2 minute read

Einleitung

Das Alpsteinmassiv fällt an seiner Südostflanke gegen das Werdenberg und Obertoggenburg plötzlich steil und jäh ab, während es gegen das Appenzellerland, das Rheintal, den Bodensee, das Fürstenland und das untere Toggenburg gemächlich in hügeliges Mittelland übergeht. Wie eine hohe Mauer stehen die Berge zwischen Appenzell Innerrhoden, dem Werdenberg und dem Toggenburg. Es gibt keine Strassen, die von hüben nach drüben führen. Nur zwei Pässe, die von Frühling bis Herbst zu Fuss begehbar sind: die Saxerlücke und der Zwinglipass. Aus der Geschichte sind zwei Überschreitungen dieses Berggrates bedeutsam. 612 zog Gallus über diesen Berg. In seiner Vita aus dem 9. Jahrhundert heisst es: «Nachdem er die Alpen überschritten, kam er in den Wald namens Sennius.» Sennwald. Von dort wanderte er nach Grabs, um den dortigen Diakon Johannes zu besuchen. 1446 zogen die Appenzeller mit kriegerischer Macht über die Saxerlücke und zerstörten die Stammburg der Freiherren von Hohensax in Sennwald-Sax, die seither eine Ruine ist. Der Berggrat zwischen Hohem Kasten, Stauberen, Saxerlücke, Mutschen, Roslenfirst und Zwinglipass trennt mehr, als er verbindet. Nur das Wasser, das Licht und der Wind fanden schon immer ihren Weg durch oder über den Berg. Das Wasser des Sämtiser- und des Fählensees kommt in Sennwald wieder zum Vorschein. Gelegentlich scheint das Licht der Sonne durch die drei Löcher an den Kreuzbergen. Und der Föhn greift manchmal über den Rand seines Tales ins Appenzellerland.

Appenzell, Toggenburg und Werdenberg unterscheiden sich sprachlich, geschichtlich, kulturell und konfessionell. In Werdenberg wurde bis ins 13. Jahrhundert romanisch gesprochen. Hunderte von Orts- und Flurnamen und einzelne Wörter in der Alltagssprache zeugen noch davon. Die Appenzeller waren schon im 16. Jahrhundert freie Landleute und Eidgenossen, die Toggenburger und Werdenberger aber bis 1798 unfreie Untertanen. Die Toggenburger unterstanden der Fürstabtei St.Gallen. Die Werdenberger waren Untertanen des eidgenössischen Standes Glarus. Sie hatten am meisten unter der Herrschaft der Vögte zu leiden. Das Regime der Zürcher in der Herrschaft Sax

(heute Gemeinde Sennwald) und der Schwyzer in Gams war etwas milder. Im Appenzellerland und im Toggenburg lebt bis heute eine reiche Sennen- und Hirtenkultur. Im Werdenberg herrschte früher die Ackerbaukultur vor. Heute ist das Werdenberg stark industrialisiert, zum Teil mit modernster Technologie ausgestattet und mit einem renommierten Technikum in Buchs. Während Appenzell Innerrhoden von tiefem, barockem Katholizismus geprägt ist, sind das Werdenberg (mit Ausnahme von Gams) und das Obertoggenburg von tiefem, nüchterem reformiertem Protestantismus beeinflusst.

Über den Felsgrat Hoher Kasten – Stauberen – Saxerlücke – Mutschen – Roslenfirst – Zwinglipass führt eine der schönsten Höhenwanderungen der Schweiz mit herrlicher Aussicht auf beide Seiten. Bis zur Saxerlücke ist ein geologischer Wanderweg ausgeschildert, der die interessante Entstehung des Alpsteins mit seinen mannigfaltigen Formen erläutert.

Ein Hüben und Drüben gibt es auch am Rhein. Hier zwischen Werdenberg, dem Fürstentum Liechtenstein und dem Land Vorarlberg. Es gibt ein Hene und Dene in dieser Landschaft an der Südostecke des Alpsteins, aber auch ein Hene und Dene, ein Diesseits und Jenseits, eine Innen- und Aussenseite der Wirklichkeit im Erleben der Menschen dieser Region.

Die folgenden Texte führen uns auf einen Weg durch die Natur und die Kultur des Alpsteins. Sie drücken eine ständige Bewegung zwischen Hene und Dene im umfassenden Sinn aus.

This article is from: