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KREUZWORTRÄTSEL

KREUZWORTRÄTSEL

Lobbyistin zu Gunsten der sprachlosen Natur

Seit 17 Jahren kämpft Verena Wagner als Quereinsteigerin für selten gewordene intakte Lebensräume. In dieser Zeit hat sie sich zur eidg. dipl. Umweltfachfrau ausgebildet. Vor wenigen Tagen hat Verena Wagner das Präsidialamt von Pro Natura Region Thun abgetreten.

Auch privat naturnah. Verena Wagner bei der Pflege der Biotope im Garten vor dem Wohnsitz… … und bei Informationen an Behördevertreter und Sponsoren während den Aufwertungsmassnahmen im Gwattmoos.

Verena Wagner, Ihr Einsatz für die Natur ist beispielhaft. Wie sind Sie dazu gekommen? Da ist natürlich meine Herkunft aus dem Oberemmental entscheidend, wo ich als ältestes von sieben Kindern auf einem wunderschönen Bauernhof aufgewachsen bin. Für mich war die Natur ganz selbstverständlich immer da. Ich habe aber vorerst einen anderen Weg eingeschlagen, wurde Krankenschwester, machte die Matur und studierte Geschichte und Politologie.

Gab es ein spezielles Ereignis, das zu dieser Umwelt-Karriere führte? Das war die Wahl meines Mannes ans Spital Thun. Wir sind aus den USA via Bern nach Hilterfingen gekommen, und ich war in einer Umbruchphase. Viel Neues kam zusammen: eine anspruchsvolle Stelle für meinen Mann, der Umzug nach Hilter fingen, die Kinder kamen in den Kindergarten, ich kannte noch niemanden. Zudem war meine Mutter schwer krank und starb 1996. Ich konnte mein Lizenziat an der Uni nicht mehr abschliessen. Nach dem Umbau des Hauses entfernten wir im Garten alle exotischen Sträucher. Als wir uns für einheimische Pflanzen und das Thema Naturgarten interessierten, kamen wir mit Mitgliedern von Pro Natura in Kontakt. 1996 wurde ich für eine Vorstandsarbeit gefragt und gleich als Präsidentin für dieses Ehrenamt gewählt. Als komplette Quereinsteigerin habe ich bei Null angefangen und mir sukzessive Wissen angeeignet. Wie haben Sie sich die Akzeptanz verschafft? Ich habe begonnen, extrem viel zu lesen. Mit der Zeit lernte ich Fachleute kennen, habe überall nachgefragt: bei der Waldabteilung, der Fischerei, dem Naturschutzinspektorat (heute ANF des Kts. Bern), der Uni, beim Gärtner usw. Ich merkte schnell, dass viele mir gerne halfen, Wissen zu erlangen. Ich habe mich intensiv für verschiedene Themen interessiert und dachte, wenn das freiwillig und ehrenamtlich ist, darfst du dir keine Fehler erlauben, sonst hast du schnell den Stempel «Amateurin». Ich war Quereinsteigerin mit einem Hang zum Perfektionismus.

Sie stehen seit Jahren im dauernden Konflikt zwischen touris tischen Angeboten und dem Schutz von ungestörten Naturwerten. Zermürbt Sie das? (ein tiefer Seufzer) Was soll ich sagen, es kann zermürbend sein, doch ich lasse es nicht mehr so nahe an mich herankommen. Ich habe gelernt, den Abstand zu halten. Ich bin keine Missionarin, keine Fundamentalistin, sondern mehr Lobbyistin, manchmal etwas kämpferisch. Ich bin ein pragmatischer Mensch. Zermürben ist vielleicht das falsche Wort, denn eher schmerzt es mich, wenn ich höre, wie Freizeitsportler davon reden, wie gerne sie sich in der Natur bewegen, sich aber dabei nicht kümmern, ob es zum Schaden oder Nutzen von Flora und Fauna ist. Viele Menschen sind auf einem grossen (Freizeit-)Egotrip, sehr weit entfernt von der Natur.

