Wien Museum Katalog „Die Ernst Jandl Show“

Page 12

den Wörtern und Lauten seiner Texte einzuschreiben. Seine Gedichte sind Partituren, die auf ganz unterschiedliche Weise hörbar gemacht werden können. Dabei ging es ihm gerade nicht darum, im Gedicht, auf der Bühne, im Hörspiel oder Film die LeserInnen, ZuhörerInnen oder ZuschauerInnen durch Effekte zu überwältigen. Ernst Jandl attackiert in seiner Kunst durch bewusste Abweichungen von Sprach- und Sprechnormen das falsche Pathos der Erlösergestalten und die politischen Inszenierungen von Massen, wie er sie selbst 1938 als Zeuge jener berühmt-berüchtigten Rede Hitlers am Wiener Heldenplatz erlebt hatte. Genau dies ist auch eines der Ziele von Ausstellung, Buch und multimedialer Ernst Jandl-DVD*: Die Show will nicht überwältigen, sondern ein komplexes Zusammenspiel von Wörtern, Tönen und Bildern, von programmatischen Aussagen und Gedichttexten, von biographischen und zeithistorischen Konstellationen zeigen. Und natürlich will sie die Lust an der Sprache, in der wir alle baden, mit der wir uns herumschlagen, die uns als Muttersprache mitgegeben ist und die als Manipulationsinstrument in die Köpfe eindringt, vermitteln – die Sprachlust, wie sie Kindern und Dichtern im Besonderen eigen ist. Kinder und SchülerInnen waren immer schon von Jandl begeistert, manche seiner von bekannten Illustratoren gezeichneten Kinderbücher wurden zu Klassikern. Jandl selbst bereitete es Vergnügen, wenn Kinder versuchten, in seinem Stile ein a-Gedicht oder ein u-Gedicht zu machen, wenn manche seiner Hits wie das Gedicht „auf dem land“ um- und weitergeschrieben wurden. Ein Glücksfall für diese Ausstellung war, dass der Nachlass Ernst Jandls im Rahmen des „Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biographie“ zum Ausgangspunkt intensiver, auch theoretischer Auseinandersetzungen zu Fragen von Leben und Werk und zum Zusammenspiel verschiedener biographischer Rollen wurde. Worüber hier nachgedacht wurde, das findet auf der Bühne des Wien Museums und in diesem Band seinen Niederschlag. „wir jeder wünschen allen alles gute“ (Ernst Jandl: „glückwunsch“).

Ernst Jandl and the Neighbours, 5. Darmstädter Jazzforum, Sprache und Jazz, Darmstadt, 23.10.1997 Foto: Matthias Creutziger

* Die DVD ist während der Dauer der Ausstellung im Wien Museum und im Literaturhaus Berlin erhältlich, danach zu beziehen unter http://gtb.lbg.ac.at oder http://www.zonemedia.at

Katalog_Kern.indd 11

11

11B E R N H A R D

FETZ UND HANNES SCHWEIGER

05.06.20 15:31


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.