, NEUER HUT – Verkopfte Identitäten zeigt anhand von Kopfbedeckungen aus der vergangenen und gegenwärtigen Wiener Stadtgesellschaft, wo ständische Ordnung damals wie heute am Kopf abzulesen war und
wie sich die Individualisierung der modernen Stadtgesellschaft schließlich auf die Kopfbedeckungen und ihre TrägerInnen auswirkte. Kopfbedeckungen spielen als Abgrenzungsmerkmal städtischer Gruppen damals wie heute eine wichtige Rolle, sie sind Symbol für soziale Schichten wie Berufsgruppen, Individualisten wie Subkulturen. GUT BEHÜTET – Wiener Mode für den Kopf erzählt im letzten Kapitel der Ausstellung die Geschichte der Hutstadt Wien und ihrer Hutfirmen. Ausgehend von etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Wien eine Vielzahl an zum Teil bedeutenden Hutfirmen gegründet. Über zwei Weltkriege hinweg konnten sich nur wenige halten, die Hutkrise ab den 1960er Jahren bedeutete schließlich das Ende der meisten Hutgeschäfte. Thematisiert werden Strategien gegen den Untergang, Produktionsmethoden und Wettbewerbsvorteile, gezeigt werden typische und untypische, vor allem aber mit den Firmen verbundene Kopfbedeckungen. Ein Ausblick zeigt ins Morgen: Die Modeschule Hetzendorf hat im deutschsprachigen Raum die einzige ModistInnenausbildung. Ihre AbgängerInnen verstehen ihre Arbeit unter einem künstlerischen Aspekt und beschäftigen sich – wie auch zeitgenössische KünstlerInnen – mit den Möglichkeiten des Huttragens in der Zukunft.
Die Modesammlung des Wien Museums ist mit über 23.000 Teilen eine der größten Europas, ein beträchtlicher Anteil ist die Hutsammlung mit ca. 1.400 Objekten. Alfred Kunz, der erste Direktor der Modeschule der Stadt Wien, gründete die Modesammlung nach dem Zweiten Weltkrieg, 1956 wurde sie dem Historischen Museum der Stadt Wien (heute Wien Museum) übergeben. Seitdem wird die Sammlung kontinuierlich erweitert, allerdings mit dem Ziel, die Entwicklung der Wiener Mode anhand dieser Sammlung darzustellen. Für die Ausstellung Chapeau! konnten wir aus dem großen Fundus an Kopfbedeckungen schöpfen, der mit seinem zeitlichen Rahmen auch jene der Ausstellung absteckte – also beginnend mit Kopfbedeckungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Besonders für die Kapitel der Ausstellung, die sich den Themen Religion, Emanzipation und Politik beschäftigen, haben wir ergänzende Objekte gesucht, die wir bei vielen kleinen Institutionen und privaten Leihgebern gefunden haben. Einige dieser Kopfbedeckungen werden erstmals in einer Ausstellung gezeigt, viele das erste Mal in einer Ausstellung, die sich mit einem Modethema beschäftigt. Dies spiegelt ein zentrales Anliegen der Ausstellung, nämlich den sozialwissenschaftlichen Blick auf Mode zu öffnen.
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Einzelbild aus der Animation Chapeau! Francesco Ciccolella, 2016
HUT AUF! Politische Köpfe Eine Geschichte von politischer Symbolik auf dem Kopf zu erzählen, bedeutet nicht nur die Kopfbedeckungen der Akteure zu zeigen, sondern auch nach der Bedeutung dieser Kopfbedeckungen zu fragen. Auf der symbolischen Ebene geht es dabei um politische Haltungen und Ideologien – und um Macht. Daher ist die Geschichte von politischen Kopfbedeckungen eine weitgehend männliche Geschichte. Zwar wurde und wird auch mit weiblichen Kopfbedeckungen Politik gemacht, die handelnden politischen Akteure waren und sind bis heute jedoch weitgehend Männer. Politische Haltungen und Ideologien wurden in Wien seit dem 19. Jahrhundert auf dem Kopf getragen. In der Revolution von 1848 kämpften die Aufständischen mit dem weichen und breitkrempigen Kalabreser auf den Barrikaden und grenzten sich mit ihrer Kopfbedeckung ganz bewusst von den reaktionären Zylinderträgern ab. Ihr Kampf spiegelte sich also auch in der Mode am Kopf wider: Je mehr es schien, die Revolutionäre würden siegen, desto weicher und breiter wurden ihre Hüte, die schließlich auch von Frauen getragen wurden. Mit ihrem Scheitern und dem Erstarken der Reaktion kehrte der Zylinder zurück – nun höher und steifer denn je und als Symbol der Wendehälse nicht von ungefähr als „Angströhre“ bezeichnet. Der Zylinder war gegen Ende des 19. Jahrhunderts zwar ein Hut für Bürger und Adel, aber kein Hut für den Kaiserhof – Kaiser Franz Joseph I. trug zumeist einen militärischen Stulphut. Mit dem Ende der Monarchie wurde der
