UP #694: Glaube (September 2018)

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UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT DER UNIVERSITÄT SALZBURG — #694 September 2018 —

G l a u b e N


A R G E k u lt u r | u l r I k E - G S C H W A N D t N E r - S t r A S S E 5 5020 SAlzburG|+43-662-848784|www.ARGEkultuR.At

IMPRESSUM Medieninhaberin: Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg (ÖH Salzburg), Kaigasse 28, 5020 Salzburg, www.oeh-salzburg.at, sekretariat@oeh-salzburg.at / Herausgeber: HochschülerInnenschaft / Pressereferentin: Carolina Forstner / Layout: Michael Seifert / Lektorat: Hannah Wahl & Die Redaktion/ Anzeigen und Vertrieb: Martina Winkler Redaktion (Kontakt: presse@oeh-salzburg.at): Carolina Forstner, Hannah Wahl, Carlos Reinelt, Christoph Würflinger / AutorInnen in dieser Ausgabe: Carolina Forstner, Kay-Michael Dankl, Carlos P. Reinelt, Felix Klein, Wiebke Fischbach, Alexander Schlair, Christoph Würfelmeier, Arno Nym, Christof Fellner, Stefan Klingersberger, Hannah Wahl, Bernhard Landkammer,Kunibertus Bombastus von Spiegelheim, Michael Seifert. Druckerei: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H. / www.berger.at / Auflage: 8.000. Für Verbesserungsvorschläge und kritische Hinweise sind wir sehr dankbar. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors/der Autorin und nicht immer die Sichtweise der Redaktion wieder.

FOTO: Ina aydOgan

28.9. BluesBrauser 6.10. science Fiction Busters 12.10. schmids Puls 17.10. 5020 PerForminG sound #21 19.10. christoPh & lollo 25.&26.10. maschek 20.11. WolF haas 22.11. Voodoo JürGens singt Ludwig HirscH 24.11. kmet|Jukno RoterSalon No.116


EDITORIAL

Carolina Forstner

Hannah Wahl

Carlos Reinelt

Michael Seifert

Christoph Würflinger

Liebe LeserIn Es irrt, wer sich gedacht hat, dass die uni:press beim Thema „Glauben“ wieder einmal übelstes Theologen-Bashing loslässt. Stattdessen klären wir über diverse Mythen über das Studium auf, schauen uns an, wie man eine Vereinsmitgliedschaft kündigt und tauchen in die esoterische Welt Japans ein.

Abgerundet wird das Ganze von allerlei Artikeln zu Politik, Gesellschaft und Kultur, inklusive dem mittlerweile legendären uni:press-Beisltest. Unsere Filmschmankerl befassen sich in dieser Ausgabe mit dem Genre „Coming of Age“. Und auch den allseits beliebten uni:press-Bastelspaß gibt es wieder.

Wer aufmerksam die Mitteilungsblätter der Uni liest (lol), hat bestimmt bemerkt: Wir bekommen bald einen neuen Rektor (oder eine Rektorin? – Doppel-lol). Von wem der (oder die) bestimmt wird, versuchen wir euch im uni & leben-Teil näherzubringen. Dass der alte Rektor Mist gebaut hat, decken wir in dieser Rubrik ebenfalls auf.

Heil Satan! Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen! Deine Redaktion Fragen, Wünsche, Anregungen, Kritik wie immer an presse@oeh-salzburg.at

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INHALT

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GLAUBEN

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Ein katholisches Land mit imer weniger Katholiken: Warum trete ich eigentlich nicht aus? Irrglaube Mythen rund ums Studieren

AB-erglaube

Neues aus dem Vorsitzbüro

UNI & LEBEN

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Die heimlichen Chefs der Universität Salzburg Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert: Interview mit Prof. Dr. Helga Embacher Ehrendoktorat für Judenhasser?

uni:press-Bastelspaß: Der Ehrenring zum Ausschneiden Wer wird neue/r Rektor/in der Uni Salzburg? Salzburg's Next Top Rektor Wen würdest du wählen? Deni Leben und Studieren mit einer psychischen Erkrankung Disziplinierung Wie die Regierung ihre reichen Geldgeber und Partei-Spender bedient Poster Die Pyramide des Universitätssystems Wer hat uns verraten? Getränkeautomaten!


INHALT

POLITIK & GESELLSCHAFT

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Das war doch der Gipfel! Ein vorausschauender Rückblick auf den EU-Gipfel in Salzburg Pro Choice bleibt ois! Ein kurzer Abriss zur Repression gegen linken Aktivismus in Salzburg 1918 Der Untergang Habsburgs Lieber noch einmal Marx lesen Die Antwort auf die Antwort

KULTUR & MENSCHEN

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Tier werden Interview mit Teresa Präauer

Bella Ciao Von der Rebellenhymne zum Sommerhit uni:press Filmtipps Garden State und andere Geheimtipps DAS MANIFEST eine erzählung in drei aufzügen Hochkultur x Subkultur 25 Jahre Rockhouse Salzburg Der ultimative uni:press Beisltest Teil 7 - Elisabeth-Vorstadt Zeitmaschine Unineubau – Die Bombe tickt

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GLAUBEN

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Ein katholisches land mit immer weniger katholiken: Oder - warum trete ich eigentlich nicht aus?

Vor ein paar Monaten saĂ&#x; ich mit ein paar uni:press KollegInnen im Geschichte-STV-Kammerl und besprach die kommende Ausgabe. Das Thema Glauben wurde zu unserem Schwerpunkt auserkoren und irgendwie kamen wir, wie kĂśnnte es anders sein, zum Thema Kirchenaustritt. Von Carolina Forstner


GLAUBEN

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et’s talk numbers: Bis in die 1970er-Jahre bekannten sich noch 90 Prozent der ÖsterreicherInnen zu ihrem römisch-katholischen Glauben. Ein solides Fundament an ChristInnen, das sich wohl nicht so leicht erschüttern ließe, möchte man meinen. Doch der Anteil der KatholikInnen sank enorm in den letzten Jahrzehnten. Von den ebengenannten 90 Prozent 1971 (in Zahlen: 6,6 Millionen Gläubigen) zu rund 60 Prozent anno 2016. Die stärkste Austrittswelle liegt noch nicht lange zurück: Nach dem Bekanntwerden von zahlreichen Missbrauchsfällen verließen 2010 80.000 Menschen die katholische Kirche. Die Austrittsrate ging nach diesem massiven Anstieg an Austritten nicht auf das Level vor der Austrittswelle zurück, sondern pendelte sich auf höherem Niveau ein. Vor diesem Hintergrund wurde eine Studie durch das Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und das Institut der Soziologie der Universität Wien durchgeführt, um mithilfe von qualitativen Interviews und einer quantitativen Datenbasis den Gründen der Kirchenaustritte nachzugehen.1

„NACH DEM BEKANNTWERDEN VON ZAHLREICHEN MISSBRAUCHSFÄLLEN VERLIESSEN 2010 80.000 MENSCHEN DIE KATHOLISCHE KIRCHE.“ Dabei konnte die Studie die abtrünnigen Söhne und Töchter in zwei Gruppen einteilen: Distanzierte und Verbundene. Für die „distanzierte Gruppe“ galt der fehlende Glauben als Auslöser für den Kirchenaustritt, während die sogenannten „verbundenen Austreter“ durchaus im Privaten noch gläubig sind, auch wenn sie nur selten Gottesdienste besuchen. Sie trennen folglich zwischen der römisch-katholischen Kirche als Institution (oder hier vielleicht noch österreichischer „dem Verein“) und dem individuellem Glaubensbekenntnis. Beide Gruppen verbindet die Ablehnung der kirchlichen Moralvorstellungen – etwa die Lehre zu Homosexualität oder Abtreibung. Zudem verbindet beide der fehlende Kontakt zur Kirche und deren Vertretern, wodurch, so stellt die Studie fest, einzelne Ereignisse, wie zum Beispiel die

Erstkommunionsstunden als junge Schulkinder, sehr bedeutsam werden. Mit den Worten: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen“ beginnt das Glaubensbekenntnis, diesem stimmen aber nur 39 Prozent der Erwachsenen zu. Als dieselbe Frage vor vier Jahren gestellt wurde, glaubten noch 49 Prozent an die Allmacht Gottes.2 Dieselbe Studie hat unter anderem auch festgestellt, dass 45 Prozent der ÖsterreicherInnen glauben, Schwingungen und Störungen seien mit Wünschelruten auszupendeln. Da sich mein Hauptwohnsitz noch immer in meiner oberösterreichischen Heimat befindet, bekomme nicht ich direkt, sondern meine Eltern circa zweimal im Jahr Post. Post von der Diözese. Schließlich bin ich es trotz allem Hadern noch immer: Mitglied, zwar kein zahlendes, aber immerhin habe ich eine fünfjährige Ministrantinnenkarriere hinter mir, etliche Jungscharlager (in Ermangelung an Freizeitangeboten musste man sich eben arrangieren) und bin gefirmt. Trotzdem fehlt mir, so wie den beiden oben erwähnten distanzierten und verbundenen Personengruppen der Studie, jedwede Verbindung zur Kirche und den damit einhergehenden Bräuchen, Gebeten und Ritualen. Das Vater Unser, glaube ich, kann ich nur im Kreis von vielen anderen gesungen vollständig wiedergeben und die Bedeutung von so manchen christlichen Feiertagen werde ich wohl von Jahr zu Jahr aus meinem Gedächtnis radieren, um sie dann, wenn ich dann überrumpelt vor einem geschlossenem Supermarkt stehe, wieder für einen kurzen Moment präsent zu haben. Zurückkommend zur Diskussion im STV-Kammerl kann ich mich noch gut an mein vorsichtig ausgesprochenes Geständnis erinnern: „Ähm… ja, also ich bin noch dabei.“ Schob aber prompt hinterher: „Aber nicht mehr lange, also wirklich!“ Meine Buße schien die anderen aber nicht wirklich zu schockieren, schließlich waren sie, wie ich damals erfuhr, auch noch gar nicht ausgetreten, denn: „Solange ich noch nix zahlen muss3 bleib ich schon noch dabei!“ Mit dieser Auffassung vom „Mitglied bleiben, weil es ja noch gratis ist“, sind wir, so stelle ich jetzt einfach aus meinen eigenen, pseudo-repräsentativ Erfahrungen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis fest, sicher nicht allein. Doch warum eigentlich dabeibleiben, wenn man sich gegen (fast) alles sträubt was die Institution der römisch-katholischen Kirche ausmacht und man mit dem Weltbild und den damit vermittelten Werten so rein gar nichts anfangen kann? „Vielleicht ist das wieder so ein Millenial-Ding – sogar zu faul, um aus der Kirche auszutreten“, frage ich mich während ich meine Studienbestätigung an die Kirchenbeitragsstelle schicke um mich für ein weiteres Jahr vom Kirchenbeitrag zu befreien.

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1 (Die kürzlich veröffentlichte Studie wurde im Zeitraum von vier Jahren – 2008-2012 durchgeführt, 19 Personen wurden im Zuge der qualitativen Interviews befragt und 2.800 Personen nahmen an der quantitativen Untersuchung teil) Online unter: https://bit.ly/2Nq9uFH 2 Quelle: Market-Studie im Auftrag des Standard, online unter: https://bit. ly/2N0Cd4r 3 „Kirchenbeitrag wäre vorzuschreiben, wenn neben dem Studium ein steuerpflichtiges Einkommen bezogen wird. Kleine Nebeneinkünfte aus Ferialarbeit zählen dabei nicht. Eine Bestätigung über die Zulassung zum Studium bzw. eine Fortsetzungsbestätigung allein gilt allerdings noch nicht als Befreiung vom Kirchenbeitrag. Unbedingt ist dazu noch eine Erklärung über die Einkommenssituation vorzulegen. StudentInnen nach dem 27. Lebensjahr benötigen einen Beleg über die Selbstversicherung (Versicherungszeitenbestätigung oder Einzahlungsbeleg).“ (Quelle: https://bit.ly/2wZvwVc) Carolina Forstner studiert Jüdische Kulturgeschichte und hatte als Teenie Holzarmbänder mit Heiligenbildern, aber nur aus "modischen" Gründen, denn wer die abgebildeten Heiligen waren, weiß sie bis heute nicht.


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IRRGLAUBE - MYTHEN RUND UMS STUDIEREN E gal, ob man Eltern fragt, die Medienberichte über „Bummelstudenten“ liest oder die Studieninformationen der Universität betrachtet: Überall schallt einem das Dogma des möglichst schnellen, gestressten Studierens entgegen. Warum eigentlich? Ist Studieren ein Übel, das möglichst schnell hinter sich gebracht werden soll? Ist das menschliche Gehirn unfähig, nach Ablauf der exakt bemessenen Studienzeit weiter zu lernen? Oder ist es ein früher Ausdruck der Unterwürfigkeit gegenüber bürokratischen Vorgaben, über die zukünftige Chefs sich freuen?

"Nur ein schnelles Studium ist ein gutes Studium!" Einst galt die „Mindeststudienzeit“ als jene Zeit, die man mindestens (!) an der Uni verbringen musste, um einen Abschluss zu erlangen. Heute gilt das Gegenteil. Es gibt objektive Zwänge, schnell ECTS-Punkte zu sammeln, Prüfung nach Prüfung abzuhaken und durch das Studium zu brausen: Wer länger studiert, verliert Beihilfen und muss Studiengebühren zahlen. Diese Daumenschrauben hat die Bundespolitik in den letzten zwanzig Jahren immer enger gezogen. Das

erklärte Ziel: Man will Studierende „disziplinieren“. Sprich: Den Druck steigern, schneller zu studieren, um sich möglichst rasch auf den zunehmend tristen Arbeitsmarkt zu werfen und mit den bisherigen Kolleg*innen in Konkurrenz um die Chance auf einen 12-Stunden-Arbeitstag zu treten. Aber ist ein schnelles Studium automatisch besser? Nein! Lernen, Verstehen und Sich-bilden sind komplexe, individuelle Prozesse. Jede*r lernt anders. Sie lassen sich nicht mit Mindestzeiten und Muster-Abläufen auf dem Reißbrett entwerfen. Ein hektisches Studium ist nicht besser – weder für einen selbst, noch für den zukünftigen Beruf. Bildung braucht vor allem eines: Freiräume und Selbstbestimmung. Also – sofern möglich – lieber etwas länger studieren, persönlichen Interessen nachgehen, sich ehrenamtlich engagieren, reisen oder einfach mal nichts tun, als sich in vorauseilendem Gehorsam gegenüber fremden Erwartungen die Chance auf ein selbstbestimmtes Studieren nehmen zu lassen. Noten sind nicht fair – aber auch ein bissl wurscht Niemand interessiert sich dafür, welche Note du im Proseminar „Wissenschaftliches Arbeiten“ be-


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Viele Mythen ranken sich rund um das Studium – und nicht wenige davon werden von der Universität selbst, von Medien, Eltern und Bekannten verbreitet. Wer sie durchschaut, kann besser selbst bestimmen, wie er oder sie studieren will. Eine kleine Aufklärung. Von Kay-Michael Dankl kommen hast. Nach deinem Studienabschluss zählen die Noten praktisch nicht. Wichtiger sind deine Abschlussarbeit, inhaltliche Schwerpunkte und was du neben dem Studium gemacht hast (Ausnahmen gelten für besorgte Eltern, wenn du eine Forschungskarriere anstrebst, dich auf internationale Top-Unis bewirbst oder ein Leistungsstipendium brauchst). Das ist auch gut so. Denn Noten sind nicht fair. Es gibt enorme Unterschiede zwischen Kursen und Lehrenden. Was in dem einen Seminar für ein „Gut“ reicht, bekommt im gleichen Seminar einer anderen Lehrenden einen Vierer. Bei mündlichen Prüfungen spielen Eloquenz, Auftreten und Verhalten oder Sympathie des Prüfers eine Rolle bei der Notengebung. Manche Lehrende wollen immer eine „optimale Notenverteilung“ – also selbst wenn alle Studierenden besser werden, fällt trotzdem ein Viertel durch. Natürlich freut sich jede*r gute Noten. Aber eine nüchterne Einschätzung, was Noten sind und wie sie zustande kommen, schützt vor Hochmut oder vor Betrübtheit, wenn’s mal nur ein Vierer ist. Die Uni – keine heile Welt? Die Universität hat viele Gesichter. Manche Seiten

sind schön – die Suche nach Wahrheit, Idealismus, intellektueller Austausch und Debatten, Aha-Erlebnisse und Erfolge, tolle Mitstudierende, engagierte Lehrende und Verwaltungspersonal –, andere weniger. Die Uni Salzburg als Organisation mit rund 18.000 Studierenden und über 2.700 Bediensteten hat auch Schattenseiten. Es gibt beinharte Hierarchien, Standesdünkel, der in schönen Worten alle Nicht-Akademiker*innen zu Trotteln erklärt, Vorurteile und Rassismus, sexuelle Übergriffe, Intrigen, Ausgrenzung und Mobbing. Das liegt nicht nur an den handelnden Menschen, sondern auch an den Uni-Strukturen: Die österreichischen Universitäten sind extrem hierarchisch aufgebaut, es gibt kaum demokratische Mitsprache der Studierenden und Lehrenden an den großen Entscheidungen, der Ruf und das Ansehen sind alles. Die Uni ist kein Paradies. Ein ungetrübter Blick darauf hilft, Unterstützung zu suchen, wenn man mal selbst betroffen ist und sich gemeinsam mit anderen für die eigenen Anliegen einzusetzen. Daher sind starke Interessenvertretungen – wie die Betriebsräte und die ÖH – so wichtig, die die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und Einzelne unterstützen.

Kay-Michael Dankl (Jus und Politikwissenschaft) ist aktiv im Netzwerk Kritischer Studierender Salzburg und in den Studienvertretungen Politikwissenschaft und Doktorat KGW.


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Tokio 22 Uhr nachts. Der Rauch steht an der Decke. Aus den Lautsprechern tönt Oasis‘ Don‘t Look Back in Anger. Kleine Gruppen junger Anzugträger verstreuen sich mit suchendem Blick im Pub. Die Geschlechter beginnen sich zu vermischen. Ein junger Australier entscheidet sich nach dem zweiten Screwdriver, seine jüngst erworbenen Sprachkenntnisse in der Praxis auszutesten. Aus dem Japanischen übersetzt von Carlos P. Reinelt


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AB-ERGLAUBE ER: Feuer Sie haben? 彼女: Ich habe eins. Hier, bitte sehr! ER: Danke! Was Sie trinken? 彼女: Tarantula. ER: Gefährlich, oder? 彼女: Schon, aber es schmeckt lecker! ER: Wie alt du bist? 彼女: 22. ER: Ehhh, jung! Sie sind ein Kind! 彼女: Wie alt bist du denn? ER: Was du glaubst? 彼女: Was? ER: Wie alt ich sein, glauben Sie? 彼女: Puh, schwer zu sagen, 35? ER: Was? Ich 24! 彼女: 24?! Wirklich?! ER: Ja. Eintausendneunhundertvierundneunzig Jahr ich bin. Jahr von Hund! Du? 彼女: Jahr der Maus. ER: Süß! Ich Jahr von Hund. Aber ich bin Katze. Greif mein Kopf bitte! 彼女: Wow! Irre! Du hast so weiches Haar. Haha! ER: Du schön! Schöne Nase haben! 彼女: Nein, ich habe eine kleine Nase, das gefällt mir nicht. ER: Europa Frauen große Nase. Ich mag nicht. 彼女: Wirklich? Ich hätte gern so eine Nase. Woher kommst? ER: Was? 彼女: Aus welchem Land kommst du? ER: Österreich. 彼女: Irre! Ich war letztes Jahr am Great Barrier Reef. ER: Nein! Haha! Immer! Känguru nichts haben. Österreich. Europa. 彼女: Ah, Österreich! Das Land der Musik, Wien? ER: Ja genau. Ich Wien studieren! 彼女: Schön, da wollte ich schon immer mal hin. ER: Wien schöne Stadt! Welche Musik Sie mögen? 彼女: Justin Bieber und Ed Sheeran sind meine Lieblingssänger.

