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Passion

# 09 2021

Das Magazin von BerlinDruck

Neue Serie YOUNGStars im Medienkosmos Rubén Giuliano Ich möchte Dinge transparent machen Stolz, halb Roboter, halb Mensch zu sein Ali Laçin über seinen Weg nach Tokio Haptisch kann man sich sehr schlecht berieseln lassen Multisensoriker Olaf Hartmann über The Power of Print In der Dunkelkammer Miriam Meckel über eine Reise in die Welt des Brainhackings

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Einstieg

Logistik

Ramona Eggers seit 2019 bei BerlinDruck Ihr Motto: „In der Ruhe liegt die Kraft“

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Einstieg

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„Manche Menschen drücken nur ein Auge zu, damit sie besser zielen können.“ Billy Wilder (1906 – 2002) war ein österreichischer D rehbuchautor , F ilmregisseur

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und

F ilmproduzent .

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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser, wer etwas will, findet Wege – wer etwas nicht will, findet Gründe. Doch wie sind wir erfolgeich mit dem, was wir wollen? Viele meinen, es gäbe nur zwei echte Erfolgsfaktoren: Intelligenz und Fokus. Doch wie schaffen wir es, fokussierter zu leben, zu lernen und zu arbeiten? Und wie bringen wir ein chaotisch kreatives Laissez-faire und eine preußisch korrekte Strenge zusammen? Indem wir Situationen annehmen, sehr genau hinschauen und zielgerichtete Lösungen entwickeln. Seit Monaten gehören steigende Preise für Papier sowie Ungewissheit über Liefermengen und -termine zu den großen Problemen in der Druck- und Medienwirtschaft. Wir bei BerlinDruck fokussieren uns heute und auf absehbare Zeit darauf, Materialien – Papier, Druckplatten und Farbe – für unsere Produkte bereitzustellen. Ja, es sind anstrengende Zeiten, aber wie sind für Sie da. Wichtig ist auch, aus den Erkenntnissen der Wissenschaft und des Marktes zu lernen! Unsere Anregungen in diesem Heft – nachzulesen in den Gesprächen mit Olaf Hartmann und den Gebrüdern Hinnen und in den Texten von Miriam Meckel und Caroline Criado-Perez – bieten inspirierende Einblicke. Letztlich ist es aber die Leidenschaft, mit der wir uns auf bestmögliche Lösungen fokussieren. Wir können von Steve Jobs lernen: Der einzige Weg, großartige Arbeit zu leisten, ist zu lieben, was man tut. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre. Bleiben Sie weiterhin gesund! Ihr Frank Rüter Geschäftsführer BerlinDruck GmbH + Co KG

IMPRESSUM Passion – Das Kundenmagazin von BerlinDruck erscheint dreimal jährlich im Eigenverlag | Herausgeber BerlinDruck GmbH + Co KG | Oskar-Schulze-Straße 12 | 28832 Achim | Telefon: +49 (0) 421 43871- 0 | Telefax: +49 (0) 421 43871-33 | E-Mail: info@berlindruck.de | www.berlindruck.de | Auflage 2.300 | Redaktion Presseinfos, Anregungen, Reaktionen bitte an: Passion c / o fotoetage | Reuterplatz 2 | 12047 Berlin | Telefon: +49 (0) 30 80954609 | E-Mail: agentur@quintessense.de Verantwortlich für den Inhalt V. i. S. d. P.: Frank Rüter | CD und Chefredakteur Eckard Christiani | Redaktionsbeirat Reinhard Berlin | Björn Gerlach | Autoren und Interviewpartner dieser Ausgabe Reinhard Berlin | Peter Bialobrzeski | Dina Brandt | Caroline Criado-Perez | Rubén Giuliano | Olaf Hartmann | Andri und Gieri Hinnen | Ali Laçin | Miriam Meckel | Norbert Möller | Frank Rüter | Fotografie Adobe Stock (8) | Shirin Büeler (17, 18) | Michael Jungblut, fotoetage (Titel, 2 – 9 , 10, 17, 28 – 31, 39) | Scholz & Friends, Patrick Leml (12, 13) | Tangolima (14,15) | Illustration  Christof Gähwiler (19) | Mojgan Ghanaatgar (16) | Julia Ochsenhirt (32, 34) | Schrift Carnas von Hoftype, Dieter Hofrichter | ITC Charter, Matthew Carter | Papier Gardapat 13 von Inapa, FSC | Layout und Editorial Design quintessense | Reuterplatz 2 | 12047 Berlin | Telefon: +49 (0) 30 80954609 | E-Mail: agentur@quintessense.de

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Inhalt

Inhalt

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Vers. 02

Manche Menschen drücken nur ein Auge zu, damit sie besser zielen können. Impressumalt

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Menschen bei BerlinDruck „Gelassenheit ist notwendig, um sich auf ein Vorhaben zu fokussieren“ weiß Schützin Ramona Eggers

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Alles Möller oder was? – Designkolumne Wie viel Fokussierung verträgt Kreativität?

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Olaf Hartmann Haptisch kann man sich sehr schlecht berieseln lassen

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Großes Weihnachts-Gewinnspiel The Power of Print

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Im Dreiklang von Herz, Hirn und Verstand Die Gebrüder Hinnen im Gespräch Die Reise aus Reframe it!

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Unsichtbare FraueN – Wie eine Hälfte der Menschheit ignoriert wird, von Caroline Criado-Perez

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Diaries Fotografien von Prof. Peter Bialobrzeski

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Neue Serie: YOUNGStars im Medienkosmos Ich möchte Dinge transparent machen Rubén Giuliano

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Die Dunkelkammer Miriam Meckel über eine Reise durch die Welt des Brainhackings

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Ali Laçin – Stolz, halb Roboter, halb Mensch zu sein Ein Interview mit dem Bronzemedaillengewinner aus Tokio

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Wer zulange wartet, ist der Verlierer Presseschau – Ein kurzes Gespräch mit Frank Rüter

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Wir bei BerlinDruck Das Beste kommt zum Schluss – Tschüss, Walter

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morgen – wie wir leben wollen Eine Leseempfehlung aus dem Hause Integralis

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Fokus ist alles – warum eigentlich? Ein Essay von Dina Brandt

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Menschen bei BerlinDruck

Schützin Ramona Eggers

„GELASSENHEIT IST NOTWENDIG, UM SICH AUF EIN VORHABEN ZU FOKUSSIEREN“ Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage

Ende letzten Jahrhunderts schon begann Ramona Eggers, es ihrer Familie gleichzutun: Sie wurde – auch um der lieben Tradition willen – Mitglied im Schützenverein Hülsen e. V.. Das wichtigste Ziel im Visier der Schützen ist die Gemeinschaft. Häufig wird ein Schützenverein als reine Feiergemeinschaft von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Zwar sei das Schützenfest ein zentraler Bestandteil des Vereinslebens und der feierliche Höhepunkt des Jahres. Aber das Leben im Verein sei weitaus vielfältiger und spannender, als es die gängigen Vorurteile und Klischees vermuten lassen. Und der Schießsport steht natürlich im Fokus!

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Menschen bei BerlinDruck

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Die Schützen sind eine enge, soziale Gemeinschaft, die das ganze Jahr über füreinander da ist und in der jede:r für die anderen einsteht. Schützenvereine gibt es bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert. In Deutschland gibt es rund 15 Tausend Vereine dieser Art. Sie begleiten die Mitglieder das ganze Leben und machen einen festen Bestandteil des Alltags aus. Diese Tradition – gerade im ländlichen Bereich – begeistert auch manch jungen Leute.

Ramona Eggers 31 Jahre Geboren in Walsrode lebt Ramona Eggers heute mit ihrem Mann Patrick in Verden. Seit 2019 ist sie als Fachkraft für Lagerlogistik bei BerlinDruck beschäftigt.

Auch Ramona Eggers hat 1998 mit acht Jahren Feuer gefangen und angefangen, im Verein zu schießen. „Natürlich hat es bei uns auf dem Land etwas mit Tradition zu tun, in einen Schützenverein einzutreten. Aber der Schießsport ist mir neben dem Vereinsleben ebenso wichtig“, meint Eggers. Um die richtige Schießtechnik zu lernen und gut zu sein, braucht es viel Übung. Zweimal in der Woche wird trainiert. „Konzentration ist im Schießsport alles. Du musst Ruhe bewahren können“, weiß Ramona Eggers. „Daher auch mein Lebensmotto: In der Ruhe liegt die Kraft.“ Gewissenhaftigkeit sei ebenfalls eine Grundvoraussetzung, denn als Schützin trägt man eine besondere Verantwortung. Unterstützt wird man dabei vom Schießsportleiter, der beim Training immer dabei ist. Das kostspielige Allermann-Gewehr, mit dem Eggers trainiert, teilt sie sich mit ihrer Mutter. „Wir sind beide Auflageschützinnen. Ich fokussiere mich vor allem aufs Teilerschießen.“ Der

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Teiler gibt den Abstand des Schusses in hundertstel Millimetern von der Mitte der beschossenen Scheibe an und ist somit ist eine spezielle Wertungsart der Schießscheibe. Dabei wird der Teiler des besten Schusses gewertet. „Das Schießen hat mich gelehrt, dass auch im Leben und im Beruf Gelassenheit notwendig Das kollegiale Mitist, um sich auf ein Vorhaben zu einander bei uns fokussieren“, sagt ist schon sehr beEggers. sonders und hilft, in Ramona „Ich arbeite sehr richtigen Momenten strukturiert und die Ruhe zu bewah- schätze es, mich bei BerlinDruck ren. weiterentwickeln zu können. Ich plane sehr gern, was ich tue, auch wenn man hier in der Logistik immer flexibel sein und damit rechnen muss, Dinge anders zu organisieren.“ Neben der Büroarbeit ist Eggers mit

der Tourenplanung beschäftigt. Sie kommissioniert, sie fährt Stapler, macht Musterversand. „Man hat hier sehr viel Abwechslung. Das kollegiale Miteinander bei uns ist schon sehr besonders und hilft, in richtigen Momenten die Ruhe zu bewahren.“ D

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Designkolumne

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ALLES MÖLLER ODER WAS?

DIE DESIGNKOLUMNE VON NORBERT MÖLLER

Wie viel Fokussierung verträgt Kreativität?

Jedem von uns fällt ein Moment ein, von dem wir behaupten können, voll und ganz auf etwas fokussiert gewesen zu sein. Ganz gleich, ob es sich um ein berufliches Projekt handelt oder eine Idee, die uns privat umtreibt: Wenn wir in unserem tiefsten Inneren davon überzeugt sind, dass nur diese eine Aufgabe jetzt in diesem Moment unsere volle Aufmerksamkeit verdient, widmen wir uns ihr mit voller Leidenschaft und blenden Störfaktoren erfolgreich aus. Aus eigener Erfahrung wissen Sie aber wahrscheinlich, dass das gar nicht so einfach ist: Unser Alltag besteht schließlich oft eher aus Pflichtaufgaben und Routinen, als aus sinnstiftenden Erlebnissen. Und von diesen lassen wir uns nur zu gerne ablenken: Ein Kaffee mit Kollegen – danach ist immer noch Zeit für die leidige Präsentation. Mal kurz schauen, wie das Wetter am Urlaubsort ist. Einmal schnell den Bundesliga-Ticker aktualisieren. In der Zeit des Homeoffices haben sich die Rahmenbedingungen noch verschärft, denn oft sind wir auf mehreren Kanälen parallel unterwegs – ständig plingt eine Mail ins Postfach, ein Chatfenster ploppt auf oder Kollegen klopfen mit Videoanrufen an. Fokussieren folgt auf Filtern. Doch Filtern erfordert Masse. Auch ich schweife ab, denn eigentlich wollte ich mich der Frage widmen, ob

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es überhaupt möglich ist, immer fokussiert zu arbeiten – erst recht in der Kreativbranche. Sehr schnell gelangt man bei dieser Überlegung nämlich zu der Erkenntnis, dass das fokussierte Tun immer nach einem Gegenpart verlangt: Einer vorhergehenden Phase, in der man unterschiedliche Möglichkeiten überlegt und prüft. Gerade in kreativen Berufen gilt: Zu Beginn eines Projektes sind alle Ideen erlaubt. In den absurdesten Gedanken kann ein faszinierendes Moment stecken und auch mehrere unterschiedliche Ansätze lohnt es sich, parallel zu vertiefen und zu diskutieren. Durch behutsames Filtern gelangt man schließlich zu einem Punkt, an dem man wirklich aus Überzeugung sicher sein kann, die richtige Lösung gefunden zu haben. Und schafft erst damit die Voraussetzung, sich tatsächlich auf die Umsetzung fokussieren zu können. Die Kunst besteht darin, die Phasen der Ideenfindung und des Filterns nicht vorschnell zu beenden: Versteift man sich vorschnell auf eine Lösung, wird man im weiteren Verlauf immer wieder an ihr zweifeln. Dieses latente Hinterfragen lenkt ab. Wir sind weniger überzeugt – und richtig: arbeiten dann weniger fokussiert. Den Fokus zu setzen beginnt mit der Frage: auf wen und was?

gruppen, die das Design ansprechen soll. Hier kommen unsere Kollegen aus der Strategie ins Spiel: Sie erstellen implizite Befragungen und untersuchen, von welchen Werten die künftigen Adressaten unserer Arbeit geleitet werden. Sie legen offen, was Menschen in der Marke sehen, für die wir ein Design entwickeln – und welche gestalterischen Codes diesen Erwartungen entsprechen. Wir üben uns also in Empathie, rationalisieren aber zugleich den Prozess: Statt mit Auftraggebern darüber zu streiten, ob Rot schöner ist als Blau, können wir nachvollziehbar machen, was richtig und was falsch ist. So gewinnen alle Beteiligten Sicherheit. Bis zum fertigen Design ist es dann immer noch ein langer Weg. Und weil auf diesem wiederum die Gefahr wächst, das Ziel aus dem Blick zu verlieren und sich ablenken zu lassen, hat sich die Fokussierung auf Teilaufgaben bewährt: Die agile Arbeitsweise macht aus dem ermüdenden Langstreckenlauf eine Abfolge kurzer Sprints mit konkreten Etappenzielen. Das erfordert zwar gewissenhafte Moderation, ist aber effizient und beschert den Beteiligten obendrein motivierende Erfolgserlebnisse. Auf diese wiederum kann man natürlich vortrefflich mit einem Feierabendbier anstoßen – und sich mit gutem Gewissen ablenken lassen. D

Das Thema der Fokussierung begegnet einem als Gestalter jedoch nicht alleine in Bezug auf die eigene Arbeitsmoral, sondern ebenso als gezielte Methodik. Es hilft uns, in der Vielzahl möglicher Ansätze die richtige Lösung zu entdecken. Nach den ersten sehr offenen Ideenrunden verschieben wir daher die Perspektive – weg von unserem persönlichen Geschmack hin zu den Interessen und Emotionen derjenigen Ziel-

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Das Power Kulturelle Gedächtnis The of Print

Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage

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The Power of Print

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Ein Gespräch mit Olaf Hartmann

Haptisch kann man sich sehr schlecht berieseln lassen Olaf Hartmann, geboren 1971, ist einer der Wegbereiter des multisensorischen Marketings in Deutschland. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Touchmore GmbH und des Multisense Institut. Als Unternehmer, Berater, Autor und Host des Podcasts Markenkraft macht er die aktuellen Erkenntnisse aus Psychologie und Wahrnehmungsforschung für die Markenführung nutzbar. www.multisense.de www. touchmore.de