Verena Wagner liebt die Pflegeeinsätze mit den Freiwilligen von Pro Natura, wie hier an einem Weiher der Schintere.

Aber der Druck auf die Natur steigt stetig, die Menschen gehen immer sorgloser damit um. Fühlen Sie sich bei Ihrer Arbeit nie ohnmächtig? Mich macht die Ignoranz ohnmächtig. Das Schlimmste sind für mich aber menschliche Dummheit und Gleichgültigkeit, das ist ein fataler Mix. Fast alle Menschen gehen gerne in die Natur, aber den meisten sind die Anliegen der Natur höchstenfalls ein Niceto-have. Auch zahlreichen Behörden, den Gemeinden. Spontan werden dort kaum je Ideen zur Arten- oder Lebensraumförde-

VERENA WAGNER

Von der Quereinsteigerin zur Umweltfachfrau

Verena Wagner wurde 1959 im Emmental geboren. Nach der Ausbildung zur Krankenschwester folgten Maturität und Studium in Geschichte und Politologie. Heute ist sie eidg. dipl. Umweltfachfrau und verheiratet mit Prof. Dr. med. Hans E. Wagner, Chefarzt Chirurgie im Spital Thun. Ihre Söhne Michael (25) und Benjamin (24) sind in Boston (USA) zur Welt gekommen. Verena Wagner bezeichnet sich als «Bewegungsmensch». Neben den Anliegen und Aktivitäten zugunsten der Natur (zum Beispiel bei Arbeitseinsätzen in Schutzgebieten) treibt sie gerne Sport oder legt Hand an im eigenen natur nahen Garten. Sie liest sehr gerne und ist auch kulturell engagiert. rung aufgegriffen. Das Bewusstsein und der Wille, Zusammenhänge zu begreifen, ist leider allzu oft nicht da, und beim Thema Landwirtschaft kann ich schon mal rabiat werden. Ich sehe aber das Glas meistens halb voll und habe Humor.

Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden, um die Bevölkerung vermehrt für die Natur zu sensibilisieren? Da müsste wohl auf verschiedenen Ebenen zielgerichtet gehandelt werden und damit wird alles zur politischen Frage. Wenn in den Gemeinden bei den Ortsplanungen erfolgreichen, messbaren Vernetzungen, dem Landschaftsschutz (Ende der Zersiedelung), dem sanfteren Tourismus ein Wert gegeben würde und beim Kanton Natur, Landschaft und Lebensräume einen besser ver ankerten Stellenwert hätten, wäre es einfacher, Wissen und Handeln in Einklang zu bringen. Viel Potenzial zur Sensibi lisierung liegt bei den Kindern. Elternhaus und Schule sind Wegmarken. Handeln müssen am Ende wir alle.

In welchen Bereichen konnten Sie die grössten Erfolge erzielen? Wie hat sich Pro Natura in der Region unter Ihrer Führung entwickelt? Ganz simpel gesagt, wir haben uns neu positioniert. Wir wollten im Feld Projekte machen, Lebensräume aufwerten und er weitern, zum Beispiel mit Weiherbauten für Amphibien in der Schintere, mit der Renaturierung des Allmendingenbächlis und etlichen Trockenmauern in der Region für Reptilien. Ferner leg-

ten wir mit Exkursionen für Schulen und Private einen Schwerpunkt in der Umweltbildung und gaben der Jugend-Naturschutzgruppe JUNAAlpendohlen den nötigen Stellenwert.

Sie waren bis vor kurzem bei allen Projekten von Pro Natura Region Thun als Präsidentin an vorderster Front aktiv. Bedeutete dies für Sie aktive Erholung? (lacht schallend) Das kann man so nicht sagen. Die meisten Projekte sind wirklich auf meine Initiative hin, oder weil jemand eine Idee an mich herangetragen hat, entstanden. Die Erholung bei den Projekten kam aber erst, wenn alles auf dem Schlitten war und die Umsetzung lief. Aber die langen Vorlaufzeiten, die vielen Sitzungen, oft hunderte von Stunden – das braucht viel Hart näckigkeit, Humor und gute Nerven. Ich habe dabei sehr viel gelernt, über Menschen und Prozesse. So schnell bringt mich mittlerweile niemand mehr aus der Ruhe. Ich habe mir nicht das Hobby zum Beruf gemacht. Ich kann aber die Leidenschaft, dort wo mein Herz schlägt, heute leben. Zudem habe ich eine Familie, die mich bisher in jeder Situation immer unterstützt hat.