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Zylinder zum Symbol für den neuen Staat, der nun von Bürgern und nicht mehr vom Kaiser regiert wurde. Und in der Ersten Republik tauchte der Zylinder schließlich wieder in der antikapitalistischen Propaganda auf. Mit der zunehmenden politischen Radikalisierung der Gesellschaft marschierten Hüte und Mützen der verschiedenen politischen Lager, auf Demonstrationen und in den späten 1920er und 1930er Jahren im Kampf der Heimwehr gegen den Republikanischen Schutzbund. Wurde dieser Kampf noch gewissermaßen auf Augenhöhe geführt, ging diese im Nationalsozialismus mit der brutalen Unterdrückung und versuchten Vernichtung der Feinde des NS-Regimes verloren. Dies visualisierte sich in mehrerlei Hinsicht am Kopf: Die Totenkopfverbände der Schutzstaffel (SS) beherrschten in ihren Schrecken erregenden Schirmmützen diejenigen, die in den Konzentrationslagern des NS-Regimes inhaftiert waren, gequält und ermordet wurden. Zur Häftlingsuniform gehörte auch eine Mütze, deren Auf- und Absetzen strengsten Regeln unterlag. „Ganze Stunden verbrachten wir damit zu üben, die Mütze auf ein Kommando auf- und abzusetzen“, berichtet der polnische politische Häftling Zygmund Piotrowski aus dem KZ Mauthausen. Juden und Jüdinnen war bereits 1938, kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, verboten worden, Tracht zu tragen – ein äußerliches Zeichen für ihren Ausschluss aus der Gesellschaft. „Meine Identität war gebunden an einen schlecht und recht deutschen Namen und an den Dialekt meines engeren Herkunfts-
landes. Aber den Dialekt habe ich mir nicht mehr gestatten wollen, seit dem Tage, da eine amtliche Bestimmung mir verbot, die Volkstracht zu tragen, in die ich von früher Kindheit fast ausschließlich gekleidet war“, schrieb Jean Améry, der als Hans Mayer 1912 in Wien geboren worden war und das KZ Auschwitz überlebte, in seinem Essayband Jenseits von Schuld und Sühne. Parallel zur Propaganda, die für die nationalsozialistische deutsche Frau keine Kopfbedeckung vorsah, wurde Haute-Couture-Hutmode kreiert und vom NS-Regime gefördert. Dabei ging es vor allem darum, einen „deutschen Stil“ unabhängig von der französischen Hutmode zu entwickeln. Ein Aushängeschild war dabei die Wiener Modistin Adele List. Sie machte über das „Haus der Mode“, das 1939 im Palais Lobkowitz in Wien eingerichtet worden war, Karriere und war auch nach dem Krieg noch erfolgreich und international anerkannt. Der Sieg über das Deutsche Reich 1945 machte die Siegermächte zu den dominierenden Hutträgern. Die Alliierten mit ihren Kappen dominierten noch lange das Straßenbild Wiens. Österreich versuchte einen Neubeginn – auch am Kopf: Fort mit den Besatzungshüten, weg mit den Faschistenhüten! Leopold Figls Hut gab sich, wie dann auch der spätere Staat, neutral. Das neue Österreich sollte von nun an auch durch Hutmode im Ausland propagiert werden. Dazu wurde 1950 das Österreichische Modesekretariat ins Leben gerufen, das Mode – und damit auch Hutmode – durch Modeschauen im Ausland präsentierte. Eine neue österreichische Identität sollte auch über die Mode
geschaffen werden, daher wundert es nicht, dass dafür unter anderem auch auf die Tracht zurückgegriffen wurde. Die Kopfbedeckung trennte noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Konservative von Liberalen, die politische Linke von der Rechten. Generell wurde aber, so überhaupt noch Hut getragen wurde, flexibler mit der Art der Kopfbedeckung umgegangen. Ihr politisch-symbolischer Gehalt ging zurück und war im Wesentlichen nur mehr in Karikaturen oder Wahlplakaten präsent. Real wurden „politische“ Kopfbedeckungen kaum mehr getragen, außer zu spezifischen Anlässen. Eine der letzten Reminiszenzen an die frühere Bedeutung der politischen Kopfbedeckungen war die Affäre um die NS-Vergangenheit des Bundespräsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim 1986. Diese kumulierte in seiner SA- Kappe, die in der Folge zum Symbol der Auseinandersetzung Österreichs mit seiner Vergangenheit wurde. Letztendlich verlor die Kopfbedeckung jedoch weitgehend ihre politische Bedeutung, sieht man von den Konflikten um die Abhaltung des Balls des Wiener Korporationsrings (WKR) bzw. des Wiener Akademikerballs ab: Bei den Demonstrationen gegen diesen Ball der rechten Burschenschaften in der Wiener Hofburg standen und stehen sich jedes Jahr wieder Couleur tragende Verbindungsstudenten und vermummte Demonstranten und DemonstrantinBS nen gegenüber.
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HUT AUF! Revolutions-, Reaktions- und Demokratenhut
Walter Öhlinger
„Des Volkes Krone“ Der Karikaturist Anton Zampis erzählt die Geschichte der Wiener Revolution von 1848 als eine „Chronologie der Kopfbedeckungen“: In seiner grandiosen 32-teiligen Serie aus dem „denkwürdigsten aller Jahre“ schlägt er einen Bogen von der „Schlafmütze“ des Vormärz über die vielfältigen Kopfbedeckungen der Revolutionäre bis zu den pittoresken Mützen der kroatischen Serressaner, die die Revolution im Oktober 1848 niederschlugen, und den als „Angströhren“ verspotteten hohen Zylindern der angepassten Bürger während des nachfolgenden Belagerungszustands. Eine im gleichen Verlag (Johann Höfelich) erschienene anonyme Karikatur zeigt die „Metamorphose in fünf Monaten“ eines Mannes zum Revolutionär. Die einzelnen Bilder sind mit „13. März“, „13. Mai“, „13. Juni“ bzw. „13. Juli“ datiert, dabei werden Haupthaar und Bart des Karikierten immer länger, sein Habitus immer verwegener, vor allem aber ändert sich die Kopfbedeckung: Der hohe, steife Zylinder wird durch niedrigere, weichere Hüte mit immer breiterer Krempe ersetzt, bis er im Juli einen federgeschmückten Kalabreser trägt – was ihn (neben dem demonstrativen Rauchen einer Zigarre in der Öffentlichkeit) endgültig als „Demokraten“ ausweist. Breitkremprige, schwarze Hüte als Kennzeichen revolutionärer Gesinnung: Die politischen Aufladung einer Kopfbedeckung nahm international ihren Ausgangspunkt in der Heimat des „Kalabresers“ – in den Jahren vor 1848 war es im Zuge des italienischen Risorgimento auch in Süditalien, wo man traditionell solche Hüte trug, zu bewaffneten Aufständen gekommen. Als in Wien als Folge der Märzrevolution 1848 eine Nationalgarde aufgestellt wurde, schlossen sich die Studenten im Rahmen dieser Formation zu einer eigenen Akademischen Legion zusammen und wählten als Uniform neben blauen Röcken und hechtgrauen Hosen schwarze Hüte mit breiter Krempe, die mit schwarzen Straußenfedern und schwarz-rot-goldenen Kokarden geschmückt wurden. Das ausgestellte Exemplar
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zeigt eine „gemäßigte“ Version vom März, spätere „Studentenhüte“, auch „Stürmer“ genannt, hatten deutlich breitere Krempen und die Straußenfedern wurden immer größer. Mit ihren fünf jeweils aus mehreren Kompanien bestehenden Korps (Juristen, Mediziner, Philosophen, Techniker und Kunstakademiker) zeitweise rund 6.000 Mann stark, war die Akademische Legion mit Wachtdiensten und Aufmärschen im Stadtbild präsent, bei den im Mai aufflammenden Barrikadenkämpfen und zuletzt bei der Verteidigung der Stadt gegen die konterrevolutionären Armeen von Windischgrätz und Jellaˇ cic stand sie an vorderster Front. Der Student mit Kalabreser wurde zum Inbegriff des Revolutionärs. Die restliche Nationalgarde bekam hingegen Tschakos, die dem „regulären“ Militär angeglichen waren. Diese Garden, gebildet aus Besitz- und Bildungsbürgern, sahen in der Sicherung des Erreichten, im Schutz des bürgerlichen Eigentums vor Plünderungen und einer drohenden sozialen Revolution ihre vorrangigen Ziele – „Die Parole heißt Ordnung und Sicherheit“, lautete der Refrain des Nationalgarde-Liedes. Damit gerieten sie in Widerspruch zu den „unteren“ Schichten, blutige Zusammenstöße mit den verzweifelt um ihre Existenz kämpfenden Arbeitern waren die Folge. Anders die Studenten: Als im Mai die Auflösung ihrer Akademischen Legion drohte, gelang es ihnen, Arbeiter und Arbeiterinnen in Massen dagegen zu mobilisieren. Zahlreich sind die Bilder, die Studenten mit Kalabresern, Arbeiterinnen mit ihren breiten Strohhüten und Arbeiter mit ihren charakteristischen Kappen Seite an Seite auf den Barrikaden zeigen. „Das unter Einen kleinen Hut / Ein ganzes Volk zu bringen, / Das konnte dem Studentenhut, / Bei Gott, allein gelingen!“, dichtete daraufhin Ludwig Eckardt im Studentenlied vom deutschen Stürmer, das mit den Worten endet: „Ich tausche meinen Hut nicht ein / Gen Fürstengold und Throne – / Die schönste Krone ist ja mein, / Mein Stürmer ist des Volkes Krone!“
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HUT AUF! Revolutions-, Reaktions- und Demokratenhut
Hut der Akademischen Legion, 1848 Seidenfilz, Lederband, Kokarde, Straußenfeder H: 16 cm; Dm: 33 cm Wien Museum, Inv.-Nr. HMW 65823/1
Mit Straußenfedern und schwarz-rotgoldenen Kokarden schmückten die Revolutionäre von 1848 ihre breitkrempigen schwarzen Kalabreser-Hüte. Besonders die Studenten und ihre „Akademische Legion“ waren Träger der revolutionären Forderungen. Sie waren im Wiener Stadtbild präsent und kämpften an den Barrikaden. Ihr Hut war Symbol der 1848er-Revolution.
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HUT AUF! Revolutions-, Reaktions- und Demokratenhut
Zylinder von Johann Strauß Sohn, 1890 Seidensamt, Filz, Rips, Leder H: 16 cm; Dm: 30 cm Wien Museum, Inv.-Nr. M 10475/2
Johann Strauß Sohn hatte als Sympathisant der 1848er-Revolution einige Werke für diese komponiert. Danach musste er schnell erkennen, dass seine politische Haltung seiner Karriere nicht förderlich gewesen war. Erst nachdem er den in der Revolution als „Angströhre“ verspotteten Zylinder aufgesetzt hatte, wurde er 1863 zum Hofballmusikdirektor ernannt.
