Gezeiten im wattenmeer

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GEZEITEN UND LANDSCHAFT

GEZEITEN IM WATTENMEER AUF UND NIEDER, IMMER WIEDER

Im dänischen Teil des Wattenmeeres beträgt der Tidenhub bis zu 2,5 Meter. Gezeiten und Wattenmeer sind eng miteinander verbunden, da der wechselnde Wasserstand auf die Landschaft, das Tierleben und die menschlichen Nutzungsmöglichkeiten einwirkt. Von Den Helder in Holland bis Blåvand in Dänemark werden etwa 5.200 km2 Meeresboden zwei Mal täglich von 14 km3 Wasser überschwemmt und anschließend wieder trockengelegt, was im dänischen Teil des Wattenmeeres einen täglichen Unterschied im Wasserstand von bis zu 2,5 km ausmacht. Die Gezeiten entstehen, weil Erde und Mond sich gegenseitig beeinflussen, wobei auch die Einwirkung der Sonne nicht unwesentlich ist. Deshalb muss man die ganz große Perspektive wählen und das Sonnensystem anschauen, um zu verstehen, warum sich der Wasserstand am Wattenmeer ungefähr jede sechste Stunde um mehrere Meter hebt und senkt.

Astronomische Wellen

Der Mond wird in seiner Erdumlaufbahn von zwei Kräften gehalten, die einander entgegenwirken und die gleichzeitig die Weltmeere beeinflussen. Die Himmelskörper ziehen sich aufgrund der Schwerkraft an, dahinter steht ein universelles physikalisches Prinzip, das bewirkt, dass alle Körper mit Masse voneinander angezogen werden. Die Anziehungskraft des Mondes kann daher überall auf dem Erdball nachgewiesen werden, am stärksten allerdings an jenem Punkt, der dem Mond am nächsten ist, und am schwächsten auf der gegenüberliegenden, d. h. mondabgewandten Seite der Erde. Dass der Mond nicht schnurstracks auf die Erde zusteuert, verdankt er der Bewegung auf seiner Erdumlaufbahn,

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HERBST

WINTER

Die Gezeiten im Anmarsch Die Gezeitenwelle benötigt etwa 13 Stunden von Den Helder in Holland bis nach Blåvandshuk. die bewirkt, dass die Schwerkraft durch eine nach außen wirkende Kraft, Fliehkraft genannt, aufgehoben wird. Diese Kraft kennt man von einem Karussell, auf dem man sich gut festhalten muss, um nicht von jener Kraft hinausgeschleudert zu werden. Im Erde-Mond-System liegt das Zentrum der gemeinsamen Drehung etwa im ersten Viertel auf der Mondseite der Erdkugel, sodass die Fliehkraft auf der Erde in dem vom Mond entferntesten Punkt am stärksten wirkt. Die Gezeitenwellen der Erde entstehen, weil das Meerwasser •

auf der einen Seite der Erde vom Mond stark angezogen und deshalb weniger den ohnehin schwächeren Fliehkräften ausgesetzt wird;

auf der anderen Seite der Erde eher den starken Flieh­kräften unterliegt und vom Mond kaum angezogen wird.

Ulrik G. Lützen, Vadehavets Formidlerforum & Bent Jacobsen, NaturKulturVarde Übersetzung: Jakob Jonia, ORDBRUGET

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GEZEITEN UND LANDSCHAFT

MONDANZIEHUNGSKRAFT FLIEHKRAFT RESULTIERENDE KRAFT

ERDE

MOND

Die Gezeiten entstehen durch Anziehungskraft des Mondes und die Zentrifugalkraft.

NIPFLUT

SPRINGFLUT

HALBMOND

ERDE

SONNE

SONNE

ERDE

VOLLMOND

NEUMOND

HALBMOND

Die Größe des Tidenhubs hängt von der Stellung der Planeten zur Erde ab.

Monatliche Variationen

Die Höhe der Gezeitenwelle ist von Tag zu Tag unterschiedlich, wird aber auch von der Stellung der Himmelskörper zueinander beeinflusst. Bei Voll- und Neumond stehen Sonne und Mond auf einer Linie mit der Erde, und ihre Kräfte summieren sich. Der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser ist somit in diesem Zeitraum von niedrigerem Niedrigwasser und höherem Hochwasser gekennzeichnet. Dies bezeichnet man als Springflut. Das umgekehrte Phänomen nennt sich Nippflut und tritt bei den beiden monatlichen Halbmonden auf, wenn Sonne und Mond von der Erde aus gesehen in einem Winkel von 90° zueinander stehen. Die Kräfte der beiden Himmelskörper heben sich gegeneinander ein Stück weit auf, und die Gezeitenwelle ist in diesem Zeitraum am schwächsten.

Wind und Wasser

In der Nordsee und im Wattenmeer hat die Windrichtung große Bedeutung für den Wasserstand an der Küste, da das Wasser in die Windrichtung gepresst wird. Bei östlichen Winden wird das Wasser somit aus dem Wattenmeer hinausgedrückt, und größere Flächen als gewöhnlich werden trockengelegt.

Bei kräftigen westlichen Winden dagegen wird Wasser aus der Nordsee in Richtung Jütland gepresst und verur­ sacht einen erhöhten Wasserpegel an der Westküste. In diesen Situationen ist sowohl das Hoch- als auch das Niedrigwasser höher als sonst, und bei extremen Wasserständen spricht man von Sturmfluten. Bevor an der Wattenmeerküste die Deiche errichtet wurden, haben die großen Sturmfluten Menschenleben gekostet und materielle Schäden verursacht.

