SERIEN STUDENTENARBEIT • STUDENT WORK
BAUTRADITION
Michael Kindle 1988 geboren 2003–2007 Lehre als Hochbauzeichner bei PIT BAU Architektur, FL-Triesenberg 2007–2008 „Bau-Praktikum“ bei Gebr. Lampert AG, FL-Triesenberg 2008– 2009 angestellt als Hochbauzeichner bei Architekt Hans Walter Schädler in PL-Posen 2011–2014 Bachelorstudium am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein, Abschluss: Bachelor of Science in Architecture (BSc Arch) seit 2014 Praktikum bei PIT BAU Architektur in FL-Triesenberg
Studenten der Universität Liechtenstein haben mit internationalen Kommilitonen nach alter Walser Bautradition geplant, geforscht und gebaut Students from Liechtenstein, together with international fellow students constructed according to the old Walser building tradition zu exportieren. Das Erasmus-Projekt war auf eine Dauer von zehn Tagen angelegt. Wir wurden in Gruppen aufgeteilt und man zeigte uns, wie früher Heulagerhütten gebaut wurden. Ein wahnsinnig aufwendiges Verfahren, verglichen mit der heutigen industriellen Produktion. Wir sollten eine neue Art von Blockbau entwickeln, die sich an die alte Bauform anlehnt, aber modernen optischen Anforderungen entspricht. Zwei Tage lang experimentierten wir herum. Wir testeten, welche Eckverbindungen denkbar sind, wie die Fassade aussehen könnte und welche Lösung wir für die Fenster finden. So sind kreative Ansätze entstanden, an die man sich sonst nicht herangetraut hätte.
Baustelle mit Aussicht – 1.434 Metern über dem Meer
Fotos: Bruno Klomfar
Uns stand der regionale Holzbauexperte Christoph Frommelt zur Seite. Er ist ebenfalls Dozent am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein und Geschäftsführer der liechtensteinischen Holzbaufirma Frommelt. Ein absolutes Highlight war für viele Studierende das Panorama unseres Arbeitsplatzes. Als wir am ersten Tag hinauf zu den Bergwiesen in die Siedlungen Tuass und Münz fuhren, waren vor allem diejenigen sprachlos, die aus Flachlandgebieten stammen. Die Aussicht von hier oben auf das Rheintal ist einmalig. Gewöhnungsbedürftig war lediglich der Weg nach oben. Die Straße ist so breit wie ein Auto. Auf der linken Seite streckt sich die Felswand in die Höhe, auf der rechten Seite geht es hunderte Meter steil bergab. Während des Projektes erfuhren wir viel über die Geschichte Liechtensteins. Bis in die 1940er-Jahre lebten die Menschen hauptsächlich von der Landwirtschaft. Bis der Rheindamm in den 1920er-Jahren gebaut wurde, überflutete der Fluss regelmäßig die Täler und zerstörte die Ernte. Die Liechtensteiner suchten alternative Anbau- und Aufbewahrungsplätze. So sind die Heulagerhütten in den Bergen entstanden. Als die Landwirtschaft an Bedeutung verlor, wurden viele Bauten abgerissen oder zu Ferienhäusern umgebaut. Unser Ziel war es, auf Tuass zwei neue Hütten für Urlauber zu errichten. Auf der Alp Münz sollten wir ein Gebäude ersetzen, das weiterhin landwirtschaftlich genutzt wird. Es gehört der Bürgergenossenschaft und dient Hirten als Unterschlupf.
Das Geplante wurde mit Unterstützung von lokalen ... • With the support of local workmen, what was ... ... Handwerkern direkt in die Tat umgesetzt. • ... planned was directly turned into action.
In der Region verankert Architekturstudenten aus ganz Europa haben in Liechtenstein traditionelle Holzbauten neu interpretiert. • Architecture students from all over Europe newly interpreted traditional wood constructions in Liechtenstein.
Das Erasmus-Intensivprogramm der Universität Liechtenstein hat Tradition: Jedes Jahr wird die Baukultur eines anderen Landes erforscht. Zum zehnten Jubiläum lud die Universität des Fürstentums erstmals ins eigene Land ein. Zusammen mit Kommilitonen aus sieben europäischen Partneruniversitäten erkundeten die Architekturstudenten traditionelle Heusiedlungen. Im Anschluss wurden auf 1.434 Meter Seehöhe traditionelle Blockhütten geplant und eigenhändig gebaut, die heute genutzt werden. The Erasmus Intensive Programme of the University of Liechtenstein is a tradition: Each year, research is being done on the building culture of a different country. For its tenth anniversary, the university of the Principality for the first time invited to its own country. Together with fellow students from seven European partner universities, students of architecture explored traditional Walser settlements. Following this and at 1,434 metres above sea level, the students designed and built log cabins which are being used today.