ER: Auch meine. Ich lieben Bieber, großartige Musiker! Baby, baby, baby, uhhh! 彼女: Haha, wirklich? ER: Ja! Sie Karaoke mögen? 彼女: Ja … aber ich kann nicht so gut singen. ER: Ich nicht glauben. Sie sicher singen können. Lass Karaoke gehen! 彼女: Jetzt? ER: Später. 彼女: Gut, ich will noch ein bisschen was trinken. Du siehst aus wie Mr. Bean! Haha! ER: Was?! Wieder? Japaner immer mir sagen, ich sehe aus wie Mr. Bean! 彼女: Es stimmt! ER: Nein. Mr. Bean kein schöner Mann! Ich auch kein schöne Mann? 彼女: Na, du siehst schon gut aus. Ich mag deine Augen. Sind sie blau? ER: Danke! Blau, grün, ich nicht wissen. Du auch schöne Augen! 彼女: Nein, du lügst. ER: Doch, schöne Augen und schöne … Nase! Schöne Nase! 彼女: Haha, du bist ein Idiot. ER: Ich weiß, ich Idiot bin. Wie Mr. Bean. 彼女: Was hast du für eine Blutgruppe? ER: Blutgruppe von Österreich Mensch entdeckt! Wien Arzt! Hundert Jahre früher. 彼女: Was? ER: Ich AB Negativ sein. 彼女: Wow! Das ist selten. ER: Was AB negativ bedeuten? 彼女: Dass du ein Idiot bist. ER: Wie Mr. Bean? 彼女: Genau wie Mr. Bean. Haha! ER: Du sein? 彼女: A positiv. ER: Gutes Zeichen? Wir passen? 彼女: Das wirst du schon selbst herausfinden müssen.

Carlos P. Reinelt ist Schriftsteller und Philosoph, studiert Germanistik in Salzburg und erhielt 2016 den Rauriser Literaturpreis.


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NEUES AUS DEM VORSITZBÜRO

v.l. n.r.: Felix Klein (GRAS), Vorsitzender; Wiebke Fischbach (GRAS), 1. stv. Vorsitzende; Alexander Schlair (VSStÖ), 2. stv. Vorsitzender

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uch in der ÖH braucht es Glauben, im Sinne von Verfolgen gewisser Utopien und Ideale. Wir glauben, dass wir mit kleinen Veränderungen den Grundstein für große Bewegungen legen können. Aber eins nach dem anderen. Im Kleinen sind Veränderungen, die wir für Studierende erreichen, und ihre positiven Auswirkungen oft schnell zu sehen. Fast immer studieren wir selbst das Studium, über das wir mit den Fachbereichen um Verbesserungen gerungen haben. Die Utopie eines besseren Studiums ist also in ersten Schritten relativ leicht zu erleben. Oft gibt es aber auch Fortschritt, der erst mittelfristig in ein paar Jahren zu spüren ist. Dabei geht es meistens um strukturelle Verbesserungen, wie z.B. ein Rahmencurriculum mit mehr Wahlfreiheit für Studierende. Auch, dass bei der Anstellung neuer Professor*innen verstärkt auf ihre Lehr-Qualitäten geachtet wird ist so ein Fortschritt, den Studienvertreter*innen gerne durchsetzen für die Generation nach ihnen, auch wenn sie selbst nicht mehr in den Genuss besserer Lehre kommen. Und da nicht nur ein schönes Studium allein hilft,

sondern wir Teil dieser Gesellschaft da draußen sind und als Studierende nach unserem Abschluss eine Rolle in dieser spielen werden, müssen wir uns auch mit unseren Idealen übers Studium hinaus auseinanderzusetzen. Für eine bessere Gesellschaft mit einem solidarischen Miteinander können wir im Studium einen Grundstein setzen. Wir setzen uns mit Themen abseits des Lehrplans auseinander, reflektieren unsere Erfahrungen, Erwartungen und Ziele. Wir fragen uns, woher diese eigentlich kommen und wie wir sie gegebenenfalls neu ausrichten, um eine Welt zu erbauen die frei ist von Ausgrenzung und Ungleichheit, anstatt einfach Sachverwalter des Status Quo zu werden. Egal ob kurz-, mittel- oder langfristig angelegt, braucht man in der ÖH den Glauben daran, dass es die Utopien wert sind sich einzusetzen und, dass es bei großen Zielen lohnt, sich zu engagieren. Daran glauben wir. Möchtest auch du mit uns an einem besseren Studium und einer besseren Welt arbeiten? Dann schreib uns eine Mail an vorsitz@oeh-salzburg.at mit einer kurzen Beschreibung zu dir und was dich interessiert. Wir freuen uns!


„SOZIALE BEWEGUNG UND KOLLEKTIVER PROTEST“

RINGVORLESUNG IM WS 2018/19

Die Vorlesung ist bemüht, verschiedene Aspekte der Sozialen Bewegungsforschung abzudecken. Dieses Bemühen spiegelt sich auch in der Auswahl der einzelnen Vortragenden wider, die unterschiedliche (fachliche) Zugänge zur Thematik haben. Vertreten sind unter anderem Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften, Kommunikationswissenschaften, aber auch Beiträge von ZeitzeugInnen. Die Vorlesung thematisiert nicht nur aktuelle Soziale Bewegungen, sondern beginnt mit der spannenden Frage, inwiefern historische Widerstandsgruppen als Soziale Bewegung gelten können. Ziel ist nicht nur die Aneignung von Wissen über verschiedene ausgewählter Soziale Bewegungen, sondern auch ein kritisches Bewusstsein für das Entstehen und die Verläufe dieser speziellen Art der politischen Artikulation „von unten“. Mehr Info auf PLUSonline (https://bit.ly/2oVKCYe).

AB 08.10. JEDEN MONTAG 17:00 - 19:00 | UNIPARK RAUM E 1.003 / E.003 Anmeldung von externen Hörenden und BesucherInnen erwünscht: kontakt@hannahwahl.at


uni & leben

MÄCHTIG, UNDURCHSICHTIG, UNDEMOKRATISCH: DIE HEIMLICHEN CHEFS DER UNIVERSITÄT SALZBURG Die Rede ist nicht von Geheimlogen oder Freimaurern, sondern vom “Unirat”. Die Uniräte sind eines der Leitungsorgane der österreichischen Universitäten. Seit ihrer Einführung unter der ersten Schwarz-Blauen Regierung im Jahr 2002 stehen sie massiv in der Kritik. Seit Mai amtiert der neue Unirat der Uni Salzburg. Von Kay-Michael Dankl


UNI & LEBEN

Wirtschaft, Politik, Establishment Wessen Interessen vertreten die Uniräte? In der Theorie sollten die Uniräte die Interessen der Öffentlichkeit vertreten. Schließlich handelt es sich um öffentliche Universitäten, die auch aus öffentlicher Hand finanziert werden. Grundsätzlich kann das eine wichtige Funktion sein. Aber was sind die öffentlichen Interessen? Die Antwort hängt von den Leuten ab, die ausgewählt werden. Ein reicher Manager bringt viel-

leicht andere Vorstellungen mit, wie eine öffentliche Hochschule funktionieren sollte, als jemand aus dem Sozial-, Kultur- oder Bildungsbereich. Auch die Entscheidungskultur, die Sprache und die Kenntnis, wie eine Uni funktioniert, sind sehr unterschiedlich. Hinzu kommen handfeste Eigeninteressen: Beispielsweise können Rechtsantwält*innen, Kapitalbesitzer*innen oder Firmen-Chefs ein starkes eigenes Interesse daran haben, Universitäten so umzugestalten, dass es ihren Profitinteressen dient. Umso wichtiger ist die Frage, wer die Uniratsmitglieder bestimmen darf. Wer besetzt den Unirat? Uniräte werden nicht demokratisch gewählt. Die Hälfte der Mitglieder wird von der Bundesregierung ernannt, die andere Hälfte vom Senat der jeweiligen Uni nominiert. Ein zusätzliches Mitglied wird von den bereits Nominierten in ihrer ersten Sitzung kooptiert. Obwohl der Unirat extrem viel Macht in seinen Händen konzentriert, dürfen die Unterworfenen – die Studierenden und Bediensteten – nur indirekt und teilweise mit ihm reden: über den Senat der jeweiligen Universität.

© Scheinast

Mächtiges Organ im Schatten der Uni Der Unirat ist seit 2002 eines der mächtigsten Leitungsorgane an öffentlichen Universitäten. Er trifft weitreichende Entscheidungen über das Leben an der Uni. Der Unirat kann den Rektor oder die Rektorin ernennen und abberufen, über das Budget entscheiden, über den Entwicklungs- und den Organisationsplan beschließen und alles zu kontrollieren, was sich an der Uni abspielt. Uniräte sind für fünf Jahre im Amt, können nicht abgewählt werden. Der Unirat trifft sich im Geheimen und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Nach außen tritt er kaum in Erscheinung. Nur die wenigsten Uni-Angehörigen kennen die Uniräte.

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Diese Aufteilung ist im österreichischen Universitätsgesetz 2002 festgeschrieben. Einst galt die “Drittel-Parität”: Je ein Drittel der Sitze für Profs, Mittelbau und Studierende. Sie wurde 2002 von der ersten Schwarz-Blauen Regierung zerschlagen. Damals wurde die Uni-interne Demokratie – nach dem Rohentwurf einer “unternehmerischen Hochschule” – wie eine Firma umgebaut: Mit einem mächtigen Unirat, quasi als Aufsichtsrat, dem Rektorat als Management und einem schwer geschwächten Senat als Überbleibsel demokratischer Mitbestimmung. Empörung: Rechtsextreme Burschenschafter als Uniräte Die jüngsten Nominierungen der Regierung für die Uniräte 2018-2023 sorgten österreichweit für Furore. Im Februar durfte die neu angelobte Rechtsaußen-Regierung unter Kurz und Strache gleich 59 Unirät*innen ernennen. Darunter sind auf FPÖ-Tickets mehrere deutschnationale Burschenschafter: Für die Uni Graz wurde Alois Gruber nominiert, Autor in der rechtsextremen “Aula” und Mitglied der völkischen Burschenschaft Arminia Czernowitz, die mit den neofaschistischen “Identitären” und Antisemiten mit Neonazi-Kontakten in Verbindung steht. An der Uni Wien wurde mit Reinald Riedl der stellvertretende Vorsitzende der Burschenschaft “Libertas” ernannt, welche Teil des rechtsextremen “Wiener Korporationsrings” ist und 2009 den neonazistischen “Bund Freier Jugend” ausgezeichnet hat. Damit wurde ein dem Neonazismus nahestehender Burschenschafter Unirat der größten Universität im deutschsprachigen Raum. Die Liste schockierender Nominierungen ließe sich fortsetzen.

„UNIRÄTE WERDEN NICHT DEMOKRATISCH GEWÄHLT.“ Salzburg: Weichenstellung vor Rektors-Kür Bei den Regierungs-Nominierungen ist die Uni Salzburg vergleichsweise harmlos davongekommen. Die Bundesregierung nominierte auf ÖVP-Vorschlag Johannes Hörl (Generaldirektor der Großglockner-Hochalpenstraße AG), sowie Rechtsanwältin Elisabeth Rech und Jus-Professorin Brigitta Zöchling-Jud auf FPÖ-Tickets. Der Senat der Uni Salzburg


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hat Barbara Blaha (Programmleiterin beim Brandstätter Verlag, Aktivistin und ehemalige ÖH-Vorsitzende) ein zweites Mal, sowie Georg Lienbacher (Mitglied des Verfassungsgerichtshofs und Jus-Professor) und Helmut Schmidt (Präsident der Technischen Uni Kaiserslautern) nominiert. Als siebtes Mitglied wurde Wolfgang Anzengruber (Manager bei der Verbund AG) kooptiert.

© AP

„DER UNIRAT ALS INSTITUTION STEHT EINER DEMOKRATISCHEN UNI IM WEG.“ Klar ist: ÖVP und FPÖ nutzen die Nominierung von Uniräten, um ihre Interessen an den Hochschulen zu befördern. Das dürfte in Salzburg vor allem für eine schwerwiegende Entscheidung gelten, die unmittelbar bevorsteht: Nach 18 Jahren im Amt beendet Heinrich Schmidinger nächstes Jahr seine Tätigkeit als Rektor. Wer ihm nachfolgt, ist auch für die Parteien von Interesse. Der Unirat hat die Aufgabe, aus einem Dreier-Vorschlag des Senats eine Person als Rektor auszuwählen. Es ist anzunehmen, dass die von der Regierung nominierten Uniräte klare Vorstellungen oder gar Instruktionen haben, welche der teils bereits bekannten Kandidat*innen für das Rektorat zu unterstützen oder zu verhindern seien. Manche berichten schon jetzt von einem Kulturwandel im Unirat: Sitzungstermine würden nicht mehr mit dem Rektorat und dem Senat abgestimmt (die – wie auch die ÖH – ohne Stimmrecht teilnehmen dürfen), sondern werden vom Unirat diktiert. Während der Sitzungen müssen die Vertreter*innen des Rektorats, Senats und der ÖH oft den Raum verlassen, während sie bisher fast durchgehend an den Sitzungen teilnehmen durften. Es bleibt abzuwarten, ob es sich um Fußnoten der Gremienkultur oder um unipolitische Verschiebungen größeren Ausmaßes handelt. Fest steht: Der Unirat als Institution steht einer demokratischen Uni, die auf Mitbestimmung statt autoritären Management-Modellen beruht, im Weg. Die Kritik von 2002 – an der undemokratischen Zusammensetzung, dem Übergewicht privatwirtschaftlicher Interessen, der Nominierung von rechtsextremen Burschenschaftern – ist 16 Jahre später so aktuell wie eh und je.

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© Stadtarchiv Salzburg

fragt eure profs

ÖSTERREICHISCHE HOCHSCHULEN IM 20. JAHRHUNDERT


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1810 wurden die Tore der alten Universität Salzburgs geschlossen. Erst 150 Jahre nach ihrer Auflassung wurde die neue Universität Salzburg gegründet. Vor 1962 gab es Bestrebungen die Universität als katholische Hochschule wiederzueröffnen. Diese Bestrebungen wurden durch den Zweiten Weltkrieg nicht umgesetzt, Salzburg konnte erst 1962 eine staatliche Universität eröffnen. Die Universität Salzburg fungierte (ihrer schieren Nichtexistenz zu verdanken) nicht als Hochburg faschistischem und nationalsozialistischem Gedankengutes wie etwa die Uni Wien, die einmal die viertgrößte Universität der Welt war und in der Zeit des Nationalsozialismus zur „Provinzuni“ verkam: Aus „rassischen“ oder politischen Gründen wurden insgesamt 322 Wissenschaftler – 82 Professoren, 233 Dozenten und sieben Lektoren – entlassen.1 Carolina Forstner hat mit Prof. Dr. Embacher, der selbst titulierten „Vertreterin der Waldheim-Generation“, über eigene studentische Erfahrungen an der Universität Salzburg sowie Studierende und Lehrende während und nach des Zweiten Weltkrieges, gesprochen. uni:press: Im Vorwort des Buches „Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert“ schreibt der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer von seiner prägenden universitären Nachkriegserfahrung mit dem „Fall Borodajkewycz2“. Was hat ihre studentische Laufbahn in dieser Hinsicht geformt? Embacher: Für Borodajkewycz bin ich zu jung, aber ich bin eine typische Vertreterin der „Waldheim-Generation“. Ich habe 1979 mit meinem Studium begonnen, zuerst zwei Jahre in Salzburg und dann in Wien. Sehr spannend finde ich auch die Wandlung der Themen, die im Fachbereich Geschichte noch gelehrt wurden als ich mit dem Studium anfing. Die 68-er Generation, wie stark ausgeprägt diese auch immer waren, habe ich nur mehr in ihren Ausläufern erlebt. Bei mir an der Uni war das Thema Erster Weltkrieg damals sehr präsent und wichtig – interessant wie sich hier die Schwerpunkte und Forschungsperspektiven in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben. In meiner Diplomarbeit beschäftigte ich mich mit Familienmodellen im Ersten Weltkrieg – ein feministisches Thema – und als ich dann von Salzburg nach Wien kam, wurden ganz stark das „rote Wien“ und Arbeiterbewegungen während des Weltkrieges thematisiert. Mit der „Waldheim-Affäre“ kam erstmals jüdische Geschichte an die Universitäten, wurden aber dann erst von meiner Generation bearbeitet. Ich habe, als erste in Österreich ein Buch über jüdische Identität geschrieben. Meine Dissertation. Das war 1993. Spannend zum Thema Kurt Waldheim ist für mich auch, mit welchen Themen man sich nach der „Affäre“ beschäftigte – man ging nicht in der Täterforschung, sondern näherte sich dem Thema über die Opferperspektive. Ich glaube für uns war es einfach leichter sich mit den Opfern zu identifizieren als mit den Tätern, die ja zum Teil eigene Väter und Großväter waren. Täter-

forschung wird erst mit der Wehrmachtsausstellung in den 1990er Jahren stark forciert. Die Generation vor mir beschäftigte sich mit Sicherheit so stark mit dem Ersten Weltkrieg, weil der Zweite noch viel zu nah an der eigenen Lebensrealität hing. Doch ich kann auch mich nicht ganz aus dieser Verweigerung mit der Beschäftigung des Zweiten Weltkrieges ausschließen, schließlich habe ich selbst sehr lange an die „Opferthese“ geglaubt. Ich habe in einer Ausstellung mit einem amerikanischen Kollegen zusammengearbeitet und wir mussten Tafeln für die Ausstellung entwerfen. Bei einer Tafel mit dem Thema „Befreiung, Besatzung und zerstörte Gebäude wie etwa der Salzburger Dom“. Er schrieb den Text für die Tafeln und stellte das Ende des Zweiten Weltkrieges als Befreiung durch die amerikanischen Alliierten dar, eine Sichtweise mit der ich damals nicht umgehen konnte. Ich suchte an die Tafeln zu ändern, um so Empathie mit den Bombenopfern zu zeigen. Meine österreichischen ProjektkollegInnen und auch ich waren meiner Meinung, haben noch ganz stark diese Opferrolle mitgetragen. uni:press: Wie waren die Studierenden damals politisch eingestellt? Sie sprachen schon von der 68er Gneration, aber immerhin erreichte der RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) bei den ÖH-Wahlen 1953 noch stattliche 32,1 Prozent – Wie hat sich die Studierendenschaft verändert? Embacher: Als ich in Salzburg studiert habe, war der KSV (Kommunistischer StudentInnenverband) auf den Fachbereichen der Geschichte und Germanistik zentral. Ich habe dann mit ein paar Kollegen eine autonome Gruppierung gebildet. Wir wollten uns weder beim VSSTÖ (Verband sozialistischer Student_innen Österreichs) oder dem KSV engagieren und wurden somit selbst aktiv – mit mir waren noch viele Frauen in unserer autonomen Gruppe aktiv.

1 https://bit.ly/2QkovYa# 2 Taras Borodaykewycz war Professor an der Wiener Hochschule für Welthandel. Seine nationalsozialistische Vergangenheit konnte er „Minderbelasteter“ 1949 „abstreifen“ und konnte, aufgrund guter Kontakte zur ÖVP, einen Lehrstuhl an der Wirtschaftsgeschichte erhalten. Seine fortbestehenden Sympathien mit dem Nationalsozialismus, machten Borodaykewycz bald zum Liebling der rechten Studierendenschaft. Bei einer Demonstration stießen GegnerInnen aus Studierendenorganisationen, ehemaligen Widerstandskämpfern , sowie GewerkschafterInnen mit Studierenden des RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) zusammen. Ernst Kirchweger, ein ehemaliger Widerstandkämpfer wurde so stark verletzt von einem bereits verurteiltem Neonazi verletzt, dass er Tage später starb – als erstes Todesopfer einer politischen Gewalttat in der Zweiten Republik. Borodaykewycz wurde nach langem Widerstand 1971 bei vollen Bezügen zwangspensioniert.