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Olaf, ist Print tot? Wieder mal eine Prophezeihung, die nicht in Erfüllung geht. (lacht) Nein. Genauso wenig, wie Radio gestorben ist nach der Erfindung des Fernsehens, genauso wird auch Print das Internet überleben. Insbesondere auch deshalb, weil die Internetstrategen und -medien, die das rein Digitale gepredigt haben, Stück für Stück erkennen, dass sie an ihre Grenzen kommen. Sogar digital pure player fangen an, auf Print zu setzen. Das machen die nicht aus Lust an der Nostalgie, sondern, weil Print wirkt. Nach wie vor. Womit hat das zu tun? Es hat etwas damit zu tun, dass Print andere Gedächtnisspuren erzeugt und Print stark aktiviert. Neben der Optik und der Akustik gibt es die Haptik, die den Printkanal als differenzierendes Merkmal auszeichnet. Print ist multisensorisch und dadurch gehirngerecht. Ich berühre die Drucksache, ich begreife sie im wahrsten Sinne des Wortes. Und das verändert die Wahrnehmung. Ich rieche zudem die Druckfarbe, die auch mit Duftessenzen durchsetzt sein kann. Das Zusammenspiel verändert die Art, wie ich die Information verarbeite – es ist ein psychologisch

extrem hochwertiger Kontakt. Es ist auch ein Kontakt, der mich stärker aktiviert, weil ich mit dem Medium körperlich umgehe: Das erzeugt eine psychologische In-Besitz-Nahme von dem, was ich da berühre. Bei digitalen Medien kann ich mich viel mehr optisch und akustisch berieseln lassen. Haptisch kann ich das nicht. Wenn ich etwas in die Hand nehme, tue ich das bewusst. Das erzeugt tiefere Gedächtsnisspuren. Aber streicheln wir nicht auch mit jedem Wisch unser Smartphone? Das ist richtig: Es gibt auch im digitalen Raum haptische Interaktionen. Das ist auch der Grund, warum die digitalen Medien eine Akzeptanzexplosion erlebt haben, als die Interfaces haptischer wurden, als Smartphone und das Tablet erfunden wurden. Daran erkennt man schon, wie attraktiv haptische Interfaces für uns sind. Trotzdem ist der Kontakt mit Print nach wie vor intensiver. Es mag sein, dass es irgendwann Technologien gibt, die ähnlich reproduzieren – aber in der Situation sind wir noch lange nicht. Wenn es gelänge, hieße das aber noch lange nicht, dass es von den Kosten her attraktiver wäre. Ich möchte es wagen, von einer PrintRenaissance zu sprechen – aktuell gibt es dafür Zeichen –, aber natürlich wird die Attraktivität von Print für Werbetreibende aus anderen Quellen gespeist als früher. Print hat durch seine aktivierende Wirkung gerade

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besonders gute Karten in crossmedialen Kontaktketten. Du hast vorhin erwähnt, dass digital orientierte Unternehmen zuletzt Ausflüge in Print-Medien unternehmen. Woran denkst du da? Es gibt zum Beispiel Händler, die vorher komplett digital unterwegs waren und plötzlich gedruckte Kundenmagazine herausbringen. AirBnb war ein sehr frühes Beispiel. Und Zalando: Natürlich ist Zalando ein Online-Händler. Sie drucken aber Kataloge. Auf der anderen Seite ist

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der IKEA-Katalog jetzt eingestellt worden. Trotzdem verzichtet das Unternehmen nicht auf Print in seiner Inspirations- und Aktivierungsfunktion. Die Katalogfunktion übernimmt natürlich das Digitale – das geht unkomplizierter und schneller. Aber bei Emotionalisierung und Aktivierung ist Print nach wie vor nicht zu schlagen. Das kann man im Privaten sehr gut nachvollziehen: Schicke ich eine Einladung zu einer Party per Mail oder gedruckt – vielleicht sogar handgeschrieben –, kann ich anhand der „Responsequoten“ ablesen, wie die Wirkung ist. (lacht) Im Übrigen auch bei jungen Leuten! Print ist auch deswegen handlungsauffordernder, weil es nicht wegklickbar ist. Wenn digitale Kontakte nicht innerhalb kürzester Zeit wirken, ist die Chance auf Aktion vorbei. Es gibt Studien dazu, dass Printkontakte bis zu vier Monate nach Erhalt noch

konvertieren. Das ist etwas, das man nicht außer Acht lassen darf. Die Nachhaltigkeit entsteht durch die Körperlichkeit. Die Chance, dass zum Beispiel Geschäftsberichte, die lediglich digital versendet werden, gelesen werden, ist extrem gering. Ein opulentes, haptisch inszeniertes Werk prägt die Wahrnehmung des Unternehmens ganz anders als jedes digitale Format. Der Kanal färbt die Botschaft, Punkt. Das wusste schon der kanadische Philosoph und Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan. In den letzten zwanzig Jah- Durch die ren gab es eine WissensHaptik von explosion. Wir haben sehr viel Print werden beispielsweise über unser Gehirn gelernt. mentale Konzepte „Wahrheit“ und „Wert“ aktiviert. Im Digitalen gibt es nicht so etwas wie coffee table books. Richtig. Von einem coffee table pdf, das auf meinem Desktop liegt, habe ich noch nie gehört. (lacht) Das kann das Digitale nicht leisten.

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Du führst seit geraumer Zeit das Multisense Institut. Womit beschäftigt ihr euch? Das Institut beschäftigt sich mit sensorischem Marketing. Wir beraten Unternehmen in ihrer Markenführung. Denn wir haben keine andere Wahl, als dass unsere Marketingbotschaften irgendwie über die Sinne in die Köpfe unserer Zielgruppe gelangen. In den letzten zwanzig Jahren gab es dazu eine Wissensexplosion. Wir haben mehr über unser Gehirn gelernt und wie es sensorische Reize verarbeitet als in den 200 Jahren davor. Eine Erkenntnis war der doch erstaunlich starke Effekt, den unbewusste Reize auf unsere Wahrnehmung haben. Sie senden implizite Signale – damit werden Bedeutungen unbewusst aktiviert, die dann unsere Wahrnehmung färben. Wenn man diesen Zusammenhang gut versteht, dann

Veredelungen lassen Menschen Produkteigenschaften erleben, wie beispielsweise oben zu sehen: die komfortablen Ledersitze des Mini Interaktion verkauft mehr – siehe rechts unten

kann man Produktnutzen oder Markenversprechen attraktiver und intuitiv leichter erfassbar machen. Hier gibt es viele Beispiele aus der Praxis. Eins der ältesten Beispiele ist das Briefing zum Entwurf der CocaCola-Flasche. Sie sollte im Dunklen und zerbrochen, am Boden liegend, noch erkennbar sein. Man hat eine so prägnante Flaschenform erschaffen, die distinktiv ist, die ich also sowohl optisch als auch haptisch sofort als Coca-Cola erkenne. So wurde ein haptisches Gefäß als haptischer Code gestaltet, der die gesamte Assotiationswelt, die ich mit der Marke verbinde, aktiviert. Das ist die höchte Stufe von sensorischem Branding, in der ich einen bestimmten haptischen Reiz mit meiner Marke verknüpfe. Aber auch taktische Ziele wie die zweistellige Erhöhung von Response oder die Steigerung der Preisbereitschaft lassen sich mit sensorischen Marketing verfolgen.

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Wir waren auf der Suche nach einer solchen Metaanalyse – einem GoldStandard der Wissenschaft, in dem alle Studien, die es zu einem Thema gibt, zusammengefasst sind. Was sind die wirklich belastbaren Kenntnisse? Wir sind einfach nicht fündig geworden. Es gab keine Metaanalyse zur Werbewirkung von Print! Also haben wir selber eine verfasst – in Kooperation mit dem f:mp Fachverband für Medienproduktion, mit Gräfe, Heidenreich, ORO, touchmore und vogt – dem creatura-Team. Denn, wenn wir über Drucktechnik sprechen, reicht es nicht aus, Techniken wie Prägungen, Heißfolien oder Strukturlacke um ihrer selbst Willen gut zu finden. Weil der Effekt schön oder die Technik toll ist. Wir leben im Zeitalter der Rechtfertigung, in der Entscheider, die Budgets verantworten, sofort fragen: „Was habe ich davon?“ Das, was sie davon haben, einmal sauber darzustellen, mit welchen belastbaren erforschten Tatsachen man zu tun hat, das war unser Ziel. Wir haben 300 Studien weltweit recherchiert, die es wert sind, ausgewertet zu werden. Diese wurden nach dem ARIVA-Modell – Attention, Recall, Integrity, Value, Action – analysiert. Also: Was wissen wir über das Thema Attention – welchen Einfluss haben Prägung, Glanz, Veredelung? Was wissen wir über das Thema Recall – Erinnerung? Und so weiter. Daraus ist The Power of Print entstanden, um den aktuellen Stand der Wissenschaft zur Werbewirkung von Print zu dokumentieren und Praktikern im Alltag Orientierung für Entscheidungen und Argumente gegenüber Entscheidern zu geben. Was hat dich bei der Arbeit an der Analyse am meisten überrascht? Es gibt international große regionale Unterschiede: Im asiatischen Raum bedeutet die Farbe Weiß etwas völlig anderes als im europäischen Raum – ein Beispiel, das allseits bekannt ist. Das trifft aber auch auf Düfte zu, die im südeuro-

Du hast eine Metaanalyse zur Werbewirkung von Print mitgeschrieben. Wie kam es dazu?

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The Power of Print Produktionswissen

päischen Raum eine andere Bedeutung haben als im nordeuropäischen. Im nordeuropäischen Bereich ist die Erfahrung rund um Zitrusdüfte sehr stark mit dem Thema Sauberkeit verbunden. Reinigungsmittel sind hier mit Zitrusduft versetzt. In Südeuropa sind Reinigungsmittel aber mit Chlor versetzt. Nordeuropäer empfinden bei leichtem Zitrusduft im Raum das Gefühl von Sauberkeit. Der Südeuropäer bekommt eher Durst. Man muss also beim Einsatz von Duftdruck sensibel sein. Wie ist die Statistik des Umfelds, der Kultur, in der ich diesen Code einsetze? Das gilt in geringerem Maße natürlich auch für Oberflächen. Aber du hast gefragt, was mich am meisten überrascht hat: Man sollte sehr vorsichtig sein mit expliziter Marktforschung. „Was gefällt den Menschen?“ Das ist sehr häufig nicht das Relevante, weil die eigentlichen Entscheidungen im Unbewussten abgespeichert liegen. Da passieren Dinge, die unserem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Wenn ich mein Bewusstsein frage: „Warum hast du so entschieden?“, dann kann ich die Gründe für meine Entscheidung oft nicht mehr nachvollziehen. Das hat auch ein Experiment gezeigt, bei dem über Verpackungen von Hautcremes entschieden werden sollte. Eine Verpackung war optisch sehr schön mit einem Strukturlack veredelt und wurde von den Probanden als die beste bewertet. Eine andere Verpackung hatte einen SoftTouch. Diese wurde optisch nicht so gut bewertet, hat aber dann eine höhere Preisbereitschaft erzeugt. Die Leute waren bereit, mehr für diese Hautcreme auszugeben. Warum? Der Reiz war leichter an das Kaufziel anschlussfähig: „Will ich eine Haut haben, die sich reliefartig anfühlt oder samten wie Pfirsichhaut?“ Die Antwort liegt auf der Hand. Jetzt ist es aber so, dass der Kauf-

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prozess in verschiedenen Stadien abläuft. Denn erst sehe ich die Verpackung, und erst danach berühre ich sie. Ich muss mir also ein Packaging überlegen, das beides kombiniert: Zum Beispiel die sichtbare Vorderseite mit Relieflack, die Griffkanten und / oder die Rückseite mit SoftTouch. Dann hätte ich das beste aus zwei Welten. Das macht einen messbaren Unterschied am POS und an der Kasse. Wie sagst du immer so schön? Man kann sich verhören, man kann sich versehen. Aber nicht verfühlen. Print bedient den Wahrheitssinn. Was wäre also dein Fazit für Print der Zukunft? Ich glaube, dass in der Werbewirkungsforschung im Allgemeinen immer klarer wird, dass alle Monokanal-Argumentierer falsch liegen. Crossmedial ist King: Jeder zusätzliche Kanal erhöht die Effektivität und die Effizienz von Kampagnen. Print spielt dabei definitiv eine veränderte Rolle gegenüber früher, als es mehr um Reichweite ging. Heute ist die Rolle eher eine qualitativemotionale. Gleichzeitig weiß man aber, dass ein einziger Printkontakt eine Erhöhung der Wahrnehmung von Social Media Posts der gleichen Marke um 30 Prozent bewirkt. Das ist der Depoteffekt: Die Gedächtnisspur wurde durch Print etabliert. Dadurch wirken die anderen Kanäle auch stärker. Marketer sollten Print als Effizienzverstärker verstehen: Als Glaubwürdigkeitskanal, der die Marke im wahrsten Sinne begreifbar macht und dadurch eine besonders starke Emotionalisierung erzeugt und nachhaltig wirkt. Mein Tipp: Put your brand in your customer’s hand. Olaf, vielen Dank für dieses Gespräch! D

Die erste Metaanalyse zur Werbewirkung von Print – systematisch aufbereitet, mit vielen praxisrelevanten Tipps und Anleitungen.

Die CreaturaMetaanalyse THE POWER OF PRINT ist ein Gemeinschaftsprojekt von 9 Unternehmen, die an der Metaanalyse mitgewirkt und sie ermöglicht haben. Sie erschien 2018. 140 Seiten, 499,– Euro ISBN 978-3000603761

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Gewinnspiel

Leseempfehlung

The Power of Print Nullen und Einsen haben die Marketingwelt revolutioniert. Doch entgegen vieler Voraussagen löst sich die Welt deshalb nicht in Pixel auf. Im Gegenteil: Trotz Digital-Euphorie, der manch Marketer verfallen ist, erleben wir derzeit eine Renaissance des Analogen. Offline liegt wieder voll im Trend. Es werden mehr Bücher gekauft denn je, AirBnB publiziert sein eigenes Printmagazin und selbst bei Google, Facebook & Co liegen Notizbücher neben den Laptops. Gleichzeitig ernten Marken, die in den letzten Jahren mit sachlichen Blick nicht blindlings ihre Budgets ins Digitale umschichteten, die Früchte ihrer Besonnenheit. Der Hemdenhersteller Olymp beispielsweise verdreifachte seinen Umsatz auf über 230 Millionen Euro innerhalb der letzten 10 Jahre – mit einer konsequent auf Print ausgerichteten Kommunikationsstrategie. Nicht aus Nostalgie, sondern weil es ihn erfolgreich macht.

Wie macht Print meine Kampagnen effektiver und effizienter? Wie baue ich mit Print Markenerinnerung und Markenvertrauen auf? Wie differenziert Print meine Marke und meine Produkte im Wettbewerb? Wie nutze ich die Kraft von Printmedien in Verkaufsprozessen? Wie erhöhe ich durch Verpackungsgestaltung die Kaufbereitschaft am Point of Sale? Wann lohnt sich die Investition in Veredelung von Werbemitteln und Verpackungen? Welche Bedeutung hat Print für meinen digitalen Marketingerfolg? – Die Metaanalyse liefert auf all diese Fragen interessante Antworten.

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Großes WeihnachtsGewinnspiel Mit etwas Glück können Sie eins von drei Medienund Printbüchern gewinnen! Hauptpreis ist The Power of Print, die Metastudie von Creatura und dem Multisense Institut im Wert von 499,–€. Zweiter Preis ist touch, der Bestseller von Olaf Hartmann über den Haptik-Effekt im multisensorischen Marketing. Dritter Preis ist wie wir uns morgen unterhalten lassen und informieren wollen, dem morgen-Band über Medien aus der Edition Integralis.

