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Die Initiatoren und Förderer der Wiener Weltausstellung waren zugleich führende Vertreter des Liberalismus wie die Handelsminister Graf Wickenburg, Ignaz Plener und Anton Banhans, Franz Wertheim, Wilhelm Exner, Rudolf Eitelberger sowie Mitglieder aus dem Niederösterreichischen Gewerbeverein und dem Österreichischen Ingenieurund Architektenverein. Sie konnten Hof und Kaiser schließlich von dem Vorhaben überzeugen, und nach dessen Beschluss entstand in kürzester Zeit eine eigene Planstadt gewaltigen Ausmaßes im Wiener Prater ( Aufsatz Leemann, S. 118). Nachdem bereits 1867 in Paris der Versuch einer globalen Zusammenschau aller menschlichen Erzeugnisse und Hervorbringungen in einem einzigen Gebäude nur bedingt geglückt war, beschritt Wien neue Wege: Es entstand ein Pavillonsystem als Stadt in der Stadt mit einer entsprechenden modernen Infrastruktur, die sogar eine eigene Kanalisation und Schienentrassen sowie einen Ausstellungsbahnhof umfasste.10 Der gewählte Ort im Prater verweist auf eine weitere Dimension in der Verknüpfung von Schauwert und Schaustellertum, denn die Weltausstellungen wurden zunehmend zu Messen der Neuheiten auch auf dem Unterhaltungssektor und in der Vergnügungsindustrie. (Auf der Weltausstellung in Chicago 1893 wurde als Vorläufer zu Wien erstmals ein Riesenrad vorgestellt.) Diese Welt in einem Ausstellungspark11 wurde auch ein wichtiger Prototyp für ethnografische Dörfer und in weiterer Folge für Freizeitparks. Die bauliche Anordnung der Wiener Weltausstellung zeugt von der Fragmentierung des Wissens und der zunehmenden Spezialisierung genauso wie vom Geist des Nationalismus. Dieser überragte nun jeden Anspruch auf Vergleichbarkeit, der früheren Fachmessen zugrunde lag. Nun sollten das Typische und die Leistungsfähigkeit jedes Volkes im Vordergrund stehen und in jeweiligen Länderpavillons präsentiert werden. Der fast einen Kilometer lange Industriepalast mit dem zentralen Symbolbau der Rotunde – mit einer Spannweite von 108 Metern der größte Kuppelbau der Welt – übertraf im Durchmesser sogar den Petersdom in Rom. Die Höhe maß mit 84 Metern nur 15 Meter weniger als die Türme der Votivkirche, und 27.000 Menschen konnten darin bequem Platz finden ( Aufsatz Kurdiovsky, S. 134). Dieser Ort der Warenpräsentation muss sowohl unter konsumgeschichtlichen wie unter kunstgewerblichen Aspekten betrachtet werden. Auf den Weltausstellungen wurden die Gemeinsamkeiten von Warenpräsentationen und musealer Darstellung offensichtlich: In der Inszenierung von indus-
triellen, handwerklichen und kunstgewerblichen Objekten verschwammen kommerzielles Interesse und museale Bedeutungsaufladung des Exponats. Durch die Ausstellungstechniken wurde die Unterscheidung zwischen Gebrauchs- und Symbolwert des Gegentands aufgehoben, die Vitrine zum „Pseudosakralraum der Ware“.12 Die internationalen Universalausstellungen waren in diesem Sinne auch Labore des Zeigens. Fachleute wie Wilhelm Exner gaben im Vorfeld der Wiener Schau praktische Anleitungen zur bestmöglichen Inszenierung der Exponate, um das Niveau der Firmenpräsentationen zu heben. Im Zentrum standen die ausgestellten Waren und Produktionsmaschinen, doch auch die Verknüpfung von Massenproduktion, Konsum und ästhetischem Anspruch. Leistbare ästhetisch geformte Alltagsgegenstände sollten den allgemeinen kulturellen Status einer Gesellschaft zum Ausdruck bringen ( Aufsatz Orosz, S. 174). Daher wurde dem Kunstgewerbe und auch der Kunstwissenschaft, die die historischen Vorbilder zu klassifizieren und einzuordnen half, ein großer Stellenwert beigemessen. Die Maschinenhalle fungierte als Zweckbau von fast 800 Metern Länge und 48 Metern Breite, in dem sogar ganze funktionsfähige Antriebsmotoren, Lokomotiven, Näh- und Webmaschinen ausgestellt waren. Dieser Bereich fokussierte auf technische Innovationen und Produktionstechniken. Wenn auch in Wien keine Weltneuheit präsentiert wurde, so diente die Schau doch als Fachmesse zur Popularisierung von technischem Know-how ( Aufsatz Wernsing, S. 166). Die Weltausstellung zeigte sich ebenso als ein diskursiver und institutionell organisierter Begegnungsort von Kultur, Kunst und Kommerz, wo als ,funktionales‘ Resultat die Konsumenten als Kollektiv erfunden wurden. Ein weiteres Hauptgebäude war die Kunsthalle, die im Osten durch gedeckte Gänge mit dem Industriepalast verbunden war. Seit der ersten Weltausstellung in Paris 1855 und besonders jener 1867 ebendort wurde neben Handel und Industrie der Aspekt der Kultur, der künstlerischen Leistung und des geistigen Schaffens zum zentralen Thema erhoben. In Wien mutierte die Weltausstellung endgültig zum Ausweis des bürgerlichen Kultur- und Bildungsbewusstseins. Mehr noch als in der Warenpräsentation, bei der es vornehmlich um die einzelnen Aussteller und ihre Produkte ging, bot der Kunstpalast Gelegenheit zur nationalen Repräsentation. Neben der offiziellen Kunst in den Nationensälen der Weltausstellung gab es in der gesamten Stadt moderne, privat organisierte Kunstschauen, die ebenfalls große Besucherströme anzogen.