Karl Vocelka
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ruhte. Diese Gruppe der Gesellschaft, die keine Ehe eingehen konnte und daher auch keine Vererbung des Besitzes kannte, fand ihre Ergänzung durch die Knabenlese (Devşirme), die Wegnahme von Söhnen der christlichen Balkanbevölkerung, die im Sinn des Islam erzogen wurden und die gefürchtete Infanterietruppe der Janitscharen bildeten. Diese Devşirme- Klasse lieferte allerdings auch das Personal für die Verwaltung des riesigen Reichs, man konnte als ehemalig christliches Kind aus dem Balkan bis zum Großwesir aufsteigen. Besonders gefürchtet bei der Bevölkerung waren die irregulären Truppen der „Renner und Brenner“ (Akindischi oder Akınçı), meist Tataren, die keine Eroberung von Land, sondern Plünderung und die Verunsicherung der Menschen als Ziel hatten. Unter dem tatkräftigen Sultan Süleyman I. (reg. 1520–1566) am Beginn des 16. Jahrhunderts erreichte die osmanische Expansion Mitteleuropa, nach der Eroberung der Schlüsselfestung Belgrad griff er im Jahr 1526 Ungarn an. Die Schlacht bei Mohács stellte Kat.Nr. 7.1 Unter Sultan Süleyman I. erreichte die osmanische Expansion Mitteleuropa. langfristig die Weichen für die Geschicke der Region Zentraleuropa. Der Aufstieg der Habsburger durch die Erwerbung Böhmens und Ungarns sowie die langen militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Habsburgern und den Osmanen bestimmten die Jahrhunderte der Frühen Neuzeit. Da dieser Konflikt mit dem Osmanischen Reich auch die innere Struktur der Habsburgermonarchie beeinflusste, sind sowohl Phänomene wie die starke Stellung der Landstände als auch die Ausbreitung des Protestantismus im Osten Österreichs und in den böhmischen Ländern nicht von dieser Frage zu trennen. Der Aufstieg der Habsburger zu einer Grossmacht in Europa ¶ Rudolf I. von Habsburg, der im Jahr 1273 zum römisch-deutschen König gewählt wurde, setzte den ersten Schritt des Aufstiegs seiner Familie zu einer bedeutenden Macht. Die in der Schweiz, Süddeutschland und dem Elsass reich begüterten Habsburger übernahmen im Jahr 1282 den Osten Österreichs als Lehen, ein Gebiet, das sie im späten Mittelalter erweiterten. Doch der entscheidende Schritt von einer bedeutenden Regionalmacht zu einer europäischen Dynastie erfolgte erst im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit. Dabei war eine Serie von politischen Hochzeiten von ausschlaggebender Bedeutung. Der oft zitierte Spruch Bella gerant alii, tu felix Austria nube (Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate) ist geradezu zum Motto der Politik des Erzhauses geworden. Allerdings muss man bedenken, dass es mit dem Heiraten allein nicht getan war, meist wurden gegenseitige Erbverträge geschlossen, und damit war es dem Zufall überlassen, welche der Familien erlosch und welche erbte.