Hauptpreis

In einer flirrenden, hektischen, digitalen Welt sehnen sich die Menschen wieder mehr nach sinnlichem Erleben, Entschleunigung und Vertrauen. Print spielt dabei eine wichtige Rolle und ergänzt High-Tech um High-Touch. Haptische Kraft für starke Marken Von Anzeigen über Direct Mailings bis hin zu Verpackungen: Print ist durch seinen beständigen Charakter und seine multisensorischen Qualitäten optimal gehirngerecht. Das ist gut für die Marke und gut für den Umsatz. Der digitale Fortschritt macht zudem auch Printkommunikation reichhaltiger: Neue Druckverfahren und Veredelungstechniken, Individualisierungen in Kleinstauflagen, crossmediale Technologien wie Augmented Reality und Printed Electronics bieten Marketer mehr Möglichkeiten denn je. Dank der psychologischen Forschung und den Neurowissenschaften verstehen wir heute sehr gut, wie Menschen wahrnehmen, wie ihre Emotionen entstehen, wie sie Entscheidungen treffen und welche Rolle Printmedien dabei spielen. Doch wer die psychologischen Vorteile von Print und die technischen Möglichkeiten effektiv nutzen will, braucht dafür fundiertes Wissen und Orientierung. Praxisrelevante Erkenntnisse aus über 300 Studien Die weltweit erste Metaanalyse bringt Ordnung in die Vielfalt der Erkenntnisse und technischenMöglichkeiten. Das Multisense Institut für sensorisches Marketing analysierte im Auftrag der Creatura-Initiative über ein Jahr lang mehr als 300 internationale Studien zur Werbewirkung von Print und Druckveredelung. Jeder, der in seiner täglichen Arbeit mit Printkommunikation zu tun hat – ob Werbe- oder Marketingleiter, Produkt- oder Markenmanager, Kreative oder Einkäufer –, kurzum alle, die nicht Effekthascherei betreiben, sondern Ihr Budget gewinnbringend einsetzen wollen, finden in der Creatura-Metaanalyse Antworten auf viele Fragen. D

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Teilnahmeschluss: 10.12.2021 Senden Sie einfach eine Mail mit dem Stichwort Haptik an info@berlindruck.de Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt und erhalten noch vor Weihnachten ihr Buch. Olaf Hartmann mit touch über den Haptikeffekt im multisensorischen Marketing

wie wir uns morgen unterhalten lassen und informieren wollen aus der Edition Integralis Der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen.

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Reframing-Mindset

Illustration: Mojgan Ghanaatgar

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Reframing-Mindset

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Andri und Gieri Hinnen im Gespräch

Im Dreiklang von Herz, Hirn und Hand Lieber Andri, lieber Gieri, ihr habt zusammen einen Ratgeber für unsere immer komplexer werdende Welt geschrieben. Die Medien überfluten uns mit Informationen, die gesellschaftlichen Herausforderungen werden immer vielschichtiger und drängende Umweltkatastrophen bestimmen unsere Wahrnehmung. Was war für euch der entscheidende Auslöser? Andri: Ich wünschte, wir könnten darauf eine gut geframte, einfache Antwort geben. In Tat und Wahrheit sind die im Buch beschriebenen Einsichten aber über mehrere Jahre gewachsen. Eine zentrale Rolle hat die Tatsache gespielt, dass immer wieder der gleiche Wunsch an unsere Firma herangetragen wurde. Egal ob CEO, Professorin oder Strategieberaterin. Immer hieß es: Helfen Sie uns, die Komplexität zu reduzieren. Immer musste alles auf den DAZ zugeschnitten sein, den dümmsten anzunehmenden Zuschauer. Und genau davor warnen Sie. Gieri: Genau. Natürlich ist es manchmal nötig, Dinge zu vereinfachen, oder leichter zugänglich zu machen. Aber es ist so wichtig, dass man sich der damit einhergehenden Probleme, ja Gefahren, bewusst ist.

Tool 12 von 42 – Das Wertequadrat, Kreuz und quer: Über den Wert, den Gegenwert, die negative Übertreibung des Werts und die negative Übertreibung des Gegenwerts.

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Welche Sind das? Gieri: Wenn Sie mit Modellen arbeiten, die die Realität verkürzt abbilden, geben Sie sich einer Illusion der Sicherheit hin. Gut gezeigt hat das die Finanzkrise. In den Nullerjahren wurde oft mit Modellen gearbeitet, die von einer risikoreichen, aber nicht unsicheren Welt ausgingen. Sprich: Man dachte, alle möglichen Ergebnisse zu kennen.

Doch dann passierte etwas, womit so fast gar niemand gerechnet hat. Eine extrem seltene Verzahnung von Ereignissen – ein schwarzer Schwan – brachte die Welt an den Rand des ökonomischen Kollapses. Andri: Ein Satz aus der Systemtheorie besagt: Varietät absorbiert Varietät. Man braucht eine gewisse Komplexität, um Komplexität zu begegnen. Das gilt für ein Fussballteam, das elf Menschen braucht, um elf Gegner:innen gerecht zu werden. Aber das gilt auch für eine Unternehmensstrategie, die versucht, den zu beackernden Markt abzubilden. Gieri: Und auch für gesellschaftliche Strategien, um Klimawandel, Demokratiekrise, wachsender Ungleichheit oder Migrationströmungen zu begegnen. Natürlich wäre es schön, gäbe es für komplexe Herausforderungen immer eine einfache Lösung. Aber dieses Wunschdenken führt dann dazu, dass Trump einfach seine Mauer baut und England aus der EU austritt – und so wird alles nur noch schlimmer. Ihr schreibt in eurem Buch, dass man komplizierte und komplexe Inhalte umgestalten und neu rahmen sollte. Was meint ihr damit? Andri: Wir wünschen uns, dass unsere Gesellschaft sich von dem Vereinfachungs-Mindset weg und hin zu einem Reframing-Mindset entwickelt. Diesem liegt die konstruktivistische Weltsicht zu

Andri Hinnen, links im Bild, hat International Affairs, Strategie und Internationales Management an der Universität St. Gallen studiert. Nach Stationen bei internationalen Werbeagenturen gründete er Zense, eine Agentur, die sich der Versinn(bild)lichung komplexer Inhalte verschrieben hat. Dr. Gieri Hinnen hat International Affairs und Management an der Universität St. Gallen, der London School of Economics und der Schulich School of Business in Toronto studiert. Er ist Head of Labor Relations & HR Steering bei Swiss International Air Lines. Fotografien: Shirin Büeler

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Reframing-Mindset

Grunde, dass wir die Welt durch ganz viele verschiedene Linsen oder eben Frames wahrnehmen. Wir sind alle gefangen in unseren Schädeln und können nur versuchen, die äußere Welt mittels einer Vielzahl von Instrumenten nachzubauen – Sinneswahrnehmungen, Sinnesverzerrungen, Geschichten, Metaphern, wissenschaftliche Modelle, Strukturen und so weiter und so fort. Gieri: Und all diese Frames müssen wir wieder bewusster wahrnehmen, wenn wir uns der Welt in ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität annähern wollen. Der Trick des Reframing-Mindsets ist eben, dass wir nicht einfach versuchen, die Welt mit einem einzelnen Modell zu vereinfachen und zu verstehen. Nein, ein Reframing-Mindset bedeutet, die Welt und ihre Abbilder immer wieder aufs Neue zu reframen, dies spielerisch und bewusst zu tun, und den Linsen-Koffer immer wieder zu ergänzen und zu überdenken. Könnt ihr Beispiele dafür nennen, was Unternehmen bei der inhaltlichen konzeptuellen Visualisierung falsch machen und was sie besser machen könnten? Andri: Ich glaube, vieles wird bereits richtig gemacht. Zahlreiche Unternehmen beherrschen das Wechselspiel zwischen Abstraktion und Konkretisierung, zwischen Einfachheit und Komplexität immer besser. Doch es besteht schon noch viel Potential. Ich glaube, das wichtigste ist, dass man nicht immer versucht, alles mit einer einzigen Visualisierung oder Struktur zu erklären. Es gibt ja auch nicht die eine Landkarte. Nein, es gibt eine Karte für das Wet-

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ter, eine für die Topographie, eine für die Touristenattraktionen etc. Wenn du nur einen Hammer hast, sieht alles aus wie ein Nagel. Gieri: Es ist nicht nur wichtig, eine Vielzahl von Landkarten zur Verfügung zu stellen, sondern auch, dass alle wissen, es ist ok, wenn die Landkarten oder eben mentalen Modelle mal im Widerspruch zueinander stehen. Die HR-Abteilung betrachtet die Welt vielleicht durch die Brille eines Organigramms, Operations hat seine Prozesskarten und die Strategie-Abteilung vielleicht eine metaphorische Straße, die in die Zukunft führt. Und der Trick ist, dass all diese Karten koexistieren dürfen, ja müssen. Andri: Es gibt ein berühmtes Zitat des Autors Fitzgerald, das besagt, wahre Intelligenz liege darin, widersprüchliche Ideen – oder eben Modelle – im Kopf zu behalten und dabei nicht wahnsinnig zu werden. Genau das ist die Herausforderung. Und wichtig ist auch, dass man diese Landkarten stets anpassen darf, mit ihnen in all ihrer Vielzahl spielen darf, dass Map und Territory sich gegenseitig beeinflussen und verändern dürfen. Gieri: Ja, es geht, glaube ich, auch darum, dem Eifern nach Ordnung etwas zu entsagen. Es gibt einen großartigen Artikel zum Thema Strategie At the Edge of Chaos. Darin heißt es, dass an der Grenze zwischen Ordnung und Chaos, dort wo eine Vielzahl von Realitäten und Modellen aufeinanderprallen, nicht nur die Komplexität, sondern auch die Fertilität des Systems, am größten ist. Und der Trick ist, sich mit Modellen und Visualisierungen möglichst nahe an dieser Kante aufzuhalten. Ihr habt eine Reise entworfen – frei nach dem vom Schweizer Pädagogen Pestalozzi geprägten Dreiklang Hirn, Herz, Hand –, die die Leser:innen befähigt, neu zu framen. Benötigt man alle eure 42 Tools, um zu einem klugen Ergebnis zu kommen? Andri: Der Dreiklang ist eine Art von vielen, wie man die Frames, die wir im Buch vorstellen, ordnen kann. Zuerst geht es darum, sich komplexen Materialien rational anzunähern, also mit dem Hirn. Sind die Inhalte logisch und gut strukturiert? Sind die Kategorien trennscharf, die Argumente gut gebaut? Dann geht es darum, die Inhalte zu versinnlichen, sie mit Geschichten und Metaphern

und Bildern ins Herz zu tragen. Und schliesslich geht es darum, ins Tun, in die Hand-lungsfähigkeit zu kommen, mit Medien, und Interaktivität etc. Gieri: Und weder die Struktur, noch die 42 Tools sind abschliessend. Man kann einfach mal ein einzelnes Instrument nutzen, um einen Inhalt zu strukturieren oder eine Botschaft zu schärfen, oder man kann die Toolbox beliebig ergänzen. Aber in unseren Kursen macht es schon immer grossen Spass, die Reise wirklich mit einem Inhalt von A bis Z durchzuexerzieren. Habt ihr schon neue Projekte im (Buch-)Fokus? Andri: Yes. Das nächste Projekt heisst Change it! und erscheint nächstes Jahr. Es fragt: Wie können wir Geschichten nutzen, um Veränderung zu gestalten? Was sind dramaturgische Tricks, um Prozesse zielgerichteter zu machen. Aber auch, wie müssen wir Geschichten anders erzählen – oder ganz allgemein: wie müssen wir anders Wahre Intelligenz liege darin, kommunizieren – damit widersprüchliche Ideen im TransformaKopf zu behalten und dabei tion gelingt. nicht wahnsinnig zu werden. Gieri: Ein Beispiel ist die Krise. In der Realität bedeutet die Krise immer ein langandauernder, irgendwie depressiver Zustand, von dem man hofft, dass er irgendwann von selbst vorübergeht. Wo unser:e Therapeut:in dann sagt: Sie stecken in einer Krise. Da sollten Sie keine Entscheidungen treffen. Doch im Storytelling bedeutet eine Krise das pure Gegenteil davon. Es ist ein extrem verdichteter Moment, in dem alles zusammenAndri und Gieri Hinnens Ratgaber, kommt. Ein Moment, wo ProtagoReframe it! – 42 nist:innen vor eine unmögliche Wahl Werkzeuge und ein gestellt werden. Luke Skywalker Modell, mit denen musste sich entscheiden, Darth Vader Sie Komplexität die (verbleibende) Hand zu reichen meistern, erschien 2017 als Softcover oder sich in die Tiefe zu stürzen. Und im Murmann Verdavon können wir viel lernen in der lag, 200 Seiten, Realität, wir müssen wieder mehr 24,– Euro bereit sein, harte Entscheidungen zu ISBN 978-3867745734 treffen und Dinge aufzugeben. Nur so kommen wir vorwärts. D

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Illustration: Christof Gähwiler

Reframing-Mindset

Es ist empfehlenswert, jede Region unserer Karte zumindest einmal aufzusuchen, also ein entsprechendes Instrument zu verwenden. Passend zur Metapher der Reise lohnt es sich zudem zu iterieren.

Die Reise aus Reframe it! Die Reise beginnt oben links, bei den Quellen des Inhalts. Die Reframer:in erhält den Auftrag – oder beschließt selbst –, aus einer Information eine sinnstiftende Botschaft zu machen. Zuerst gilt es, diese Information einem Qualitätscheck zu unterziehen: Ist sie es wert, auf die weite Reise mitgenommen zu werden? Ist sie das, begibt sich die Reframer:in in die Berge der Logik. Hier stehen ihr verschiedene Modelle zur Verfügung, um ihre Argumentation zu schärfen und auf logische Mängel zu prüfen. Denn Ziel des Reframings ist nicht nur, eine nette Schleife um die Botschaft zu binden, sondern auch, deren Kern herauszuschälen und zum Leuchten zu bringen. Im Anschluss reist die Reframer:in in das Tal der Irrationalität. Hier lernt sie die Grenzen rationalen Argumentierens kennen. Ab sofort stehen ihr Instrumente zur Verfügung, um ihren Inhalt an menschlichen Filtermechanismen vorbeizuschleusen und ihn den Eigenarten ihres speziischen Publikums anzupassen. In der Struktur-Hochebene lernt sie weitere Instrumente kennen, um den Inhalt als Ganzes zu ordnen und zu strukturieren. Beginnt sie mit dem Problem oder der

