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Viehmarktplatz Thun: Interview mit dem Künstler Heinrich Gartentor

«Ich tu nie etwas, weil ich nur das Kalb machen will»

Er trägt den Garten im Künstlernamen und bereichert den Viehmarktplatz diesen Sommer mit seiner grünen Wiese. Im Interview erklärt Heinrich Gartentor, was er mit seinem Projekt beabsichtigt und was Blumen mit Kunst zu tun haben.

Wühlen sei eine der wichtigsten Aufgaben eines Künstlers, sagten Sie mal in einem Interview. Worin wühlen Sie am

liebsten? In Sachen, die nicht gelöst sind. Wir können das Beispiel der Installation «Insel in der Stadt» nehmen. Ursprünglich ging es da um den Münsterhof in Zürich. Der Platz ist viel zu heiss. Als ich zu einem Wettbewerb eingeladen wurde, versuchte ich, eine Lösung für dieses Problem zu finden, und gestaltete die Wiese.

Die Wiese haben Sie nun auf dem Viehmarktplatz in Thun quasi zweitverwer

tet. Warum? In Zürich war das Projekt nach einem Monat schon fertig. Das fand ich schade. Deshalb fragte ich bei der Stadt Thun nach, ob man das nicht hier machen könnte. Denn Thun ist mir nicht nur geografisch, sondern auch im Herzen nah – immer gewesen. Und der Viehmarktplatz sowieso. Aber er ist heiss, grau und unbelebt. Ich dachte, mein Projekt könnte einen Input dazu geben, was man mit und auf diesem Platz alles machen könnte.

Damit rannten Sie bei der Stadt offene Türen ein. Ihre Wiese kommt auch bei der Bevölkerung gut an. Aber einige Leute fragen sich, was das mit Kunst

zu tun hat. Diese Aussage ehrt mich eher. Meine Aufgabe als Künstler ist es, etwas zu tun, das die Leute anregt. Nun ist es zufälligerweise auch noch schön und sieht überhaupt nicht nach Kunst aus. Aber wenn ich nicht Künstler wäre, hätte ich wohl auch keine solche Idee gehabt.

Ist es die Freiheit, die Sie vor allem

schätzen als Künstler? Ja. Ich habe als Künstler auch eine gewisse Narrenfreiheit. Ein Künstler darf auch scheitern.

Gescheitert sind Sie hierbei nicht. Ihre Wiese gefällt und hat sogar zu weite

ren Projekten inspiriert. Das war meine Absicht. Es freut mich besonders, dass die Biker und die STI nun auf dem Platz den Veloverlad für den Transport zur Downhillstrecke machen und Gage Plecic ausprobieren kann, wie es mit der Gastronomie funktioniert. In Zürich hat man dank der Wiese anschliessend drei Bäume auf dem Platz gepflanzt.

«Stolz machen mich meine Kinder, wenn sie gut skispringen.»

Macht Sie das stolz? Es macht mich glücklich. Stolz bin ich mir gegenüber eigentlich nie. Stolz machen mich meine Kinder, wenn sie gut skispringen.

Zurück zum Sommer. Sie pflegen die Wiese allein. Wie viel Zeit verbringen

Sie auf dem Viehmarktplatz? Ich brauche jeden Tag zwei Stunden zum Giessen. Aber es ist kein Müssen. Ich bin gerne hier. Der Austausch mit den Leuten ist mir wichtig.

Was haben Sie da so erlebt? Als ich einmal am Giessen war, hielt ein Autofahrer an, kurbelte das Fenster runter und erzählte mir, dass er hinter der Stadtmauer aufgewachsen sei und der Platz für ihn eine besondere Bedeutung habe. Hier habe er seine ersten Hühner gekauft. Das finde ich schön. Es halten wildfremde Leute an und sagen mir, dass sie die Wiese super fänden. Das ist mir überhaupt noch nie passiert bei einem Projekt.

Nebst dem Klima, Umwelt, Nachhaltigkeits, ästhetischen und städtebaulichen Aspekt gibt es also auch eine soziale

Komponente bei Ihrem Projekt? Ja, ich glaube, es führt die Leute tatsächlich zusammen. Es war sicher gut, dass wir die Wiese in einer Nacht aufgebaut haben. So war sie einfach plötzlich da, und man kann sie auf sich wirken lassen. Wenn man das Projekt vorangekündigt hätte, hätte dies vermutlich zu politischen Diskussionen geführt.

Sie sind auch politisch aktiv, waren der erste Kulturminister und kandidierten auf der Liste der BDP für Grossen und Nationalrat. Die Kulturpolitik ist mir eine Herzensangelegenheit. Als ich vor Kurzem nachgerückt wäre in den Grossen Rat, habe ich aber auf das Amt verzichtet.

Warum? Es ist besser, wenn ich Künstler bin. Da bin ich viel freier. Es hätte mich zwar sehr interessiert, Grossrat zu sein, aber es wäre auch sehr einschneidend gewesen. Unser Familienmanagement wäre total durcheinandergeraten. Für unsere Familie ist es besser so.

Aber schade für die Politik. Ja, schon. Es war für mich auch der schwierigste Entscheid, den ich je getroffen habe. Aber ich bereue ihn nicht.

Als Künstler mischen Sie sich auch in die politische Diskussion ein, wühlen

eben in Dingen. Ja, diese Art des politischen Engagements liegt mir besser.

Provozieren oder reizen Sie die Leute gern mit Ihrer Kunst? Ich provoziere die Leute nicht. Aber ich kann nicht abstreiten, dass sie sich zuweilen provoziert fühlen.

Humor ist ein weiteres Element Ihrer Kunst. Besteht die Gefahr, dass man Sie manchmal nicht ernst nimmt? Das ist so. Es stellt sich auch die Frage, wie ernst man mich als Politiker genommen hätte. Ich meine es aber immer ernst, häufig mit einem Schuss Ironie. Aber die Absicht dahinter ist immer ernst. Ich tu nie etwas, weil ich einfach nur das Kalb machen will.

Vom Kalb zur Wiese. Im September kommt sie weg. Was passiert mit den

Blumen? Die Blumenkistchen können gekauft werden. Die Leute können die Blumen in ihren Garten pflanzen. Je mehr sich das verteilt, desto besser. — Heinrich Gartentor ist als Martin Lüthi am 14. September 1965 in Schafmatt (AG) geboren und in Kehrsatz aufgewachsen. — Er ist Schriftsteller, Aktionskünstler,

Kurator und Kolumnist. — Lüthi ist auch politisch aktiv und wurde 2005 per Internet zum ersten

Kulturminister der Schweiz gewählt.

Für die BDP kandidierte er für

Grossen und Nationalrat. — 2011 erhielt er den Kunstpreis der

Stadt Thun. — Er lebt mit seiner Familie in

Horrenbach.

Bild links: Heinrich Gartentor ist gerne auf seiner Wiese und mag den Austausch mit den Leuten.

Bild unten: Beim Aufbau packte Markus Graf, Leiter Werkhof, mit einem Team vom Tiefbauamt mit an.

Bild ganz unten: Die «Insel in der Stadt» von oben.

Was bleibt sonst noch? Die Erinnerung. Und ich denke, es wird den politischen Prozess beeinflussen bei der Frage, was mit dem Platz passieren soll. Ich hatte auch schon eine Anfrage vom Skigebiet Eriz. Sie möchten die Plattformen gern im Kinderland verwenden, für Familien zum Picknicken. Es geht alles irgendwie weiter. Jedenfalls wird nichts weggeworfen.

Interview: Simone Tanner Bilder: Erich Häsler, Patric Spahni, Christoph Gerber

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