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HUT AUF! Revolutions-, Reaktions- und Demokratenhut
Karl Renner bei den Friedensverhandlungen von St. Germain, 10. Juni 1919
< 1848. 1849. / Die Zeiten ändern sich und wir – mit ihnen. Karikatur von Karl Lanzedelly Kolorierte Lithografie H: 20,4 cm; B: 25,4 cm Wien Museum, Inv.-Nr. HMW 20432
Mit dem Scheitern der Revolution von 1848 änderte sich schnell auch das Äußere von so manchem früheren Revolutionär. Hatte dieser Mann eben noch den Kalabreser der Revolutionären getragen, zeigt er sich 1849 bereits in kaiserlicher Uniform mit Tschako. Karikaturen wie diese zirkulierten nicht grundlos nach der Revolution – die Zahl der Wendehälse war groß.
Fotografie (Reproduktion) aus dem Gedenkalbum des ÖGB für Karl Renner zum 80. Geburtstag H: 15,5 cm; B: 23,4 cm Dr. Karl Renner Museum für Zeitgeschichte, Gloggnitz
Karl Renner, der erste Staatskanzler der 1918 gegründeten Republik DeutschÖsterreich, leitete nach Ende des Ersten Weltkriegs die österreichische Delegation bei den Friedensverhandlungen von Saint Germain. Nach Beendigung der Gespräche folgte die Unterschrift des Friedensvertrags. Karl Renner schritt zu diesem Akt mit bürgerlichem Zylinder.
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HUT AUF! Revolutions-, Reaktions- und Demokratenhut
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HUT AUF! Krieg der Hüte
Kappe eines Angehörigen der Heimwehr, um 1934 Wollstoff, Kunststoff, Metall, Hahnenfeder H: 16 cm; B: 21 cm; T: 22 cm Heeresgeschichtliches Museum /Militärhistorisches Institut, Wien, Inv.-Nr. 1996/01/015-24
Ursprünglich aus überparteilichen, nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Selbstschutzverbänden zusammengesetzt, wurde die Heimwehr zur bewaffneten bürgerlichen und zunehmend antidemokratischen Kampfbewegung. Charakteristisch an ihrer Uniform war vor allem die mit einer Hahnenfeder geschmückte Kappe, die ihren Mitgliedern den Namen „Hahnenschwanzler“ gab.
Kappe eines Angehörigen des Republikanischen Schutzbunds (SDAP), um 1930 Wollstoff, Kunststoff, Metall H: 15 cm; B: 22 cm; T: 25 cm Heeresgeschichtliches Museum /Militärhistorisches Institut, Wien, Inv.-Nr. 0000/01/NI124761/1
Als Reaktion auf die Heimwehr wurde auch auf sozialdemokratischer Seite eine bewaffnete Arbeiterwehr gegründet, die sich 1923 „Republikanischer Schutzbund“ nannte. Ähnlich wie die Heimwehr war auch sie uniformiert. Die Kämpfe zwischen Heimwehr und dem ab 1933 verbotenen Schutzbund mündeten mit den Februarkämpfen 1934 schließlich in die austrofaschistische Diktatur.
< Aufmärsche 1927–1932 Collage mit Filmausschnitten aus: „Die große Demonstration der Wiener Arbeiterschaft am 12. November 1927“ Österreichisches Filmmuseum „Zehn Jahre Republik“, 1928 Produktion: Allianz Film Wien, Filmarchiv Austria „Der Marsch der Heimwehren durch Wien“, 1930 Österreichisches Filmmuseum Aufmärsche der Nationalsozialisten, 1932, aus: „Hakenkreuz über Österreich“, 1932, Filmarchiv Austria Montage: ZONE Wien
In den 1920er und 1930er Jahren verschärfte sich die politische Spaltung der Bevölkerung. Massendemonstrationen der verschiedenen politischen Lager zogen durch die Straßen. Erkennbar waren sie unter anderem an ihren Kopfbedeckungen.
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HUT AUF! Krieg der Hüte
Alexia Weiss
Macht und Ohnmacht Ich stelle mir vor, wie es sich angefühlt haben muss. Ich trage meine gestreifte Häftlingsmütze, es ist windig, in meinen Händen ist ein schwerer Stein. Ich muss ihn sinnloserweise ins Lager schleppen und wieder zurück. Hinter mir geht einer nach dem anderen, wir quälen uns einen Meter weiter und noch einen und noch einen. Die Steine werden nicht gebraucht. Wir müssen sie dennoch schleppen. Ich habe Sorge, dass der Wind meine Kappe fortträgt, denn ohne Kappe darf ich das Lager nicht betreten. Dann wäre ich tot. Sofort. Ich spüre, wie die Kappe verrutscht, aber ich kann sie nicht richten. Wenn ich den Stein fallen lasse, störe ich den Gang der Kolonne, ich sorge für Aufsehen, auch das ein Risiko. Ich nehme all meine Kraft zusammen, presse den Stein für einen kurzen Augenblick mit der linken Hand gegen meine Brust, richte mit der rechten Hand die Kappe, versuche dennoch weiterzugehen. Es hat geklappt. Innerliches Aufatmen. Schon wenn ich mir das vorstelle, steigt in mir Beklemmung hoch, Angst, Ohnmacht. So oder so ähnlich muss es den KZ-Häftlingen ergangen sein. Der Auschwitz-Überlebende Walter Fantl-Brumlik erzählt noch Schlimmeres. Er war gelernter Schlosser und im Reichsbahnwerk eingesetzt. Der Weg dorthin und zurück ins Lager barg jeden Tag das Risiko, erschossen zu werden. „Die SS-Männer, die uns begleitet haben, haben oft so Spielchen gemacht, oft haben sie einem Häftling die Kappe vom Kopf gerissen und über den Sperrbereich geworfen, das war wie ein Todesurteil“, sagte er in einem Zeitungsinterview 2015 anlässlich seines 90. Geburtstages. Denn ohne Kappe war ja keine Rückkehr ins Lager möglich – das Betreten des Sperrbereichs aber auch nicht. „Wenn man die Kappe geholt hat, haben sie einen abgeknallt – auf der Flucht erschossen.“