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Illustration aus dem Lexikon Mein Österreich, mein Heimatland

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Davor, also vor dem Zweiten Weltkrieg, würde ich das „deutschnationale Lager“ durchaus vorkommend in der christlich-sozialen, austrofaschistischen Studierendenschaft sehen, auch eine Erkenntnis die erst in den letzten Jahren in der Forschung Einzug erhalten hat. uni:press: Warum waren die Universitäten ein „Sammellager“ für Deutschnationalisten? Embacher: Eine wichtige Frage, die sich auch schon vor dem 20. Jahrhundert an den ansteigenden antisemitischen Anfeindungen an Universitäten abzeichnet. Spannend finde ich auch, dass sich hier Wissenschaft und Irrationalität nicht ausschließt. Auf der einen Seite ein gewisser „Fortschritt“ im Deutschnationalem Lager zum Beispiel im Bezug auf die Rolle der Frauen, die oftmals emanzipierter auftraten und gleichzeitig übernimmt man dieses irrationale Element der sogenannten „Rassenkunde“. Um das zu erklären muss man sicher globaler denken und Krisen, Zäsuren und Umbrüche die eine Gesellschaft formen, miteinbeziehen. uni:press: Wie sah die Studierendenschaft während des Zweiten Weltkrieges aus?

Embacher: Ein stark ansteigender Frauenanteil war natürlich zu verzeichnen, da die Männer ja an der Front waren. Was aber auch sehr spannend ist, ist das die Kriterien für Männer heruntergeschraubt wurden – Kurt Waldheim schrieb eine 100-seitige Dissertation. Man passte die Anforderungen an den Krieg an. uni:press: Was kann man zu einer neu gegründeten Universität wie Salzburg im Bezug auf Besetzung und Kontinuität sagen? Embacher: : Alexander Pinwinkler hat diesen Aspekt im Buch ausführlich behandelt. Pinwinkler stellte fest: „dass es vor allem ‚Katholisch-Konservative“, aber auch ehemals im deutschnationalen bzw. nationalsozialistischem Lager Verankerte waren, die die Inauguration der Salzburger Universität maßgeblich mitgestalteten. […] Ob in diesem Zusammenhang indes tatsächlich von einem regelrechten ‚Netzwerk‘ gesprochen werden kann, […] ist aufgrund der vorgelegten Forschungen deutlich in Zweifel zu ziehen.“3 Natürlich hat man sich gekannt und man hat für die jeweils eigene „Gruppe“ interveniert, aber ich glaube, dass die Aufarbeitung mit dem Nationalsozialismus erst mit Waldheim 1986 beginnt. Es ist einfach sehr

3 Alexander PINWINKLER, Kontinuitäten du Brüche: Biografien, Netzwerke und Hochschulpolitik an der Universität Salzburg, in: Österreichische HochschülerInnenschaft, Hg., Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert, Austrofaschismus, Nationalsozialismus und die Folgen, 416.


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schwierig sich gemeinsames Leben nach zwei Diktaturen vorzustellen. Da ist es natürlich einfacher die Vergangenheit nicht offen zur Sprache zu bringen und nicht in Zusammenhang mit der Auswahl der zu Berufenden zu stellen – „eine Kultur des Vergessens und Verzeihens.“

Viele FreundInnen von mir, die heute als PsychologInnen tätig sind, können selbst heute Caruso schwer beurteilen – galt er doch fast schon als „Vaterfigur“, die Studierende in unterrichtsfreier Zeit auch therapeutisch betreute, er galt als liberaler Gegenpol zu den konservativen Professoren.

uni:press: Um auf ProfessorInnen zu sprechen zu kommen: Haben Sie diese „alte Garde“, die die Universität Salzburg mitbegründet hat, mit teilweise nationalsozialistischem Background, als Lehrende aktivmiterlebt?

Auch wenn es viele Studierende vielleicht nicht glauben konnten oder wollten, dass ihre ProfessorInnen auch eine Vergangenheit hatten und diese nur in den seltensten Fällen nicht vom Austrofaschismus oder Nationalsozialismus gestreift wurde. Außer man wurde, wie bereits anfangs erwähnt gleich aus dem Dienst entfernt, weil man nicht den „ideologischen Ansprüchen“ genügte. Österreichische Universitäten brauchten gesellschaftliche und hochschulpolitische Umbrüche und nicht zuletzt eine Loslösung von der Generation, die im und nach dem Zweiten Weltkrieg lehrten – oder wie im Falle Salzburgs eine Universität neu gründeten – um sich ideologisch öffnen zu können und einen kritischeren Zugang zur eigenen Geschichte zuzulassen.

Embacher: Nein, nicht wirklich. Indirekt habe ich aber sehr wohl den Skandal um den angesehenen Germanisten Hans Schneider bzw. Hans Schwerte miterlebt. Schneider/Schwerte war SS-Mitglied, der um der Entnazifizierung zu entgehen, nach dem Krieg als vermisst gemeldet wurde, seine eigene Frau noch einmal geheiratet, nur unter einem anderen Namen: Schwerter. Ich kann mich noch erinnern, dass er bei einer Tagung in den USA von einer Bibliothekarin erkannt wurde und somit als Hans Schneider „enttarnt wurde“. Nach außen hin warte Schneider ein liberales Auftreten und war mit seinen linken Kollegen wie etwa Hans Höller, gut befreundet, was den Schock noch größer machte. Ich habe als Zweitfach Psychologie und Philosophie auf Lehramt studiert und auch noch die Aufdeckung der Vergangenheit des Psychologen und Psychoanalytikers Igor Caruso miterlebt – einer der charismatischten Professoren, der in Salzburg seit der Wiederbegründung 1063 lehrte. Wir sind damals zu ihm hingepilgert, er galt als großer, fortschrittlicher Psychoanalytiker. Der letzte auch – nach ihm ist die Psychoanalyse von den österreichischen Universitäten verschwunden. Caruso hatte seine Karriere 1942 am „Spiegelgrund“ in Wien begonnen. Während seiner Zeit am „Spiegelgrund“ verfasste Caruso mehr als 100 Gutachten, mindestens 14 davon hatten den Tod von PatientInnen zur Folge. Carusos Äußerungen über seine Arbeit am „Spiegelgrund“ waren meist sehr nebulös. Einerseits behauptete er die „Geheimnisse des Dritten Reiches“ schnell durchschaut zu haben, andererseits betonte er niemals in diese Verbrechen eingeweiht worden zu sein.4

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4 Ute PALMETSHOFER, Der Psychologe und Psychoanalytiker Igor A. Caruso, in: Österreichische HochschülerInnenschaft, Hg., Österreichische Hochschulen im 20. Jahrhundert, Austrofaschismus, Nationalsozialismus und die Folgen, 445-446.


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I DON’T CARE WHO YOU ARE, WHERE YOU’RE FROM, WHAT YOU DID, AS LONG AS YOU’RE FAMOUS...

Ehrendoktorat für Judenhasser? Rektor Schmidinger hat am heurigen Tag der Universität (6. Juni 2018) dem griechischen Komponisten Mikis Theodorakis für seine “herausragenden künstlerischen und politischen Leistungen” die Ehrendoktorwürde der Uni Salzburg verliehen. Dass es sich bei Theodorakis um einen eher zweifelhaften Charakter handelt, dürfte der Universitätsleitung entgangen sein. Ein Kommentar von Christoph Würflinger

Christoph Würflinger studiert Geschichte und ist seit 2012 in verschiedenen Funktionen als Studierendenvertreter aktiv.


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ine Ehrung der Universität Salzburg kann man auf verschiedene Arten erlangen: Entweder man macht es wie Wolfgang Porsche und kauft sich um ein paar hunderttausend Euro (“Spende”) den Titel “Ehrensenator” oder man wird wegen außergewöhnlicher Leistungen von Mitgliedern der Universität für auszeichnungswürdig befunden. Auf Mikis Theodorakis trifft letzteres zu. Auf Vorschlag der Fachbereiche Erziehungswissenschaft, Kunst-, Musik- und Tanzwissenschaft und Politikwissenschaft und Soziologie wurde der 93-jährige Grieche für seine “herausragenden künstlerischen und politischen Leistungen entlang der Verbindungs- und Kooperationslinien ‘Zeitlose Musik und transnationaler Widerstand – Kampf für die Menschenrechte – Politische Bildung’“ ausgezeichnet.

„GEWALTTÄTIG, FANATISCH UND DIE WURZEL DES ÜBELS.“ Sein Lebenslauf klingt eigentlich vielversprechend: Widerstandskämpfer gegen die Nazis und den griechischen Faschismus, begnadeter Komponist, stets im Einsatz für den Frieden, kurz: ein Mann, den man durchaus ehren kann – wären da nicht einige zweifelhafte Aussagen, die er vor nicht allzu langer Zeit getätigt hat. Ausgerechnet der Komponist der Mauthausen-Kantate behauptete von sich selbst, Antisemit zu sein.1 Die Juden seien gewalttätig, fanatisch und die Wurzel des Übels.2 Alles, was in der Welt passiert, habe mit “den Zionisten” zu tun. Sie kontrollieren Banken und Medien3; die “amerikanischen Juden” stünden zudem hinter der Welt-

wirtschaftskrise.4 Den Staat Israel verglich er mit Nazi-Deutschland.5 Später hat er sich von diesen 2003 und 2011 getätigten Aussagen (halbherzig) distanziert – sie seien ein Fehler gewesen, der ihm aufgrund eines sehr langen und ermüdenden Interviews unterlaufen seien.

„WAS HAT SICH DER REKTOR DABEI GEDACHT?“ Nun kennen wir solche Relativierungen und ihren Wert ja von einer gewissen Partei in Österreich bereits recht gut. Man kann diese Aussagen womöglich auch als Ausrutscher eines verwirrten alten Mannes – er ist immerhin schon 93! – sehen und ihm seinen spontanen Sinneswandel abkaufen. Für jemanden, der für seinen “grenzüberschreitende[n] Einsatz für Freiheit und Frieden” mit dem Ehrendoktorat der Uni Salzburg ausgezeichnet wird, sollten aber eigentlich andere Maßstäbe gelten; er sollte erst gar keine antisemitischen Aussagen tätigen, von denen er sich später distanzieren muss. Was hat sich der Rektor dabei gedacht, diesen Menschen auszuzeichnen? Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde ein Historiker damit beauftragt, die Ehrungen der Uni Salzburg gründlich zu untersuchen. Das Ergebnis: Die Ehrentitel mehrerer Nazis wurden widerrufen. Und jetzt, wenige Jahre später, ehrt man einen Antisemiten, der in den Juden “die Wurzel des Übels” sieht. Es scheint, als wolle eine weitsichtige Universitätsleitung zukünftige Generationen von HistorikerInnen mit Arbeit versorgen. Auf solche Maßnahmen kann allerdings gut verzichtet werden – es gibt auch so schon genug zu tun!

1 https://www.jta. org/2011/02/09/news-opinion/world/zorba-composer-declares-himself-an-anti-semite 2 https://diepresse.com/ home/politik/innenpolitik/661305/Antisemitismus_ Kontroverse-um-Theodorakis-in-Wien 3 https://www.haaretz. com/1.4833215 4 https://www.jpost.com/ Jewish-World/Jewish-News/ Zorba-the-Greek-composer-Im-anti-Semitic-208291 5 http://www.worldjewishcongress.org/en/news/ greek-music-icon-theodorakis-in-new-anti-semitic-outburst

Du willst auch jemanden ehren? Kein Problem. Wir haben genau das Richtige für dich: Den Uni-Ehrenring zum Ausschneiden!

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Johann Gudenus für seine unermüdlichen Integrationsbemühungen. Andreas Gabalier für seinen Beitrag zur Gleichstellung der Frauen. Dietrich Mateschitz für seinen Kampf gegen das linke Meinungsdiktat. Andreas Laun für seine Bemühungen um eine zeitgemäße Familienplanung. Sebastian Kurz für die Schließung diverser Routen.

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Herbert Kickl für seine Verdienste um den Reitsport. Eva Glawischnig für ihre Prinzipientreue. Karin Kneissl für ihren Beitrag zur Völkerverständigung. Harald Vilimsky für seinen selbstlosen Einsatz für die Forschung auf dem Gebiet der Elektrotechnik. Karl-Heinz Grasser für seine fesche Frisur. Jörg Haider für seine Erfolge im Motorsport.

Ausschneiden und an der schraffierten Fläche zusammenkleben.

Du bist dir nicht sicher, wen du auszeichnen sollst? Verzage nicht! Wir haben eine Liste würdiger KandidatInnen erarbeitet:


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WEIL HEINRICH SCHMIDINGER NICHT MEHR WEITERMACHEN WILL, STELLEN SICH VIELE UNIVERSITÄTSANGEHÖRIGE DIE FRAGE:

Foto Schmidinger: © Universität Salzburg/gap

WER WIRD NEUE/R REKTOR/IN DER UNI SALZBURG?

A

ls RektorIn hat man viele Aufgaben: Leistungsvereinbarungen mit dem Wissenschaftsministerium verhandeln, neue ProfessorInnen an die Uni holen, Arbeitsverträge abschließen, die Uni nach außen repräsentieren und vieles mehr. Wer an der Spitze der Universität steht, hat auch ziemlich viel Macht. Bestimmt wird der/die RektorIn auf vier Jahre durch zwei Institutionen, die in Sachen Demokratie ziemlich schlecht dastehen: der 26-köpfige Uni-Senat (schlägt vor) und der 7-köpfige Universitätsrat (bestimmt). Die rund 20.000 Studierenden und Uni-Bediensteten können praktisch nicht mitentscheiden.

Um bei der Frage, wer ab 2019 RektorIn der Uni Salzburg sein wird, wenigstens den Schein der Demokratie zu wahren, wird es (universitäts-)öffentliche Hearings geben. Dort müssen die KandidatInnen Rede und Antwort stehen. Diese Hearings sind von 19. bis 23. November geplant – die genauen Termine werden erst bekannt gegeben. Geht hin und stellt kritische Fragen – vielleicht enttarnen sich untragbare KandidatInnen so selbst!


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by Unirat und Senat

WEN WÜRDEST DU WÄHLEN?

Karl-Heinz

, 47

Rabiater StudiengebührenBefürworter

Findet Gratis-Praktika und 60-Stunden-Woche geil

Albrecht •

Glaubt nicht an sexuelle Übergriffe

“Burn-Out ist eine individuelle Entscheidung” •

“Der Drittmittelgeber hat immer Recht”

Lehnt Studiengebühren, weniger Prüfungsantritte und Zugangshürden ab

Will mit Studierenden und Lehrenden für höhere Uni-Budgets kämpfen •

“Studentische Mitbestimmung wird überbewertet.” •

, 43

Mag Aufnahmeprüfungen

Regt einen Nestlé-Hörsaal für die Uni Salzburg an “Studierende sind Kunden”

Eva

• •

, 61

Will keinen Pöbel an seiner Uni

• •

-von-

“Wer mit Kind studiert, ist selbst schuld.”

• Hat ein Portrait von Bischof Paris Lodron über dem Bett hängen

Findet, alle Lehrenden sind gleichwertig “Studieren darf nicht am Geld scheitern”

• “Die Uni ist ein Ort des kritischen Denkens, wo Herrschaft hinterfragt wird”


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DENI Die Aufnahme am Handy lief eine Weile und ich und mein Gesprächspartner, den ich schon als guten Bekannten öfter getroffen hatte, überlegten wie wir ihn nun in diesem hochoffiziellen Rahmen, einem uni:press Interview, nennen sollten. Ein Interview von Carolina Forstner


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„Dritter Stock, auch wenn zweiter angschrieben ist!“, höre ich eine Stimme aus dem Stiegenhaus mir entgegenrufen. Als ich dann im besagten dritten Stock angelangt war, stand Deni schon in der Wohnungstür und begrüßte mich und bot mir gleich was zu trinken an. Als wir dann auf seiner Matratzen-Polster-Sofa-Konstruktion Platz genommen hatten, ich ihm versicherte, dass es mich nicht störte, wenn er neben mir rauchte und mein Handy zückte um meine Aufnahmeapp zu starten, sagte Deni zu mir: „Ich muss zugeben nervös bin ich ja irgendwie schon.“

„FÜR MICH IST DEPRESSION NICHT MIT TRAURIGKEIT VERBUNDEN ICH MAG TRAURIGKEIT. DEPRESSION IST FÜR MICH EIN AUSDRUCK VON APATHIE, DIE ABWESENHEIT VON GEFÜHLEN, VON LEERE.“

N

achdem wir ein paar Namen ausgeschlossen hatten – das Rapper-Alter-Ego klang zu trivial und der selbstgewählte Phantasiename –„zusammengesetzt aus dem schönsten und hässlichsten Vor –und Nachnamen - die er sich vorstellen könne“, auch irgendwie nicht richtig in unseren Ohren. Man muss, um zu begreifen warum wir uns Gedanken um die Namensänderung machten, verstehen, dass es sich im folgendem Interview um Ausschnitte aus Denis‘ (darauf haben wir uns nun geeinigt) persönlicher Lebens-und oftmals- Leidensgeschichte handelt und er sie zwar gern und offen mit den LeserInnen teilt, seine Anonymität aber natürlich wahren will.

Er beginnt chronologisch seine Studentenlaufbahn aufzudröseln, datiert zurück auf das Jahr 2005, als er „als klassischer NC-Flüchtling“, sein Psychologie Studium in Salzburg begann. „Nach vier Semestern merkte ich, dass mir die Psychologie in Salzburg zu naturwissenschaftlich ist und überlegte die Stadt zu wechseln, blieb aber dann, auch weil ich in Salzburg mit meiner Freundin wohnte, hier und wechselte an die Soziologie und konnte mir viel aus meinem Psychologie Studium für den Bachelor in Soziologie anrechnen.“ Mit Ehrgeiz startete Deni das neue Studium, war motiviert und interessiert, ein „Vorzeigestudent“(auch wenn er betont, dass er schon immer ein bisschen exzentrisch war) „2010/2011 war der Punkt erreicht wo es nur noch bergab ging. Zum Glück hatte ich da schon den Bachelor in der Tasche, bevor ich zusammenbrach. Ich habe zwar noch einige Lehrveranstaltungen im Master besucht, aber irgendwann konnte ich einfach nicht mehr.“ Deni ist Schizoaffektiv. „Eine Mischung aus bipolar, oder Oldschool gesagt – manisch-depressiv, also Depressionen und manische Hochphasen verbunden mit psychotischen Symptomen.“ (18:46 – vielleicht Stimmen noch einbauen) Anzeichen seiner psychischen Erkrankung, in Verbindung mit extremen Schlafstörungen kann Deni heute retrospektiv bis in seine Kindheit zurückdatieren. „Bis in meine 20er hab ich meine Probleme mit mir rumgeschleppt. Ich habe mich geschämt und habe es kaum jemandem erzählt, meine Freundin hat‘s natürlich mitbekommen. Wir haben vor kurzem über diese Zeit gesprochen und sie meinte, dass es auch für sie eine wahnsinnige schwere Zeit war, weil sie einfach nicht

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wusste wie sie mir helfen sollte.“ Dass es ihm so schlecht ging zeichnete ich natürlich auch im Studium ab. „Meine Noten verschlechterten sich und ich wurde immer langsamer und sank von Semester zu Semester weiter ab.“ Die Uni wurde für Deni zu einem mit so viel Belastung aufgeladenen Ort, dass er immer öfter fehlte, oder es schlichtweg nicht außer Haus schaffte. Wenn Deni sich dann doch überwinden konnte und Lehrveranstaltungen besuchte, konnte er, durch die psychotische Komponente seiner Krankheit, mit der schieren Reizüberflutung eines Raums voller Studierender nur schwer umgehen. „Ich begann zu halluzinieren oder hatte Wahnvorstellungen.“ Deni betont immer wieder im Gespräch, dass er diese beiden Begriffe für ihn persönlich nicht negativ konnotiert sind. „Psychotische Symptome habe ich immer schon als eher bereichernd erlebt. Manie ist Hammer, Psychosen sind Hammer, Depressionen sind grauenhaft. Inmitten einer Lehrveranstaltung sind psychotische Symptome natürlich belastend, weil man dadurch dem Unterricht fast gar nicht mehr folgen kann. Die Depression wiederrum hat es mir dann überhaupt fast unmöglich gemacht das Haus zu verlassen. Für mich ist Depression nicht mit Traurigkeit verbunden, ich mag Traurigkeit. Depression ist für mich ein Ausdruck von Apathie, die Abwesenheit von Gefühlen, von Leere. In der Uni fühlte ich mich in depressiven Phasen eingesperrt und einfach nur schwach, aber trotzdem konstant angespannt.“ ProfessorInnen merkten von seiner Krankheit, nichts, sagt Deni. „Wenn dann konnte man sich aus meinen vielen Fehlstunden zusammenreimen, dass es mir nicht gut ging.“ Erst 2013 beschließt er, dass es so nicht mehr weitergehen kann, fühlt sich hilflos und allein und weiß nicht an wen er sich wenden kann. Seine Hilfeschreie wurden

auch oft einfach schlichtweg nicht gehört. „An einem Punkt als ich nicht mehr vor und zurück wusste, ging ich in die Ambulanz der Christian-Doppler-Klinik und meinte, dass ich so nicht mehr leben könne, dass ich mich gerne umbringen würde, aber nicht einmal dass schaffen würde. Zuerst hatte ich das Gefühl ernstgenommen zu werden und schöpfte Hoffnung, doch bei einem zweiten Besuch schien sich alles um 180 Grad gedreht zu haben, man nahm sich keine Zeit für mich und fertigte mich mit einem Tablettenrezept ab.“

