Wolfgang Kos, Direktor Wien Museum Vorwort Schauen, Hören, Staunen SHOW – Dass der Name Ernst Jandl im Ausstellungstitel genannt ist, wird nicht überraschen. Auch nicht ein Plakatsujet, das Jandls Mund mit einem Mikrofon zeigt, zwei entscheidende Werkzeuge des grandiosen Wort- und Vortragskünstlers, mit denen er das Publikum zum Lachen, Nachdenken und manchmal zum Toben brachte. Erstaunen mag das Wort Show, das uns besonders wichtig und das viel mehr ist als ein Gag. Das Wort Show zielt über Sprache hinaus und meint die multimediale Dimension des Künstlers Ernst Jandl, die ursächlich mit dessen für einen Schriftsteller erstaunlicher Popularität zusammenhängt. Neben Jandls „Greatest Hits“ sind auch Raritäten und Überraschungen im Angebot: Jazz-LPs aus Jandls Plattenregal und ein Live-Mitschnitt vom legendären Auftritt mit Allen Ginsberg in der Londoner Albert Hall ebenso wie Einkaufslisten oder diverse JandlVertonungen. Berühmt wurde der Wiener Dichter mit seinen Laut- und Sprechgedichten, immer wieder aber überschritt er die Grenzen zwischen Poesie, Performance, Musik und Bildender Kunst, zwischen Wort, Ton und Bild. Dazu kommt natürlich, dass Jandl auch zeichnete und seine Gedichte immer auch Schriftbilder sind, und selbst private Zettel mit Listen haben eine formale Dimension und finden ihre Entsprechung in seiner Poetik. Im Zentrum der Show steht Jandls Stimme. Diese, so der Dichter Jürg Laederach, „gleicht mehreren noch zu erfindenden Instrumenten“.
1968 geriet ich als 19-Jähriger in ein aufregendes Umfeld, nämlich in die Jugendredaktion des ORF, die neben Ö1-Sendungen vor allem die Musicbox um 15 Uhr 5 produzierte, also zu bester Sendezeit in einem Massenmedium, als permanentes Experiment mit hohem Sendungsbewusstsein. Ein Stehsatz damals: Alle außer uns sind „Wappler“. Popmusik stand im Zentrum (Jazz, die Leitmusik der Generation Jandl, galt als bieder), war aber immer auch eine Art Schuhlöffel für Politik, Literatur und Gesellschaftskritik. Federführend waren Leute, die wie Hubert Gaisbauer oder Alfred Treiber von der Literatur kamen und geeichte Avantgarde-Missionare waren. Literaturplattform war die „Spezialbox“ am Donnerstag, in der Texte von Blake, Brecht oder Kupferberg ebenso gesendet wurden wie solche von Konrad Bayer, Wolfgang Bauer oder Ernst Jandl. Jandl kannte ich peripher vom Lesen, etwa aus den neuen wegen, aber nicht vom Hören. Der „ganze Jandl“ war damals ja öffentlich noch kaum bekannt. Provozieren war für die Jugendredaktion ein wichtiges Ziel – und keine Sendung provozierte mehr als eine mit Lautgedichten von Ernst Jandl (1968), zu der Treiber u. a. Beatles-Songs programmierte. In Paris, erinnert sich Treiber, „flogen die Pflastersteine“, in Wien die „Wortfetzen“. Es gab 700 Protestanrufe, in einem Protokoll ist vermerkt, dass Hörfunkdirektor Hartner „bis Mitternacht“ empörte Anrufe entgegennehmen musste. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass unter den Geschockten auch die Arbeiter der Simmering-Graz-Pauker-Werke waren, deren Fabrikshalle mit Ö3 beschallt wurde. Die Belegschaft, so der Protest, fühlte sich bei der Arbeit gestört. Solche Reaktionen stellten Ernst Jandl für uns auf eine Stufe mit den
Ernst Jandls Gedicht: „lichtung“ (PW 2, 171) als Zitat zur Bundestagswahl in Deutschland 1994 ÖNB, LIT, Nachlass Ernst Jandl
Ö3-MUSICBOX (EXKURS) –
Ernst Jandl: „my right hand“, 1970er Jahre ÖNB, LIT, Nachlass Ernst Jandl
Ernst Jandl und Wolfgang Hübsch im Studio der Ö3-Musicbox, 1968 Foto: Alfred Treiber
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