Wien Museum Ausstellungskatalog „Angelo Soliman - Ein Afrikaner in Wien“

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Bildnis eines Mohren, um 1750 im 20. Jahrhundert erhielt das Gemälde den Untertitel „Angelo Soliman, Diener des Fürsten Lobkowitz“ Unbekannter deutscher Maler Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Inv.Nr. 4141

Angelo Soliman – Ein Afrikaner in Wien

Die Schwarzen, die Wiener zu Gesicht bekamen, waren manchmal Diener, aber es waren auch Soldaten oder Mitglieder der Entourage in einer der prächtigen Großbotschaften, die von Konstantinopel in die Kaiserstadt geschickt wurden. Es überrascht daher nicht, dass „Hofmohren“ wie Angelo Soliman oft eine türkisch inspirierte Dienstuniform mit weißem Turban trugen – Türken und Mohren wurden miteinander identifiziert. Ein Hofmohr war nicht nur ein exotisches Ornament an einem europäischen Fürstenhof, er war gerade für Militärführer wie Lobkowitz und Liechtenstein auch sozusagen ein lebender Beweis für den Sieg über die osmanische Bedrohung. Soliman der Kammerdiener stand nicht nur für den im strahlenden Lichte der christlichen Offenbarung zivilisierten „Wilden“, sondern auch für den unterworfenen und jetzt dienenden Feind. Natürlich gab es auch damals direkte Formen der rassistischen Diskriminierung. In Dokumenten des Zeitgeistes wie den Mozart-Opern Die Entführung aus dem Serail und Die Zauberflöte spiegeln sich Klischees, die schon im 18. Jahrhundert über Afrikaner bestanden – der gierige Eunuch Selim, der augenrollend wollüstige Monostatos. Während Schwarze in London oder Bordeaux oder Lissabon und Rom aber von vornherein als Sklaven wahrgenommen wurden, gab es in Wien auch ganz andere, ebenso klischeehafte Assoziationen, die Soliman nutzen konnten. Er war Soldat gewesen. Schwarze Krieger waren gefürchtet, sie galten als stolz, furchtlos und edelmütig, wenn auch, wie Othello, zu leidenschaftlich. Als Fürst Liechtenstein seinen stattlichen neuen Kammerdiener Angelo Soliman in dessen Porträt mit apokryphen Adelstiteln bedachte, wollte er damit vermitteln, der Diener selbst sei ein Edelmann, eine Respektsperson. Wurde all dies mitgelesen in der Erscheinung Solimans? Weckte das Auftreten des allen Zeugen zufolge eindrucksvollen Schwarzen in seinem weißen Turban und seiner silbernen Hofuniform Assoziationen mit Monostatos, mit Suleiman dem Prächtigen, mit edlen Wilden und dem verführerischen Harem aus der „Entführung“? Soliman war der erste nichteuropäische Migrant, über dessen Leben und Nachleben in Wien detaillierte Informationen überliefert sind, der erste Einwanderer der Moderne, dessen Geschichte Teil der urbanen Legenden Wiens wurde und noch immer ist. In einem Europa, das heute immer stärker von Migrationsgeschichten geprägt ist, macht dies sein Leben emblematisch und fordert zum historischen Vergleich heraus. Soliman in Wien 2011? Heute ist wenig geblieben von der im 18. Jahrhundert noch lebendigen Wiener Tradition, Schwarze auch wegen ihrer Hautfarbe als Respektspersonen zu

behandeln. Die negativen Klischees sind erstaunlich stabil geblieben, aber die positive Wahrnehmung von Afrikanern ist durch das intellektuelle Erbe von Kolonialismus und Rassismus fast völlig zerstört. Etwa 22.000 Afrikaner leben momentan in Österreich, ein großer Teil davon in Wien. Viele von ihnen sind in den letzten Jahren als Asylsuchende ins Land gekommen; alle haben sie Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung auf der Straße, im Amt, von der Polizei und immer wieder, mehr oder weniger codiert, im politischen Diskurs. Ob Asylanten oder nicht, alle haben etwas zu erzählen über die Fremdenpolizei und darüber, wie es sich anfühlt, angepöbelt oder ignoriert zu werden. „Wenn ich hier die Straße entlanggehe, fühle ich mich wie unsichtbar“, sagt eine junge Frau. Wer sich hier vor Abschluss eines oft jahrelang dauernden Asylverfahrens ein Leben aufbaut, läuft Gefahr, wieder ausgewiesen zu werden und alles zu verlieren. Es braucht viel Mut und ungeheure Reserven von Optimismus und Energie, um trotz dieser Hindernisse zu studieren, sich weiterzubilden, in dieses Leben hier zu investieren, aber jeden Tag tun das Tausende Afrikanerinnen und Afrikaner in dieser Stadt. Wer von diesen Menschen hat die Chance, als Flüchtling oder als Asylsuchender, also von einer ähnlich machtlosen Situation aus wie der kleine Angelo Soliman nach seiner Versklavung, zu einer Position aufzusteigen, die ihm erlaubt, mit der Elite der Gesellschaft umzugehen und in einem verantwortungsvollen Beruf Meister über Hunderte von Angestellten zu sein? Könnte ein fünfzehnjähriger oder ein zweiunddreißigjähriger Angelo Soliman, wenn er heute auf ungewissen Wegen aus dem Niger, dem Tschad oder aus Nigeria gekommen wäre, noch immer hoffen, in Wien so eine Karriere zu machen, wenn er hart arbeitet? Solimans Geschichte war nicht nur eine Tragödie, sondern auch ein menschlicher Triumph über das Schicksal. Er hatte es geschafft, in der Gesellschaft, in der er durch seine Versklavung lebte, sich persönlich und professionell zu integrieren und Erfolg zu haben. Am Anfang seines Lebens war er Opfer, aber er hatte es geschafft, sich Respekt zu verschaffen und sich ein Leben zu erobern. Er starb als angesehener Mann. Er hatte eine Wienerin aus guter Familie geheiratet und mit ihr eine Tochter, hatte ein Haus besessen, eine verantwortliche Stellung bekleidet und hatte mit mächtigen Menschen verkehrt, die seine Meinung suchten – mehr, als die meisten seiner europäischen Zeitgenossen träumen durften. Seine Karriere vom Sklaven bis zum Freund des Kaisers war die Geschichte eines geglückten Migrantenlebens. War es so? Man kann aus denselben Fakten auch das entgegengesetzte Szenario entwerfen: Soliman der Verschleppte und Missbrauchte, der in Armut in

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4.2.1 Fürst Liechtenstein und sein „Hofmohr“, Detail aus: Das Gartenpalais Liechtenstein in Wien vom Belvedere, 1759/60 Bernardo Bellotto genannt Canaletto Vaduz–Wien, Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein

solimans Körper, Angelos Geist


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