Die Gezeiten treffen auf Land

Die Landschaft vor Ort entscheidet über die Größe des Gezeitenunterschieds an den Küsten. Auf den offenen Ozeanen ist die Gezeitenwelle etwa 0,5 m hoch, aber weltweit kann der Gezeitenunterschied bis zu 16 m und im Wattenmeer bis zu 3,5 m betragen. Dies wird dadurch verursacht, dass heranrollende Wellen vor der Küste durch den Meeresboden gebremst und quasi zusammengestaucht werden, sodass sie schmaler und höher werden. Deshalb ist die Phase steigenden Wassers (Flut) auch kürzer als die Phase fallenden Wassers (Ebbe), da eine große Menge Wasser binnen kurzer Zeit regelrecht ins Wattenmeer hineingepresst wird, während sich das Hinausströmen langsamer vollzieht und allein mit­hilfe der Schwerkraft.

Ulrik G. Lützen, Vadehavets Formidlerforum & Bent Jacobsen, NaturKulturVarde Übersetzung: Jakob Jonia, ORDBRUGET

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Die Vogelschwärme bewegen sich mit der Tide hin und her.

Gezeiten des Wattenmeeres

Die Gezeitenwellen des Wattenmeeres entstehen im Nordatlantik und gelangen durch den Ärmelkanal einerseits und die Meeresstraße zwischen Schottland und Norwegen andererseits in die Nordsee. Da Wassermassen ebenso wie der Wind auf der nördlichen Halbkugel nach rechts gepresst werden, strömt die Tide an der Ostküste Englands hinunter und trifft auf die Gezeitenwelle aus dem Ärmelkanal. Diese vereinigte Gezeitenwelle rollt anschlie­ ßend an der holländischen und deutschen Küste entlang und ist an der Grenze zu Dänemark 2,5 m hoch, bevor sie bei Blåvandshuk mit 0,5 m abklingt.

Die landschaftliche Bedeutung der Gezeiten

Die Gezeitenwellen drücken binnen kurzer Zeit sehr viel Wasser zwischen die Wattenmeerinseln, wodurch große Mengen von Sand und Schlamm hinter die Inseln geführt werden. Das Wasser wird durch 17 bis 30 m tiefe Gezeitenrinnen gepresst und durch verzweigte Rinnen, Priele genannt, ins Wattenmeer geleitet sowie in die Marsch. Jede Gezeitenrinne kann als selbstständiges System betrachtet werden, in das die Gezeitenwelle ein- und ausläuft. Zwischen zwei benachbarten Rinnen entsteht ein Be­reich, in dem die beiden Gezeitenwellen aufeinandertreffen und die Wassergeschwindigkeit gleich null ist. Hier findet eine intensivierte Anschwemmung statt, was man z. B. bei der Insel Mandø genutzt hat, deren Zufahrtsweg Mandø ­Ebbevej sich in der Wasserscheide zwischen den beiden ­Tiefs Knudedyb und Juvre Dyb befindet.

Mit den Gezeiten leben

Die Tiere und Pflanzen des Wattenmeeres haben sich auf das Leben mit wechselnden Wasserständen eingestellt. Die Bodentiere im Watt haben verschiedene Strategien entwickelt, die sie befähigen, im wechselhaften Milieu zu überleben, während sich die Vogelschwärme mit der Tide hin- und herbewegen. Die Pflanzen der Marsch wiederum sind extrem salzbeständig und vertragen wiederholte und länger anhaltende Überschwemmungen. Der Mensch hat bereits früh die Vorteile der Tide erkannt. Neben dem Würmergraben für die Fischerei und dem Sammeln von Schaltieren haben die Bewohner des Wattenmeeres spezielle Fangmethoden entwickelt, bei denen die Gezeiten genutzt werden. Beim ’faghusfiskeri’ werden Netze in eine Stromrinne gespannt, um die mit dem Wasser hereinkommenden Fische aufzufangen, während man in der Ho Bugt ’skullergårde’ verwendet, besonders eingerichtete Reusenstellungen. Die Gezeiten haben natürlich auch die örtliche Schifffahrt geprägt, denn die traditionellen Bootstypen des Wattenmeeres besitzen einen flachen Boden, damit sie bei seichtem Wasser auf den Watten stehen können. Früher nutzte man die Wattflächen bei Ebbe für das Be- und Entladen größerer Schiffe mithilfe von Wagen und Karren.

Ulrik G. Lützen, Vadehavets Formidlerforum & Bent Jacobsen, NaturKulturVarde Übersetzung: Jakob Jonia, ORDBRUGET

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Erleben ... Wenn man auf den Watten verkehrt, muss man auf die Gezeiten achten, da ein trockener Meeresboden schnell überschwemmt werden kann. Selbst erfahrene Wattenmeerbewohner können vom Seenebel oder von dem schnell steigenden Wasser überrascht werden. Wer auf dem Watt auf Entdeckung gehen möchte – und dies lohnt sich wirklich – sollte einen Kompass oder ein GPS-Gerät mitnehmen, zusätzlich zum Abruf der lokalen Gezeitenprognose. Sich bei fallendem Wasser ins Watt zu begeben, bringt zusätzliche Sicherheit. Ein Besuch mit Übernachtung auf Mandø Gezeitentouren mit Naturberater, z. B. zum Wattenmeerzentrum (Vadehavscentret), Tønnisgård, NaturKulturVarde u. v. a. m.

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Ulrik G. Lützen, Vadehavets Formidlerforum & Bent Jacobsen, NaturKulturVarde Übersetzung: Jakob Jonia, ORDBRUGET

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