16. Mai – 22. Juni an 15 Orten in ganz Wien

16. Mai – 22. Juni an 15 Orten in ganz Wien
Mariano Pensotti
Ein Bergsteiger begibt sich kurz vor dem Ende seiner Karriere auf die gleiche Gipfelexpedition, von der sein Vater, ein berühmter Alpinist, 30 Jahre zuvor nicht zurückgekehrt ist. Einige Zeit später soll ein Schauspieler, dessen Karriere ihren Zenit überschritten hat, in einem Film den Bergsteiger auf dieser schicksalsträchtigen Expedition darstellen. Mariano Pensotti, der argentinische Regisseur und Gründer der Grupo Marea, verbindet die Erzählungen dieser beiden Männer an einem Kipppunkt ihrer Biografie zu einer soghaften Geschichte über das menschliche Verhältnis zur Natur, über Wahrheit und Fiktion und über die Möglichkeit, ein anderer zu werden. Ein gefräßiger Schatten wandert als das diesjährige Volksstück mit zwei Schauspielern durch 15 Wiener Bezirke. Pensotti erweist sich einmal mehr als Meister raumgreifender Erzählungen, in denen persönliche Schicksale aufeinanderprallen und Schichten vergangener und vergessener Geschichte enthüllt werden: wie bei einem Gletscher, der, wenn das Eis schmilzt, die Körper der Vermissten zu Tage treten lässt.
Deutsch 90 Min.
Text, Regie Mariano Pensotti Mit Sebastian Klein, Manuel Harder Bühne, Kostüm Mariana Tirantte Musik, Sounddesign Diego Vainer Künstlerische Beratung, Produktion Florencia Wasser Licht David Seldes Dramaturgische Beratung Aljoscha Begrich Regieassistenz Sasha von Manteuffel Übersetzung Monika Kalitzke (Wiener Festwochen | Freie Republik Wien)
Sprachaufnahme Richard Panzenböck (Wiener Festwochen | Freie Republik Wien)
Produktion Originalversion Festival d’Avignon Eine Produktion der Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
durchgeführt vom Team Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
Weltpremiere französischsprachige Version Juli 2024, Festival d’Avignon
Weltpremiere deutschsprachige Version Mai 2025, Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
Nach dem erfolgreichen Auftakt 2024 mit Die Rechnung / L’Addition von Tim Etchells ist Ein gefräßiger Schatten das zweite Stück aus der Reihe Volksstück / Pièce Commune, die die Wiener Festwochen | Freie Republik Wien gemeinsam mit dem Festival d’Avignon produzieren: Wanderstücke mit maximal zwei Schauspieler:innen und wenig Technik, die jedes Jahr von unterschiedlichen Künstler:innen inszeniert und in Gemeindezentren, auf Fußballplätzen, Freilichtbühnen etc. aufgeführt werden. Volkstheater auf höchstem Niveau, Welttheater für alle.
1030
ITALIENISCHES KULTURINSTITUT
10. Juni, 19.30 Uhr
1060
THEATER ARCHE
23. Mai, 20 Uhr
1110
SCHLOSS NEUGEBÄUDE
11. Juni, 19.30 Uhr
IN 15 BEZIRKEN
1040
HAUS DER REPUBLIK –FUNKHAUS PARKPLATZ
21. Juni, 20 Uhr
22. Juni, 13 Uhr
1090
STUDIO MOLIÈRE
12. / 13. Juni, 19.30 Uhr
1140
WALZ WIENER LERNZENTRUM
24. / 25. Mai, 20 Uhr
1050
48ER-TANDLER MARGARETEN
20. / 21. Mai, 20 Uhr
1100
CAPE 10 6. Juni, 19.30 Uhr
1150
LUGNER CITY (SHOWBÜHNE)
17. Mai, 19.30 / 22 Uhr
1160
TSCHAUNER BÜHNE
3. / 4. Juni, 20 Uhr
1210
FUSSBALLVEREIN
1210 WIEN
18. Juni, 19.30 Uhr
1170
GRÄTZLZENTRUM HERNALS
17. Juni, 20 Uhr
1220
STRANDBAD GÄNSEHÄUFEL
15. Juni, 11.30 Uhr
Open Air Veranstaltung Neighbourhood-Kitchen
1180
KUNST- UND KULTURZENTRUM
SEMMELWEISKLINIK
30. / 31. Mai, 19.30 Uhr
1230
F23
16. Mai, 19 Uhr
Im Rahmen der Tour des Volksstücks durch die Wiener Bezirke lädt die Neighbourhood-Kitchen die Nachbar schaft ein: Mit viel Liebe und gemeinsam mit unseren Bezirkspartner:innen sowie Vereinen und Initiativen aus der Umgebung tischen wir auf!