„MANIE IST HAMMER, PSYCHOSEN SIND HAMMER, DEPRESSIONEN SIND GRAUENHAFT.“ Für Deni war diese Zurückweisung ein einschneidendes Erlebnis: „Ich ließ meine Mauern fallen und legte den Stolz beiseite und wurde allein zurückgelassen.“ Nach diesem Ereignis war er für kurze Zeit mutlos, konnte aber dann doch die Empfehlung eines Freundes doch den Weg zu einem Psychiater finden. Ein erster wichtiger Schritt in eine „stabilere Zukunft.“ Was neben der Behandlung für Deni jetzt im Nachhinein betrachtet einer der wichtigsten Punkte für seine Stabilisierung und Besserung war, war die Offenheit mit der er nun mit seiner Familie und seinen Freunden reden konnte. „Ich konnte nun auch in der Öffentlichkeit offen reden ohne mich zu schämen.“ Wann er so wirklich aufhörte zu studieren weiß Deni eigentlich gar nicht mehr so genau. Der Anwesenheitsdruck in Lehrveranstaltungen und die von ihm selbst


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auferlegten Ambitionen, der eigene Leistungsdruck in Lehrveranstaltungen zu brillieren und etwas „Kluges“ beizutragen und dann die Ernüchterung dass es einfach gerade nicht geht, man keinen Gedanken zu Ende formen kann, man zu schwach ist sich zu melden, ließen Deni verzweifeln und dann auch letztendlich sein Masterstudium auf Eis legen. „Dieser illusorische Freiheitsbegriff, dass einem ja alle Türen offen stehen, baute während des Studiums großen Druck auf mich aus. Der „Luxus“ sich treiben lassen zu können ist wunderschön, aber gleichzeitig, jedenfalls empfinde ich es so, wirklich schrecklich und belastend.“ Die immer weiter vorangehende Verschulung der Universitäten produziert vielleicht schneller Abschlüsse, macht aber viele krank: 45 Prozent der Studierenden gaben bei der Studierendensozialerhebung 2011 an, durch psychische Beschwerden im Studium schwerer voranzukommen. Leistungsdruck, Versagensangst, finanzielle Sorgen und Prüfungsangst belasten Studierende. Nicht alle sind psychisch krank, nicht jeder braucht Behandlung - die Grenzen sind schwer zu ziehen.

„WIRKLICHE STÄRKE IST ZUZUGEBEN, DASS MAN HILFE BRAUCHT UND DIESE DANN AUCH ZULÄSST.“ Auch die Lücken im Lebenslauf üben gerade bei offiziellen Terminen wie etwa Bewerbungsgesprächen Druck aus: „Es kostet sehr viel Überwindung sich zu erklären und sich zu öffnen.“ Irgendwann kamen andere Dinge in Denis Leben die ihm Struktur gaben und geben – ein fixer

Job zum Beispiel. Deni arbeitet seit einiger Zeit als Dachdecker. „Ich habe gelernt zu erkennen, wenn es beginnt mir schlechter zu gehen und kann dadurch besser entgegensteuern. Ich nehme Tabletten, diese sind natürlich kein Zaubermittel, federn das Ganze aber ab und bringen meinen Zustand auf eine Basis die erträglich ist.“ „Vielleicht irgendwann wieder studieren“, meint Deni als es in seiner Wohnung schon ziemlich finster ist und wir uns eigentlich schon nicht mehr richtig sehen, aber zu vertieft ins Gespräch sind um jetzt Licht zu machen. Denis Studentenzeit ist bis heute mit einem gewissen negativen Beigeschmack behaftet, sind doch Erinnerungen an die Uni oftmals mit dunklen, verzweifelten und hilflosen Kapiteln in seinem Leben verknüpft. Bei der Frage, was er Studierenden raten würde, die unter psychischen Problemen leiden und oftmals unter „dem Stigma der psychischen Krankheit“, überlegt Deni kurz und um dann zu antworten: „Es mag viel Kraft kosten Schwäche zu zeigen und zuzugeben, dass man so wie es jetzt ist nicht mehr weiter kann. Doch dieses Eingeständnis ist eine gewisse Art von Kraft, die wesentlich die Illusion von Stärke, von Stolz, übertrifft. Stolz ist eine eingebildete Stärke die hohl und leer ist und alles nur noch schlimmer macht. Wirkliche Stärke ist zuzugeben dass man Hilfe braucht und diese dann auch zulässt.“ Knappe zwei Stunden sitzen Deni und ich in seiner Wohnung. Als ich ihn zum Abschied umarme und die Tür hinter mir zuziehe, laufe ich beschwingt die drei Stockwerke runter und denke so bei mir was ich doch für starke und mutige FreundInnen habe und dieser Gedanke macht mich wiederrum ein bisschen stolz. Stolz auf ebenjene Stärke und Mut, Probleme anzugehen, vermeintliche Schwäche zu zeigen und offen darüber zu sprechen.

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Auch in schweren Zeiten ist man nicht allein, es gibt Hilfe! Und diese anzunehmen ist keine Schande, sondern ein erster wichtiger Schritt in bessere Zukunft! Psychologische Studierendenberatung Salzburg: Mirabellplatz 9/1 5020 Salzburg Öffnungszeiten: MO - FR 09:00 - 12:00 (außer MI) Tel.:0662 / 8044-6500. E-Mail: psb.sbg@sbg.ac.at Die Beratungsstellen können kostenlos, vertraulich und anonym in Anspruch genommen werden und sind barrierefrei erreichbar. Infostelle für Psychotherapie - SLP Wolf-Dietrich-Straße 13, 5020 Salzburg Tel.: 0662/823825 www.psychotherapie.at Krisenintervention Südtirolerplatz 11/1.Stock, 5020 Salzburg Tel.: 0662/433351 Frauenhilfe Salzburg Franziskanergasse 5a, 5020 Salzburg Tel.: 0662/840900 www.frauenhilfe-salzburg.at Um nur einige Adressen zu nennen. Nähere Informationen findest du auch online unter: www.studierendenberatung.at


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g n u r e i il n p i z s i D Bisher lag der Fokus der Kritik an der schwarz-blauen Bildungspolitik auf dem Ausschluss finanziell Schwacher. Sieht man genauer hin, entpuppt sich das allerdings nur als Nebeneffekt eines größeren Plans. Von Christoph Würflinger

S

chon jetzt müssen viele von uns Studiengebühren zahlen. Die schwarz-blaue Regierung will darüber hinaus Studiengebühren von bis zu 1.000 Euro im Jahr für alle einführen – nicht sofort, aber doch in absehbarer Zeit. Als das letzte Mal Studiengebühren eingeführt wurden, mussten 45.000 Menschen in Österreich ihr Studium abbrechen. Außerdem plant die Regierung weitere Maßnahmen, um uns durch ein “zügigeres Studium” zu treiben und die “Ernsthaftigkeit” zu erhöhen: Einschränkungen, wie lang man studieren darf, weniger Prüfungsantritte, Beschränkungen wie

viele Studien man studieren darf und Vorgaben wie viele ECTS man im ersten Semester schaffen muss. All diese Maßnahmen sorgen bei denen, die dadurch zum Abbruch des Studiums gezwungen sind, für ein Maximum an Stress. Das Studium ist im neoliberalen Verständnis der Regierung eine möglichst kurze Vorbereitungszeit für den Arbeitsmarkt. Wer nicht möglichst schnell und brav studiert, hat später keine Chance. Das Studium an sich soll den Wünschen der zukünftigen Firmenchefs unterworfen werden. Nicht zufällig wurden die Studienpläne bei der Einführung des Bachelor-/Mas-


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ter-Modells derart vollgestopft, dass für individuelle Interessen und den Blick über den Tellerrand kaum Platz bleibt. Was der Wirtschaft nichts bringt, wird einfach weggelassen. Nach drei Jahren in der Bildungsfabrik sollen wir als abgehärtete Arbeitsroboter für Gratis-Praktika, 12-Stunden-Tage und 60-Stunden-Wochen bereitstehen.

„BEGLEITET VON UNSICHERHEIT, DRUCK UND KONKURRENZ SOLLEN WIR ECTS-PUNKTEN NACHHECHELN UND UNHINTERFRAGT POWERPOINT-FOLIEN IN UNS HINEINSTOPFEN.“ Auf dem Weg dorthin werden wir Studierende bereits an die Ellbogengesellschaft gewöhnt. Durch die Beschränkung der Studienplatz-Kapazitäten und die Einführung von Knock-Out-Prüfungen bereits vor dem Studium (im beschönigenden Polit-Sprech “Studienplatzfinanzierung” genannt) kommt es zu einem gnadenlosen Kampf um die Chance, studieren zu können. Schon im Bachelor heißt es: Jeder gegen jeden. Begleitet von Unsicherheit, Druck und Konkurrenz sollen wir ECTS-Punkten nachhecheln und unhinterfragt Powerpoint-Folien in uns hineinstopfen. Mit echter Bildung, die ihre Zeit braucht, hat das nur mehr wenig zu tun. Gemeinschaftliches Lernen, persönliche und charakterliche Weiterentwicklung und kritisches Denken bleiben auf der Strecke. Diese Entwicklung ist kein Zufall und auch kein Alleinstellungsmerkmal der Universitäten. Die ganze Gesellschaft wird nach diesem Modell umgebaut. Ein Vorbild ist Deutschland: Indem man den Sozialstaat mit Kürzungen aushöhlt (Stichwort Hartz IV), zwingt man die Menschen, Lohnsenkungen hinzunehmen und jeden noch so beschissenen Drecksjob anzunehmen, nur um nicht weiter vom Amt gedemütigt und schikaniert zu werden. Ziel ist es, wie in Deutschland die Löhne zu senken, um Investoren möglichst profitable Bedingungen anzubieten – im Gegensatz zu anderen Niedriglohnländern mit hoch entwickelter Wirtschaft, qualifizierten Arbeitskräften und politischer Stabilität. Dieses System kann aber nur dann funktionieren, wenn Arbeitslose zur Abschreckung unter unzumutbaren Bedingungen leben müssen.

Die ersten Schritte in diese Richtung wurden bereits getan. Ziel sind der Regierungspropaganda zufolge Flüchtlinge und AusländerInnen; treffen wird es aber alle, die in einer beinharten Konkurrenz-Gesellschaft auf Hilfe angewiesen sind. Wenn die Sozialministerin sagt, man könne mit 150 Euro monatlich auskommen, dann ist das natürlich haarsträubender Unsinn und das ist ihr auch bewusst. Sie hat damit aber erreicht, dass öffentlich diskutiert wird, was das absolute Minimum ist, das ein Mensch in Österreich zum Überleben benötigt – im Gespräch sind dann vergleichsweise großzügige Summen von 300, 400, 500 Euro. Kleiner Hinweis: Wer in Österreich weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens (1.238 Euro monatlich) bekommt, gilt als armutsgefährdet. Wir reden also darüber, wieviel ein Mensch braucht, um gerade nicht zu verhungern. Sollten wir nicht darüber reden, wie das Problem der extremen Vermögens-Konzentration in den Händen weniger gelöst werden und es allen Menschen so gut wie möglich gehen kann? Arbeitslosigkeit soll so unattraktiv wie möglich gemacht werden, damit viele verzweifelte und anspruchslose ArbeiterInnen zur Verfügung stehen, die sich von Arbeitgebern alles gefallen lassen müssen. Es reicht dabei nicht, dass man wenig Geld bekommt – es braucht auch den absoluten Verlust jeder Würde von Arbeitslosen. Nicht umsonst schicken deutsche “Jobcenter” Privatdetektive aus, um vermeintlich ungerechtfertigte Zahlungen zu entdecken und Bedürftigen so auch noch den letzten Cent zu rauben.

„WENN DIE SOZIALMINISTERIN SAGT, MAN KÖNNE MIT 150 EURO MONATLICH AUSKOMMEN, DANN IST DAS NATÜRLICH HAARSTRÄUBENDER UNSINN.“ Mit dieser Disziplinierung der Gesellschaft versucht die Regierung, ihre reichen Geldgeber und Partei-Spender aus der Wirtschaft zu bedienen. Sie tastet sich Schritt für Schritt vor und lotet aus, wie weit sie gehen kann, ohne einen Aufstand zu riskieren. ArbeiterInnen sollen wie in Zeiten der Industriellen Revolution für ein Butterbrot am Tag schuften, damit sich die oberen Zehntausend den zehnten Sportwagen, die fünfte Villa oder die dritte Jacht kaufen können. Retten kann uns nur eine radikale Abkehr von diesem Turbokapitalismus und die Einführung eines Systems, in dem das Wohl aller an erster Stelle steht.

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DIE PYRAMIDE DES UNIVERSITÄTSSYSTEMS

3. Wir kontrollieren.

2. Wir regieren.

1. Das Kapital.


6. Wir studieren.

Wir arbeiten.

5. Wir dozieren.

4. Wir managen.


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UNI & LEBEN

DIE PYRAMIDE DES UNIVERSITÄTSSYSTEMS 1. Das Kapital. Profite, Stress und Konkurrenz: Die Unis werden immer mehr den Profitinteressen von Unternehmen untergeordnet. Studierende werden durch das Studium gehetzt und sollen nur lernen, was der Chef von morgen verlangt. Alles und jeder soll messbar gemacht werden, damit Studierende, Lehrende und Forschende in brutale Konkurrenz gesetzt werden: Jeder gegen jeden. Denn: „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s der Uni gut.“ 2. Wir regieren. Mit der Budget-Hoheit als Peitsche und Zuckerbrot halten Kanzler Kurz, Vize Strache und Minister Fassmann sich die Unis an kurzer Leine. Diese müssen neben Geld-Krümel auch den neoliberalen Umbau mittragen und deutschnationale Burschenschafter in den Uniräten schlucken. Denn die Regierung nominiert die Hälfte der Uniratsmitglieder, welche die Geschicke an den Unis maßgeblich lenken. 3. Wir kassieren. Ein mächtiges Leitungsorgan hinter verschlossenen Türen: Der Unirat hat die Macht, den Rektor (selten: die Rektorin) ein- und absetzen, über das Uni-Budget zu entscheiden, den Entwicklungs- und Organisationplan zu beschließen und alles zu kontrollieren, was sich an der Uni abspielt. Die Mitglieder werden nicht demokratisch gewählt, sondern zur je Hälfte von der Regierung und vom Uni-Senat nominiert. Sie sind fünf Jahre im Amt, arbeiten im Geheimen und sind niemandem Rechenschaft schuldig. 4. Wir kontrollieren. Das Rektorat ist in der heutigen Uni eine Art Management. Es umfasst eine*r Rektor*in und aktuell vier Vizerektor*innen, die streng nach einem Fakultäts-, Geschlechter, Kurien- und teils Parteien-Proporz eingesetzt werden. Das Rektorat vertritt die Uni nach außen, verteilt Gelder, Personal und Räume und leitet die Verwaltung, vom Rechnungswesen bis zur Uni-Bibliothek. Konflikte werden mit Moderation, Lächeln und Druck bearbeitet. Bei Wohlwollen des Unirats winken saftige Boni.

5. Wir dozieren. „Professor*innen“ im eigentlichen Sinn sind nur jene Lehrenden, die einen „Lehrstuhl“ innehaben. Das sind ca. 130 der über 1.800 wissenschaftlichen Bediensteten der Uni Salzburg. Nur ein Viertel sind Frauen. Die Profs sind enorm privilegiert: Sie besetzen in Uni-Gremien unverschämt viele Sitze, haben Sonderstellungen bei Einkommen und Arbeitsrecht, herrschen über die Bediensteten rund um ihren Lehrstuhl und dürfen alleine Fachbereichsleiter*innen und Dekan*innen nominieren. Sie feiern sich als die Créme de la Créme der Uni. 6. Wir studieren. Wir arbeiten. Zehntausende Studierende, Lehrende, Forschende und andere Angestellte gießen täglich ihre Arbeitskraft in die Uni-Maschinerie. Sie streben nach Bildung, Einkommen, Anerkennung und Lebenschancen. Studierende ringen mit wachsenden Leistungsdruck, Nebenjobs, Studiengebühren, hohen Lebenshaltungskosten, Betreuungspflichten und verschulten Studienplänen. Viele der 1.700 Lehrenden des „Mittelbaus“ hanteln sich von Projekt zu Projekt und hackeln bis zum Umfallen um die Masse der Lehre zu bewältigen. Hunderte nicht-wissenschaftliche Angestellte halten z.B. in Sekretariaten, Bibliotheken oder in der Reinigung die Uni am Laufen – selten gedankt und ohne je von Rektor oder Minister ausgezeichnet zu werden. Die Karikatur „Pyramid of the Capitalist System“ wurde 1911 in der amerikanischen Zeitung „Industrial Worker“ veröffentlicht und zeigt die ökonomische Ungleichheit der sozialen Klassen in Form einer Pyramide. An der Spitze befindet sich das Kapital, darunter die herrschende Klasse, die mithilfe von Klerus und Militär die arbeitenden Massen unterdrückt. Dazwischen ist die Bourgeoisie abgebildet, die auf Kosten des Volkes gut lebt.


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WER HAT UNS VERRATEN? GETRÄNKEAUTOMATEN! Seit einigen Monaten häufen sich die Beschwerden: Regelmäßig schlucken die an der Uni aufgestellten Getränkeautomaten Kleingeld, regelmäßig rücken sie kein Wechselgeld heraus. Was im Einzelfall nur ärgerlich ist und bald wieder vergessen wird, sorgt dafür, dass Monat für Monat vermutlich zwei- bis dreistellige Eurobeträge versickern. Doch wer kassiert bei diesem Kleingeldklau? Betrieben werden die Automaten von der Mensen Betriebsgesellschaft, die eigenen Aussagen zufolge am Standort Salzburg tief im Minus steckt. Will sich die Mensa etwa durch solche miesen Tricks in die schwarzen Zahlen schummeln?


politik & gesellschaft

POLITIK & GESELLSCHAFT

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DAS WAR DOCH DER GIPFEL!

