Kundenmagazin BerlinDruck #37

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37 DAS MAGAZIN VON BERLINDRUCK

digital awareness


Unsere drei größten Ängste?


BERLIN Editorial

Kommen Sie noch runter? Liebe Leserin, lieber Leser, hat Sie auch schon manchmal das Gefühl beschlichen, von Ihren elektronischen Geräten beherrscht zu werden, nicht mehr im eigenen Rhythmus zu arbeiten, sondern in dem Takt, der durch die Eingangsfrequenz von E-Mails, SMS, Facebook-Einträgen und Twitter-Meldungen vorgegeben wird, ständig abgelenkt durch aufpoppende Werbebotschaften und Links zu angesagten YouTube-Videos, brandaktuellen Nachrichten oder einfach nur skurrilen und peinlichen Vorfällen? Und hat Edward Snowden auch bei Ihnen die Frage aufgeworfen, was alles mit der Unmenge persönlicher Daten passiert, die Sie im Netz hinterlassen? Dann nutzen Sie die Gelegenheit, mit der Lektüre unseres neuen Heftes Ihre »Digital Awareness« zu schärfen. Wir fragen Experten, wie wir uns im Zeitalter von Big Data vor Manipulation, Datenklau und Identitätsdiebstahl schützen können. Aber wir nehmen auch das Gefühl der Überforderung ernst und stellen Ihnen Methoden und Strategien zur »digitalen Entgiftung« vor, um abseits des Informationsrauschens wieder Ihre innere Stimme zu hören und im wahrsten Sinne des Wortes zu Sinnen zu kommen. Obwohl das digitale Zeitalter Papier und Handschrift zunehmend verdrängt und die Kommunikation verändert, macht es die alten Materialien und Techniken nicht überflüssig – im Gegenteil: Durch sie wird Gedrucktes besonders, als etwas Bleibendes und Beständiges wächst ihm ein neuer Wert zu. So besichtigen und feiern wir die analogen Nischen und haben diesen Teil auf einem speziellen​ Papier gedruckt, um die auratische Wirkung noch zu unterstreichen. Dass man »Digital Awareness« auch gänzlich ohne Worte vermitteln kann, zeigen die großartigen Netzkunstwerke von Peter Kogler ebenso wie die beeindruckenden Fotografien von Olaf Unverzart und Martin Schlüter, die wir Ihnen in diesem Heft präsentieren. Denn wie immer sind wir bestrebt, all Ihre Sinne anzusprechen. In der Hoffnung, dass Sie sich von uns auf die alte, analoge Art verführen lassen, grüße ich Sie sehr herzlich, Ihr

Reinhard Berlin

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BERLIN Inhalt

Rubrik

Thema

Coverstory Perspektive Einblick Perspektive Methode Methode Methode Methode Methode Umschau Bibliothek Einblick Einblick Handwerk Handwerk Handwerk Bibliothek Perspektive Kolumne Ausdruck Perspektive

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Editorial Mein Kopf kommt nicht mehr mit Faszinierende Irritation Die Macht der Datensammler Nachts schlafen die Spione Mehr Schutz vor Cyberkriminalität Achtgeben, nicht aufgeben Europe-v-Facebook.org Mobile Marketing Appsolut entspannt! Dies und das Lesestoff Unplug & Recharge Mehr Zeit fürs Wesentliche Drucken à la Gutenberg Schönschreiben Die Liebe zum Papier Von Lumpen und Holzflößern ALP Werʼs glaubt … BerlinDruck Bitte mal hersehen! Impressum


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über

Frank Schirrmacher über unsere digitale Überforderung Peter Koglers hyperkomplexe Wirklichkeiten BERLIN-Gespräch mit dem Datenanalysten Markus Morgenroth Einzigartige Innenansichten des BND von Martin Schlüter Die Gratisangebote des Hasso-Plattner-Instituts für Sicherheit im Netz Mehr Transparenz in Sachen Datenschutz Eine Sammelklage gegen Facebook wird zu Europas größtem Datenklau-Prozess Das Smartphone als Einkaufsberater, Buchungstool und Informationsmanager Diese Anwendungen helfen beim stressfreien Leben Produkte, die unser physisches und digitales Selbst aussöhnen und verwöhnen Buchempfehlungen der Redaktion Energie tanken im Offline-Camp Wie lebt es sich zwischen Gucci und Gummistiefeln? BERLIN-Gespräch mit dem Typografen Erik Spiekermann über eine analoge Nische Die „Manufaktur für handgeschriebene Kommunikation“ stellt sich vor BERLIN-Gespräch mit Buchbinderin Katja Lindemann über ihre große Leidenschaft Erik Orsennas Kulturgeschichte des Papiers Erhabene Bergwelten von Olaf Unverzart Reinhard Berlin über die Macht der Zahlen News BerlinDruck im Selfie-Wahn

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Kaum einer in Deutschland hat die digitale Revolution von Anfang an so kritisch und leidenschaftlich begleitet wie Frank Schirrmacher, der 2014 viel zu früh verstorbene Mitheraus­ geber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Um an ihn zu erinnern und weil wir meinen, dass seine hellsichtigen Analysen auch heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben, drucken wir als Titelgeschichte dieser Ausgabe einen Text aus Frank Schirrmachers Buch »Payback« ab*, der die Überforderung angesichts von Informationsflut und Multitasking zum Thema hat, aber zuletzt auch einen Ausweg aufzeigt.

Mein Kopf kommt nicht mehr mit Was mich angeht, so muss ich bekennen, dass ich den geistigen Anforderungen unserer Zeit nicht mehr gewachsen bin. Ich dirigiere meinen Datenverkehr, meine SMS, E-Mails, Feeds, Tweets, Nachrichtensites, Handyanrufe und Newsaggregatoren wie ein Fluglotse den Luftverkehr: immer bemüht, einen Zusammenstoß zu vermeiden, und immer in Sorge, das Entscheidende übersehen zu haben. Ohne Google wäre ich aufgeschmissen und nicht mehr imstande, einen Handwerker zu bestellen oder zu recherchieren. Würde ich morgen vom Internet oder Computer geschieden werden, wäre das nicht eine Trennung von dem Provider, sondern es wäre das Ende einer sozialen Beziehung und würde mich tief verstören. Ich will sagen: Weder bin ich der Amish des InternetZeitalters noch ein technologischer Einsiedler. Aber etwas stimmt nicht mehr. Mein Kopf kommt nicht mehr mit. Zwar bilde ich mir ein, dass ich meinen Gesprächspartnern ebenbürtig bin, und ich habe nicht den Eindruck, dass ich heute weniger von der Welt verstehe als früher.

Mit freundlicher Genehmigung des Pantheon Verlags *

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Das Problem ist meine Mensch-Computer-Schnittstelle. »Das Hirn ist nichts anderes als eine Fleisch-Maschine«, hat leicht verächtlich Marvin Minsky, einer der Begründer der Informatik, schon vor Jahrzehnten gesagt. Und meine »Fleisch-Maschine« ist offenbar nicht mehr besonders gut. Es ist, als laufe mein Web-Browser mittlerweile auf zwei verschiedenen Plattformen, eine auf meinem Computer und eine sehr viel langsamere Version in meinem Kopf. Damit ein leistungsschwaches Handy eine mit technischen Spielereien vollgepackte Website trotzdem darstellen kann, haben die Programmierer eine Methode erfunden, die sich »graceful degradation« nennt, auf Deutsch: »würdevolle Herabstufung«. Die Website gibt sich gewissermaßen bescheiden, um das Handy, das in diesem Fall zu den armen Verwandten zählt, nicht in seinem Stolz zu verletzen. Das Verhältnis meines Gehirns zur Informationsflut ist das der permanenten würdelosen Herabstufung. Ich spüre, dass mein biologisches Endgerät im Kopf nur über

eingeschränkte Funktionen verfügt und in seiner Konfusion beginnt, eine Menge falscher Dinge zu lernen. Aber ich habe auch meinen Stolz. Ich schließe von meinem Kopf auf viele Köpfe, und dass es mir wie vielen geht: Ich glaube, es hat, um ein Lieblingswort der Informatiker zu zitieren, eine Rückkoppelung stattgefunden, die jenen Teil der Aufmerksamkeit, den wir früher uns selbst widmeten, abzapft, auffrisst und als leere Hülle zurücklässt. Man nennt das feed-back, wörtlich: eine Rück-Ernährung. Aber wer ernährt sich von unserer Aufmerksamkeit? Keine SMS, kein Blog, keine E-Mail wird in den Wind gesendet. Keine Suchanfrage, kein Tweet, kein Klick geht verloren. Nichts verschwindet und alles speist Datenbanken. Wir füttern mit unseren Gedanken, Worten und E-Mails das Wachstum eines gewaltigen synthetischen Hirns. Das ist keine Vermenschlichung eines technischen Vorgangs. Genau das geschieht. Ich bin noch nicht bereit, den Bankrott zu erklären. Aber ich bin unkonzentriert, vergesslich und mein Hirn gibt jeder Ablenkung nach. Ich lebe ständig mit dem Gefühl, eine Information zu versäumen oder zu vergessen, und es gibt kein Risiko-Management, das mir hilft. Und das Schlimmste: Ich weiß noch nicht einmal, ob das, was ich weiß, wichtig ist, oder das, was ich vergessen habe, unwichtig. Kurzum: Ich werde aufgefressen. Das ist eine so bittere wie peinliche Erkenntnis. Man kann ihr auch nicht entrinnen, wenn man den Bildschirm abschaltet. Ständig begegnet man Menschen, die in jeder Situation per Handy texten, E-Mails abrufen, gleich mit ihrem ganzen Laptop anrücken, und immer häufiger höre ich bei Telefonaten dieses insektenhafte Klicken, weil mein Gesprächspartner tippt, während er telefoniert. Jede Sekunde dringen Tausende Informationen in die Welt, die nicht mehr Resultate melden, sondern Gleichzeitigkeiten. Die neue Gleichzeitigkeit von Informationen hat eine Zwillingsschwester, die wir »Multitasking« getauft haben.


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Wir alle, die wir auf die gläsernen Bildschirme starren, sind Menschen bei der Fütterung; wie die stolzen Besitzer von Terrarien, die Nahrungswolken auf die unsichtbaren Tiere in ihren Glaskästen herabregnen lassen. Es ist eine Eile dabei, als könnte etwas verhungern. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen, die ich kenne, immer schneller erzählen, gerade so, als könnten sie nicht damit rechnen, dass genug Zeit bleibt, ihnen zuzuhören, weil die Informationskonkurrenz so gewaltig ist. Dass es anderen auch so geht wie mir, ist beruhigend. Und sehr beunruhigend zugleich. Es ist ein Prozess ohne Beispiel. Und es ist ein Prozess, in dem nicht Dummheiten, sondern Intelligenzen miteinander konkurrieren. Wer über das digitale Zeitalter redet, redet nicht nur über ein Medium. Er redet über eine Fabrik der Gedanken. Im Internet mag es viele Dummheiten geben, aber es wetteifern dort auch außerordentliche Intelligenzen miteinander – nicht nur in

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Texten, sondern vor allem und in erster Linie in den unsichtbaren Computercodes, die uns leiten. Hinter ihnen stecken die wahren Programmdirektoren unseres Lebens. Darunter sind ein paar der klügsten Menschen der Welt. Kein Mensch kann mehr daran zweifeln, dass wir in eine neue Ära eingetreten sind, aber die Zweifel, wohin sie uns führt, wachsen täglich. Das Gefühl von Vergesslichkeit und Vergeblichkeit steht nicht im Widerspruch zu den gigantischen Datenmengen, die täglich gespeichert werden, sondern ist deren Resultat. Nichts mehr, das verweht, und keine Frage, die nicht ohne Antwort bliebe. Nach einer Berechnung der Universität Berkeley wurden im Jahre 2003 auf allen bekannten Datenträgern, von Print bis Internet, 5 Exabyte neuer Informationen gespeichert. Die unvorstellbare Zahl entspricht allen jemals von Menschen auf der Erde gesprochenen Worten. Die jüngste


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Studie wird eine weitere Informationsexplosion verzeichnen. »Es gibt nicht mehr genügend Hirne, die die Bevölkerungsexplosion der Ideen beherbergen könnte«, schreibt resigniert der Philosoph Daniel Dennett. Informationen fressen Aufmerksamkeit, sie ist ihre Nahrung. Aber es gibt nicht genügend Aufmerksamkeit für alle die neuen Informationen, nicht einmal mehr in unserem eigenen persönlichen Leben. Unsere Köpfe sind die Plattformen eines Überlebenskampfes von Informationen, Ideen und Gedanken geworden, und je stärker wir unsere eigenen Gedanken in das Netz einspeisen, desto stärker werden wir selbst in diesen Kampf mit einbezogen. Er hat jetzt erst Verlage und Zeitungen, das Fernsehen und die Musikindustrie getroffen. Aber man mache sich nichts vor. Der darwinistische Überlebenskampf ist im Begriff, auf das Leben des Einzelnen überzugreifen, auf seine Kommunikation mit anderen, sein Erinnerungsvermögen, das der größte Feind neuer Informationen ist, auf sein soziales Leben, auf seine Berufs- und Lebenskarriere, die längst Bestandteil des digitalen Universums geworden ist. Die drei Ideologien, die das Leben der Menschen in den letzten zwei Jahrhunderten bis heute am nachhaltigsten verändert haben, waren Taylorismus – also die »Arbeitsoptimierung« gesteuert durch die Stoppuhr und den Zwang zur äußersten Effizienz –, Marxismus und Darwinismus. Alle drei Weltbilder finden im digitalen Zeitalter in einer »personalisierten« Form, nicht als Ideologie, sondern als Lebens­ praxis, zusammen. Der Taylorismus in Gestalt des Multitaskings, der Marxismus in Gestalt kostenloser Informationen, aber auch selbstausbeutender Mikroarbeit im Internet, die vor allem Google zugute kommt, und der Darwinismus in Gestalt des Vorteils für denjenigen, der als Erster die entscheidende Information hat.

»Payback« will zeigen, wie die Informationsexplosion unser Gedächtnis, unsere Aufmerksamkeit und unsere geistigen ​Fähigkeiten verändert, wie unser Gehirn physisch verändert wird, vergleichbar nur den Muskel- und Körperveränderungen der Menschen im Zeitalter der industriellen Revolution. Kein Mensch kann sich diesem Wandel entziehen. Die digitale Gesellschaft ist im Begriff, ihr Innenleben umzuprogrammieren. »Auf der ganzen Welt haben Computer damit begonnen, ihre Intelligenz zusammenzulegen und ihre inneren Zustände auszutauschen« (George Dyson); und seit ein paar Jahren sind die Menschen ihnen auf diesem Weg gefolgt. Solange sie sich von den Maschinen treiben lassen, werden sie hoffnungslos unterlegen sein. Wir werden aufgefressen werden von der Angst, etwas zu verpassen, und von dem Zwang, jede Information zu konsumieren. Wir werden das selbstständige Denken verlernen, weil wir nicht mehr wissen, was wichtig ist und was nicht. Und wir werden uns in fast allen Bereichen der autoritären Herrschaft der Maschinen unterwerfen. Denn das Denken wandert buchstäblich nach außen; es verlässt unser Inneres und spielt sich auf digitalen Platt­formen ab. Das Gefühl, dass das Leben mathematisch vorbestimmt ist und sich am eigenen Schicksal nichts mehr ändern wird, ist einer der dokumentierten Effekte der Informationsüberflutung. Aber im Internet und den digitalen Technologien steckt auch eine gewaltige Chance. Denn es gibt einen Ausweg, der selten so gangbar schien wie heute: Die Perfektion der entstehenden Systeme hilft uns nur, wenn wir uns erlauben, weniger perfekt zu sein, ja aus unserem Mangel und unserer Unvollständigkeit etwas zu stärken, was Computer nicht haben und worum sie uns beneiden müssten: Kreativität, Toleranz und Geistesgegenwart.

FRANK SCHIRRMACHER Der promovierte Germanist Frank Schirrmacher (1959– 2014) wurde nach einer Blitzkarriere im Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« im Jahr 1994 einer ihrer Herausgeber und blieb dies bis zu seinem Tod. In dieser Zeitung, aber auch mit seinen Büchern stieß er immer wieder wichtige Debatten an. Für sein publizistisches Schaffen wurde der herausragende Intellektuelle vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem CORINE-Sachbuch­preis, dem Jacob-Grimm-Preis und dem Ludwig-Börne-Preis.

Gekürzter Abdruck des ersten Kapitels aus:

Payback Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen Frank Schirrmacher Pantheon Verlag 2011 ISBN: 978-3-570-55142-4 248 Seiten, mit Abb., (D) 12,99 €

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Faszinierende Irritation PETER KOGLERS HYPERKOMPLEXE WIRKLICHKEITEN

Der österreichische Multimediakünstler Peter Kogler war einer der ersten, der computergenerierte Projektionen für Innen- und Außenräume schuf. Ihre repetitiven Muster sind Sinnbilder der virtuellen Welten und visualisieren die Informationsflüsse und Datenströme, in die wir eingebettet sind. Neben digitalen und neuronalen Netzen lässt sich Kogler dabei immer wieder von Filmarchitektur, industriellen Röhrensystemen, dem Gehirn und unserem Globus inspirieren. Werkprägend wurden zudem die Ameisen oder Mäuse, die seine labyrinthischen Welten bevölkern. Sie sind komplexe Metaphern, die Fragen nach dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, Eigen- und Fremdbestimmtheit, Anarchie und Ordnung, Realem und Virtuellem unter den Bedingungen der Mediatisierung aufwerfen. Die Mäuse können aber auch als Zitat unserer bevorzugten Navigationsart in der digitalen Welt gelesen werden, die Ameisen als Chiffre für die Macht der Algorithmen. So wie eine Google-Suche immer die meistgefragten Websites als Erstes aufführt, suchen sich auch Ameisen immer die Wege, die andere

mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. 2008

Ameisen vor ihnen bereits beschritten und markiert haben – was abseits der ausgetretenen Pfade liegt, verschwindet so zuneh­ mend aus unserem Bewusstsein. Das Eintauchen in Peter Koglers Matrix ist hingegen eine eher destabilisierende, auf jeden Fall aber bewusstseinserweiternde Erfahrung. Internationale Anerkennung erfuhr Peter Kogler mit seinen Arbeiten auf der Biennale von Venedig (1986), der documenta IX (1992) und der documenta X (1997), unzählige weitere Ausstellungen und Großprojekte im Inund Ausland sowie Lehraufträge und Professuren an diversen Kunstakademien folgten. Noch bis zum 20. Februar 2015 sind Peter Koglers aktuelle Arbeiten im Museum für zeitgenössische Kunst MSU in Zagreb zu sehen. www.msu.hr/#/en/20236 www.kogler.net

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Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main. 2010 © alle Fotos: Atelier Kogler

SCHAUWERK Sindelfingen. 2010 Openairs, Liège. 2012

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Dirimart Gallery, Istanbul. 2011 Š Atelier Kogler



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Die Macht der Datensammler BERLIN-GESPRÄCH MIT DEM DATENANALYSTEN MARKUS MORGENROTH

Datenspionage gegen Angestellte ist tägliche Praxis in deutschen Unternehmen. Illegale, aber dreist praktizierte Backgroundchecks bestimmen heute über Wohnung, Kredit, Job, Liebe. Selbst die paranoidesten Szenarien sind bereits Realität. Der deutsche Datenanalyst Markus Morgenroth hat ein Buch geschrieben, in dem er das ganze Ausmaß der Überwachung und des Datenmissbrauchs aufdeckt. Herr Morgenroth, Sie haben für das amerikanische Unternehmen Cataphora gearbeitet, das mit dem Slogan »Wir geben Big Data ein Gesicht« wirbt. Was hat man sich darunter vorzustellen? Welche Dienstleistungen bietet Cataphora an? Das hat sich im Laufe der Zeit verändert. Ich bin relativ am Anfang zu der Firma gekommen. Und damals, vor rund zehn Jahren, ging es darum, für Gerichtsprozesse Daten auszuwerten – bei großen Fällen gerne mal zig Millionen E-Mails, elektronische Dokumente, PowerPointund Excel-Dateien –, um dort nach Beweisen oder Gegenbeweisen zu suchen. Cataphora entwickelt Algorithmen, um diese Datenmengen zu analysieren und verborgene Zusammenhänge zu finden. Können Sie erklären, wie diese Algorithmen funktionieren? Algorithmen kann man sich wie Kochrezepte vorstellen. Sie beschreiben Schritt für Schritt, was der Computer mit den Daten tun soll. Auf der einfachsten Ebene funktioniert das ganz ähnlich wie eine GoogleSuche. Das heißt, man packt alle Daten in eine Datenbank hinein, kann dann in diesen Daten nach irgendwelchen Begriffen – Name, Projektname, Firmenname – suchen und bekommt alle Treffer angezeigt. Das ist natürlich nur der erste Schritt, denn so eine Stichwortsuche ist extrem trivial und führt oft nicht zu den gewünschten Ergebnissen. Wenn Mitarbeiter etwa Codewörter benutzen oder sich beim Schreiben vertippen, fördert diese einfache Suche nichts zutage. Außerdem können so auch die Zusammenhänge nicht gefunden werden. Wenn ich beispielsweise in einer E-Mail schreibe: »Ja, so machen wir es«, dann hat diese E-Mail für sich genommen keine Aussagekraft. Weil man ja nicht weiß, worauf sie sich bezieht. Erst wenn man alle Informationsschnipsel zusammenfügt und miteinander in Beziehung setzt, kann man intelligente Auswertungen damit machen. Und das kann ein Algorithmus? Da geht es doch jetzt um konkrete Inhalte. Die kann ein Algorithmus herausfinden? Ja, wenn er entsprechend programmiert ist. Da ist ganz viel Linguistik im Spiel. Wir hatten bei Cataphora viele Sprachwissenschaftler, die sich auch mit den Kunden unterhalten haben, um herauszufinden, nach was denn jetzt genau gesucht werden soll. Das heißt, die Algorithmen wurden wirklich speziell für den jeweiligen Fall, den es aufzuklären galt, entwickelt? Genau. Natürlich gibt es ein Grundgerüst, das man immer wieder

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verwenden kann. Aber die Parameter, mit denen die Algorithmen gefüttert werden, sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Nur wenn ich etwas Allgemeines in diesen Daten finden möchte, zum Beispiel Emotionen, kann ich die gleichen Algorithmen verwenden. Einer unserer Algorithmen erkannte, ob jemand »two faced« ist, also zwei Gesichter hat. Mit der einen Gruppe redet so jemand sehr positiv, mit der anderen Gruppe eher negativ über ein bestimmtes Thema. Unsere Algorithmen konnten auch feststellen, wenn jemand sehr negativ über bestimmte Personen redet. Oder wenn jemand in bestimmten Abständen Dinge macht und diese Abstände sich dann auf einmal ändern. Wenn sich etwa die Frequenz von Meetings oder Status­ berichten ändert. Im Laufe der Jahre haben wir unzählige Algorithmen entwickelt, deren Ergebnisse dann von Analysten in mühevoller Kleinarbeit zusammengesetzt werden. So kann man Zusammenhänge konstruieren und vorher verborgene Fakten aufdecken, die für Anwälte interessant sind. Darum ging es anfangs bei Cataphora. Sie haben angedeutet, dass sich Cataphoras Geschäftsmodell im Laufe der Zeit geändert hat. Inwiefern? Irgendwann fiel die strategische Entscheidung, diesen Geschäftsbereich an Ernst & Young zu verkaufen. Ab diesem Zeitpunkt hat sich die Firma darauf konzentriert, die Algorithmen im Unternehmensumfeld einzusetzen, um beispielsweise die Performance von Mitarbeitern oder die internen Kommunikationsströme zu analysieren oder auch die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern zu evaluieren. Das Ziel war immer eine Optimierung von Prozessen. Bei der Fusion zweier Technologieunternehmen etwa sollten in einer großen Abteilung, die auf drei Kontinente verteilt war, rund 30 Prozent der Mitarbeiter entlassen werden. Von Cataphora erhoffte sich das Management eine objektive Entscheidungsgrundlage. Wir haben uns dann


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die relevanten Daten vorgenommen und ausgewertet, insbesondere den E-Mail-Verkehr und die Code-Repositories, das sind Datenbanken, wo die Mitarbeiter den von ihnen geschriebenen Programmiercode abgespeichert haben. Das Unternehmen war anfangs der Meinung, es könne am ehesten auf diejenigen verzichten, die am wenigsten Code geschrieben hatten. Wir hielten das für eine sehr einseitige Sichtweise, weil natürlich nicht nur entscheidend ist, wie viel Code jemand schreibt, sondern vor allem, wie hochwertig der Code ist, wie häufig er verwendet wird. Aber da habe ich gemerkt, dass auf Kundenseite oft eine sehr starke Zahlengläubigkeit vorherrscht. Zahlen lügen nicht, hieß es immer wieder. Wenn jemand viel schreibt, dann muss er doch auch gut sein – andere Faktoren interessieren eher nicht. Ist es Ihnen gelungen, den Kunden von Ihrer Sicht zu überzeugen? Unsere Analyse ergab, dass einige Mitarbeiter, die auf der Abschussliste standen, sehr wertvolle Arbeit geleistet hatten, weil sie zwar wenig, aber dafür sehr wichtigen Code geschrieben haben. Oder sie haben vorhandenen Code leicht abgeändert und so überhaupt erst sinnvoll nutzbar gemacht. Letztendlich ist die Firma unserer Einschätzung gefolgt, sodass diese Mitarbeiter dann eben nicht wie ursprünglich geplant entlassen wurden. Das ist doch eigentlich ein schöner Erfolg und sicherlich nicht der Grund dafür, dass Sie Cataphora verlassen haben, oder? Es gibt tatsächlich viele gute Anwendungsfelder, wo die Auswertung von Big Data sinnvoll ist und uns entscheidend weiterbringt – etwa in der Medizin, in der Forschung, im Verkehrswesen und in der Logistik. Aber Menschen auf diese Weise zu bewerten, ist heikel, weil solche Analysen nie 100-prozentig sichere Ergebnisse bringen, sondern mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten, was einen gewissen Fehlerprozent-

satz einschließt. Wenn es ums Wetter oder um Warenströme geht, dann sind Fehler, die durch die Analysen passieren, meistens nicht so tragisch. Aber wenn Menschen betroffen sind, dann stehen oft Schicksale dahinter. Leider habe ich wiederholt die Erfahrung gemacht, dass die Unternehmen Zahlen und Statistiken in zu hohem Maße vertrauen und selten fragen, was dahinter steht. Und das wollte ich nicht weiter mitmachen. Aus diesem Grund habe ich mich dann auch entschlossen, das Buch zu schreiben und über die negativen Seiten der Branche und ihrer Technologien aufzuklären. Vorher aber haben Sie jahrelang die europäische Niederlassung von Cataphora geleitet. Konnten Sie da genauso agieren wie in den USA? Oder hat Ihnen der europäische Datenschutz Hindernisse in den Weg gelegt? Der ist auf jeden Fall strenger und das ist meiner Meinung nach auch gut so. Meine Aufgabe war es, deutsche Firmen bei Gerichtsverfahren in den USA zu unterstützen. Wenn die amerikanischen Gerichte die Firmen offiziell um elektronische Daten ihrer Angestellten ersuchen, dann dürfen die Firmen diese Daten in Deutschland nicht ohne die Einwilligung der betroffenen Mitarbeiter herausgeben. Von daher ist dieses Vorgehen nicht ganz so problematisch. Viel problematischer sind die Fälle, wo solche Daten für andere Zwecke genutzt werden, nämlich für die Überwachung und Evaluierung der Mitarbeiter. Viele Unternehmen, auch in Deutschland, speichern in großem Maßstab die Performance-​­Daten ihrer Angestellten, also beispielsweise wie schnell sie sich im Warenlager bewegen, wie lange sie auf der Toilette brauchen, wie oft sie Rauchpausen machen, wie hoch das Stresslevel ist, wie sie miteinander kommunizieren und solche Dinge. Und das alles geschieht ohne Einwilligung der Mitarbeiter? Natürlich sichern sich die Unternehmen ab und lassen ihre Mitarbeiter eine entsprechende Einverständniserklärung unterzeichnen. Viele Mitarbeiter denken darüber gar nicht weiter nach, andere stimmen dem Ganzen zu, weil sie den Job nicht verlieren wollen. Aber darüber hinaus habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass viele Chefs bewusst über Gesetze und Vorgaben hinwegsehen. Sie wollen einfach wissen, was im Unternehmen abläuft. Ich hatte viele Anfragen von verschiedensten Unternehmen, wo mir jemand gesagt hat: »Ich traue meinen Mitarbeitern nicht, und ich möchte sie irgendwie überwachen.« Oder es gab einen konkreten Verdacht, dass irgendetwas schiefläuft – weshalb man uns mit der Ausspähung der Mitarbeiter beauftragen wollte. Denen musste ich dann erklären, dass das deutsche Gesetz es verbietet, solche Daten ohne Einverständnis der Mitarbeiter zu erheben oder in deren E-Mails herumzuschnüffeln. Die Praxis sieht leider oft anders aus, einfach weil es relativ leicht ist, so etwas ohne das Wissen der Mitarbeiter durchzuführen.

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Achtung Es wurden 24 indexierte Begriffe gefunden. Weitere Beobachtung empfohlen!

MARKUS MORGENROTH Der Informatiker Markus Morgenroth (* 1977) arbeitete ab 2005 für ein führendes US-Unternehmen im Bereich der verhaltensbasierten Datenanalyse, zuerst als Software Engineer, ab 2007 als Managing Director of European Operations. Seit seinem Ausstieg 2013 ist er als Consultant tätig und berät Firmen zu Fragen rund um den Datenschutz sowie die Chancen und Risiken von Big Data.

