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2.1 Optimaler Leistungszustand

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Autorenschaft

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Mental stark zu sein bedeutet also, seine bestmögliche Leistung zu einem selbst gewählten Zeitpunkt abrufen zu können – unabhängig von äusseren Faktoren wie schlechten Verhältnissen, störenden Gedanken, Angst und Unsicherheit.

Zur Veranschaulichung dient das Bild des optimalen Leistungszustandes (OLZ).

Die Beziehung zwischen Qualität der Leistung und Aktivierungsniveau nach Yerkes und Dodson 1908.

Jede körperliche Leistung (wie z.B. Klettern) ist abhängig vom psychischen Aktivierungsniveau. Ist diese Aktivierung schwach, z.B. morgens kurz nach dem Aufstehen, ist von Körper und Geist noch keine Spitzenleistung zu erwarten. Ist die psychische Aktivierung sehr hoch, also z.B. bei zu hoher Nervosität, darf ebenfalls nicht mit der bestmöglichen Leistung gerechnet werden. Irgendwo dazwischen liegt der sogenannte optimale Leistungszustand (OLZ; siehe Illustration). Er beschreibt den Bereich, in welchem die psychische Aktivierung von Körper und Geist eine optimale Beanspruchung und somit die best-

mögliche Leistung überhaupt erst zulässt. Das psychische Aktivierungsniveau hat in der Regel unmittelbare Auswirkungen auf den Körper, z.B. zittern bei hoher Nervosität die Hände.

Ein typisches Alltagsbeispiel ist das Binden eines Schnürsenkels: Unter Zeitdruck ist man aktivierter und aufgeregter; dies stört die motorischen Bewegungen. Statt schneller ist man deshalb oft langsamer. Der Grund dafür ist, dass viele unserer regelmässig ausgeführten Bewegungen automatisiert sind – wir denken nicht weiter darüber nach. Wenn wir nun einen solch automatisierten Prozess beschleunigen möchten, wird dieser Automatismus gestört und wir werden langsamer.

Variabel, sportartspezifisch und individuell

Die Schwankungsbreite der menschlichen Aktivierung wird auf einer Skala mit den Polen «emotionslose Entspanntheit» als niedrigstes und «Panik» als höchstes Aktivierungsniveau dargestellt (siehe Illustration, Seite 26). Nun kann man sich vorstellen, dass diese optimale

Aktivierung nicht für jede Tätigkeit an der gleichen Stelle liegt: Bei feinmotorischen Aufgaben, welche eine ruhige Hand und wenig körperliche Kraft benötigen (wie z.B. im Schiesssport), dürfte der optimale Leistungszustand an einem anderen Ort zu finden sein als bei Tätigkeiten, in welchen hoher körperlicher Einsatz gefragt ist (z.B. Sprint, Spielsportarten).

Am Berg ist dies genauso: Beim Reibungsklettern, das eine relativ geringe Kraftleistung erfordert, ist die optimale Aktivierung wohl meistens niedriger als z.B. beim Klettern im Überhang, das einen hohen Kraftanteil erfordert. Dazu kommt, dass die optimale Aktivierung bei einer Tätigkeit von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist: Während der eine hochgradig aktiviert sein muss, um eine Route fehlerlos zu durchsteigen, gelingt dies dem anderen in einem entspannten Zustand besser.

« Ich messe den Erfolg nicht an meinen Siegen, sondern daran, ob ich jedes Jahr besser werde. » Tiger Woods, Profigolfer

In vielen Bereichen des Lebens ist es zwar ärgerlich, wenn man seinen OLZ nicht abrufen kann, jedoch nicht weiter tragisch (z.B. kriegt man im Tennisspiel keinen Aufschlag ins Feld oder verpasst aufgrund des verlangsamten Schuhbindens den Bus). Anders sieht es bei Tätigkeiten aus, welche die körperliche Unversehrtheit gefährden könnten, wie z.B. beim Operieren als Chirurg, dem Fliegen eines Flugzeugs als Pilot oder eben beim Bergsteigen in alpinem Gelände.

Erkennen und beeinflussen

Den eigenen optimalen Leistungszustand für verschiedene Anforderungssituationen zu kennen und dieses Verhältnis zwischen Entspan-

nung oder Aktivierung durch gezielte und eingeübte Techniken des mentalen Trainings (z.B. Selbstgespräche, Atmung u.a.) zu halten oder herbeizuführen, ist eine wichtige Fertigkeit und das eigentliche Ziel des mentalen Trainings. Verschiedene Aktivierungsniveaus gehen oft mit unterschiedlichem Erleben und unterschiedlichen Körperempfindungen einher. Es gibt oft klar erkennbare Reaktionen und Symptome, sogenannte «somatische Marker», durch welche uns Körper und Psyche auf Unwohlsein, Überforderung, Überaktivierung oder Ähnliches hinweisen.

Solche somatischen Marker sind beispielsweise:

• Erhöhte oder sinkende Atemfrequenz und Puls. • Zitternde Beine oder Hände. • Allgemein angespannter Muskeltonus, Verkrampfung. • Angstschweiss. • Schlaflosigkeit. • Antriebslosigkeit, Ermüdung, Erschöpfung. • Nachlassen der Konzentration, mangelnde Aufmerksamkeit. • Verärgerung. • Überbordende Begeisterung bis hin zum Gefühlsrausch (Euphorie).

Jeder Mensch sollte und kann für sich selber herausfinden, in welchen Situationen eher Aktivieren oder Entspannen nötig ist, um den optimalen Leistungszustand zu erreichen. Dabei helfen kann das aktive Erinnern an eigene Erfahrungen: Wann ist mir eine Route optimal gelungen? Wo konnte ich Topleistungen erbringen? Den OLZ, das Empfinden bei diesen Erfolgen zu «speichern» und bei einer anderen Gelegenheit wieder abzurufen, ist die eigentliche Kunst. Mittels mentaler Techniken der Atmung, der Vorstellung, der Aufmerksamkeitslenkung und von Selbstgesprächen kann man sich dieses Empfinden gewissermassen «antrainieren» und sich in den optimalen Leistungszustand «hineinversetzen».

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