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Anders wohnen im Alter

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Café complet

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Die Wohnformen im Alter sind vielfältig, die Wünsche und Vorstellungen sehr unterschiedlich. Nur: Die Angebote – obwohl vorhanden – decken den Bedarf bei weitem nicht. Ein Umdenken ist gefragt.

Wohnen im Alter hat viele Facetten: Peter Schmid, Isidor Riedweg und Elisabeth Bichsel (von links oben nach rechts unten) berichten von ihren Erfahrungen.

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1964 gilt als der schweizweit geburtenstärkste Jahrgang in der Alterspyramide. Er ist der Höhepunkt und gleichzeitig der Abschluss des damaligen Babybooms. Nun kommt diese Generation ins Pensionsalter und erhöht die Nachfrage nach Wohnraum, der den Bedürfnissen im Alter Rechnung trägt: Lift statt Treppen, zentral gelegen oder verkehrstechnisch gut angebunden, lieber Balkon als Garten und in einer bewältigbaren Grösse. Doch die Realität auf dem Wohnungsmarkt stellt hohe Hürden: Die Liegenschafts- und Mietpreise explodieren, freier und bezahlbarer Wohnraum ist knapp, droht gar zu verschwinden. Nicht nur in der Stadt Zürich, sondern im ganzen Kanton und in weiten Teilen des Landes.

Barbara Schwehr (66) ist die 131-Quadratmeter grosse Wohnung in Uitikon Waldegg, die sie vor 14 Jahren zusammen mit ihrem Mann gekauft hat, je länger, je mehr zu gross geworden. «Und mir fehlte eine Terrasse, auf der man einfach ein bisschen draussen sein kann.» Die Wohnung hatte einen Gartenzugang, war aber nicht ebenerdig. «Wir haben lange gesucht, wären gern in die Stadt Zürich oder in die Zürcher Aussenquartiere gezogen, haben aber nichts gefunden.» Vor einem halben Jahr nun haben sie etwas Kleineres im Aargauischen für sich entdeckt – mit einer Terrasse und einem tollen Ausblick auf die Reuss. «Ich fühle mich hier fast wie in den Ferien.» Die neue Maisonette-Wohnung mit viereinhalb Zimmern ist mit 100 Quadratmetern etwas kleiner und werde ihren derzeitigen Bedürfnissen gerecht. Aber: «Es kann sein, dass wir in zehn Jahren noch einmal umziehen müssen, denn wir haben eine Treppe und keinen Lift.» Ob das eintreffen wird und wenn ja wann, steht in den Sternen. «Wenn es dann so weit ist, werden wir weiterschauen.»

Die Beispiele von älteren Menschen, die wie Barbara Schwehr und ihr Mann in einer für sie zu grossen Wohnung leben, aber keine bezahlbare kleinere Alternative in ihrem bestehenden Umfeld finden, sind zahlreich. Fachleute sprechen von «Remanenzeffekt». Auch die Zahlen der Statistik bilden dieses Phänomen deutlich ab, wie der «Tages-Anzeiger» im April dieses Jahres in einem Artikel zum Thema festhält: Pensionierte wohnen im Schnitt auf mehr als doppelt so viel Wohnfläche wie Mitglieder jüngerer Familien. Doch im Alter die gewohnte Umgebung aufzugeben, kann einen Verlust des sozialen Netzes nach sich ziehen.

Bezahlbare Lösungen sind gefragt

Insgesamt 36 Jahre lang haben Barbara Schwehr und ihr Mann in Uitikon Waldegg gelebt, dreimal sind sie innerhalb des Ortes umgezogen. Entsprechend gross ist ihr Bekanntenkreis. «Am Anfang war ich wehmütig», sagt sie. Den kurzen

Schwatz auf der Strasse, wenn man Bekannten begegnet, wird sie vermissen. Dass sie in der neuen Wohnung gut lebt, das macht es einfacher. Da mehrere Freundinnen aus Uitikon Waldegg bereits weggezogen seien, müsse sie sowieso einen Weg auf sich nehmen, um sie zu treffen. «Ob mir in der neuen Umgebung hingegen wohl ist, das kann ich noch nicht sagen. Wir waren bisher sehr verwöhnt mit Beck, Apotheke, Cafés.» Am neuen Ort fehle dieses Angebot weitgehend.

Gerne würden sie näher bei ihren Grosskindern in Zürich Oerlikon wohnen. Aber dort etwas Geeignetes und Bezahlbares zu finden, sei aussichtslos gewesen. Dass sie sich schliesslich für den Aargau und nicht für La Chaux-de-Fonds entschieden haben – was ebenfalls zur Diskussion stand –, lag an einem Kriterium: «Die Idee, dass ich ‹gschwind› bei den Grosskindern vorbeigehen kann, war ausschlaggebend.»

Wohnraum ist knapp, droht gar zu verschwinden.

Nicht nur nah bei den Enkelkindern, sondern gleich in derselben Siedlung wohnen Marianne Bender und Isidor Riedweg aus Winterthur. Sie waren bei den Ersten, die in die «Giessi» auf dem Areal der ehemaligen Sulzer-Giesserei in Oberwinterthur einzogen. Mit ihnen auch die Tochter und der Sohn je mit ihren Kindern. Was 2006 mit einer Vision des Architekten Hans Suter begann, wurde bald zu einem 65-Millionen-Projekt und mit dem Erstbezug im Jahr 2013 die erste selbstverwaltete Mehrgenerationensiedlung der Schweiz. Heute wohnen dort 240 Erwachsene und über 100 Kinder und Jugendliche.