Bunt, laut, kritisch: Als im September die 28 EU-Staats- und Regierungschefs in Salzburg antanzten, um vor idyllischer Kulisse über ihre Politik der Abschottung und des Sozialabbaus zu verhandeln, organisierte ein breites Salzburger Bündnis einen Alternativ-Gipfel. Ein vorausschauender Rückblick von Kay-Michael Dankl


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iele Themen, die den Menschen unter den Fingern brennen, waren beim EU-Gipfel nicht einmal Thema: horrende Wohnkosten, steigender Druck in der Arbeit, 12-Stunden-Tag, Angriffe auf soziale Errungenschaften wie die Notstandshilfe, unverschämter Reichtum der oberen 5%, Umweltzerstörung und Klimakrise, Aushöhlung von Demokratie und Menschenrechten. Die Staats- und Regierungschefs waren zu beschäftigt zu überlegen, wie sie Menschen, die vor Krieg und Not flüchten, vom reichen Europa fernhalten können und wie der Brexit möglichst ohne Profiteinbußen für die Kapitalfraktion abgewickelt werden könne. Dementsprechend karg waren die Ergebnisse des Gipfels. Unter dem Motto “Eine bessere Zukunft für alle!” stellte das Bündnis “Solidarisches Salzburg” die zentralen sozialen und ökologischen Fragen unserer Zeit in den Mittelpunkt. Eine Woche lang, vom 13. bis 19. September, wurde jeden Abend in der TriBühne Lehen bei Vorträgen und Diskussionen über die EU und ihre Mitgliedstaaten informiert und heiß diskutiert, wie Alternativen zur aktuellen Politik aussehen könnten. Es ging um die Kluft zwischen Arm und Reich – global aber auch innerhalb einzelner Länder –, um soziale und demokratische Grundrechte, um Waffenexporte, die andauernde Benachteiligung von Frauen, das Massensterben am Mittelmeer und die Kriminalisierung der Seenotrettung. Ein ganzer Tag widmete sich Wegen, um soziale Bewegungen zu verbinden und ein “Europa von unten” aufzubauen. Mehr als 1.000 Menschen besuchten die Veranstaltungen des Alternativ-Gipfels.

rung fortschrittlicher Politik darin besteht, die große Mehrheit der Betroffenen zu aktivieren und mit ihnen für gemeinsame Interessen einzutreten, hat der Alternativ-Gipfel ebenso gezeigt. Was bleibt vom Gipfel? Der Gipfel-Zirkus wandert weiter, aber was bleibt vom EU-Ratstreffen und dem Alternativ-Gipfel? Der Tourismus und die Landespolitik frohlocken über die Werbebilder der Mozartstadt, die international durch die Medien gingen. Ob die SalzburgerInnen ein positiveres Bild von der EU mitnehmen, ist angesichts der Verärgerung über Straßensperren, Staus und Millionen-Ausgaben zweifelhaft. Was vielleicht bei einigen Leuten bleibt, ist eine bessere, kritischere Einschätzung der EU und ihrer Mitgliedstaaten, der Politik, die sie in enger Verzahnung betreiben, und der Möglichkeiten, erfolgreich für politische Alternativen einzutreten. Und jene Menschen, die über Monate den Alternativ-Gipfel vorbereiteten, ehrenamtlich arbeiteten, diskutierten und inhaltlich stritten, haben Lernerfahrungen gemacht, die bei zukünftigen GroßEvents, Veranstaltungsreihen und Protesten nützlich sein können. An Anlässen wird es nicht fehlen. Weitere Infos: www.solidarischessalzburg.at

Alternativ-Gipfel 13. bis 20. September ’18

TriBühne Lehen

Über den Tellerrand löffeln Am Alternativ-Gipfel, an den Demonstrationen und Protest-Aktionen beteiligten sich viele Salzburger Studierende. Die ÖH als ihre Interessensvertretung brachte sich mit einem Fotovortrag über die Seenotrettung imMittelmeer, einer Diskussion über “Europa – Zivilmacht im Kampfanzug?” und einer abschließenden Party ein. Dass Studierende eine wichtige Rolle bei Protesten spielen, ist ein globales Phänomen. Viele haben die Zeit und Flexibilität, das Interesse und die Fertigkeiten um sich einzubringen. Sie wollen nicht nur über den Tellerrand ihres Studiums schauen, sondern auch aktiv mitmischen: ordentlich umrühren, ausprobieren und einen Unterschied machen. Das ist Teil gelebter Demokratie – und studentischer Kultur. Dass das nicht reicht, sondern die Herausforde-

und weitere Orte

A better future for all. SOLIDARISCHES SALZBURG

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PRO CHOICE BLEIBT OIS! Ein kurzer Abriss zur Repression

gegen linken Aktivismus in Salzburg. Im Mai 2017 wurde das Versammlungsgesetz unter Rot-Schwarz verschärft. Im Oktober 2017 benutzte die Polizei diese neue Grundrechtseinschränkung um eine Pro-Choice-Kundgebung zu kriminalisieren und wird vom Verwaltungsgericht darin bestätigt. Die Sammelbestrafung von 30 Aktivist_innen passt gut in ein sich verschärfendes Vorgehen der Polizei gegen linken Protest in den letzten Jahren. Von Arno Nym*

* Der Name wurde von der Redaktion geändert


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© FMT-Pictures - MW

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Im Oktober... Seit zehn Jahren finden in Salzburg regelmäßig und kontinuierlich Proteste für die Entscheidungsfreiheit zu einem Schwangerschaftsabbruch statt. Sie orientieren sich meistens am Aktionskalender der fundamentalistisch-christlichen Abtreibungsgegner_innen, dass heißt: • • •

Jeden 1. Samstag im Monat um 9 Uhr am LKH, Müllner Seite (Gebets-Virgil) Jedes Jahr um den 25. Juli herum (1000Kreuze-Marsch) Auch jährlich irgendwann in den letzten drei Monaten des Jahres (Marsch für das Leben)

Letzterer gehört zu einer Reihe von Märschen in mehreren Städten Österreichs. Organisiert werden diese Märsche von der „Jugend für das Leben“, die als der hippe und jugendliche Arm der selbsternannten „Lebensschutzbewegung“ auftreten. Hinter diesem Label stecken Organisationen, die lang erkämpfte legale und

sichere Schwangerschaftsabbrüche unmöglich machen wollen. Genauso wie sie sichere Verhütungsmittel, emanzipatorische Sexualpädagogik oder feministischen Protest am liebsten abgeschafft sehen möchten.

„SEIT ZEHN JAHREN FINDEN IN SALZBURG REGELMÄSSIG PROTESTE FÜR DIE ENTSCHEIDUNGSFREIHEIT ZU EINEM SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH STATT.“ Wahrscheinlich aufgrund der starken Gegenproteste der letzten Jahre verlegte sich die Aktionsform der FundamentalistInnen im Winter von langen Standkundgebungen vor dem Landeskrankenhaus zu einem Fackelmarsch durch die Stadt. 2017 kam noch hinzu, dass der fundamentalistische Marsch zwei Monate früher stattfand als die Jahre zuvor.


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Auch die rechtliche Ausgangslage war eine neue: Im Mai 2017 verabschiedete die Regierungskoalition aus SPÖ und ÖVP in Österreich eine Gesetzesänderung im Versammlungsgesetz. Mit einer Schutzzone von bis zu 150 Meter um eine angemeldete Kundgebung sollten Gegenproteste nachhaltig kriminalisierbar werden. Denn innerhalb dieser Schutzzone – die normalerweise von der Polizei festgelegt wird – ist jede weitere Versammlung illegal. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass Blockaden oder andere Störaktionen, die von mindestens drei Personen gemeinsam durchgeführt wurden, meistens als Spontandemonstrationen straffrei blieben. Spannend ist, dass dieses Gesetz die Cops bei den Pro-Choice-Protesten Ende Juli 2017 gegen den jährlichen „1000 Kreuze Marsch“ in Salzburg noch nicht gestört hat. Gegen den „Marsch fürs Leben“ der fundamentalistischen ChristInnen von „Jugend für das Leben“ war aber alles vorbereitet: Die Gegenkundgebung am Landeskrankenhaus Salzburg wurde bereits vor ihrer Auflösung locker gekesselt. Die Auflösung wurde im Vorgespräch mit Verweis auf die Neuerung im Versammlungsgesetz für den Zeitpunkt des Eintreffens der Fundis drei Stunden früher als geplant erzwungen. Im Anschluss an die Auflösung wurden Aktivist_innen bereits daran gehindert, die Kundgebungsgegenstände abzubauen und die Polizeikette wurde („Kessel“) um den Kundgebungsort geschlossen. Alle verbliebenen Demoteilnehmenden wurden dann zur Personalienfeststellung einzeln aus dem Kessel gezerrt. Verwaltungsstrafen waren das Ergebnis, die die Polizei mit der Begründung ausstellte, dass

die Aktivist_innen den – eingekesselten - Kundgebungsort nach der Auflösung nicht verließen. Mit Unterstützung von Freund_innen, anderen Aktivist_innen und einer Anwältin versuchte die Anmelderin mit einer Maßnahmenbeschwerde gegen das Vorgehen der Polizei vorzugehen. Diese wurde aber unter fragwürdigen Argumenten abgewiesen. Auffallend dabei war, mit welcher Vehemenz die angeblich unparteiische Richterin den aussagenden Polizeibeamt_innen aus Prinzip mehr Glauben schenkte, als aussagenden Aktivist_innen, selbst bei solchen Themen wie dem Ablesen der Uhrzeit: als ausgebildete Staatsorgane wären die Polizeibeamt_innen dazu viel besser in der Lage als feministische Aktivist_innen. Anschließend legte man kollektiv gegen die Verwaltungsstrafen Beschwerde ein und zog vor das Landesverwaltungsgericht. Mit einem klaren gemeinsamen politischen Statement stellten sich die Aktivist_innen gegen die Kriminalisierung ihres Protestes und gegen die Farce eines angeblich unabhängigen Gerichtsentscheides. Das zu erwartende Ergebnis: Strafen von 80 bis 280 Euro je Aktivist_in. Ein großer Haufen Geld bei 30 Betroffenen, wobei versucht wird, dass dieser gemeinschaftlich solidarisch getragen wird. Kein Einzelfall... Diese Geschichte ist leider nur ein Teil des kontinuierlich ansteigenden Repression gegen linke Aktivist_innen in Salzburg. Ein weiteres Beispiel: Am 26. Oktober 2016, dem Nationalfeiertag zur Befreiung vom Nationalsozialismus, fand eine Leistungsschau des Bundesheeres in Salzburg statt: Panzer am Mo-


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zartplatz, Militärboote auf der Salzach und Helikopterangriff auf die Festung oder so ähnlich. Ein widerliches nationalistisches Spektakel, dem zwei handvoll Aktivist_innen eine antimilitaristische Perspektive entgegensetzen wollten. Während unter dem Mozartsteg Begeisterte in die Boote des Bundesheers stiegen, entrollten die Aktivist_innen auf dem Steg ein Transparent mit der Aufschrift „Soldaten sind Mörder“ und „Nationalismus raus aus den Köpfen“. Eine gut und weit sichtbare Aktion, die schnell ca. 40 Cops auf den Plan rief, inklusive einem gut bekannten Kripo-Beamten mit rotem Kopf und Ausgehuniform. Die Aktivist_innen wurden teilweise für mehrere Stunden festgenommen, obwohl sie offensichtlich eine Spontandemonstration abhielten und es somit keinen legalen Grund für irgendeine Maßnahme der Polizei gab. Ausnahmsweise wurde das wenig später auch von der Behörde selbst bestätigt, als diese ihre Verwaltungsstrafen gegen die Aktivist_innen zurücknahm. Damit schien die Sache erledigt zu sein. Es kam aber anders: Monate später wollte sich ein Aktivist in der Landespolizeidirektion ein Leumundszeugnis ausstellen lassen. Dort wurde er unvermittelt festgehalten. Ihm wurde gesagt, dass ihm wegen des Protestes am 26. Oktober „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ vorgeworfen werde und er zur Fahndung ausgeschrieben sei. Wenig später wurde eine Gerichtsverhandlung einberufen. Konkret wird ihm vorgeworfen, diesen Widerstand geleistet zu haben, als er bäuchlings auf dem Boden lag, ihn drei Polizist_innen niederdrückten und er ein Handgelenk bereits in Handschellen hatte. Beim ersten Urteil wurden vom Oberlandesgericht

Mängel festgestellt, weswegen erneut in Salzburg verhandelt werden musste. Derzeitiger Stand: Fünf Monate Haft zu einer Bewährung von zwei Jahren ausgesetzt. Und gerade jetzt... Beide Geschichten maßen skurril an und zeigen deutlich, dass die aktuellen rechtlichen, juristischen und auch polizeilichen Entwicklung ganz klar darauf abzielen, politischen und emanzipatorischen Aktivismus zu kriminalisieren. Das ist nicht verwunderlich: dass sich die soziale Situation verschärft, merken wir nicht erst seit dem Antritt von Türkis-Blau. Umso wichtiger wird es sein, sich gemeinsam zu organisieren, den Widerstand lebendig zu halten und sich damit auseinanderzusetzen, wie Repression am besten begegnet werden kann. Denn eins ist klar: Es ist wichtig den fundamentalistischen Abtreibungsgegner_innen den Raum am Landeskrankenhaus zu nehmen. Es ist wichtig das Frauen*Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu verteidigen. Es ist wichtig, ein Zeichen gegen den Nationalfeiertag und die Bundesheerschau zu setzen. Es ist wichtig, gegen Diskriminierung, faschistische Strukturen und Ausbeutung vorzugehen und für ein besseres Leben zu kämpfen. Bleibt zusammen! Bildet Banden! Wir bleiben aktiv! Und sehen uns auf der Straße: Jeden 1. Samstag im Monat um 9:00 Uhr am LKH/ Müllner Seite. Am 20. September zu den noS20-Protesten. & überall wo es sonst noch notwendig ist!

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- 1918 DER UNTERGANG HABSBURGS Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns erscheint mir als das die Geschichte Ostmitteleuropas im vergangenen zwanzigsten Jahrhundert am stärksten dominierende Ereignis. Militärisch ist die Monarchie eigentlich unbezwungen. Doch dies ist auch gar nicht mehr nötig, denn sie zerfällt von innen heraus. Keine politische Entwicklung oder singuläres Ereignis in dieser Region des Kontinents welches keine Wurzeln oder Hintergründe in der alten Monarchie hatte oder hat. Dabei ist Habsburg-Österreich wie keine andere Großmacht verschwunden, sowohl politisch als auch wirtschaftlich und militärisch. Von der Landkarte ganz zu schweigen. Von Christof Fellner


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N

ur zum Vergleich sei bedacht: das britische Empire mag nicht mehr existieren, aber das UK ist immer noch eine Macht mit globalem Handlungsanspruch, ebenso Frankreich. Russland ist zwar längst nicht mehr so groß wie das alte Zarenreich, verfügt aber immer noch über alle Möglichkeiten sich internationales Gehör zu verschaffen. Ebenso Deutschland. Neue Großmächte wie die VR China, Japan, Indien und die USA sind hinzu gekommen, doch der Donauraum, - Ost- und Südostmitteleuropa in unserem Fall sind aus diesem exklusiven Klub verbannt. Das Gebiet ist zersplittert und uneins, teils auch zerstritten und nicht selten noch von vergangenen Kriegen materiell und kulturell zerstört. Auf die Meinung und Ansicht Österreichs, Ungarns, Tschechiens, der Slowakei, Sloweniens oder Kroatiens, Serbiens und Rumäniens – übrigens ganz gleich welche Regierungen sie jeweils hatten - muss die internationale Staatenwelt dagegen nicht mehr warten. Selbst Italien, Polen und die Ukraine – von denen zumindest Teile zur Monarchie gehörten, spielen längst keine so große Rolle wie sie es wohl gerne würden. Aber wann hat dieser Zerfall begonnen? Wie kann man in beschreiben? Wann war er abgeschlossen? Ad Beginn. Meiner Einschätzung nach ist es zu wenig nur von den letzten 12 Monaten des ersten Weltkrieges zu schreiben, der Zerfall setzt wesentlich früher ein. Immer wieder kommen Gebiete hinzu, andere fallen ab. Aber immer wieder spielt vor allem eines eine Rolle, ein nationalistisch orientiertes „erwachen“ eben dieser Gebiete. Also nicht erst 1848, sondern eigentlich schon mit der Regierung Joseph II kann man von verschiedenen Nationalismen sprechen die die Reformen und Steuerungsversuche aus der Wiener Regierungszentrale konterkarieren. Wir sehen das in Belgien, ebenso wie in Lombardo-Venetien, Ungarn und selbst Tirol. Ad Beschreibung: eigentlich verlaufen all diese Erhebungen nach einem ähnlichen Muster, eine sich an den Rand gedrängt vorkommende – unterschiedlich große Gruppe versucht sich in der Hofburg Gehör zu verschaffen, das scheitert zunächst. Man versucht es erneut, und erneut. Entweder hat man Erfolg und bekommt was man will – siehe Ungarn, oder man hat es nicht und spaltet sich mit Hilfe fremder Staaten endgültig ab – siehe Belgien und Lombardo-Venetien. Doch jeder dieser Versuche blieb für sich. Nur ein einziges Mal, 1848, versuchte man es mit einem gemeinsamen Ziel (wobei das für Ungarn und Lombardo-Venetien nicht gilt). Und scheiterte erneut. Stattdessen gab es einen Rückschritt um Jahrzehnte in Form des, diesmal allerdings reformfeindlichen, erneuerten Absolutismus in dem die Wiener Regierungszentrale die eigenen Einschätzun-

gen vor die Überlegungen der einzelnen Völker stellte und damit deren Anliegen zuwiderhandelte. Ich wage zu behaupten, dass ab diesem Zeitpunkt ein innerer Abnabelungsprozess begann, der schließlich 1918 zum Zusammenbruch führte. Dabei ist dieser Prozess gar nicht so sehr linear, man setzte auf verschiedene Strategien, einige erfolgversprechend, andere waren es nicht. Und hat dabei letztlich mit vielen Kleinigkeiten, teilweise sogar unnötigen aber gegenseitigen Schikanen zu kämpfen. Das zeigt sich an den Versuchen des so genannten Tschechischen Ausgleichs (gescheitert), aber auch des Galizischen und Mährischen Ausgleichs (beide gelungen). Und schließlich am langen Weg zu einem, wenn auch nur für Männer, allgemeinen Wahlrecht. Ad Ende. All diese Bewegungen führten Österreich, allerdings nicht oder nur teilweise das seit 1867 selbstständige Ungarn in eine zunächst kaum merkliche Transformation, die der greise Franz Joseph – wenn er sie überhaupt richtig wahrgenommen hat – eher passiv durch nicht handeln geschützt als aktiv moderiert hat. Zumindest hat er sie nicht verhindert, wie es andere Monarchen in Europa versucht haben. Was aus dieser Transformation werden würde, ob sie Erfolg haben könnte oder nicht war zumindest bis 1914 nicht klar. Doch dann kam der Krieg, bzw. eigentlich mehrere Kriege gegen unterschiedliche Gegner. Ein Krieg in dem die Armee und auch die Bevölkerung sehr lange Treu zum Staat hielt und sich zu enormen Kraftanstrengungen durchrang. Nur wenige wechselten die Seiten, zumindest bis zum Tode des alten Kaisers. Vielen war, auch vor dem Krieg schon, klar dass dieser eine Zäsur bilden würde. Jetzt musste sich zeigen ob die Erfolge der Transformationsphase als ausreichend angesehen wurde Jahrzehnte alte gesellschaftliche Fragen zu beantworten und Verhältnisse im Rahmen des gesamten zu beantworten. Sie waren es nicht. Woran es mangelte war letztlich nicht nur ein Tatkräftiger Visionär an der Staatsspitze (den gab es zuletzt im 18. Jahrhundert, aber hatte eben das Vertrauen vieler verspielt) aber auch politische Parteien die sich unbedingt einem größeren Ganzem verschrieben hatten. Es fehlte weniger die Loyalität zum Staat, als die zur Idee dahinter. Profitiert haben vom Zerfall des alten Österreich vor allem das Deutsche Reich und die spätere Sowjetunion. Binnen weniger Jahrzehnte nach 1918 waren diese Staaten auf das Gebiet der Donaumonarchie vorgedrungen und haben es beherrscht, unterdrückt und nach ihren Vorstellungen und Interessen umgestaltet. Es ist dies das eigentliche Drama nach 1918. Lernen wir daraus. Reden wir mit unseren Nachbarn und halten uns nicht länger für die, Kraft Natur oder gottgewollt, ohnehin besten die es nicht nötig haben auf andere zu hören.

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Christof von Fellner studiert Politikwissenschaft und Geschichte, ist geprüfter Fremdenführer und nicht erst seit dem Besuch der entsprechenden Einführungsvorlesung ausgewiesener Kenner der Geschichte der Habsburgermonarchie.