An den Tagen der Aufführungen laden wir zum Essen, Trinken, Diskutieren und Plaudern in unsere mobile Fahrradküche ein –denn Liebe geht durch den Magen!
Dein Stück Ein gefräßiger Schatten ist Teil der Reihe Volksstück/Pièce Commune. Was ist das für dich, ein Volksstück?
Ich bin mir bewusst, dass „das Volk“ ein sehr problematischer Begriff ist, der in der Vergangenheit von sämtlichen ästhetischen und politischen Strömungen vereinnahmt worden ist. Ich persönlich kehre mit so einem Werk in gewisser Weise zu meinen Ursprüngen zurück. Ich bin in einem Arbeiterviertel am Stadtrand von Buenos Aires geboren und aufgewachsen, inmitten von starken Kontrasten, wo es oft an Geld für die einfachsten Dinge fehlte, wo aber auch über die Filme von Bergman oder die Romane von Stendhal gesprochen wurde, etwas, das für Leute anderswo nicht vorstellbar und fernab von jeglichem Klischee war. Deshalb glaube ich, dass das Populäre komplex sein und sich gegen jede Simplifizierung wehren soll.
Die Arbeit an einem Stück, das jeden Tag an einem anderen Ort aufgeführt werden kann, ohne große Bühnentechnik oder Oberflächlichkeiten, das die Möglichkeit bietet, die üblichen Aufführungsorte zu verlassen und auf ganz unterschiedliches
Publikum zu treffen, erlaubt mir auch, wieder an die Unmittelbarkeit des freien Theaters in Buenos Aires, von dem ich herkomme, anzuknüpfen.
Söhne und ihre Beziehung zum eigenen Vater stehen im Mittelpunkt dieses Stücks. Ist das für dich ein biografisch begründetes Thema? Was fasziniert dich an dieser Beziehung?
Das Hamlet-Motiv vom Schatten der Väter, der über den Söhnen schwebt, hat mich schon immer fasziniert. In Ein gefräßiger Schatten geht es auch um einen abwesenden Vater. In Argentinien war die Beziehung zu den Vätern in meiner Generation sehr speziell, oftmals sind wir Kinder von revolutionären Aktivisten, die in den 70er und 80er Jahren versucht haben, die Welt zu verändern, also von einer mythischen Figur, neben der es sehr schwierig war, sich nicht minderwertig und mangelhaft zu fühlen. Ein großer Teil dieser Väter wurde von der Militärdiktatur entführt und ermordet. In diesem Sinne beschäftigt uns die Suche nach den Körpern abwesender Väter sicherlich auf besondere Art und Weise. Aufgrund meiner aktuellen Erfahrung als Vater von zwei Töchtern denke ich auch viel darü -
ber nach, wie Väter Fiktionen von sich selbst für die Nachwelt erschaffen.
ZU
WIR KINDER VON REVOLUTIONÄREN AKTIVISTEN, DIE IN DEN 70ER UND 80ER JAHREN VERSUCHT HABEN, DIE WELT ZU VERÄNDERN
In seiner Nationalhymne bezeichnet sich Österreich als Land der Berge. Eine Expedition auf einen Berg ist eine zentrale Metapher in deinem Stück. Siehst du in dieser Hinsicht eine Verbindung zwischen deinem Heimatland Argentinien und Österreich?
