Jost Kirchgraber Werner Meier

Bläss, chomm do ane!
So tönt es, wenn ihn der Meister ruft. Herkommen solle er, und zwar sofort.
Ja, richtig, er heisst Bläss, wie fast alle Hofhunde im Toggenburg. Bläss hat einen wie zum Posthorn geringelten Schwanz, spitzt immer gleich die Ohren, wenn sich etwas bewegt, hebt blitzschnell die Schnauze, wenn er etwas hört oder sieht.

Er wacht über alle Tiere auf dem Hof, über die Hühner, die Kühe, die Geissen und auch über die Kinder. Sie können ihn streicheln und mit ihm herumalbern, s ’Chalb mache, wie man im Toggenburg sagt. Sie werfen ihm Stecken zu, verstecken Sachen, die er dann schnüffelnd sucht. Einmal hat er für sie sogar den Kinderwagen vom Haus zum Stall hinübergezogen.

Dass er ein guter Hund ist, en Braave, weiss Bläss genau.
Aber wenn sich ein Fremder dem Hof nähert, so en fremde Fötzel, dann hört der Spass auf: Wie wild schiesst er los, bellt und tobt. Besonders einen mag er gar nicht. Das ist der Bauer aus der Nachbarschaft, der Rutz. Die beiden Familien sind seit Ewigkeiten miteinander zerstritten. Grund dafür war wohl ein kaputter Hag oder verwässerte Milch. Vielleicht ging es auch um verschwundenes Holz. Sie wissen es selber nicht mehr.



Jedenfalls ist klar: Auf dem Hof hier kann man diesen Rutz nicht riechen, me mag en nöd schmecke, und Bläss hat das natürlich gemerkt. So etwas spürt ein Hund. Einmal schnappt er den Rutz sogar am Hosenbein. «Bläss, Rueh!», ruft da der Bauer.
Bläss kennt diesen Tonfall. «Oha, ich bin wahrscheinlich wieder einmal zu weit gegangen», denkt er. «Aber dä Ruetz …»
Sich duckend, wedelnd und seinen Meister von unten herauf anblinzelnd, kommt er – der ganze Körper eine einzige
Entschuldigung – zu ihm zurück und leckt ihn schnell am Fuss.


Wenn auf dem Hof viel los ist und womöglich auch noch dieser Rutz auftaucht, geht Bläss abends am liebsten in den Stall. Dort ist es ruhig und wohlig warm. Die Kühe stehen dicht an dicht, Födle a Födle, malmen bedächtig das duftende Heu in ihren Mäulern, drehen ab und zu den Hals und wenden ihre schönen dunklen Augen dem Hund zu. Zwischendurch schnauft eine Kuh tief auf, bevor sie weiterkaut. Bläss geniesst die geruhsame Stallwärme und vergisst, was ihn tagsüber aufgeregt hat. Er legt seine Ohren nach hinten, gähnt und trottet dann hinaus in seine Hundehütte. Nun kann er schlafen. Und träumen. Von der Alp.

Aber der Alpsommer ist viel zu schnell vorbei.
Nun geht’s halt wieder hinunter, heim in die Hundehütte. Immerhin ist sie inzwischen ausgefegt worden. Und die Meisterin hat sie mit der frisch gewaschenen Decke neu ausgelegt.
Die Nächte werden länger. Der Herbst weht einem das Laub ins Gesicht. Es wird kälter. Da ist ein gutes Fell schon ein Glück! Die ersten Schneeflocken tanzen vom Himmel und kitzeln auf der Nasenspitze.
Sich also zurückziehen, sich einrollen, dösen … Denn der Winter ist lang.