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Lieber noch einmal Marx lesen In der letzten Ausgabe der Unipress hat es sich eine gewisse „Gruppe Transbib“ zur Aufgabe gemacht, meinen Artikel „Mal wieder Marx lesen“1 auseinanderzunehmen. Zu diesem Zweck werden unter dem Titel „Das hat Marx nicht verdient“ so manch erstaunliche „Argumente“ aufgetischt. Von Stefan Klingersberger

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o wird etwa versucht, die Griechische Kommunistische Partei (KKE), welche ich in meinem Artikel für ihre wichtige Arbeit an einer undogmatischen kommunistischen Geschichtsschreibung positiv hervorgehoben habe, durch den Hinweis zu verunglimpfen, dass der griechische Außenminister Nikos Kotzias mit Faschisten zu tun hatte. Verbunden wird das mit der Behauptung, dieser Herr Kotzias sei „Mastermind“ der KKE. Tatsache ist hingegen, dass Kotzias schon seit 1989 und aus guten Gründen nicht mehr Mitglied dieser Partei ist, versteht er sich doch auch gar nicht mehr als Marxist oder Kommunist. Die Behauptung der „Gruppe Transbib“, jemand könne heutzutage Mitglied der KKE sein und zugleich einer bürgerlichen Regierung angehören, zeugt allerdings ohnehin von völliger Unkenntnis der politischen Positionen und der historischen Entwicklung dieser Partei. Tatsächlich hat Kotzias mit der KKE ebenso wenig zu tun wie die „Gruppe Transbib“. Stattdessen steht der Jürgen-Habermas-Herausgeber Kotzias der „Kritischen Theorie“ – die auch als Grundlage der „Gruppe Transbib“ erkennbar ist – viel näher als dem Marxismus. Die „Gruppe Transbib“ schoss, wenn überhaupt, ein Eigentor. Nicht minder absurd und entweder völliger Unkenntnis oder aber bewusster Verzerrung und Ver-

nebelung geschuldet ist die Charakterisierung von Lenins Schrift „Staat und Revolution“ als „anarchistisch“. Aus prinzipiengeleiteter Staatskritik folgt noch lange kein Anarchismus. Und Lenin selbst hat sich in dieser Schrift auf sehr grundsätzlicher Ebene und ausdrücklich vom Anarchismus distanziert. Er räumt dem Staat eben sehr wohl auch eine positive Rolle im Kampf um die klassenlose Gesellschaft ein – namentlich dem proletarisch-sozialistischen Staat, welcher die Aufgabe hat, die Revolution abzusichern und voranzutreiben, um sich letztlich selbst überflüssig zu machen. Diese politische Orientierung, die Lenin, fußend auf den historischen Erfahrungen, von Marx und Engels übernommen und weiterentwickelt hat, konterkariert auch die Behauptung der „Gruppe Transbib“, die politische Praxis Lenins hätte seine eigene Schrift „konterkariert“. Einheit als Einheit von Widersprüchen Die Angehörigen der „Gruppe Transbib“ tun sich schwer damit, die Welt und die Dinge in ihr in ihrem Zusammenhang und ihrer Einheit zu erkennen. Das geht so weit, dass sie nicht einmal das Denken und Werk einzelner Personen als Einheit begreifen wollen. Die „Begründung“, welche die „Gruppe Transbib“ dafür liefert, ist so banal, wie sie gleichzeitig aber gar keine Begründung ist: Dass Marx seine Begriffe im-

1 uni:press Ausgabe #692, siehe auch: http://www. rotes-salzburg.at/?p=903

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mer wieder weiterentwickelt und kein vollendetes, abgeschlossenes Werk hinterlassen hat, ist eine Banalität – jeder Mensch überdenkt Dinge immer wieder neu, und kein Mensch verwirklicht in seiner Lebenszeit all seine Potentiale. Selbstverständlich finden sich asynchrone und synchrone Widersprüche in der Entwicklung des Denkens jedes Menschen. In der „Gruppe Transbib“ jedoch werden diese Banalitäten zum „Argument“ dafür, dass das Marxsche Werk gar keine Einheit habe, die man begreifen könne. Diese Gruppe versteht offensichtlich nicht, dass Einheit etwas anderes ist als unterschiedslose Identität. Sie versteht nicht, dass Einheit immer eine Einheit von Widersprüchen ist. Sie versteht nicht, dass Denken gerade darin besteht, die Erscheinungen der Wirklichkeit als Einheiten von Widersprüchen zu fassen und so die wesentlichen Zusammenhänge in der Welt auf den Begriff zu bringen. Sie behauptet gar, am Marxschen Werk ließen sich keine Wesensmerkmale erkennen – Marx selbst hingegen versteht es gerade als Aufgabe der Wissenschaft, das Wesen der Dinge herauszuarbeiten: „Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmit-

telbar zusammenfielen.“2 Mit Marx kann also gesagt werden, dass die Auseinandersetzung der „Gruppe Transbib“ mit ihm in grundlegend unwissenschaftlicher und unmarxistischer Form vonstattengeht. Die Ignoranz der „Gruppe Transbib“ gegenüber marxistischer Dialektik, einem der fundamentalen und integralen Bestandteile des Marxschen Denkens, ist durch ihren Aufsatz, wie gezeigt, mehr als hinreichend bewiesen. Möge sie dieser Ignoranz ruhig verhaftet bleiben – aber dann kann sich diese Gruppe nicht als Verteidigerin von Marx inszenieren. Das hätte Marx nun wirklich nicht verdient. Antidialektisch und kapitalismusimmanent Als wesentliche Stütze dient der „Gruppe Transbib“ ein kurzer Text von Georg Fülberth, der mehrfach zitiert wird. Dieser Text bewirbt eine Neuausgabe des ersten Bandes des „Kapital“, in welcher bisher unberücksichtigte Änderungen und Notizen aufgenommen wurden. So weit, so harmlos. Fülberths Denken über Marxismus und seine methodische Herangehensweise wurden übrigens 2015 in einem Aufsatz in der Zeitschrift der „Gesellschaft für dialektische

2 MEW 25, 825.


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Philosophie“ (damals noch „Salzburger Gesellschaft für dialektische Philosophie“) als „antihegelianisch, daher antidialektisch, und antirevolutionär, daher kapitalismusimmanent“3 analysiert. Dort kommt man zum Schluss: „Fülberth nimmt dem Marxismus seine Eigenständigkeit. Er unterschlägt die Existenz einer marxistischen Philosophie und übernimmt die bürgerliche erfahrungswissenschaftliche Forschungsmethode als Denkweise des Marxismus.“4 Die Rezension des Marxismus-Einführungs-Büchleins von Georg Fülberth endet mit der Kritik, dass Fülberth „nicht einmal auf die Idee einer Einführung in den Marxismus nach marxistischer Methode kommt.“5 Die Bezugnahme der „Gruppe Transbib“ auf Georg Fülberth passt demnach ganz gut. Beide begegnen Marx und dem Marxismus rein äußerlich. Beide reden lediglich über Marx und den Marxismus wie über einen toten Hund, ohne ihm eine eigenständige, lebendige und begreifbare Rolle zuzugestehen. Beide versuchen, mit unmarxistischen Methoden Marx zu interpretieren. Beide ignorieren oder verwerfen völlig die marxistische Dialektik, ohne die Marx jedoch unmöglich verstanden werden kann. Die „Gruppe Transbib“

gibt jedoch erstaunlicherweise gleichzeitig vor, Marx vor Verzerrungen bewahren zu wollen. Ihr wahres Ziel ist erkennbar, sie will Marx und marxistisches Gedankengut möglichst unwirksam halten. Warum sollte sie auch etwas anderes wollen? Sie hat sich doch längst mit der bürgerlichen Gesellschaft arrangiert. Die Rolle, die Kräfte wie die „Gruppe Transbib“ sowie auch die „Kritische Theorie“ insgesamt objektiv spielen (auch wenn sie, wie alle opportunistischen Kräfte, das Gegenteil behaupten), ist es, die Überwindung des Kapitalismus zu erschweren und die Entwicklung einer revolutionären Arbeiterbewegung zu bremsen. Sie isolieren die fortschrittliche Intelligenz von der Arbeiterklasse und propagieren mit dem Totschlagargument einer angeblich „differenzierteren Betrachtung“ (deren „Differenziertheit“ oben ein wenig nachgegangen werden konnte), man müsse erst bis ins letzte Detail darüber diskutieren, ob ein Apfel auch wirklich ein Apfel und Marx wirklich Marx sei, bevor man politisch-kämpferisch tätig werden könne. Eine revolutionäre Bewegung kann und wird sich nicht mit, sondern nur gegen und in bewusster Abgrenzung zu derartigen Kräften entwickeln.

3 Andreas Hüllinghorst: Definitiv unphilosophisch, in: Aufhebung 6, Salzburg 2015, 96. 4 Ebenda, 109. 5 Ebenda, 116.

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kultur & menschen

In den Romanen von Teresa Präauer sind, neben den Menschen, auch immer die Tiere zugegen: die Vögel, die Fische oder der Affe. In ihrem neuen erzählerischen Essay Tier werden buchstabiert sie diese Artennähe aus und reflektiert humorvoll wie gedankenreich über die unscharfe Grenze zwischen Mensch und Tier, die in der Kunst so häufig aufgesucht wird. Ein Interview von Carlos P. Reinelt

© Thomas Langdon

TIER WERDEN


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uni:press: Das wichtigste voran: Hunde oder Katzen? Präauer: Weder noch, wahrscheinlich, weil ich selbst nie ein Haustier hatte. Mich interessieren Tiere, seit sie sich zufällig in meine Texte eingeschlichen haben, beginnend beim ersten Buch mit dem Titel „Taubenbriefe“ – bis zum letzten Roman, „Oh Schimmi“, in dem zumindest ein Mischwesen aus Mensch und Affe die Hauptrolle spielt. Danach habe ich an der Freien Universität in Berlin im Rahmen einer Gastprofessur eine Antrittsvorlesung gehalten mit dem Titel: Tier werden. Es ging mir dabei immer um die Tiere aus Büchern, Filmen, die Tiere in der bildenden Kunst und in der Mode. Und um die Zwischenzustände des Werdens, um die Übergänge. Also die vermittelten Tiere mehr als die unmittelbaren. uni:press: Am Anfang von Bernhards Ursache steht, dass man in Salzburg entweder urplötzlich Selbstmord begehe, oder die Stadt einen zugrunde richte. Was hat dich vertrieben? Präauer: Die lebensweltliche Konsequenz, die Thomas Bernhard dann aus dieser Aussage gezogen hat, war ja nach Ohlsdorf in Oberösterreich zu ziehen. Ist das eine Option? Mich hat nichts vertrieben, die meisten Leute ziehen doch nach einem Studium weiter. uni:press: Vor zwei Jahren klebten an gefühlt jedem Schaufenster der Stadt Präauer-Zitate. Die waren im Vergleich zu denen anderer Autor*innen recht heiter. Wolltest du da bewusst den Leuten hier nicht noch mehr aufbürden? Präauer: Der geneigte Leser und die erfahrene Leserin meiner Romane erkennen in diesen Kurztexten Zitate aus meinen Büchern wieder, die jemand ausgewählt hat für die Schaufenster in Salzburg. Sie sind aus dem Kontext längerer Texte genommen, aber manche funktionieren vielleicht durchaus als Handlungsanweisungen adhoc. uni:press: Hast du ein Lieblingstier? Präauer: Nein. uni:press: In Nirvanas Something in the way heißt es, man könne Fische essen, die haben eh keine Gefühle. Florian Will beschreibt sie als Tiere zweiter Klasse. Und bei Tierdokus ist das meist emotional mitreisend, wenn eine Gazelle geris-

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sen wird, oder die Elefantenmama dem Kalb beim Sterben zusieht. Wieso lassen uns Fische vergleichsweise kalt? Präauer: Ich muss davon ausgehen, dass jedes Tier, das tot ist, keine Gefühle mehr hat, während wir es verspeisen, insofern würde ich, außer einen geschmacklichen, keinen Unterschied zwischen Fischen und Hunden machen. Im Tierschutz gibt es immer einzelne Tiere, die quasi als Markenbotschafter für die gesamte Tierwelt herhalten müssen, meistens sind es Tiere mit Augen und Fell. Da es mir in meiner Arbeit aber um Philosophie, Sprache und Bildbetrachtung geht, leite ich diese Frage an die Biologie oder die Ökologie weiter. uni:press: Hast du als Kind mal Fliegen die Flügel ausgerissen, Salz auf Schnecken gestreut, oder Ameisen zerrieben? Oder als Erwachsene? Präauer: Beides ja. uni:press: Gibt es eine Tierfigur in Literatur oder Film, die dich besonders beeindruckt hat? Präauer: Ich schreibe in meinem Essay „Tier werden“ beispielsweise über die Harpyie, ein halb wahres, halb erfundenes Vogel-Mensch-Wesen, das in der Geschichte der Kunst und der Naturwissenschaft einige Male vorkommt. Später fliegt sie dann als „Wilddrude“ durch Filme wie „Ronja Räubertochter“. Mich interessieren die fiktiven Tiere, die dann auch ihren Eintrag in den Biologiebüchern des Mittelalters bekommen haben – bis in die Neuzeit hinein. Und was später aus ihnen geworden ist ab Linné und Darwin und so weiter. Was kann man sich von Tier werden erwarten? Dazu gibt es einen Vorschautext des Verlages: Teresa Präauer beobachtet in »Tier werden« Stationen des Übergangs, der Verwandlung, des Aus-derArt-Schlagens. Einen Auftritt in ihrem Text bekommt, wer oder was Haare hat: an Stellen, die von Schraffur überwuchert werden, von Pelz, Kunstfell oder Gras. Eine Sammlung von zotteligen Figuren hat sie hierfür zusammengetragen, von den mittelalterlichen Zeichnungen von Fabelwesen - halb Natur, halb Erfindung - über die Perchten aus den Alpen bis hin zum Perückenträger Toni Erdmann und den kostümierten Furries aus der Subkultur.

Tier werden von Teresa Präauer ist am 3. September 2018 beim Wallstein Verlag erschienen. ISBN: 978-3-8353-3337-6


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VON DER REBELLENHYMNE ZUM SOMMERHIT

Filmszene aus dem Film Riso Amaro (Italien, 1949)

Man nehme irgendwas, das nach Urlaub klingt, am besten etwas Fremdsprachiges, okay Italienisch ist gut. Exotisch, aber trotzdem noch vertraut im Ohr (Spanisch funktioniert auch - siehe „Despacito“ anno 2017), unterlegt das Ganze noch mit fetzigen Tropical-House-Beats und ach ja, eingängig soll es auch sein. Et voilà – ein deppensicheres Rezept für einen Sommerhit. Den Erfolg Bella Ciao‘s als Hymne für diesen Sommer ebnete der Streaming-Anbieter Netflix. Von Carolina Forstner

Ü

ber 100 Jahre hat die Melodie nun schon auf dem Buckel. Eine Ursprungsversion gibt an, dass das Lied von Reispflückerinnen in der Po-Ebene gedichtet wurde. Diese ältere Version beklagt die harten Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.1 Bereits die erste dokumentierte Fassung des Liedes trägt Nuancen dessen in sich, was das Lied keine dreißig Jahre später zur Protesthymne werden lässt. Das Lied endet mit der Prophezeiung, dass die Reisbäuerinnen in Zukunft von ihren inhumanen Arbeitsbedingungen befreit werden. Singen als Ventil und Hilfe menschenunwürdige Arbeit zu ertragen und auch gegen diese anzukämpfen. Die Jahre 1904 bis 1906 waren von erbitterten Kämpfen und Streiks geprägt, die faire Arbeitsbedingungen – wie etwa einen Achtstundentag – einforderten. Ein Kampf für Frauen um Würde und Respekt. Der erfolgreiche Kampf der Reispflückerinnen ermutigte auch andere ArbeitnehmerInnen für ihre Rechte einzustehen.

1 Filmtipp: Bitterer Reis (Riso Amaro), 1949, Guiseppe De Santis


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Die Resistenza, also die italienische Widerstandsbewegung gegen Faschismus und Nationalsozialismus, übernahm die Melodie des Freiheitsliedes, änderte aber den Text. Der unbekannte Autor der neuen Fassung lobt den Freiheitskampf der Partisanen und gedenkt ihrer Toten – die Geburt eines antifaschistischen Kampfliedes, das sich in Antifa-Kreisen und in ArbeiterInnenbewegungen über die Jahrzehnte zu einem der beliebtesten und bekanntesten Lieder entwickelt hat, ein Standardwerk auf Demonstrationen weltweit. In seinem Ursprungsland Italien ist das Lied, seitdem Matteo Salvini zum Innenminister gewählt wurde, um eine politische Facette reicher geworden und wird nun als Anti-Salvini-Hymne von GegnerInnen des Rechtsaußen-Politikers auf Demos gesungen. Wo immer der Innenminister auftaucht, wird er damit „empfangen“.

„VIELLEICHT VERHALLT DER GEIST DES MUTIGEN UND ZUGLEICH TRAURIGEN KAMPFLIEDES DER ITALIENISCHEN PARTISANEN JA NICHT GANZ UNGEHÖRT VON DEN PARTY PEOPLE AN DEN STRÄNDEN DIESES SOMMERS.“ Was eine Netflixserie namens Haus des Geldes, in der eine Gruppe von VerbrecherInnen eine Gelddruckfabrik überfällt, um darin ihr eigenes Geld zu drucken (ergo nicht zu stehlen), sondern selbst den schnöden Mammon produzieren (für den privaten Reichtum versteht sich), mit dem Kampf um faire Arbeitsbedingungen oder einem antifaschistischen Protest zu tun hat, bleibt eher schleierhaft. Die VerbrecherInnen der spanischen Serie stimmen immer wieder Bella Ciao an und sehen sich eben nicht als Gangster, sondern eigentlich schon fast als Rebellen und FreiheitskämpferInnen. Sich so zu stilisieren ist absurd und eine doch recht rabiate Sinnverdrehung. Man könnte darin zwar auch eine krasse Kapitalismuskritik sehen, weil, wenn man sich seine Scheine schon selber drucken kann, der Wert einer Währung überhaupt infrage gestellt werden kann, aber ich möchte auch nicht zu lange über eine Netflix-Serie lamentieren. Da das Lied durchaus Ohrwurmqualität hat und sich schon in den Köpfen der vielen SeherInnen der Serie befand, ließ sich ein französischer DJ nicht lumpen und machte Bella Ciao in diesen Sommermonaten zum Nachfolger des Latinopopschlagers Despacito. Dass es an Sodom und Gomorra heranreicht, geschichtsträchtiges Liedgut zu einem Charthit 2018 zu zimmern, scheint vielleicht ein bisschen über-

zogen zu sein und Kulturpessimismus kann auch manchmal ziemlich anstrengend sein. So wird aus der Antifa-Hymne eben ein Clubhit, entpolitisiert und dem Kontext entrissen. Aber Mainstreampop produziert ja nicht nur leichte, botschaftslose Sommerbedröhnungen, sondern kann eben durch diese postulierte Leichtigkeit, unsubtil und subversiv sein. Der oben erwähnte französische DJ mit dem Künstlernamen DJ Hugel stammt aus Marseille, einem ethnischen und musikalischem Schmelztiegel, wo MigrantInnen aus dem ganzen Mittelmeerraum ihre Lieder sangen, auch Bella Ciao. Bella Ciao wurde übrigens schon unzählige Male gecovert und in viele Sprachen übersetzt, unter anderem vom Liedermacher Hannes Wader ins Deutsche übersetzt, also nicht erst von DJ Hugel aufgegriffen. Klar wirken, wenn man mit dem Kontext des Liedgutes vertraut ist, Bilder von Rich Kids Of Instagram, die auf einer Strandparty zu Bella Ciao tanzen, irgendwie verstörend und sinnentleert, aber so meint jedenfalls DJ Hugel: „Dass das Lied verbindet, Massen von Menschen singen und tanzen zur eingängigen Melodie und auch wenn sich die meisten bestimmt nicht des Ursprungs des Liedes bewusst sind. Es scheint sie zu vereinen, selbst ein moderner Remix schafft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.“ Vielleicht verhallt der Geist des mutigen und zugleich traurigen Kampfliedes der italienischen Partisanen ja nicht ganz ungehört von den Party People an den Stränden dieses Sommers. Mutiges antifaschistisches Auftreten in einem nach rechts gerückten Europa hätte damit ja schon mal eine massentaugliche Hymne gefunden. Und noch ein paar weitere Musiktipps:

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uni: pressfilm tipps

SCHON GESEHEN? DIE UNI:PRESS FILMSCHMANKERL


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Das Independent-Kino erfreut sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit. Das geht in manchen Fällen so weit, dass auch kleine Nischenfilme mit einem üppigen Budget ausgestattet werden. Doch auch kleine Produktionen können sich immer wieder im (Feuilleton-)Mainstream festsetzen. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass auch große Studios mit Untersparten wie Fox Searchlight oder Paramount Vantage in diesen Markt eingestiegen sind. Seit der Jahrtausendwende erfährt das Genre des Coming Of Age verstärkte Aufmerksamkeit und Beliebtheit. Obwohl sich die darin angelegten Muster bis in die Anfänge der Filmgeschichte nachverfolgen lassen (vom Entwicklungsroman ganz abgesehen), widmen wir uns in unserem zweiten Teil von “Schon gesehen” den Highlights des Coming-of-Age seit 2000. Von Hannah Wahl und Bernhard Landkammer 1. Garden State (USA, 2004) Das Regiedebüt vom damaligen Scrubs-Star Zach Braff vereint quasi alle Trademarks, die Indie-Filme ausmachen: Verschrobene Charaktere, einen unwiderstehlichen Soundtrack und eine melancholische Feel-Good-Stimmung. Im Mittelpunkt steht die Rückkehr des stark sedierten Andrew in seine Heimatstadt im “Garden State” New Jersey nach dem Tod seiner Mutter. Seine Filmkarriere in Los Angeles konnte er nie wirklich ankurbeln, in seiner Heimatstadt wird er allerdings als großer Filmstar gesehen. Nachdem er seine Medikamente absetzt, entwickelt er sich vom gefühlstauben Außenseiter zum emotionalen und aktiven jungen Mann. Dazu trägt sicher auch die chronische Lügnerin Sam bei, liebevoll verplant dargestellt von Natalie Portman. Der Film begeistert durch seine Nähe zur eigenen Jugend, mit unerwarteten, nie ins Alberne abrutschenden Witzen und großen Gefühlen. Die Blaupause für eine Welle an ähnlich gelagerten Filmen, die in den folgenden Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. 2. Frances Ha (USA, 2012) Mit dem Independentfilm Frances Ha schuf Regisseur Noah Baumbach ein stimmiges Gesamtkunstwerk, das neben seiner unkonventionellen Kameraführung und der wohl gewählten Szenerie, besonders durch den starken Charakter der Hauptfigur im Gedächtnis bleibt. Schauspielerin Greta Gerwig, “Queen des Mumblecore”1, brilliert als 27-jährige Frances, die immer noch nicht im Leben angekommen ist und dort auch nicht ankommen will. Sie ist ein frischer Single, wohnt in einer WG und verdient als Leiterin der Anfänger-Tanzkurse nicht annähernd genug Geld. Der Film, der durch die schwarz-weiß Kulisse im urbanen Manhattan und Brooklyn einen grandiosen Vintage-Look erhält, wird von Kritikern gerne mit den Woody Allens Erfolgsfilm “Manhattan” verglichen. Das Drehbuch der melancholisch-romantischen Komödie, an dem auch Greta Gerwig beteiligt war, besticht durch seine witzig-komischen Dialoge, die trotz ihrer Besonderheit nicht konstruiert, sondern situativ-spontan klingen.

