Dessen ungeachtet ging das Ausstellungsprogramm unvermindert weiter. Und während man in den ersten Jahren sehr darauf bedacht war, einen Mittelweg zwischen dem konservativen Künstlerhaus und der progressiven Secession zu gehen, verschrieb man sich zusehends einem avantgardistischen Programm. Besonders deutlich war dies bei der Frühjahrsausstellung 1911 mit dem nüchternen Titel „Malerei und Plastik“. Darin sorgte vor allem der junge „Oberwildling“ der Wiener Kunstszene, Oskar Kokoschka, für großes Aufsehen. Die Kritiken in der Wiener Presse überschlugen sich förmlich. Die Ausstellungssäle wurden als „wahre Folterkammern des Auges“ bezeichnet, Kokoschka selbst als „Klimt-Töter“15, als „Zerstörer“ und „Gottesgeißel“16. Nachdem es der Hagenbund also geschafft hatte, sich in Wien voll und ganz zu etablieren, wurde der florierenden Ausstellungstätigkeit von offizieller Seite ein jähes Ende gesetzt. Die Stadt Wien entschloss sich nämlich Mitte 1911, die Zedlitzhalle abzureißen und stattdessen ein Industrie-Ausstellungs- und -Verkaufsgebäude zu errichten. Der Mietvertrag mit dem Hagenbund wurde deshalb gekündigt.17 Aus dem Projekt der Stadt wurde freilich nichts, was insbesondere Oskar Kokoschka dazu veranlasste, darüber zu spekulieren, dass die Ausstellung seiner Werke vor allem den als erzkonservativ bekannten Erzherzog Franz Ferdinand dermaßen verstört hatte, dass der Hagenbund von oberster Stelle bewusst sabotiert wurde. „Die Ausstellung, die es gewagt hatte, meine Bilder aufzuhängen, wurde nach der Besichtigung durch den Erzherzog strafweise in eine Gemüsehalle verwandelt“, sollte er später darüber schreiben.18 Auch wenn es sich nicht nachweisen lässt, dass Erzherzog Franz Ferdinand hinter der Delogierung des Hagenbundes steckte, so war es freilich ein schwerer Schlag. Wie ganz zu Beginn am Anfang des Jahrhunderts war man nun wieder auf die Ausstellungsflächen anderer Vereinigungen angewiesen. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und nach der Gründung der Ersten Republik wurde die Zedlitzhalle jedoch erneut dem Hagenbund als Ausstellungshalle zur Verfügung gestellt.19 Die prekäre finanzielle Situation zu Beginn der 1920er-Jahre, unter der ganz Österreich zu leiden hatte, machte allerdings auch vor dem Hagenbund nicht halt. Die Zedlitzhalle war baufällig, durch das schadhafte Dach fielen Regen und Schnee.20 Im Schatten der Weltwirtschafts krise zu Beginn der 1930er-Jahre wurden teilweise Bilder sogar im Tausch gegen Lebensmittel angeboten.21 Ungeachtet dieser schwierigen Rahmenbedingungen entwickelte sich der Hagenbund in der Zwischenkriegszeit zur bedeutendsten Künstlervereinigung Österreichs. Auch personell war die Brücke zum Wien der Jahrhundertwende durchbrochen. Carry Hauser, Otto Rudolf Schatz oder Georg Mayer-Marton traten dem Hagenbund im Laufe der 1920er-Jahre bei. Besonders bemerkenswert ist, dass der Hagenbund auch nach dem Ende der Habsburgermonarchie seiner internationalen Ausrichtung treu blieb. Auch nach 1918 wurden immer wieder Künstlervereinigungen aus ehemaligen Kronländern und darüber hinaus eingeladen, im Hagenbund auszustellen. So etwa die tschechoslowakischen Künstlerverbände „Svum“ und „Mánes“ (1925), eine slowenische Künstlervereinigung aus Laibach (1925) oder auch der Budapester Verein neuer Künstler „UME“ (1928). Daneben wurde 1928 sogar eine Ausstellung mit sowjetischer Kunst veranstaltet, zu einer Zeit also, in der die Sowjetunion international isoliert und geächtet war. Auch belgische (1936) und lettische Kunst (1937) wurde in Wien vom Hagenbund gezeigt. Diese Weltoffenheit stand allerdings im Gegensatz zu den steigenden politischen Spannungen in Europa im Zuge der Weltwirtschaftskrise und des allseits steigenden Nationalismus. Schließlich wurde auch der Hagenbund durch die weltpolitischen Ereignisse eingeholt und fand dadurch sein Ende. Denn nachdem die Truppen des nationalsozialistischen Deutschland im März 1938 in Österreich einmarschiert waren und der „Anschluss“ vollzogen worden war, bestellte man für den Hagenbund einen kommissarischen Leiter durch die Reichskunstkammer und schließlich einen neuen Leiter.22 Die Vermögenslage wurde festgestellt und ergab satte Schulden.23 Dazu kam, dass der Hagenbund den neuen Machthabern als „entartet“ und „verjudet“ galt.24 Bereits im September 1938 wurde der Hagenbund deshalb in die „Gemeinschaft bildender Künstler“ integriert und verlor seine eigene Rechtspersönlichkeit.25 Zahlreiche Mitglieder wurden verfemt oder in die Emigration getrieben, wie etwa Carry Hauser, Joseph Floch, Otto Rudolf Schatz und Franz Lerch. Der Maler Fritz Schwarz-Waldegg wurde am 31. August 1942 deportiert und im Vernichtungslager Maly Trostinec im heutigen Weißrussland kurz nach seiner Ankunft am 4. September 1942 ermordet.26 Die langjährige Sekretärin Lisa Frank (auch: Frankfurter) emigrierte schließlich nach New York. In ihren 1993 publizierten Erinnerungen schrieb sie zu diesen Schreckenstagen: „Das Leben wie wir es kannten war für immer verloren.“27 Auch die Zedlitzhalle, die während des Krieges in „Wiener Kunsthalle“ umbenannt wurde,28 überlebte die Zeiten nicht. Im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, wurde sie schließlich 1965 abgerissen. 10