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Wollen Sie damit sagen, dass sich trotz unserer Datenschutzbestimmungen niemand entspannt zurücklehnen kann? Genau. Ebenso wie Ihnen im Privaten niemand garantieren kann, dass sich nicht ein Hacker auf Ihrem Computer eingenistet hat und fröhlich Ihre E-Mails mitliest, gibt es eine solche Versicherung auch nicht für die Arbeitswelt. Vielen Leuten ist das egal, sie sagen sich: »Ich google, telefoniere und maile nicht privat am Arbeitsplatz, ich bin nicht auf Facebook, ich mache kein Online-Banking, ich twittere nicht, ich benutze diese ganzen Dienste nicht, stelle meine Fotos nicht ins Netz, poste nichts Persönliches, also betrifft mich das alles gar nicht.« Würden Sie dem zustimmen? Kann man sich quasi durch digitale Abstinenz schützen? Das glaube ich nicht. Denn auch unter Verzicht auf die von Ihnen genannten Dienste und Aktivitäten im Netz hinterlässt jeder von uns immer noch wahnsinnig viele Daten. Schon das Smartphone und selbst jedes uralte Handy erzeugt eine Unmenge Daten. Auch geht ein jeder von uns zum Arzt, da fallen Daten an, jeder von uns ist beim Einwohnermeldeamt und beim Finanzamt gemeldet, hat Versicherungen und Bankkonten, vielleicht auch Kredite und diverse Kundenkarten. Es gibt einige große, weltweit agierende Firmen in Deutschland, die mehr oder weniger über jeden Bundesbürger Daten sammeln und verkaufen. Sie wissen, ob ich verheiratet bin und Kinder habe, wie hoch meine Miete ist, ob ich luxusaffin lebe oder eher preisbewusst, welche Bücher ich lese, wo ich gerne Urlaub mache, was ich im Fernsehen gucke, welches meine Hobbys sind, ja selbst sensible Informationen, etwa, ob ich rauche oder trinke, an welchen Krankheiten ich leide, wie hoch ich verschuldet bin oder ob ich Interesse an außerehelichen Verhältnissen habe, sind hier abrufbar. Wer sind denn die Big Player im Bereich des Datenhandels? Eines der ganz großen Unternehmen in diesem Bereich ist Acxiom. Laut eigenen Angaben verfügt es über detaillierte Profile von über 50 Millionen Bundesbürgern. Pro Haushalt gibt es durchschnittlich 1.500 Datenpunkte. Die Firma arbeitet zum Beispiel mit eBay zusammen; wenn Sie auf eBay mal etwas kaufen oder verkaufen, dann gehen diese Daten also an Acxiom, wo sie mit Ihrem Profil verknüpft werden. Man könnte jetzt

meinen, das sei gar nicht so schlimm, aber es gibt unzählige Studien, die zeigen, was man alles aus diesen wenigen Daten herauslesen kann. Nämlich wie Sie kaufen, ob Sie sehr schnell kaufen, egal zu welchem Preis, oder ob Sie eher preisbewusst sind und erst mal ganz viele Auktionen beobachten, bevor Sie zugreifen. Und natürlich auch, was Sie kaufen. Das sagt sehr viel über Hobbys, Einstellung und den Charakter einer Person aus. Selbst wenn Sie WhatsApp oder irgendwelche Chatprogramme nur benutzen, um sich mit Freunden über Rezepte auszutauschen, dann verraten schon diese wenigen Daten sehr viel über Ihre Intellektualität oder Intelligenz. Wie hat man sich das vorzustellen? Analysieren Sie einfach mal die Nachrichten mehrerer Personen über einen Monat hinweg. Einige benutzen vielleicht nur 200 verschiedene Wörter, ihre Sätze sind alle recht einfach und kurz, die Rechtschreibung stimmt oft nicht, während andere Personen im gleichen Zeitraum 2.000 verschiedene Wörter benutzen und sehr komplexe, grammatikalisch korrekte Sätze schreiben. Auf dieser Basis kann man ganz leicht zu einem starken Urteil über die Intellektualität, die Intelligenz und den Wissensstand einer Person gelangen. Und genauso verhält es sich mit den ganzen Daten, die wir überall außerhalb des Internets hinterlassen, auch diese Daten werden natürlich gespeichert und können ausgewertet und für die verschiedensten Zwecke nutzbar gemacht werden. Aber können alle diese Daten auch zu mir zurückverfolgt werden? Ich dachte, sensible Daten – wie etwa medizinische Diagnosen – dürften nur anonymisiert gespeichert werden. Klar, sehr viele Daten werden anonymisiert gespeichert, aber unter Datenschützern ist ein großer Streit darüber entbrannt, was genau »anonymisieren« heißt. Hier gibt es nämlich keine klare Definition. Vor einigen Monaten gab es eine gerichtliche Auseinandersetzung darüber, ob ein Apotheken-Rechenzentrum, das Rezeptdaten aufbereitet und an Pharmakonzerne, Forschungsinstitute und andere Unternehmen weiterverkauft, die Daten hinreichend anonymisiert hat. Nach Ansicht vieler Datenschützer kann man mit den noch vorhandenen Angaben in den anonymisierten Daten oft auf die Person rückschließen, zu der ein bestimmter Datensatz gehört. Auch viele Studien belegen, dass die


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De-Anonymisierung von Daten möglich ist, wenn man nur genug Daten hat. Das Versprechen der Anonymisierung ist also tatsächlich mit sehr großer Vorsicht zu genießen. Wir können uns also nicht darauf verlassen, dass sensible Daten über uns anonym bleiben? Nein, leider nicht. Nehmen wir beispielsweise Fitness-Tracker, Schrittzähler und die Gesundheitsarmbänder. Eigentlich eine gute Sache, weil sie einem dabei helfen, gesünder zu leben. Problematisch ist jedoch, dass die erhobenen Daten oft bei kleinen Firmen landen, wo man als Kunde überhaupt nicht sicher sein kann, ob sie gut geschützt sind und was mit ihnen passiert. In meinem Buch erwähne ich eine Studie, die 20 verschiedene Gesundheitsapps untersuchte und herausfand, dass diese 20 Apps die Daten an 70 verschiedene Dienstleister weiterverkaufen. Und ein anderer Aspekt bei dem Ganzen ist der Diebstahl von Daten, der mittlerweile dramatische Ausmaße angenommen hat. Immer wieder werden Millionen von Datensätzen mit teils sehr sensiblen Daten geklaut. Können sensible Informationen über meinen Gesundheitszustand auf diesem Weg auch an Versicherungen und Arbeitgeber gelangen? Ein ganz kritischer Punkt. In den USA geschieht das bereits. Und auch in Deutschland haben mir Angestellte einiger Krankenkassen hinter vorgehaltener Hand bestätigt, dass es ein großes Interesse daran gibt, sich die vermeintlich gesunden Kunden herauszupicken und die kranken Kunden nicht zu versichern, weil das ein höheres finanzielles Risiko beinhaltet. Wenn sich also hierzulande die Gesetze ein bisschen ändern und mehr im Sinne der Unternehmen ausgelegt werden, dann wird es für viele Menschen schwieriger und teurer werden, eine Versicherung zu finden. Sie berichten ja in Ihrem Buch von unzähligen Datenmissbrauchs-, Datenspionage- und Datenmanipulationsfällen in Deutschland, die zum Teil eindeutig kriminell sind. Und zeigen auch immer wieder mit Blick auf die USA, wohin das alles führen kann. Sehen wir dort in unsere Zukunft oder glauben Sie, dass man diese Entwicklung noch au﬉alten bzw. im Sinne der Bürger, der Transparenz, des Schutzes

nnn? u ha n ka r e st, z u i m e t i t Ze it de re s hr m hste phä c e en s ö r t m a mie es h sich Priv nfor i dass e sollte elt h , der c W e ln en aub n, si e l l z e a g z t n i i t ig reiIch rE rse er d s nicht Jede nde d . a n n l e i n i e de da n lem aus alte wird Prob ma h r r e e i e e h V T nd leid sein erde Nur ew und en. n i k e n l rde ir al n. übe nw nne den , n n kö e che s lö icht so n Wollen Sie damit sagen, dass beim Thema »Datenschutz und Datensicherheit« der Gesetzgeber gefordert ist? Ganz klar. Leider hinkt die Politik der Entwicklung hinterher. Bestehende Gesetze müssten vernünftiger ausgelegt und die Strafen für Datenmissbrauch erhöht werden, die sind momentan lächerlich gering. In diesem Bereich bewegt sich zum Glück gerade etwas. Und es müsste dringend in die Sicherheit investiert werden – und Datenschützer brauchen schlicht mehr Ressourcen, mehr Geld, mehr Personal. Das allein wird aber nicht reichen. Nicht nur die Politik, auch die Gesellschaft muss umdenken. Schon unsere Kinder müssen in den Schulen einen aufgeklärten Umgang mit der digitalen Welt und ihren persönlichen Daten erlernen. Keiner darf in Zukunft mehr glauben: »Ich habe nichts zu verbergen; was ich hier online mache, das ist doch alles unwichtig und interessiert eh keinen.« Darüber hinaus müsste es meines Erachtens eine Art Datenschutz-Führerschein geben, um Menschen für ein verantwortungsbewusstes Leben in der digitalen Welt zu befähigen. Langfristig müssten also verschiedene Dinge passieren, um das Bewusstsein des Einzelnen und der Gesellschaft für einen verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Daten und der Welt der Datenhändler zu schärfen und sicherzustellen, dass unsere Grundwerte und Grundrechte auch im digitalen Zeitalter bewahrt werden.

Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich! Die wahre Macht der Datensammler Markus Morgenroth

Mit Ihrem Buch haben Sie dazu auf jeden Fall einen wichtigen Beitrag geleistet – herzlichen Dank.

Droemer Verlag 2014 ISBN: 978-3-426-27646-4 272 Seiten, (D) 19,99 €

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rechts: Neuer Geländeteil, Mitarbeiterbüro In manchen Räumen haben BND-Mitarbeiter versucht, die triste Büroatmosphäre durch persönliche Dinge aufzulockern. unten: Neuer Geländeteil, IT-Zentrum Mit modernster Technik ausgestattet ist das neue IT-Zentrum. Es wird auch nach Umzug des BND nach Berlin in Pullach verbleiben.

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Nachts schlafen die Spione Der Fotograf Martin Schlüter durfte das Areal des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach bei München vor dessen Umzug nach Berlin umfassend dokumentieren. Entstanden sind beeindruckende Bilder, die ein Porträt der Behörde schaffen, das unter die Haut geht. Mit Martin Schlüter wird der Betrachter zum Spion in einer ansonsten hermetisch abgeriegelten Welt. Wie ein Eindringling erkundet er leere Besprechungszimmer, verwaiste Büros, Werkstätten, Archive, Labore, Bunker und Trainingsräume. In ihrer Normalität wirken diese geheimen Orte geradezu unwirklich, einige bergen skurrile Szenarien, von anderen geht eine beklemmend-klaustrophobische Wirkung aus. Der Betrachter kann sich einer gewissen Paranoia nicht erwehren: Er sieht die gigantischen Apparaturen und Serverräume, die Karteien und Akten, aber die Informationen in ihnen bleiben ihm verborgen. – Ein seltener und faszinierender Einblick in das Innere einer Behörde, die für Auslandsaufklärung, Spionage, Fehlinformation und absolute Verschwiegenheit steht. Nominiert für den Deutschen Fotobuchpreis 2015.

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BERLIN Perspektive

oben links: Neuer Geländeteil, Chemielabore Büro eines Naturwissenschaftlers. Ein belegtes Brötchen halb links zeigt, dass hier soeben noch gearbeitet wurde. oben rechts: Neuer Geländeteil Dienstplan der Wachhunde unten: Geheimer Standort außerhalb Pullachs Ein »Signal Intelligence«-(SIGINT-)Kontrollraum. Licht an. alle Fotografien: Martin Schlüter. Nachts schlafen die Spione. Letzte Ansichten des BND in Pullach. © Sieveking Verlag, Martin Schlüter, 2014

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BERLIN Perspektive

Nachts schlafen die Spione Letzte Ansichten des BND in Pullach Martin Schlüter

Mit Beiträgen von Klaus Honnef und Niklas Maak Sieveking Verlag 2014 ISBN: 978-3-944874-03-6 160 Seiten, mit 120 Farbabb., (D) 59,90 €

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BERLIN Methode

Mehr Schutz vor DIE GRATISANGEBOTE DES HASSO-PLATTNERINSTITUTS FÜR SICHERHEIT IM NETZ

HASSO-PLATTNERINSTITUT Das Potsdamer Hasso-PlattnerInstitut für Softwaresystemtechnik GmbH (HPI) an der Uni­versität Potsdam ist Deutsch­ lands universitäres Exzellenzzentrum für IT-Systems Engineering und wird vollständig von seinem Stifter, dem SAPMitbegründer und -Aufsichtsratsvorsitzenden Professor Hasso Plattner, finanziert. Schwerpunkt der HPI-Lehre und -Forschung sind die Grundlagen und Anwendungen großer, hochkomplexer und vernetzter IT-Systeme. Hinzu kommt das Entwickeln und Erforschen nutzerorientierter Innovationen für alle Lebensbereiche. www.hpi.de www.open.hpi.de

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Natürlich gibt es im Netz keine absolute Datensicherheit. Deshalb aber fatalistisch die Hände in den Schoß zu legen und das Problem gar nicht erst anzugehen, ist auch keine Lösung. Wer die Haustür sperrangelweit offen lässt, darf sich nicht wundern, wenn Fremde ungebeten hereinkommen. Sollten wir nicht wenigstens die Tür schließen und an den Einbau eines einfachen Schlosses denken, um besser vor ungebetenem Besuch und Diebstahl geschützt zu sein? Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) der Universität Potsdam hat einen Forschungsschwerpunkt im Bereich Internetsicherheit und sieht es als seine Aufgabe an, die Bevölkerung für den Umgang mit Daten im Netz zu sensibilisieren. Zu diesem Zweck stellt das HPI sogar kostenlos Onlinedienste für alle Bürger bereit. Jeder, der lernen will, wie er seine Netzidentität bzw. seinen Computer schützen kann, ist hier willkommen.