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Lösung? Endet sie abstrakt oder konkret? Vielleicht entscheidet sie sich auch gegen eine trockene Lösung und stürzt sich in die Storytelling-Katarakte. In diesen wilden Gewässern gestaltet sie ihr Paket als Geschichte oder mittels geschichtlicher Elemente. Sie lernt etablierte Erzählmuster und -techniken kennen, die ihr helfen, ihr Publikum nachhaltig zu transformieren. Weiter geht es in der Wüste der Metaphern, wo die Reisende die Kraft der Irrlichter und Fata Morganas entdeckt. Die Wüstenbewohner:innen zeigen ihr, dass es Spaß und Sinn macht, ihre Botschaft durch eine Vielzahl von Brillen zu betrachten – und diese Vielzahl nicht der Göttin der Einfachheit zu opfern. Im Zickzackkurs durchwandert sie anschließend den Visualisierungswald. Sie durchbricht die Linearität, erlangt Übersicht und bereitet sich darauf vor, ihre Botschaft als Medium zu verpacken. Sie lernt, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu vergessen. Bevor sie sich aufs offene Meer begibt, macht sie einen letzten Stopp in Schreibstadt, wo sie elementare Stilregeln und das mächtige Tool des One-Pagers kennenlernt. Und schließlich ist es an der Zeit, Abschied zu nehmen. Die Reframer:in schickt ihren wohlverpackten Inhalt mittels eines Mediums oder mehrerer Medien in die große weite Welt hinaus – jedoch nicht, ohne diesen ein letztes Mal zu prüfen. Diese Reise, und damit die Struktur unseres Buches Reframe it!, folgt lose dem vom Schweizer Pädagogen Pestalozzi

geprägten Dreiklang: Hirn, Herz, Hand (HaHaHa). Dem entsprechen drei Schritte im Umgang mit komplexer Information: verständlich machen, versinn(bild)lichen und vermitteln. Beim Verständlichmachen stehen folgende Fragen im Zentrum: Sind die Inhalte logisch und strukturiert? Ergeben sie Sinn? Sie helfen, Argumente richtig zu strukturieren oder Botschaften auf Zielgruppengerechtigkeit zu überprüfen. Die Ziele sind Schlüssigkeit, Verständlichkeit und Klarheit (und eben nicht zwingend Einfachheit). Und ein Teil des FacilitationProzesses ist auch die Qualitätsprüfung des Quellmaterials. Nachdem die Inhalte gestrafft und geklärt wurden, gilt es, diese vom Hirn ins Herz und vom Bewussten ins Unbewusste zu transportieren. Beim Versinnlichen und Versinnbildlichen werden Inhalte als Geschichten reframed, metaphorisch beleuchtet oder mittels Visualisierungen vom Fluch und Segen der Linearität befreit. Ziel ist, dass die Empfänger einer Botschaft diese nicht nur verstehen, sondern auch verinnerlichen. Schließlich sollen die komplexen Inhalte vermittelt werden und zum Handeln verleiten. Es gilt nun, die Empfänger Ihrer Heilsbotschaft mittels Medien zu mobilisieren. Film, Podcast, Memo, Workshop, App, Virtual Reality, Flipchart-Skizzen oder der gute alte Text – die erfolgreiche Reframer:in nutzt die unendliche Vielfalt an Formaten, die ihr heute zur Verfügung stehen, um ihr Publikum nicht nur zu erreichen, sondern auch zu bewegen. D

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Insidergespräch Gesellschaft

Caroline Criado-Perez darüber, wie eine Hälfte der Bevölkerung ignoriert wird.

Unsichtbare Frauen Fotografie: Rachel Louise Brown

Der Großteil derund Menschheitsgeschichte Menschenrechtsaktivist ist eine einzige Datenlücke. Beginnend Geschäftsführer von Reporter mit der Theorie vom Mann als Jäger räumten die Chronisten ohne Grenzen, Christian Mihr,der Vergangenheit der Frau in der Entwicklung der über Pressefreiheit Menschheit weder in kultureller noch

in biologischer Hinsicht viel Platz ein. Stattdessen galten männliche Lebensläufe als repräsentativ für alle Menschen. Über das Leben der anderen Hälfte der Menschheit wurde und wird oft einfach nur geschwiegen. Dieses Schweigen ist überall; es durchzieht unsere gesamte Kultur, von Filmen über Nachrichten, Literatur, Wissenschaft und Stadtplanung bis in die Wirtschaft hinein. Alle Geschichten, die wir über unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erzählen, sind von Abwesenheit geprägt– genauer: entstellt. Diese Leerstelle hat eine dezidiert weibliche Form. Es ist eine geschlechterbezogene Lücke in den wissenschaftlichen Daten, eine Gender Data Gap. Doch das Problem ist nicht nur, dass etwas verschwiegen wird. Die Leerstellen und das Schweigen haben ganz alltägliche Folgen für das Leben von Frauen. Diese Folgen können relativ gering ausfallen, etwa wenn Frauen frieren, weil die Temperaturnormen in Büros an den Bedürfnissen von Männern ausgerichtet sind, oder wenn sie ein Regal nicht erreichen können, das gemäß der

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Norm nach männlicher Körpergröße gebaut wurde. Gewiss, solche Dinge nerven. Und sind zweifellos ungerecht. Aber sie sind nicht lebensbedrohlich – anders als bei einem Unfall mit einem Auto, dessen Sicherheitsvorrichtungen weibliche Körpermaße nicht berücksichtigen. Anders als bei einem unerkannten Herzinfarkt einer Frau, dessen Symptome als „untypisch“ gelten. Für Frauen in diesen Situationen kann das Leben in einer Welt, die auf männerbezogenen Daten basiert, tödliche Folgen haben.

geredet. Denn wenn wir „Mensch“ sagen, meinen wir meistens den Mann. Diese Beobachtung ist nicht neu. Berühmt ist etwa Simone de Beauvoirs Formulierung aus dem Jahr 1949: „Die Menschheit ist männlich, und der Mann definiert die Frau nicht als solche, sondern im Vergleich zu sich selbst: Sie wird nicht als autonomes Wesen angesehen. […] Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: Sie ist das Andere.“ Neu ist aber der Kontext, in dem Frauen weiterhin „das Andere“ bleiben – eine Welt, die immer stärker auf Daten basiert und immer stärker von Daten beherrscht wird. Konkret von Big Data. Die wiederum auf von großen Computern mittels großer Algorithmen produzierten großen Wahrheiten beruhen. Aber wenn

Männer sind die unausgesprochene Selbstverständlichkeit, und über Frauen wird gar nicht geredet.

Eine der wichtigsten Feststellungen über die Gender Data Gap ist, dass sie keine bösen Absichten verfolgt oder auch nur bewusst erzeugt wurde. Im Gegenteil. Sie ist schlicht und einfach Ergebnis eines Denkens, das seit Jahrtausenden vorherrscht und deshalb eine Art Nicht-Denken ist. Sogar ein doppeltes Nicht-Denken: Männer sind die unausgesprochene Selbstverständlichkeit, und über Frauen wird gar nicht

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Gesellschaft

an akademischen Berufen oder Filmrollen beinhalten Daten über „Frauen“ und „ethnische Minderheiten“, aber weibliche Angehörige ethnischer Minderheiten gehen in diesen größeren Gruppen verloren. Wo solche genauen Daten existieren, führe ich sie an – aber das ist fast nie der Fall.

Big Data von umfassendem Schweigen korrumpiert wird, bekommen wir bestenfalls Halbwahrheiten – die auf Frauen oft gar nicht zutreffen. Informatikerinnen und Informatiker fassen dieses Problem bekanntlich mit der Wendung garbage in, garbage out zusammen. In diesem neuen Kontext ist es umso dringender geboten, die Geschlechterlücke in den Daten zu schließen. Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt bereits heute Ärztinnen und Ärzte bei der Diagnosestellung, sichtet Bewerbungen oder führt sogar Bewerbungsgespräche. Doch die Daten, auf denen die KI basiert, sind voller Lücken – und da Algorithmen oft als proprietäre Software geschützt sind, können wir nicht einmal untersuchen, ob diese Lücken berücksichtigt wurden. Allem Anschein nach geschieht dies nicht. Zahlen, Technologie und Algorithmen sind für die Geschichte der Unsichtbaren Frauen von entscheidender Bedeutung. Aber sie erzählen nur die halbe Geschichte. „Daten“ ist nur ein anderes Wort für Informationen, und Informationen können aus vielen Quellen stammen. Statistiken sind eine Art Information, genauso aber menschliche Erfahrungen. Ich vertrete deshalb die Ansicht, dass wir eine Welt, die für alle funktionieren soll, nicht ohne Frauen entwerfen können. Wenn Entscheidungen, die uns alle betreffen, nur von weißen, gesunden Männern getroffen werden, die in neun von zehn Fällen aus den USA stammen, ist auch dies eine Datenlücke – genau wie das Übergehen weiblicher Körper in der medizinischen Forschung. Das Fehlen der weiblichen Perspektive befördert eine unabsichtliche Verzerrung zugunsten der Männer, die sich selbst – oft ohne böse Absicht – als „geschlechterneutral“ begreifen. Genau das meinte de Beauvoir, als sie sagte, Männer verwechselten den eigenen Standpunkt mit der absoluten Wahrheit. Die von Männern nicht berücksichtigten frauenspezifischen Faktoren betreffen die verschiedensten Bereiche. Mein Buch Unsichtbare Frauen zeigt, dass drei Themen wieder und wieder auftauchen: der weibliche Körper, die von Frauen geleistete, unbezahlte Care-Arbeit und Gewalt von Männern gegen Frauen. Diese Themen sind von so großer Bedeutung, dass sie alle Bereiche – von öffentlichem Nahverkehr über Arbeitsplätze und ärztliche Eingriffe bis hin zur Politik – betreffen. Doch Männer vergessen diese Themen, weil sie keine weiblichen Körper haben. Männer leisten nur einen Bruchteil der unbezahlten Arbeit, die von Frauen erledigt wird. Sie sind zwar auch von männlicher Gewalt betroffen, doch diese manifestiert sich anders als die Gewalt, von der Frauen betroffen sind. So werden die Unterschiede ignoriert, und wir fahren fort, als seien der männliche Körper

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und dessen Lebenserfahrung geschlechterneutral. Dabei handelt es sich um eine Form der Diskriminierung von Frauen. In meinem Buch verwende ich die Begriffe biologisches Geschlecht (sex) und soziales Geschlecht (gender). Als biologisches Geschlecht bezeichne ich die biologischen Merkmale, die ein Individuum als männlich oder weiblich determinieren, also die Chromosomen XX und XY. Mit dem sozialen Geschlecht meine ich die gesellschaftlichen Zuschreibungen, die wir diesen biologischen Fakten aufzwingen – wie Frauen behandelt werden, weil sie als weiblich wahrgenommen werden. Eine der beiden Bedeutungen von „Geschlecht“ ist vom Menschen gemacht, aber beide sind real. Und beide haben starke Auswirkungen auf Frauen, die sich in dieser auf männerbasierten Daten basierenden Welt zurechtfinden müssen. Obwohl ich zwischen biologischem und sozialem Geschlecht unterscheide, verwende ich den Begriff „geschlechterbezogene Datenlücke“ (gender data gap) als übergeordneten Begriff, weil das biologische Geschlecht nicht der Grund für den Ausschluss von Frauen aus der Erhebung wissenschaftlicher Daten ist. Grund dafür ist vielmehr gender, das soziale Geschlecht. Indem ich das Phänomen benenne, das so vielen Frauen in so hohem Maße schadet, will ich keinen Zweifel an der Ursache lassen. Entgegen vieler in meinem Buch zitierter Behauptungen ist der weibliche Körper nicht das Problem. Das Problem sind die sozialen Bedeutungen, die wir diesem Körper zuschreiben, und das – gleichermaßen gesellschaftlich bestimmte – fehlende Eingeständnis dieser Zuschreibungspraxis. Unsichtbare Frauen ist eine Geschichte der Abwesenheit, weshalb es manchmal schwer war, diese Geschichte niederzuschreiben. Es gibt eine Leerstelle in den wissenschaftlichen Daten in Bezug auf Frauen im Allgemeinen (weil wir diese Daten meist nicht erheben und, falls wir es doch tun, sie nicht nach Geschlecht unterscheiden), doch über Schwarze Frauen, behinderte Frauen oder Frauen aus der Arbeiterschicht gibt es praktisch keinerlei wissenschaftliche Daten. Nicht nur, weil sie gar nicht erst erhoben werden, sondern auch, weil sie nicht von den über Männer erhobenen Daten getrennt werden (also nicht geschlechtsspezifisch sind). Statistiken über Anteile

Ich habe keinen direkten Zugang zu den Gedankenwelten derer, die die geschlechterbasierte Datenlücke fortschreiben. Ich kann keinen letzten Beweis dafür liefern, warum es diese Leerstelle gibt. Ich kann nur die Daten präsentieren und Sie bitten, sich die Tatsachen anzusehen. Mich interessiert auch gar nicht, ob der Hersteller eines Geräts, das Männer bevorzugt, insgeheim sexistisch ist. Private Gründe sind hier bis zu einem gewissen Grad irrelevant. Entscheidend ist das Muster. Entscheidend ist, ob angesichts der dargelegten Daten die Schlussfolgerung getroffen werden kann, die Datenlücke sei bloßer Zufall. Meine Antwort lautet: Sie ist kein Zufall. Die geschlechtsbezogene Datenlücke ist sowohl Grund als auch Folge eines NichtDenkens, das sich die Menschheit als fast ausschließlich männlich vorstellt. Diese Bevorzugung tritt häufig auf, ist weit verbreitet und verzerrt die angeblich objektiven Daten, die unser aller Leben zunehmend bestimmen. Selbst in unserer hochrationalen, zunehmend von unparteiischen Supercomputern gesteuerten Welt sind Frauen noch immer das andere Geschlecht, von dem Simone de Beauvoir sprach. Die Reduktion von Frauen auf einen Subtyp des Männlichen auch und gerade heute birgt ganz reale Gefahren. D

Caroline CriadoPerez’ aktueller SPIEGEL Bestseller, Unsichtbare Frauen, erschien im März 2020 als Softcover im btb Verlag. 496 Seiten, 15,– Euro ISBN 978-3442718870

Caroline CriadoPerez, 1984 geboren, ist Autorin und Rundfunkjournalistin. Sie publiziert u. a. im New Statesman und im Guardian und hält Vorträge. Als eine der international bedeutendsten feministischen Aktivistinnen ihrer Zeit wurde sie mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. 2013 wurde sie zum Human Rights Campaigner of the Year ernannt. Seit 2015 ist sie Officer of the Order of the British Empire (OBE). Criado-Perez lebt in London.

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Prof. Peter Bialobrzeski

DIARIES „Peter Bialobrzeski ist einer der großen Stadtforscher unserer Zeit. Der Hamburger Fotograf ist jahre­lang durch die asiatischen Mega­cities gereist und hat aus seinen Langzeitbelichtungen so kunstvolle wie üppige Bildbände kompiliert, die wie aus einer Zukunft auf einem fremden Planeten wirken.“

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„Seit einigen Jahren publiziert Peter Bialobrzeski neben­her Stadttagebücher. Es fing 2015 an mit dem Cairo Diary, seither folgten Bücher über Athen, Taipeh und zehn weitere Städte. Alle er­scheinen im selben Format, 14 × 21 Zentimeter, beinhalten 51 doppel­seitige Fotos und einen knappen Tagebuchtext über die Woche, die er jeweils dort verbracht hat. Jetzt erscheinen fünf Bände auf einmal, Linz, Belfast, Dhaka, Minsk und Yangon (thevelvetcell.com). Das Ganze ist konzipiert als fotografi­sches Archiv der Stadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Bilder aus Linz neben denen aus Dhaka, kaum zu glauben, dass man beides Stadt nennt, so unterschiedlich wirkt die menschenleere, provinzi­elle Betontristesse im wintergrauen Österreich neben der asiatischen Umwälzpumpe aus Matsch, Beton und Leben. Ja, der Lärm und die Gerüche scheinen einen sofort anzubranden, während man sich in den drei europäischen Bänden vorkommt wie in Museen, die lange schon nicht mehr in Betrieb sind. Bialobrzeski schaut kaum je aus der Vogelperspektive auf die Städ­te, eher arbeitet er wie ein Flaneur, der verloren geht im vollgerümpel­ten Stadtraum und sich wundert, wie das alles nebeneinander beste­hen kann. Wobei Flaneur so nach Müßiggang und Gehrock klingt, Bialobrzeski atmet überall Gegen­wart: ,Die ganze Stadt fühlt sich an wie Amazon in analog’, schreibt er in Yangon. ,Eine Straße ist nur auf Haushaltsgeräte ausgerichtet, die nächste produziert ausschließlich Werkzeuge oder Drucker, die Gas­sen sind sehr eng, man will sich hier kein Feuer ausmalen.‘ Meist war er früher schon mal da und es lohnt sich immer, die Bücher zwei­mal durchzublättern. In Belfast Diary wirkt vieles wie doppelbe­lichtet, als prägte sich durch die Graffitis der Jetztzeit der Kriegszu­stand der früheren Jahrzehnte oder als lauere die Stadt hinter all den bis heute existierenden Mauern nur darauf, dass die Gewalt bald wieder ausbricht“, schreibt Alex Rühle in der Süddeutschen Zeitung. Herr Prof. Bialobrzeski, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Diaries zu veröffentlichen? Ich war im Frühjahr 2013 mit Studierenden in Kairo, ein Jahr also, nachdem auf den Arabischen Frühling folgend Mohammed Mursi zum Staatspräsidenten von Ägypten gewählt wurde. Meine Studierenden fotografierten morgens und abends, wenn das Licht gut war. Ich machte mir zur Aufgabe, die Zeit für mich zu nutzen und auch zu fotografieren. Ich stellte mir die Frage, ob man so etwas wie die zurückliegende Revolution am Stadtbild ablesen könnte. Was hat Kairo für eine Identität jenseits dessen, was uns über die Medien präsentiert wird? – Das war der Anfang der Reihe.

