6 minute read

«Der Krieg bringt seine eigenen Wörter hervor»

Next Article
Schreiben im Krieg

Schreiben im Krieg

Die hier veröffentlichten Texte des ukrainischen Schriftstellers und Musikers Serhij Zhadan sind vor dem 24. Februar 2022 entstanden, also vor Beginn der russischen Invasion in die Ukraine. Und dennoch handeln sie vom Schrecken des Krieges, von Ohnmacht und Todesangst, vom Leiden der Menschen, die im Kriegsgebiet leben – im besetzten Donbass im Osten der Ukraine. Dort wird, vom Westen kaum beachtet, seit 2014 gekämpft. Die Texte sind zwei Büchern entnommen, dem 2020 erschienenen Gedichtband Antenne sowie dem 2016 veröffentlichten Sammelband mit dem Titel: Warum ich nicht im Netz bin. Gedichte und Prosa aus dem Krieg. Dieser enthält Gedichte, Tagebucheintragungen, Notizen. Vieles ist unterwegs entstanden, auf den Reisen im Kriegsgebiet im Donbass. Zhadan, der in Charkiw lebt, wurde in der Nähe der 2014 von russischen Truppen besetzten ostukrainischen Stadt Luhansk geboren. Er kennt die Region. Er ist mit ihr vertraut. Zhadan steht ganz auf der Seite der Ukraine. Er leistet Widerstand gegen die russische Aggression, nicht mit Waffen, sondern mit Worten und humanitärem Engagement. Seine Waffe ist die Sprache. Er will den Menschen Mut machen. Mit seiner Band tritt er in Spitälern, vor ukrainischen Soldaten oder in Metrostationen auf, in denen die Bevölke- rung von Charkiw während der russischen Angriffe Schutz sucht. Er organisiert Hilfstransporte, evakuiert Kinder und alte Leute. Er fährt auch selbst in abgelegene Dörfer, um Menschen zu helfen, die in ihren Häusern ausharren.

Viele seiner Texte, auch die hier abgedruckten, handeln von der Unzulänglichkeit der Sprache, vom Schreiben im Krieg, vom Versuch, das Unfassbare und Unvorstellbare, das Grauen in Worte zu fassen. Doch das ist schwierig: «In Kriegszeiten ertappst du dich dauernd bei dem Gedanken, dass dir die Worte fehlen, als stocke dir der Atem, als bekämst du keine Luft, so dass die Worte verloren gehen, auseinanderfallen, unpassend erscheinen. Das ist ein sehr seltsames Gefühl. Seltsam und unangenehm, denn es enthält zu viel Wut und zu viel Machtlosigkeit.»* Doch Verstummen ist für Zhadan keine Option. Er sieht seine Aufgabe darin, den Schrecken des Krieges zu beschreiben, all das zu benennen, was um ihn herum geschieht, auch wenn die Kunst, wie er selbst schreibt, im Angesicht des Todes erstarrt und sich die übermächtige, grausame Wirklichkeit oft als stärker erweist als die Sprache.

Der Krieg bringt seine eigenen Wörter hervor. Sie klingen scharf und kalt, sie bezeichnen nie kriegsferne Dinge, obwohl sie ins zivile Leben eindringen und tiefe Spuren hinterlassen. Das Kriegsvokabular strömt in die Gespräche, wie Passagiere in die morgendlichen Terminals strömen. Du legst fremde Wörter an, rollst sie auf der Zunge hin und her, spürst den metallischen Nachgeschmack. Der Krieg ist wie Giftmüll im Fluss – er erreicht jeden, der in Flussnähe wohnt. Du musst auf die neuen Substantive und Verben reagieren, du gewöhnst dich an sie, sie werden dir vertraut. Plötzlich finden sich unter deinen Bekannten Einberufene, Verwundete und Gefangene. Du gewöhnst dich daran, dass die Sprache um Wörter dieses schwarzen Vokabulars erweitert wird, um Dutzende neuer Wörter, von denen jedes einzelne nichts anderes als Tod bedeutet. Da der Tod viele Namen hat, müssen sich die Lebenden die Wörter wohl oder übl einprägen.

