Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz

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15 Kirche zum Heiligsten Erlöser, Landeskrankenhaus Graz-St. Leonhard, 1909–1912, aus: Wilhelm Scholz, Die steiermärkischen Landes- und Pflegeanstalten, Düsseldorf o. J.

16 Alfred Keller, Sanatorium Hansa, Körblergasse, 1906, Gartenseite, aus: The Studio

17 Adalbert Pasdirek-Coreno, Villa Lug ins Land, Laßnitzhöhe, 1905, Privatbesitz

damit genuin modernes – Problem betrachtet wurde, erscheint es nachvollziehbar, dass mit dem Neu- und Umbau des Grand Hotels Marcel Kammerer, einer der erfolgreichsten Wagner-Schüler, betraut wurde. (Abb. 12) Joseph August Lux, der einige Zeit lang quasi als Sprachrohr der Wagner-Schule, in der die Bauaufgabe Hotel wiederholt thematisiert wurde, fungierte, bezeichnete das Hotel programmatisch als „eine Synthese von Klinik, Komfort und Maschine“35 und forderte, dass das Hotel nicht nur funktional und komfortabel sein, sondern auch in Bezug auf Hygiene und Reinlichkeit „klinischen Anforderungen“ entsprechen solle. Die formale Nähe des Grazer Hotels zu Josef Hoffmanns Sanato­rium Purkersdorf bei Wien (1904/05) lässt sich, wenn auch in einer wesentlich aufwendigeren Gestaltung, am Speisesaal (Abb. 13) im Erdgeschoss des Hotel Wiesler gut ablesen. Kammerer gliedert den langgestreckten Saal, indem er bewusst die Stahl­betonunterzüge der Decke sichtbar belässt und so zum ersten Mal in Graz in einem repräsentativen Innenraum die moderne Bautechnik zeigt. Modernität zeigte sich auch in den Hotel­ zimmern, die mit weiß gestrichenen, schwarz ornamentierten Möbeln und funktionellen Waschtischen ausgestattet waren und im Vergleich zu den damals üblichen üppigen Interieurs eine fast klinische Atmosphäre vermittelten. (Abb. 14) Ebenso wie im Fall des Hotelbaus wurde in Graz auch bei anderen Bauaufgaben, die mit der modernen Lebenswelt in Verbindung standen, der neue („secessionistische“) Stil bevorzugt. Zu den Hygienebauten gehört vor allem das vom Landesbauamt zum Teil nach dem damals aktuellen Pavillonsystem errichtete Landeskrankenhaus (1904– 1912). Die am Ende der zentralen Achse in Eisenbeton errichtete kleine Anstaltskirche (Abb. 15) ist in der Großform, wenn auch nicht im stilistischen Detail, als bewusstes Zitat von Otto Wagners berühmter Kirche der Landes-Irrenanstalt am Steinhof in Wien zu lesen. Andere Beispiele für die Übereinstimmung von moderner Formensprache und moderner Bauaufgabe sind das kleine Städtische Volksbad in der Friedrichstraße (1903, heute Museum der Wahrnehmung) und das von Alfred Keller errichtete Sanatorium Hansa (1906), das Wiener Secessionsmotive wie ein Bay-Window, schwarzweiße, glasierte Zierelemente und fast provokant schmucklose Stiegengeländer mit „bodenständigen“ Elementen verbindet. (Abb. 16) Auch die Waren- und Konsumwelt der Kaufhäuser entsprach dem modernen Gesellschaftsbild, das in der Architektur seine Entsprechung finden sollte. Beim Warenhaus Kraft & Cie. (1907, heute Dorotheum) am Jakominiplatz griff sogar der sonst im Historismus fest verankerte Leopold Theyer zu einer zarten Eisenkon­struk­tion, die die Öffnung der Wände zu großen Auslagenfenstern ermöglichte, und zu (wenn auch biedermeierlich abgemilderten) secessionistischen Schmuckformen. Im Bereich der Villenarchitektur ist der in Wien ausgebildete Architekt Adalbert Pasdirek-Coreno eine auffallende Ausnahmeerscheinung, der als einer der ersten in der HabsburgerMonarchie an der Grazer Peripherie Villen mit Flachdächern errichtete, etwa die Villa Hellenaion im Stiftingtal (1904/05) oder die Villa Lug ins Land in Laßnitzhöhe (1905, Abb. 17), denen er eine betont mediterrane Erscheinung gab. „Heimische“ Bauweise als Konstrukt

35 Joseph August Lux, Das Hotel, ein Bauproblem, in: Der Architekt 15 (1909), S. 17–19. 36 Zur Biografie von Alfred Keller vgl. http:// www.architektenlexikon.at/de/290.htm.

Ein kleines, heute baulich verändertes Wohnhaus hat 1910 in Graz große Aufmerksamkeit auf sich gezogen: das Portierswohnhaus der kaiserlichen Burg von dem in Graz geborenen und in Wien tätigen Architekten Alfred Keller, einem Mitglied des Vereins für Heimatschutz in Steiermark.36 Es wurde in österreichischen Architekturzeitschriften publiziert, in Diavorträgen gezeigt und vom traditionsorientierten Grazer Lager (sogar noch bis in die NS-Zeit) als geradezu prototypisches Beispiel einer neuen Bauweise hervorgehoben, die traditionelle Formen zeitgemäß umdeutete. Das Haus, das sich, wie in der ersten Publikation des Heimatschutzvereins zu lesen war, „wie ein


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