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Dann stellte sich natürlich die Frage, was mit den Fotografien anzustellen sei. Ich baute mir ein DIN A5 großes Dummy, das schon so ähnlich aussah wie die Diaries heute und hab das erst einmal zur Seite gelegt. Wie der Zufall manchmal spielt, bekam ich eines Tages eine Mail von einem Verleger, der mich fragte, ob wir etwas zusammen machen wollten. Ich hatte damals bei dem Verlag Hatje Cantz meine großformatigen Bücher verlegt und war somit in guten Händen. Da fiel mir wieder mein kleines Kairo-Dummy ein. Ich erinnerte mich auch, dass ich kleine Miniaturen zu jedem Tag, den ich in Kairo verbrachte, geschrieben hatte. Mit dem gesammelten Material bat ich meine Kollegin Andrea Rauschenbusch, eine Gestaltung dafür zu entwickeln. Ausgehend von meinem Dummy fertigte sie einen Gestaltungsvorschlag, der dem Verleger sehr gefiel. Wir trafen uns in Taipei, weil der Verlag The Velvet Cell zu der Zeit in Taiwan beheimatet war. So produzierten wir den ersten Band Kairo Diary. In der Tasche hatte ich schon den nächsten Band: das Beirut Diary. Und zur gleichen Zeit fotografierte ich ein Diary in Taipei. Und so nahm die ganze Geschichte seinen Lauf. Nach welchen Kriterien wählen Sie heute aus, welche Stadt oder welcher Ort sich für ein Diary eignen könnte? Das entscheide ich zum einen ganz subjektiv danach, was mich interessieren könnte. Zum anderen werde ich immer wieder zu Künstlerresidenzen eingeladen. So entstand das Wolfsburg Diary in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum, das Wuhan Diary in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut, das Linz Diary in Zusammenarbeit mit der Prager Fotoschule und so weiter. Das heißt, es gab eine ganze Reihe von Einladungen, Workshops zu geben. Inzwischen mache ich bei solchen Events zur Bedingung, dass ich mindestens eine Woche bleiben kann, um solch ein Diary fotografieren zu können. Wieviele Diaries sind inzwischen entstanden? Und auf wie viele dürfen wir uns noch freuen? Produziert sind inzwischen fünfzehn Diaries, fotografiert sind fünfundzwanzig. Freuen kann man sich auf so exotische Städte wie Bangkok und Bombai, dabei sind aber auch Norderney und Hagen, Wien und Lissabon, Florenz und Vilnius. Herr Professor Bialobrzeski, vielen Dank für das Gespräch. D

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Fünf neue City Diaries von Peter Bialobrzeski: Erstmals sind im Oktober dieses Jahres fünf neue City Diaries zeitgleich erschienen: Belfast, Dhaka, Linz, Minsk und Yangon gemeinsam als Set. Die vorliegenden fünf Bücher, wie auch die vorangegangenen zehn bereits publizierten, kartografieren ein fotografisches Archiv der Stadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Bisher erschienen sind: Cairo Diary, Taipei Diary, Athens Diary, Wolfsburg Diary, Kochi Diary, Zurich Diary, Beirut Diary, Wuhan Diary, Budapest Diary und Osaka Diary. Alle Bücher, gestaltet von Andrea Rauschenbusch, haben das identische Format von 14 × 21 cm, enthalten 51 doppelseitige Farbfotografien und einen Tagebuchtext von Peter Bialobrzeski, der aus kontextualisierenden Miniaturen besteht. City Diaries ist ein gemeinsames Projekt mit The Velvet Cell. www.thevelvetcell.com

Specs 112 pages, 14 × 21 cm, Softcover Single: 30,- € Set: 130,- € Limited Edition of 500

Dhaka Diary

ISBN 978-1908889867

Yangon Diary

ISBN 978-1908889874

Minsk Diary

ISBN 978-1908889881

Belfast Diary

ISBN 978-1908889898

Linz Diary

ISBN 978-1908889904

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Künstliche Intelligenz YOUNGSTars im Medienkosmos

Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage

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YOUNGStar Rubén Giuliano im Gespräch mit Chefredakteur Eckard Christiani

Podcaster Rubén Giuliano: „Man hat als Journalist eine Verantwortung gegenüber der Gesprächspartner:in. Journalismus lebt vom Vertrauen. Macht jemand gerne ein Interview mit mir, dann ist das ja schon ein riesiger Vertrauensvorschuss. Dem muss ich gerecht werden.“

Ich möchte Dinge transparent machen Rubén Giuliano, 17, Podcaster Politik mit Stil und stellvertretender Vorsitzender des Vereins Initiative Jugendparlament. politik-mitstil.de initiative-jugendparlament.org

Der Pressehistoriker Robert Eduard Prutz schrieb 1845, dass Journalismus ein Selbstgespräch sei, welches die Zeit über sich selbst führt. Das kommt der Auffassung der modernen Theorie vom Journalismus als permanente Selbstbeobachtung der Gesellschaft als Fremdbeobachtung sehr nahe. Laut des deutschen Soziologen Max Weber ist der Journalistenberuf die gesellschaftlich bedeutsame Aufgabe des Herstellens von Öffentlichkeit, des Vermittelns von möglichst richtigen und wichtigen Informationen an möglichst viele Menschen. Ein bekanntes Zitat von Egon Erwin Kisch (1885 – 1948): „Der Reporter hat keine Tendenz, hat nichts zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt. Er hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangene Zeugenschaft zu liefern.“ Wir trafen gut 100 Jahre später einen Vertreter einer ganz neuen Generation von Journalisten, den YOUNGStar im Medienkosmos, Rubén Giuliano, mit 17 Jahren Politik-Podcaster in Berlin.

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Rubén, du bist in sehr jungen Jahren Irgendwann wurde es so spannend für mich, dass ich einmal hinter die politisch aktiv und machst seit Kulissen gucken wollte. Ich habe einem Jahr den Podcast Politik mit einfach ein paar Abgeordnete angeStil. Gab es für dein Engagement schrieben, ob ich sie einen Nachmiteinen auslösenden Moment? Den einen auslösenden tag im Bundestag begleiten könne, Moment suche ich bis heute. Was ich um zu sehen, wie alles so vor sich aber sagen kann ist, dass ich mit 14 ginge. Erstaunlicherweise ist mir das Jahren die Serie House of Cards sehr ein paar Mal gelungen, so dass ich beeindruckend fand. Das war gleichdie Abgeordneten besuchen konnzeitig der Moment, te. Seit diesen in dem ich begann, Treffen ging es in mich mit Politik zu Später habe ich tatsächlich Riesenschritten befassen. Ich forsch- noch Angela Merkel getrofweiter. te im Internet, was fen – ein Tag, wie man ihn Politik bedeutet, So wie ich 14was Bundestag und sich als Politikinteressierter jährige kenne, was Bundesrat ist, nur erträumen konnte. schauen sie wer Abgeordnete:r nicht House of und wer BundesCards, sondern kanzler:in wird. Damals habe ich Fack ju Göhte und haben ganz anmich reingeworfen und angefangen, dere Probleme. Woher hast du den Nachrichten zu lesen, zu sehen und Mut genommen, die Politiker:innen zu hören. Daraus erwuchs in wenigen anzuschreiben? Monaten eine richtige Leidenschaft. Darüber habe ich mir ehrlich gesagt keine Gedanken gemacht. Ich wollte einfach wissen, wie Politik funktioniert. Mit 14 Jahren hat man kein Gespür dafür, was Politik konkret bedeutet, wie Dinge konkret ent-

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YOUNGSTars im Medienkosmos

stehen. Man hört vielleicht, dass dies und das in einer Ausschusssitzung besprochen und beschlossen wurde. Als 14-jähriger ist man doch besonders neugierig und fragt dann, wer in diesem Ausschuss sitzt, warum es diesen Ausschuss überhaupt gibt und wie er arbeitet. Mein enormes Interesse an diesen Fragen war sicher dafür verantwortlich, dass ich mir keine Gedanken gemacht habe, ob meine Aktionen peinlich sein könnten oder nicht. Das Mail-Schreiben war keine besondere Hürde. Als ich allerdings die Abgeordneten zum ersten Mal getroffen habe, war das natürlich sehr aufregend für mich. Nachdem ich die Kontrolle des Bundestages passiert hatte, traf ich tatsächlich dort Sarah Wagenknecht zur linken und ein paar Schritte weiter Jens Spahn. Später habe ich tatsächlich noch Angela Merkel getroffen – ein Tag, wie man ihn sich als Politikinteressierter nur erträumen konnte. Als ich dann mit den Abgeordneten geredet habe, waren das schon besondere Momente – da war ich schon sehr aufgeregt.

Ganz langfristig gedacht wäre es natürlich toll, wenn wir ein Bundesjugendparlament hätten, das dann konkrete politische Macht im Bund hätte.

Der Verein Initiative Jugendparlament, dessen stellvertretender Vorsitzender du bist, möchte das Heft in die Hand nehmen und – wie Willy Brandt formulierte – mehr Demokratie wagen. Was beschäftigt euch? Diese Initiative ist ein echt tolles Projekt, deren Vorsitzender Arian Aghashahi ist, den ich inzwischen als Freund sehr schätze. Er rief mich Anfang des Jahres an, weil er Unterstützung für die Arbeit in den Sozialen Medien brauchte. Seitdem bin ich dabei. Die Initiative Jugendparlament setzt sich durch die Umsetzung einer Reihe von verschiedenen Projekten für die Stärkung der politischen Partizipation junger Menschen ein. Die Unterstützung kann fachlicher oder finanzieller Art sein. Einerseits werden wir durch die Europäische Union gefördert, zum anderen haben wir viele Mitglieder aus den verschiedensten Bereichen – Medien, Webentwicklung, Politikwissenschaft usw. Unser vorläufiges Ziel ist, Jugendparlamente auf kommunaler Ebene in ganz Deutschland zu initiieren. Unser größeres Ziel, das wir auch in

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den nächsten Monaten anstreben, ist, ein Landesjugendparlament in Nordrhein Westfalen zu gründen, das konkrete politische Macht hat. Also ein echtes Jugendparlament, das nur von Jugendlichen gewählt wird. Alles, was in diesem Landesjugendparlament beschlossen wird, muss auch in irgendeiner Weise Einfluss haben auf die jeweilige Landesregierung. Ganz langfristig gedacht wäre es natürlich toll, wenn wir ein Bundesjugendparlament hätten, das dann konkrete politische Macht im Bund hätte. Das sind die Aufgaben, die wir uns gestellt haben. Das ist im übrigen viel sinnvoller, als wenn wir darüber sprechen, das Wahlalter zu senken, denn so kann ein 14- oder 16-jähriger schon konkret Politik machen. Das ist mehr, als wenn er nur wählen kann. Mit deinem Podcast bist du schon ein alter Hase auf der politischen Bühne. Wen hattest du schon vor deinem Mikrophon oder anders gefragt, welche Begegnung hat dich maßgeblich beeindruckt? Ich weiß, dass du den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble, schon vor dem Mikro hattest. Da müssen wir unterscheiden: Wolfgang Schäuble habe ich für die CDU / CSU-Fraktion interviewt. Im September 2020 bekam ich die tolle Chance von der Kommunikationsleitung der Fraktion, während einer Fraktionsvorstandsklausur eine Live-Moderation zu machen. Daraufhin wurde ich noch ein paar Mal für Interviews angefragt – eben auch für Wolfgang Schäuble. Die Interviews kann man heute noch auf den Fraktionskanälen sehen. Den Podcast Politik mit Stil habe ich im November 2020 gegründet. Inzwischen sind über 120 Interviews im Kasten. Das sind 120 Persönlichkeiten, die ich zu den verschiedensten Themen befragt habe. Jemanden herauszupicken, der mich besonders beeindruckt hat, fällt mir schwer. Journalist Karl Kraus (1847 – 1936) nimmt die Eitelkeiten seiner Kollegen auf den Arm, wenn er sagt: Ein Journalist ist einer, der nachher alles vorher gewusst hat. Muss sich der Journalist nicht eher mehr zurücknehmen? Das Magazin von BerlinDruck

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Auf alle Fälle. Ich versuche als Podcast-Moderator sehr neutral zu sein. Ich traue mich von der Links-Partei bis zur AfD zu allen und versuche, alle Protagonist:innen wirklich einmal reden zu lassen und Freiraum zu geben. Bei einem Zeitungsinterview ist es eher so, dass der Mensch irgendwie gefärbt rüberkommt. Das kann und wird stark durch Journalist:innen beeinflusst. Beim Podcast lerne ich den Menschen so kennen, wie er ist. Prof. Maren Urner bedauert die letzten Entwicklungen in den digitalen Medien und glaubt, dass die Zukunft im Konstruktiven Journalismus liegt. Siehst du das auch so? Worin liegen für dich die Aufgaben des Journalismus der Zukunft? Meine journalistische Ernährung ziehe ich aus den Zeitungen und aus dem Fernsehen, aber auch aus Social Media Beiträgen. Ernährt man sich hauptsächlich in Insta-Slides, reichert man nur oberflächliches Wissen an. Daraus entstehen Diskussionen und Meinungen, die nicht fundiert sind. Es ist wichtig, die alten Basismedien weiterhin wertzuschätzen, denn sie ermöglichen einen tieferen Einstieg in die Themen. Allerdings liegt es zurzeit bei diesen Medien, sich für die Leser:innen attraktiver zu machen. Gefährlich ist – und das sehe ich in meiner Generation –, dass fast niemand mehr Zeitung liest. Das ist schädlich für unsere Diskussionskultur. Wenn ich mir dich angucke, mache ich mir keine Sorgen um den Journalismus der Zukunft. Was denkst du, wohin dich dein Weg führt? Da bin ich sehr offen. Ich bin 17 und habe noch anderthalb Jahre in der Schule. Aber die jetzige Phase schätze ich sehr: Ich mache meine Podcasts und bin hier im Bundestag für einen Abgeordneten tätig. Das sind alles Eindrücke, die ich sammle und die mich begeistern. Es bieten sich immer wieder neue Wege, die man einschlagen kann.