3. Let The Right One In (Schweden, 2008) Es müssen nicht immer die USA sein, es müssen nicht immer die Probleme von Mittzwanzigern sein und es muss auch nicht immer Wohlfühlstimmung sein, wenn es um Coming of Age geht. Der schwedische Vampirfilm Let The Right One In ist ein starker Beweis dafür. Angesiedelt im winterlichen Schweden der 1980er Jahre setzt der Film, seiner Vampirthematik entsprechend, auf eine düstere und kalte Stimmung. Der schüchterne, zwölfjährige Oskar wird in der Schule teilweise auch gewalttätig schikaniert und staut zunehmend Aggressionen an. Als die mysteriöse Eli in die Nachbarwohnung zieht, freundet er sich langsam mit der Gleichaltrigen an. Eine Schneise aus Gewalt und Blut kündigt an, dass Eli alles andere als ein normales Mädchen ist. Die zarte Liebesgeschichte, die sich hier entspinnt, wird von ruhigen Bildern eingefangen, die immer wieder von physischen und psychischen Gewaltsequenzen durchbrochen werden. Poetische Bilder und eine bedrückend schöne Atmosphäre zeigen Erwachsenwerden, Liebe und Widerstand auf metaphorisch-beeindruckende Weise. 4. La vie d’Adèle (Frankreich, 2013) Das Filmdrama La vie d’Adèle, eine Interpretation der Graphic Novel Le Bleu est une couleur chaude von Regisseur Abdellatif Kechiche, erzählt in 179 Minuten die Geschichte von Adèle, die zu Beginn des Films noch zur Schule geht. Die 15-jährige, noch etwas unsicher wirkende Adèle macht erste Erfahrungen mit ihrer Sexualität und beginnt sich selbst besser kennenzulernen. Eines Tages trifft sie auf die ältere Kunststudentin Emma, mit der sie eine intensive Beziehung beginnt. Trotz der recht präsenten und expliziten Sexszenen ist der Film kein inhaltsarmer Softporno, sondern ein außergewöhnlich intimes Drama mit Tiefe und einer Kameraführung, die eine besonders enge Nähe zum Geschehen aufbaut. La vie d’Adèle soll jedoch die einzige Zusammenarbeit des Regisseurs mit den Hauptdarstellerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos bleiben, da beide wegen der inakzeptablen Zustände am Set nie wieder mit ihm drehen wollen.

1 Sven von Reden: https:// w w w. t a z . d e / ! 5 0 6 2 2 3 0/ , 30.07.2013


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DAS MANIFEST erzählung in drei aufzügen

der welt zum zwecke der frontbetreuung zur kenntnis gebracht von kunibertus bombastus von spiegelheim den schießstand-pinguinen zugewidmet


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- I. ADAGIO sebastian machte die augen auf, und da war es wieder, dieses sonntagmorgengefühl, wenn einem alles licht und leicht vorkommt. aus dem erdgeschoss kam der duft von brutzelnder eierspeis‘ und draussen im garten fing koko, der golden retriever und haushund, verspielt zu bellen an. sebastian bewegte sich sachte und griff nach seiner armbanduhr. acht uhr. weil zunächst nichts drängte und eilte, blieb er noch ein weilchen liegen und dachte dämmrig über den vor ihm liegenden tag nach. es war april, und auf seinen teppich fiel eine raute aus sonnenschein. der himmel hinter dem fenster war von einem durchsichtigen blau und sagte freundlich: »hallo, du!« es war genau so ein tag, an dem sebastians vater alle zusammengetrommelt, ins auto gestopft und in die bibliothek und dann zu einem nahen see gefahren hätte, wo sie dann wandernd, lesend und lachend ein paar stündchen verbracht haben würden. meistens schaffte es sebastian nicht allzuviel an seinen vater zu denken, doch ab und an überfielen ihn die erinnerungen heimtückisch wie bereits vergessene fotos. gestochen scharf sah er dann seinen vater, wie er mit weiten schritten einen farnbewachsenen hang hinaufstieg, lilith auf den schultern, weil sie für das terrain noch zu klein und klobrig war; oder er hörte die tiefe stimme seines alten, wenn er ihnen an winterabenden aus peter hacks märchen vorlas… nun sah er im schatten seiner halb aufgeschlagenen lider vaters geschickten händen zu, wie sie einen laptop reparierten oder komplizierte dinge in darknet-foren formulierten, um unablässlich an der rettung der welt zu arbeiten. manchnal erinnerte sich sebastian auch an die vielen momente, an denen er seinem heftig schluchzenden vater nach der einen oder anderen demonstration trösten musste, weil das thema wieder mal zu wichtig, aber kein mensch gekommen war. sebastian biss sich in die lippen und drehte den kopf auf die andere seite, wollte sich nicht diesen unsäglich schmerzhaften gefühlen aussetzen, doch das machte alles nur noch schlimmer, denn mit dem sich fortschreitenden erwachen musste er auf den gegenstand blicken, der wie ein stiller vorwurf an der gegenüberliegenden wand auf dem schreibtisch lag. als er gestern mit den schularbeiten fertig gewesen war, hatte er sich mehr als fünf stunden mit diesem ding abgeplagt, und als er schließlich zu bett gegangen war, wusste er, dass er sich geschlagen geben musste. jetzt kam es ihm vor, als lachte das monstrum ihn ganz unverhohlen aus. »ssssh… das wird heute bestimmt kein lustiger tag für dich…ssshh...«, flüsterte es dämonisch und sebastian zog die bettdecke reflexartig weit über seinen kopf. »ssh… du wirst dich den ganzen sonntag mit mir herumschlagen, ha!« das reichte, um ihn völlig mutlos zu machen. zwanzig tage hatte es schon gekostet, und alles was er vorzuweisen hatte, war etwas, das eher an eine dadaistische textwüste oder an eine lieblos vom englischen ins deutsche übersetzte produktbeschreibung auf amazon erinnerte. nach einem weilchen überwand er sich, stand auf und ging durchs zimmer, um das ding eingehender zu betrachten. im stillen hoffte er, dass es sich besser lesen würde, als das ganze am vorabend danach ausgesehen hatte. mitnichten. da waren nur zig papierknäuel, aufgeschlagene lehrbücher, zwei an den enden abgekaute kugelschreiber und ein blatt mit schleierhaften versen. Kriege zertrümmern die Welt und im Trümmerfeld geht ein Gespenst um. Nicht geboren im Krieg, auch im Frieden gesichtet, seit lange. Schrecklich den Herrschenden, aber den Kindern der Vorstädte freundlich. es sollte ein selbstgemachtes manifest werden, ein geschenk zu liliths siebtem geburtstag in zwei wochen, was sebastian selbst vor seiner mutter geheim hielt. und er kam damit einfach nicht zurecht, weil er zu ungeschickt oder zu dumm oder womöglich beides zugleich war.

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lilith hatte sich schon lange, mindestens aber seit ihrem eintritt in den kindergarten, ein manifest gewünscht, welches prägnant und massentauglich der werktätigen menschheit in die hand gegeben werden konnte. denn lilith störte vieles: ihr war aufgefallen, dass die leute viel zu lange arbeiteten, krank waren und überhaupt keinen spaß hatten. am meisten ärgerte lilith, dass die menschen dabei auch noch gott und die welt auf grausame weise anraunzten und prostituierten, anstatt konstruktiv an was echt schönem zu arbeiten. »ein manifest muss‘ her«, befand lilith an einem montagmorgen beim frühstückstisch und streckte demonstrativ den halbvollen haferbreilöffel in die luft, »weil so will i ned aufwachsen müssen!« ihr vater hatte ihr eines zum siebten geburtstag versprochen, obwohl er lohnarbeit in einer schule machen musste und unentwegt an irgendwelchen kundgebungen oder sitzungen teilnahm. die tatsache, dass er nun aber nicht mehr bei ihnen war, machte für lilith keinen unterschied. ihr glaube, dass ideen stärker als alles seien, ließ sich mit keiner gewalt der erde verbiegen. sie trug wahrscheinlich aber auch einfach die hoffnung in sich, dass herr lechner womöglich die arbeit am manifest doch noch beendet haben könnte, bevor er starb. »ich krieg‘ ein manifest zum geburtstag!«, prahlte sie vor ihren kleinen freundinnen und freunden, wenn sie sich in zerfledderter partisanenkleidung, bunten synthetik-straußenfedern und viel zu großen stiefeln verkleideten. »versprochen is‘ versprochen!« das lag sebastian schwer auf der seele, und er beriet sich mit seiner mutter, als sie zu zweit zu abend aßen. bevor sein vater sich erhängte, hatte sebastian immer mit lilith abendbrot gegessen und nebenher tierdokus auf youtube geguckt. jetzt war aber alles anders: jetzt mit zwölf, war sebastian aufgerückt. und so sagte sebastian bei kartoffelgulasch zu frau lechner: »sie glaubt, sie kriegt’s manifest. wir müssen ihr eins schenken. papa hat’s versprochen.« »ich weiß. und er hätt‘ ihr ein prachtexemplar g‘schrieben, weder kosten noch mühe g‘scheut, aber die herrschenden verhältnisse hab‘m günther einfach zerrieben… und wir können jetzt ah ka geld für an vernünftigen ghost-writer ausgeb’m...« »was is‘, wenn ma einfach a gebrauchtes kauf‘n?« »i schau mi mal um.« und frau lechner sah sich um. eins fand sie im antiquitätenladen, doch das kostete über hundert euro. ein internet-trödler trieb ein anderes manifest auf, aber es war theoretisch so schäbig fundiert, das allein schon der gedanke, es lilith zum geburtstag zu schenken, eine psychische g‘nackwatschen für ein so intelligentes kind bedeutete. sebastian und seine mutter klapperten alle büchergeschäfte der stadt ab, doch die angebotenen manifeste waren entweder gräßliche plastikdinger von hirnlosen selbstoptimierungs-heinis oder in schwer verständlicher sprache geschrieben, sodass sich der grundgedanke eines durchaus passablen manifests stets wie ein haus mit vorgetäuschten türen und fenstern, die sich nicht aufmachen ließen, brüstete. »wir warten wohl besser noch a jahr«, meinte seine mutter. »in der zeit können ma sparen und lernen vielleicht an guten und günstigen schriftsteller kennen…« aber sebastian wusste, es musste dieses jahr sein. wenn sie lilith jetzt enttäuschten, würde sie wahrscheinlich nie wieder einer menschenseele trauen, so viel stand fest. außerdem schuldeten sie es ihren vater. und dann kam ihm durch eine halbherzige, wahllose google-recherche eine rettende idee. zufällig sah er die textvorschau auf der dritten seite der suchergebnisse: Kapitel 1, Artikel 2 §3 Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist für immer beseitigt. Was des Volkes Hände schaffen, ist des Volkes Eigen. Das sozialistische Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“ wird verwirklicht. als sebastian das überflog, musste er die passage aufgeregt gleich noch einmal etwas genauer lesen. es klang alles gut, aber es gab einen haken: arbeiten mit politischen texten war nicht gerade sebastians starke seite. er war zwar klassenbester in turnen und bildnerischer erziehung, aber es war ihm scheinbar unmöglich, einen geraden, leicht verständlichen und gleichzeitig weltverbessernden satz zu verfassen, auch wenn er sich jetzt schon so lange an liliths geschenk abmühte. seiner mutter erzählte er nichts davon, sie war ohnehin meist mit ihren freiberuflichen ingenieursaufträgen beschäftigt und kaum aus ihrem homeoffice von den komplizierten mehrdimensionalen plänen und zeichnungen wegzukriegen. irgendwo musste geld her und frau lechner war spitze in dem, was sie tat. in der zeit nach vaters tod musste sebastian deshalb wochentags die einkäufe erledigen und den telefondienst – weil seine


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mutter außer mit beruflichen belangen nicht gestört werden wollte – der familie lechner übernehmen. das hielt ihn neben der schule ziemlich auf trab. als er sich dann abends an seinen schreibtisch setzte, um an liliths geburtstagsgeschenk zu schreiben, war er meistens zu geschlaucht, um endlich fortschritte mit seiner schreibarbeit zu machen. aber heute war sonntag. er ging nach unten, setzte sich wortlos neben lilith und verdrückte selig die köstliche eierspeis‘, während aus mutters arbeitszimmer das surren eines 3d-druckers wie gewohnt seine bahnen zog. beim anschließenden kakao diskutierte sebastian mit seiner kleinen schwester die irrwege der modernen gender-studies, ehe er wieder nach oben schlurfte und sich hastig in seinem zimmer einsperrte. der junge schreiberling wollte an diesem tag das manifest auf biegen und brechen fertig kriegen, schließlich hatte er heute frei. sebastian setzte sich und war gerade dabei, einige wortfetzen im kopf zu einem satz zu vereinigen: »klug ist nicht, wer keine fehler macht. klug ist…« liliths bruder wollte gerade den kugelschreiber in die hand nehmen, ehe er plötzlich von gedämpften vibriergeräusch davon abgehalten wurde. angewidert blickte er auf das display und sah was er bereits befürchtet hatte: »alexander van kernberg ruft an« sebastian schnitt eine grimasse, als ob die leeren manifestblätter aufgewirbelt würden und ihm kreuz und quer durchs gesicht schneiden würden. er zuckte einige male schmerzerfüllt zusammen, ehe er mit etwas überwindung den stift ruckartig ansetzte, um den gedachten satz fertigzuschreiben: »… der, der sie zu korrigieren weiß.« danach räusperte sich sebastian, holte dreimal tief luft und nahm den anruf entgegen: »erm... hallo?«

OPENWHAT’SMIND FESTIVAL LEFT / WHAT’S RIGHT Performance | Elektronische Musik Fr. 9.11., 21 Uhr Eintritt

Ghost Dance

Frei!

ANDREAS SPECHTL / THOMAS KÖCK Koveranstaltung mit Wissenschaft&Kunst

Performance Sa. 10.11., 20 Uhr und So. 11.11., 19 Uhr

White on White #FUCKME! (we didn’t make it) IGGY LOND MALMBORG / JOHANNES MARIA SCHMIT

Lesungen | Diskussion Mo. 12.11., 20 Uhr

Essayperformance Fr. 16.11. und Sa. 17.11., 20 Uhr

Die Reise ins Reich

Zweiter Versuch über das Turnen

TOBIAS GINSBURG

Desintegriert euch!

HAUPTAKTION Ein Tanzfonds-Erbe-Projekt

MAX CZOLLEK

Konzert | Elektronische Musik Sa. 17.11., 21.30 Uhr

Lesung | Diskussion Fr. 16.11., 18 Uhr

What Will Be Left

MRX Maschine LUISE MEIER

Das gesamte Festivalprogramm, Tickets und Infos unter www.openmindfestival.at

9.–17.11.2018

ARGEKULTUR

LOW PROFILER 1115

Eintritt Frei!


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HOCHKULTUR

SUBKULTUR

Bestes Veranstaltungsfoto 2017, Tobias Neugebauer (Photoni - f/PhotoniPictures)


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Bereits Anfang der 80er-Jahre wurde, aufgrund des fehlenden Angebotes an Auftrittslocations, Proberäumen und Förderungen, der erste Baustein für das Rockhouse Salzburg gelegt. Dieses hat sich seit seiner Eröffnung im Jahr 1993 zur wichtigsten Institution der Salzburger Jugendkultur entwickelt. 2018 feiert das Rockhouse nun seinen 25. Geburtstag. Höchste Zeit sich näher mit dem Haus im Stadtteil Schallmoos zu beschäftigen. Von Michael Seifert

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ereits im Oktober 1981 wurde in Salzburg mit einem dreitägigen Festival im Volksheim ein lautes Zeichen gesetzt, an dem 19 Salzburger Bands beteiligt waren. Daraus entwickelte sich der Verein Pro-Ton, der dem Kulturausschuss 1985 die ersten Pläne für das Projekt „Rockhouse“ vorlegte und dafür eine einstimmige Wohlmeinung erhielt. Es vergingen trotzdem noch einige Jahre, in denen nach der passenden Location gesucht werden und einige Diskussionen mit der Politik geführt werden mussten. 1990 beschloss der Salzburger Gemeinderat einstimmig den Umbau des heutigen Rockhouse und bereits ein Jahr später präsentierte man das Konzept und die Umbaupläne der ehemaligen Weinhandlung. Der Umbau selbst gestaltete sich aufwändiger als gedacht und konnte erst kurz vor der Eröffnung am 14. Oktober 1993 fertiggestellt werden. Seit diesem Tag bietet das Rockhouse Salzburg nicht nur ein Ganzjahresprogramm auf Konzertebene, sondern auch ein breites Angebot an Workshops und Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche sowie Proberäume für Salzburger Bands und spezielle Veranstaltungsabende für junge Salzburger Musiker_ innen. Auf dem Xtra Ordinary-Sampler, der erstmals 1997 erschien, werden zudem jährlich Beiträge aus allen Musikgenres gesammelt, die besten davon von einer mehrköpfigen Jury ausgewählt und diese danach in einer Kleinauflage von maximal 1.200 Stück auf CD gepresst und veröffentlicht. Maßgeblich beteiligt ist das Rockhouse außerdem an der Vergabe des Heimo Erbse Förderpreises. Aus dem Nachlass des namensgebenden Komponisten wird jährlich ein mit 3.000 € dotierter Preis an junge Musiker_innen aus dem Großraum Salzburg vergeben. Dieses Preisgeld können die Preisträger_innen für weitere Musik- oder Videoproduktionen verwenden. Hall of Shame Anlässlich des 25-jährigen Bestehens veröffentlicht das Rockhouse Salzburg zurzeit auf seiner Website die skurrilsten Ereignisse der vergangenen Jahre. Teilweise wahr, teilweise erfunden. Wer eine eigene Rockhouse-Geschichte zu erzählen hat, kann diese sogar online einreichen, auf Wunsch auch anonym. Unter den bisher eingereichten bzw. veröffentlichten Storys finden sich schon jetzt zahlreiche Anekdoten, die man im ersten Moment niemals glauben

würde, die sich aber schlussendlich als wahr erweisen. Wurde der Rapper Bartek wirklich von seinen Bandkollegen an der Eni-Tankstelle vergessen? Wollte Volbeat-Drummer Jon Larsen wirklich ohne seine Pomade die Bühne nicht betreten? Oder hat der SK Oberndorf den Rockhouse-Saal für einen Boxkampf wirklich zur Sporthalle umfunktioniert? Das Mitraten bei diesen Geschichten macht fast so viel Spaß wie damals bei X-Factor. Nur eben ohne Jonathan Frakes.