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Die SS, sie trug hohe Kappen, mit Reichsadler und einem sofort ins Auge stechenden Totenkopfsymbol. Jene, die in den Konzentrationslagern Aufsichtsdienst versahen, gehörten oft Verbänden an, die sich sogar nach diesem Symbol benannten: SS-Totenkopfverbände. Auch in Mauthausen war dieser Wachdienst eingesetzt. Wie Militär- und Polizeiuniformen generell müssen diese Kappen, die den Träger auch noch ein Stückchen größer, imposanter machten, die SS-Aufseher mit einer großen Portion Autorität versehen haben – im Selbstverständnis einerseits, in der Wahrnehmung durch die Lagerinsassen andererseits. Da waren die völlig entrechteten Häftlinge in ihrem schmutzigen, stinkenden Häftlingsgewand, das sie noch weiter entmenschlichte, das sie klein machte und hilflos. Und da standen die SS-Männer in ihren gebügelten Uniformen und den Totenköpfen auf ihren Kappen. Die metallenen Totelschädel mit den zwei gekreuzten Knochen, sie schrien geradezu: „Ich bin der Tod. Ich bin dein Tod. Jederzeit. Mach bloß keinen Fehler. Ich bin gnadenlos.“ Jeder dieser SS-Aufseher hatte die Macht, in jedem Augenblick über Leben und Tod zu entscheiden, denn er hatte sich dafür während des NS-Terrorregimes nicht zu verantworten. Die Schuld trug immer der Häftling. Nach Ende des nationalsozialistischen Wahnsinns drehte sich freilich das Blatt. Recht und Unrecht kamen wieder in Balance. Die mit den Totenkopfkappen, sie hatten sich (im Idealfall) vor Gericht zu verantworten. Die mit den Häftlingsmützen, die überlebt hatten, sie sagten (ebenfalls im Idealfall) als Zeugen aus. Was mögen die einen zu Kriegsende mit ihren Kappen gemacht haben, die anderen bei ihrer Befreiung aus einem KZ mit ihren Mützen?
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HUT AUF! Krieg der Hüte
Schirmkappe eines Unterführers der Waffen-SS, 1939–1945 Wollstoff mit schwarzem Lackschirm, Hakenkreuzadler und Totenkopf (Aluminium), schwarzer Ledersturmriemen H: 15 cm; B: 25 cm; T: 30 cm Kreismuseum Wewelsburg, Büren – Wewelsburg, Deutschland, Inv.-Nr. 15280
Das NS-Regime diktierte eine neue Gesellschaftsordnung und zielte auf die Vernichtung seiner Gegner ab. Als Eliteeinheit fungierte dabei die SS (Schutzstaffel), die zum wichtigsten Machtinstrument Hitlers wurde und deren Totenkopfverbände für sämtliche Konzentrationslager im Deutschen Reich zuständig waren. Innerhalb der KZs entschied die SS über Leben und Tod, ihre Kappen waren Zeichen ihrer Macht.
Mütze eines KZ-Häftlings, 1938–1945 Textil gefüttert, Innenseite: Häftlingsnummer 2215 H: 5 cm; Dm: 23 cm Bundesministerium für Inneres, Abteilung IV/7, KZ-Gedenkstätte Mauthausen, Inv.-Nr. OS0428
Politisch Andersdenkende, Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti, Homosexuelle, „Asoziale“ und „Verbrecher“ wurden vom NS-Regime in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. Wer im Lager als „arbeitsfähig“ aufgenommen wurde, bekam eine Häftlingsuniform. Ihre Kappe bedeutete mögliches Überleben ebenso wie Diskriminierung. Wer die Kappe verlor, wurde erschossen.
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HUT AUF! Hutpolitik im Nationalsozialismus
Trachtenhut von Alfons Wittels, 1930er Jahre Filzhut mit Gamsbart und Anstecknadel H: 16,5 cm; B: 31 cm Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien, Inv.-Nr. ÖMV/85263/000
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Der 1931 in Wien geborene Alfons Wittels floh als jüdisches Kind 1938 vor den Nationalsozialisten nach Südamerika. Seinen Trachtenhut nahm er mit und behielt ihn die ganze Zeit über bis zu seiner Rückkehr nach Wien. Er war für ihn ein Stück der verlorenen Heimat.
HUT AUF! Hutpolitik im Nationalsozialismus
< Familie Mautner in Tracht, Anfang 20. Jahrhundert Fotografie, Holzrahmen mit Goldinnenleiste, unter Glas L: 13,8 cm; B: 17,6 cm Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien, Inv.-Nr. ÖMV/44203
Der Direktor des Österreichischen Museums für Volkskunde, Arthur Haberland, sah 1938 in der systematischen Beraubung der jüdischen Bevölkerung eine Möglichkeit, wertvolle Objekte für seine Sammlung zu rekrutieren. So wurde unter anderem die Trachtensammlung Konrad Mautners (1880–1924) von dessen Witwe Anna „arisiert“ und kam ins Museum. Jahrzehntelang wurde die jüdische Herkunft des Trachtenexperten verschwiegen.