Rubén Giulianos PodCast Politik mit Stil, zu hören bei Apple Podcasts, Spotify und Anchor politik-mitstil.de

Rubén, vielen Dank für deine Zeit und unser Gespräch. D

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Illustration: Julia Ochsenhirt

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Ein Beitrag von Prof. Miriam Meckel

In der Dunkelkammer Die Tür ist von innen verriegelt, es kann losgehen mit den 24 Stunden Selbsterfahrung. Mit dem Versuch eines Gesprächs mit meinem Gehirn und meinem Bewusstsein. Auf dem Tisch liegt jetzt mein Diktiergerät und zeichnet auf. Falls sich in diesem Raum wirklich ein Gespräch entwickeln sollte, möchte ich ja dokumentieren können, wie das gelaufen ist. Vermutlich wird am Ende nicht viel drauf sein außer Stille, dachte ich. Da habe ich mich geirrt, wie das folgende Erfahrungsprotokoll zeigt. (Meine Aufzeichnungen habe ich am Tag nach dem Experiment durch ein Erinnerungsprotokoll vervollständigt.) Niemals hätte ich gedacht, dass das so gehen könnte. Dass ich 24 Stunden in einem geräuschisolierten Darkroom verbringen könnte. Aber es geht. Es geht gut. Es geht sogar besser, als ich dachte. Noch bevor das Licht ausging, habe ich mich gefragt, was tue ich hier bloß die ganze Zeit? Und ich habe gemerkt, wie mir, noch bevor es losging, ein Schreck durch den Körper gefahren ist. Ich kann ja nichts lesen im Dunkeln. Und doch, ich könnte etwas lesen. Mein iPad liegt in meiner Tasche, ich könnte es herausnehmen, aufklappen, und der Bildschirm würde aufleuchten. Er würde den Raum erhellen, ein wenig zumindest, mir Orientierung und vielleicht auch etwas Sicherheit geben. Und ich könnte beginnen zu lesen. Ich könnte auch einen Film schauen, auf irgendetwas Stumpfsinniges starren. Sogar im Internet. Es gibt WLAN-Zugang hier, und ich habe das Passwort im Vorfeld bekommen. Ich bin also verbunden in diesem stillen,

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dunklen Raum im Kellergeschoss eines Universitätsgebäudes, verbunden mit der Außenwelt, mit der ich Kontakt aufnehmen könnte, wenn ich es wollte. Ich habe gedacht, dass ich es wollen würde, aber ich will es nicht. Nach einer Phase der Irritation und Eingewöhnung tut es gut, einfach hier zu sein. Es tut so gut, sich einzulassen auf die eigene Wahrnehmung. Denn die wandelt sich plötzlich. Ich spüre anders. Meine Hände und Füße, die sonst oft kalt sind, sind jetzt ganz warm. Ich spüre das Blut durch meine Fingerspitzen und durch meine Zehen pulsieren. Ich höre auch anders. Ich höre Geräusche, die nicht in diesem Raum sind. Sie sind in mir, sie legen sich ganz sanft auf die Stille. Mein Gehirn legt sie auf die Stille, um die Stille für mich hörbar und damit erträglich zu machen. Und ich sehe auch in diesem schwärzesten Dunkel. Ich sehe Lichtspiele, Formen, die sich wandeln, ich sehe Lichtflecken und ihre Schatten, die allesamt wahrscheinlich nicht da sind. Mein Gehirn legt sie mir auf meine Netzhaut, um die Dunkelheit sichtbar zu machen. … Es ist ein Grenzübertritt. In ganz unterschiedlicher Hinsicht. In dem Moment, in dem ich den Raum im zweiten Kellergeschoss des Hochschulgebäudes betreten habe, bin ich von einer Welt in eine andere übergetreten. Ich bin aus der Realzeit in eine Spezialzeit übergetreten, die genau 24 Stunden, also einen ganzen

Tag, dauern wird, und für deren Lauf ich mich aus der realen Welt draußen verabschiedet habe. Es ist auch ein Grenzübertritt der Sinne. Ihnen werden die Orientierungspunkte genommen, Lichtwellen, Geräusche, alles, was das Gehirn nutzen kann, um es als Input zu verarbeiten. Ich bin sehr gespannt, was mein Gehirn daraus machen wird. In meiner Erinnerung an die Einweisung gehe ich noch mal diesen Raum und meine Situation durch. Der Raum ist nicht besonders heimelig, eher karg, ein zweckmäßiger Raum in einem zweckmäßigen Gebäude. Ausgelegt mit dunkelgrauem Kunstfaserteppich, die Wände weiß, an der hinteren Wand zwei längs aneinandergestellte Tische, davor zwei Stühle, ein brauner Ledersessel, Corbusier-Imitat, und ein schwarzer Bürostuhl. An der linken Wand zieht sich eine große Glasscheibe durch die Wand hindurch, so eingelassen, dass sie fast die gesamte Wandbreite ausfüllt. Das hier ist ein Experimentallabor, in dem üblicherweise technische Geräte unter Laborbedingungen geprüft werden. Durch die Scheibe können die Prüfer beobachten, was im eigentlichen Raum geschieht. Heute ist da niemand, der Raum hinter meinem Raum ist leer und verschlossen, davon habe ich mich vor Beginn des Experiments selbst überzeugt. Trotzdem werde ich hier heute geprüft, nein, das stimmt so nicht, ich prüfe mich selbst. Ich habe mich entschieden, dieses kleine Selbstexperiment durchzuführen mit dem Unterschied, dass mich niemand beobachten wird, dass keine Kameras auf mich gerichtet sein werden und nichts aufgezeichnet wird. So viel Privatsphäre

Miriam Meckel, 44, ist Publizistin und Gründungsverlegerin der Digitalplattform ada der Handelsblatt Media Group sowie Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen.

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muss sein. Abgesehen davon, wird es für die 24 Stunden in dem Raum stockdunkel sein. Er ist schall- und lichtisoliert. Keine Geräusche dringen ein und auch kein Tageslicht. Und also könnten die Kameras, wären sie denn auf mich gerichtet, auch gar nichts sehen. Wärmebildkameras vielleicht? Aber ich möchte, dass nichts und niemand meine ganz intime Dunkelheit aufzeichnet. Vielleicht ist das eine verrückte Entscheidung, sich diesen Versuch anzutun. Ich habe in den vergangen Tagen immer wieder ein Unwohlsein gespürt, vielleicht Anflüge von Angst davor, was in diesem Raum in diesen 24 Stunden geschehen könnte. Wie es sich anfühlen wird, dass es sich anfühlen wird, aber vielleicht nicht so, wie es gut für mich wäre. Doch genau das möchte ich. Ich möchte, dass es sich anfühlt. Dass ich mich fühle. Und dass es für mich keine Ablenkung in diesem Sich-selbstErspüren gibt. Die Freunde, denen ich im Vorfeld von diesem kleinen Experiment erzählt habe, haben mich etwas schräg angeschaut, manchmal verständnislos, und gefragt: „Wozu das denn?« Aber als ich dann erklärte, warum ich das tun möchte, war zumeist die Faszination geweckt. … Alles ist geregelt, alles ist besprochen. Es kann losgehen. Wir haben uns verabschiedet. „Spätestens morgen Mittag um zwölf komme ich nach Ihnen schauen“, sagte die Mitarbeiterin der Forschungsstelle. „Alles klar?«, fragte sie. Ich nickte, mitten in dem kahlen Raum stehend, dann ging das Licht aus, und die schwere Tür schloss sich mit einem satten Geräusch. Ich stehe im Dunkeln. Es dauert nur wenige Minuten, bis ich zu begreifen glaube, was gemeint ist, wenn von „dröhnender Stille“ die Rede ist. In diesem Raum ist es still, so still, dass meine Ohren es kaum aushalten, dass ich es kaum ertragen kann. Etwas kreischt in mir, die Stille kreischt und brüllt in mich hinein, und ich merke, wie ein erster Schub

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von Stress entsteht. Zudem kann ich nichts sehen. Es ist wirklich stockdunkel hier. Ich stehe da mitten in dem Raum, fuchtele mir mit den Händen vor meinen Augen herum, um festzustellen, ob ich nicht doch irgendetwas erkennen kann. Aber da ist nichts. Manchmal bilde ich mir ein, ich sähe die Schatten meiner Hand und meiner Finger an meinen Augen vorbeigleiten, um dann festzustellen, dass diese Schatten an verschiedenen Stellen gleichzeitig sind, dass sie bleiben, obwohl ich die Hand bewege, dass sie also Ausgeburt meiner Imagination sind, meines Wunsches, etwas sehen zu können, nicht aber Teil der dunklen Wirklichkeit in diesem Zimmer. Ich habe mir gemerkt, wo die Stühle stehen. Langsam taste ich mich in die Richtung, immer beide Arme vor dem Körper haltend, um nirgendwogegen zu laufen. Mit der Fußspitze des linken Fußes berühre ich etwas, ich beuge mich leicht vor und erspüre den Bürostuhl. Ein Stück weiter steht der Sessel, ich drehe mich um und lasse mich hineinfallen. Dann streife ich die Schuhe von den Füßen und lege die Beine auf den Bürostuhl. Ich sitze jetzt hier in der vollständigen Dunkelheit und Stille. Es gibt nichts, das um mich herum ist. Nicht die normale Reizüberflutung des Alltags. Kein Angriff der Infokavallerie mit multiplem Hornsignal. Nicht ein einziges Signal der Außenwelt. Aber mein Gehirn feuert zurück, wie ein Soldat in furioser Raserei, der aus lauter Angst in alle Richtungen um sich schießt, ohne zu wissen, wo der Feind ist und ob es ihn überhaupt gibt. … Ich senke meinen Kopf auf meine Brust, und dann schließe ich die Augen. Das hilft erstaunlicherweise. Alles beruhigt sich etwas. Als ob die Augenlider Vorhänge wären, die man zwischen die Welt, die Außenund die Innenwelt, ziehen kann, um beide zeitweilig voneinander zu trennen. Als ob die Augenlider eine Schutzhülle wären, die man

über das Gehirn legt, um es einzubetten und zu umfangen. Vielleicht ist das wirklich so, aber jetzt ist es hier stockdunkel in diesem Raum, deshalb gibt es ja nichts, wovor ich die Augen und das Gehirn schützen könnte. Und dennoch verändert sich etwas. Vermutlich hat mein Gehirn das so gelernt, die Augen gehen zu, die Augenlider schließen sich, und dann ist Ruhe. Vor allem gibt es dann keine visuellen Reize mehr. Und da das evolutionär so gelernt, vielleicht sogar genetisch so angelegt ist, stellt sich die Wirkung auch jetzt ein. Mit geschlossenen Augen wird es stiller im Kopf, obwohl draußen alles still ist, wird der innere Blick ruhiger, obwohl es in dieser Dunkelheit gar nichts zu sehen gibt. … Ich muss irgendwann kurz eingeschlafen sein. Die Dunkelheit macht müde. Als ich wieder aufwache, habe ich plötzlich das Gefühl, ich beobachtete etwas an der hinteren Wand des Raums. Als hinge dort ein großer Bildschirm mit runtergedimmter Helligkeit, auf dem Gestalten umherlaufen, alles in Farbtönen von Dunkelblau, Dunkelviolett und Dunkelrot getränkt und irgendwie nicht real. Aber ich sehe da etwas, und dann sehe ich plötzlich, dass Schatten vor dem Bildschirm hin und her laufen. Und jetzt richte ich mich ein wenig in meinem Stuhl auf und bekomme tatsächlich ein bisschen Angst, bin irritiert, ob da möglicherweise doch noch eine Verbindung zu einem anderen Raum ist, in dem Menschen umherlaufen. … Ich starre auf diese Wand. Merke, wie ich die Augen aufreiße und auch, wie mich dieses angestrengte Starren körperlich müde macht, wie angespannt meine Muskeln sind, mein Nacken sich verspannt und ich insgesamt in einem Zustand bin, der weit von der Stille des Denkens entfernt ist, die ich eigentlich erkunden wollte. Da ist doch ein Lichtfleck. Irgendetwas ist da, ich kann es genau sehen. Aber sobald ich versuche, meinen Blick ganz konzentriert

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auf den Lichtfleck zu richten, ihn zu identifizieren und zu erkennen, verschwindet er. Wenn ich die Augen dann abwende, sehe ich im äußeren Sichtfeld, in dem Bereich, den ich nicht mehr klar fokussieren kann, dass dort etwas ist. Und dann sehe ich plötzlich grüne Lichter, seltsame Formen, die aufscheinen, kleine Sternchen und dann auch, mitten in meinem Blickfeld, einen blauen Punkt. Versuche ich auf den blauen Punkt zu fokussieren, ist er weg. Was ist das, was ich da sehe? Das möchte ich herausfinden, denn ich merke, dass es mich doch sehr unruhig macht. Ich denke darüber nach, dass ich nun aufstehen sollte, dass ich versuchen sollte, mit meiner rechten Hand nach dem Tisch zu greifen, der neben meinem Stuhl steht, mich an diesem Tisch entlangzutasten, um dann zur Wand hinüberzugehen, mich durch den Raum weiter vortastend, um die gegenüberliegende Wand noch einmal genau zu erkunden. So denke ich–und tue nichts. Ich sitze wie gelähmt, ja, wie festgeklebt auf diesem Stuhl und merke, dass ich keine Bewegung machen kann. … Auch meine Ohren spielen kleine Spielchen mit mir. Wenn ich geradeaus gegen die Wand mit den Lichtspielen schaue, dann höre ich mit dem rechten Ohr ein summendes Geräusch. Drehe ich den Kopf um neunzig Grad nach rechts, hört das Geräusch auf. Drehe ich den Kopf wieder nach links, beginnt das Geräusch wieder. Das erscheint mir ein Beleg dafür, dass es ein Geräusch gibt, das ich offenbar nur hören kann, wenn ich mich in einem bestimmten Hörwinkel zu der Geräuschquelle befinde. Ein Unsinn, denn in diesem Raum gibt es keine Geräusche. Nur die, die ich selbst mache, tatsächlich oder auch eingebildet. … Und wenn sie mich hier vergessen? Dann gehe ich einfach raus. Was ist jetzt geschehen? Ich liege, den Körper eingerollt, in einer Ecke des Zimmers. Wie an die Wand geschmiegt. Wie in die Wand hineingeschmiegt. Da war etwas. Ich bin über mich selbst gefallen. Weil die Fragen so schwer waren, so schwer zu beantworten, aber auch schwer zu ertragen darin, dass sie einfach gestellt wurden. Und ich habe die ganze Zeit das Gefühl gehabt, ich werde beobachtet, vielleicht gar gefilmt. Hinter dieser Wand ist jemand. Nicht

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nur ein diffuses, schwaches Licht, das verschiedene Formen annimmt, das hin und her wandert, das mal weißlich, mal grünlich schimmert. Da ist jemand, der Geräte bedient, um das aufzuzeichnen, was ich hier tue. Irgendwann war ich überzeugt, dass dort doch jemand ist. Und dann bin ich wieder hingegangen, habe beide Hände an die kalte Wand gelegt und habe gerufen: „Hey, ist da wer?« Und dann habe ich noch mal gerufen, immer lauter habe ich gerufen. Und dann habe ich angefangen, mit beiden Händen gegen die Wand zu schlagen, und weitergerufen. „Mach das Licht an!« „Zeig dich!« Und immer weitergehämmert mit den Händen gegen die dicke, feste Wand. Und niemand hat sich gezeigt, und kein Licht ist angegangen, bis auf das schwache, dumpf glimmende Leuchten, das in diesem Raum immer bei mir bleibt. Ich habe mit den Händen gegen die Wand getrommelt, geschrien, die imaginäre Person angeschrien, mich selbst angeschrien– „Raus hier!«, „Schluss jetzt!«, „Raus aus diesem Raum!«–, geschrien und geklopft und getrommelt, immer wieder, bis ich ganz durchgeschüttelt war. … Oben rechts in der Ecke des Raumes winkt mir ein altes Ehepaar aus einem Lichtfenster zu. Ich habe die beiden noch nie gesehen. Sie lächeln. Eine doppelte Selbsttötung. Beide erschossen. In dem Alter? Beharrlich winken die beiden weiter, irgendwann winke ich zurück in die Dunkelheit. „Einer der beiden hat zunächst sich selbst und dann den Partner erschossen.“ So habe ich es mal in den Fernsehnachrichten gesagt. Es gab nach der Sendung viele Anrufe von Zuschauern, die darauf hinweisen wollten, das könne so nicht gewesen sein. Das wäre die falsche Reihenfolge. Siehst du mich? Es ist stockdunkel hier. Du siehst mich nicht? Wie sollte ich dich sehen? Ich kann ja nicht mal meine Hand vor Augen sehen.

