Uhrenmuseums Alexander Grosz holte er persönlich in dessen Wohnung ab. In allen Fällen muss er über die verzweifelte Lage der ehemaligen Besitzer und die Unrechtmäßigkeit seines Handelns Bescheid gewusst haben. Das Uhrenmuseum war Gegenstand zahlreicher Beiträge der NS-Medienberichterstattung, etwa über den 45.500. Besucher im Mai 1938 oder den Ersten Großdeutschen Uhrmachertag im Juli 1939, an dem sich auch das Museum beteiligte. Auch die zahlreichen Neuerwerbungen des Hauses wurden thematisiert, wobei allerdings unerwähnt blieb, dass diese Ankäufe vielfach aus entzogenem jüdischem Eigentum stammten. Auf Grund der zunehmenden Gefahr von Bombenangriffen begannen im Juni 1943 Vorbereitungen für eine Bergung des Museumsbestandes. Im Jänner 1944 wurde das Uhrenmuseum geschlossen und der größte Teil der Bestände auf Bergungsorte in Niederösterreich verteilt. In Schloss Thalheim und im Pfarrhof in Klein-Engersdorf, wo viele der Uhren gelagert waren, kam es zu Kriegsende zu zahlreichen Diebstählen durch Wehrmachtssoldaten, die einheimische Bevölkerung und Sowjetsoldaten. Besonders betroffen
waren die Sammlungen Ebner-Eschenbach, Leiner und Nicolaus, wo große Verluste zu verzeichnen waren. Nach der Befreiung Wiens und dem Kriegsende wurden die noch vorhandenen Uhren schrittweise nach Wien gebracht, und am 7. Juni 1948 eröffnete Bürgermeister Theodor Körner das Uhrenmuseum wieder. Die Position Kaftans wurde nicht angetastet, er blieb bis zu seinem Tod 1961 im Alter von 91 Jahren Direktor des Museums. 1962/63 erfolgten eine Restaurierung des Obizzipalais und eine Neuaufstellung der Sammlung. Im Zuge eines weiteren Umbaus 1986 wurden die ehemalige Wohnung Kaftans und eine Hausbesorgerwohnung zu Museumsräumlichkeiten umgestaltet. Ab 1998, mit Beginn der systematischen Provenienzforschung im Wien Museum, wurden Schritt für Schritt, nach teilweise langer Erb*innensuche, sämtliche noch vorhandenen „arisierten“ Uhren restituiert. Im Jahr 2000 wurde von den Architekt*innen Renate Prewein und Markus Eiblmayr Raum für Veranstaltungen und Sonderausstellungen geschaffen und das Haus insgesamt modernen musealen Bedürfnissen angepasst.
Quellen und Literatur: Konstantin Ferihumer: Arisierungsstelle der Zunft der Uhrmacher und Juweliere und der Gilde des Uhren- und Juwelenhandels, in: Lexikon der österreichischen Provenienzforschung, www.lexikonprovenienzforschung.org/search/content. Rudolf Kaftan: Das Uhrenmuseum der Stadt Wien, in: Bergland, IX (1927), Nr. 4, S. 16–22. Rudolf Kaftan: Illustrierter Führer durch das Uhren-Museum der Stadt Wien, zugleich eine kurze Darstellung der im UhrenMuseum ersichtlichen Geschichte der Räderuhr, Wien 1929. Rupert Kerschbaum, Sylvia Mattl-Wurm: Drei Etagen Zeit. Von der Privatsammlung Rudolf Kaftans zum Museum: ein historischer Abriss, in: Wolfgang Kos (Hg.): Highlights aus dem Wiener Uhrenmuseum, Wien 2010, S. 8–9. Gerhard Milchram, Tabea Rude: „Helping to save the works of our old masters from oblivion“. The master clockmaker Alexander Grosz, in: Antiquarian Horology, Vol. 42, No. 2 (June 2021), S. 72–186. Gerhard Milchram, Tabea Rude: Die Stunde des Bicycles, in: Wien Museum Magazin (https://magazin.wienmuseum.at/fahrraederund-uhren). Gerhard Milchram: Beiträge zu Alexander Grosz, Rudolf Kaftan, Paul Schwarzstein, Uhrenmuseum und Josef Ungar in:
Lexikon der österreichischen Provenienzforschung, www.lexikonprovenienzforschung.org/search/content. Gerhard Milchram, Michael Wladika: „Es konnte festgestellt werden, dass tatsächlich Verwüstungen und Plünderungen sowohl durch SS-Truppen als auch durch Russen und Landbewohner stattfanden“. Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien), in: Pia Schölnberger, Sabine Loitfellner (Hg.): Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen – Hintergründe – Auswirkungen, Wien, Köln, Weimar 2016, S. 219–248. Eva-Maria Orosz: „Meine Uhren machen mir das Sterben schwer“. Marie von Ebner-Eschenbach. Die Dichterin als Uhrensammlerin, siehe Beitrag in dieser Publikation, S. 13–15. Franz M. Scharinger, Robert Waissenberger: Das Wiener Uhrenmuseum. Anmerkungen zur Entstehung der Sammlung, in: Uhrenmuseum Wien (Katalog), Wien o. J. (1989), S. 8–9. Helene Tuschak: Der obdachlose Sammler, in: Neues Wiener Tagblatt, 29. Oktober 1916, S. 4–6, online abrufbar in: ANNO Historische Zeitungen und Zeitschriften, Österreichische Nationalbibliothek, anno.onb.ac.at.
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