Bunte Republik Deutschland? | Beschichtungen
Bunte Republik Deutschland? Weg vom Einerlei: Moderne Oberflächen schützen Waffen nicht nur vor Rost, sie ermöglichen den Kunden auch eine große Farbauswahl. Ein Überblick. Text: Andreas Skrobanek Fotos: Michael Schippers, Karsten Daniels, M.S. Recktenwald, VISIER-Archiv
Sportschützen und Jäger suchen Innovationen auf jeder Messe und in jedem neuen Katalog – da unterscheiden sich die Waffenbesitzer nicht von Autofans. Ob die Kunden Neues wirklich annehmen, steht auf einem anderen Blatt. Bunte Pistolen aus SIG Sauers Custom Shop, die bestaunen Messebesucher immer. Aber wer legt sich schon eine rote oder gar rosafarbene Pistole zu? Die meisten bevorzugen immer noch brünierte Waffen in Schwarz. Doch andere Arten der Beschichtungen beziehungsweise des Oberflächenschutzes laufen dem jahrhundertealten Brünierverfahren langsam den Rang ab. Dabei fällt es per Definition gar nicht unter den Begriff der Beschichtungen. Denn darunter verstehen Techniker das Auftragen einer Schicht aus formlosen Material auf die Oberfläche eines anderen Werkstoffs respektive Werkstücks. Beim Brünieren reagiert das entsprechende Stahlteil mit einer alkalischen oder sauren Lösung, welche für eine dünne Korrosionsschicht sorgt. Diese Oberflächenbehandlung besitzt einige handfeste Vorteile: Egal, ob Streich- oder Tauchmethode – sie ist preiswert. Außerdem bleiben die Waffenteile maßhaltig. Der schwarze Edelrost muss auch nicht in einem zirka 140 Grad heißen Bad aus Natronlauge und anderen Chemikalien entstehen. Das Kaltbrünieren funktioniert schon bei Raumtemperatur, das spart EnergieVISIER | 4-2012
kosten. Den Nachteil des Korrosionsschutzen kennen Waffenbesitzer: Die schwarzen Oberflächen bieten nur einen bedingten Rostschutz und müssen daher regelmäßig eingeölt oder -gefettet werden. Und sie halten nicht ewig: Scharfe Gegenstände hinterlassen rasch Kratzer. Im Vergleich zum Brünieren und Bräunieren (das Behandeln des Stahls mit Salzsäure) sind andere Schutzschilde noch jung. Das Phosphatieren etwa erlebte im Zweiten Weltkrieg einen Aufschwung. Hier kommt das Waffenteil in eine saure, phosphathaltige Lösung. Auf der Oberfläche bildet sich eine auf dem Untergrund gut haftende Phosphatschicht. Die besitzt mikroskopisch kleine Öffnungen beziehungsweise Hohlräume, die sehr gut Öl oder Fett aufnehmen. Diese Kombination taugt deshalb sehr gut als Rostschutz. Die Alternative dazu: das zusätzliche Auftragen von Lack. Denn der haftet sehr gut auf der relativ groben kristallinen Struktur der Phosphatschicht. Viele in der Waffenproduktion genutzte Verfahren dienen ursprünglich gar nicht dem Korrosionsschutz, sondern sollen Materialeigenschaften ändern. Dazu zählt zum Beispiel das uralte Bunthärten. Geheimnisvolle Mischungen aus verkohlten Knochen- beziehungsweise Hornspänen, Hartholz und Leder zaubern auf die Stahloberflächen schöne Marmorierungen, die ein wenig wie blaue, braune, gelbe oder grüne Wolken aussehen. Sie veredeln heute nicht nur Jagdwaffen, sondern auch Unterhebelrepetierer oder Revolver. In Deutschland
gibt es nur wenige Firmen wie Schilling Spezialbeschichtungen in Zella-Mehlis, Konrad Recknagel aus Albrechts bei Suhl oder Max Ern aus LeverkusenSchlebusch, die diese Kunst auch für modern legierte Stähle beherrschen (VISIER 7/2001). Die Vielfarbigkeit entsteht dank unterschiedlicher Schichtdicken durch Interferenzen des Lichts. Zum Härten ist eigentlich auch das Tenifer-Verfahren gedacht (in den USA auch „Melonite“ genannt). Hier kommen die Metallteile in ein Nitrierbad, das Alkalicyanate (Blausäureverbindung) enthält. Zunächst wärmt man die Werkstücke auf 350 bis 400 Grad vor. Die eigentliche Arbeitstemperatur liegt bei 580 Grad. Nach dem sogenannten Nitrocarburieren im Salzbad werden die Teile beim Tenifer-Verfahren in einem kühlenden Bad bei 370 bis 430 Grad oxidiert. So entsteht die bekannte dunkle Oberfläche, die sich optisch nur wenig von einer brünierten unterscheidet. Sie erhöht den Schutz vor Rost noch einmal kräftig. Die Schichtdicken hängen von der Stahlzusammensetzung (vor allem von den Legierungsbestandteilen), der Temperatur, der Dauer des Teniferierens und der Zusammensetzung der Schmelze ab. In ein bis zwei Stunden wächst die Schicht auf zehn bis 20 Mikrometer (10-6 m). Zum Vergleich: Bei der klassischen Brünierung beträgt die Dicke einen Mikrometer. Wenn die Oberfläche nach der Teniferierung zu rau ist, kann der Hersteller sie polieren oder schleifen. Das schwächt natürlich das Schutzschild. Um 45