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Siehst du gar nichts? Nichts. Gar nichts. Es ist ja auch wirklich stockdunkel hier. Eben, das sage ich doch, was soll die blöde Fragerei? Es könnte ja sein, dass du doch etwas siehst. Du meinst, in der Vorstellung? Zum Beispiel. Das stimmt, es gibt viele Bilder. Siehst du. C 97. Cäsar 97. Cäcilie 97. Catherine 97. Code 97. Noch drei, dann sind wir rund. Code 100. Wie es dem Auto wohl geht? Kapitulation 97. Gibt es Parkplätze mit K in dieser Tiefgarage? … Was war das jetzt? Habe ich mir das ausgedacht? Hat sich das jemand für mich ausgedacht? Bin ich eingeschlafen? Habe ich das irgendwann einmal geträumt und erinnere mich jetzt wieder daran? Warum jetzt? Und wo kommen die Bilder dieses Films her? Wo waren sie abgelegt und gespeichert? In der Stille kann man der Zeit beim Vergehen zuhören. Und da man nicht sieht, wie sie läuft, fühlt man sich immer im Takt mit ihr. In der Dunkelheit kann man den Bildern im Raum beim Entstehen zuschauen. Und da man nicht sieht, woher sie kommen, ist man immer überall eins mit ihnen. Irgendwann, ganz plötzlich, hatte ich das Gefühl: Das war es jetzt. Jetzt sind 24 Stunden vorbei. Ich habe dann nicht mehr lange überlegt, ob meine innere Uhr mich täuscht, ich wollte nicht mehr. Und so habe ich mich zur Tür vorgetastet und das Licht angeschaltet. Es hat mehr als einen Augenblick gedauert, bis ich wieder einigermaßen sehen konnte. Als ich auf mein Telefon geschaut habe, waren 23 Stunden und 25 Minuten vergangen. Für die verbleibenden 35 Minuten hatte ich keine Kraft mehr. D

Text aus Miriam Meckels SPIEGELBestseller Mein Kopf gehört mir. 2019 erschienen als Taschenbuchausgabe im Piper Verlag, 288 Seiten, 11,– Euro ISBN 978-3492238175

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Fotografie: Michael Jungblut, fotoetage

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Ein Gespräch mit Bronzemedaillengewinner Ali Laçin

Stolz, halb Roboter, halb Mensch zu sein Ali, Du hast einmal gesagt, dass früher dein größter Wunsch war, normal zu sein und nicht aufzufallen. Diesen Sommer in Tokio ist dir beides – in Kombination – nicht gelungen. Herzlichen Glückwunsch zur Bronzemedaille bei den Paralympics im 200-MeterRennen der Doppelt Oberschenkelamputierten! Danke. (lacht) Eine solche Leistung abzurufen, ist für jeden Sportler und jede Sportlerin eine Herausforderung. Wie liefen deine Vorbereitungen auf dieses Großereignis? Eigentlich sehr gut, abgesehen von Ende April, als ich im Training gestürzt bin und mir den Arm gebrochen habe. Ich musste operiert werden und hatte große Angst, dass ich doch nicht nach Tokio fliegen kann. Das hatte mich extrem zurückgeworfen. Ein Weitsprung mit sechs Meter siebzig oder die guten Zeiten, die ich vorher gesprintet bin, waren nach acht Wochen Pause schwierig zu erreichen. Ich konnte nicht mehr die Leistungen abrufen, die ich eigentlich hätte bringen müssen. Aber dennoch bin ich nicht mit leeren Händen nach Hause gekommen. Das motiviert mich umso mehr für die nächsten Jahre und natürlich für Paris. Ich war einerseits sehr, sehr glücklich über die Medaille, aber auf der anderen Seite auch sehr enttäuscht von mir. Es hätte bei dem Lauf und meinen bisherigen Leistungen Silber sein müssen. Aber, naja, wir haben ja noch ein bisschen Zeit bis zur Sommer-Paralympics 2024 in Paris – da muss ich auf jeden Fall zwei Goldmedaillen holen.

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Über die nächsten Jahre werden wir noch ein paar EMs und WMs haben, im Jahr 2022 die WM in Kobe in Japan und im darauffolgenden Jahr 2023 die EM in Birmingham. Aber dein großes Ziel ist, eine oder zwei Goldmedaillen aus Paris mitzubringen? Genau. (schmunzelt) Wenn schon, dann Paralympics-Sieger! Erzähl mal, wie du dich als ParaLeichtathlet auf Höchstleistungen fokussierst. Fokus gibt es leider nicht zu einhundert Prozent bei uns ParaSportler:innen. In erster Linie muss jeder Para-Leichtathlet arbeiten, um sich und seine Familie zu finanzieren. Deswegen mache ich zum Beispiel einen Teilzeit-Job und kann nur vor oder nach der Arbeit zum Training fahren. Das ist nicht ohne und sehr anspruchsvoll, sich noch einmal zu teilen. Wenn man aber ein Ziel vor Augen hat, wirklich daran glaubt und jahrelang davon geträumt hat, dann fällt es einem auch nicht schwer, sich darauf so einzustellen oder sich so extrem zu fokussieren, dass am Ende auch etwas daraus wird. Mein Ziel war, Paralympics-Teilnehmer zu sein. Dafür habe ich viel

getan, jahrelang geschuftet und trainiert. 2016 hatte ich die Nominierung für Rio noch nicht geschafft, da war der Traum geplatzt. Daraufhin hatte ich auch mit dem Leistungssport abgeschlossen. 2018 kam ich dann wieder, als mich mein Laufbahnberater vom Olympiastützpunkt für die EM in Berlin zurückholte. Dann kamen die ersten Erfolge: Ich wurde Vize-Europameister und belegte 2019 in Dubai Platz drei auf 200 Metern bei der WM.

Ali Laçin, 33, ist ein deutscher paralympischer Athlet. Er gewann die Bronzemedaille im 200-Meter-T61-Lauf der Männer bei den Sommer-Paralympics 2020 in Tokio, Japan.

Ein Paar Blades oder Federn kosten 15.000 bis 20.000 Euro.Wie wichtig ist die Qualität der Ausrüstung für den Paralympics-Sieg? Das ist natürlich das A und O. In der Formel eins ist es der Rennwagen, bei uns sind es die Federn. Je besser man ausgestattet ist, desto schneller ist man. Natürlich darf man keine Blades nutzen, die speziell für einen angefertigt wurden: Das wäre technisches Doping. Es können nur Blades genutzt

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werden, die jedem Athleten zur Verfügung stehen.Wichtiger sind die Orthopädietechniker, die die Statik anpassen, und die Trainer, die das Trainingsprogramm entwickeln. Du musst lernen, mit der Geschwindigkeit umzugehen. Das passiert nicht von heute auf morgen. Je schneller man wird, desto mehr Respekt hat man vor dem Laufen. Wenn man bei diesem Speed einmal stürzt, passieren sehr unschöne Dinge: bei mir 2013 Schlüsselbeinbruch und 2021 Radiusköpfchenfraktur. Und du musst lernen, mit der Feder laufen zu können, die Geschwindigkeit zu kontrollieren, die richtige Federstärke für dich zu finden, und die Statik muss passen. Wie bremst man eigentlich mit den Federn? Es gibt keine Bremse! Man beschleunigt einfach nicht mehr und lässt es laufen. 200 Meter werden für uns am Ende 300 Meter, weil wir bei der Geschwindigkeit noch weiterlaufen müssen. Du hast deine Unterschenkel schon sehr früh verloren. Mit was für Prothesen bist du anfangs zurechtgekommen? Meine ersten Schritte habe ich tatsächlich mit Prothesen gemacht. Das waren kleine einfache Baby-Prothesen ohne Kniegelenke. Sie waren wie Schuhe. Ich bin damit komplett steif gelaufen – im Grunde so wie heute mit den Sportprothesen. Ich hatte zwar einen Rollstuhl, habe mich aber die meiste Zeit auf Prothesen fortbewegt. Das wollte ich so, und das wollten auch meine Eltern. Und das war auch gut so. Würdest du sagen, dass du trotz deines Handicaps normal aufgewachsen bist? Während der Pubertät saß ich fast zwei Jahre lang im Rollstuhl. Als ich aus dieser dunklen Zeit heraus war, 38 | 39

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bin ich wieder auf Prothesen umgestiegen. Seit 2004 habe ich keinen Rollstuhl mehr. Für mich ist es unheimlich wichtig, unabhängig unterwegs zu sein – auch wenn ich nicht perfekt laufen kann. Wie kommt man eigentlich auf die Idee, ohne Beine Sprinter zu werden? Das ist nicht gerade naheliegend! Aber genau das ist der Reiz. Jahrelang konnte ich nicht rennen, ich konnte nicht springen oder mich einfach nur mal schnell fortbewegen.Was macht man? Man sucht sich das aus, was man nie machen konnte. Ich sah, dass es Möglichkeiten gäbe. Ich wollte genau diese Möglichkeiten umsetzen. Dieser Reiz war extrem. Für mich waren die ersten schnellen Schritte, das erste schnellere Laufen so unvergesslich, weil ich das Gefühl vorher einfach nicht kannte. Einfach mal schnell zu sein, Gegenwind zu spüren oder einfach frei laufen zu können – das war für mich wunderschön. Ja, ich habe mich für die richtige Sportart entschieden! Ist Sport deine Antwort auf schwierige Phasen? Früher habe ich Hallenfußball gespielt. Als Torwart hatte ich genau die richtige Größe und hab mich – ohne Prothesen – ins Tor gestellt. Ich war ziemlich gut, weil ich klein war und gute Reflexe hatte. Das hat mich aus mancher Krise herausgeholt. Selbstbewusstsein kam aber durch die Leichtathletik und die professionelle Karriere. Das hat meine Persönlichkeit sehr gestärkt. Ich konnte mich plötzlich in der Öffentlichkeit mit und ohne Prothesen zeigen. Zuvor bin ich immer mit langen Hosen unterwegs gewesen. Diejenigen, die mich nicht kannten und sahen, haben wahrscheinlich gedacht, ich hätte eine Verletzung oder sonst irgendetwas. Durch das Sprinten musste ich mich mit den Federn zeigen. Früher waren es die Blicke voller Mitleid, die ich ertragen musste. Jetzt genieße ich die Blicke voller Anerkennung. Das habe ich dem Sport zu verdanken. Früher habe ich mich geschämt, heute bin ich einfach stolz, halb Roboter, halb Mensch zu sein.

Das ist meine Motivation! Ich kannte zu meiner Zeit keinen weiteren Betroffenen, der genau das hatte wie ich. Heutzutage gibt es das Internet, um sich zu finden. Ich möchte so viele Menschen wie möglich erreichen, sie motivieren und ihnen sagen, dass das Leben weitergeht – egal was du hast, egal, wie schlimm es ist. Wenn ich als jemand, der keine Beine hat, Sprinter sein kann, dann kannst auch du alles sein. Wenn ich dann von Menschen Feedback bekomme, die ich motivieren konnte, dann ziehe ich daraus weiderum Kraft für mich. Als du anfangen wolltest zu laufen, hast du von der Prothesen-Sprinterin Vanessa Low, die aus Rio de Janeiro Gold und Silber mit nach Hause brachte, ein Paar gebrauchte Federn bekommen. In der selben Situation bist du jetzt auch: Du kannst auch andere motivieren und ihnen helfen zu starten. Richtig! Alle meine Federn habe ich noch. Es gibt sicherlich Menschen, die auch diesen Sport machen wollen, aber nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, sich solche Blades zu kaufen. Hey, kommt her! Ich habe einige Federn beiseite gelegt. Die sind zwar gebraucht, aber in einem guten Zustand. Damit kann man mindestens trainieren und den ersten Schritt machen. Ich hatte damals wirklich Glück gehabt, dass Vanessa Low mir ihre Federn zur Verfügung gestellt hat. Ich bin damit zwar gestürzt und habe mir das Schlüsselbein gebrochen, weil die Federn für mein Gewicht viel zu weich waren. Aber trotzdem fand ich das großartig! Vanessa Low hat mich für diesen Sport gewinnen können. Woran liegt es, dass die Paralympics im Medienzirkus immer noch so eine kleine Nebenrolle spielen? Ich weiß es nicht. Es gibt kaum Interesse seitens der Medien, obwohl ich von vielen höre, dass die Spiele zum Teil interessanter als die Olympiade sind: Viele unterschiedliche Menschen mit diversen Behinderungen erbringen so erstaunliche Leistungen – oft auch in den Königsdisziplinen. Para-Sport ist einfach kein Fußball, der bei jede:m und auch in den Medien im Fokus steht. Ali, ich danke dir für deine Zeit und dieses Gespräch! D

Heute bist du eine Persönlichkeit des Para-Sports und Vorbild für andere Behinderte. Was bedeutet dir das? Das Magazin von BerlinDruck

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Presseschau

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Neulich im Weser Kurier

Wer zu lange wartet, ist der Verlierer Herr Rüter, wie hat Berlin-Druck auf die ­angespannte Lage am Papiermarkt reagiert? Seit Ende Juni galoppieren uns die Lieferzeiten und Preise weg. Wir haben versucht, unseren Kunden frühzeitig deutlich zu machen, wohin die Reise geht: Papier ist nicht mehr kurzfristig zu bekommen. ‚Bestellt jetzt!‘, diese Botschaft hat uns geholfen und den Kunden überzeugt. Vielfach haben wir bereits im Juni Aufträge für Anfang 2022 bekommen. Und es galt, beim Einkauf selbst schnell zu sein? Ja. Wir haben uns bereits im August mit Papier für das komplette restliche Jahr eingedeckt und für das nächste Jahr eingekauft – obwohl wir nicht wissen, ob die Aufträge dafür kommen. Bei dieser Marktlage muss das Unternehmen Risikobereitschaft zeigen. Dafür sind wir schlussendlich belohnt worden. Im Moment sind wir außerordentlich gut beschäftigt, weil wir Papier bevorratet haben. Welche Rolle spielen die gestiegenen Preise für Ihre Kunden? Am Papierpreis kann ich persönlich nichts ändern. Alle Druckereien müssen zu den neuen Konditionen einkaufen. Es geht mehr darum, überhaupt Material vorzu-

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halten, damit der Kunde am Ende des Tages seine Drucksache bekommt. Toi, toi, toi: Wir haben bis heute nicht einen Auftrag ablehnen müssen aufgrund der Papierknappheit. Für unsere Kunden ist es vor allem wichtig, nach langer Durststrecke durch Corona wieder mit Werbung auf sich aufmerksam zu machen. Wie sieht Ihr Verhältnis in die andere Richtung aus – also zu den Großhändlern? Wir haben ein außerordentlich gutes Netzwerk, wovon wir partizipieren. Da es nur wenige Anbieter gibt, entscheiden diese guten Kontakte. Drei Mitarbeiter bei BerlinDruck sind angesetzt, sich um die kurzfristige Materialbeschaffung zu kümmern. Wenn ein Kunde mit einer konkreten Druckanfrage auf uns zugekommen ist,

haben wir sowohl vom Verkauf als auch von mir als Geschäftsführer das Gespräch gesucht, um deutlich zu machen, wie wichtig es ist, eine schnelle Entscheidung zu treffen. Und das möglichst sofort, denn sonst ist das Papier am nächsten Tag vielleicht schon nicht mehr verfügbar. Wer zu lange wartet, ist der Verlierer. D

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Passion | #09 | 21

Menschen bei BerlinDruck

Walter, zeig was geht

DAS BESTE KOMMT ZUM SCHLUSS. Reinhard Berlin schreibt an Walter Schwenn: Lieber Walter. Mehr als 40 Jahre hast Du dafür gesorgt, dass unzählige Bogen Papier richtig bedruckt, perfekt umschlagen, sauber gefalzt und pünktlich geliefert werden konnten. Aber jetzt reden wir nicht von Überstunden oder Sonntagsarbeit. Jetzt, wo Du eigentlich schon Deinen Ruhestand genießen könntest, wirst Du zum Jäger des verlorenen Schatzes. Täglich bist Du auf der Jagd nach den letzten freien Papiermengen, die zurzeit noch auf dem Markt sind. Eine Aufgabe, die niemand von uns noch vor wenigen Wochen auch nur für möglich gehalten hätte. Ohne Papier läuft hier nichts. Und dass hier alles läuft und immer gelaufen ist, verdanken wir Dir. Aber Geduld. Dein Wohnmobil bleibt in den Startlöchern.

