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Gefäße in Tiergestalt, Urnenfelderkultur, 1300/1200 bis 800/750 v. Chr. Keramik, handgeformt, H 8–9 cm, B 5,5–6 cm, L 10,5–13,5 cm Inv.-Nr. MV 8.228–8.231 Fundort: Vösendorf, 1941
In den frühen 1940er-Jahren wurden in Vösendorf, im Süden von Wien, 31 spätbronzezeitliche Gräber gefunden. Dabei kamen neben den für diese Epoche üblichen Grabbeigaben einige ganz außergewöhnliche Objekte zu Tage. Darunter waren vier sich gleichende Gefäße, die wie Fabelwesen gestaltet sind. Ihre hohlen walzenförmigen Körper, die sich an den Enden verjüngen, setzte man auf menschliche Beine. Ein Ende wurde jeweils zu einem Kopf ausgebildet, der am ehesten dem eines Rindes nahe kommt. Die gegenüberliegenden Seiten versah man mit einer Öffnung, genau wie die Oberseiten. Auf den ersten Blick vermitteln sie ein vogelähnliches Aussehen. Als Gruppe zusammengestellt könnte man meinen, sie würden sich gerade anschicken, einige ihnen zugeworfene Körner aufzupicken. Aufgrund der Größe und der zierlichen Ausgestaltung der Fabelwesen werden sie in der wissenschaftlichen Diskussion oft der Welt der Kinder zugeordnet. Durch ihre funktionalen Merkmale, der Eingussmündung an der Oberseite und der Öffnung an der Hinterseite, fanden sie möglicherweise als Saugfläschchen für die Fütterung von Säuglingen und Kleinkindern Verwendung. Die Grabungen 1940 und 1941 standen ganz im Zeichen des Autobahnbaus. Dabei wurden große Flächen der umliegenden Äcker abgetragen, um
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Schotter für den Unterbau der Fernverkehrsstraße zu gewinnen. Auf dem sogenannten Eisgrubfeld förderte man dabei auch reichhaltige archäologische Funde zu Tage. Die zuständigen Archäologen waren dazu angehalten, die Relikte, die eine Zeitspanne von etwa 4.700 Jahren – von der mittleren Jungsteinzeit (4700–4000 v. Chr.) bis zur keltischen Latènekultur (450–15 v. Chr.) – umfassen, unter starkem Zeitdruck zu bergen und zu dokumentieren. Dabei kamen auch Zwangsarbeiter zum Einsatz. Die Funde wurden den Sammlungen der Stadt Wien eingegliedert, da Vösendorf in der Zeit des Nationalsozialismus zum Wiener Stadtgebiet gehörte. MK Lit.: Otto Seewald: Zur Bedeutung des Gräberfeldes der älteren Urnenfelderzeit aus Vösendorf, in: Karl Krabicka: Was Heimat ist und Vaterland, Vösendorf 1966, S. 21-25. Dorothea Talaa: Fundgeschichte und kurzer Überblick über das urgeschichtliche Geschehen Vösendorfs, in: Urgeschichtliche Funde aus Vösendorf (Ausstellungskatalog Marktgemeinde Vösendorf), Vösendorf 1991, S. 26f., 39. Otto H. Urban: Der lange Weg zur Geschichte. Die Urgeschichte Österreichs (Österreichische Geschichte. Bis 15 v. Chr., hg. von Herwig Wolfram), Wien 2000, S. 193-210. Otto H. Urban: Junior-Wegweiser in die Urgeschichte Österreichs, Wien 1989, S. 17-21. Clemens Eibner: Die urnenfelderzeitlichen Sauggefäße. Ein Beitrag zur morphologischen und ergologischen Umschreibung, in: Prähistorische Zeitschrift 48 (1973), S. 144-199 (ÖAW Prähistorische Kommission).