Wien Museum Ausstellungskatalog „Experiment Metropole - 1873: Wien und die Weltausstellung“

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vereinigt. Somit könnte behauptet werden, dass sogar die Wurzeln des Historischen Museums der Stadt Wien bis in das Jahr 1873 zurückreichen.19 Die Reflexion über die eigene Geschichte und Herkunft im Moment der größten gesellschaftlichen Transformation enthielt auch nostalgische Momente. So entstand parallel der Sehnsuchtsort Alt-Wien, der zugleich Symptom der Modernisierung und Ausdruck der Modernisierungsangst war. Auch hierin gab es eine Parallele zu anderen Metropolen: Im Zusammenhang mit den Berichten über die Erste Historische Ausstellung der Stadt Wien wurde erwähnt, dass die Stadt Paris auf der Weltausstellung eine eigene große Präsentation aufgeboten hatte, „welche die ganze geistige und materielle Entwicklung einer Großstadt umfasst“.20 Die Beschäftigung mit dem Thema Wiener Weltausstellung weist nicht nur im Blick auf die Geschichte des eigenen Hauses zahlreiche Museumsund Sammlungsbezüge auf, verdanken doch auch das Museum für angewandte Kunst, das Naturhistorische Museum Wien und das Weltmuseum Wien diesem Event viele Exponate aus aller Herren Länder. Die damals gesetzten Impulse reichen also direkt bis in unsere Gegenwart hinein. Nachtrag: „Im Zentrum der Macht“ Knapp bevor diese Einleitung in Druck geht, findet sich noch ein weiterer Beitrag zur MetropolenDiskussion: Nachdem im Halbfinale der Champions League Bayern München von Real Madrid geschlagen worden war und Chelsea von Atlético Madrid, titelte der Kurier (wie vielleicht auch andere europäi­ sche Zeitungen): „Madrid ist Europas Metropole“.21 Da die Schlagzeile auf der Sportseite steht, muss nicht einschränkend hinzugefügt werden, dass die spanische Hauptstadt sich im Finale als „FußballMetropole“ präsentieren wird. Auf der nächsten Seite beginnt eine Expertendiskussion zum Begriff Metropole. Zwei genannte Bedingungen erfüllt die Sport-Metropole Madrid, nämlich erstens die der Kontinuität: Kein anderer Verein feierte in den vergangenen 50 Jahren mehr Siege in Europacup und Champions League, und immer schon war auch die lokal zweitstärkste Mannschaft Atlético ein Spitzenteam. Das Finale 2014 demonstriert das erstmals international. Zweitens wird die Tatsache genannt, dass nur ganz wenige Metropolen wie London, also die heute einzige Weltstadt unter Europas Metropolen, alle Funktionen vereinbaren können. Doch auf den Fußball bezogen stimmt, was im Artikel steht: Madrid befindet sich „im Zentrum der Macht“. Wenn Sie umblättern, steht der Begriff „Macht“ ganz oben.

1 Heinz Reif: Metropolen. Geschichte, Begriffe, Methoden, CMS Working Paper Series, No. 001-2006, http://www. metropolitanstudies.de, http://www.geschundkunstgesch. tu-berlin.de/uploads/media/001-2006_03.pdf (2.5.2014). 2 Die Presse, 19. April 1872, S. 1. 3 Anlässlich der ersten Vorstellung des Konzepts in einer Beiratssitzung des Wien Museums 2012. 4 Beat Wyss: Bilder von der Globalisierung. Die Weltausstellung von Paris 1889, Berlin 2010, S. 11. 5 Wolfgang Maderthaner: Von der Zeit um 1860 bis zum Jahr 1945: Metropole, in: Ferdinand Oppl, Peter Csendes (Hg.): Wien. Geschichte einer Stadt, Bd. 3: Von 1790 bis zur Gegenwart, Wien u. a. 2006, S. 175-543, hier S. 177. 6 Adolf Dillinger, Augst von Conraths (Hg.): Guide und Souvenir-Album der Wiener Weltausstellung, Wien 1873, S. 1. 7 Morgen-Post, 1. Mai 1873, S. 2. 8 Zum Thema Weltausstellungen allgemein vgl. Ulrike Felber, Elke Krasny, Christian Rapp: Smart Exports. Österreich auf den Weltausstellungen 1851–2000, Wien 2000; Wolfgang Friebe: Architektur der Weltausstellungen 1851–1970, Stuttgart u. a. 1983; Winfried Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen, Frankfurt a. M./New York 1999; Petra Krutisch: Aus aller Herren Länder. Weltausstellungen seit 1851 (Kulturgeschichtliche Spaziergänge im Germanischen Nationalmuseum, Bd. 4), Nürnberg 2001. 9 Wyss, Bilder von der Globalisierung. 10 Vgl. Jutta Pemsel: Die Wiener Weltausstellung von 1873. Das gründerzeitliche Wien am Wendepunkt, Wien/Köln 1989. 11 Vgl. Christian Rapp: Die Welt im Modell. Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, in: Hermann Fillitz (Hg.): Der Traum vom Glück. Die Kunst des Historismus in Europa, Wien/München 1996, S. 49. 12 Werner Hofmann: Die Welt als Schaustellung, in: ders: Das irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts, München 1991, S. 86f. 13 Anlässlich der ersten Vorstellung des Konzepts in einer Beiratssitzung des Wien Museums 2012. 14 Kurt Bauer: Epochenschwelle Makart-Zeit, in: Ralph Gleis (Hg.): Makart. Ein Künstler regiert die Stadt (Ausstellungskatalog Wien Museum), München/London/New York 2011, S. 32. 15 Eric J. Hobsbawn: Die Blütezeit des Kapitals. Eine Kulturgeschichte der Jahre 1848–1875, München 1977. 16 Franz J. Bauer: Das „lange“ 19. Jahrhundert: 1789–1917. Profil einer Epoche, Stuttgart 2004, S. 37. 17 Vgl. Anett Holzheid: Das Medium Postkarte: eine sprachwissenschaftliche und mediengeschichtliche Studie, Berlin 2011. 18 Vgl. Welt ausstellen. Schauplatz Wien 1873 (Ausstellungskatalog Technischen Museum Wien). 19 Vgl. Wiener Communal-Kalender und Städtisches Jahrbuch, Wien 1875; Wilhelm Deutschmann: Ein Überblick zur Geschichte des Historischen Museums der Stadt Wien, in: Hundert Jahre Historisches Museum der Stadt Wien (Ausstellungskatalog), Wien 1987, S. 15-31; L. S.: Die historische Ausstellung der Stadt Wien, in: Kunst-Chronik, 17. Oktober 1873, S. 1f. 20 Paris auf der Weltausstellung in Wien, in: Beilage zur Vorstadt Zeitung, 19. Juli 1873. 21 Kurier, 1. Mai 2014, S. 15.

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