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Das Magazin von BerlinDruck

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Menschen bei BerlinDruck

Walter Schwenn (hockend, rechts), Torwart Reinhard Berlin (hockend, Mitte, mit Ball), 1983, Highlight zum Tag der offenen Tür bei BerlinDruck in Bassum

Es war der 15. Dezember 1999: Fortuna Köln spielte in der 2. Liga gegen Waldhof Mannheim und lag bereits nach 28 Minuten mit 0:2 zurück. Toni Schumacher, Torwartlegende des 1. FC Köln, war damals der Trainer der Fortuna – noch! Denn mit dem Halbzeitpfiff war es aus. Mit den Worten „Hau app in de Eiffel. Du määs minge Verein kapott. Du häss he nix mie zu sare“ setzte sich der Präsident der Fortuna, Jean Löring, selbst auf die Trainerbank.

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Drucker fehlte. Das war die Chance. Auf dem Weg in die Halbzeitpause gabs den spontanen Angriff: „Entschuldigen Sie, hätten Sie nicht Lust bei uns als Drucker …?“ „Nachher!“ war die knappe Antwort. Aus dem „Nachher“ wurden dann knapp vierzig Jahre einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Oder um es mit dem berühmten Zitat von Humphrey Bogart aus dem Film Casablanca zu sagen: „Dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“ Und natürlich ist das nicht das Ende der Freundschaft, wenn Walter jetzt in den wohlverdienten Ruhestand geht. Denn ja, es tut richtig weh, wenn ein Urgestein der ersten

Mit der bestandenen Meisterprüfung in der Tasche 1983 an der Heidelberger MO, 2-Farbmaschine

Schon 16 Jahre früher gings ein paar hundert Kilometer weiter nördlich anders herum. Als Zuschauer eines Bezirksligaspiels des TSV Bassum erfuhr ich, dass der gefährliche Linksfuß auf dem Platz, Walter Schwenn, gelernter Drucker war. Und in der gerade gegründeten Druckerei gab es reichlich Arbeit, eine zweite Maschine war schon bestellt. Nur noch ein

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Menschen bei BerlinDruck

Leseempfehlung morgen – wie wir leben wollen Stunde, mit dem man nicht nur Terminschlachten geschlagen hat, sein Betriebsleiterbüro mit einem Wohnmobil tauschen will. Die härteste Schlacht soll hier wenigstens erwähnt werden: Auf Einladung unseres damaligen Kunden, der Germania Fluggesellschaft, durften wir den SV Werder Bremen ins Wladimir-

Iljitsch-Lenin-Stadion nach Tiflis in die damalige Sowjetunion begleiten. Wie das Spiel ausging, weiß ich nicht mehr. Aber in Erinnerung ist, dass wir beim Bankett nach dem Spiel grünen Wodka aus Wassergläsern mit dem Bremer Polizeipräsidenten und dem Sowjetischen Sportminister getrunken haben. Während Otto Rehhagel seine Jungs um Rudi Völler & Co. längst ins Bett beordert hatte, tauchte plötzlich „Schlitzohr“ Manni Burgsmüller in unserer geselligen Wodka-Runde auf. Gemeinsam verpassten wir am nächsten Morgen die Stadtrundfahrt … Walter, solltest Du demnächst mit Deinem Wohnmobil mal in Tiflis aufkreuzen, schau mal, ob Du meinen in der Nacht verloren gegangenen linken Schuh irgendwo findest. D

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Die Buchbinderei Integralis aus Ronnenberg bei Hannover – ein geschätzter Partner von BerlinDruck – ist seit Mai dieses Jahres im Verlagsgeschäft aktiv – mit der eigenen Edition Integralis. Die von Eckard Christiani aufgeworfene Frage „Ist die Art und Weise, wie wir leben, die richtige?“ ist gerade für uns Marketingmenschen, Designer:innen und Kreativschaffende von großer Bedeutung, vielleicht mehr denn je. Es ist kein Zufall, dass das Motto der diesjährigen Frankfurter Buchmesse – „Wie wollen wir leben?“ – ganz ähnlich klingt. Vom Verlag selbst wird die Buchrei he im Kontext Zukunftsperspektiven positioniert. Tatsächlich sind die von Christiani aufgeworfenen Fragen im Hier und Jetzt von hoher Relevanz. In Band 2 Medien nimmt Christiani den Medienkonsum in einer sich rasch verändernden Welt unter die Lupe. Der 3. Band der

anspruchsvoll gestalteten Buchreihe erschien kürzlich zu Fragen der Nachhaltigkeit, des Artensterbens und der Klimakrise. Die Reihe ist im Shop unter www.morgen-buecher.de und natürlich im Buchhandel erhältlich. D

Ihre Ansprechpartner*innen bei BerlinDruck Hedda Berlin Telefon +49 (0) 421 43871 - 0 hedda@berlin.sc Reinhard Berlin Telefon +49 (0) 421 43871 - 0 reinhard@berlin.sc Sonja Cordes Kalkulation und Auftragsmanagement Telefon +49 (0) 421 43871 - 21 sonja.cordes@berlindruck.de Björn Gerlach Kundenberatung Telefon +49 (0) 421 43871 - 24 Mobil +49 (0) 172 9438717 bjoern.gerlach@berlindruck.de Nele Gores Mediengestalterin Telefon +49 (0) 421 43871-22 nele.gores@berlindruck.de Katrin Harjes Kalkulation und Auftragsmanagement Telefon +49 (0) 421 43871-30 katrin.harjes@berlindruck.de Stephan John Kalkulation und Auftragsmanagement Telefon +49 (0) 421 43871-25 stephan.john@berlindruck.de Dirk Lellinger Leitung Druckvorstufe Telefon +49 (0) 421 43871-23 Mobil +49 (0) 172 8843717 dirk.lellinger@berlindruck.de Rolf Mammen Buchhaltung, EDV Telefon +49 (0) 421 43871-20 rolf.mammen@berlindruck.de Alexandra Reimers Kundenberatung Telefon +49 (0) 421 43871-40 Mobil +49 (0) 172 8438716 alexandra.reimers@berlindruck.de

Thomas Robel Kundenberatung Telefon +49 (0) 421 43871-18 Mobil +49 (0) 172 8438715 thomas.robel@berlindruck.de Marvin Rönisch Digitalisierung, Projektmanagement Telefon +49 (0) 421 43871-27 marvin.roenisch@berlindruck.de

Frank Rüter Geschäftsführer Telefon +49 (0) 421 43871-15 frank.rueter@berlindruck.de Walter Schwenn Betriebsleiter Telefon +49 (0) 421 43871-31 walter.schwenn@berlindruck.de

Ilka Smelt Mediengestalterin Telefon +49 (0) 421 43871-50 ilka.smelt@berlindruck.de Michaela von Bremen Sekretariat, Zentrale Telefon +49 (0) 421 43871-0 zentrale@berlindruck.de

Vorschau #10 Unsere Winter-Ausgabe #10 hat das Thema „Übergänge!“. Eine starke Geschichte kann Gesellschaften verändern, sie kann gefährden, aber auch Leben retten. Samira El Ouassil erzählt, warum wir dringend neue Erzählungen benötigen, um unsere Welt zu retten. Prof. Barbara Wild und Prof. Johannes Krause klären uns auf, wie Übergänge sinnstiftend gelingen. „Vergeude keine Krise!“ fordert Anja Förster und gibt uns rebellische Ideen für die Zukunft der Arbeit. YOUNGStar im Medienkosmos ist dieses Mal der Schauspieler Hayat van Eck. Freuen Sie sich auf weitere namhafte Autor:innen und spannende Interviewpartner:innen in Heft #10. Wir freuen uns auf Ihre Anregungen und Ihr Feedback – gern an: passion@quintessense.de

Veränderung ist der Beginn von etwas Neuem und dem Loslassen von Altem. Bewusst loslassen heißt, sich mit dem Prozess der Veränderung positiv auseinanderzusetzten und sich zu entscheiden, welchen Weg man gehen will. Dieser Prozess braucht Zeit und wird uns viele gute, aber auch schmerzhafte Momente bringen.

BerlinDruck GmbH + Co KG Oskar-Schulze-Straße 12 28832 Achim info@berlindruck.de Telefon +49 (0) 421 43871-0

Das Magazin von BerlinDruck

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Essay

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Ein Essay von Dina Brandt

Fokus ist alles – warum eigentlich? Der Fokus, bildungssprachlich Schwerpunkt, Mittelpunkt des Interesses, einer Sache, einer Auseinandersetzung, eines Diskurses „Wenn ich will, aber nicht kann – will ich dann wirklich?” Diese Frage stelle ich mir regelmäßig, wenn ich merke, dass es mir schwer fällt, mich zu konzentrieren – wenn ich merke, dass mir der Fokus fehlt. Wenn wir von Fokus sprechen, meinen wir damit in den meisten Fällen die Fähigkeit, uns auf bestimmte Vorgänge oder Dinge zu konzentrieren. Diese Konzentration erst macht es uns möglich, unsere gesamten geistigen Ressourcen auf ein Thema zu lenken. Die Konzentration auf eine Sache bedeutet aber auch: Außer dieser einen Sache blendet man alles andere aus. Dabei kommt schnell die Frage auf, ob diese eine Sache, an der man arbeitet, es überhaupt wert ist, sie zeitweise zum einzigen Punkt der Konzentration zu machen. FOMO (the fear of missing out), die Angst, etwas zu verpassen oder nicht genug zu wissen, lässt uns schnell glauben, die Konzentration auf eine Sache sei eine unkluge Idee. Man bekommt ja schließlich nicht alles mit, was man vielleicht wissen sollte – und wissen könnte, wenn man sich auf mehr als eine Sache fokussieren würde. Das Tückische daran: es ist gar nicht möglich, sich gänzlich auf mehr als eine Sache zu konzentrieren – zumindest nicht dem Großteil der Menschen. Nur gestehen wir uns das nicht gerne ein, weil das bedeuten würde, dass auch wir nicht über Superkräfte verfügen, die uns befähigen, in kürzerer Zeit mehr zu leisten als üblich. Und so konsumieren wir Podcasts, Videos, Bücher, Zeitschriften und den gesamten Social Media Feed der favorisierten Plattform – aus Angst, wir könnten etwas verpassen. Wir haben Angst, Fokus zu entwickeln – weil wir damit automatisch auf etwas verzichten müssten. Der Vorteil: Man eignet sich – bewusst oder unbewusst – über die Zeit eine ganze Menge an Wissen an. Wissen, das man sicherlich nicht hätte, hätte man sich fokussiert. Das Problem: dieses Wissen ist meist nur oberflächlicher Natur. Man konnte gar nicht in die Tiefe gehen, weil es dazu mehr Konzentration gebraucht hätte. Hinzu kommt, dass jede Art von aktivem Erschaffen ein gewisses Maß an Fokus braucht. Fehlt das, so wird man nie wirklich fertig –, und wenn man doch fertig wird, dann sieht man dem Ergebnis meist an, dass die Konzentration gefehlt hat.

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Das Problem mit dem nie endenden Konsum, in dem Fall von Wissen, ist, dass wir uns auf die Art nicht nur den bewussten Fokus abtrainieren – oder ihn überhaupt nicht lernen. Vielmehr gestatten wir uns auf diese Art auch nicht, das aufgenommene Wissen mal sacken zu lassen. Die Reflexion, das Verinnerlichen, findet de facto nie wirklich statt. Man hat zwar tausend kleine rote Punkte, die man mit einem Thema verbindet – nur verbindet man sie nie mit einem roten Faden, wie man es tut, wenn man sich den Raum dafür gibt. Fokus bedeutet nicht ausschließlich, sich tiefer und tiefer einzuarbeiten. Fokus bedeutet vielmehr, sich mit allem was dazu gehört, auf ein Thema zu konzentrieren. Mit allem was dazu gehört bedeutet auch: mit der Ruhe, die man braucht, um zu verarbeiten. Oft ist fehlender Fokus ein Indikator für etwas, das viel tiefer liegt. Die Angst, nicht genug zu wissen, nicht genug mitzubekommen ist oftmals bedingt durch die eigentliche Angst, nicht genug zu sein. Aus dieser Angst heraus eignet man sich so viel Wissen wie möglich an, um das wahrgenommene Fehlen des eigenen Wert zumindest durch die Menge an Wissen wieder ausgleichen zu können. Fokus – auch auf sich selbst – würde dann Gedanken mit sich bringen, die vielleicht unangenehm sind, und Fragen, die man sich eigentlich nicht stellen möchte. Da ist es leichter, das Handy aus der Hosentasche zu ziehen, Instagram zu öffnen, erneut durch TikTok zu scrollen oder die E-Mails zu lesen, die weder wichtig noch dringend sind – Hauptsache Ablenkung.

Dina Brandt, 28, ist „Warum-Fragerin“ und hat deshalb ihre 5-jährige Uni-Karriere ohne Abschluss beendet, hat sich verselbstständigt und 2020 angefangen, im Rahmen ihrer Marke Trotziger Millennial den Status Quo zwischen den Generationen zu hinterfragen. Daraus wurde eine Beratungsagentur für Personal Branding.

Ja, Fokus fällt uns zunehmend schwer – haben wir uns schließlich eine Umwelt geschaffen, die es uns so leicht macht, uns nicht konzentrieren zu müssen, wie nie zuvor. Ein Spieleland aus Zuckerwatte für den Geist quasi. Eine Umwelt, in der es jeden Tag Neues zu sehen und vermeintlich zu lernen gibt – wobei wir vergessen, dass wir alles was wir brauchen bereits haben. Dabei ist Fokus viel mehr noch, als die aktive Entscheidung, sich zu konzentrieren: nichts Neues mehr zu suchen. Fokus kann die Eintrittskarte sein in eine Welt, in der wir viel mehr erfahren und erkennen, als wir es je könnten, indem wir pausenlos der Ablenkung nachjagen. Fokus kann Teil der eigenen Haltung sein, die es einem ermöglicht, zur richtigen Zeit die richtigen Dinge zu tun. Was richtig bedeutet, das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. D

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