Kein Land in Sicht

Explizit ohne Kinder will das «AltersKollektiv» wohnen. Der Verein hat sich bereits vor knapp zehn Jahren formiert – mit Idealen aus der Genossenschaft IGLU heraus, die in den 1980ern in Wipkingen ein Haus im Baurecht umgebaut hat für das selbstbestimmte, gemeinschaftliche Wohnen von sechs Parteien. Der Verein verzeichnet inzwischen 70 Mitglieder. «Und jedes Mitglied bringt im Schnitt ein Vermögen von 100000 Franken mit», so Mitgründer Peter Schmid. Das Konzept sehe eine Wohnfläche von 40 Quadratmetern pro Einzelperson vor, für Paare seien es deren 60, sowie gemeinschaftlich genutzte Räume, Gästezimmer und Ateliers. Dass dort auch mal Enkelkinder übernachten, das störe nicht. «Wir haben nichts gegen Kinder», stellt Schmid klar. Das Projekt aber richtet sich an Menschen über 55 Jahre. Sollte es zustande kommen, bedeute das konkret, dass er seine jetzige 3½-Zimmer-Wohnung gegen eine deutlich kleinere eintauschen würde. Und das gehe vielen so. «Damit würde auch wieder Wohnraum für Familien frei.» Bis heute konnten die Vereinsmitglieder noch nicht mit der Realisation starten – was daran liege, dass es inzwischen kaum Bauland in Zürich gebe, und wenn, dann sei es enorm teuer. Sie seien für vieles offen, auch bestehende Liegenschaften oder Umnutzungen kommen für das AltersKollektiv in Frage. «Vielleicht hat ja jemand, der das liest, eine Liegenschaft», hofft er. Das Konzept sei mehrmals ausgefeilt worden und der Verein in den Startlöchern für die Umsetzung. Und die Nachfrage nach gemeinschaftlichem und selbstbestimmtem Wohnen sei gross.

Bedarf ist nicht gedeckt

Dies bestätigt auch die SAW, die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich. Sie ist eine der grösseren Akteurinnen in Zürich für selbstbestimmtes Wohnen im Alter (siehe Interview ab Seite 12). Als Immobilienplanerin und -verwalterin setzt sich die Stiftung für bezahlbare, vielfältige Wohnformen im Alter ein, 2021 investierte sie dafür über zwölf Millionen Franken.

Die Stiftung betreut über 30 Siedlungen mit rund 2000 Wohnungen, verteilt über die ganze Stadt Zürich. Seit ihren Anfängen ist die Anzahl Wohnungen beträchtlich gewachsen, der Bedarf ist jedoch «noch lange nicht gedeckt». Die SAW bietet mit alltagsnahen Dienstleistungen Unterstützung und Sicherheit im Alltag, das heisst: «vom Wäscheservice über ein spannendes soziokulturelles Angebot bis hin zum 24-Stunden-

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Notfalldienst und Spitex-Leistungen je nach Bedarf und persönlichen Wünschen».

Die Vielfalt der Wohnformen ist gross, die Projekte sind zahlreich. Bereits wenige Beispiele zeigen: Wie man seinen Lebensabend verbringt, ist äusserst individuell. Aber allen gemeinsam sind das Bewusstsein für das Risiko von Einsamkeit im Alter und das Bedürfnis, auch über das Arbeitsleben hinaus Beziehungen aufrechtzuerhalten, Teil zu sein und teilzunehmen.

Doch welche die richtige Wohnform für einen selbst ist, lässt sich manchmal nur schwer herausfinden. Die Fachstelle Zürich im Alter (ZiA) bietet dafür Hand. «Wir unterstützen Personen in Wohnnotlagen, welche von einer Wohnungskündigung betroffen sind oder aus gesundheitlichen Gründen dringend eine altersgerechte Wohnung brauchen», ist dort zu erfahren. Das Angebot reicht von telefonischer Beratung bis hin zu einem Walk-in-Angebot an drei Standorten in Zürich – im Klus Park, in Wipkingen und Oerlikon/Seebach.

Wohnform der Zukunft: intergenerationell Sind die Wünsche und Vorstellungen klar, heisst das jedoch noch lange nicht, dass die Realisation naheliegt. Nicht selten betragen die Wartezeiten für eine geeignete Wohnung mehrere Jahre. Dass dieser Umstand nach Massnahmen verlangt, ist augenfällig. So ist die ETH Zürich im Rahmen des Wohnforums 2023 der Frage nachgegangen, wie die Gesellschaft der Zukunft wohnt. Man war sich schnell einig: intergenerationell. Und die vertretenen Raumplanerinnen, Immobilienverwalter und Stiftungsmitarbeitenden hatten das gleiche Ziel: neue Lösungen für die Probleme der Zukunft zu finden. Unbestritten ist, dass es ein Umdenken braucht und neue, zukunftstaugliche Raumplanungskonzepte.

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