Wien Museum Katalog „100 x Wien – Highlights aus dem Wien Museum Karlsplatz“

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Oberitalienischer Wanderkünstler Thronende Maria mit Kind, Abt und Stifter Fresko vom Singertor von St. Stephan, um 1400 Übertragen auf Aluminiumwaben- und Glasfaserträger, 220 ¥ 120 cm Inv.-Nr. 13.924 Schenkung des fürsterzbischöflichen Consistoriums, 1897

Der Wunsch, über den Tod hinaus präsent zu sein und das Gedächtnis an die eigene Person zu erhalten, ist in allen Gesellschaften vorhanden. Im Mittelalter motivierte er Menschen zur Stiftung von Messen, Pfründen und karitativen Einrichtungen. Die Darstellung des Stifters in Begleitung von für das persönliche Leben signifikanten Heiligen vermittelte der Nachwelt die Selbstsicht. Wer der Stifter des ehemals in der Vorhalle des Singertors angebrachten, 1895 abgenommenen und 1999/2000 restaurierten Freskos war, ist nicht bekannt. Die Vermutung, es könnte sich um den aus Padua stammenden und in Wien zwischen 1396 und 1406 nachweisbaren Galleazzo di Santa Sofia, Leibarzt von Albrecht IV. dem Geduldigen, handeln, ist angesichts der untypischen Tracht des Dargestellten eher unwahrscheinlich. Das Fresko aus der Zeit um 1400 ist eine exzellent ausgeführte Arbeit eines veronesisch-paduanisch geschulten Wanderkünstlers, der ikonografische Typus sowie die stilistische Erscheinung zeigen deutliche Abhängigkeiten von Werken Jacopo Avanzis oder Altichieros (Aldighieros) da Zevio. Es ist eine der ersten derartigen Arbeiten im mitteleuropäischen Raum. Dargestellt sind die

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Madonna mit dem Jesusknaben und links davon der kniende Stifter, eingeführt durch einen hl. Abt. Maria und Kind sitzen in einer vielteiligen, durch Blendarkaden und Nischen reich gegliederten und mit Engeln belebten Thronarchitektur. Im Originalzustand war das Fresko etwa doppelt so groß, auf der seit 1480 durch einen Pfeilereinbau in St. Stephan verlorenen zweiten Hälfte war vermutlich die Ehefrau des Stifters dargestellt, ihr ebenfalls fehlender Patron müsste nach Vorbildern zu urteilen ein hl. Jakob gewesen sein. Im hochgotischen Dom von St. Stephan entstand durch diese Stiftung eines wohlhabenden Auftraggebers ein Kunstwerk der italienischen Frührenaissance. Der kleine Putto im Mittelteil trägt ein Portativ, eine Handorgel, dies ist die älteste Darstellung eines Musikinstrumentes in Wien. RP/ED

Lit.: Peter Berzobohaty, Claudio Bizzari, Claudia Riff: Abgenommene Wandmalerei aus der Stephanskirche Maria mit Kind, hl. Antonius und Stifter. Unveröffentlichter Bericht, Wien Museum 2002. Günter Brucher (Hg.): Gotik (Geschichte der bildenden Kunst in Osterreich, Bd. 2), München/London/New York 2000, Kat.Nr. 210 (Text Franz Kirchweger)


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