< Nationalsozialistische Karikatur zum Trachtenverbot für Juden, 1938 Wiener Mode, Jg. 52, H. 4, 1939
Reproduktion, Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 30. 6. 1938 H: 20,5 cm; B: 9,4 cm Österreichische Nationalbibliothek
Druck H: 32,5 cm; B: 46 cm (aufgeschlagen) Wien Museum, Inv.-Nr. MB 9017/II
Das NS-Verbot für Juden, Trachten zu tragen, war im Juni 1938 von Salzburg ausgehend in allen Bundesländern durchgesetzt worden. Neben der zunehmenden Entrechtung und Verfolgung war dies ein symbolischer Schritt zum Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus der Gesellschaft.
Die Zeitschrift Wiener Mode war ab 1939 das Organ des nationalsozialistischen „Haus der Mode“. Sie berichtete über Modeschauen und Designer, die dem NS-Regime nahestanden, und versuchte, Wien als Zentrum der „deutschen Modeund Geschmacksindustrie“ im nationalsozialistischen Sinn zu etablieren.
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HUT AUF! Hutpolitik im Nationalsozialismus
Barbara Staudinger
„Für den Typ der deutschen Frau“ Adele List und ihre Hüte
Adele List war die unumstrittene Doyenne der Wiener Hutmacherszene – eine ganz Große. Ihre Kreationen, die sich kaum an einer modischen Vorgabe orientierten, waren einzigartig, ihr Stil speziell. Turbane aus schmalen Filzstreifen legen sich elegant um den Kopf, Federn an Hüten und Kappen imitieren Frisuren … Jeder Hut ist einmalig und doch mit der Handschrift von Adele List gemacht. Sammlungen von List-Hüten befinden sich heute in Museen: im Museum für angewandte Kunst und im Wien Museum. Ihr Name ist noch immer international bekannt. Hut-Haute-Couture aus Wien, das ist Adele List. Die im 1893 niederösterreichischen Pottendorf geborene Modistin hatte eine einzigartige Karriere hingelegt. Schnell war sie der Provinz entflohen und hatte sich 1924, nach einer Lehrzeit in St. Pölten und Paris, schließlich in Wien selbständig gemacht – ihr Salon befand sich ab 1926 in der Krugerstraße 3 im ersten Bezirk. Nachrufe verschweigen meist jene Jahre, die vor „dem großen Durchbruch“ lagen. So auch bei Adele List. Die ersten zehn Jahre ihres Geschäfts waren wohl dem Aufbau der Klientel gewidmet, schließlich gelang es ihr, Mitte der 1930er Jahre, als in Deutschland Hitler bereits an der Macht war, ihre Kollektionen an führende Modehäuser des Reichs zu verkaufen. Von da an war ihre Karriere nicht mehr zu bremsen. Unterstützt wurde sie dabei nicht zuletzt von der nationalsozialistischen Politik, die nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich Wien als deutsche Modestadt, als „Zentrum der deutschen Geschmacksindustrie“ etablieren wollte. 1939 wurde dies im „Haus der Mode“ im Palais Lobkowitz realisiert – und Adele List war von Anfang an dabei. Zuvor hatte sie bereits das Inventar einer benachbarten Modistin „arisiert“ und ihren Salon in deren Wohnung verlegt: Krugerstraße 2/ Kärntner Straße 45 lautete nun ihre Adresse.
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In der Literatur liest man heute noch oft von „Zwangsmitgliedschaft“ oder vom „großen Nachdruck“, dem viele Modemacher und Modemacherinnen nachgaben und Mitglieder beim „Haus der Mode“ wurden – Tatsache ist, dass List bereits bei der ersten Modeschau des NS-Instituts vertreten war und in Folge von dessen Förderung profitierte. Denn das „Haus der Mode“ propagierte keine Mode für die Masse, sondern Haute Couture made im Deutschen Reich – für die deutsche Frau, die sich nun von Pariser Einflüssen, von der französisch dominierten Mode lossagte. Adele Lists Hüte passten in dieses Konzept: Sie waren eigenständige Kunstwerke, keine Zitate des Pariser Hut-Chics, sie versinnbildlichten geradezu den neuen Geschmack. Kein Wunder also, dass sich die nationalsozialistischen Modemagazine in ihrem Lob überschlugen. „Wir haben seit Kriegsausbruch zum erstenmal eine Hutmode, die deutsche Modeschöpfer für den Typ der deutschen Frau geschaffen haben.“ „Alle Modelle: Adele List“ steht lapidar auf derselben Seite der Zeitschrift Die Mode aus dem Jahr 1941, die mit Abbildungen verschiedener Hutmodelle illustriert ist. Adele List war keineswegs die Einzige: Gemeinsam mit dem Hutsalon „Roberta“, deren Inhaberin Käthe Niernsee NSDAP-Mitglied war, ist sie in praktisch jeder Ausgabe der Zeitschriften Die Mode, Wiener Mode oder auch Die Dame vertreten – Adele List hatte den Höhepunkt ihrer Karriere erreicht. Und es war ja „nur“ die Mode, die Adele List mit dem NS-Regime verband. Zumindest ließ sich dies nach 1945 so darstellen – und so ging ihre Karriere auch nach dem Zweiten Weltkrieg ungebrochen weiter. Als sie 1983 verstarb, war in keinem Nachruf das Wort „Profiteurin“ zu lesen – eine Erzählung, die sich bis heute fortsetzt.