OPENHPI – FÜR ALLE ZUGÄNGLICHE KOSTENLOSE ONLINEKURSE Zum Thema »Internetsicherheit« hat das HPI auf seiner weltweit einzigartigen Bildungsplattform www.open.hpi.de einen Onlinekurs konzipiert, der über sichere Passwörter, Schadsoftware und den Schutz vor Angreifern und Ausspähern mittels Firewalls und Verschlüsselungssoftware aufklärt. Im Herbst 2014 verzeichnete man mit mehr als 10.000 registrierten Teilnehmern einen regelrechten Run auf dieses Angebot. »Internetnutzer haben bislang eher die vielfältigen Möglichkeiten des Netzes im Blick als seine potenziellen Gefahren. Daher wollen wir den Kursteilnehmern die am häufigsten von Angreifern genutzten Schwachstellen des Internets vor Augen führen und zeigen, wie man sich wirksam schützen kann«, erklärt der Informatikprofessor Dr. Christoph Meinel, wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des HPI und Leiter des Fachgebiets »Internet-Technologien und -Systeme«. Im Unterschied zu »traditionellen« Vorlesungsportalen folgen die Kurse bei openHPI einem festen sechswöchigen Zeitplan. Neben Lehrvideos und Texten beinhalten sie Selbsttests, regelmäßige Hausaufgaben und Prüfungsaufgaben, um den Teilnehmern ein zeitnahes Feedback zu ihrem Lernerfolg zu geben. Das Kursmaterial wird jeweils zu Wochenbeginn freigeschaltet. Auf diese Weise »synchronisiert«, entsteht eine virtuelle Lerngemeinschaft, in der sich die Teilnehmer mit den Kursbetreuern und anderen Teilnehmern austauschen, Fragen klären und weiterführende Themen diskutieren können. Die Kurse lassen sich auch im Selbststudium absolvieren, dann allerdings ohne Prüfung und Zertifikat.


BERLIN Methode

Cyberkriminalität

SCHON 1,55 MILLIONEN KOSTENLOSE IDENTITÄTSDIEBSTAHLCHECKS

INTERNETSICHERHEIT ALS FORSCHUNGSSCHWERPUNKT

Ein weiterer kostenloser HPI-Service ist der »Identity Leak Checker« (www.sec.hpi.de), der seit Mai 2014 das Netz nach frei zugänglichen Identitätsdaten wie Namen, Passwörtern, Kontoangaben oder anderen persönlichen Informationen durchsucht – wenn die Internetnutzer auf dieser Plattform ihre​ E-Mail-Adressen eingegeben haben. Manch einer erlebt hier eine böse Überraschung: So haben bislang die Nutzer von fast 150.000 E-Mail-Adressen auf diese Weise erfahren, dass sie offensichtlich Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden sind – bei 1,55 Millionen Onlinechecks insgesamt trifft es also beinahe jeden Zehnten. Darüber hinaus hat das HPI auch eine Datenbank für IT-Angriffsanalysen (www. hpi-vdb.de) aufgebaut. Sie integriert und kombiniert viele im Internet frei verfügbare Angaben über Software-Sicherheitslücken und -Probleme. Mit ihrer Hilfe können Internetnutzer ihren Rechner kostenlos auf erkennbare Schwachstellen überprüfen lassen, die Cyberkriminelle oft geschickt für Angriffe missbrauchen. Das System erkennt die verwendete Browserversion – einschließlich gängiger Plug-ins – und zeigt eine Liste der bekannten Sicherheitslücken an. Eine Erweiterung der Selbstdiagnose auf sonstige installierte Software ist geplant.

Das Institut kümmert sich – wie beispielsweise beim neuen Internetstandard IPv6 – auch um den Schutz der Privatsphäre bei neuen Technologien. Es lehrt darüber hinaus in einem Tele-Lab den Schutz vor Attacken auf den eigenen Rechner und stellt komplette Internetsicherheits-Vorlesungen kostenfrei und offen für jeden ins Netz (siehe www.tele-task.de). Mit dem »Lock-Keeper« hat das HPI schon vor Jahren eine Hochsicherheitsschleuse gegen das Online-Hacken im Internet entwickelt (www.lock-keeper.org). Und auch in der Forschung zur Internet­ sicherheit tut sich einiges am HPI. Zu nennen wäre hier etwa das Real-time Event Analytics and Monitoring System (REAMS), das es erlaubt, komplexe Cyberangriffe in Echtzeit auszuwerten und auch neuartige Angriffe zu erkennen, die in herkömmlichen Lösungen unentdeckt bleiben. Oder das Projekt CloudRAID, das Möglichkeiten der verschlüsselten Datenspeicherung auf Netzservern untersucht, die ein Mitlesen der Daten zuverlässig verhindern. Dies alles zeigt: Es gibt viele einfache Möglichkeiten, seine Daten und Ressourcen im Netz besser zu schützen – das Hasso-Plattner-Institut bietet jedem das nötige Rüstzeug dafür gratis an. Wer kein Opfer von Datenmissbrauch werden möchte, sollte zugreifen!

GRUNDREGELN FÜR SICHERE PASSWÖRTER TIPP Passwort aus einfachem Merksatz ableiten: Aus Mein zweites Auto war ein Golf! wird M2.AweVWG!

NIEMALS >N utzernamen, echten Namen, Geburtsdatum oder personenund kontenbezogene Informationen einbeziehen >d asselbe Passwort für alle Konten verwenden

VERMEIDEN > Begriffe aus dem Wörterbuch

MINDESTENS > acht Zeichen Länge >v ier Arten von Schreibweisen kombinieren: 1. Großschreibung, 2. Buchstaben, 3. Zahlen, 4. Sonderzeichen wie !@#§%.*

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BERLIN Methode

Achtgeben,

nicht aufgeben MEHR TRANSPARENZ IN SACHEN DATENSCHUTZ

BRITTA GÖRTZ Britta Görtz (* 1977) besitzt langjährige Agenturerfahrung im Marketing und Key Account Management. Seit März 2014 arbeitet sie für die praemandatum GmbH, die in Sachen Daten­schutz seit 2008 eine absolute Vorreiterrolle einnimmt, indem sie bei der Datenvermeidung ansetzt. praemandatum verfügt über das nötige interdis­ziplinäre Wissen aus den Bereichen IT, Technik, Ethik, Recht und Marketing, um diesen Anspruch erfolgreich umzusetzen. www.praemandatum.de

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Das Thema »Datenschutz« bereitet uns immer mehr Kopfzerbrechen. Zwischen NSAAffäre, De-Mail, unsicheren Clouds und abgelaufenen SSL-Zertifikaten bleibt wenig Zeit zum Durchatmen. In hübsche Werbesprüche verpackte Produkte entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als leere Versprechungen. Technik, auf die wir uns gestern noch verlassen haben, wird als wahre Datenschleuder enttarnt. Was tun? »Datensparsamkeit« lautet das oberste Gebot. Was man gar nicht erst (preisgegeben) hat, kann weder verloren, gestohlen noch weitergegeben werden. Denn Fakt ist: Wer Daten hat, hat Macht. Wer viele Daten hat, hat viel Macht. Mangelnder Datenschutz gefährdet die Demokratie. Geheimdienste beispielsweise sammeln derart viele Daten, dass sie sie nicht einmal mehr auswerten können. Die oft beschworenen Terroristen gehen sowieso auf versteckten Pfaden ihren Machenschaften nach und feixen darüber, wie viel Mittel für mehr Überwachung an Stellen eingesetzt werden, die für sie gänzlich ohne Belang sind. Das ist gefährlich, denn ein solches Vorgehen kostet nicht nur enorm viel Geld, sondern auch das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz derer, die uns eigentlich vor dem Übel bewahren sollen. Immerhin haben die Geheimdienst­ skandale zu einer interessanten Entwicklung geführt: Mittlerweile machen sich Industrie und Politik flächendeckend für einen hohen Datenschutzstandard stark und versuchen, diesen als Werbeargument beruhigend bis umsatzsteigernd einzusetzen. Mit teilweise bedenklichen bis haarsträubenden Auswirkungen. So werben Anbieter der durch fundierte Lobbyarbeit um eine bereits eingebaute Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gebrachten De-Mail damit, dass die Kommunikation darüber »sicher« sei – sicher ist hier jedoch nur, dass der Absender eindeutig per eID identifiziert wird! Wirklich schön ist auch, dass die teilnehmenden Unternehmen der Initiative »E-Mail made in Germany« seit April 2014 eine große Kampagne zum Thema

»Datenschutz« gestartet haben. Tatsächlich haben diese Provider aber lediglich eine Technik eingeführt, die seit Jahrzehnten Standard ist: Sie benutzen nun auch untereinander SSL! Es ist zutiefst schockierend, dass sie das jahrelang nicht getan haben, und geradezu hanebüchen, wenn sie ihr Versäumnis auch noch als großartiges Feature, ja sogar als Schutz vor NSA-Ausspähung bewerben. SSL ist eine reine Transportverschlüsselung, die E-Mails liegen also allesamt unverschlüsselt auf den Zwischen­ servern bzw. in den Rechenzentren aller beteiligten Anbieter – und dort kann die NSA ungehindert mitlesen. Die Kunden bzw. Bürger in falscher Sicherheit zu wiegen, rächt sich jedoch immer. Früher oder später kommt es heraus und solch ein PR-GAU ist häufig fatal. Langfristig gefährdet er die Glaubwürdigkeit der Unternehmen. Und dort sind wir mittlerweile angekommen. Der Weg der Wahl ist Transparenz. Der Kunde muss ernst genommen und die tatsächlichen Fähigkeiten – oder eben Grenzen – von Systemen müssen benannt werden. Auch muss der Kunde die Möglichkeit haben, das zu prüfen. Ein Siegel, auf dem »Alles ist gut. Schöne Grüße, Ihr TÜV« steht, kann nicht mehr länger die Antwort auf dieses global drängende Problem sein. Man sollte vor allem in Europa aber auch die Chancen sehen. Was wir im IT-Bereich definitiv besser können als die US-Amerikaner oder die Chinesen, ist genau das: Datenschutz. Lassen Sie uns diesen Vorteil nutzen, ihn als USP verwenden und den Vorsprung ausbauen!


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Europe-v-Facebook.org EINE SAMMELKLAGE GEGEN FACEBOOK WIRD ZU EUROPAS GRÖSSTEM DATENKLAU-PROZESS Anfang August 2014 hat der österreichische Jurist Max Schrems in Wien eine umfangreiche Zivilklage gegen die irische Tochter des börsennotierten US-Unternehmens Facebook eingebracht und Betroffene weltweit dazu aufgerufen, sich der Initiative im Rahmen einer »Sammelklage österreichischer Prägung« anzuschließen. Denn außerhalb der USA und Kanadas hat jeder Facebook-Nutzer einen Vertrag mit Facebook Ireland. Im Kern geht es darum, Facebook die Ausspähung und Weitergabe der Nutzerdaten zu untersagen. »Unser Ziel ist es, zu erreichen, dass Facebook im Bereich Datenschutz endlich rechtskonform agiert«, sagt Schrems. Die Resonanz übertraf alle seine Erwartungen: Die Bereitschaft zum Mitmachen war so groß, dass die Teilnehmerzahl vorerst auf 25.000 begrenzt werden musste. Dennoch haben sich Zehntausende weitere Nutzer als Unterstützer auf www.fbclaim.com registrieren lassen. Auf diese Weise ist Europe-v-Facebook über Nacht zur größten Datenschutzklage Europas geworden.

Auch eine Schadenersatzforderung wird geltend gemacht, diese wurde aber bewusst gering mit symbolischen 500 Euro pro Nutzer angesetzt. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl lässt sich damit dennoch eine Summe erreichen, die Facebook spürt. Da die Klage nicht auf Profit ausgerichtet ist, werden alle erlangten Ansprüche, abzüglich Kosten und Prozessfinanziereranteil, an die Teilnehmer ausgeschüttet. »Wir beschweren uns in Europa gerne lautstark über Datenschutzprobleme, nun wird es aber auch mal Zeit, seine Rechte durchzusetzen. Im Rahmen dieser Sammelklage kann auch der Einzelne einen Beitrag dazu leisten«, so Schrems abschließend. Aktuelle Informationen und alle Dokumente zur Klage sind unter www.europe-v-facebook.org abrufbar; unter der Rubrik »Datenbestand« erfährt man hier auch, welche Nutzerdaten Facebook speichert. Wer die Initiative mit einer Spende unterstützen möchte, kann dies unter www.crowd4privacy.org tun.

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Mobile Marketing DAS SMARTPHONE ALS EINKAUFSBERATER, BUCHUNGSTOOL UND INFORMATIONSMANAGER

SIMONA ASAM

Ein hoher Anteil der Smartphone-Nutzer hat eine enge Beziehung zu seinem mobilen Endgerät und lebt in ständiger Interaktion mit ihm. Daher scheint es auch für Unternehmen sinnvoll, Angebote zu schaffen, um sich über die Smartphones ihrer Kunden mit diesen zu vernetzen. Doch bislang haben die wenigsten entsprechend agiert: Nur etwa 15 bis 20 Prozent der Unternehmen in Deutschland haben eine auf die Nutzung mobiler Endgeräte ausgerichtete Website, bei firmeneigenen Apps ist der Anteil noch geringer.

70 % der 14- bis 49-Jährigen nutzen ein Smartphone

50 % der Deutschen nutzen ein Smartphone

63 % von ihnen nutzen es täglich

Simona Asam ist ContentMarketing- und PR-Managerin bei AppYourself, einem Berliner Start-up-Unternehmen, das ein modulares App-Baukastensystem zum Selbermachen anbietet. Zuvor war die studierte Germanistin in einer Münchner PR-Agentur und bei der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) tätig. www.appyourself.net

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1 Stunde lang werden dabei täglich Apps genutzt

DAS MARKETINGPOTENZIAL VON APPS UND QR-CODES Dabei bieten Apps Firmen die Chance, ihr Angebot direkt zu ihren Kunden zu bringen und jederzeit mit ihnen persönlich in Kontakt zu treten. So können die Unternehmen sie über Neuigkeiten und Sonderaktionen informieren, sie mittels Feedback-Funktion nach ihrer Meinung fragen oder ihnen Gutscheine und Coupons direkt auf den Bildschirm schicken. Die Integration einer App in die vorhandene Unternehmensstrategie bietet auch den Kunden zahlreiche neue und attraktive Möglichkeiten: So können sie etwa von jedem Ort aus die Produktdaten ansehen und vergleichen, Antworten auf ihre Fragen bekommen, die Bewertungen anderer Kunden lesen, erfahren, welche Händler die Ware führen, oder gleich online eine Bestellung tätigen. Eine firmeneigene App greift idealerweise das auf, was in der persönlichen Kommunikation schon seit jeher stattfindet: Wichtige Informationen werden thematisiert, strukturiert und im Kundeninteresse weiterentwickelt. Um das Potenzial der

Quellen: BITKOM, AppYourself

Smartphones für ihr Marketing voll auszuschöpfen, sollten Unternehmen darüber hinaus ihre klassischen analogen Werbeträger – also Flyer, Aufsteller, Plakate und Anzeigen – mit fürs Smartphone lesbaren Etiketten ausstatten, den sogenannten QR-Codes. 38 Prozent der Smartphone-Besitzer nutzen diese bereits, um Informationen über Produkte einzuholen. MOBILE MARKETING: INFORMATION UND INTERAKTION ÜBERALL UND ZU JEDER ZEIT Wenn Werbung heute Interesse wecken soll, muss sie den Kunden Interaktionsangebote machen. Aus diesem Grund und weil immer weniger Leute dazu bereit sind, mühsam Webadressen einzutippen oder Kataloge zu wälzen, sondern erwarten, die volle Information sofort digital verfügbar zu haben, sind Vernetzungsangebote für Smartphones via Apps und QR-Codes inzwischen ein unverzichtbares Marketingtool, wenn es darum geht, bestehende Kunden zu binden und neue zu werben. Mobile Marketing wird der heutigen Erwartungshaltung der Kunden gerecht und sollte daher zwingend auf der Agenda eines jeden Unternehmens stehen.