„ANLÄSSLICH DES 25-JÄHRIGEN BESTEHENS VERÖFFENTLICHT DAS ROCKHOUSE SALZBURG ZURZEIT AUF SEINER WEBSITE DIE SKURRILSTEN EREIGNISSE DER VERGANGENEN JAHRE. TEILWEISE WAHR. TEILWEISE ERFUNDEN.“ Herbst-Highlights Im Herbst könnt ihr euch im Rockhouse wieder auf Top-Veranstaltungen freuen. Das große Highlight ist sicherlich die zweitägige Birthday-Party am 12. und 13. Oktober, bei der Bands wie Anti-Flag, Kreisky, Silverstein und The Crispies den 25. Geburtstag des Rockhouse gebührend feiern werden. Aber auch abseits des Jubiläums wartet ein vollgepacktes Programm auf Besucher_innen: Bands wie die deutschen Punkrocker Itchy (05. 10.), The Rasmus aus Finnland (06. 10.), die österreichische Songwriterin AVEC (07. 11.), der neue Stern am österreichischen Musikhimmel Mavi Phoenix (20. 11.) oder Bosse aus Deutschland, mit neuem Album im Gepäck (30. 11.), versprechen ein vielseitiges und hochkarätiges Programm. Clash of the Cultures Salzburg ist eine Stadt der Hochkultur. Die Festspiele und Mozart thronen über der Stadt und auch in der Politik wird den Jugend- und Subkulturen teilweise noch viel zu wenig Wichtigkeit zugeschrieben. Doch vor allem das Rockhouse tritt als Vertreter ebendieser Bewegungen stark in Salzburg auf, schafft für junge Menschen ein abwechslungsreiches und hochkarätiges Kulturangebot, mit Top-Bands und Künstler_innen, Workshops und vielem mehr - und das bereits seit 25 Jahren.

Michael Seifert studiert Politikwissenschaft und kümmert sich hauptsächlich um das Layout der uni:press. In seiner Freizeit spielt er Videospiele und dokumentiert das in Text und Podcast-Form auf www.threetwoplay.com


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DER ULTIMATIVE UNI:PRESS

BEISLTEST FORTGEHEN ABSEITS DES (STUDENTISCHEN) MAINSTREAMS TEIL 7 - ELISABETH-VORSTADT Rudolfskai, Gstättengasse, Bergstraße oder Imbergstraße – das sind die Topadressen des Salzburger Nachtlebens. Topadressen? Wirklich? Wir haben uns schick gemacht und für euch Lokale abseits des studentischen Nachtlebens getestet, damit ihr ein Refugium findet, wenn euch die Segabar zu fad wird.

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aturgemäß ist in jeder Stadt das Bahnhofsviertel ein Beisl-Hotspot – Salzburg ist da keine Ausnahme. Mit „Elisabeth-Vorstadt“ hat die zweifelhafte Gegend seit 1901 einen noblen Namen, von dem man sich aber nicht in die Irre führen lassen darf. Nirgendwo sonst in Salzburg gibt es so viele dubiose Wettcafés und Shisha-Bars.1 Im Norden grenzt der Stadtteil an Itzling, im Westen liegt die Salzach und im Südosten bilden die Gleisanlagen des Hauptbahnhofs die Grenze. Etwa 7.500 Menschen bewohnen hier ca. 500 Gebäude. Während die Gegend zwischen Salzach und Plainstraße von Wohnvillen geprägt ist, dominieren im restlichen Stadtteil Hochhäuser und Wohnblocks. Im Mittelalter trug die Gegend den Namen Fieberbrunn, ab dem 18. Jahrhundert dann Froschheim. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelte sich das bis dahin landwirtschaftlich genutzte Gebiet in ein urbanes Siedlungs- und Industriegebiet. Entscheidend dafür waren der Bau der Westbahn mit dem Hauptbahnhof, die Schleifung der Stadtmauern und die Regulierung der Salzach. Die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg ermöglichten nach 1945 vor allem östlich der Elisabethstraße eine dichte Bebauung. Zugegeben, wir waren uns nicht sicher, ob wir auf unserer Suche nach Bier und Schnaps im Bahnhofsviertel überhaupt fündig werden würden. Das von Preuners Schergen kompromisslos durchgesetzte Alkoholverbot am Südtiroler Platz hat aber glücklicherweise keine negativen Auswirkungen auf die umliegenden Beisln. Die hiesigen Drangler dürfen hemmungslos weiterbechern – solange sie das in klar

abgegrenzten Gastgärten und um den zehnfachen Preis machen.

„DAS VON PREUNERS SCHERGEN KOMPROMISSLOS DURCHGESETZTE ALKOHOLVERBOT AM SÜDTIROLER PLATZ HAT GLÜCKLICHERWEISE KEINE NEGATIVEN AUSWIRKUNGEN AUF DIE UMLIEGENDEN BEISLN.“ Wagemutige Tschecheranten umgehen das Verbot mit kreativen Lösungen (Schnaps in der Mineralwasserflasche o. Ä.); wir Feiglinge bleiben allerdings auf der legalen Seite, nicht zuletzt, um sicherzustellen, dass dieser Text abgedruckt werden darf und dem Serviceanspruch unseres schönen Magazins Genüge getan werden kann. Zudem sollen unschuldige Erstis nicht zur Kriminalität gedrängt werden. Nun aber genug der Gesellschaftskritik! Lasst uns gemeinsam in die pulsierende Beislwelt rund um den Salzburger Hauptbahnhof eintauchen! Corner am Bahnhof Die anfängliche Skepsis (“I hob gheat, do drin gehts voi oag zua!”) weicht schnell einer gewissen Erleichterung, befindet man sich hier doch offenbar in einem der eher harmloseren Lokale. Es geht trotz der rund 20 Gäste recht ruhig und gesittet zu, die Kellnerin ist freundlich und flott und zudem im Kopfrechnen top. Kulinarisch wird hier jeder fündig: Pizza, Nudeln, Toast, Schnitzel und zahlreiche andere Schmankerl

1 Angabe nicht überprüft.


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werden prompt serviert und schmecken hervorragend. Ein heftiger Glaubensstreit entbrennt: Schmeißt man Grillwürschtel in die Fritteuse oder werden sie in der Pfanne zubereitet? – Eine Einigung ist noch immer nicht in Sicht. Die Toiletten sind sauber, im Radio läuft standardmäßig Charts-Musik – keine Überraschungen. Jeden ersten Donnerstag im Monat soll es hier außerdem eine Tombola geben. Dass das Stammpublikum eher für sich bleiben will, sorgt dafür, dass uns auch die günstigen Bierpreise nicht zum Bleiben animieren. Wir verlassen den Südtiroler Platz 8 und ziehen weiter. Potato Wenige Meter weiter (Südtiroler Platz 6) das erste Highlight des Abends – benannt nach den Erdäpfelspalten, die es hier einst zu essen gab. Im Lokal

selbst haben wohl kaum mehr als fünfzehn Menschen Platz; für eine Entspannung der Raumsituation sorgt im Sommer der Gastgarten direkt vor dem Beisl, der einen schönen Ausblick auf das vor der Allgemeinheit gut versteckte Antifaschismus-Mahnmal bietet. Wegen der Anrainer im Wohnblock darüber weist ein Schild (“Psst!”) darauf hin, dass der Gast ruhig zu sein hat. Die zwei jung gebliebenen Damen, die vor dem Potato lautstark diskutieren (=durchgehend und wenig geistreich fluchen), scheren sich einen feuchten Dreck darum. Ob das Gebot zu späterer Stunde von der Besitzerin rigoroser durchgesetzt wird, konnten wir nicht ergründen. Das Bier bekommt man hier um günstige 3,10€, dazu gibt es ein Fläschchen selbstgemachten Waldbeerlikör um 8€ – für eine Gruppe von 6 Personen reicht selbiges gerade so aus. Wir vermuten, dass hier

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schon öfter schlechte Erfahrungen mit Zechprellern gemacht wurden, da die Wirtin stets darauf achtet, sofort zu kassieren. Der Weg zum locus necessitatis – stilecht mit für Verwirrung sorgender Schiebetür – führt an vier Barhockern, einem kleinen Stehplatzbereich und Hinweisen auf diverse Sonderangebote (5 Bacardi-Cola um 8€) vorbei. Das Unisex-Klo werten wir als Bestätigung für die progressive Haltung, die hier vorherrscht. Ein Hinweis darauf ist auch die Musikauswahl, die von linken Staatskünstlern (Ambros, Fendrich, Danzer, Hubert von Goisern) dominiert wird. Weil das Potato einerseits äußerst gut besucht ist, andererseits aber nur begrenzt Platz hat, nehmen wir Rücksicht auf das Stammpublikum und verlassen das Etablissement. Café Figaro Wieder reichen wenige Schritte, um zur nächsten Lokalität zu gelangen. Im Raucherbeisl, dessen Gastgarten leider schon geschlossen hat, serviert uns eine freundliche Kellnerin Bier und Schnaps (Zirbe). Während wir anfangs noch von schüchternen Stammgästen an der Bar neugierig beäugt werden, gesellt sich nur ein halbes Bier später eine heitere Runde zu uns. Das selbstbewusste Alphatier der Gruppe, ein älterer, weißhaariger Mann, markiert sogleich sein Revier:

“Man bediene mich!” schallt seine kräftige Stimme durchs Lokal. “Man” leistet ihm Folge.

„GERADEZU HYPNOTISIERT VOM MÄCHTIGEN SCHNAUZER LAUSCHEN WIR SEINEN GESCHICHTEN.“ Wesentlich sympathischer ist uns da Underdog Manfred2, der in einer Käserei schuftet und bald in Pension gehen darf. Seine Berufswahl bereut er keinesfalls – voller Stolz erzählt er uns, damals, im 80er-Jahr, der jüngste Käsermeister Österreichs gewesen zu sein. Geradezu hypnotisiert vom mächtigen Schnauzer lauschen wir seinen Geschichten. Die Damen unter uns müssen derweil die aufdringlichen Flirtversuche des Alphatiers abwehren. Dass wir nach nur einem Bier tatsächlich weiterziehen, sorgt bei ihnen für Erleichterung. Honorary Mention: Café Sambucca Post vom Gerichtsvollzieher hat das Café Sambucca bekommen – die Nachricht des Spielverderbers verhinderte leider die Aufnahme in den Testpool

2 Name von der Redaktion geändert.


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Trau Di Gut versteckt hinter der Tankstelle in der Saint-Julien-Straße liegt dieses Juwel der Beislszene, in dem die klare Ansage “Im Himmel gibts kein Bier, drum trinken wir es hier” den Besuchern vom ersten Augenblick an vermittelt, was hier gespielt wird. Die rustikale Einrichtung erinnert an eine Schihütte; ergänzt wird sie durch zwei Dartscheiben, die fleißig bespielt werden. Zwar sind sie gut hinter einem Torbogen versteckt, eine im Lokal gut sichtbar angebrachte, separate Anzeigetafel sorgt aber dafür, dass alle Gäste wissen, wie schlecht man spielt. Das Bier verkauft man hier um einen humanen Preis (3,30€), der ebenfalls günstige Kirschschnaps (2,20€), der mangels Tablett auf einem Aschenbecher serviert wird, schmeckt ausgezeichnet. Verlockend klingt auch ein Getränk namens “Negr”, welches vermutlich deshalb so heißt, weil man “Neger” nicht sagen darf – Ha Ha! Honorary Mention II: Café Enzian Wegen Betriebsurlaubs geschlossen. as Beisl schaut

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jedoch recht vielversprechend aus – wird bei Gelegenheit nachgeholt! Nachruf: Tanzcafe Melodie Fast ebenso lange wie wir schon in Salzburg leben, haben wir uns vorgenommen, endlich einmal diese Legende der Salzburger Beislszene aufzusuchen. Nun ist das nicht mehr möglich – geschlossen, für immer! Lediglich einige originelle Online-Bewertungen (Highlight: “grottenschlecht.absteige für ausländer die österreichische frauen suchen oder frauen die auf ausländische schwänze stehen.niveaulos.”) zeugen von der einstigen Größe dieser Institution. RIP in Peace, Tanzcafe Melodie! Wie immer erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Über Anregungen und Geheimtipps für kommende Kontrolltouren freut sich die Redaktion außerordentlich (presse@oeh-salzburg.at). Prost!

Disclaimer: Der Test wurde in unserer Freizeit durchgeführt, dadurch keine Studierendeninteressenvertretungsarbeit vernachlässigt. Es wurden keine ÖH-Mittel aufgewendet. Es gab keinerlei finanzielle Zuwendungen seitens der Beisl-InhaberInnen.


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zeit masch ine Interessantes, Kurioses und Schockierendes in alten uni:press-Ausgaben, entdeckt und ausgegraben von Christoph Würflinger Schon in den Gründungsjahren bewegte die akute Raumnot die Gemüter der Salzburger Universitätsangehörigen. Ein großer Universitätsneubau in Freisaal, aus dem letztlich die Naturwissenschaftliche Fakultät hervorging, wurde in den 60er und 70er Jahren zur neverending story.

UNINEUBAU DIE BOMBE TICKT Eine große Chance für die Salzburger Universität einerseits, der Stein des Anstoßes für alle „Freunde Salzburgs“ andererseits – so präsentiert sich das jüngste Projekt für einen Neubau der Philosophischen Fakultät in Salzburg. Hauptangriffspunkt: das ebenfalls geplante Landessportzentrum. Das Projekt ist von so eminentem Schaden für Salzburg, daß ein weltumspannender Verein von Künstlern und Freunden Salzburgs seine Realisierung verhindern soll. Mit diesem Projekt und seinem Standort wird die allerschönste und wertvollste Landschaft Salzburgs endgültig zerstört. Dieses Projekt bedeutet, daß in Zukunft erholungssuchende Mütter, unterwegs mit dem Kinderwagen in Freisaal, wegen lärmender und johlender Studenten keine Ruhe und Erholung mehr finden können. Und das Projekt liegt auch den Festungsblickfreunden im Magen, oder besser, vor den Augen. Es handelt sich um das Projekt des Neubaus der Philosophischen Fakultät im Zusammenhang mit dem Landessportzentrum auf den Freisaalgründen

zwischen Akademiestraße–Hellbrunnerstraße–Hofhaymer Allee. Wieder einmal stehen die Universität als Bauherr, Stadt und Land Salzburg sowie die Bevölkerung und die Studenten vor einer Bauleitplanung, deren Entstehen nicht uninteressant ist. Denn seit dem Jahr 1962, der Stunde Null der Salzburger Universität, schlägt man sich mit der Situierung und Unterbringung vor allem der Philosophischen Fakultät herum. Haben die beiden anderen Fakultäten in zusammenhängenden Komplexen in etwa eine gute Bleibe gefunden, ringt die Philosophische Fakultät weiterhin zumindest ums räumliche Überleben. Ihre Aufspaltung, durch die Neubauten in der Akademiestraße zwar etwas vermindert, aber weiterhin ein potjemkin’sches Dorf, ist der Grund für eine weitgehende Isolierung der Institute untereinander, als auch andererseits, und das scheint zu zählen, der Grund für die Unmöglichkeit einer studentischen Kommunikation sowohl untereinander als in direktem Kontakt mit der Bevölkerung der Stadt. Denn dort kennt man die Studenten entweder


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nur, wenn man Zimmer zu vermieten und für Studenten Notwendiges zu verkaufen hat, oder wenn man aus Zeitungen von Streiks und Krawallen innerhalb der Studentenschaft erfährt. Und dann: „Die sollen doch lieber arbeiten …“ […] Verfolgt man die Diskussion während der beiden letzten Monate, so ist, von Ausnahmen abgesehen, deutlich das Fehlen von Mut und Zivilcourage festzustellen. Gerade diese beiden Faktoren aber sind hier nicht auszuschalten. Es nützt der Universität in keiner Weise, wenn Leuten, die gehört werden, „das Herz blutet“, wenn Bestrebungen, die Philosophische Fakultät in den Altstadtbereich zurückzuverlegen, als Alternative angeboten werden, wenn man ein „Ja“ zum Neubau der Fakultätsgebäude, aber ein „Nein“ zu den Sportstätten sagt. Es nützt der Universität auch nichts, wenn der Zwiespalt im Innern ihres Kunsthistorikers zum Argument gegen eine Situierung in Freisaal ausgespielt wird. Und es nützt der Universität auch nichts, wenn die unabhängigen Massenmedien mit einer Ablehnung sich zu Richtern über ein Projekt machen, das von zentraler Bedeutung für Salzburg ist. Nicht nur international anerkannte kulturelle Großveranstaltungen prägen das geistige Leben dieser Stadt, sondern auch, und man sollte das nicht vergessen, die Forschung und Lehre innerhalb ihrer Universität. Mit einem beispiellosen Elan zollt man der Kunst im Zentrum der Stadt ihren Tribut – die Universität aber, die kann auch irgendwo draußen sein. Schließlich bestehen in vielen Ländern, besonders im angelsächsischen Raum, sogenannte Campus-Universitäten, vollkommen losgelöst vom Leben der Stadt, der sie nur noch durch Bus- und Straßenbahnverbindungen zugehören. Eine ideale Möglichkeit, glaubt man, Forschung und Lehre in

eine Einsiedelei zusammenzuführen. Studenten und Professoren, die in solchen Universitäten leben, sind da allerdings einer anderen Auffassung. Die Gefahr der völligen Isolierung ist zu groß. Auch in Salzburg besteht diese Gefahr der Verbannung der Universität an den Stadtrand, an die Peripherie. […] Wir glauben, daß hinsichtlich der gesamten Planung von den Gegnern des Projektes noch keine stichhaltigen Argumente angeboten wurden. Berechnungen über die Gesamtlänge der Baumassen und deren Umschlagung auf die Länge der Festungsmauern, das Heraufbeschwören eines römischen Feldlagers und der Lehrsätze der alten Griechen sowie der Vorwurf, die Architekten kennten nur den rechten Winkel, sind keine Argumente gegen eine Philosophische Fakultät in Freisaal. […] Es bietet sich also für Salzburg die Möglichkeit einer großen, einmaligen Lösung. Wir glauben nicht daran, daß Kleinkariertheit und Angst vor Lärmbelästigung, internationale Künstlerbewegungen und Freunde des Festungsblickes es schaffen werden, diese Universität zu Fall zu bringen. Wir glauben aber an das Verständnis jener, die jetzt zu entscheiden haben und erwarten von ihnen jenen Mut und jene Zivilcourage, die so spärlich aufblitzt. (uni:press November 1975) Die Hoffnungen der Studierendenvertreter waren vergebens, die Salzburger Kleinkariertheit hat sich durchgesetzt. Teile der Philosophischen Fakultät wurden in der Akademiestraße untergebracht. Die dortigen Gebäude, ursprünglich als kurzfristige Übergangslösung gedacht, blieben mehrere Jahrzehnte in Verwendung Abgelöst wurden sie vom Unipark Nonntal, der wiederum nicht die gesamte Fakultät beherbergt und bereits bei Baubeginn zu klein war.

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UNI:PRESS STUDIERENDENZEITUNG DER ÖSTERREICHISCHEN HOCHSCHÜLERiNNENSCHAFT DER UNIVERSITÄT SALZBURG — #694 September 2018 —

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