Wien Museum Katalog „100 x Wien – Highlights aus dem Wien Museum Karlsplatz“

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Porzellanfiguren aus einer Serie „Wiener Kaufrufe“: Zwirnverkäuferin, um 1765 Entwurf: Johann Joseph Niedermayer (?) Ausführung: Wiener Porzellanmanufaktur, Anton Payer, Christoph Dreischarf

Galanteriewarenhändler, um 1755 Entwurf: Johann Joseph Niedermayer (?) Ausführung: Wiener Porzellanmanufaktur, Anton Payer

Porzellan, bemalt, H 20,9 cm Bez.: Unterglasurblauer Bindenschild, Ritzzeichen: X, Staffierer-Nr. 26 (= Ch. Dreischarf), eingepresst Bossiererzeichen P (= A. Payer) Inv.-Nr. 49.139 Ankauf: Auktion der Porzellansammlung Karl Mayer bei Glückselig, 1928

Porzellan, bemalt, H 20,4 cm Bez.: Unterglasurblauer Bindenschild, eingepresst Bossiererzeichen P (= A. Payer) Inv.-Nr. 49.148 Ankauf: Auktion der Porzellansammlung Karl Mayer bei Glückselig, 1928

In der Zeit von 1745 bis 1785 wurden von der Wiener Porzellanmanufaktur mehrere Folgen von Figuren hergestellt, die Wanderhändler und Gewerbsleute darstellten. Heute sind etwa 65 solcher Statuetten bekannt, darunter eine Fischhändlerin, ein Verkäufer von Degengriffen, ein Tabakkrämer, ein Barometerverkäufer, eine Verkäuferin von Häkeleien, ein Dudelsackpfeifer mit einer Marionette, ein Bandlkramer, ein Koch, ein Gärtner, ein Schmied, eine Putzmacherin oder ein Perückenhersteller. Sie gehören zu den ältesten Darstellungen dieser Art. Viele dieser Berufe sind längst ausgestorben und Wanderhändler wie etwa auch die beiden hier gezeigten – die Zwirnverkäuferin, welche die verschiedensten Nähutensilien wie Zwirn oder Bänder verkaufte, oder den Galanteriewarenhändler, der Schmuck, Kurzwaren und andere Gebrauchsgegenstände in feiner Ausführung zum Verkauf anbot – gibt es heute nicht mehr. Die Porzellanfiguren gingen den ebenfalls populären „Kaufruf-Typen“ der Wiener Kupferstecher voraus. Vorreiter auf dem Gebiet der figuralen Kleinplastik waren, von französischen Kaufrufstichen angeregt, die Manufakturen von Meißen und Sèvres. Die 1718 gegründete und 1744 vom Staat übernommene Wiener Porzellanmanufaktur griff dieses neue Thema auf und konnte nach anfänglichem Kopieren französischer Vorlagen bald ihren eigenen Stil finden.

Die künstlerisch wertvollsten Statuetten entstanden nach 1755, in der Blütezeit des Wiener Rokoko. Die Wiener Figuren sind in der Bewegung elegant, ihre Haltung ist natürlich und beschwingt. Die Bemalung ist zart, eine sorgfältige und detailbewusste Ausführung zeichnet sie aus. Die Stoffe der Kleidungsstücke sind meist einfärbig, hermelinartig gemusterte Pelzbesätze oder gestreifte Halstücher waren äußerst beliebt. Die goldverzierten Miedereinsätze sind eine besondere Feinheit. Gegen Ende der Rokokozeit wurde bei den Frauenkleidern oft die damals beliebte kleine Streublumenmusterung angewandt. Der Sockel der Figuren ist meist mit Golddekor versehen. Der Urheber dieser Modelle war mit hoher Wahrscheinlichkeit Johann Joseph Niedermayer, von 1747 bis 1784 der Modellmeister der Wiener Porzellanmanufaktur. Die Aufgabe der Bossierer war es, die Figuren auszuformen und Details herauszuarbeiten, wodurch ohne Änderungen des Modells mehr oder minder große Varianten der gleichen Figuren entstanden; die Bemalung oblag den sogenannten Staffierern. AH

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Lit.: Hubert Kaut: Kaufrufe aus Wien. Volkstypen und Straßenszenen in der Wiener Graphik von 1775 bis 1914, Wien/München 1970, S. 26-29. Josef Folnesics: Die Wiener-Porzellan Sammlung Karl Mayer. Katalog und historische Einleitung, Wien 1914, S. 60f. Edmund Wilhelm Braun: Ausruferfiguren aus Alt-Wiener Porzellan, in: Alois Trost (Hg.): Alt-Wiener Kalender für das Jahr 1918, Wien 1918, S. 105-109.


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