Argentinien hat seine nationale Mythologie nicht so sehr in Hinblick auf die Berge, sondern auf die „Pampa“ entwickelt, auf die weiten, flachen Landstriche, die einen großen Teil des Landes bedecken, eine Art unendliche Monotonie, fast das Gegenteil zur visuellen Gewalt einer Bergkette. Durch die Pampa zu reisen, wirkt wie eine Art Hypnose, und ist gleichsam ein Gegensatz zum Zustand der ständigen Wachsamkeit, die die Höhenlagen mit sich bringen. Für uns, vor allem für diejenigen, die in Buenos Aires leben, sind die Berge etwas Fernes und Exotisches und mit der Grenze verbunden, an der das Land endet. Eine Expedition auf einen Berg ist für uns nichts Alltägliches und noch immer mit dem Romantischen und auch Absurden eines Abenteuers aus dem 19. Jahrhundert befrachtet.
In Ein gefräßiger Schatten schmilzt das Eis. Dies bezieht sich auf das Thema der Klimakrise, hat aber auch eine metaphorische Bedeutung. Sollten wir Angst vor dem schmel zenden Eis haben?
Ausgangspunkt für dieses Werk war eine Reihe von Nachrichten darüber, wie infolge des Klimawandels und der Schneeschmelze auf verschiedenen Bergen der Welt die Leichen von vor vielen Jahren verschwundenen Bergsteigern aufgetaucht sind. Ich fand die Vorstellung, dass die über Jahrhunderte unterdrückte Erde plötzlich die Leichen, die sie verborgen hatte, wieder an die Oberfläche bringt, sehr stark und faszinierend. Und auch den Gedanken, dass die Familienmythen vielleicht zu jenen Dingen gehören, die, immun gegen alle Veränderungen, die Zeit am längsten überdauern. Manchmal bedeutet für uns die Konfrontation mit dem Zusammenbruch dieser Mythen auch, uns als Mensch neu auszurichten, ähnlich dem, was angesichts der Herausforderung der Klimakrise kollektiv geschehen kann. Was wir verbergen, ist oft kein Problem, bis es ihm gelingt, sichtbar zu werden.
In dem Stück zitierst du den Brief des italienischen Dichters Petrarca Die Besteigung des Mont Ventoux, geschrieben im 14. Jahrhundert. Was ist für dich an diesem Text wichtig?
Ich habe Petrarcas Buch während des Schreibens entdeckt, dank eines Hinweises von Magda Bizarro vom Festival d’Avignon. Für das Stück ist es aus mehreren Gründen zentral. Es wurde 1336 geschrieben und ist das erste Buch, das von einer Bergbesteigung erzählt. In dem Buch gibt es einen tatsächlichen Aufstieg und offensichtlich auch einen metaphorischen, einen Versuch, zur Göttlichkeit, zu etwas Transformativem aufzusteigen. Oft heißt es, dass Petrarca auf den Mont Ventoux als Mensch des Mittelalters hinaufgestiegen, aber als Mann der Renaissance heruntergekommen ist, als zukünftiges Symbol für den Humanismus, der derzeit sehr in Frage gestellt wird und den man meiner Meinung nach wieder aufgreifen sollte. Aber es ist auch ein Buch, das als wahre Geschichte dargestellt wird, Petrarca schreibt es in Form eines Briefes an einen Freund, in dem er seine Besteigung in allen Einzelheiten schildert. Vor Kurzem hat man allerdings entdeckt, dass es völlig fiktiv ist, er hat sie nie wirklich gemacht. Das
Verhältnis von Realität und Fiktion ist ein weiteres zentrales Thema unseres Stücks.
Ein weiteres wichtiges Thema für dein Stück ist das Verhältnis zwischen Realität und Fiktion. In deinen Arbeiten tauchen immer wieder Reflexionen über das Medium auf, in dem du selbst arbeitest. Warum, glaubst du, zieht es dich zu dieser Selbstreflexion über den Akt des Storytellings?
Ich finde es sehr interessant, wie wir alle Fiktionen erschaffen, während die Fiktionen uns erschaffen. Jeder Mensch erfindet eine Geschichte von sich selbst, wenn er sein Leben erzählt, da wir unsere Erfahrungen jedes Mal, wenn wir sie erzählen, verändern und anpassen, aber gleichzeitig sind wir aus Fiktionen gemacht, wir leben so, wie die Bücher, Filme und Theaterstücke, die wir konsumiert haben, uns gemacht haben. Borges sagte, dass „wir Menschen schreiben, während jemand uns schreibt“. Man könnte meinen, dass die Fiktionen dazu da sind, unser flüchtiges Leben zu verewigen, aber auch das Gegenteil ist der Fall: dass wir von den Fiktionen benutzt werden, damit sie sich verewigen.