Der Krieg ändert auch die Intonation. Sarkasmus und Ironie sind in vielen Fällen unangebracht, Pathos ist überflüssig, Groll schädlich. Wohl oder übel musst du mit Blick auf den Krieg deine Sprache korrigieren, denn ein falsches Wort zur falschen Zeit zerstört möglicherweise nicht nur das semantische Gleichgewicht, sondern ein ganz reales Menschenleben. Der Tod kommt dir so nahe, dass du viele Dinge mit ihm abstimmen musst.

Zudem verändert der Krieg die Farben. Für viele Menschen verschwinden ein für alle Mal die Schattierungen, plötzlich ist die Welt schwarz-weiβ, fest umrissen, streng konturiert. Und auch die Sprache ist für viele plötzlich schwarz-weiβ. Ihr Gewicht nimmt zu, aber ihr Anwendungsbereich schrumpft dramatisch. Abseits des Krieges ist die Kriegssprache kaum verständlich. Einen Sinn hat sie nur, solange sie praktisch angewendet wird. […] Ein Mensch, der sich nicht im Visier des Feindes befindet, hat eine andere Atmung und einen anderen Herzschlag. Wenn er die Welt betrachtet, sind weder Feind noch Tod allgegenwärtig.

Aus: Zhadan, Serhij: Warum ich nicht im Netz bin. Gedichte und Prosa aus dem Krieg. © Serhij Zhadan, 2016. © Suhrkamp Verlag, Berlin, 2016, Seite 11/12.

Wir setzen ja im Grunde all unsere literarischen Mittel ein, um zu lernen, wie wir über das sprechen, was uns am meisten Angst macht. Die Literatur lässt uns Synonyme finden für die schlimmsten Dinge und macht sie dadurch ein wenig erträglicher, ein wenig verständlicher. Indem wir unsere Schmerzen und Ängste benennen, zähmen wir sie, domestizieren wir sie und wagen uns in ihre Nähe. Das Unvermeidliche bleibt unvermeidlich, aber dank der Versprachlichung, dank des Aussprechens können wir Bitterkeit und Trauer zulassen. Und Trauer, die kann ja auch hell sein, sie kann auf etwas verweisen, zum Beispiel darauf, dass gar nicht alles so schlecht ist und dass in allem, was passiert, ein verborgener Sinn liegt, dass es für alles eine Rechtfertigung oder doch zumindest eine Erklärung gibt.

Aus: Zhadan, Serhij: Antenne. Gedichte. © der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020, Seite 12.

Die groβen Dichter der traurigen Zeiten. Hellhörige Zeugen des endenden Buchdrucks. Dichter, deren Stimmen von der Erfahrung des Überlebens in leeren Sälen sprechen, Dichter, die ihr Handwerk höchstens noch an die Schwarzdrosseln hinter dem Institutsfenster weitergeben.

Kühner Dichter der Schleusen an den europäischen Flüssen, Dichter eines Landes, das wehrlos stirbt, wenn es den Winter spürt, sprich über die Hoffnung, über Angst und Ausweglosigkeit sprechen jene, die dich nicht lesen.

Sprich über die Hoffnung, sprich über die starken Charaktere der Lehrer und Jäger.

Deine Sprache ist lang und verschlungen wie die Donau auf der Europakarte.

Sprich über die Beharrlichkeit der Kiefern, die sich im Sand festsetzen wie Russismen in der Sprache.

Die ganze Poetik deines Kontinents entspringt dem Gesang und der Weinrebe. Sprich über die Weinrebe, über die goldene Beständigkeit der Trauben, die ihre Grenzen verstärken wie Nähte einen neuen Mantel.

Sprich über den Gesang der Frauen am sanften Flussufer, über die fehlenden Chancen reden die Leute aus Kirche und Verwaltung.