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HUT AUF! Hutpolitik im Nationalsozialismus
Damenkappe, um 1940 Adele List Ara-Federn, Satin, Ripsband geklebt H: 11 cm; Dm: 19 cm Wien Museum, Inv.-Nr. M 15284
Die Modistin Adele List machte im Nationalsozialismus Karriere. Bereits seit 1937 hatte sie intensiven Kontakt mit führenden deutschen Modehäusern, seit seiner Gründung wurde sie Mitglied des nationalsozialistischen „Haus der Mode“ in Wien. Ihre Kollektionen wurden von den führenden Modemagazinen des Deutschen Reichs gefeiert.
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HUT AUF! Besiegte, befreite und das neue Ă&#x2013;sterreich
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KAPITEL Besiegte, befreite und das neue Österreich
Wahlplakat Nationalratswahlen SPÖ, 1945 Druck H: 86 cm; B: 61 cm VGA, Wien, Inv.-Nr. 4/0/0/0/41
Nachdem im April 1945 eine provisorische Staatsregierung gebildet worden war, fand am 25. November die erste Nationalratswahl der Zweiten Republik statt. Die SPÖ, die für die Wahl mit einer symbolischen Beseitigung der „alten Hüte“ geworben hatte, wurde bei dieser Wahl die zweitstärkste Kraft, Karl Renner, der im Zylinder die Erste Republik begründet hatte, erster Bundespräsident der Zweiten Republik.
Homburg von Leopold Figl, 1955 Filz, Rips H: 13 cm; Dm: 25 cm Habig Hutarchiv, Wien
Der ÖVP-Politiker Leopold Figl wurde zum ersten Bundeskanzler der Zweiten Republik gewählt, er wurde zum Kanzler des Staatsvertrags. Sein Hut, den er bei der feierlichen Verkündigung trug, symbolisiert in seiner geradezu bescheidenen Unauffälligkeit das neue Österreich. Er wurde von der Familie Habig erworben.
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HUT AUF! Besiegte, befreite und das neue Österreich
Uniformmütze eines Offiziers der US-Armee, 1945–1950 Wolle H: 13 cm; L: 28,5 cm Wien Museum, Inv.-Nr. HMW 250746
Nach Kriegsende bestimmten noch lange die Alliierten und ihre Uniformkappen das Wiener Straßenbild. Die Siegermächte hatten Wien in vier Besatzungszonen geteilt, der US-amerikanische Sektor umfasste die Bezirke 7, 8, 9, 17, 18 und 19. Amerikanische Zigaretten, die von US-Soldaten in das besetzte Wien gebracht wurden, dienten als „Ersatzwährung“.
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HUT AUF! Besiegte, befreite und das neue Österreich
Hutspange „Gift Parcels“ Federn, Viskose L: 42 cm; B: 12 cm Wien Museum, Inv.-Nr. M 22675
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden aus den USA sogenannte „Gift Parcels“ mit gebrauchter Kleidung an die notleidende österreichische Bevölkerung versandt. Diese Hutspange wurde Gertraud Budischek in einem dieser Pakete von Verwandten geschickt, die in die USA emigriert waren. Der auffällige Kopfschmuck wurde in Wien zum Zeichen amerikanischen Wohlstands, zur Kopfbedeckung der Sieger.
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HUT AUF! Österreichs Vergangenheit – Österreichs Zukunft
Damentrachtenhut des Österreichischen Modesekretariats, 1959 Filz, Baumwollkordel, Rips H: 12 cm; Dm: 30 cm Wien Museum, Inv.-Nr. M 6025
Die vom Österreichischen Modesekretariat präsentierte Hutmode sollte einerseits modern sein, andererseits aber auch Tradition vermitteln. Immer wieder wurde daher auch zur Tracht gegriffen und diese neu interpretiert.
> Einladung zur Modeschau des Österreichischen Modesekretariats, 1950 Druck H: 19,7 cm; B: 14,7 cm Wien Museum, Inv.-Nr. MB 19853
Das Österreichische Modesekretariat wurde 1950 gegründet, um den Export österreichischer Mode anzukurbeln und das neue Image Österreichs im Ausland zu propagieren. Adele List setzte ihre Karierre fort.
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HUT AUF! Österreichs Vergangenheit – Österreichs Zukunft
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HUT AUF! Österreichs Vergangenheit – Österreichs Zukunft
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Bruno Kreisky und Yassir Arafat, Wien 1979
> Mao-Schirmkappe der Studentenbewegung, 1968
Fotografie H: 15,3 cm; B: 23 cm Internationale Pressebildagentur Votava, Archivnummer 4349 Bildarc
Baumwollgemisch, Metall, Kunststoff H: 8 cm; Dm: 23 cm Archiv der sozialen Bewegungen / Wien, St. Pölten
Im Nahostkonflikt hatte sich die Kufiya, das Palästinensertuch, zum antiisraelischen Symbol der kämpfenden Palästinenser entwickelt. Sein prominentester Träger war der PLO-Chef Yassir Arafat, ein umstrittener politischer Freund Bruno Kreiskys.
