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„Mondschein“ – Bekrönung des hohen Turmes von St. Stephan, Wien, 1519 Messing, vergoldet, 141,5 ¥ 145 cm Inv.-Nr. 561 Aus dem Bestand des ehemaligen Wiener Bürgerlichen Zeughauses
Am 28. Juli 1519 erhielt der hohe Turm von St. Stephan als neue Spitze den „Mondschein“: Ein steinerner Schaft trug einen von acht vergoldeten Kupferplatten umhüllten Knauf, auf den ein achtstrahliger Stern und ein Halbmond, beide aus vergoldetem Messing, aufgesetzt waren. Die Spitzen der Mondsichel waren dabei so an der Achse des Sterns befestigt, dass sich der Mond seitlich um den Stern drehen konnte. Die ursprüngliche Bedeutung dieses Zeichens ist nicht eindeutig: Es kann als Sinnbild des Zusammenspiels von geistlicher und weltlicher Macht – Papst und Kaiser als Sonne (Stern) und Mond – gesehen worden sein. Angesichts des damals in voller Blüte stehenden Humanismus mit seinem Interesse an der Astronomie ist aber auch eine zeitgenössische Deutung als kosmisches Symbol möglich. Der Knauf wäre demnach für die Sonne, Stern und Mond für deren Trabanten gestanden. Der Mondschein stand ursprünglich in keinem Zusammenhang mit dem islamischen Symbol des aufgehenden Halbmonds, das seit der Regierungszeit Sultan Selims (1512–1520) auf Fahnen und Feldzeichen des osmanischen Reiches verwendet wurde. 1529, während der Ersten Türkenbelagerung, musste den Wienern freilich die Ähnlichkeit auffallen. Sowohl in Wien als auch im Osmanischen Reich erzählte man sich in der Folge, das Symbol sei auf
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Forderung des Sultans auf dem Turm angebracht worden. Eine 1530 vom Stadtrat an den Kaiser gerichtete Bitte, ihn durch eine Figur des hl. Georg mit Fahne zu ersetzen, blieb zunächst unerfüllt. Erst am 15. Juni 1686 wurden Halbmond und Stern abgenommen und – wie es hieß, in Erfüllung eines Gelübdes Kaiser Leopolds I. während der Zweiten Türkenbelagerung – wenig später durch ein Kreuz ersetzt. Mond und Stern der alten Turmspitze, die nun offenbar gänzlich als islamisches Zeichen gesehen wurden, nützte man zur Schmähung der Osmanen. Man ätzte in den Mond die Inschrift „Haec Solymanne Memoria tua“ („Dieses, Süleyman, zu deinem Andenken“) mit einer eine obszöne Geste („Feige“) vollführenden Hand und der Jahreszahl „Ao 1529“ ein und stellte ihn zusammen mit dem Stern, aus dem zwei Strahlen herausgebrochen wurden, in der „Kaiserlichen Gallerie“ in der Stallburg aus. Später kam er ins Wiener Bürgerliche Zeughaus, wo man auch Beutestücke aus den Türkenkriegen aufbewahrte. WÖ
Lit.: 850 Jahre St. Stephan. Symbol und Mitte in Wien 1147–1997 (Ausstellungskatalog Historisches Museum der Stadt Wien), Wien 1997, S. 230-231. Birgit und Thomas Ertl: Sonne und Mond. Die Turmbekrönung am Stephansdom zwischen den zwei Türkenbelagerungen, in: Wiener Geschichtsblätter 52 (1997), S. 165-181.