Wien Museum Ausstellungskatalog „Klimt. Die Sammlung des Wien Museums“

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Höhepunkte und Raritäten Die Klimt-Zeichnungen des Wien Museums Gustav Klimt Märchen, 1884 Kat.Nr. 2.18

Marian Bisanz-Prakken 1 Einer Notiz zufolge ist hier „Frau Taglang“ dargestellt. 2 Handschriftliche Aufzeichnungen Hermine Klimts über das Leben Gustav Klimts, zit. n.: Christian M. Nebehay: Gustav Klimt. Dokumentation, Wien 1969, S. 60. Weitere Beispiele dieser frühesten, fotografisch genauen Porträtgattung: Alice Strobl: Gustav Klimt. Die Zeichnungen 1878–1903, Bd. I, Salzburg 1980, WV Nr. 26-30; dies.: Gustav Klimt. Die Zeichnungen 1878–1918. Nachtrag, Bd. IV, Salzburg 1989, WV Nr. 3184-3168. Bei Nr. 3184, dem nach einem Foto entstandenen Porträt der 15-jährigen Paula Taglang, laut einer Notiz von Georg Klimt „ungefähr 1876 entstanden“, handelt es sich vermutlich um die Tochter der Dargestellten. 3 Albert Ilg, in: Martin Gerlach (Hg.): Allegorien und Embleme, Wien 1882, Bd. I, S. 1.

Die Vielfalt der im Wien Museum verwahrten,

Details durch subtile Helldunkelwirkungen und

Tierreichs, dem die Vertreterinnen der Pflanzen-

geprägten Malweise, stimmt dieses bisher 1882

insgesamt rund 400 Zeichnungen Gustav Klimts

prägnante Umrisslinien hervor. Erst viel später

und Mineralienreiche ergeben zu Füßen sitzen,

datierte Werk jedoch eher mit den Dekorationen

knapp zu charakterisieren, ist kein leichtes Unter-

sollte Klimt sich primär dem weiblichen Akt

an Michelangelos ignudi der Sixtinischen

für das Theater in Karlsbad (1884/85) überein.

fangen. Bedeutender Schwerpunkt der Samm-

widmen.

Kapelle. Im Vordergrund jedoch steht hier das

Von einem scharfen Realismus wiederum sind

lung sind überragende Werke des Historismus,

Eine Schlüsselstellung in Klimts zeichnerischem

Spiel mit sensiblen Umrisslinien, raffinierten

die beiden Aquarelle geprägt, die den 1885 ver-

des Symbolismus und der frühen Secession, aber

Frühwerk nehmen die fünf bildhaft ausgeführten

Oberflächenwirkungen und sorgfältig aufeinan-

storbenen Kunsthistoriker Rudolf von Eitelberger,

Besonderheiten und Höhepunkte gibt es auch

Kompositionen ein, die – zusammen mit zwei

der abgestimmten Gesten. Im üppig dekorierten

beziehungsweise den 1883 verstorbenen Eisen-

unter den zahlreichen Blättern der Goldenen

gemalten Arbeiten – zwischen 1881 und 1884

Rahmen der Allegorie Oper (1883, Kat.Nr. 2.16)

bahnpionier Julius Lott auf ihrem Totenbett wie-

Periode und der späten Jahre zu verzeichnen.

als Reproduktionsvorlagen für die von Martin

wiederum, scheinen die musizierenden und eifrig

dergeben – die frühesten post-mortem-Bildnisse

Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit werden

Gerlach herausgegebene Serie Allegorien und

hochkletternden Amoretten sogar mehr zu

Klimts (Kat.Nr. 8.1 und 8.2). Die wie Pendants

im nun folgenden Überblick auch einige kaum

Embleme entstanden. Ganz im Sinne des Historis-

,leben‘ als die Figuren der Hauptdarstellung.

wirkenden Arbeiten könnten gleichzeitig ent-

bekannte Aspekte der Sammlung beleuchtet.