In den 1968er-Studentenrevolten traten die Maoisten erstmals in Wien verstärkt an die Öffentlichkeit. Die Chinesische Revolution schien für viele kommunistische Studentinnen und Studenten die bessere Alternative des Kommunismus sein. Diese Kappe wurde von einem Alt-68er dem Archiv der sozialen Bewegungen überlassen.
HUT AUF! Österreichs Vergangenheit – Österreichs Zukunft
Prince of Wales Hat von Bruno Kreisky, 1988 Rips, Kunstleder H: 12 cm; Dm: 30 cm Kreisky Archiv, Inv.-Nr. G 80
Bruno Kreisky (Bundeskanzler 1970–1983) war und ist das Aushängeschild der Sozialdemokraten. Selbst aus bürgerlichem Milieu stammend, trug er selten Kopfbedeckungen. Wenn er es doch tat, so griff er dem Anlass entsprechend auch zu bürgerlichen Hüten – etwa zur Verleihung seiner Ehrendoktorwürde im Jahr 1988.
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HUT AUF! Österreichs Vergangenheit – Österreichs Zukunft
Doron Rabinovici
Monument in Bewegung Es ist das Monument einer Bewegung. Das Holzpferd war eine mobile Statue und ein kollektives Werk zugleich. Es gründete auf der Lüge des Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim, nie bei der SA oder dem NS-Reiterkorps gewesen zu sein, denn als ihm das Gegenteil bewiesen wurde, erklärte der Politiker, er sei „ja nur mitgeritten“. „Ich stelle fest, dass nicht Waldheim bei der SA war, sondern nur sein Pferd“, sagte daraufhin Bundeskanzler Fred Sinowatz. Und Manfred Deix zeichnete eine Karikatur: Waldheim auf seinem Pferd mit SA-Kappe und Hakenkreuzbinde schimpft: „Du bist schuld, wenn i später amal Schwierigkeiten krieg, du saublödes Viech!“ Eine kleine Runde im Wiener Volkstheater ersann das Holzpferd. Peter Turrini griff den Satz des Kanzlers und die Darstellung von Deix auf, als er die Idee vorbrachte. Kuno Knöbl meinte hierauf, Alfred Hrdlicka solle sogleich – an Ort und Stelle – eine Skizze machen. So entstand der Entwurf jenes Zugtieres, das zu einem Symbol der Zivilgesellschaft werden sollte, während dieser einen Sitzung im Büro des Theaterdirektors. Das Holzpferd wurde zum Symbol des Republikanischen Club – Neues Österreich, jener Organisation, die einen Nukleus des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rassismus und für Menschenrechte bilden sollte. Das Streitross wurde zum Schreckgespenst des Bundespräsidenten und seiner Anhänger. Kaum war das Denkmal gegen Verlogenheit und Gedächtnisschwund aufgestellt, flohen das Staatsoberhaupt und seine Entou-
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rage. Es war ein „Riding“-Gag. Flog der Präsident nach Rom, stand das Holzpferd schon da, und nicht der hohe Besuch, sondern die kritische Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart gerieten ins Zentrum der Berichterstattung. Das Holzpferd wurde zu unserem Treffpunkt. Nach Waldheims Angelobung kam Elfriede Jelinek zur Kundgebung und bat eine Freundin, ihren Text vorzutragen. Erich Fried schickte eine Grußadresse. Ein Essay von Peter Handke leitete die Streitschrift Die Pflichterfüllung ein. In Kundgebungen und Veranstaltungen sprachen Rosa Jochmann, Gerhard Bronner, Gerhard Roth, Robert Menasse, Robert Jungk, Oswald Oberhuber, Adolf Frohner, Georg Chaimowicz, Josef Haslinger und Robert Schindel – um nur einige zu nennen. Diese intellektuelle Auseinandersetzung prägte die Kunst und die Literatur. Die Diskussion über die historische Verantwortung Österreichs riss nicht mehr ab. Mit dem Holzpferd waren wir zu Vorreitern der Debatte geworden. Das Holzpferd ist bis heute noch im Einsatz. Immer wieder führt es Demonstrationen an. Es zierte 2005 die Ausstellung Jetzt ist er bös, der Tennebaum im Wiener Jüdischen Museum und sein Modell steht jetzt dort in der Dauerschau. Derzeit steht es im Wien Museum. Es ist das Maskottchen der österreichischen Zivilgesellschaft. Es ist ein Mahnmal gegen galoppierende Geschichtsleugnung. Es ist ein Sinnbild der Erinnerung.
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Modell des Waldheim-Holzpferds, 1986 H: 45,5 cm; B: 15 cm; L: 57 cm Eigentümer: Republikanischer Club – Neues Österreich Dauerleihnehmer: Jüdisches Museum Wien
Das Waldheim-Holzpferd und sein Modell wurden im Auftrag des Republikanischen Club – Neues Österreich nach einer Handskizze von Alfred Hrdlicka von einer Wiener Bühnenwerkstätte produziert. Seit 2013 ist es Teil der permanenten Ausstellung Unsere Stadt! Jüdisches Wien bis heute im Jüdischen Museum Wien und befindet sich nun auf einem einmonatigen Besuch in dieser Ausstellung. Die Ausrede des Bundespräsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim, er sei bei der SA nur „mitgeritten“, aber nie deren Mitglied gewesen, mobilisierte die Zivilgesellschaft, die Auseinandersetzung Österreichs mit seiner Rolle im Nationalsozialismus zu fordern. Das mit der SA-Kappe Waldheims gekrönte Holzpferd wurde zu ihrem Symbol.
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