BERLIN Methode

Appsolut entspannt! DIESE ANWENDUNGEN HELFEN BEIM STRESSFREIEN LEBEN 1. Stress Baal heißt eine kostenlose App zum Abreagieren für gestresste SmartphoneNutzer. Baal ist ein kleiner Teufel, der unterschiedliche Gestalten annehmen kann. Und weil er so fies und gemein ist, darf jeder Smartphone-Nutzer ohne schlechtes Gewissen auf Baal einschlagen (bzw. das Display mit dem Finger traktieren) – er hat es nicht besser verdient. Die App ist so erfolgreich, dass sie es in die Charts geschafft hat. Von Double Flawless, über den App Store oder Google Play.

2. Kalter Entzug: Die kostenlose App Digital Detox legt Ihr Android-Smartphone für eine bestimmte, selbst gewählte Zeitdauer unwiderruflich völlig lahm – die Hardcore-Variante für akut Suchtgefährdete, inspiriert von Adbusters Digital Detox Week. Von Charlie DeTar, über Google Play.

3. RescueTime hilft Ihnen, Ihr Zeitmanagement und damit Ihre Work-Life-Balance zu verbessern. Das Programm läuft auf Ihrem Computer oder Ihren mobilen Endgeräten und zeichnet auf, wie viele Minuten Sie am Tag mit Ihren diversen Aktivitäten verbringen, also mit Arbeit, Nachrichten & Meinungen, Unterhaltung oder in Sozialen Netzwerken. Genau zu wissen, wie lange Sie mit E-mailen, Chatten, Posten und Twittern beschäftigt sind, wie viele Stunden in Meetings draufgehen und wofür Sie sonst Ihre wertvolle Zeit verschwenden, hilft Ihnen, Prioritäten zu setzen und Ihren Tag sinnvoller zu strukturieren! RescueTime Lite gibt es gratis, die wesentlich komplexere RescueTime-Premiumvariante kostet um die 60 Euro pro Jahr, kann aber 14 Tage lang kostenlos ausprobiert werden, siehe www.rescuetime.com

4. Die nervige Schlüsselsucherei gehört ab sofort der Vergangenheit an: Der Schlüssel­ anhänger BiiSafe Buddy kommuniziert via Bluetooth mit Ihrem Smartphone – so können Sie auf der entsprechenden App sehen, wo sich Ihr Schlüssel gerade befindet. Umgekehrt entlockt ein fester Druck auf den Buddy Ihrem Smartphone – selbst im Lautlosmodus – einen Ton, der Ihnen seinen Ablageort verrät. Der mit dem Red Dot Product Design Award 2014 ausgezeichnete BiiSafe Buddy funktioniert batteriebetrieben in einem Umkreis von zehn bis 30 Metern, ist kälteunempfindlich, wasser- und stoßfest und kann mit jedem Gegenstand verbunden werden, den Sie nicht verlieren wollen. Er kostet 39 Euro (zzgl. Versandkosten), die App gibt es gratis dazu, und zwar bei www.biisafe.com

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BERLIN Umschau

Dies und das PRODUKTE, DIE UNSER PHYSISCHES

© flynixie.com

UND DIGITALES SELBST AUSSÖHNEN UND VERWÖHNEN

SCHLAFLABOR @ HOME! Wer unter Schlafproblemen leidet, kann ihnen mithilfe eines neuen Schlafanalysesets zu Hause auf den Grund gehen: Das System »Withings Aura« misst den Schlaf mittels eines berührungslosen, unter der Matratze liegenden Sensors und kontrolliert dabei die Schlafumgebung über einen Lichtwecker. Die Schlafdaten (Dauer von Wachphasen sowie Leicht-, Tiefschlaf- und REM-Phasen, Atemzyklus, Herzfrequenz) sowie Informationen über störende Einflüsse (Licht, Geräusche, Temperaturschwankungen) werden als Grafiken aufbereitet und an eine dazugehörige App geschickt. Das Schlafanalyseset »Withings Aura« für 299,95 € gibt es bislang nur für iOS, erhältlich über www.withings.com

KILL YOUR PHONE!

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Dieses schlichte Täschchen aus Abschirmvlies schützt Sie effektiv vor Dauererreichbarkeit oder Smartphonesucht – hineingesteckt hat Ihr Handy nämlich garantiert keinen Empfang! Wer das Täschchen des Berliner Medienkünstlers Aram Bartholl haben will, muss selbst zu Nadel und Faden greifen. In einem offenen Workshop zeigt der Künstler, wie’s geht. Indem Sie Bartholls Idee adaptieren und verbreiten, werden Sie Teil des Kunstprojektes. www.killyourphone.com/de Mehr über Aram Bartholl finden Sie unter datenform.de


BERLIN Umschau

SELFIE-DROHNE FÜR ABENTEURER! Die erste autonome Selfie-Drohne »Nixie« wird am Arm getragen und fliegt auf Befehl los, um mit der eingebauten Kamera automatisch ein Bild des Besitzers aufzunehmen. Unverzichtbar für die waghalsigen Selfie-Momente des Lebens: an überhängenden Felswänden, beim Fallschirmspringen oder auf Wildwasserraftingtrips. Allerdings befindet sich »Nixie«, Gewinnerin des Intel-»Make it Wearable«-Wettbewerbs 2014, noch in der Entwicklung. Weitere Informationen und Neuigkeiten zu »Nixie« finden Sie auf der offiziellen Website flynixie.com

IN THE MOOD OF TETRIS Tetris-Fans können ihren Spieltrieb nun auch offline ausleben – mit der »Tetris Lampe« von Paladone. Sie besteht aus sieben verschiedenfarbigen Elementen, den Tetriminos, die immer wieder neu kombiniert und zusammengesetzt werden können. Die Leuchte ist auch ausgeschaltet noch sehr dekorativ und wird nicht nur Tetris-Junkies begeistern.

© ReAcoustic

Nintendo-lizenzierte »Tetris Lampe« von Paladone, ca. 30 x 20 x 7 cm (als Rechteck), gesehen für 28,95 € (zzgl. Versandkosten) bei www.geheimshop.de

GRAMMOPHON RELOADED

KUSCHELN OHNE AUSSPÄHGEFAHR

Über den Originalsound kann man geteilter Meinung sein, aber eines ist sicher: Das Grammophon hatte Klasse. Jetzt wird es für stilbewusste Nostalgiker mit Anspruch an beste MP3-Klangqualität recycelt: ReAcoustic montiert alte Grammophontrichter auf hochwertige Holzkästen, in die ein Bluetooth-Lautsprecher eingebaut ist, dessen Schall durch den Trichter megaphongleich verstärkt wird.

Bei diesen handgemachten »Social Media Kissen« aus weichem Fleece dürfen Sie jede Vorsicht ablegen und einmal vorbehaltlos die Nähe der sozialen Medien suchen.

Der Bluetooth Wireless Speaker von ReAcoustic, ca. 300 bis 800 €, kann auch mit nicht Bluetooth-kompatiblen Abspielgeräten betrieben werden; nur aus den USA zu beziehen über: www.etsy.com/de/shop/ReAcoustic

30 x 30 cm, 15 € (zzgl. Versandkosten), erhältlich bei Socialmediakissen über: de.dawanda. com/shop/Socialmediakissen

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BERLIN Bibliothek

Der Circle SCHON JETZT DAS KULTBUCH DES INTERNETZEITALTERS

Die 24-jährige Mae Holland bekommt die Chance ihres Lebens: einen Job beim »Circle«, der angesagtesten und einflussreichsten Firma der Welt mit Sitz in Kalifornien, die die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook, YouTube, WhatsApp und Twitter geschluckt hat und ihre Kunden mit einer einzigen Netzidentität ausstattet. Alle Mitglieder des Circle sind aufgefordert, jeden Moment ihres Lebens mit der Gemeinschaft zu teilen und all ihre Transaktionen online über den Circle abzuwickeln. Damit es keine weiße Flecken mehr auf dem Globus gibt, werden zudem überall auf der Welt vom Unternehmen entwickelte Minikameras installiert und deren Aufnahmen in den Circle eingespeist. Glaubt man den »drei Weisen«, die den Konzern leiten, wird die totale Vernetzung und Transparenz die Welt effizienter, moderner und humaner machen und insbesondere Korruption und Kriminalität den Boden entziehen. Auf dem weitläufigen, sonnendurchfluteten Firmencampus hat diese wunderbare Zukunft bereits begonnen – alle Mitarbeiter kommen in den Genuss gesunden Essens, zahlreicher Sportangebote, einer Rundum-Krankenversicherung, kostenloser Konzerte und Vorträge, stylisher Wohngelegenheiten und nächtelanger Partys. Mae wird zur glühenden Anhängerin des Circle und stellt sich schließlich an die Spitze der Transparenz-Bewegung. Doch dann fordert ein mysteriöser Kollege sie auf, die Schließung bzw. Vollendung des Circle zu verhindern ... In seinem adrenalingetriebenen Roman dekliniert Dave Eggers durch, wie sich der digitale Idealismus in sein Gegenteil verkehrt: Die totale Vernetzung und Gleichschaltung der Welt schafft einen sektenähnlichen Überwachungsstaat. In diesem führt die Vision von Transparenz, Demokratie und globalem Teilen zu Zwangskollektivismus und einem Ende jeder Privatheit. Der Glaube an die Weisheit der Masse gerät zur Herrschaft des Mobs, die Privilegierung der Schwarmintelligenz dient der Herabwürdigung des Individuums. Und dazu muss Eggers die Schraube dessen, was bereits heute gesellschaftlich angelegt und technisch möglich ist, nur ein kleines Bisschen weiterdrehen. Nach der aufrüttelnden Lektüre werden Sie die schöne neue Welt des Internets garantiert mit anderen Augen sehen!

Der Circle Dave Eggers Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Verlag Kiepenheuer & Witsch 2014 ISBN: 978-3-462-04675-5 560 Seiten, (D) 22,99 €

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BERLIN Bibliothek

»BLACKOUT. MORGEN IST ES ZU SPÄT«

Marc Elsberg

Mit »Blackout« ist Marc Elsberg ein packender Kriminalroman gelungen, der die dramatischen Folgen eines europaweiten Stromausfalls infolge eines Cyberangriffs sehr realistisch durchdekliniert. Mit Schrecken wird einem bewusst, wie gesteuert und abhängig unsere Gesellschaft von chipbasierter Elektronik und netzwerkgestützter Information ist. Kein Lebensbereich bleibt davon unberührt. Europa stürzt ins Chaos, und schon nach wenigen Tagen drohen Anarchie und Barbarei.

Elsbergs atemberaubendes Debut, von »Bild der Wissenschaft« zum spannendsten Wissensbuch des Jahres 2012 gekürt, rüttelte auch die deutschen Energieunternehmen auf. Sie gaben es ihren Mitarbeitern zu lesen mit der Bitte um Prüfung, ob ein solches Szenario vorstellbar wäre. Dabei wurden nicht wenige Sicherheitslücken entdeckt ... Und wenn Sie nach der Lektüre einen Notvorrat an Wasser und Lebensmittel anlegten, wären Sie nicht allein.

Blackout. Morgen ist es zu spät Marc Elsberg Blanvalet Verlag 2012 ISBN: 978-3-7645-0445-8 800 Seiten, (D) 19,99 €

»DIE GLOBALE ÜBERWACHUNG«

Glenn Greenwald

lm Juni 2013 veröffentlichte Glenn Greenwald die ersten NSA-Dokumente aus dem Archiv des Whistleblowers Edward Snowden. Seitdem werden immer bedrohlichere Details des globalen Spionagesystems der US-amerikanischen Geheimdienste aufgedeckt. Nun bringt Greenwald anhand einer Fülle exklusiver, nie zuvor publizierter Geheimdokumente das ganze Ausmaß der Massenüberwachung

ans Licht. Alles und jeder wird ausgespäht, die Bevölkerung steht unter Kollektivverdacht. Meinungsfreiheit wird im Namen der Sicherheit unterdrückt und es gibt keine Privatsphäre mehr – nirgends. Für seine mutigen Recherchen wurde Greenwald mit dem Pulitzer-Preis, dem Geschwister-Scholl-Preis und der Carl-vonOssietzky-Medaille ausgezeichnet.

Die globale Überwachung Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen Glenn Greenwald Übersetzt von Gabriele Gockel u. a. Droemer Verlag 2014 ISBN: 978-3-426-27635-8 368 Seiten, mit 89 S/WAbb., (D) 19,99 €

»WEM GEHÖRT DIE ZUKUNFT?«

Jaron Lanier

Der Netzpionier und Cyberguru Jaron Lanier versucht heute die Geister, die auch er selbst einst gerufen hat, wieder zu bannen. An vorderster Front kritisiert er die neue Gesellschaftsordnung, in der die Nähe oder Ferne zu den sogenannten Sirenenservern – riesigen, enorm leistungsstarken und schnellen Rechnern, die einen Informationsvorsprung verschaffen – über Reichtum oder Armut, Erfolg oder Scheitern entscheidet. Macht und Geld konzentrieren sich immer stärker aufseiten der wenigen, die mithilfe von Algorithmen die Big Data auswerten. Die vielen

Datenlieferanten (alle Daten sind von Menschen erzeugt!) gehen dabei leer aus bzw. lassen sich mit »Gratisangeboten« und »Schnäppchen« abspeisen, die auf lange Sicht ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage zerstören. Um dieser fatalen Entwicklung Einhalt zu gebieten, plädiert Lanier für eine neue, nachhaltigere und gerechtere Informationsökonomie. In seinem fundierten und kenntnisreichen Buch erklärt er, wie diese beschaffen sein könnte – unverzichtbare Staatsbürgerkunde für das digitale Zeitalter!