mus sollten sich die an diesem Projekt beteiligten

Durch spontane Linienskizzen von Kleinkindern

standen sein. Während Klimt das 1885 datierte

Die früheste, bisher unveröffentlichte Zeichnung

Künstler aus Deutschland und Österreich den

bereitete Klimt die zahlreichen Putten und

Totenbildnis Rudolf von Eitelbergers unmittelbar

der Klimt-Sammlung des Wien Museums ist das

„höchsten, einfachsten und darum ewig bedeu-

Amoretten vor, die seine historistischen Szenen

nach der Wirklichkeit angefertigt hat, mag er bei

wie ein Foto ausgeführte Ovalbildnis einer Frau

tenden Begriffen“ widmen, in denen sich „alle

vielfach bevölkern. Die modernste Allegorie der

der nicht datierten Darstellung des Julius Lott

mittleren Alters (Kat.Nr. 1.1).1 Die Signatur und

Epochen und Schulen seit Jahrhunderten geübt“

Serie ist die bühnenhafte Szene Märchen (1884,

von einem von den Auftraggebern zur Verfügung

die Jahreszahl 1877 wurden zweifelsfrei vom

hätten. Dem jungen Gustav bot sich die willkom-

Kat.Nr. 2.18). Als monumentales Kontrastpaar

Künstler selbst angebracht, allerdings zu einem

mene Chance, seine Fähigkeiten öffentlich unter

inszeniert Klimt den feurigen orientalischen

gestellten Totenbett-Foto ausgegangen sein.4 Noch kurz vor seinem Tod hatte Rudolf von Eitel-

späteren Zeitpunkt – sehr wahrscheinlich in den

Beweis zu stellen; in diesen autonomen Arbeiten

Märchenerzähler und das exotische, sich an ihn

berger in Bezug auf den größten Wiener Auftrag

1890er-Jahren. Diese, nach vorliegendem Stand

konnte er sich als Zeichner in vielen Techniken

schmiegende nackte Mädchen. Diese Gestalt mit

an die Künstler-Compagnie, die Deckendekora­

am frühesten datierte Arbeit Gustav Klimts,

entfalten. Auch in der Behandlung seiner Themen

ihren üppigen, verführerisch dargebotenen

tionen der Kaiserstiege des Burgtheaters (1886–

gehört zu den Bildnissen, die der angehende

hatte er einen größeren Spielraum als im Rahmen

Körperformen ist der erste weibliche Akt in

1888), eine wichtige vermittelnde Rolle gespielt;

Künstler nach seiner Aufnahme in die Kunst­

der Dekorationsmalereien, die er gemeinsam mit

seinem Werk, der eine unverkennbar erotische

es war der Höhepunkt der Karriere des erfolgrei-

gewerbeschule (1876) in seiner Freizeit „zur

Franz Matsch und seinem Bruder Ernst Klimt –

Wirkung ausübt. Die visionäre Kulisse mit den

chen Trios. Von Gustav Klimt besitzt das Museum

vollsten Zufriedenheit der Besteller“ nach Foto-

das Trio bildete seit 1880 die erfolgreiche Künstler-

schemenhaften Figuren­szenen weist auf den

in diesem Zusammenhang mehrere Detailstudien,

grafien angefertigt hat; honoriert wurden diese

Compagnie – zur Ausführung brachte.

Symbolismus voraus: Auch in Philosophie

darunter den klassisch strengen Männerakt für

Blätter „mit 5 Gulden pro Stück“. Klimt sollte ur-

Trotz deutlicher Anlehnungen an die Kunst der

(1900–1907) schieben sich die ,wirklichen‘ und

Der Thespiskarren (Kat.Nr. 3.20). Unmittelbar

sprünglich Zeichenlehrer werden, aber nach zwei

Vergangenheit, vor allem an die italienische

imaginären Raumschichten übereinander.

nach der Beendigung der Burgtheater-Malereien

Jahren wechselte er zum Fach der Dekorations-

Hochrenaissance, weisen Klimts Beiträge für

Das seltene Aquarell des in der Art des Rokoko

schuf Klimt 1888/89 als Auftragsarbeit der Stadt

malerei. Als Zeichner ragt er schon früh heraus:

Allegorien und Embleme ein eigenständiges, fein

gestalteten Entwurfs eines Bühnenvorhangs,

Wien die Gouache, die den Zuschauerraum des

In seinen zwischen 1878 bis 1880 im Unterricht

differenziertes Form- und Linienvokabular auf. In

dessen Zweck unbekannt ist, zeichnet sich durch

alten Burgtheaters vor der Demolierung des

geschaffenen Studien von nackten männlichen

Die Reiche der Natur (1882, Kat.Nr. 2.2) etwa

einen fulminanten Kolorismus aus (Kat.Nr. 3.12).

Gebäudes wiedergibt (Kat.Nr. 4.1). Der auf den

Modellen und Knaben hebt er die anatomischen

erinnert der oben thronende Herrscher des

Angesichts der extrem freien, von Hans Makart

Moment fixierte Aspekt dieses Bravourstücks,

2

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3

4 Zu dieser Thematik: Marian BisanzPrakken: Im Antlitz des Todes. Gustav Klimts „Alter Mann auf dem Totenbett“, ein Porträt Hermann Flöges?, in: Belvedere 2 (1996) 1, S. 20-39.

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