058 • AIT 6.2015
A
rchitekturstudenten aus Europa erforschen die Baukultur eines Landes – so lautet das Konzept des Erasmus Intensivprogramms, an dem ich im August 2014 teilnahm. Zum zehnten Mal luden Professor Urs Meister und Carmen Rist, Dozierende am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein, dazu ein. Bisher fand das Projekt in Norwegen, Dänemark, Belgien, Polen, Slowenien, Irland, Spanien und Holland statt. Es widmet sich jeweils einem anderen Baumaterial, von Backstein über Beton bis zu Stahl. Nun also das Heimspiel in Liechtenstein, bei dem die Alpine Bautradition im Mittelpunkt stand – und das Material Holz. Unsere Aufgabe war es, auf 1.434 Metern über Meer den traditionellen Blockbau neu zu interpretieren. Dabei orientierten wir uns an der Architektur alter Heulagerhütten, von denen es in den Bergen des Fürstentums Liechtenstein früher sehr viele gab. Ich bin in Liechtenstein aufgewachsen. Für den Workshop erfüllte ich eine Doppelfunktion: Ich war teilnehmender Student und Bauherr. Meine Familie mütterlicherseits stammt aus Liechtenstein. In den Bergen besitzen wir ein Grundstück in Tuass. Hier und auf der Alp Münz fand das Projekt statt. Im Fürstentum wurde früher traditionell mit Holz gebaut. Das hat sich geändert. In den letzten Jahrzehnten entwickelte man jedoch gewisse Holzbauformen weiter. Die Vorteile werden wieder kommuniziert. Beispielsweise dass man bei Holzkonstruktionen die Dämmung in der Wandebene einbringen kann. Aber auch die ökologischen Aspekte. Bei uns wächst viel Holz vor der Haustür. Es macht Sinn, es hier zu verwenden und nicht nur
Die Abende verbrachten wir gemeinsam auf der Alp Lawena. Jeden Tag hat eine andere Nation gekocht. Die Gastfreundschaft der Anwohner hat mich sehr gefreut. Viele Berghütten gehören alteingesessenen Liechtensteinern, die normalerweise wenig Kontakt zu einem internationalen Publikum haben. Die Studierenden wurden aber jeden Abend noch auf ein Getränk eingeladen. Generell ist das Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein sehr international ausgelegt und wird im Fürstentum nicht sofort mit der eigenen Region in Verbindung gebracht. Mit diesem Projekt konnte man das ändern. Auch für mich war der Workshop ein tolles Erlebnis. Ich konnte meine Heimat aus einer anderen Perspektive betrachten. Die europäischen Studierenden haben Dinge wahrgenommen, die für mich normal sind. Ich schätze nun unsere Bautradition und auch die Umgebung noch mehr. Mit vielen Teilnehmern halte ich Kontakt. Eine Teilnehmerin aus Dänemark war in Liechtenstein, um die Hütten anzuschauen. Einziger Wermutstropfen während der zehn Tage: Es hat unheimlich viel geregnet – untypisch für einen Liechtensteiner Sommer. So konnten die Hütten nicht komplett aufgebaut werden. Wie zuvor vereinbart, führte die Holzbaufirma von Christoph Frommelt in einem Projekt die fehlenden Schritte aus. Lehrlinge aus drei Liechtensteiner Betrieben packten mit an. Eine der Ferienhütten auf Tuass gehört nun mir. Sie weckt viele Erinnerungen. Ich bin stolz, dass sie anders aussieht, als die Gebäude in der Siedlung und dennoch extrem gut ins Bild passt. Sie ist modern, aber der Fachmann erkennt die Blockbauweise an den Eckverbindungen. Viele Menschen im Fürstentum sind beeindruckt, dass die internationalen Studierenden etwas schaffen konnten, dass so zur Region passt – zur Landschaft und zur Kultur.
Arbeitsplatz auf 1.434 Metern über dem Meer • Workplace at 1,434 metres above sea level
AIT 6.2015 • 059