Wem gehört die Zukunft? Du bist nicht der Kunde der Internet-Konzerne. Du bist ihr Produkt Jaron Lanier Übersetzt von Dagmar Mallett u. Heike Schlatterer Hoffmann und Campe Verlag 2014 ISBN: 978-3-455-50318-0 480 Seiten, (D) 24,99 €

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BERLIN Einblick

Unplug & Recharge ENERGIE TANKEN IM OFFLINE-CAMP

ULRIKE STÖCKLE Ulrike Stöckle, die Initiatorin des ersten deutschen »Digital Detox Camp«, betreibt seit 2009 eine »Agentur für nachhaltige Kommunikation«. An vier Standorten bietet sie Unternehmens- und Strategieberatung für die Bereiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation, Social Media und Events sowie Inhouseseminare und Workshops in Unternehmen an. www.nachhaltigkommunizieren.com

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»Digital Detox« – digitale Entgiftung – heißt der Trend, der aus Kalifornien und New York kommend nun auch Europa und Deutschland erreicht hat. Der Begriff steht für einen bewussteren Umgang mit Smartphones, Tablets und anderen mit dem Internet verbundenen Geräten und markiert den Anfang der Abkehr von »always on«, der permanenten Verfügbarkeit. Davon profitiert nicht nur der Einzelne, sondern auch der Arbeitgeber. Denn wer nicht mehr abschalten kann, wird auf Dauer unproduktiv. Genau aus diesem Grund gewinnt »Digital Detox« für die Wirtschaft an Bedeutung. Unternehmen realisieren mittlerweile, dass der digitale Dauerstress ökonomische Verluste beschert, weil viele Mitarbeiter nicht mehr, sondern weniger arbeiten. Die Firmen haben ein großes Interesse daran, das Problem zu lösen, und ihre Bemühungen um betriebliche Vorsorge nutzen der ganzen Volkswirtschaft. Bislang schalten nur wenige Firmen am Wochenende ihre E-Mail-Server ab. Es ist also die Disziplin des Einzelnen gefordert, sich nicht in der Freizeit verführen zu lassen. »Nicht die Technologie ist das Problem,

sondern unser Umgang mit ihr. Wir sind nicht mehr Herren unserer Geräte. Wer die Kontrolle zurückgewinnen will, muss hart mit sich selbst sein«, erklärt Ulrike Stöckle, Betriebswirtin und Journalistin, die eine Agentur für Unternehmenskommunikation in Karlsruhe leitet. Ulrike Stöckle spricht aus Erfahrung. Früher war sie immer erreichbar – rund um die Uhr, auch im Urlaub. An manchen Tagen beantwortete sie bis zu 300 E-Mails, ihr Smartphone nahm sie mit ins Bett: »Ich war nie offline.« Sie hatte verlernt runterzufahren und musste sich irgendwann die Frage stellen, wie sie wieder eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Erholung finden und ihre Leistungsfähigkeit stärken könnte. Sie hat für sich und ihre Mitarbeiter E-Mail-Öffnungszeiten eingerichtet, Meetings finden ohne Smartphone statt und für Kreativarbeiten schafft sich Stöckle eine internetfreie Zone. Wenn sie in den Urlaub fährt, schaltet sie ebenfalls ab und am Wochenende gibt es einen Digital-Detox-Tag. Das ist ihr anfangs gar nicht leichtgefallen, aber jetzt arbeitet sie produktiver als je zuvor.


BERLIN Einblick

Die Kommunikationsexpertin hat mittlerweile aus ihrem Lebenswandel eine Geschäftsidee entwickelt: Inspiriert von der Digital-Detox-Bewegung in den USA ver­ anstaltet sie Offline-Camps für digitale Vielnutzer. Sie berät zudem IT-Unternehmen, wie Mitarbeiter produktiver arbeiten, wenn ihre Erreichbarkeit genau geregelt ist. »In unseren Camps und Seminaren vermitteln wir Strategien, wie jeder Einzelne seine digitale Kommunikation nachhaltig gestalten kann«, erklärt Ulrike Stöckle. Ziel ist es, bewusst zu machen, welche negativen Auswirkungen schon der als ganz normal empfundene Umgang mit digitalen Geräten auf die Konzentration und Schaffenskraft hat. Danach werden clevere

Strategien erarbeitet, die wieder mehr Flow, Zufriedenheit und Produktivität ins Leben und Arbeiten bringen und das Bewusstsein für eine nachhaltige Kommunikation schärfen. Um zu sich selbst zurückzufinden, darf man sich zunächst im Weglassen üben. So sind in den mehrtägigen »Digital Detox Camps«, die in stimmungsvollen Landschaften und an ausgewählten Orten stattfinden, keine elektronischen Geräte wie Smartphone, Tablet oder Laptop erlaubt, die den Zugang zum Internet ermöglichen. Im Camp wird »Digital Detox« als Lifestyle in einen größeren Zusammenhang gestellt. So gehen die sinnvolle Nutzung digitaler Geräte, bewusstere Ernährung und Entspannung Hand in Hand. Tolle Erfahrungen für die Teilnehmer der ersten »Digital Detox Camps« – und die richtigen Impulse für mehr Achtsamkeit und Happiness.

Für Unternehmen bietet die Agentur Seminare und Workshops an, die auch inhouse durchgeführt werden können. Von Mai bis September 2015 finden einmal monatlich zwei­tägige »Digital Detox Camps« im Augustinerkloster Haftelhof in Schweighofen/Pfalz statt. 29. April bis 2. Mai 2015 4-Tages-Camp »Detox & Wandern«, Refugi Son Amer, Mallorca. Geführte Wanderungen im Tramuntana-Gebirge. 21. bis 28. Mai 2015 »Genuss & Detox«-Camp, Drôme Provençale, Frankreich. Schwerpunkt: Olivenöle, Lavendel und provenzalische Küche. www.thedigitaldetox.de

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Mehr Zeit fürs Wesentliche WIE LEBT ES SICH ZWISCHEN GUCCI UND GUMMISTIEFELN? »Sein Leben komplett zu entschleunigen – das gelingt nur wenigen Menschen. Aber wir alle können intensiver leben, indem wir uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren«, sagt Mareile Braun, Redaktionsleiterin des neu gegründeten Magazins »emotion SLOW«. Immer getreu dem Motto »Man braucht gar nicht viel, aber das Richtige« widmet sich »emotion SLOW« einem ebenso nachhaltigen wie genussvollen Lebensstil. Ein Ansatz, den Mareile Braun auch privat verfolgt: Mit Mann und Kindern ist sie aufs Land gezogen und hat sich einen Esel angeschafft. Hier berichtet sie von ihrem neuen Leben zwischen Gucci und Gummistiefeln.

MAREILE BRAUN Mareile Braun hat in den vergangenen zwanzig Jahren als Redakteurin für zahlreiche Magazine gearbeitet, u. a. »stern«, »SZ-Magazin«, »Welt am Sonntag« und Frauenzeitschriften. Seit 2010 entwickelt sie als Selbstständige neue Magazinformate, Konzepte für Corporate-Publishing-Produkte sowie Online- und Social-MediaStrategien. Seit 2014 ist sie Redaktionsleiterin von »emotion SLOW«. Als Trainerin gibt sie Workshops und Semi­nare zum Thema »Stressmanagement und Entschleunigung«.

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»Warum habt ihr euch einen Esel gekauft?!«, fragten unsere Freunde halb belustigt, halb bewundernd, als wir vor einiger Zeit Pepe in die Familie aufnahmen. »Aus Liebe«, antworteten wir. Etwas Besseres fiel uns nicht ein. Im Übrigen ist es die Wahrheit. Mein Mann liebäugelt mit einem Esel, so lange ich ihn kenne, und meine Töchter und ich wünschen uns ein Langohr, seitdem wir gemeinsam »Der kleine Esel Benjamin« gelesen haben. Pepe kam, sah und verzauberte auch die letzten Zweifler auf Bauer Wilhelms Biohof mit seinem Charme. »Aber was genau macht man mit einem Esel?«, fragten die Freunde weiter. Objektiv betrachtet ist so ein Zwerg ja zu wenig nütze. Zum Reiten ist er zu klein. Spazieren gehen tut er nur, wann und mit wem ER will. Und wenn er seine irren fünf Minuten hat, tritt er mit seinen kleinen, gemeinen Eselhufen aus. Pepe lässt sich eben nicht herumdirigieren. Er hat sein eigenes Tempo. Und er lehrt uns jeden Tag, was es heißt, ganz bei sich zu sein. Vermutlich macht er uns deshalb so glücklich. Er ist unser Sinnbild für eine auf die elementaren Dinge reduzierte Existenz. Mit unserem Umzug aufs Dorf sind wir diesem Lebensmodell ein Stückchen näher gekommen. Zugegebenermaßen noch in einer »Light«-Version, denn wir sind weder Selbstversorger geworden, noch haben wir unsere Jobs an den Nagel gehängt. Aber wir spüren, dass es ungeheuer guttut, der Hektik des Alltags ein wenig Langsamkeit entgegenzusetzen.

Wenn ich morgens in Gummistiefeln gen Pferdestall schlurfe und mir Pepe freudig entgegenquietscht (er übt das Wiehern noch), fühle ich ein tiefes, stilles Glück. Und freue mich im selben Moment schon auf mein »anderes Leben« in Guccis, das mich mal zu Modenschauen, mal zu Interviews und regelmäßig in Redaktionen führt. Ich genieße meine Ausflüge in die Welt der High Fashion mit neuer innerer Balance. Auch oder gerade wenn meine beiden Paralleluniversen auf kuriose Weise aufeinandertreffen. So wie neulich, als ich in einem VIPShuttle in Paris einen Anruf von Bauer Wilhelm erhielt: Unser Pepe habe nun doch diese besonders gefährlichen Esel-Bandwürmer, man habe sie in seinen Ausscheidungen eindeutig wimmeln sehen. Die expliziten Anweisungen, die ich per Handy in Sachen Kotproben, Darmwaschungen und Quarantänemaßnahmen geben musste, führten dazu, dass es für den Rest der Fahrt sehr still im Wagen war. Aber was soll’s. That’s country life, und genau für diese ungekünstelte Ehrlichkeit liebe ich es! »Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.« Dieses Zitat stammt von Max Frisch und in gewisser Weise ist das mein Leitmotiv geworden. Das richtige Leben? Ist das, was ich dazu mache. Wie empfindet man Glück? Indem man es zulässt. Meine Kinder schwärmen unseren Freunden inzwischen von der »guten Landluft« vor und können die Eier glücklicher Biohühner tatsächlich am Geschmack erkennen. Sie lieben die Beschaulichkeit unseres Dorfs inmitten der Überangebote ihres Lebens. Mir geht es genauso.


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ZEIT ZUM LESEN – DAS NEUE MAGAZIN »EMOTION SLOW« MEHR ZEIT FÜRS WESENTLICHE

ZT JETEU N

DEUTSCHLAND 6,90 € / ÖSTERREICH 8,20 € / SCHWEIZ 11,50 CHF / BELGIEN, LUXEMBURG 8,50 € / ITALIEN, SPANIEN 9,90 €

in ihrem Alltag zu schaffen, ohne gleich aussteigen zu müssen. Der Start im Mai und die Fortsetzung im Oktober 2014 waren so vielversprechend – ohne Werbekampagne wurden von der Nr. 1 aus dem Stand heraus 27.000 Exemplare verkauft –, dass »emotion SLOW« womöglich in diesem Jahr schon auf einen vierteljährlichen Erscheinungsrhythmus umstellen wird. Denn man ist davon überzeugt, dass es sich hierbei nicht um einen kurzlebigen Trend handelt, sondern der Markt für dieses Format noch weiter wachsen wird.

Nr. 02 / 2014

Das neu gegründete Magazin »emotion SLOW« greift unsere Sehnsucht nach einem Leben mit mehr Muße und Genuss in einer sich immer schneller drehenden durchdigitalisierten Welt auf. Mit sinnlicher Optik, offenporigem, dezent abgetöntem Papier, einer opulenten Bebilderung und anspruchsvollen Texten will es zur Entschleunigung verführen und nach eigener Aussage »mehr Zeit fürs Wesentliche« schenken. Damit entspreche man auch den Wünschen vieler Leserinnen, die das Bedürfnis hätten, Auszeiten und Ruheinseln

02 / 2014

Glück, hier und jetzt KURZ MAL RAUS Kleine Fluchten mit großer Wirkung GRÜNER LUXUS Eco-Couture von morgen ARBEIT NEU DENKEN Die Mompreneurs zeigen, wie’s geht

+ WOHNEN MIT MEHR NACHHALTIGKEIT + DIGITAL DETOX + BITTE EIN CRAFT BEER!

emotion SLOW Heft 2 / 2014 Emotion Verlag GmbH 116 Seiten, (D) 6,90 € www.emotion-slow.de

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Drucken à la Gutenberg ÜBER DIE RENAISSANCE EINER ALTEN TECHNIK

Wir haben mit Erik Spiekermann darüber gesprochen, warum der weltbekannte Typograf und Gestalter, der viele berühmte Schriften entworfen und u. a. das grafische Erscheinungsbild der Stadt Berlin, das Leitsystem des Düsseldorfer Flughafens oder das Corporate Design von VW und Audi geprägt hat, nach 30 Jahren Arbeit mit dem Computer zum traditionellen Handwerk zurückgekehrt ist. ERIK SPIEKERMANN Erik Spiekermann (* 1947) Setzer, Drucker, Kunsthistoriker, Informationsdesigner, Schriftentwerfer und Fachautor, Professor & Dr. h. c., Gründer von MetaDesign ’79 und FontShop ’89 – erhielt 2011 den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk. Sein Designbüro Edenspiekermann ist in Berlin, Amsterdam, San Francisco, Stuttgart und London vertreten. Ende 2013 kam seine Buchdruckwerkstatt »Galerie P98a« in Berlin dazu. Umfassenden Einblick in Leben, Werk und Haltung Spiekermanns gibt Johannes Erlers Werkbiographie »Hallo, ich bin Erik«. www.p98a.com www.spiekermann.com www.edenspiekermann.com

Herr Professor Spiekermann, was hat Sie dazu bewogen, nach 30 Jahren Arbeit am und mit dem Computer nun eine Werkstatt einzurichten und zu betreiben, in der auf ganz alte Weise mit beweglichen Lettern gedruckt wird? Ich hatte immer eine große Nähe zur Produktion, zum Herstellungsprozess, war immer derjenige, der zu den Druckereien ging. Ich mag es einfach, Dinge anzufassen. Und genau darum geht es hier: Nichts geschieht per Tastaturbefehl oder Mausklick, man muss alles berühren. Man muss die Lettern auswählen, auch die Leerräume dazwischen konzipieren, alles anordnen, in die Maschine einlegen und nach dem Druck säubern und in die Schubladen oder Regale zurückpacken.