Nach Diamante und La Obra bist du mittlerweile Stammgast bei den Wiener Festwochen. Was ist dein Eindruck von Wien?
Wien bleibt für mich ein faszinierendes Rätsel. Obwohl ich schon mehrmals hier war, habe ich das Gefühl, dass ich es nur oberflächlich kenne. Vielleicht, weil ich immer noch mehr vom mythischen Wien beeinflusst bin, das meine künstlerische Ausbildung geprägt hat, als von der realen Stadt. Und noch etwas fasziniert mich: Ich habe bemerkt, dass einige Gebäude in Buenos Aires Kopien von Gebäuden aus Wien sind, vor allem aus dem beginnenden 20. Jahrhundert. Offensichtlich ähnelt die Debatte über „Original“ und „Kopie“ jener über Realität und Fiktion.
Wie erlebst du die derzeitige Arbeitssituation für Künstler:innen in Argentinien?
Es ist schrecklich. Seit etwas mehr als einem Jahr haben wir in Argentinien eine rechtsextreme Regierung. Abgesehen von ihren faschistischen politischen Positionen, die einem bedauerlichen weltweiten
Trend der letzten Zeit folgen, ist sie gegen Bildung und Kultur besonders hart vorgegangen. Derzeit gibt es kein Kulturministerium mehr, alle Filmförderungen wurden eingestellt, die staatlichen Theater arbeiten mit minimalem Budget und die freien Theater erhalten keine Zuschüsse. Es war noch nie einfach, in Argentinien als Künstler:in zu arbeiten, aber die aktuelle Situation ist extrem. Gleichzeitig entsteht gerade eine Bewegung des Widerstands, sowohl auf Seiten der Künstler:innen als auch der Zuschauer:innen, die nach anderen Produktions- und Ausstellungsmöglichkeiten suchen, was bedeutet, dass das Theater wieder einmal zu einer Art Zufluchtsort für dunkle Zeiten wird, zu etwas, das kollektiv die Notwendigkeit kanalisiert, andere potenzielle Beziehungen zu schaffen und uns dadurch erlaubt, einen gewissen Optimismus für die Zukunft zu bewahren.
Das Interview wurde schriftlich von Tarun Kade (Wiener Festwochen | Freie Republik Wien) im April 2025 geführt.
Mariano Pensotti ist ein argentinischer Theaterautor und -regisseur. Er studierte Film, bildende Kunst und Theater in Buenos Aires, Spanien und Italien und gründete mit der Bühnenbildnerin Mariana Tirantte, dem Musiker Diego Vainer und Produzentin Florencia Wasser das Ensemble Grupo Marea. In seiner Arbeit verfolgt er zwei unterschiedliche Richtungen: Einerseits Bühnenwerke, für die er seine eigenen Texte verfasst und bei denen das Stück grundlegend auf der Arbeit mit den Darsteller:innen fußt, und andererseits ortsspezifische Performances, die vor allem darauf abzielen, einen besonderen Gegensatz zwischen Fiktion und Realität zu schaffen, indem Fiktion an öffentlichen Orten präsentiert wird.
Als Theaterautor und -regisseur realisierte er in den letzten zwölf Jahren mehr als 15 Projekte, darunter La Obra (Wiener Festwochen 2023) Los Años, El Público, Diamante (Eröffnungs- produktion der Wiener Festwochen 2019), Arde brillante en los bosques de la noche, Cuando vuelva a casa voy a ser otro, Cineastas (Wiener Festwochen 2013), El pasado es un animal grotesco und die ortsspezifische Performance La Marea. 2019 inszenierte er an der Opéra national de Rhin in Strasbourg Beatrix Cenci, seine erste Oper, ebendort folgte 2021 Madama Butterfly. Mariano Pensotti gilt heute als einer der international bekanntesten Regisseure, seine Arbeiten wurden in mehr als 30 Städten weltweit gezeigt.
IMPRESSUM
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