Sie sind nun nach 17 Jahren als Präsidentin zurückgetreten. Weshalb? Es beginnt eine neue Lebensphase. Die Jungs sind ausgeflogen, und ich habe meine Ausbildung als eidg. dipl. Natur- und Umweltfachfrau abgeschlossen. Während der letzten Jahre habe ich mir einen eigenen (Lebens- und Arbeits-)Rhythmus angeeignet, der nicht als normaler Tagesablauf angesehen werden kann. Deshalb bin ich am Überlegen, ob ich mich selbständig machen soll. Der Gedanke reift in mir. Dem Naturschutz und Pro Natura werde ich weiterhin treu bleiben.

Wenn Sie von der (Umwelt-)Fee drei Wünsche offen hätten, was stünde im Vordergrund? Sicher die Erhaltung und Förderung von Lebensräumen und Arten, die Biodiversität im Allgemeinen – dass man diesem

INFO

Jugendnaturschutz soll gefördert werden

Ein grosses Anliegen von Verena Wagner ist die Förderung des Jugendnaturschutzes. Für Kinder ab 6 Jahren bietet die Jugendnaturschutzgruppe JUNA Alpendohlen Thun vielfältige Aktivitäten in der Natur. Das Jahresprogramm beinhaltet zehn Angebote, so z.B. mit Wildtierbeobachtungen, geheimnisvoller Spurensuche oder erlebnisreichem Sommerlager im Oberwallis – Spass und Spannung sind garantiert. Die JUNA Alpendohlen wird sich ebenfalls am Wildpflanzenmärit in Thun vom 11. Mai 2013 aktiv beteiligen. Künftig wird ein Mitglied der Juna-Leitung im Vorstand von Pro Natura Region Thun Einsitz nehmen und die Jugendgruppe wird von der Sektion einen Sockelbeitrag erhalten. www.juna.ch/alpendohlen

Der Waffenplatz liegt Verena Wagner am Herzen. In der Kiesgrube reinigt sie Becken für die Kreuzkröten und Gelbbauchunken.

Thema den nötigen Stellenwert gibt, auf allen Stufen. Ein weiterer Wunsch wäre, dass der Begriff «Nachhaltigkeit» mit glaubhaften Inhalten gefüllt würde und weniger Worthülse bliebe. Ferner wünsche ich mir, dass es mir gelingt, den Alpensegler im Turm der Thuner Stadtkirche anzusiedeln. Den Grundstein mit Finanzierung und Planung habe ich mir an meinem 50.-GeburtstagsFest im 2009 gelegt. Der Alpensegler wäre ein wunderbares Wahrzeichen für diese Stadt. Ein freier, eleganter Vogel voller Tempo und Grazie. Das gefällt mir.

Interview und Bilder: Beat Straubhaar, Weber AG

INFO

Herzblut und Freiwillige für Naturperlen der Region

Die grosse Arbeit zugunsten der Natur wäre ohne die Frei willigen von Pro Natura nicht möglich. Wer Freude an der Natur hat und im Feld mitarbeiten will, ist uns herzlich willkommen. Die Sektion Region Thun ist in vielen Gebieten pflegerisch an der Arbeit: Schintere (Lerchenfeld), Waffenplatz, Gwattmösli, Allmendingenbächli und Schnittweier. Zudem werden an verschiedenen Standorten Trockenmauern gebaut und gepflegt. «Für selten gewordene Arten haben wir so im kleinen Umfeld einige wertvolle Lebensräume auf gewertet, die auch künftig umsichtig und mit viel Herzblut von unseren Freiwilligen gepflegt werden», blickt Verena Wagner auf ihre 17 Jahre als Präsidentin zurück. www.pronatura-be.ch/region-thun

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