Sie wollten sich die Hände schmutzig machen? Der Dreck interessiert mich dabei nicht so sehr. Es geht mir vor allem um die sinnliche Erfahrung und um die Frage, wie man sich das Material aneignet. Selber eine Druckvorlage erstellen und am Ende des Tages etwas Schwarz-auf-weiß-Gedrucktes mit nach Hause nehmen zu können, ist ein Erlebnis, das vergleichbar mit Musizieren oder Kochen ist. Wer einmal Pizza selber gemacht, die Zutaten ausgewählt und den Teig geknetet hat, wird nie wieder eine Tiefkühlpizza essen wollen. Ändert sich Ihre Arbeitsweise durch die Umstellung von digital auf analog auch konzeptionell? Man muss vorausschauender planen, weil es nun mal keine Löschtaste gibt, um das Getane wieder rückgängig zu machen. Und es existieren gewisse Beschränkungen. Man kann nicht alles machen, sondern muss im Rahmen dessen bleiben, was das Material einem erlaubt. Auch die Größe der Druckmaschine spielt ebenso eine Rolle wie die Ortsgebundenheit: Ich kann die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen. All das formt meine Gedanken – das ist der philosophische Aspekt dabei. Die Arbeit mit einem modularen System, das immer die gleichen Buchstaben verwendet, legt einem eine Disziplin auf, die wir vom Computer her nicht mehr gewohnt sind: Mit Photoshop kann ich Bilder kreieren, die es noch nicht gibt, kann Schriften wie Bilder aussehen lassen bzw. umgekehrt Bilder kreieren, die an Schriften erinnern. All das kann ich hier nicht. Ich blicke in meine Schubladen, sehe, welches Papier, welche Drucktypen, welche Farbe ich habe, und überlege, welche Möglichkeiten mir das eröffnet. Nach 30 Jahren Arbeit am Bildschirm finde ich diese Form der Beschränkung sehr interessant, es ist eine Herausforderung, die eine eigene Ästhetik und Qualität in meine Arbeit bringt.

© aller Bilder: Max Zerrahn

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Sie erleben diese Limitierung also nicht als Zwang, sondern als eine Form der Freiheit? Ja. Weniger entscheiden zu müssen, empfinde ich als Erleichterung. Ich und viele meiner Kollegen leiden darunter, ständig Entscheidungen treffen zu müssen. Ganz allgemein erfährt das Drucken mit beweglichen Lettern wie zu Gutenbergs Zeiten ja eine gewisse Renaissance. Wie erklären Sie sich das? Neben einer Nostalgie für eine aussterbende Technik ist da auch der sinnliche Aspekt: Man kann sehen, wenn auf traditionelle Weise gedruckt wurde. Als Drucker und Typograf habe ich gelernt, dass die Lettern das Papier küssen müssen, eine sanfte Berührung, die nur eine minimale Prägung hinterlässt und einen weichen, pelzartigen Rand schafft, der so angenehm für das Auge ist. Wärme und Lebendigkeit werden auch durch den Farbauftrag vermittelt, der nicht immer ganz gleichmäßig gelingt. Was wir im Vergleich dazu auf dem Bildschirm sehen, ist unglaublich hart. Hinzu kommt aber noch etwas anderes: Ich gehöre zur letzten Generation, die in direkten Kontakt mit der Gutenberg’schen Drucktechnik gekommen ist, weil ich das als Sechzehnjähriger gelernt habe. Das ganze

Equipment gibt es zwar noch, weil die Lettern und Maschinen nicht kaputtgehen, aber die Tätigkeit stirbt aus. Es kommen keine Leute mehr nach, die über das entsprechende Know-how zu ihrer Bedienung verfügen. Wenn wir unser Wissen also nicht weitergeben und die Tradition nicht fortführen, ist diese großartige Technik des Drucks mit beweglichen Lettern, die sich in den 500 Jahren seit ihrer Erfindung kaum verändert hat, zum Aussterben verdammt. Mit Ihrem Engagement wollen Sie die Technik der Hochdruckschrift also retten? Ich will zumindest versuchen, ihr wieder Leben einzuhauchen, indem ich die Gutenberg’sche Tradition mit den neuen Techniken der digitalen Welt verbinde. Beispielsweise wäre denkbar, unsere Lettern fräsen oder lasern zu lassen, aus Kunstharz auszuschneiden oder mittels eines 3-D-Printers auszudrucken. Das hat noch keiner gemacht. Herr Professor Spiekermann, wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Hochdrucktechnik aus? Ich bin fest davon überzeugt, dass sie in der Nische überleben wird, aber ob als künstlerisches Ausdrucksmittel, Freizeitbeschäftigung, Auseinandersetzung mit der Vergangenheit oder als eine Art »grounding«, um in der virtuellen Welt wieder Boden unter die Füße zu bekommen, ist völlig offen. Was die Hochdrucktechnik uns heute noch zu bieten hat, das gilt es ja gerade zu erforschen.

Hallo, ich bin Erik Erik Spiekermann: Schriftgestalter, Designer, Unternehmer Johannes Erler Gestalten Verlag 2014 ISBN: 978-3-89955-527-1

Vielen Dank für dieses Gespräch.

320 Seiten, vollfarbig, (D) 45,00 €

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Die Liebe zum Papier BERLIN-GESPRÄCH MIT KATJA LINDEMANN, LEITERIN DER BUCHBINDEREI VON BERLINDRUCK, ÜBER IHRE GROSSE LEIDENSCHAFT.

Frau Lindemann, vor 16 Jahren haben Sie sich bei BerlinDruck mit dem bemerkenswerten Satz beworben: »Aus Liebe zum Papier bin ich Buchbinderin geworden.« Wann haben Sie sich verliebt? Ich glaube, dass jedes Kind ganz bestimmte Vorlieben entwickelt. Bei vielen Mädchen sind das Pferde oder Tiere im Allgemeinen. Jungen fixieren sich eher auf Pferdestärken, also Autos oder technische Dinge. Bei mir war es von Anfang an das Papier: als Buch, zum Bemalen, zum Schreiben – und ganz besonders zum Anfassen.

KATJA LINDEMANN Katja Lindemann entdeckte schon früh ihre Leidenschaft für Papier. Deshalb entschied sie sich für eine Lehre in der Handbuchbinderei von Manfred Urban in Hagen, die vor allem für die Universitätsbibliotheken Hagen, Dortmund und Bochum arbeitete. 1998 zog sie nach Bremen und landete bei BerlinDruck, wo sie heute die Buchbinderei leitet. www.berlindruck.de

Mit Papier kommen ja die meisten Menschen täglich vielfach in Berührung. Vom Kassenbon über die Zeitung bis zum Packpapier. Wie kann man zu so einem Massenprodukt »Liebe« empfinden? Papier hat so unendlich viele Facetten – es ist Wissensträger, Kulturgut, Kommunikationsmittel. Bei mir war es aber ganz besonders die Haptik. Ich fasse Papier gerne an. Natürlich am liebsten ungestrichenes Naturpapier, zum Beispiel so etwas Wundervolles wie Gmund Kaschmir oder Conqueror von Arjowiggins. Aber bei der Arbeit in einer Offsetdruckerei haben Sie nun mehr mit gestrichenen Papieren, matt oder glänzend, zu tun. Da ist die Oberfläche doch eher unspektakulär. Ja, aber was viele gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen: Papier ist und bleibt ein 100-prozentiges Naturprodukt, das gerne Feuchtigkeit aus der Luft aufnimmt und sich damit verzieht. Oder das, bedingt durch die Faserrichtung des Zellstoffs, je nach Falzrichtung unterschiedlich reagiert. Alles Dinge, die man mit bloßer Technik nie in den Griff bekommt. Das müssen Sie uns erklären. Druckweiterverarbeitung ist doch eigentlich Industriearbeit, die sicher nicht als »unbeherrschbar« bezeichnet werden kann. So ist das auch nicht gemeint. Aber wir haben in Deutschland etwa 6.000 verschiedene Papiere im Angebot. Und in der Verarbeitung muss man natürlich immer die Besonderheiten beachten. Wir sprechen da in der maschinellen Verarbeitung von »Laufeigenschaften«. Während beim Drucken das Papier nur eine einzige Phase durchläuft – das Drucken –, sind bei der Weiterverarbeitung in der Regel mehrere Schritte zu berücksichtigen:

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Schneiden, Falzen, Heften, Leimen – um nur einige zu nennen. Beim Schneiden interessiert die Glätte des Papiers, beim Falzen eher die Laufrichtung und beim Leimen die Hygroskopie, die Aufnahmefähigkeit für Feuchtigkeit. Und da geht’s los. Jeder weiß, dass sich Papier bei Feuchtigkeit dehnt. Aber kaum einer weiß, dass es sich bei Trockenheit nicht wieder entsprechend »zurückzieht«. Dazu kommt ein Phänomen, das sicherlich viele Leute schon »am eigenen Leib« erlebt haben: die elektrostatische Aufladung von Papier. Da »klebt« plötzlich ein Kassenbon am Unterarm. Und wo klebt der Druckbogen? In der Falzmaschine. Es gibt tausend Tricks, um so etwas zu vermeiden. Aber viel mehr als die verarbeitungstechnischen Details haben mich immer die Möglichkeiten des Papiers selbst interessiert. Oder besser gesagt die Frage, welches Papier für welchen Zweck geeignet ist. Niemand schreibt gerne mit Kugelschreiber auf matt gestrichenes Papier. Eine Prägung gehört nicht auf ein HighGlossProdukt. Und wer möchte schon einen Roman auf einem Papier lesen, das das Licht unangenehm reflektiert? Haben Sie denn bei der täglichen Arbeit auf solche Dinge Einfluss? Begrenzt. Aber: Ich werde gefragt. Meine Kollegen aus dem Verkauf kommen nicht selten zu mir und holen sich einen Rat. Besonders bei komplizierten Falzprodukten. Fast täglich »basteln« wir ein Weißmuster, ein sogenanntes Dummy. Und da weise ich immer auf die Besonderheiten hin. Vielfach sind daraufhin das Material oder komplizierte Seitenüberläufe mit zu engen Textstellungen verändert worden. Aber natürlich bemerkt man auch mal zu spät, dass im Dreiklang Druckvorstufe – Druck – Buchbinderei der letzte Schritt schon in der Anlage des Produkts hätte verbessert werden können.


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Und dann? Dann heißt es für mich ganz persönlich: Back to the roots. Jetzt hilft oft nur noch feinste Handarbeit. Und bei dunklen, unlackierten Flächen nicht selten sogar mit Leinenhandschuhen, um Fingerabdrücke zu vermeiden.

Wie stehen Sie zum neuesten Trend, dem UV-Druck, bei dem die Farbe schon absolut trocken aus der Druckmaschine kommt? Ich habe ja bereits gesagt, dass ich den Naturcharakter des Papiers liebe. Und der wird durch den speckigen Kunststoffauftrag beim UV-Druck zerstört. Ich lege mir doch zu Hause auch keinen Parkettboden, den ich dann mit Acryllack anstreiche, oder? Danke für diese klaren Antworten, Frau Lindemann.

© Thomas Karsten, www.thomaskarstenphotography.com

Da wären wir bei einem ganz besonderen Thema: Lack auf Papier. Ein unendliches Thema – auf der einen Seite der Wunsch nach der unverfälschten Haptik des Papiers, auf der anderen Seite der Schutzlack gegen den Abrieb der Farbe. Lack kommt ja immer auch dann zum Einsatz, wenn nach dem Druck sofort verarbeitet werden muss und die Farbe keine ausreichende Zeit zur Trocknung bekommt.

Sie mögen also keinen Lack? Oh doch. Der minimiert ja immer auch Probleme. Und wer mag schon Probleme? Der Schritt weg vom ölhaltigen Drucklack zum wasserbasierten Dispersionslack war bereits riesig. Und jetzt gibt es sogar Lacke, die nur den Farbabrieb schützen und auf nicht bedruckten Papierflächen praktisch unsichtbar sind. Aber trotzdem würde ich dem Papier gerne mehr Zeit zur Trocknung geben. Freitag drucken, ein entspanntes Wochenende und am Montag dann in unsere Buchbinderhände. Wenigstens für Naturpapier wäre das perfekt.

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Dieser Kupferstich von 1623 zeigt die Arbeit in einer Papiermßhle, die von einem Wasserrad angetrieben wird. Š SLUB / Deutsche Fotothek

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Von Lumpen und Holzflößern EINE KLEINE KULTURGESCHICHTE DES PAPIERS

Eine andere Welt beginnt. Nach dem Buch, so spricht François Bon von dieser neuen Welt. Aber bevor ein Buch ein Träger ist (Holz, Pergament, Stein, Sand oder ... Papier), ist es vor allem eine Wahl. Die Wahl, einen bestimmten Inhalt unter allen möglichen Inhalten festzuhalten. Also ist nach dem Buch immer noch eine Bücherwelt. Es sei denn, man lässt sich von der ständigen Lawine ununterscheidbarer Daten überrollen, die einem aus dem Internet entgegenkommen. Und wer Wahl sagt, setzt jemanden voraus, der wählt. Je mehr Texte es geben wird, desto mehr glaube ich an die Unerlässlichkeit von Verlegern. Je virtueller und unkörperlicher unsere Begegnungen werden, desto mehr glaube ich an die Notwendigkeit wirklicher Kontakte: Die (guten) Buchhandlungen werden für die Bücher das sein, was das lebendige Schauspiel für die DVDs ist. Auch im Hinblick auf das Papier bin ich zuversichtlich. Jeder von uns trägt das Verlangen nach Langsamkeit, Stille, Einkehr in sich. Ich glaube, diesem Verlangen kann nur das Papier antworten. Vielleicht, weil es in erster Linie aus Wasser gemacht ist? Wie wir. AU S : E R I K O R S E N N A : AU F D E R S P U R D E S PA P I E R S , C . H . B E C K V E R L A G 2014, S E I T E 322

Sollten Sie es auf Ihrer nächsten Reise bis nach Umbrien schaffen, wagen Sie einen Abstecher ins gebirgige Fabriano. Dort betreibt Familie Monteverde in der Via Balbo 31 im ehemaligen Palazzo Montini aus dem 12. Jahrhundert das »Regalo Bello«, ein Restaurant und Laden mit seltenen Papierwaren. – Dieser Tipp stammt nicht aus dem Reiseführer, sondern aus einem Liebesroman. Oder genauer: aus einer Liebeserklärung an das Papier. Der französische Schriftsteller und Ökonom Erik Orsenna führt uns in seinem Buch »Auf der Spur des Papiers« an viele interessante Orte. Er reist mit uns vom alten China über die Seidenstraße und den Nahen Osten bis nach Europa und auf dieser Route erfahren wir Faszinierendes über alte Papiermühlen, Bibliotheken, Lumpensammler und Pioniere der Papierkultur. Mit Orsenna entdecken wir den 2.000 Jahre alten Werkstoff in China und kommen auf keiner einzigen Seite dieses wunderbaren Buches auf die Idee, dass es sich hier um ein Sachbuch handeln könnte. Es sind die kleinen Geschichten am Rande, die uns an der Liebe zu dem Werkstoff teilhaben lassen. Orsenna erzählt von Kindern im indischen Rajasthan, die Geschenkschachteln für

New Yorker Kaufhäuser fertigen, von kana­ dischen Flößern, die mit ihren mächtigen Baumstämmen am Anfang der Produktionskette stehen, und von der Wiege der europäischen Papierherstellung, dem bereits erwähnten Fabriano, in dem sich einst bis zu 60 Papiermühlen drehten. Die heutige globale Ökonomie des Papiers beschreibt der Autor anhand seiner Reise zu einer riesigen Papierfabrik auf Sumatra. »Was ist Papier letzten Endes?«, fragt Orsenna. »Eine Suppe. Eine Fasersuppe, die man flach verteilt und dann entwässert.« Und tritt mit seinem Buch gleichzeitig den schönsten Gegenbeweis an, eröffnet er uns hierin doch ein ganzes Universum. Nach der Lektüre seiner poetischen Kulturgeschichte hat man ein anderes Verhältnis zu dem Stoff, den man bislang vielleicht nur als Datenträger wahrgenommen hat. Fast möchte man das Papier streicheln, auf dem dieses Werk gedruckt ist. Orsenna lässt uns mitlieben. Sein schön gestaltetes Buch ist nicht nur eine verführerische Reise für alle Papierliebhaber, sondern für jeden Menschen, der beim Lesen auf die sinnliche Ausstrahlung eines gedruckten Buches nicht verzichten möchte. Unvorstellbar, es als E-Book zu konsumieren.

Auf der Spur des Papiers Eine Liebeserklärung Erik Orsenna Übersetzt von Caroline Vollmann C. H. Beck Verlag 2014 ISBN: 978-3-406-66093-1 336 Seiten, (D) 19,95 €

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diese Seite oben: Mittelbergferner unten: Brenvagletscher rechte Seite oben: Mangartkette unten: Persgletscher

ALP Alpine Landscape Pictures Olaf Unverzart Mit Texten von Tom Dauer und Sophia Greiff Prestel Verlag 2014 ISBN: 978-3-7913-4995-4 192 Seiten, mit 90 Farbabb., (D) 45,00 ₏

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BERLIN Perspektive

»sie sind unbestechlich und zeitlos. sie fordern und belohnen. sie werfen einen auf sich und das existenzielle zurück. ich denke, es sind diese dinge, die mich so zu ihnen hinziehen.« OL AF UNVERZART ÜBER DIE BERGE

ALP Seit über zwölf Jahren schleppt der vielfach ausgezeichnete Münchner Fotograf Olaf Unverzart seine schwere analoge Großformatkamera ins Gebirge, um die zeitlose Erhabenheit der alpinen Bergwelt und die Spuren und Eingriffe des Menschen darin festzuhalten. Jedes Foto gleicht einem Gemälde, das von der fragilen Balance zwischen Natur und Zivilisation erzählt und von der Sehnsucht nach Stille, Einsamkeit, Konzentration und sinnlicher Überwältigung im digitalen Zeitalter. Nominiert für den Deutschen Fotobuchpreis 2015.

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BERLIN Kolumne

Wer’s glaubt … Reinhard Berlin

Ist doch komisch. In der Fußballbundesliga werden die Laufwege der Akteure genau gemessen. Wenn Spieler X in der 84. Minute ausgewechselt wird, war er mit 12.741 Metern fleißig oder mit 9.308 Metern mäßig aktiv. Es wird eine Software geben, die das inzwischen millimetergenau misst. Ganz anders zum Beispiel bei Demonstrationen: Da zählt die Polizei 4.000 Teilnehmer, während die Veranstalter von 25.000 Personen sprechen. Hatten beide Seiten beim Schätzen noch Tränengas in den Augen oder haben sie plötzlich das kleine Einmaleins verlernt? Noch toller: Findet man irgendwo Drogen, dann stets im Wert von mindestens 25 Millionen Euro, gerne auch mehr. Angegeben wird der »Straßenverkaufswert«. Wie hoch oder niedrig der Kurs gerade sein mag? Reines Kokain, verschnitten oder was auch immer – Hauptsache, die Zahl ist atemberaubend. Weiteres Beispiel gefällig? Angeblich gehen der deutschen Wirtschaft jedes Jahr 54 Milliarden Euro durch privates Surfen am Arbeitsplatz verloren. Ob brutto, netto, vor oder nach Steuern, sagt der Bonner Informationsdienst »Neues Arbeitsrecht für Vorgesetzte« in seiner Pressemitteilung leider nicht. Diese Nachricht wird dann medial verbreitet, bis sich die Balken biegen. »Bild« addiert zur Sicherheit noch die Mehrwertsteuer. Je schwieriger die Überprüfung ist, desto mehr wird »gelogen« oder – diplomatischer ausgedrückt – »die Realität korrigiert«. Hinter solchen Zahlen verbergen sich natürlich Interessen, womöglich auch Wunschdenken. Der Informationsdienst schreibt das ja nicht in eine Pressemitteilung, weil einer der Autoren nachts zufällig nicht schlafen kann. Genauso aussagekräftig wie eine Zahl selbst ist deshalb oft das, was sie verschweigt. Ich habe mal ganz genau nachgerechnet und herausgefunden, dass die deutsche Wirtschaft wirklich jährlich 54.731.612.413,52 Euro durch Surfen am Arbeitsplatz verliert. Allerdings – und jetzt wird’s spannend – gewinnt die deutsche Wirtschaft durch den Bildungszuwachs der Mitarbeiter beim Surfen am Arbeitsplatz genau 54.732.897.421,66 Euro*. Bleibt also ein sattes Plus von 1.285.008,14 Euro – und die Frage, was mit diesem Geld passieren soll. Ich hätte da ein oder zwei Ideen. Eine Zählsoftware für Demobilder oder eine Studie zur Berechnung des Marktwertes von Kokain unter Berücksichtigung der Verknappungstheorie nach Heinrich Müller-Waffenschmidt. Aber ich glaube, ich schreibe jetzt erst einmal eine Pressemitteilung. *Zahlen selbstverständlich um den Facebookfaktor bereinigt

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BERLIN Ausdruck

WAREN SIE ZUFRIEDEN MIT UNS? MIT DIESER APP WOLLEN WIR ES WISSEN! Der Weg von der Idee zum fertigen Printprodukt ist lang und umfasst unzählige Abstimmungsschritte. Wenn dann das erste Druckmuster auf dem Tisch liegt, ist das nicht nur für die Gestalter und Kunden ein ganz besonderer Moment. Auch wir als Drucker möchten wissen, wie unser Beitrag zum Produkt bei Ihnen ankommt. Deshalb hat das Bremer Start-up-Unternehmen smart insights GmbH eine App für uns entwickelt, über die Sie uns mitteilen können, wie zufrieden Sie mit unserer Zusammenarbeit sind. Dafür müssen Sie nur fünf kurze Fragen beantworten. So können wir unsere Services gezielt verbessern und sicherstellen, dass Sie auch in Zukunft bestens von uns betreut werden. Mehr dazu unter: smart-insights.de

KURZ VORGESTELLT: UNSERE FÜNF NEUEN »BERLINER« Die »echten« Berliner haben ja so ihre Probleme mit »Zugezogenen«. Der Begriff »Schwabenhass« hat es sogar zu einem eigenen Eintrag in Wikipedia geschafft. Das ist bei den fleißigen Berlinern vom Bremer Kreuz ganz anders. Dort werden »Zugezogene« herzlich begrüßt und sofort in die Gemeinschaft aufgenommen. Gleich fünf neue Mitarbeiter lernen gerade hier vor Ort, dass man in Achim zu Schrippen gerne auch Brötchen, Rundstück oder Semmeln sagen darf, ohne schief angesehen zu werden. Das sind: Dirk Lellinger, Leiter der Druckvorstufe – Ole Brüns, Mediengestalter – Tessa Warnecke, Auszubildende Mediengestaltung – Stephan Harms, Buchbinder – und Ronald Michalak, Buchdrucker. v. l.: Ole Brüns, Dirk Lellinger, Tessa Warnecke, Stephan Harms, Ronald Michalak

HURRAH, DIE POST IST DA! Bei diesen Briefumschlägen freut man sich sogar, wenn man darin „nur“ eine Rechnung findet. Der hochwertige Briefumschlag mit persönlicher Gestaltung und individueller Briefmarke sorgt für große Aufmerksamkeit bei den Empfängern. Die außergewöhnliche Optik steigert die positive Wahrnehmung der Sendung. PLUSBRIEF INDIVIDUELL heißt das Produkt der Deutschen Post AG. Wenn auch Sie Ihrer Ausgangspost diesen besonderen „Kick“ mit auf den Weg geben wollen, gibt es hier alle Infos: www.post-individuell.de. PLUSBRIEF INDIVIDUELL ist für die normale Tagespost und Werbeaussendungen als Infopost verfügbar.

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Für die einen ist es pure Egomanie, für andere ein großer Spaß und Teil der täglichen Kommunikation: das Selfie. Doch was ist der Grund für den grassierenden Selbstinszenierungsdrang? Bruce Chatwin schrieb in seinem Buch »Traumpfade« den großen Satz »Existieren bedeutet, wahrgenommen zu werden« – liegt hierin die Antwort auf ein menschliches Bedürfnis, das sich in der Selfie-Manie von heute manifestiert?

1 Touri-Selfie von Anke Holste 2 Typo-Selfie von Dirk Lellinger 3 Pärchen-Selfie von Alexandra & Mike Reimers 4 Drucker-Selfie von Thomas Vierke 5 Spiegel-Selfie von Dietmar Kollosché 6 Schatten-Selfie von Reinhard Berlin 7 Mucki-Selfie von Chevy Orlando Fritsch 8 Selfie mit Pirat von Dietmar Kollosché 9 Ansteh-Selfie von Rolf Mammen 10 Lolli-Selfie von Hedda Berlin 11 Vater-Sohn-Selfie von Reinhard & Monty Berlin 12 BerlinDruck-Selfie von Tobias Nowacki 13 Bügel-Selfie von Hedda Berlin 14 Seifenblasen-Selfie von Chevy Orlando Fritsch 15 Kollegen-Selfie von Denny Quednau & Marcus Lattermann 16 Duckface-Selfie von Thomas Vierke 17 Fuß-Selfie von Marvin Rönisch 18 Bremen-Selfie von Ole Brüns 19 Best-Friends-Selfie von Ilka König & ihrem Hund 20 Buskellen-Selfie von André Appel

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Denn offenbar immer mehr Menschen haben in jeder Minute ihres Lebens ihre Handykamera parat. Egal ob sie betrunken sind, nicht wissen, was sie anziehen sollen, ihre Pickel ausdrücken, vor Denkmälern posieren, seltsame Kopfbedeckungen tragen, Grimassen schneiden, heulen oder mit Freunden feiern – ein jeder Moment scheint es wert zu sein, als Selfie im Netz verewigt zu werden. Kein noch so banaler Aspekt des Alltags bleibt undokumentiert. Das hat Folgen: Als Schwangere keine Bauchselfies zu schießen, erfüllt heute schon fast den Tatbestand der Misshandlung des ungeborenen Kindes. Und wer seine nackten Beine nicht am Strand vor dem blauen Meer ablichtet und diesen Anblick mit aller Welt teilt, war womöglich gar nicht im Urlaub. Selbst Promis posten jetzt

unbearbeitete Schnappschüsse von sich, um »authentisch« und irgendwie normal rüberzukommen. Mittlerweile hat der Trend sogar die ersten Todesopfer gefordert: Ein polnisches Ehepaar ist im August 2014 beim Selfie-­Knipsen an einer Klippe in Portugal vor den Augen seiner beiden Kinder in den Abgrund gestürzt. Exklusiv für unser Magazin haben auch die BerlinDruck-Mitarbeiter zur Handykamera gegriffen – glücklicherweise ohne tragische Folgen! Entstanden ist dabei ein wunderbares Panoptikum. Aber ob sich diese analog – und nicht im Netz – veröffentlichten Selfies überhaupt als echte Selfies qualifizieren?

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IMPRESSUM Herausgeber Reinhard Berlin BerlinDruck GmbH & Co KG Oskar-Schulze-Straße 12 28832 Achim Telefon: 0421 / 438 71 - 0 Telefax: 0421 / 438 71 - 33 E-Mail: info@berlindruck.de www.berlindruck.de ISSN 2199-1561

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Konzept/Redaktion/Gestaltung www.kleinerundbold.com Redaktionsanschrift: kleiner und bold GmbH Leuschnerdamm 13 10999 Berlin

Chefredakteur und verantwortlich im Sinne des Presserechts Tammo F. Bruns Redaktionsleitung Julia Kühn

Telefon: 030 / 616 51 61 - 0 E-Mail:  berlin@kleinerundbold.com

Textchefin Selina von Holleben

Titelmotiv Haiiro Sushi 16, © SIT – sitnie.com

Korrektorat Dr. Markus Weber

Autoren Simona Asam Mareile Braun Britta Görtz Hasso-Plattner-Institut Katja Lindemann Markus Morgenroth Thorsten Petzold Dr. Frank Schirrmacher Prof. Dr. h. c. Erik Spiekermann Ulrike Stöckle

Autoren der Redaktion Reinhard Berlin Selina von Holleben Julia Kühn Gestaltung Annika Beste Jenny Kucharczyk Michaela Patzner Tselmuun Bolor Umsetzung www.berlindruck.de


MAKING OF Wir betreiben aktiven Klimaschutz durch klimaneutrale Produktion unseres Magazins: In unserem Prinergy Evo Workflow konnten wir die Seiten dieses Heftes auf einem farbverbindlichen 26 Zoll Quato Panorama-Bildschirm betrachten. Die Kodak-Druckplatten wurden auf unserer CtP-Anlage Magnus 800 Quantum belichtet. Gedruckt wurde auf Profibulk mit 1,1fachem Volumen, einem Produkt der IGEPAgroup (www.igepagroup.com). Es ist ein naturmatt gestrichenes, holzfrei weißes Bilderdruckpapier mit natürlicher Anmutung und außergewöhnlicher Haptik. Für den Umschlag kam 250 g/m², für den Inhalt 150 g/m² zum Einsatz. Acht Inhaltsseiten haben wir auf dem neuen Feinstpapier WILD von Römerturm (www.roemerturm.de) gedruckt. Es ist ein außergewöhnlich natürlicher Karton mit einer samtig-weichen Oberflächenstruktur. Auf unserer Heidelberger Speedmaster XL 105+L erfolgte der Offsetdruck mit den Skalenfarben High Speed von Epple Druckfarben (www.epple-druckfarben.de). Das Logo des Magazines auf dem Titel wurde mit UV-Lack und anschließender Hochprägung bei der Firma Gräfe Druck & Veredelung GmbH in Bielefeld (www.graefe-druck.de) veredelt. Die gleichbleibende Qualität nach DIN ISO 12647 (Prozess Standard Offset) haben wir mit Image Control geprüft und dokumentiert. Die buchbinderische Verarbeitung unseres Magazins erfolgte im Hause Print Medien Verarbeitung Runge GmbH (www.pmv-runge.de) auf dem Klebebinder Müller-Martini Bolero.

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»Es gibt in Deutschland nur zwei Arten von Menschen, die, deren Leben das Internet verändert hat, und die, die nicht wissen, dass das Internet ihr Leben verändert hat.« Sascha Lobo faz.net, 11. Januar 2014

www.kleinerundbold.com

ISSN 2199-1561


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