Die unendlichen Eigenschaften der Sprache. Ihre geheimnisvolle Struktur. Hoffnung durch unsere Körper treiben wie Fische ans schwarze Ufer, das rechte Wort durchs Herz führen wie einen Wanderer durch den Wald.

Sprache ist Atem, gefüllt mit Sinn. Sprache ist die trügerische Chance, jemanden daran zu hindern, von der Brücke in die Seine zu springen.

Der Dichter steht mitten in der leeren Stadt, ruft den Vögeln zu, die über den Winter nach Nordafrika fliegen:

Ich glaube nicht an Gott. Aber das macht nichts. Weil es ihn nicht gibt. Die Leser glauben nicht an mich. Das macht auch nichts. Weil es auch sie nicht gibt.

Und weil die Vögel ihm nicht zuhören, will der Dichter sie zählen in den Herbstschwärmen unterm Himmel. Eifrig zählt er und vermerkt jede einzelne Schwalbe in einem Heft. So viele fortgeflogen sind, so viele sollen wiederkommen.

Alle muss man zählen. Keine darf man vergessen.

Die wahre Dichtung stützt sich immer auf Genauigkeit.

Aus: Zhadan, Serhij: Antenne. Gedichte. © der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020, Seite 51– 53.

Der Schriftsteller, Lyriker und Rocksänger Serhij Zhadan wurde 1974 in Starobilsk in der Nähe der ostukrainischen Stadt Luhansk geboren. Er lebt in Charkiw. Zhadan, der in ukrainischer Sprache schreibt, gehört zu den bekanntesten literarischen Stimmen des Landes. Er erhielt zahleiche Auszeichnungen, zuletzt 2022 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Geehrt wurde er für sein künstlerisches Werk und seine humanitäre Haltung.

Einigen wir uns am besten gleich auf die Bedeutung bestimmter Wörter.

Unser Unglück ist, dass wir uns nicht trauen, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen.

Wir bringen die Namen durcheinander, nennen diejenigen, die leben, beim Namen der Toten und lassen die Sprache des Todes auf unser Territorium.

Woran denken wir, wenn wir Freude sagen? Womit vergleichen wir sie?

Gefangen in mitternächtlichen Liebesbekundungen, in der Auflehnung gegen das Böse in der Welt, kennen wir die Namen der Bäume, kennen wir die Namen der Vögel, aber wie wir diesen Zustand nennen sollen, wenn sich ein Metallfaden durch den Atem zieht, weil du im Morgenlicht wieder die schmale verschattete Schulterlinie siehst, wissen wir nicht.

Es geht darum, sich besser nicht verführen zu lassen Von Enzyklopädien und Wörterbüchern. Es geht darum, besser zu sagen, wie es ist. Der Himmel gleicht nur sich selbst. Auch der Stein gleicht nur sich selbst.

Bäume aber gleichen Fremdsprachen. Dieselbe klare rätselhafte Struktur.

Dieselbe Menge Adjektive.

[…]

Aus: Zhadan, Serhij: Antenne. Gedichte. © der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020, Seite 69–70.

Seit drei Jahren reden wir über den Krieg

Noch so eine merkwürdige Geschichte. Eine Geschichte über unsere Illusionen und unsere Ohnmacht.

In der Bibliothek hielt sie sich immer an die Regale mit den Büchern ihrer Lieblingsautoren. Sie stand davor, wie Frauen morgens vor dem Spiegel stehen: zuversichtlich und doch zweifelnd.

Dichter mit reinen Reimen irren sich nie. Sie wissen immer einen Ausweg. Sie trösten in jeder Not.

Eines der ersten Geschosse traf die Bibliothek.

Lehrbücher flogen durch die Straβe wie aufgerissene Kopfkissen, und Buchstaben schwebten in der Juniluft wie die Asche ausgebrannter Synagogen.

Die Dichtung hat doch nicht gerettet. Die Dichter haben geschwiegen. Keiner fand einen reinen Reim auf den Namen der zerfetzten Schülerin, die am Morgen gekommen war, um ihre gelesenen Bücher zurückzubringen.

This article is from: